Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Europas Hochtechnologieindustrien kämpfen ums Überleben | APuZ 10-11/1992 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 10-11/1992 Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Europas Hochtechnologieindustrien kämpfen ums Überleben Europäische Technologie-und Industriepolitik nach Maastricht Regionalisierung der Industriepolitik? Die Suche der Bundesländer nach einer flexiblen Antwort auf den neuen europäischen Wirtschaftsraum Zum Kompetenzverlust der öffentlichen Meinung im Industriestaat Bundesrepublik. Akzeptanz-und Transferprobleme im Hinblick auf Forschung, Technologie und Wirtschaft

Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Europas Hochtechnologieindustrien kämpfen ums Überleben

Konrad Seitz

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zu Beginn des Jahres 1992 ist die Debatte über den Produktionsstandort Deutschland aufgebrochen. So ernst die Unternehmerklagen über die ungünstigen Rahmenbedingungen dieses Mal zu nehmen sind, so deuten die sich ausbreitenden Krisenerscheinungen in der deutschen Industrie doch auf ein noch grundsätzlicheres Problem hin: Deutschland kommt -wie das übrige Europa -in der neuen hochtechnologischen Revolution nicht mit. Der Beitrag macht zuerst die neue Realität des geo-ökonomischen Zeitalters am Beispiel des japanisch-amerikanischen Hochtechnologieringens in den achtziger Jahren bewußt. Er zeigt sodann, daß in den neunziger Jahren Europa zum Hauptschauplatz des Hochtechnologiekriegs wird. Und er fragt in einem Schlußteil, was Deutschland und Europa tun müssen, um die „japanisch-amerikanische Herausforderung“ zu bestehen.

I. Vorbemerkung: Die gegenwärtige Debatte um den Produktionsstandort Deutschland -Frühwarnung vor einer tiefergreifenden Krise?

Zu Beginn des Jahres 1992 ist die Debatte über den Produktionsstandort Deutschland mit Wucht aufgebrochen. Die allgemeinen Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft, so schallt es unisono aus den Unternehmen und Unternehmensverbänden, seien im Vergleich zu denen der Konkurrenz-länder so ungünstig geworden, daß der Standort Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren drohe. Die Deutschen leisteten sich die höchsten Löhne und die kürzesten Arbeitszeiten, hohe Unternehmenssteuem und zugleich die schärfsten Umweltauflagen, hohe Stromkosten sowie überlange Genehmigungszeiten für Bauvorhaben. Der Industrie bleibe nichts übrig, als die Produktion mehr und mehr in das Ausland zu verlagern.

So ernst die Unternehmerklagen dieses Mal zu nehmen sind, so sind die im internationalen Vergleich ungünstigen Rahmenbedingungen doch nicht das ganze, ja nicht einmal das zentrale Problem. Die MIT-Studie über die Weltautomobilindustrie die inzwischen zur Bibel der deutschen Manager geworden ist, legt dar, daß die japanischen Automobilunternehmen bei der Montage eines Mittelklassewagens nur halb so viele Arbeitsstunden und bei der Montage eines Luxuswagens gar nur ein viertel so viele Arbeitsstunden wie ihre deutschen und europäischen Konkurrenten benötigen. Und eine McKinsey-Studie rechnete vor kurzem vor, daß die Kostennachteile deutscher Unternehmen gegenüber ihren japanischen Konkurrenten nur zu 20 Prozent auf höhere Faktor-Kosten zurückgehen und zu 80 Prozent auf veraltete Arbeitsorganisation und wenig fertigungsfreundliche Konstruktion. An den Arbeitskosten kann es also nicht primär liegen, wenn sich die globale Wettbewerbssituation unserer Automobilhersteller, Autozulieferer und Werkzeugmaschinenbauer gegenüber Japan einschneidend verschlechtert hat. Und noch weniger läßt sich der dramatische Zerfall unserer Halbleiter-und Computerindustrie mit ungünstigen allgemeinen Rahmenbedingungen erklären. Hier kommt vielmehr etwas sehr viel Grundlegenderes zum Ausdruck: Deutschland fällt -wie das übrige Europa -auf dem Weg in die Informationswirtschaft und -gesellschaft immer weiter zurück. Es kommt in der seit den achtziger Jahren voll angelaufenen hochtechnologischen Revolution nicht mit -nicht in den neuen Industrien, nicht in der neuen Produktionstechnik und den neuen Management-und Führungsmethoden, nicht in den neuen Denkkategorien des Informationszeitalters. Der hohe deutsche Wohlstand wird am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch im wesentlichen von Industrien getragen, die im 19. Jahrhundert entstanden sind: Stahl und Maschinenbau, traditionelle Elektrotechnik, traditionelle chemische Industrie, Autoindustrie. Die nach 1945 entstandenen neuen großen Wachstumsindustrien dagegen sind, wie die Halbleiter-und Computerindustrie, in Deutschland nur schwach entwickelt und weitgehend unter ausländischer Kontrolle, oder sie sind, wie die neue Bioindustrie, sogar so gut wie überhaupt nicht vorhanden.

Wir haben unsere „alten“ Industrien auf den modernsten Stand gebracht und sind in ihnen vielfach führend. Die deutsche Industrie hat die größte Produktionspalette in der Welt, Hunderte von mittelständischen Firmen dominieren ihre ausgewählten Spezialmärkte europa-und z. T. weltweit. Dennoch: Wie lange noch können die „alten“ Industrien unseren Wohlstand sichern? Wir müssen mit ihnen mehr und mehr gegen die neu entstehenden Industrieländer in der Dritten Welt konkurrieren, die ungleich niedrigere Löhne haben. Aber vor allem: Wir sind, um diese Industrien und die Produkte auf modernstem Stand zu halten, immer mehr angewiesen auf die Zulieferung der elektronischen Komponenten aus Übersee. Werden wir stets die neuesten Komponenten bekommen, und werden wir sie zur rechten Zeit bekommen?

Die deutsche Industrie rühmt sich zu Recht, im System-Know-how, also im Wissen, wie man Maschi nen und Industrieanlagen baut, an der Spitze in der Welt zu stehen. Aber kann man die modernsten Systeme entwickeln, wenn man nicht von Anfang an weiß, welche künftigen Komponenten in Japan entstehen werden? Und weiter: Die Systeme „wandern auf den Chip“. Bisher haben unsere Entwickler niedrig-integrierte Standardchips auf dem Weltmarkt gekauft und sie auf der Leiterplatte zum System integriert. Jetzt aber geht der Weg zum höchstintegrierten anwendungsspezifischen Chip, bei dem das ganze System auf einem einzigen Chip oder in einem kleinen Chip-Satz vereint ist. Was geschieht, wenn die deutschen und europäischen Systemverwalter nicht mehr selbst in der Lage sein sollten, diese höchstintegrierten Chips zu fertigen? Wenn sie die japanischen Halbleiterhersteller um Fertigung bitten müssen, die ihrerseits in großen vertikalen Elektrokonzernen integriert sind, die gleichfalls Systeme produzieren?

Werden die Japaner in jedem Fall bereit sein, die konkurrierenden Systeme ihrer deutschen Konkurrenten in „Silizium zu gießen“? Und kommt die Übergabe des eigenen Systems an den japanischen Chiphersteller nicht einem systemtechnischen „Offenbarungseid“ gleich? Kann man unter solchen Umständen wirklich wettbewerbsfähig bleiben?

Und was für die Abhängigkeit bei Chips gilt, gilt generell für die Abhängigkeit bei Schlüsselkomponenten wie Flüssigkristallanzeigen, Laserdioden, Hochleistungskeramiken usw. Mit einem Wort: Wie lange können unsere „alten“ Industrien noch wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir -wie dies droht -in den neuen Schlüsseltechnologien weitgehend von Übersee abhängig werden?

Schon 1983 schrieb Bruce Nussbaum, Mitherausgeber des führenden US-Wirtschaftsmagazins „Business Week“: „Wie ein rasendes Auto, das über eine Pier hinausschießt und einen Augenblick quasi stillhält, bevor es ins Meer stürzt, ist Westdeutschland heute eine Nation, die sich selbstgefällig durch das 20. Jahrhundert bewegt, blind und nichtsahnend von der ökonomischen Katastrophe, von der sie bereits erfaßt ist... Deutschland ist heute eine Nation, die den Wechsel vom , mechanical engineering’ zum , bioengineering‘ nicht schafft.

Es kann den Sprung nicht machen von den Präzisionsmaschinen der Vergangenheit mit ihren Tausenden von beweglichen Teilen und Motoren zu den elektronischen Wegwerfgeräten von heute und morgen. Und es kann den Sprung nicht tun von der erdölbasierten Chemie zu den biologisch erzeugten Pharmazeutika. Deutschland stellt nach wie vor die besten 19. Jahrhundert-Produkte der Welt her:

schwere Turbinen, wundervolle Autos und Präzisionswerkzeuge. Aber es kann nicht mithalten, wenn es zur Hochtechnologie kommt: zu Robotern, Telekommunikationsausrüstungen, Mikroben-Fabriken, Computern, Halbleitern, Unterhaltungselektronik.“

Damals rettete uns die steile Dollaraufwertung in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, die den Dollarkurs von 1, 80 DM auf 3, 40 DM hochtrieb und uns zum „Exportweltmeister“ machte. Heute kommt uns der durch deficit-spending finanzierte Nachfrageschub aus den neuen Bundesländern zu Hilfe, dem auf mittlere Frist ein weiterer Nachfrageschub aus Osteuropa folgen könnte. Aber wenn wir darüber die Alarmsignale, die von unseren zerfallenden Hochtechnologieindustrien ausgehen, überhören, wird das Erwachen schrecklich werden. Es wäre dann nichts mehr zu retten! Nuss-baums Prophezeiung einer abstürzenden Wirtschaft und eines abstürzenden Lebensstandards würden zu Beginn des 21. Jahrhunderts bittere Wirklichkeit.

So unmittelbar auch die Probleme in den neuen Bundesländern und im Osten vor unseren Augen stehen, so können wir es uns doch keinesfalls leisten, unsere politischen und wirtschaftlichen Energien einzig und allein auf die Herausforderung des Ostens zu konzentrieren. Wir müssen gleichzeitig die „japanisch-amerikanische Herausforderung“ annehmen.

II. Die Zeitenwende der achtziger Jahre

Wir begreifen schon heute die achtziger Jahre als eine der großen Zeitenwenden in der Weltgeschichte. Wir denken dabei an den Zerfall der Sowjetunion, des letzten europäischen Kolonial-reichs. Nur allmählich werden wir gewahr, daß die achtziger Jahre eine zweite Entwicklung von welt-historischer Bedeutung brachten: den Aufstieg Japans zur wirtschaftlichen Supermacht. Dieser Aufstieg setzt -nicht anders als der Abstieg der Sowjetunion -grundlegend neue Daten für die Weltpolitik. Aus der Ära der Geopolitik treten die fortgeschrittenen Industrieländer in eine Ära der GeoÖkonomie. Wo die „großen Mächte“ einst um Territorien, Kolonialreiche und Einflußsphären kämpften, da kämpfen sie jetzt um technologische Führerschaft und Beherrschung der globalen Hochtechnologiemärkte. Wirtschafts-und Technologie-themen rücken ins Zentrum der Weltpolitik.

Nichts macht die neuen Realitäten im geo-ökonomischen Zeitalter besser bewußt als ein Blick auf das dramatische Hochtechnologieringen zwischen Japan und Amerika in den achtziger Jahren. Wir wollen uns dieses Ringen deshalb kurz vergegenwärtigen, bevor wir zu der Situation Deutschlands und Europas zu Beginn der neunziger Jahre kommen. 1. Japan und Amerika in den achtzigerJahren:

das „staunenerregende Rennen"

Zu Beginn der achtziger Jahre erschien in den USA ein Buch mit dem Titel „The Amazing Race“. In ihm rückte der Autor William Davidson den japanisch-amerikanischen Wettlauf auf den neuen Hochtechnologiemärkten in den Blick, und er sagte mit bemerkenswerter Voraussicht: „Dieses Rennen ist vielleicht die wichtigste Entwicklung, die in der Welt vor sich geht.“ Heute, zu Beginn der neunziger Jahre, ist das Rennen auf den meisten Feldern entschieden. Während die Amerikaner ihre Aufmerksamkeit und Energie auf den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion richteten, rang Japan in einem lautlosen „Heißen Krieg“ große Teile der amerikanischen Hochtechnologieindustrie auf ihrem eigenen Heimatmarkt nieder und stieg zur technologischen Vormacht auf: -Schon an der Wende zu den achtziger Jahren zerstörten die Japaner die amerikanische Unterhaitungselektronik-Industrie in einem massiven Dumping-Angriff, der seither oft beschrieben wurde. Von den 27 großen amerikanischen Produzenten von Radio-und Fernsehgeräten -unter ihnen eine der strahlendsten Firmen der fünfziger und sechziger Jahre: die Radio Corporation of America -blieb nur noch ein einziger übrig. Es ist dies die Firma Zenith, die seit langem mit Verlusten arbeitet (und inzwischen mit koreanischer Beteiligung). Die übrigen Hersteller gingen unter oder wurden von Japanern und Europäern übernommen. Hergestellt werden allein Fernsehgeräte. Die Produktion in Amerika ist also auf dem Stand von Ende der siebziger Jahre stehengeblieben. Die neuen Generationen von Unterhaltungselektronik-geräten wie CD-Abspielgeräte, Videorecorder, Camcorder, Walkman und Videoman werden aus Japan oderjapanischen Fabriken in Asien sowie aus Korea importiert. Man könnte sie in Amerika auch gar nicht mehr herstellen, denn die „skill base“ ist nicht mehr da. -Tief in den amerikanischen Heimatmarkt eingedrungen ist seit Mitte der siebziger Jahre auch die japanische Autoindustrie. Schon 1980 verdrängte Japan die USA aus ihrem angestammten ersten Platz in der Weltautomobilproduktion. Heute halten japanische Hersteller einen Anteil von 36 Prozent am amerikansichen PKW-Markt -Lieferungen von Autos, die unter US-Markennamen verkauft werden, eingeschlossen. Es war ein Platz-tausch von symbolischer Bedeutung, ist doch das Auto das amerikanischste aller Industrieprodukte, das wie kein anderes den „American Way of Life“ geschaffen hat.

Mit der Unterhaltungselektronik-und der Automobilindustrie hatte Japan die beiden großen Konsumgüterindustrien erobert, die ihrerseits wieder Großabnehmer und Technologietreiber für die anderen Industrien der Informationstechnik sind: die Hersteller von Halbleitern, Computern, Telekommunikationsgeräten, Werkzeugmaschinen und Robotern. Die Japaner hatten sich damit die Ausgangsbasis geschaffen, von der aus sie zur Eroberung der informationstechnischen Industrie insgesamt antreten konnten. Und sie traten an:

-Mitte der achtziger Jahre überrannten die Japaner die amerikanische Halbleiterindustrie im fertigungstechnologisch entscheidenden Bereich der Speicherschaltkreise. Eine Anweisung von Hitachi an seine Verkaufsagenten in Amerika wurde bekannt; sie lautete: „Nenne einen Preis, der 10 Prozent unter dem der Konkurrenz liegt. Steigt sie in diesen Preis ein, setze ihn weitere 10 Prozent herunter. Die Angebotsrunde ist zu Ende, wenn Hitachi gewonnen hat. 25 Prozent Provision sind garantiert.“ Als der Staub der Schlacht sich gelegt hatte, zählten die japanischen Angreifer über vier Milliarden Dollar Verluste, aber so gut wie alle amerikanischen Halbleiterfirmen waren aus dem Speicherchip-markt ausgeschieden. George Schneer, Vizepräsident der Firma Intel, die den Integrierten Speicher-schaltkreis erfunden hat, kommentierte damals: „Es war wie Pearl Harbour.“

Heute dominieren die Japaner -mit Ausnahme der (durch Ursprungsrechte geschützten) Mikroprozessoren -den Weltmarkt für Integrierte Schaltkreise. Und noch entscheidender: Sie sind dabei, den Markt für Halbleitermaterialien ebenso wie für Fertigungs-und Testgeräte zu monopolisieren. Schon heute kann niemand mehr höchstintegrierte Halbleiter herstellen ohne Belichtungsgeräte von Nikon oder Canon und anderes mehr. Siemens fertigt in Regensburg seine Megabit-DRAMs mit Canon Belichtungsgeräten und mußte japanische Reinstche-mikalien Woche für Woche pünktlich in Literflaschen aus Japan einfliegen.

Der japanische Sieg in der Halbleiterindustrie kann in seiner Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden. Denn mit der Halbleiterindustrie haben die Japaner das Fundament erobert, auf dem die gesamte informationstechnische Industrie ruht. -Zur gleichen Zeit wie die amerikanischen Speicherproduzenten gingen unter dem japanischen Ansturm auch die amerikanischen Werkzeugmaschinenhersteller unter -die „Industrie der Industrien“. Die US-Produktion, einst die größte der Welt, schrumpfte fast auf die Hälfte; und immer mehr von dieser Hälfte wird in japanischen Fabriken in Amerika produziert. Nicht anders rissen die Japaner auch die Führung bei Industrierobotern an sich. Japan ist heute -mit riesigem Abstand -der weltweit größte Produzent und Anwender von Robotern. -In raschem Vordringen ist Japan auch auf den Weltmärkten für Telekommunikations-Ausrüstungen. Es hat Amerika und Deutschland aus ihren einst führenden Positionen auf dem Weltmarkt verdrängt und exportiert heute doppelt soviel wie beide zusammengenommen. Die japanischen Unternehmen und ihre Fabriken in Asien beherrschen bereits die Massenmärkte der Endgeräte:

Bei Telefaxgeräten haben die Japaner ein Monopol, bei Telefonen einen dominierenden Anteil und auf dem neu entstehenden Massenmarkt der Funktelefone liefern Matsushita, NEC und die anderen Japaner dem US-Konzern Motorola einen erbitterten Kampf. -Bleibt als letzte Bastion der Amerikaner die Computerindustrie, wo die US-Hersteller noch 60 Prozent des Weltmarkts halten. Jedoch auch hier sind Einschränkungen zu machen: Mehr als die Hälfte der Komponenten und Peripheriegeräte der von US-Firmen verkauften Computer ist bereits japanisch -Chips, Bildschirme, Diskettenlaufwerke, Drucker. Die neunziger Jahre bringen nun den Übergang von firmeneigenen zu offenen Standards. Je mehr aber Computer zu standardisierter Massenware werden, um so mehr werden sie zur Domäne dessen, der die Massenfertigung der Komponenten beherrscht: also Japans.

Die Japaner dominieren bereits weltweit den am schnellsten wachsenden Teilmarkt: den neuen Markt der Laptops und Notizbuchcomputer, der schon Mitte der neunziger Jahre über die Hälfte des Markts für Personal-Computer ausmachen dürfte. Wo amerikanische Hersteller tragbare Computer anbieten, sind sie bei Schlüsselkomponenten (wie Flüssigkristall-Flachbildschirmen) auf die Japaner angewiesen. Besonders ausgeprägt ist die Dominanz der Japaner bei den Notizbuchcomputern, wo sie ihre Überlegenheit in der Miniaturisierungstechnik voll ausspielen können; IBM und Apple lassen ihre Maschinen von Ricoh und Sony produzieren.

Im Hardware-Bereich ist die Position der amerikanischen Computerindustrie also bereits unterminiert. Unangefochten führend allerdings sind die Amerikaner weiterhin in der Software, in der Vernetzungstechnik und bei parallelverarbeitenden Computern.

Nach der Devise: „Die Trauben sind zu sauer“ propagieren denn auch bereits einige Amerikaner das „computerlose Computerunternehmen“. Amerika solle die Hardware-Fertigung aufgeben und sich auf Software-Lösungen und Systemintegration konzentrieren. Hier winkten die großen Gewinne, die Hardware könne man billig von den Japanern, Koreanern und Taiwanesen kaufen. Microsoft, nicht IBM sei das Modell für die Zukunft.

Doch Zweifel scheinen angebracht, ob die Japaner sich wirklich damit zufriedengeben werden, den Amerikanern billig die Hardware zu liefern und zuzusehen, wie diese mit der Software die hohen Profite einfahren. Zweifel gibt es auch, ob man auf Dauer die neueste Software entwickeln kann, ohne auch die neueste Hardware zu entwickeln. Und nicht zuletzt: Computer werden allgegenwärtig sein -als Multimedia-Personal Computer, als hochauflösende Fernsehgeräte, als Steuerungssysteme in Autos, als Übersetzungsmaschinen in Telefonen. Der Hardware-Markt ist also ein riesiger Wachstumsmarkt. 2. Japans Aufstieg zur wirtschaftlichen Supermacht Während das sowjetische Imperium in den achtziger Jahren zusammenbrach und Amerika seine Kräfte im Kalten Krieg erschöpfte, stieg auf der anderen Seite Japan zu einer Supermacht neuer Art auf -einer Supermacht des 21. Jahrhunderts, deren Einfluß nicht auf militärischer Rüstung gründet, sondern auf der globalen Macht seiner Industrieunternehmen, seiner Handelshäuser, seiner Banken:

-Japan ist heute die erste Industriemacht der Welt:

Hatte Amerika zu Beginn des Jahrhunderts mit Henry Fords Fließband und Frederick Taylors Zerlegung des Produktionsprozesses das Zeitalter der Massenproduktion heraufgeführt, so hat nun Japan am Ende des Jahrhunderts die Produktionstechnik ein zweites Mal revolutioniert. Die neue, flexible Fertigungsweise der „schlanken Produktion“, von Toyota geschaffen, ist dem starren Fordschen Produktionssystem, wie es in Amerika und Europa noch geübt wird, in Produktivität und Qualität haushoch überlegen. Die japanischen Automobilfabriken brauchen für die Montage eines Mittelklassewagens gerade halb so viele Arbeitsstunden wie ihre amerikanischen und europäischen Konkurrenten. -Japan ist die erste Finanzmacht:

Es hat die höchste nationale Sparrate und damit die höchste Kapitalbildungsrate innerhalb der Triade Japan-Amerika-Europa: 18 Prozent des Sozialprodukts gegenüber weniger als zehn Prozent in Westdeutschland und weniger als fünf Prozent in den USA. Japans Nettoauslandsvermögen liegt bei 400 Mrd. Dollar und dürfte bis zum Ende der Dekade auf über 1000 Mrd. Dollar ansteigen; die USA dagegen haben eine Netto-Auslands-schuld von 700 Mrd. Dollar, und diese steigt unerbittlich weiter an. Japan ist ferner das größte Geberland von Entwicklungshilfe. Und es sind, abhängig vom Wechselkurs des Yen, die acht oder zehn größten Banken der Welt japanisch. Nach der forcierten Expansion in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre befinden sich die japanischen Banken gegenwärtig in einer Konsolidierungsphase. Aber noch vor Mitte der neunziger Jahre dürften sie ihre weltweite Expansion wieder aufnehmen.

Wie Großbritannien in der Zeit der „Pax Britannica“ hat Japan heute entscheidenden Einfluß auf die Kapitalströme in der Welt -wohin sie gehen und für welche Zwecke sie verwandt werden.

-Japan ist auf dem Weg, in den neunziger Jahren auch die erste Technologiemacht zu werden:

Es gibt eine Reihe amerikanischer und japanischer Untersuchungen über die „emerging technologies" -die neu aufsteigenden Großtechnologien wie Supraleiter oder Bildverarbeitung. Die Untersuchungen zeigen übereinstimmend, daß Japan bei den meisten dieser Technologien gegenüber Amerika bereits vorne liegt oder am Überholen ist. Europa ist der zumeist weitabgeschlagene Dritte. Bei vielen der großen japanischen Konzerne übertreffen die Investitionen in Forschung und Entwicklung inzwischen die Investitionen in Fabrikanlagen und Ausrüstungen. Japan wird zum Produktlabor der Welt. -1989, rechtzeitig zum Ende der Dekade, setzte Japan ein weiteres Datum: Es investierte in seine Wirtschaft zum ersten Mal mehr als Amerika. 1990 setzte sich dieser Trend beschleunigt fort. Mit 700 Mrd. Dollar lagen Japans Investitionen um ein Drittel höher als die Investitionen Amerikas, das eine doppelt so große Bevölkerung hat. -Japan investiert dabei nach einem globalen Plan, der jeder Region ihre Rolle zuweist:

Die Herstellung ausgereifter Produkte wird insbesondere nach Südostasien verlagert, das immer mehr zu einer zentral von Tokio aus geplanten und gesteuerten Produktions-und Exportbasis des „Größeren Japan“ wird.

Der Großteil der japanischen Direktinvestitionen geht nach Nordamerika und Westeuropa. Ziel ist hier, diese beiden größten Märkte der Welt von innen her zu erobern.

Für sich selbst reserviert Japan Entwicklung und Produktion der jeweils neuesten Generationen der Hochtechnologiegüter und insbesondere ihrer Schlüsselkomponenten. Die Tätigkeiten mit der höchsten Wertschöpfung bleiben in Japan!

Konsequent arbeitet Japan so auf eine Situation in der Weltwirtschaft hin, in der es die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts monopolisiert: Materialien sowie Fertigungs-und Testgeräte für Halbleiter, Flüssigkristall-Farbbildschirme, Laser-Dioden, Optikspeicher, miniaturisierte Audiound Videogeräte, Hochleistungsmagneten aus seltenen Erden, Hochleistungskeramiken usw. Geht diese Strategie auf, dann verlören Amerikaner und Europäer ihren einzigen wirtschaftlichen Gegen-trumpf -die Zugangskontrolle zu ihren großen Heimatmärkten.

Zu Beginn der neunziger Jahre erreicht Japans Sozialprodukt 60 Prozent des amerikanischen; liegt das japanische Pro-Kopf-Einkommen, nominal gerechnet, um zehn Prozent über dem amerikanischen, wächst Japans Wirtschaft in der langfristigen Durchschnittsrate um zwei bis drei Prozent pro Jahr schneller. Fügt man dem die wahrscheinliche Annahme hinzu, daß der Yen sich gegenüber dem Dollar weiter aufwertet, so könnte Japan schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts Amerika auch in der absoluten Höhe des Sozialprodukts überholen. Japan als Nation hätte dann erreicht, was das Ziel jeden japanischen Unternehmens ist: ichiban zu sein -die Nummer Eins.

III. Die neunziger Jahre: Schlacht um Europa

Amerika begreift heute, nach dem Sieg über die Sowjetunion im Kalten Krieg, Japan als die neue Herausforderung.

Die amerikanische Industrie mobilisiert, die Regierung geht zu einer massiven Förderung der eigenen Hochtechnologieindustrien über -zu einer Industriepolitik, auch wenn man das Wort noch vermeidet.

Aber es gibt auch eine zweite Reaktion: Nach der alten Lebensweisheit „if you can’t beat them, join them“ schließen sich die amerikanischen Unternehmen mit ihren japanischen Konkurrenten, über die gesamte Breite der Hochtechnologien hin, zu globalen Firmenallianzen zusammen -von der Automobilindustrie bis zur informationstechnischen Industrie und zur Luft-und Raumfahrt, von den neuen Werkstoffen bis hin zur neuen Biotechnik. Es gibt schon heute keinen amerikanischen Halbleiterhersteller mehr, der nicht mit einem japanischen Partner verbunden ist und von ihm die Fertigungstechnik lernt.

Welche von diesen beiden amerikanischen Reaktionsweisen wird sich am Ende durchsetzen? Die Mobilisierung der eigenen Kräfte im Angesicht der japanischen Herausforderung? Oder der Zusammenschluß zu einem globalen Hochtechnologie-Duopol, in dem ein resignierendes Amerika die japanische Führung anerkennt? Noch hat der amerikanische Kampfgeist die Oberhand: Die USA und Japan gehen in den neunziger Jahren in die „zweite Runde“.

In dieser zweiten Runde aber verlagert sich der Hauptschauplatz des Hochtechnologieringens nach Europa. Hier vollendet die Europäische Gemeinschaft zum 1. Januar 1993 den „Einheitlichen Binnenmarkt“. Die bisher durch unterschiedliche Normen fragmentierten zwölf Einzelmärkte wachsen zu einem einzigen Markt zusammen, der mit einem Volumen von 6 Billionen Dollar den amerikanischen Markt an Kaufkraft übertrifft. Zugleich öffnen sich die jetzt noch vielfach national geschützten Märkte für Automobile und Telekommunikationsausrüstungen. Ein neuer Mega-Markt entsteht also, und wer auf ihm gewinnt, der entscheidet das Hochtechnologierennen weltweit für sich. Der Schlacht um den amerikanischen Markt in den achtziger Jahren folgt so in den neunziger Jahren die Schlacht um den europäischen Markt.

Der Angriff aus Übersee erfolgt von zwei Seiten: von außen durch Exporte und von innen durch Direktinvestitionen. Im Handel ist Europas Defizit in der Elektronik, das 1979 erst 1, 5 Mrd. Dollar betrug, auf 40 Mrd. Dollar im Jahr 1990 angestiegen und wird bis 1996 weiter auf etwa 58 Mrd. Dollar wachsen.

Was den Angriff von innen betrifft, so sind die amerikanischen Automobil-und Elektronikunternehmen bereits seit den fünfziger und sechziger Jahren fest in Europa etabliert. Ford-Europa und die General-Motors-Töchter Opel und Vauxhall haben einen Anteil von einem Viertel am westeuropäischen Automobilmarkt. IBM, Digital Equipment Corporation, Hewlett-Packard, Apple u. a. haben den Großteil des europäischen Computermarkts in der Hand. In Abwehr des japanischen Angriffs auf dem europäischen Markt bauen die Amerikaner jetzt ihre Positionen weiter aus.

Die Direktinvestitionen der japanischen Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft sind in den letzten Jahren geradezu explodiert. Lagen sie in der ersten Hälfte der achtziger Jahre im Durchschnitt unter 1 Mrd. Dollar pro Jahr, so betrugen sie 1989 und 1990 jeweils 14 Mrd. Dollar. Der Gesamtbestand der japanischen Direktinvestitionen in der EG erreichte 1990 die Summe von 56 Mrd. Dollar. Ihnen standen EG-Investitionen in Japan in Höhe von weniger als 4 Mrd. Dollar gegenüber. Dies ist ein Ungleichgewicht von 15 : 1. Blickt man nur auf die gegenseitigen Direktinvestitionen in den informationstechnischen Industrien, so dürfte das Ungleichgewicht 100: 1 betragen.

Von außen durch Exporte und von innen durch Direktinvestitionen angegriffen, steht der europäischen Elektronik-und Autoindustrie in den neunziger Jahren ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb bevor. Globale japanische und amerikanische Konzerne treten gegen europäische Unternehmen an, die bereits weitgehend auf ihren Heimatmarkt zurückgeworfen sind.

In kritischer Lage befinden sich bereits Europas Halbleiter-und Computerhersteller: Die europäischen Halbleiterproduzenten haben auf ihrem Heimatmarkt gerade noch einen Anteil von einem Drittel, zwei Drittel sind in der Hand amerikanischer und japanischer Unternehmen. Alle drei bedeutenden europäischen Hersteller -Philips, SGS-Thomson und Siemens -machten 1990 Verluste, die in der Gegend von jeweils 500 Mio. DM lagen. In dieser Situation investieren nun Japaner wie Amerikaner massiv in den Aufbau vollintegrierter Halbleiter-Fabriken in Europa. Die meisten dieser Fabriken werden aus der EG-Kasse und den nationalen Kassen mit hohen Subventionen gefördert -die europäischen Steuerzahler unterstützen also den Verdrängungswettbewerb gegen ihre eigenen Firmen!

Unter dem Druck der Verluste schied bereits Philips aus der Weiterentwicklung von Speicherchips und damit aus der Weiterentwicklung der Fertigungstechnologie aus. SGS-Thomson ist an der Entwicklung der DRAM-Technologie ohnehin nicht beteiligt. Bleibt Siemens: Auf ihm allein ruht nun Europas Hoffnung, einen Rest an Autonomie in der Fertigungstechnik für höchstintegrierte Schaltkreise zu verteidigen. Aber auch Siemens wird die Last bereits zu schwer. Es verzichtete bereits auf die Produktion des von ihm entwickelten 16-Megabit-Chip und kaufte sich in die IBM-Fabrik in Corbeil-Essons bei Paris ein. Die Entscheidung, ob Siemens -und damit Europa -im Rennen bleibt, fällt Mitte der neunziger Jahre, wenn die Frage ansteht, ob Siemens für den gemeinsam mit IBM entwickelten 64-Megabit-Chip eine eigene, 2 Mrd. DM teure Fertigungslinie baut.

Nicht besser als bei den europäischen Halbleiter-herstellern sieht es bei den Computerherstellern aus. Wie bei den Chips ist der größte Teil des europäischen Computermarktes bereits in der Hand amerikanischer und japanischer Unternehmen; der europäische Anteil aber schrumpft weiter in rapidem Tempo, die Hiobsbotschaften jagen sich:

-Nixdorf, noch vor kurzem Star der europäischen Computerindustrie, erlitt 1989 einen Verlust von über 1 Mrd. DM und wurde von Siemens aufgefangen. -Die französische Gruppe Bull erlitt 1990 einen Verlust von fast 7 Mrd. Franc; der französische PC-Hersteller SMT-Goupil ist bankrott.

-Olivetti kündigte für 1991 einen Verlust von 400 Mio. DM an; der Umsatz ging um 4, 8 Prozent zurück. -Der britische Großcomputerhersteller ICL wurde Ende Juni 1990 von Fujitsu übernommen.

-Das 1, 2-Mrd. -Dollar-Computergeschäft des finnischen Elektronik-Konzerns Nokia ging im Frühjahr 1991 an Fujitsu-ICL.

-Die Mannesmann-Computertochter Kienzle wurde an die amerikanische Digital Equipment Corporation verkauft. -Philips, das 1990 einen Gesamtverlust von über 4 Mrd. Gulden erlitt, gab sein gesamtes Minicomputergeschäft auf und verkaufte ebenfalls an die Digital Equipment Corporation. -Das Jahr 1991 endete mit der Nachricht, daß die Allgäuer Firma Schneider -wie Nixdorf noch unlängst ein Stern an Deutschlands Computer-Himmel -nach hohen Verlusten die Computerfertigung einstellt und in Zukunft asiatische und amerikanische PCs verkaufen wird.

Von den neun Hardware-Herstellern von Bedeutung, die Europa 1989 hatte, sind heute -zwei Jahre später -nur noch drei Unternehmen übrig geblieben: Siemens-Nixdorf, Bull, Olivetti. Alle drei machen hohe Verluste, melden schrumpfende Umsätze und bauen Personal ab.

Andrew Grove, der Präsident von INTEL, der für die Entwicklung der Informationstechnik in den letzten 20 Jahren vielleicht wichtigsten Firma, hat einmal gesagt: „Die Halbleitertechnik ist die Technik, die zu anderen Techniken befähigt. Sie ist für die kommenden Dekaden Grundlage für Fortschritte auf jedem anderen Gebiet der Wissenschaft und Technik. Das Risiko einzugehen, das 21. Jahrhundert mit einer zweitrangigen Halbleiterindustrie zu betreten, ist reine Narrheit.“

Nun, die Europäer gehen, wenn sie die Trends so weiterlaufen lassen, das Risiko ein, das 21. Jahrhundert ohne Halbleiterindustrie überhaupt zu betreten. Und sie geben auch noch die Computerindustrie drein. Halbleiter und Computer aber sind die Basis für die übrigen informationstechnischen Industrien: Unterhaltungselektronik, Telekommunikation, Werkzeugmaschinen und Industrieautomatisierung, Autoelektronik, Medizinelektronik. Bricht diese Basis weg, so ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann die Europäer auch aus den meisten übrigen Bereichen verdrängt sein werden.

Europa 2000 wäre dann ohne eigene Unternehmen in der informationstechnischen Industrie, wäre technologische Kolonie.

IV. Was ist zu tun?

1. Die Aufgabe der Unternehmen Die Frage richtet sich zuerst an die Unternehmen. Letztlich hängen wir alle davon ab, daß es unsere Unternehmen schaffen, Europa wettbewerbsfähig zu halten. Wir anderen geben den Unternehmen gute Ratschläge mit auf den Weg, die sie längst schon selbst wissen und wo sie uns sagen: „Ihr habt gut reden!“ Die drei zentralen Ratschläge heißen: -Erstens: Japan hat die Produktionstechnik revolutioniert. Die europäischen Unternehmen müssen von Japan lernen und sich von der fordistischen, starren Massenproduktion auf die flexible „schlanke Fertigung“ der Japaner umstellen.

-Zweitens: Es kommt darauf an, statt in kurzfristigen Gewinnen zu denken, langfristig und strategisch in Marktanteilen zu denken. -Drittens: Der relevante Markt ist heute nicht mehr der nationale oder auch der regionale Heimatmarkt, sondern der Weltmarkt. Das neue Stichwort heißt: Globalisierung. Insbesondere Hochtechnologie-Unternehmen müssen heute auf allen wichtigen Märkten der Welt präsent sein, und präsent heißt nicht nur präsent durch Exporte, sondern durch Tochterfirmen oder Gemeinschaftsunternehmen, die an Ort und Stelle produzieren und forschen. Wettbewerbsstärke heute ist „Triadenmacht“ -Macht, die durch Präsenz in den drei Schlüsselmärkten Nordamerika, Westeuropa und Japan geschaffen wird.

Die neuen strategischen Imperative für unternehmerisches Handeln gehen von Japan aus. Die global operierenden japanischen Unternehmen haben die Wettbewerbsbedingungen auf den Weltmärkten von Grund auf verwandelt; sie haben -Markt nach Markt -immer wieder demonstriert, daß man selbst auf dem heimischen Markt auf Dauer nur wettbewerbsfähig bleiben kann, wenn man den japanischen Konkurrenten auch auf den Weltmärkten ins Auge sieht. Und Weltmärkte meint hier nicht zuletzt den japanischen Markt selbst. In vielen Hochtechnologien ist heute Japan der „state of the art market“ -also der Markt, der technologisch an der Spitze steht. Schon allein, um den technologischen Anschluß zu halten, muß ein Unternehmen deshalb auf diesem Markt durch Fabriken sowie Forschungs-und Entwicklungszentren präsent sein.

Die meisten europäischen Firmen sind immer noch im wesentlichen eurozentrisch und liegen in der Globalisierung der Produktion und Forschung hinter den japanischen Konkurrenten und auch hinter ihren amerikanischen Wettbewerbern zurück.

Schwach ist die Präsenz europäischer Unternehmen insbesondere in Asien, dem dynamischsten Markt der Welt. Das gilt -abgesehen von der Chemie und einigen rühmlichen Ausnahmen wie Bosch -auch für die deutsche Industrie, die sich so gerne als „Exportweltmeister“ fühlt. Aber in Wirklichkeit sind die Deutschen nur „Europa-Exportmeister“. Drei Viertel der deutschen Exporte gehen nach Westeuropa, nur 7 Prozent in den am schnellsten wachsenden Wirtschaftsraum der Welt: nach Ost-und Südostasien. Von den deutschen Direktinvestitionen liegen nur 4 Prozent in Asien, davon 2 Prozent in Japan und weitere 2 Prozent im restlichen Asien.

Dieser Zustand stellt für die europäischen Unternehmen ein schweres Handicap dar. Sie können auf dem europäischen Markt allein nicht die Welt-marktanteile von 10-15 Prozent gewinnen, die in den teuren großen Technologien notwendig sind. Und sie können, wenn die globalen japanischen Unternehmen auf dem europäischen Markt einen Preiskampf und Verdrängungswettbewerb auslösen, nicht auf dem japanischen Markt zurückschlagen. 2. Die Rolle des Staates Japans Auftreten in der Weltwirtschaft erzwingt ebenso eine Neudefinition der Rolle des Staates in der Wirtschaft, wie es eine Neudefinition unternehmerischer Strategien erzwungen hat. a) Dialog zwischen Staat und Wirtschaft Das ordoliberale Credo unserer Wirtschaftspolitik lautet: Die Aufgabe des Staates in der Wirtschaft ist es, die Voraussetzungen für einen freien Wettbewerb zu schaffen und diesen funktionsfähig zu halten. Er hat dagegen nichts mit der Frage zu tun, in welche Richtung sich eine Volkswirtschaft entwickelt, welche Technologien und Industrien in ihr entstehen. Diese Frage wird einzig und allein vom Markt beantwortet.

Wir haben mit dieser Lehre gute Erfahrungen zu Zeiten Ludwig Erhards gemacht. Doch wir leben nicht mehr in den fünfziger oder sechziger Jahren. Damals ging es darum, die Industrien der zweiten industriellen Revolution wiederaufzubauen: Stahl, Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Automobile und Schiffe. Heute dagegen leben wir in einer ungeheuren Umbruchszeit -im Übergang zur Informationsgesellschaft. Die neuen Hochtechnologien stellen uns vor ganz andere Bedingungen als die Technologien der Vergangenheit. Sie erfordern oft Milliarden an Entwicklungskosten und sie erfordern Planungshorizonte von 10-20 Jahren. Mit solchen Aufgaben aber ist das einzelne Unternehmen überfordert.

Der Fortschritt vom Industriezeitalter in die Informationswirtschaft braucht die Mitwirkung des Staates, braucht eine marktkonforme Industriepolitik. Ich möchte hier nicht mißverstanden werden. Eine Volkswirtschaft gedeiht nur, wenn es Wettbewerb, harten Wettbewerb, gibt. Aber Japan hat gezeigt, daß man dieses Erfordernis des Wettbewerbs sehr wohl vereinen kann mit einer Industrie-politik, die Anreize schafft, den Wettbewerb in die Zukunftsindustrien zu lenken. Auch hier heißt also die Devise: von Japan lernen.

Kommt die Frage auf den Erfolg Japans, so sind sich bei uns die meisten schnell einig: Die Japaner sind „Workaholics und bereit, in Kaninchenställen zu leben“, um die geniale Erkenntnis zu zitieren, die eine EG-Delegation aus Japan zurückbrachte. Das ist eine bequeme Meinung, denn die Schlußfolgerung ist: Mit solchen Menschen kann man nicht konkurrieren, denn so wollen wir nicht leben; kein Handlungsbedarf also -außer vielleicht dem, daß wir die Japaner von unseren Märkten ausschließen.

Ich fürchte jedoch, die Wahrheit ist unbequemer. Es sind keineswegs primär die japanischen Arbeiter, die durch „unmenschlichen“ Fleiß und Anspruchslosigkeit Japan zur Nummer Eins gemacht haben. Es sind vielmehr die politischen, wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Führungseliten, die unseren Eliten überlegen sind. Und sie sind unseren Eliten überlegen, weil sie miteinander intensiv kommunizieren, weil sie zusammenarbeiten und Japan in einem grundsätzlichen Konsens in die Zukunft steuern.

In Europa gilt -wie in Amerika -die Theorie, daß Management und Gewerkschaften sowie Regierung und Unternehmer in einem eher antagonistischen Verhältnis zueinander stehen und stehen sollen. Jeder muß seine eigenen Belange verteidigen. In Japan ist dies anders. Hier ist die Leitidee, daß Management und Gewerkschaften sowie Staat und Unternehmen nicht gegensätzliche Interessen haben, die sie gegeneinander wahren müssen, sondern daß sie primär ein gemeinsames Interesse haben. Es gilt das Prinzip der Zusammenarbeit, ja einer symbiotischen Zusammenarbeit. Ich will hier nur über die Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen in Japan sprechen. In ihrem Zentrum steht ein intensiver, permanenter Dialog über die Zukunft. Dieser Dialog wird organisiert und betreut vor allem vom MITI, dem Ministerium für Internationalen Handel und Industrie.

Bei uns herrschen über das heutige MITI häufig falsche Vorstellungen, die aus der Rolle abgeleitet sind, die das MITI in der Aufbauphase der japanischen Wirtschaft spielte, also in den fünfziger und sechziger Jahren. Damals war das MITI ein dirigistisches Ministerium. Heute aber besteht seine Rolle vor allem in der Erfüllung zweier Aufgaben: Es moderiert den nationalen Dialog über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft, und es führt die Firmen zu gemeinsamen Forschungs-und Entwicklungsprogrammen in den „emerging tech-

nologies"

zusammen -den künftigen Schlüsseltechnologien. MITI organisiert und moderiert insbesondere den Industriestruktur-Rat, in dem Spitzenmanager, Beamte, Wissenschaftler aus allen Bereichen, Gewerkschafter und Journalisten zusammensitzen, um die großen Orientierungslinien für Wirtschaft und Gesellschaft auf ihrem Weg ins 21. Jahrhundert zu erarbeiten. Jeweils zu Beginn eines neuen Jahrzehnts geht MITI mit seinen „Visionen“ an die Öffentlichkeit. Es ist dies ein umfangreiches Dokument, in dem MITI seine Vorstellungen über die Entwicklungstendenzen in der neuen Dekade darstellt, wobei es nicht nur um wirtschaftlich-technologische, sondern auch um gesellschaftlich-kulturelle Tendenzen geht. Aus der Voraussage der Entwicklungstendenzen ergeben sich Aussagen über die Schlüsselbereiche für die Investitionen in der neuen Dekade. Diese Schlüsselbereiche werden dann durch die Forschungs-, Wirtschafts-und Steuerpolitik des Staates vorrangig gefördert.

Ein solches Vorgehen birgt, unvermeidbar, Risiken. Sind die Voraussagen falsch, kommt es zu Fehlinvestitionen. MITI, die anderen Kernministerien, ebenso die großen Handelshäuser, Banken und Unternehmen, verwenden deshalb enorme Energie darauf, Zukunftsmodelle aufzustellen und ständig zu überprüfen und zu korrigieren. In regelmäßigen Abständen werden große Expertenumfragen durchgeführt. Bei der Umfrage von 1987 wurden über zwei Jahre hin die Meinungen von 3000 Experten zu 1100 Fragebereichen gesammelt.

Hinzu kommt das systematische Aufsaugen und Auswerten aller Informationen über technologische Trends in Amerika und Europa. Hier wirken die Außenstellen des MITI, die japanischen Botschaften und Konsulate, die Handelshäuser, die Banken und die Industrieunternehmen zusammen. Tausende von Übersetzern verfolgen die Fachzeitschriften im Westen und machen alle neuen Erkenntnisse sofort der japanischen Forschung und der Industrie zugänglich. Es gibt kein Land, das sich so intensiv wie Japan mit der Zukunft beschäftigt und das so intensiv alle im eigenen Lande und im Ausland verfügbaren Informationen sammelt und auswertet. Durch das ständige Überprüfen des eingeschlagenen Wegs an Hand neuer Informationen gelingt es MITI, Fehlorientierungen schnell zu korrigieren.

Der Kontrast zu unserem Verhalten springt ins Auge: Während die Japaner z. B. genau wissen, was an unseren Max-Planck-Instituten und Fraunhofer-Instituten geforscht und entwickelt wird, wissen wir im allgemeinen kaum etwas darüber, was in Japan erforscht und entwickelt wird. 95 Prozent der dortigen wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen sind nur in Japanisch geschrieben; wir machen uns nicht die Mühe, sie übersetzen zu lassen. Es gilt das Prinzip: „Not invented here“. Und dies, obwohl heute Japan in vielen Bereichen der angewandten Forschung an der Spitze in der Welt steht.

Es gibt bei uns ebensowenig einen Dialog Staat -Wirtschaft, der auch nur im entferntesten vergleichbar wäre mit dem systematischen, permanenten Dialog in Japan. Regierung und Wirtschaft reden in Deutschland im allgemeinen nur miteinander, wenn es um unmittelbar anstehende Fragen geht. Eine gemeinsame Meinungsbildung über die zu erwartenden technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen erschiene Ordoliberalen bereits als Sünde wider den Heiligen Geist. Das Resultat: Uninformiertheit, Orientierungslosigkeit, Zielvakuum in Staat und Gesellschaft.

Nun, der Unterschied in den Ergebnissen, die aus diesem unterschiedlichen Verhalten resultieren, liegt nicht weniger deutlich vor Augen: Das japanische Kabinett verabschiedete bereits 1969 den „Neuen Gesamtentwicklungsplan“, der das Ziel einer wissens-intensiven Wirtschaft aufstellte. Und bereits zu Anfang der siebziger Jahre entstanden die ersten detaillierten Pläne für den Aufbau einer Infonnationswirtschaft und -gesellschaft. Bei uns dagegen las man um diese Zeit noch den Bestseller des Aachener Physikprofessors Wilhelm Fucks, der in der Stahl-und Energieproduktion die Schlüssel für die künftige Macht der Staaten sah.

Und während so die Japaner in den siebziger Jahren aus energie-und rohstoffintensiven Industrien ausstiegen und ihre Kräfte auf die informationstechnischen Industrien konzentrierten, setzten wir in Deutschland und Europa auf Nuklearenergie und hielten mit riesigen Subventionen Überkapazitäten in alten Industrien wie Kohle, Stahl und Schiffbau am Leben.

Es ist eben nicht so, daß nur die Japaner Industrie-politik betreiben. Auch wir betreiben sie. Wir betreiben nur die falsche. Die Japaner fördern die Industrien der Zukunft; wir konservieren die Vergangenheit. Wie systematisch man im MIT! das gemeinsame Nachdenken über die Zukunft und das Informationssammeln organisiert, darüber gibt im Kleinen die gegenwärtige Vorbereitung des Programms für die „Computer der Sechsten Generation“ Anschauungsunterricht. Das Programm soll 1992 anlaufen. Die Vorbereitung fing 1989, also drei Jahre vorher, an. MITI gründete ein Gremium, dem Spitzenmanager der japanischen Elektronikindustrie und Wissenschaftler aus allen Bereichen angehören. Das Nachdenken in diesem Kreis ist kein technokratisches Nachdenken, man stellt sich vielmehr als erstes die Frage: Welche Art von Computern und Netzwerken brauchen wir für die künftige Informationsgesellschaft? Das geht so weit, daß man sagt: „Wir brauchen eigentlich Computer, die nicht nur logisch, sondern auch intuitiv denken können, die also die Fähigkeiten der beiden Hirn-hälften des Menschen vereinen.“ Technisch ausgedrückt denkt man an Computer, in denen die Von-Neumann-Architektur mit der Architektur neuronaler Netze zusammengebracht wird.

Während das Gremium in Japan intensiv an diesen und anderen Fragen arbeitet, sendet man Erkundungsmissionen in die wichtigen Forschungslabors in Amerika und Europa und saugt systematisch jede Information ab, die für die eigenen Projekte interessant sein könnte. Man lädt zugleich bekannte amerikanische und europäische Forscher zu Symposien nach Tokyo ein, die auf das großzügigste ausgerichtet werden. Drei Jahre geht dieser Vorbereitungsprozeß so weiter, bis dann das neue Programm definiert ist und verkündet wird. Die beteiligten Firmen schließen sich nun, von dem Elektrotechnischen Labor MITIs koordiniert, zu Entwicklungskonsortien zusammen, in denen sie die einzelnen Projekte des Gesamtprogramms gemeinsam durchführen. Sind die Grundtechnologien erfolgreich entwickelt, trennen sich die Firmen und jede entwickelt für sich selbst die Produkte, mit denen es gegen die anderen Firmen zu einem harten Wettbewerb auf dem Heimmarkt und den Weltmärkten antritt.

Es ist dieses nationale System der Innovation und der anschließenden Markteroberung, das Japan seine heutige Überlegenheit gibt. Von ihm gilt es zu lernen. Auch wir brauchen einen konstanten Zukunftsdialog auf allen Ebenen zwischen Staat, Wirtschaft, gesellschaftlichen Kräften und Medien. Und auch wir brauchen ein Beratergremium -nennen wir es Technologierat -, das für die Regierung Gutachten über die technologischen und gesellschaftlichen Trends erstellt, Empfehlungen ausspricht und so dem Zukunftsdialog zuarbeitet.

Aus dem Dialog Staat-Wirtschaft-gesellschaftliche Kräfte heraus kann ein Grundkonsens darüber entstehen, wohin wir gemeinsam gehen wollen, wie wir die Informationsgesellschaft aufbauen und gestalten wollen. Diese Orientierungslinien er-B leichtern es den Unternehmen, langfristig zu planen und die neuen Technologien und Produkte zu entwickeln. Die Zukunftsindustrien können dann endlich in einem kongenialen Umfeld agieren. Der Staat seinerseits kann durch Förderung der Forschung in ausgewählten Technologien und durch Steuervergünstigungen und andere Anreize den Strukturwandel hin zu den neuen Hochtechnologieindustrien erleichtern und beschleunigen.

Aus dem Zukunftsdialog kann zugleich Konsens entstehen über die beiden großen Aufgaben, die der Staat selbst für den Aufbau der Informationsgesellschaft erfüllen muß: die Reform des Bildungs-und Ausbildungssystems und die Schaffung der Infrastruktur des 21. Jahrhunderts. b) Bildungssystem und Infrastruktur der Informationsgesellschaft Nichts entscheidet letztlich mehr über einen erfolgreichen Übergang ins Informationszeitalter als das Bildungssystem. Bildung und Ausbildung müssen auf das Ziel ausgerichtet werden, die Menschen auf das Leben in der Informationswirtschaft und -gesellschaft vorzubereiten, sie zur Arbeit und zum Freizeitgebrauch in dieser Gesellschaft zu befähigen. Ich brauche nicht zu betonen, wie weit wir in der Wirklichkeit von diesem Ziel noch entfernt sind. Es ist dringend erforderlich, daß wir die Ausbildungspläne an unseren allgemeinbildenden Schulen ebenso wie an den Berufsschulen auf dieses neue Bildungsziel hin konsequent überprüfen. Diese Überprüfung kann nicht allein den Beamten in den Kultusministerien und den Pädagogen überlassen bleiben, sondern muß Teil des von mir geforderten umfassenden Dialogs zwischen Staat, Wirtschaft und den gesellschaftlichen Kräften sein.

Ein Wort noch zu unseren Hochschulen\ Wettbewerb der Nationen ist heute vor allem: Wettbewerb ihrer Universitäten. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren Universitäten wie Berlin, Göttingen, Tübingen, München weltberühmt. Wer dagegen heute nach den großen Universitäten der Welt fragt, der hört amerikanische Namen: Stanford, Cal Tech, Harvard, MIT, Princeton usw. Es sind diese rund 20 Elite-Universitäten, die wesentlichen Einfluß auf das ausüben, was in Amerika gedacht wird, und die aus der technologischen Revolution nicht wegzudenken sind. Es sind zugleich diese Universitäten, ebenso wie in Frankreich die Grandes Ecoles, in England Oxford und Cambridge, in Japan Todai und Kyoto, die wesentlich dazu beitragen, eine zusammenhängende Elite zu schaffen.

Auch unser Land braucht wieder Elite-Universitäten. Wir müssen unser jetziges Einheitssystem der Hochschulen in ein abgestuftes System umgestalten und aus ihm einige Elite-Universitäten heraus-entwickeln. Der Weg, dies zu erreichen, ist: den Universitäten das Recht zu geben, ihre Studenten auszuwählen.

Wir Deutsche tun uns immer noch schwer mit dem Elitebegriff. Nach dem ungeheuerlichen Mißbrauch im Dritten Reich ist dies verständlich. Aber zu einer reifen Demokratie gehört, daß sie Leistungseliten, die sich dem Gesamtwohl verpflichtet fühlen, anerkennt, ja wünscht und fördert.

Die andere vom Staat zu leistende Aufgabe ist, die Infrastruktur für die Informationsund Kommunikationsgesellschaft bereitzustellen. Ich verweise hier auf eine Rede von Bundesaußenminister Genscher, die er unlängst auf dem Zukunftstag „ 91“ von Econ/Capital in Düsseldorf hielt Sie trägt den Titel „Aufbruch ins Informationszeitalter“. Genscher schlug darin vor, daß wir drei große Infrastrukturprogramme erwägen: 1. In Japan plant die Telefongesellschaft NTT, ab 1995 ein Breitbandkommunikationsnetz aufzubauen, das bis zum Jahre 2015 jeden einzelnen Haushalt erreicht. Ein solches universales Glasfasernetz ist die Kommunikationsinfrastruktur der Informationsgesellschaft. Genscher schlug vor, daß die Deutsche Telekom ein solches Netz ähnlich schnell wie die Japaner aufbauen sollte. Dies würde auf der einen Seite einen ungeheuren Nachfragesog für unsere Telekommunikationsindustrien mit ihren Tausenden von Zulieferern erzeugen, und es würde zugleich einen großen Schub geben, neueste Technologien zu entwickeln. Zugleich würde die feste Planung für ein solches Netz es unseren Unternehmen ermöglichen, frühzeitig die zukünftigen Kommunikationsendgeräte für einen riesigen Massenmarkt zu entwickeln. 2. Genscher wies zweitens auf das Supercomputernetzwerk hin, das gegenwärtig in den USA entwikkelt wird und das über das ganze Land hin die Universitäten, Forschungslabors und Geschäftszentren miteinander verbinden soll. Es ist ein 2-Mrd. -Dollar-Programm. Der Wissenschaftsberater des amerikanischen Präsidenten erwartet, daß das Supercomputernetzwerk Amerika die Führung auf allen Feldern des Hochleistungsrechnens und der Computerkommunikation bringen wird. Es werde ein kritisches Element für den wissenschaftlichen Fortschritt, die nationale Sicherheit, die interna-tionale Wettbewerbsfähigkeit und die Ausbildung sein. Die Industrie von der Luft-und Raumfahrt bis hin zum Maschinenbau und der pharmazeutischen Industrie werde größte Vorteile aus diesem Programm ziehen. Genscher schlug vor, daß wir diese amerikanische Initiative aufmerksam studieren und gegebenenfalls ein Supercomputernetzwerk, in Zusammenarbeit mit amerikanischen Firmen, auch in Deutschland und in der Europäischen Gemeinschaft aufbauen. 3. Das dritte große Infrastrukturprojekt, das Genscher vorschlug, ist das europäische Programm Prometheus. Ziel ist hier ein elektronisches Verkehrsleitsystem, das durch Fahrerinformation u. a. die Bildung von Staus vermeiden hilft und das durch Systeme wie Abstandswarnung den Verkehr sicherer macht. c) Öffnung der Weltmärkte Ich nenne als eine letzte wichtige Aufgabe des Staates die Öffnung der Weltmärkte und den Schutz der eigenen Unternehmen gegen internationale Wettbewerbsverzerrungen. Dies ist relevant insbesondere in den Handels-und Investitionsbeziehungen zu Japan.

Die japanische Wirtschaft ist grundlegend anders strukturiert als die Wirtschaft in Europa oder Amerika. Die meisten japanischen Unternehmen sind durch kreuzweise Kapitalbeteiligungen zu gigantischen Industriegruppen zusammengeschlossen: Im etwa den keiretsu. Mitsubishi-keiretsu gruppieren sich um das Universal-Handelshaus Mitsubishi Corporation und die Mitsubishi Groß-bank der Schiffbau-, Rüstungs-und Flugzeugkonzern Mitsubishi Heavy Industries, das Automobilunternehmen Mitsubishi Motors, der Elektronik-konzern Mitsubishi Electric, der Chemiekonzern Mitsubishi Chemical, der Getränkekonzern Kirin usw. Natürlich geben die Gruppenunternehmen bei ihren Einkäufen einander den Vorzug: Mitsubishi-Firmen und ihre Angestellten fahren Mitsubishi-Autos und trinken Kirin-Bier.

Zu diesen horizontalen keiretsu kommen die vertikalen keiretsu, in denen z. B. Gruppen von Automobilzulieferern mit Toyota oder Nissan verbunden sind, oder in denen Tausende von Einzelhandelsläden in der Unterhaltungselektronik mit dem Matsushita-Konzern verknüpft sind.

Diese und andere Eigenschaften der japanischen Wirtschaft und Gesellschaft bewirken, daß der japanische Markt, auch wenn es nur wenige formale Handelshemmnisse gibt, dennoch strukturell geschlossen ist; dies gilt gerade für Hochtechnologie-güter,bei denen unsere Firmen darauf angewiesen wären, auf dem zweitgrößten und in vielen Bereichen fortschrittlichsten Markt der Welt präsent zu sein.

Die Amerikaner haben daraus die Konsequenz gezogen und führen mit den Japanern „sektorspezifische Marktöffnungsverhandlungen“. Über bilaterale Abkommen öffnen sie den japanischen Markt für ihre Supercomputer, Satelliten, Halbleiterprodukte und Telekommunikationsausrüstungen. Zu weiteren Vereinbarungen führte der jüngste Besuch von Präsident Bush in Japan. Die japanischen Autohersteller sagten zu, ihre Bezüge von Zulieferfirmen in Amerika um 10 Mrd. Dollar zu steigern. Es scheint mir geboten, daß die EG sich diesen bilateralen Marktöffnungsabkommen anschließt und sicherstellt, daß die Marktöffnung nicht nur amerikanischen Produkten zugute kommt. Merkwürdigerweise wird in der EG eine solche Politik durch Deutschland blockiert. Wir fürchten, daß wir durch Anschluß an das amerikanische Vorgehen das GATT-Freihandelssystem gefährden würden. In Wirklichkeit würden wir es in seiner Funktionsfähigkeit erhalten und damit protektionistische Gefahren abwenden. Japan ist durch seine andersartige Wirtschaftsstruktur ein Sonderfall innerhalb des GATT und erfordert deshalb besondere Maßnahmen. Es ist für die auf globale Märkte angewiesenen Hochtechnologieunternehmen Europas ein entscheidendes Wettbewerbshandicap, wenn ihnen einer der wichtigsten Märkte der Welt, der japanische Markt, verschlossen bleibt -während umgekehrt die japanischen Unternehmen sich frei auf dem europäischen Markt entfalten können.

V. Epilog: Eine zukunftsorientierte Kultur schaffen!

Letzthin liegt der entscheidende Unterschied zwischen der japanischen Gesellschaft und der deutschen Gesellschaft in der unterschiedlichen Einstellung zur Zukunft: -In Japan sind Eliten wie Volk zukunftsorientiert, arbeiten für den Fortschritt; -in Amerika sind zumindest die Eliten zukunftsorientiert; -in Deutschland dagegen sind große Teile der Eliten technologiefremd und stehen vielfach dem technischen Fortschritt mit Angst, Nostalgie oder gar Feindschaft gegenüber.

In einer Kultur der Technikfremdheit und des Technikpessimismus können naturgemäß Hochtechnologieindustrien nicht gedeihen. Ich erinnere nur daran, wie Siemens Anfang der achtziger Jahre Schwierigkeiten hatte, Ingenieure für die Halbleiterentwicklung zu gewinnen; Chips galten damals als „job killer".

Was können wir tun, um diese Orientierungslosigkeit in unserem Land zu verändern?

Vielleicht können wir auch hier von den Japanern lernen. Denn die Zukunftsorientiertheit der japanischen Gesellschaft ist keineswegs einfach naturgegeben, sondern wurde bewußt durch das Zusammenwirken der Eliten in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien geschaffen. Ein Paradebeispiel dafür, wie das gemacht wird, bot 1985 die Weltausstellung der Elektronik in der Forschungsstadt Tsukuba. Die Japaner haben diese Ausstellung systematisch umfunktioniert, um die eigene Bevölkerung für die Zukunft zu begeistern. 25 Mio. Japaner besuchten die Ausstellung. Industrie und Regierung zusammen haben 50 Mrd. DM ausgegeben, um in Tsukuba und in den Folgeausstellungen im ganzen Land immer wieder die gleiche Botschaft durchzubringen: „Die Zukunft ist schön, weil sie von der Elektronik gestaltet wird, weil sie in die Informationsgesellschaft führt. Und die Zukunft gehört Japan, weil Japan das Land der Elektronik und der Informationsgesellschaft ist.“ Es gab z. B. eine Jugendkonferenz in Tsukuba, in der

Sechs-bis Fünfzehnjährige über das Leben in der Informations-und Weltraumgesellschaft des 21. Jahrhunderts diskutierten. Es gab in einer der Folgeausstellungen in Yokohama ein Weltraum-Trainingslager für Kinder usw.

Ich komme damit wieder auf die Forderung zurück, einen permanenten und intensiven Dialog über die Zukunft zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien zu schaffen. Die Informationswirtschaft und -gesellschaft kann nicht allein durch die unsichtbare Hand des Marktes geschaffen werden. Wohin der Markt Deutschland und Europa steuert, wenn es außer ihm nichts gäbe, habe ich zu Anfang dieses Beitrags gezeigt: Er führt zur Kolonisierung Europas; er führt dazu, daß die Europäer die Arbeitskräfte für die japanischen Fabriken und Hotels in Europa stellen und daß die interessanten, hochbezahlten Arbeitsplätze vor allem in Übersee sein werden; er führt dazu, daß Europa weltpolitisch in die Zweitklassig-keit und Einflußlosigkeit sinkt. Ende 1992, das Da-tum, zu dem die Europäische Gemeinschaft den einheitlichen, offenen Binnenmarkt verwirklicht, könnte dann ironischerweise als das Datum in die Geschichte eingehen, zu dem Europa -nach einer 500jährigen zentralen Rolle in der Weltpolitik -von der Weltbühne abzutreten begann: 1492 bis 1992.

Wir wollen und können dieses Schicksal wenden! Aber um es zu wenden, müssen wir uns in Deutschland und Europa endlich der japanisch-amerikanischen Herausforderung bewußt werden und sie annehmen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. James P. Womack/Daniel T. Jones/Daniel Roos, The Machine that Changed the World, New York 1990.

  2. Bruce Nussbaum, The World after Oil, New York 1983, S. 83f.; deutschsprachige Ausgabe: Das Ende unserer Zukunft, München 1984.

  3. Vgl. Zeitschrift für Post und Telekommunikation, (1991) 7, S. 4ff.

Weitere Inhalte

Konrad Seitz, Dr. phil., geb. 1934; Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt und Leiter des Planungsstabs. Veröffentlichungen: Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Deutschlands Hochtechnologie-Industrien kämpfen ums Überleben, München 19912; zahlreiche Beiträge in deutschen und ausländischen Zeitschriften und Zeitungen über das gesamte Spektrum der Außen-und Außenwirtschaftspolitik.