Im September 1991 gelangte die bis dahin unscheinbare sächsische Kleinstadt Hoyerswerda schlagartig zu einer negativen Berühmtheit. Jugendliche Skinheads und andere Rechtsradikale prügelten sich und ihre Stadt in die Schlagzeilen der Weltpresse, und von nun an stand Hoyerswerda symbolisch für einen Rechtsruck im vereinten Deutschland, der auch vor gewalttätiger Selbstjustiz nicht haltmacht; für eine neue Angst vor den totgeglaubten (totgehofften) Geistern der Vergangenheit: Hoyerswerda überall.
Was war geschehen? Besagte Skinheads hatten ein Asylantenwohnheim mit Steinen und Brandsätzen angegriffen, nationalistische und rassistische Parolen skandiert und Menschen allein wegen ihrer anderen Kultur oder Hautfarbe gedemütigt, verletzt und geschlagen. Ein Vietnamese, schon abfahrbereit im Bus, wurde von einem Stein, der die Fensterscheibe durchschlug, getroffen und schwer am Auge verletzt. Schlimmer und beunruhigender noch als dieser Ausbruch barbarischer Gewalt war, daß die Umstehenden das Geschehen still oder lautstark billigten, daß niemand sich schützend vor die Angegriffenen stellte -auch nicht die Polizei. Am schlimmsten und beschämendsten aber war die Tatsache, daß die Selbst-und Lynchjustiz offensichtlich Erfolg zeitigte: Alle Asylanten wurden „zu ihrem Schutz“ evakuiert, so daß Hoyerswerda ganz im Sinne der Randalierer sich nun „ausländerfrei“ schimpfen durfte.
Auf Hoyerswerda folgten eine Serie weiterer Anschläge auf Asylbewerberheime im ganzen Bundesgebiet. Brandsätze, Molotowcocktails und Steine landeten in Schlaf-und Kinderzimmern. Bei einem Brandanschlag in Hünxe wurden zwei libanesische Kinder im Alter von sechs bzw. acht Jahren schwer verletzt. Auch auf offener Straße manifestiert sich eine indifferente, brutale, persönliche Gewalt, die sich gegen alles vermeintlich „Undeutsche“ richtete. Am 7. Oktober 1991 wurde in Saarlouis ein junger Italiener von Skinheads mißhandelt, in Saarbrücken zwei Schwarze von einem Skinhead mit dem Messer angegriffen, in Schöneck eine dunkelhaa37 rige Deutsche von Unbekannten mit dem Messer verletzt
In den alten wie den neuen Bundesländern fühlten rechtsextremistische Gewalttäter sich durch die Vorgänge in Hoyerswerda offensichtlich angespomt. Neu waren die Ausschreitungen allerdings nicht. Dem Bundeskriminalamt waren bis Oktober 1991 insgesamt 1331 Straftaten gemeldet worden, die auf das Konto rechtsradikaler Organisationen oder Einzeltäter gingen. Und der mit den Tätlichkeiten verbundene Rechtsruck in deutschen Köpfen hatte sich schon sehr viel früher angekündigt. Bereits 1989, als die Republikaner mit 7, 5 Prozent der Wählerstimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen und bei den hessischen Kommunalwahlen ähnliche Erfolge verbuchen konnten, löste die sich abzeichnende extremistische Entwicklung bei allen Demokraten Besorgnis aus. Wirklich ernst wurde sie jedoch nicht genommen, und die Ereignisse um die deutsche Einheit konnten das Problem kurzfristig überspielen. Nun schlägt die verdrängte Barbarei wieder zu, und zwar grausamer und schamloser als je zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik.
Deutsche Journalisten, Politiker, Ökonomen und Psychologen zerbrechen sich seither öffentlich die Köpfe darüber, wie der aufflammende Haß gegen alles Fremde zu erklären sei. Während die einen sozialpsychologische Motive bemühen, vertrauen andere eher auf eine ökonomische Erklärung. Von einem „natürlichen“, archaischen Mißtrauen gegen alles Fremde ist die Rede, vom gestörten Selbstwertgefühl der Deutschen, insbesondere in den neuen Bundesländern (Christa Wolf), von einer verkappten Jugendrevolte gegen die stalinistische Vätergeneration (Peter Schneider), aber auch von der Angst um Arbeitsplätze, Wohnungen, Zukunftschancen oder einfach vor der Armut (Christoph Hein).
Uns „Ausländer“ bewegt in der gegenwärtigen Situation vor allem die Angst vor der Gewalt; und mehr noch als nach den Ursachen des Hasses fragen wir uns, warum so wenig gegen die Rechtsbrecher unternommen wird. Demonstranten in Wakkersdorf oder Gorleben mobilisieren die Sicherheitskräfte der ganzen Republik -gegen randalierende Jugendliche, die offen Menschen verletzen, hält man es dagegen kaum für nötig einzugreifen. Ein „Mutiger“, der es wagt, trotz roter Ampel die Straße zu überqueren, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist, wird sich zahlreiche zornige Kommentare der übrigen Fußgänger zuziehen; schließlich hat er die „Ordnung“ verletzt. Ein „Heil Hitler“ oder „Ausländer raus“ grölender Skinhead, ein verbitterter älterer Mensch, der zwei Afrikaner am Einsteigen in einen Bus hindert, wird dagegen stillschweigend geduldet. Vielleicht weil es „in Ordnung“ ist?
Peter Schneider berichtet von einer S-Bahn-Fahrt durch Hamburg, die durch das Gegröle eines jugendlichen Skinhead-Pärchens empfindlich gestört wird Obwohl niemand durch eine Bemerkung sein Leben riskieren würde, erhebt sich keine Stimme des Protestes. Schneider selbst braucht drei Stationen bis er „mit halber Stimme zurück-schimpfte, mit nur kurzem Erfolg. Vielleicht ging es auch nicht um den Erfolg, sondern darum, einen Unterwerfungsreflex aufzuhalten: Ich hatte mir schon einzureden begonnen, daß man bereits gegen diesen harmlosen Terror machtlos sei, daß es sich nun wirklich um nichts Wichtiges handele, daß mich das Gegröle eigentlich gar nicht störe...“ Ist es ein Unterwerfungsreflex also, der die Mehrheiten schweigen läßt, eine Autoritätsgläubigkeit, die noch aus Kaisers Zeiten stammt, ein quasi ererbter Untertanengeist? Oder ist es die unverbindliche Distanziertheit, mit der die Menschen hier miteinander umgehen, die jeden Protest als unzulässige Aufdringlichkeit erscheinen läßt, jeden Protest, aber auch jede Hilfe. Um das Bruttosozialprodukt, den Verkehr und die Umwelt macht man sich Sorgen -den Mitmenschen läßt man „in Ruhe“. Für viele „Ausländer“ ist eine solche Indifferenz schwer zu verstehen.
Wie auch immer der um sich greifende Haß und das Schweigen der Mehrheit zu erklären sind: eine rationale Grundlage haben sie nicht. Jede sachliche Analyse des „Ausländerproblems“ beweist, daß der wachsende Ausländeranteil in der westdeutschen Gesellschaft mehr Probleme löst als stellt.
I. Von Inländern und Ausländern
Bevor der Beitrag der „Ausländer“ zur bundesdeutschen Gesellschaft dargestellt werden kann, bedarf zunächst der Begriff „Ausländer“ der Klärung. Er ist nämlich keineswegs so klar, wie die diffuse und undifferenzierte Parole „Ausländer raus“ zunächst suggeriert. „Ausländer“ ist jeder Nicht-Deutsche, und wer Deutscher ist, regelt ein Gesetz, das von 1913 stammt. Die deutsche Staatsangehörigkeit kann demnach entweder durch Geburt oder durch Einbürgerung erlangt werden. Jedes ehelich geborene Kind ist deutsch, wenn der Vater die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Hat nur die Mutter einen deutschen Paß, ist das Kind dem Gesetz nach „Ausländer“, auch wenn es in seinem ganzen Leben Deutschland noch nie verlassen hat. Ist die deutsche Mutter dagegen nicht verheiratet, wird ihrem Kind in jedem Fall die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen, egal wer der Vater ist. „Deutscher“ im Sinne des Gesetzes war im übrigen auch jeder Bürger der ehemaligen DDR, und als „deutsch“ gelten immer noch Abkömmlinge der Vertriebenen im Gebiet des deutschen Reiches von 1937.
Das bestehende Gesetz führt zu der absurden Situation, daß etwa die Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Arztes, die ausschließlich in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, als „Ausländerin“ gilt, während etwa ein Umsiedler aus Polen oder der GUS „Deutscher“ ist, auch wenn er kein Wort Deutsch versteht und das Land nur aus Fernsehberichten kennt. Der Jurist Rittstieg beschreibt die Schwierigkeiten des Begriffes „Ausländer“ wie folgt: „Ausländer bezeichnet dem ursprünglichen Wortsinn nach einen Menschen, dessen Lebensmittelpunkt sich außerhalb des Landes befindet und der daher nicht zu diesem Land und seiner Gesellschaft gehört. Anders der juristische (...) Sprachgebrauch: Ausländer ist danach jeder Mensch, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit (...) hat. Ausländer im Rechtssinn sind daher auch viele Inländer, die als soge-nannte Gastarbeiter in dieses Land einwanderten, und ihre Familienangehörigen.“ 60 Prozent der „Ausländer“ in Deutschland leben schon seit über zehn Jahren in ihrer Wahlheimat, und seit 1960 sind insgesamt zwei Millionen Kinder ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland gebo-ren worden. „Ausländer“ oder vielmehr „Inländer“? Eine klare Abgrenzung von „Deutschen“ und „Ausländern“ fällt offensichtlich schwer. Wer sich ein wenig in der deutschen Geschichte auskennt, wird wissen, daß dieses Land im Herzen Europas, das heute „Bundesrepublik Deutschland“ heißt, zu allen Zeiten Abermillionen Menschen aus aller Herren Länder aufgenommen hat, daß es seit dem Einfall der Germanenstämme in die Region und der römischen Kolonialisierung immer wieder Wellen von Flüchtlingen und Einwanderern integriert und assimiliert hat. Bernt Engelmann, der die Geschichte der Ausländer in Deutschland aufgearbeitet hat, kommt zu dem Schluß, daß „alle, die heute Deutschland als ihre angestammte Heimat ansehen, von Menschen abstammen, die aus fremden Ländern hierher gekommen sind -als Flüchtlinge, als Vertriebene, als umworbene Einwanderer, mitunter auch als Feinde und Eroberer, die einen schon vor vielen, die anderen erst vor wenigen Jahrhunderten und nicht wenige erst in den letzten fünfzig Jahren“
Fassen wir unter dem Begriff „Ausländer“ all jene zusammen, die sich ohne deutschen Paß auf deutschem Boden befinden (was im übrigen wohl dem üblichen Sprachgebrauch entspricht), dann impliziert eine solche Definition ex negativo, daß „die Ausländer“ alles andere als eine homogene Gruppe darstellen und eine Gruppe überhaupt nur für die Deutschen sind. Ein Franzose, ein Vietnamese, ein Marokkaner hat auf jeden Fall eine ganz andere Vorstellung von Ausländern (nichts anderes besagt übrigens der Spruch: „Jeder ist Ausländer -fast überall“). „Die“ Ausländer in Deutschland kommen aus allen Ländern der Welt und haben miteinander so viele Probleme wie die Deutschen mit ihnen. Ihrem Status nach sind sie Touristen, Asylanten, „Gastarbeiter“, Diplomaten, Journalisten, Künstler, Übersiedler oder Studenten. Diejenigen, die so eifrig „Ausländer raus“ skandieren, würden mit ihren Parolen wohl kaum vor einer Botschaft, einem Hotel, oder gar einem Konzertsaal aufmarschieren, wo gerade eine ausländische Rockgruppe oder ein Orchester ein Gastspiel gibt. Wem aber gelten dann die Angriffe, die Aufforderungen, das Land zu verlassen? Und was geschähe, nähme man sie ernst?
II. Ausländer raus?
Ausländerfeindlich im weitesten Sinne sind die Deutschen keineswegs. Sie sind weltoffen, buchen Reisen nach Kenia und Bangkok, lernen Englisch und Französisch, und wenn sie zum Essen ausgehen, können sie sich oft nicht zwischen „dem Chinesen, dem Italiener oder dem Griechen“ entscheiden. Sie hören afrikanische Musik, sehen amerikanische Filme und fahren japanische Autos. Als Konsumgut ist das Fremde gefragt, nicht zuletzt auch aus ästhetischen Gründen. Viele Deutsche bejahen die „multikulturelle Gesellschaft“, weil sie eben bunter, duftiger und sinnlicher ist als eine „rein deutsche“. Die Völkerfreundschaft hört erst dann auf, wenn es darum geht zu teilen: Wohnungen, Arbeitsplätze, Bürgerrechte und Sozialleistungen. Manfred Bissinger hat das Verhältnis Deutsche-Ausländer zynisch mit dem Verhältnis Herr-Hund verglichen: „Er bestimmt, wann und wo und wie welches Kunststück zu vollbringen ist. -Klappt es, dann gibt es gute Worte und auch mal eine Wurst, klappt es nicht, dann muß eben der Stock gezückt werden. Oder noch anders gesagt: Wenn die lieben Ausländer damit zufrieden sind, unseren Alltag sinnlicher und farbenfroher zu gestalten, sind sie herzlich willkommen; wenn sie sich allerdings einmischen, gar aktiv ein gemeinsames Leben mitbestimmen wollen, dann gnade ihnen Gott.“
Wahrscheinlich denken viele Deutsche so. Die Tatsache, daß Rechtsradikalismus vor allem in den sozial benachteiligten gesellschaftlichen Schichten Blüten des Hasses treibt, belegt recht unmißverständlich, daß er auch wirtschaftlich motiviert ist. Für soziale Katastrophen müssen Sündenböcke her, und die sind nun -pauschal -„die Ausländer“. Habe ich keinen Arbeitsplatz, habe ich keine Wohnung -nun, so hat sie mir jemand weggenommen: ein Ausländer. Gerade in den neuen Bundesländern, in denen die Arbeitslosenquote erschrekkend hoch ist und immer noch steigt, der Ausländeranteil dagegen relativ gering, zeigt sich die Un-zulässigkeit einer solchen Verschränkung von ökonomischem Elend und kultureller Vielfalt. Ausländer belasten nicht die Volkswirtschaft, genau das Gegenteil ist der Fall.
Wer aufmerksam ökonomische Statistiken konsultiert, egal in wessen Auftrag sie erstellt worden sind, wird immer wieder unmißverständlich auf den positiven Einfluß der ausländischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf die deutsche Wirtschaft hingewiesen. Eine Untersuchung der CDU-Sozialausschüsse kommt zu dem Schluß: „Ohne Zuwanderung ist die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ebenso nicht zu sichern wie die Stabilität der Sozialversicherungssysteme. Zuwanderungspolitik muß integraler Bestandteil der Wirtschafts-und Sozialpolitik sein.“
Daß Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, wird durch diese Untersuchung als Mythos entlarvt: „Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft hätten seit 1989 etwa 1, 3 Millionen Übersiedler, Aussiedler und Ausländer Arbeitsplätze gefunden, ohne daß die Berufsaussichten deutscher Arbeitsloser verschlechtert worden seien. Etwa sechzig Prozent der seit Anfang 1989 erteilten 630000 Arbeitserlaubnisse für Ausländer seien ausgestellt worden, weil auf dem Arbeitsmarkt keine geeigneten Kräfte verfügbar gewesen seien. , Die Zuwanderer haben per saldo die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland vermindert. * Deutsche Betriebe und Unternehmer klagten über fehlende Arbeitskräfte. Das Handwerk suche zur Zeit 220000 Arbeiter und 80000 Hilfskräfte. 1990 seien etwa 230000 Ausbildungsplätze nicht besetzt worden.“
Daß man deutsche Arbeitslose und ausländische Arbeitnehmer nicht einfach gegeneinander verrechnen kann, hängt damit zusammen, daß meist eine Diskrepanz zwischen offenen Stellen und den Qualifikationen der Arbeitslosen besteht. So rekrutiert sich das Heer der deutschen Arbeitslosen zu einem großen Teil aus hochspezialisierten Akademikern, während Industrie und Handwerk über Facharbeitermangel klagen. Häufig übernehmen ausländische Arbeitnehmer auch Arbeiten, die besonders schmutzig, gefährlich, schwer oder unter-bezahlt sind, Arbeiten, die die meisten Deutschen ablehnen würden. Daß „die Ausländer“ derart als „Diener der Nation“ fungieren, spricht sicherlich nicht gegen sie, sondern eher gegen die Deutschen.
Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Rechnung „Ausländer nehmen uns die Stellen weg“ nicht aufgeht: Viele Ausländer verstärken den selbständigen Mittelstand, werden zu Arbeitgebern und schaffen zahlreiche Arbeitsplätze. Hierzu erneut die Studie der CDU-Sozialausschüsse, die behauptet, „in Deutschland gebe es 140000 ausländische Unternehmer, die ihrerseits auch deutsche Arbeitnehmer beschäftigen“ Allein die 33000 türkischen Unternehmer hätten in Deutschland mehr als 100000 Arbeitsplätze geschaffen.
Wer ausländischen Gastarbeitern oder Einwanderern die Sozialleistungen nicht gönnt, sollte wissen, daß das deutsche Wohlfahrtssystem ohne Ausländer zusammenbrechen würde. Vor allem die Renten könnten ohne Einwanderer nicht mehr gesichert werden. Die zitierte Untersuchung bezeichnet die ausländischen Arbeitnehmer als „Stützen“ der Sozialversicherung, denn sie zahlen mehr in die öffentlichen Kassen, als aus ihnen an sie zurückfließt: „Von den 24 Millionen Versicherten seien zwei Millionen Ausländer (etwa neun Prozent) gewesen. Doch seien von den Rentenauszahlungen nur 5, 3 Prozent an Ausländer gegangen. 1990 hätten Ausländer 7, 8 Prozent (12, 8 Milliarden Mark) in die Rentenversicherung gezahlt, aber nur 1, Prozent (3, 7 Milliarden) daraus erhalten.“ 9 Ein Blick in die Zukunft sollte noch nachdenklicher stimmen: „Wegen des Geburtendefizits werde die Zahl der Deutschen auf etwa sechzig Millionen im Jahr 2030 sinken. Dann seien etwa dreißig Prozent älter als 60 Jahre. „Wenn wir allein auf deutsche Beitragszahler angewiesen wären, könnten wir bereits im Jahr 2015 die Renten nach der jetzigen Rentenformel nicht mehr bezahlen*, heißt es in der Untersuchung.“
Doch genug der Zahlen. Sie beweisen hinreichend, daß die bundesrepublikanische Volkswirtschaft zusammenbrechen würde, nähmen alle „Gast“ arbeiter die gegen sie gerichtete Parole „Ausländer raus“ tatsächlich beim Wort. Ausländer befruchten die bundesdeutsche Kultur genauso, wie sie den Aufschwung der deutschen Wirtschaft mitproduziert haben. Zu keinem anderen Zweck sind Millionen von ihnen einst in die aufstrebende Republik geholt worden.
III. Deutschland-ein Einwanderungsland
Es ist noch nicht lange her, da war das Wort „Pizza“ in Deutschland ein Fremdwort, und das inzwischen gute alte „Gyros“ oder „Dönerkebap“ duftete nur in der Erinnerung einiger weniger Ferntouristen. Nach dem letzten Weltkrieg lag das Land in Schutt und Asche, die Wirtschaft war ruiniert, die Zahl junger, arbeitsfähiger Männer beträchtlich dezimiert. Diejenigen, die den Krieg überlebt hatten, kämpften auch in der Nachkriegszeit weiter um ihre nackte Existenz. Die Arbeitslosenquote lag zwischen 15 und 20 Prozent.
Die Depression währte nicht lange. In den fünfziger Jahren, der Zeit des sogenannten deutschen „Wirtschaftswunders“, blühte die Industrie in der neuen Republik in raschem Tempo auf. Die Arbeitslosenzahlen gingen zurück, und obwohl immer noch Hunderttausende von der „Stütze“ lebten, beklagten die Groß-und Kleinunternehmer bald einen ausgeprägten Arbeitskräftemangel. Da die deutschen Arbeitslosen in die offenen Stellen nicht vermittelt werden konnten, begann man im Ausland Arbeitskräfte anzuwerben. 1955 reisten die ersten arbeitswilligen Italiener, Spanier und Griechen als „Gastarbeiter“ ein. In den folgenden fünf Jahren stieg ihre Zahl in atemberaubender Weise auf das 15fache an. 1961 lebten bereits 500000 ausländische Arbeitnehmer auf bundesdeutschem Boden. Zunehmend kamen nun auch Türken und Jugoslawen.
In der damals herrschenden expansiven Konjunkturlage wuchs die Zahl der offenen Stellen schneller als die Anzahl der einreisenden Arbeitskräfte; so wurden trotz sinkender Arbeitslosenzahlen mehr und mehr Ausländer angeworben. Im September 1964 wurde der Millionste Gastarbeiter gefeiert. In der Presse hieß es dazu: „Ohne die Gastarbeiter müßten viele wichtige Wirtschaftszweige die Arbeit einstellen, was negative Auswirkungen auf unsere Zahlungsbilanz und unser aller Lebensstandard hätte. Man kann es auf die einfache Formel bringen: Ohne die Gastarbeiter kein Wohlstand!“
Nach einer Rezession und einem Rückgang der beschäftigten Ausländer begann 1968 eine zweite Phase der Anwerbung. In ihrer Folge verdoppelte sich die Zahl der Gastarbeiter auf 2, 2 Millonen. Erst als Anfang der achtziger Jahre die Statistiken 4, 5 Millionen Ausländer in Westdeutschland aus-wiesen, begann sich in gewissen Bevölkerungsschichten Unmut auszubreiten. Das Schlagwort „Überfremdung“ zog als Gespenst in deutsche Wohnungen ein. Und dennoch hat die westdeutsche Gesellschaft in den letzten 40 Jahren eine ungeheure Integrationsleistung vollbracht: Diejenigen, die in den ersten Jahren des Wirtschaftswunders nach Deutschland kamen, die inzwischen eta-11 blierten, oft assimilierten Italiener, Portugiesen, Spanier und Griechen, werden kaum noch als „Fremde“ empfunden. Auch die Türken sind vielfach integriert, wenn ihre Religion und Kultur den Deutschen auch ferner steht als etwa die italienische. Das den EG-Ländem gemeinsame Ziel eines vereinten Europa mag an dem „Integrationswunder“ mitgearbeitet haben. Heute sind es eher die aus der fernen „dritten“ Welt einreisenden Flüchtlinge und Asylbewerber, die auf Ablehnung stoßen, zumal sie in der Regel arm sind und bis vor kurzem auch nicht arbeiten durften. Was sie zur deutschen Kultur und Wirtschaftskraft beisteuem können, wird erst die Zukunft zeigen.
Die nach dem Krieg eingewanderten „Gastarbeiter“, die bald ihre Familien nachholten und sich ganz in Deutschland niederließen, sind im übrigen nicht die ersten Arbeitsmigranten auf deutschem Boden. Vor dem Ersten Weltkrieg z. B. fand eine ähnliche Ost-West-Wanderung statt, wie sie sich heute wiederholt. Allein ins Ruhrgebiet strömten eine Million Zuwanderer aus dem Osten, insbesondere aus Polen. Ihre Nachkommen empfinden sich inzwischen als alteingesessene Deutsche, die höchstens noch ihr Name (wenn er nicht eingedeutscht wurde) an ihre Herkunft erinnert. Wer die Geschichte der Ausländer in Deutschland noch weiter zurückverfolgt, wird unter anderem auf die Hugenotten stoßen, die Ende des 17. Jahrhunderts bis in das 18. Jahrhundert hinein aus Frankreich in die deutschen Kleinstaaten und besonders nach Brandenburg flüchteten. Ihr Beitrag zu Wirtschaft und Kultur ihrer neuen Heimat steht beispielhaft für die positiven Ergebnisse, die die Assimilation einer fremden Kultur zeitigen kann. Zahlreiche Manufakturen in und um Berlin entstanden, die Produktion und der Handel mit Luxusgütern blühte auf, und der Gemüse-und Obstanbau expandierte beträchtlich. Innerhalb kürzester Zeit verfünffachte sich der Staatshaushalt. Und auch den Hugenotten begegneten die alteingesessenen Deutschen damals zunächst mit Mißtrauen und Feindseligkeit.
Bernt Engelmann führt zahlreiche Beispiele dafür an, daß Deutschland schon immer ein Schmelztiegel der Völker und Kulturen war. Sein Fazit führt die rechtsextremistische Parole „Deutschland den Deutschen“ vollkommen ad absurdum: „Zusammenfassend läßt sich sagen, daß kein Staat der Welt jemals in so kurzer Zeit eine im Verhältnis zu seiner ursprünglichen Bevölkerungszahl so große Anzahl von Menschen -»Umsiedlern 4, Verschleppten, ehemaligen Kriegsgefangenen oder Hilfstruppen, Vertriebenen, Ausgesiedelten und Flüchtlingen -zwar überwiegend deutscher, aber auch millionenfach fremder Nationalität aufgenommen hat wie die Bundesrepublik Deutschland ... Dabei ist die Bundesrepublik nicht ärmer, sondern ungeheuer viel reicher geworden, und dies nicht allein in wirtschaftlicher Hinsicht.“ 12
IV. „Faire l’asile“
Die zunehmend ausländerfeindliche Stimmung im neuen, vereinten Deutschland ist nicht zuletzt durch die sogenannte „Asyldebatte“ der politischen Parteien mit angeheizt worden. Schon 1989 hatten die Republikaner mit der Rede von der „Asylantenflut“ und den „Scheinasylanten“ einen Wahlkampf betrieben, der auf unzulässige Weise Ängste und Ressentiments gegen Einwanderer schürte. Wie erfolgreich sie mit ihren Parolen waren, in denen sie Ausländer und Asylanten als Kriminelle darstellten, die den Deutschen Wohnungen und Arbeitsplätze wegnehmen, zeigt der Ausgang der Wahlen in Berlin (West) und Hessen im Jahre 1989, aber auch das Wahldebakel in Bremen 1991.
Auch die gegenwärtige Debatte um eine Änderung des Asylrechts wird in einer Art und Weise geführt, die rechtsextreme Gewalttäter in ihrem indifferenten Ausländerhaß bestätigen kann. Wie Peter Schneider richtig feststellte: „Es gibt ein Asylantenproblem, es hat aber nichts mit dem Ausländerproblem zu tun“; und: „Es gibt ein Einwanderungsproblem, es hat aber nichts mit dem Asylantenproblem zu tun.“
Artikel 16 des Grundgesetzes garantiert politisch Verfolgten das Recht auf Asyl. Jeder, der in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellt, hat das Recht auf eine faire Prüfung seines Anliegens und wird in der Zeit bis zum endgültigen Bescheid per Sozialhilfe ernährt und gekleidet. Zum Problem ist das Grundrecht auf Asyl erst dadurch geworden, daß zahlreiche Migranten aus der zunehmend verarmenden „Dritten Welt“ sich auf das Asylrecht berufen, um in ein reiches westeuropäisches Land einreisen zu können. Politisch verfolgt sind sie nicht, sie sind „Wirtschaftsflüchtlinge“, Menschen, die in ihrer Heimat für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr sehen. Sie sind eigentlich keine Asylanten, sondern Einwanderungswillige. Dies ist gewiß kein Verbrechen. Da sie jedoch keinen anderen rechtlichen Weg sehen, in Deutschland aufgenommen zu werden, stellen sie einen Asylantrag; „on fait l’asile“, wie es ein afrikanischer Bekannter und „Scheinasylant“ formulierte, „man macht auf Asyl“.
Die meisten Asylbewerber werden nach langen Verfahren abgewiesen. Viele bleiben trotzdem, sei es, daß sie aus humanitären Gründen bleiben dürfen, sei es, daß sie heiraten oder eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Deutschland ist aufgrund seiner stabilen und leistungsstarken Wirtschaft, aber auch aufgrund des liberalen Asylrechts eines der beliebtesten Zielländer von Asylanten oder Emigranten. 45 Prozent der Asylanträge in Westeuropa werden in der Bundesrepublik gestellt.
Das Problem, um es noch einmal deutlich zu sagen, ist nicht, daß so viele Menschen nach Deutschland einwandern wollen, sondern daß sie keinen anderen Weg kennen, als über das Asylverfahren. Dieses wiederum dauert in der Regel viel zu lange und belastet die Steuerzahler, vor allem wenn die Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, wie es noch bis vor kurzem der Fall war. Um das Asyl-problem zu lösen, müßte demnach ein Einwanderungsgesetz erarbeitet werden, das es Einwanderungswilligen ermöglichte, etwa über eine Quotenregelung nach Deutschland einreisen zu dürfen. Des weiteren müßten die Asylverfahren beschleunigt werden. Eine Grundgesetzänderung, wie sie die CDU fordert, ist meines Erachtens weder nötig, noch würde sie die Zahl derer, die an die Türe der Reichen klopfen, verringern. Im übrigen ist das Problem der Armutsflüchtlinge ein europäisches, oder eher noch ein die ganze Welt umspannendes Problem, das nur auf höherer politischer Ebene gelöst werden kann (in Europa etwa im Rahmen der EG).
In diesem Zusammenhang sei hier noch einmal daran erinnert, daß die gegenwärtigen gewaltigen Migrationsbewegungen mit dem Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd, mit den Ungerechtigkeiten der Weltwirtschaft Zusammenhängen. Die reichen Industrieländer tragen zu einem großen Teil die Schuld daran, daß Millionen von Menschen in ihrer Heimat kein menschenwürdiges Leben mehr führen können. Nur ein Beispiel sei genannt, in eigener Sache: Hätten die reichen Nationen, insbesondere der Westen nicht aus wirtschaftlichen Interessen einen Diktator wie Saddam Hussein hochgerüstet, hätten nicht Millionen von Kurden aus ihrem Land fliehen müssen -nicht zuletzt auch nach Deutschland.
V. Integrationsprobleme
Die Rede vom „Integrationswunder“ soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Aufnahme und Assimilierung einer großen Anzahl von Menschen aus aller Herren Länder in ein so dicht besiedeltes und relativ homogenes Land wie die Bundesrepublik große Probleme mit sich bringt. Die Billigung, die rechtsextremistische Gewalttaten in einem Teil der bundesdeutschen Bevölkerung gefunden haben, läßt darauf schließen, daß immer noch viele Deutsche „die Ausländer“ jedweder Herkunft vornehmlich als Fremdkörper empfinden. Was aber steht einer erfolgreichen Integration im Wege?
Zunächst hat sicherlich in vielen deutschen Köpfen -ob latent oder manifest, ob mäßig oder extrem -rassistisches Gedankengut seinen festen Platz. Dies mag nicht stärker ausgeprägt sein als bei anderen Völkern, hat aber aufgrund der jüngeren deutschen Vergangenheit immer noch etwas Anrüchiges und Beschämendes. Gegen derartige Barrieren hilft nur eine konsequente Aufklärung.
Sozialneid und logische Kurzschlüsse der Art „Wohnungen statt Scheinasylanten“ können ebenfalls nur durch eine emotionslose Informationspolitik beseitigt werden. Es ist verständlich, wenn sich ein Arbeiter, der für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommt und darüber hinaus seine Steuern und Sozialabgaben zahlt, darüber ärgert, wenn junge, kräftige, arbeitsfähige Menschen ihren Lebensunterhalt durch einen gelegentlichen Gang zum Sozialamt bestreiten. Doch das Problem einer möglichen Arbeitsverweigerung hat mit dem Einwanderungsproblem nichts zu tun. Gerade die viel-gescholtenen „Scheinasylanten“ wünschen sich oft nichts mehr als eine Arbeitsstelle und ein bescheidenes Dach über dem Kopf. Daß sie bis vor kurzem als Asylbewerber nicht arbeiten durften und oft auch Schwierigkeiten haben, eine angemessene Stelle zu finden, darf man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Andererseits sind zu einem Mißbrauch der Rechte in einem Sozialstaat Deutsche wie Ausländer gleichermaßen fähig.
Zu den eher strukturellen Integrationshindemissen zählt -neben den Sprachproblemen -die gelegentlich auftretende Ghettoisierung. Wenn -wie etwa die Türken in Berlin-Kreuzberg -eine große Menschengruppe gleicher Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit sich zusammenschließt und in bestimmten Stadtteilen ausschließlich niederläßt, führt dies unweigerlich zu Isolierung und Abgrenzung. Aus diesem Grunde ist es auch bedenklich, Asylbewerber in große Sammellager einzuweisen, die, als gewaltiger Dom im Auge rechtsextremer Radikaler, neue Gewalttaten erleichtern und geradezu provozieren könnten. In jedem Fall erleichtert eine dezentrale, diffuse Ansiedlung von Einwanderern oder Gastarbeitern ihre Eingliederung in die Gesellschaft.
Integrationsprobleme beschränken sich nicht auf das Verhältnis von Deutschen zu Ausländem: „Die“ Ausländer, als ethnisch und kulturell äußerst heterogene Gruppe, haben auch miteinander und untereinander Differenzen bis hin zur offenen Feindseligkeit. Auch unter ihnen gibt es Rassismus und kulturellen Chauvinismus. Viele importieren ethnische Konflikte aus ihren Heimatländern nach Deutschland. Man stelle sich nur einmal vor, wer alles in einem Studienkolleg, das auf ein Studium an einer deutschen Universität vorbereitet, aufeinandertrifft: Ein Palästinenser sitzt neben einem konservativen Israeli, ein Serbe neben einem Kroaten, ein militanter Kurde neben einem Türken oder Araber. Was sie in Deutschland lernen sollen und können, ist neben der deutschen Sprache und vielleicht Medizin oder Agrarökonomie das ABC der Demokratie und Toleranz; dies aber ist nur möglich, wenn die Deutschen selbst ein Beispiel geben und nicht mit Knüppeln und Steinen, Brandsätzen und Molotowcocktails gegen alles Fremde -und gelegentlich auch sich selbst -vorgehen.
VI. Für ein gewaltloses Miteinander
Daß Deutschland kein ausländerfeindliches Land ist, dürfte hinreichend klar geworden sein. Die Deutschen haben in den letzten Jahrzehnten Millionen von Ausländern aus zahlreichen Ländern aufgenommen, mehr oder wenig erfolgreich integriert und viele der mitgebrachten Kulturelemente übernommen. Die Idee von der multikulturellen Gesellschaft macht die Runde, und viele, besonders auch junge Deutsche, sympathisieren mit ihr. Mischehen und Freundschaften zwischen Deutschen und Ausländern werden immer häufiger. Und den gewalttätigen Ausschreitungen gegen Asylbewerberheime standen zahlreiche Gegendemonstrationen, Solidaritätsbekundungen oder Anzeigenkampagnen gegenüber. Deutschland, das ist inzwischen klar, braucht die Ausländer, die mit der Zeit mehr und mehr zu Inländern werden, wenn sie es nicht schon geworden sind. Der sich ausbreitende und zunehmend organisierende gewalttätige Rechtsextremismus ist dennoch ernst zu nehmen. Von „Wehret den Anfängen“ kann keine Rede mehr sein, denn die Deutschen stehen mitten drin. In Leipzig halten etwa 25 Prozent der Jugendlichen Aktionen gegen Ausländer für gerechtfertigt. Daß gerade in den neuen Bundesländern, wo der Ausländeranteil verschwindend gering ist, ein so hoher Prozentsatz der Menschen deutschnational denkt, läßt darauf schließen, daß die Wurzel des Ausländerhasses nicht negative Erfahrungen mit Einwanderern sind, sondern daß ganz andere Ursachen dafür ausschlaggebend sind. Die Deutschen, so scheint es, haben vor allem Probleme mit sich selbst und miteinander. Im Osten grassieren Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot; den „Wessis“ mißtraut man, da sie den Zusammenbruch des alten Systems beschleunigt haben, aus ihm ihren Nutzen ziehen und immer noch nicht den versprochenen Wohlstand beschert haben. Das durch den Zusammenbruch des Sozialismus entstandene ideologische Vakuum sowie ein zehrendes Minderwertigkeitsgefühl tun ein übriges. Im Westen bangt man ebenfalls um Arbeitsplätze sowie Wohnungen, die durch die starke Ost-West-Bewegung ein noch knapperes Gut geworden sind. Viele wünschen sich inzwischen, die Mauer wäre nie gefallen.
Damit Deutsche mit Deutschen und Ausländem in Frieden leben können, müssen die Probleme der Einheit so schnell wie möglich gelöst werden. Vor allem die Behebung von Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit sollten bei jeder politischen Partei, die nach Lösungen aus der Krise sucht, oberste Priorität besitzen. Was das Problem der Asylbewerber und der Einwanderungswilligen aus der Dritten Welt betrifft, so sind die Gründe für die großen Migrationsbewegungen zu beseitigen. Will sich Europa nicht mit einem neuen Eisernen Vorhang umgeben, der nicht mehr Ost von West, sondern Nord von Süd trennt, muß eine neue, gerechtere Weltwirtschaftsordnung erarbeitet werden.