I. Die rechtliche Verortung des Asyls
Seitdem es Rechtsordnungen gibt, hat jedes menschliche Problem auch rechtliche Aspekte. Ihre Bedeutung im Gesamtgefüge der zwischenmenschlichen Beziehungen hängt von dem Stellenwert ab, der dem Recht in diesem Gesamtgefüge eingeräumt wird. Im freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat, der als das höchste bisher erreichte Stadium einer humanen Rechtsentwicklung erscheint, ist der Stellenwert des Rechts naturgemäß hoch. Manche sagen sogar: zu hoch. Sie befürchten, daß die Entwicklung über das Ziel hinausgeschossen sei, daß die anhaltende Tendenz zur Verrechtlichung nicht mehr dem Rechtsstaat diene, sondern nur noch Ausdruck der Unfähigkeit zum politischen Handeln sei Sie können sich dabei auf ein eindrucksvolles Rechtssprichwort der alten Römer berufen: summum ius, summa iniuria -wenn das Recht auf die Spitze getrieben wird, so wird es zum Unrecht.
Im Rechtsstaat muß dafür Sorge getragen werden, daß die latente Gefahr des Abgleitens in einen Zustand, in dem das Recht zur Farce, zum untauglichen Mittel oder gar zum Unrecht wird, nicht zur akuten Gefahr heranwächst. Er kann dies, ohne sein Wesen zu verleugnen; denn der Rechtsstaat ist definitionsgemäß ein Staat des Maßes. Aber die Lagebeurteilung fällt dem Zeitgenossen schwer, und selbst in der Rückschau sind die Entwicklungen nicht immer klar zu erkennen. So sind sich die Historiker weitgehend darin einig, daß die Weimarer Republik, die ehrlich danach strebte, ein Rechtsstaat zu sein, nicht zuletzt deshalb unterging, weil sie den Rechtsstaatsgedanken formalistisch überspitzte. Oft wird dabei jedoch übersehen, daß bereits in der vorhergehenden Epoche der durch eben jene formalistische Überspitzung gekennzeichnete „Gesetzesstaat“ im Denken der Juristen vorgebildet wurde.
An solche Zusammenhänge ist zu denken, wenn von der rechtlichen Verortung des Asyls gespro-chen wird. Die Berufung auf das Recht darf niemals allein zu dem Zweck erfolgen, politisches Handeln zu behindern; denn in den von der rechtsstaatlichen Verfassung gezogenen bzw. anerkannten Grenzen kann positives Recht auch verändert werden. Umgekehrt gebietet der Rechtsstaat nicht nur die Bindung der Exekutive an das positive Recht und die Bindung des Gesetzgebers an das Verfassungsrecht, sondern auch die Beachtung der in der Verfassung zum Ausdruck kommenden und von ihr geschützten und garantierten Wertordnung
So wird die Frage nach der rechtlichen Verortung eines Sachbereichs immer aktuell, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung dieses Sachbereichs in Angriff nimmt. Die metajuristischen Aspekte des zu regelnden Gegenstands werden dadurch nicht in ihrer Bedeutung geschmälert oder gar beiseite geschoben. Jedermann weiß, daß die Asylgewährung nicht nur ein Rechtsproblem ist, sondern zugleich ein menschliches Problem im tiefsten Sinne dieses Wortes, ein wirtschaftliches, soziales, bevölkerungspolitisches, soziologisches usw. Über alle diese Aspekte kann gesondert oder gemeinsam diskutiert werden. In der Praxis sind sie nicht voneinander zu trennen, und auch dieser Verwobenheit muß das Recht Rechnung tragen. Wenn aber die Asylgewährung als Rechtsproblem behandelt wird, so ist zunächst einmal ihre Verortung im Rechtssystem darzulegen.
Bei dieser Darlegung ist eine Unterscheidung wichtig, die jedem Juristen geläufig ist, nämlich die Unterscheidung zwischen Recht im objektiven Sinn und Recht im subjektiven Sinn. Das Recht im objektiven Sinn ist die Summe der geltenden Rechtsnormen eines bestimmten Sachbereichs. In diesem Sinne spricht man vom Arbeitsrecht, Familienrecht, Verwaltungsrecht und eben auch vom Asylrecht. Das Recht im subjektiven Sinn bezieht sich dagegen auf den einzelnen Rechtsträger, dem es einen Anspruch, eine Berechtigung gewährt. So werden im Arbeitsrecht Rechte (und selbstver-ständlich auch Pflichten) der Arbeitgeber und Arbeitnehmer normiert; das Asylrecht im subjektiven Sinn ist die Berechtigung eines einzelnen, in einem Land Schutz vor politischer Verfolgung zu erhalten. Ob und in welchem Umfang das geltende internationale und innerstaatliche Recht einen solchen Rechtsanspruch auf Asylgewährung schafft, wird im folgenden zu prüfen sein.
Die Verortung des Asylrechts (im objektiven Sinn) ist kompliziert. Zwar kann man das Asylrecht einfach definieren als die Summe aller Rechtsregeln, die mit der Asylgewährung Zusammenhängen. Aber damit ist seine Position in der gesamten Rechtsordnung noch nicht geklärt. Die Asylgewährung weist definitionsgemäß internationale Bezüge auf. Sie betrifft nämlich stets einen Ausländer, d. h. einen fremden Staatsangehörigen oder einen Staatenlosen. Daher setzt jeder Staat durch die Asylgewährung einen Rechtsakt, der auf der völkerrechtlichen Ebene Wirkungen erzeugt. In der Bundesrepublik Deutschland wird die Asylgewährung in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG angesprochen. Sie steht in diesem Lande daher auch auf der verfassungsrechtlichen Ebene. Die Anerkennung des Status als Asylberechtigter erfolgt jedoch durch einen Verwaltungsakt, und weitere Verwaltungsakte sind notwendig, um diesen Status auszugestalten und zu beenden. So steht das Asylrecht (im objektiven Sinn) gleichzeitig auf drei Ebenen: Völkerrecht, Staatsrecht und Verwaltungsrecht. Die Vorstellung von drei unterschiedlichen Ebenen ist in Theorie und Praxis schwer nachvollziehbar. Deshalb greifen Rechtslehre und Rechtsprechung immer wieder auf die Formulierung zurück, das Asylrecht stehe an der „Nahtstelle zwischen Völkerrecht, Staatsrecht und Verwaltungsrecht“
Das Asylrecht ist nicht die einzige Materie, die an einer solchen Nahtstelle steht. Je weiter sich das Völkerrecht ausdehnt und je intensiver seine Regelungen werden, desto häufiger ergibt sich in den einzelnen Staaten die Situation, daß Hoheitsakte in Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten zu setzen bzw. zu unterlassen sind. Die Beziehungen zwischen Staats-und Verwaltungsrecht sind im freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat besonders eng, auch wenn sie nicht bei allen Verwaltungsakten sichtbar werden. Der betroffene Bürger spürt sie vor allem im Bereich der Grundrechte. Die „Nahtstelle“ zwischen Völkerrecht, Staatsrecht* und Verwaltungsrecht, an der das Asylrecht steht, ist aber besonders kompliziert, weil -wie-im folgenden zu zeigen sein wird -die Situation des Asylrechts im Völkerrecht völlig anders ist als im deutschen Verfassungsrecht, und weil im deutschen innerstaatlichen Recht die besonders sensible Situation der Anerkennung eines Grundrechts durch Verwaltungsakt besteht.
II. Der völkerrechtliche Rahmen
Die merkwürdige Stellung des Asylrechts im Völkerrecht hängt mit der Stellung der Einzelperson in dieser Rechtsordnung zusammen. Das Völker-recht ist niemals ein Recht der Völker gewesen, sondern immer ein Recht der souveränen Staaten. Der einzelne tritt auf der völkerrechtlichen Ebene nicht als Rechtsträger auf. Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten (d. h. Völkerrechtssubjekte)'sind grundsätzlich nur die souveränen Staaten, ausnahmsweise auch internationale Organisationen und einige Sondergebilde (wie z. B. das Internationale Komitee vom Roten Kreuz), nicht aber Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen. Nach einer zum Glück überwundenen Auffassung war die Einzelperson nur Objekt völkerrechtlicher Regelungen. Heute wird der einzelne, wenn sich völkerrechtliche Regelungen (z. B. Konventionsbestimmungen) auf ihn beziehen, als Begünstigter dieser Regelungen betrachtet. Auch in dieser Betrachtungsweise tritt er nicht unmittelbar auf der völkerrechtlichen Ebene in Erscheinung, sondern höchstens mittelbar als Angehöriger seines Heimatstaates.
Diese Mediatisierung des einzelnen durch seinen Heimatstaat wird von der Völkerrechtslehre in zunehmendem Maße als unbefriedigend empfunden; denn sie behindert den Aufbau eines wirksamen internationalen Menschenrechtsschutzes. Aber bisher sind keine Anzeichen dafür vorhanden, daß es in absehbarer Zeit gelingen könnte, Einzelpersonen oder Gruppen von einzelnen mit Völkerrechtssubjektivität auszustatten. Die einzige Ausnahme bildet das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Es steht seinem Wesen nach nicht souveränen Staaten, sondern Völkern und Volksgruppen zu.
Man sieht auf den ersten Blick, daß gerade der politische Flüchtling, der ja dadurch gekennzeichnet ist, daß seine Verbindung mit dem Heimatstaat unterbrochen ist, in das etatozentrische System des Völkerrechts nicht paßt. Das gilt auch für diejeniB gen Flüchtlinge, die noch eine Staatsangehörigkeit besitzen. In völkerrechtlicher Sicht sind Flüchtlinge definitionsgemäß „ungeschützte Personen“. In der völkerrechtswissenschaftlichen Literatur werden sie häufig als „De-facto-Staatenlose“ bezeichnet Für die Behandlung der Staatenlosen im Rechtssinne, die nicht politische Flüchtlinge sind, gibt es eine eigene Konvention Die Rechtsstellung der Flüchtlinge wird durch die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 geregelt
Die Flüchtlingskonvention hat den Ehrentitel „Magna Charta der Flüchtlinge“ erhalten. Über 100 Staaten sind ihr beigetreten. Hartnäckigen Widerstand setzte ihr nur der Ostblock entgegen, dem jahrzehntelang die wichtigsten Herkunftsländer der politischen Flüchtlinge angehörten. Nach dem Zerfall des Ostblocks ist Ungarn als erstes Land der Konvention beigetreten. Bald darauf sah es sich mit einem internationalen Flüchtlingsproblem konfrontiert, das im Zuge des Zerfalls der jugoslawischen Föderation entstanden war. Zum ersten Mal in der europäischen Nachkriegsgeschichte bewegten sich Flüchtlinge von West nach Ost.
Die Flüchtlingskonvention von 1951 war zur Bewältigung eines europäischen Flüchtlingproblems mit der Fluchtrichtung von Ost nach West geschaffen worden. Dementsprechend war ihr Anwen-* dungsbereich zunächst räumlich auf Europa und zeitlich ‘auf die Nachkriegsereignisse beschränkt. Den Signatarstaaten wurde lediglich die Möglichkeit gegeben, der Konvention durch einseitige Erklärungen universellen Charakter zu verleihen. Erst 1967 konnten die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen durch ein Zusatzprotokoll beseitigt werden. So gelang es allmählich, ein internationales Flüchtlingsrecht aufzubauen
Zusammen mit der Flüchtlingskonvention von 1951 wurde auch ein internationales Organ geschaffen, das den Vollzug des internationalen Flüchtlingsrechts weltweit überwachen soll, nämlich das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Es unterhält diplomatische Vertretungen in allen wichtigen Zufluchtsstaaten auf der ganzen Erde. (Ungarn ist das erste Land des ehemaligen Ostblocks, in dem eine solche Vertretung eröffnet wurde.) Dadurch wird -völlig abweichend vom herkömmlichen Völkerrechtssystem -ein internationaler Schutz von Einzelpersonen ermöglicht, obwohl die Flüchtlinge als Einzelpersonen nach wie vor auf völkerrechtlicher Ebene nicht Rechtsträger, sondern nur Begünstigte der Normen des internationalen Flüchtlingsrechts sind.
Der letzterwähnte Umstand erklärt das enttäuschende Defizit des mit so großer Mühe aufgebauten internationalen Flüchtlingsschutzes. Weder die Flüchtlingskonvention von 1951 noch irgendeiner der später gesetzten Rechtsakte hat es vermocht, die Asylgewährung als Menschenrecht zu etablieren. Nach geltendem Völkerrecht ist die Asylgewährung nicht ein Recht des politisch Verfolgten, sondern ein Recht (im subjektiven Sinn) eines jeden souveränen Staates. Selbst um diese Position mußte noch nach dem Zweiten Weltkrieg gerungen werden. Die Ostblockländer sahen in der Verbriefung des Asylrechts der Staaten (im subjektiven Sinn) eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und verlangten die unverzügliche Repatriierung der Flüchtlinge. Diese Auffassung konnte sich auf der Grundlage der klassischen Völkerrechtsdoktrin nicht durchsetzen. Man sieht daher, daß diese Doktrin, so hart sie auf den ersten Blick erscheint, doch ihre Vorzüge hat. Wenn nämlich die Asylgewährung ein Recht der souveränen Staaten ist, so ist sie von allen anderen Staaten, einschließlich des Herkunftslandes des Flüchtlings, hinzunehmen. Oder mit anderen Worten: Die Asylgewährung bedeutet gegenüber dem Herkunftsland keine Völkerrechtsverletzung, ja nicht einmal einen unfreundlichen Akt. Sie stört die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten nicht.
Trotzdem ergibt sich auf dieser rechtsdogmatisch vorgegebenen Grundlage die Erkenntnis: Es gibt kein Menschenrecht auf Asylgewährung. Daran ändert auch Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 nichts. Er lautet: „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Die Formulierung ist bewußt so gewählt worden, daß sie mit der völkerrechtsdogmatischen Grundlegung der Asylgewährung als Recht der souveränen Staaten in Einklang steht. Selbst die von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vorgeschlagene Formulierung „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern Asyl vor Verfolgungen zu suchen und zu erhalten“ wurde abgelehnt. Ein Recht, das nur dazu berech5 tigt, sich auf die Flucht zu begeben und einen Schutz zu genießen, den irgendein souveräner Staat (ohne Rechtspflicht) gewährt hat, ist völlig nutzlos, wenn ein politisch Verfolgter den Anspruch erhebt, Asyl zu erhalten. Das Urteil der um die Menschenrechte besorgten Völkerrechtler über Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war dementsprechend hart. Einer von ihnen brandmarkte die Formulierung als „geradezu einen Betrug“
Aber als die Vereinten Nationen darangingen, die Menschenrechte in verbindlichen Konventionen zu kodifizieren, wurde das Asyl schon sehr bald aus den Beratungen ausgeklammert. Die mit der Ausarbeitung der Entwürfe beauftragten Gremien erklärten, das Asyl sei eine viel zu komplizierte Materie, als daß sie in einem einzigen Artikel einer allgemeinen Menschenrechtskonvention geregelt werden könne. Die schließlich am 19. Dezember 1966 unterzeichneten (und 1976 in Kraft getretenen) Internationalen Menschenrechtspakte erwähnen daher das Asyl nicht. Dasselbe gilt für die Europäische Menschenrechtskonvention aus dem Jahre 1950.
Die schon vor Jahrzehnten in Aussicht genommene allgemeine Asylrechtskonvention ist trotz intensiver Bemühungen nicht zustande gekommen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen begnügte sich damit, am 14. Dezember 1967 eine „Asylrechtsdeklaration“ zu verabschieden. Ihr Art. 1 lautet: „Das Asyl, das ein Staat in Ausübung seiner Souveränität den Personen gewährt, die sich auf Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte berufen können, einschließlich derjenigen Personen, die gegen den Kolonialismus kämpfen, soll von anderen Staaten respektiert werden.“ Damit wurde wieder nur die klassische völkerrechtliche Konstruktion des Asyls als Recht der souveränen Staaten bestätigt. An dieser Konstruktion hält die Völkerrechtspraxis unbeirrt fest. Die Völkerrechtslehre mag dies als unbefriedigend empfinden. Aber sie kann das geltende Völker-recht nicht ändern
III. Die verfassungsrechtliche Grundlage
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG lautet: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Da ist wieder das Wort „genießen“, das in Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Anstoß erregte. Aber in Art. 16 GG steht es in einem anderen Zusammenhang. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist eine Grundrechtsnormierung. Die Vorschrift garantiert nicht das Recht, ein ohne Rechtsverpflichtung gewährtes Asyl zu „genießen“, sondern das Recht, im Falle der politischen Verfolgung Asyl zu erhalten. Freilich geht es über die Asylgewährung hinaus und hat Ausstrahlungen auf die Ausgestaltung des Asyls in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zunächst aber beinhaltet es die Asylgewährung selbst.
Mit der Schaffung eines Menschenrechts auf Asyl-gewährung geht das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland über das Völkerrecht hinaus; denn dieses kennt -wie im vorstehenden ausgeführt -kein Menschenrechtauf Asylgewährung. Schon während der Beratungen des Entwurfs eines Asylrechtsartikels im Parlamentarischen Rat ist daher die Frage erörtert worden, ob das Grundgesetz überhaupt eine solche, über das Völkerrecht hinausgehende Vorschrift enthalten dürfe. Im Grundsatzausschuß erklärte ein prominenter Jurist, „daß wir nicht mehr vorsehen dürfen, als das allgemeine Völkerrecht vorschreibt“ 11. Jahrzehnte später hat man sich auf diese Debatte berufen, um die Auffassung zu unterstützen, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG müsse schon wegen seiner angeblichen Völkerrechtswidrigkeit geändert oder gar beseitigt werden. In der Fachliteratur war darüber längst Klarheit geschaffen worden. Das Studium der Materialien zeigt, daß die vorzitierten Worte nur zur Begründung der damals vorgeschlagenen Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts“ geäußert worden waren. Es ging um mögliche Ausschlußgründe nach allgemeinem Völkerrecht (z. B. Kriegsverbrecher), nicht aber um die Frage der Normierung des Asylrechts (im subjektiven Sinn) als Menschenrecht. Gerade um jeden Irrtum in dieser Hinsicht auszuschließen, wählte der Parlamentarische Rat dann die endgültige Fassung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG so, daß der Zusatz „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts“ entfiel Mit dieser Entscheidung verstieß der Parlamentarische Rat nicht gegen das Völkerrecht.
Die Tatsache, daß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ein subjektives Recht des politisch Verfolgten auf Asylgewährung begründet, macht diese Vorschrift zum „völkerrechtsüberschreitenden“ innerstaatlichen Recht. Völkerrechtswidrig ist völkerrechtsüberschreitendes innerstaatliches Recht Abs. 2 Satz 2 GG ein subjektives Recht des politisch Verfolgten auf Asylgewährung begründet, macht diese Vorschrift zum „völkerrechtsüberschreitenden“ innerstaatlichen Recht. Völkerrechtswidrig ist völkerrechtsüberschreitendes innerstaatliches Recht nur dann, wenn es die Rechte dritter Staaten verletzt. Gerade das aber ist bei der Asylgewährung niemals der Fall, wie im vorstehenden dargelegt. Hier zeigt sich erneut ein Vorteil der völkerrechtlichen Konstruktion der Asylgewährung als Ausübung staatlicher Souveränität. Mit dem Hinweis auf den völkerrechtsüberschreitenden Inhalt von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG kann daher weder die Forderung nach der Abschaffung dieser Verfassungsnorm noch deren einengende Interpretation begründet werden.
Innerhalb des Verfassungsrechts gehört die Asylrechtsverbürgung zu denjenigen Grundgesetz-normen, die ein Recht ohne Vorbehalt und ohne Einschränkungsmöglichkeiten verbriefen. Rechts-lehre und Rechtsprechung haben sich die Beantwortung der Frage, ob nicht trotzdem Einschränkungsmöglichkeiten bestehen, nicht leichtgemacht. Lange Zeit ist mit der Theorie der immanenten Schranken des Asylrechts gearbeitet worden, deren Grundsatz lautet: „Der Gesetzgeber darf, auch soweit es an einem ausdrücklichen Vorbehalt zu seinen Gunsten fehlt, ein Freiheitsinteresse beeinträchtigen, wenn und soweit dies zum Schutze von Interessen erforderlich ist, die nach der objektiven Wertordnung der Verfassung als höherwertig anzusehen sind.“ 13 Nach jahrzehntelanger Debatte entschied schließlich das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 7. Oktober 1975: „Das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG hat keine immanenten Schranken“ 14. Es gab damit seine eigene jahrzehntelange Rechtsprechung auf.
Der Juristenstreit hatte die Öffentlichkeit kaum bewegt. Die Asylbewerberzahlen wurden davon ohnehin nicht beeinflußt. Als sie aber im Gefolge der Ölkrise des Jahres 1973 drastisch anstiegen, wurden erneut Stimmen laut, die nach völkerrechtlichen oder immanenten Schranken der verfassungsrechtlichen Asylrechtsverbriefung riefen. Mehr noch: Es kam der Gedanke auf, Art. 16
Abs. 2 Satz 2 GG für obsolet zu erklären, weil die Schöpfer des Grundgesetzes nicht an die großen Asylbewerberzahlen der Zeit nach 1973 gedacht hätten. Auch dieses Argument konnte wissenschaftlich widerlegt werden 15. Aber nun wurden die Schrankenlosigkeit und Unbeschränkbarkeit der verfassungsrechtlichen Asylrechtsverbriefung in zunehmendem Maße als Last empfunden. „Die Asylrechtsgarantie ist in ihrer bestehenden Form nicht aufrechtzuerhalten und führt zunehmend zum Versagen der Rechtsordnung in diesem Bereich“, meinte einer der besten Kenner dieser Materie 16.
IV. Der verwaltungsrechtliche Vollzug
Seit Jahrzehnten wird das Grundrecht auf Asyl als „verwaltetes Grundrecht“ bezeichnet, weil seine Geltendmachung an eine förmliche Anerkennung gebunden ist, die durch einen Verwaltungsakt erfolgt. Bei anderen Grundrechten ist eine solche förmliche Anerkennung nicht erforderlich. Wer sich auf sein Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder auf Eigentum beruft, braucht seine Rechtsstellung als Wohnungsinhaber oder Eigentümer nicht erst durch einen Verwaltungsakt förmlich feststellen zu lassen. (Der bei der Geltendmachung von Rechten stets erforderliche Nachweis für das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen kann in vielerlei Formen erfolgen.) Allerdings ist das Grundrecht auf Asyl nicht das einzige Grundrecht, bei dem ein Anerkennungsverfahren erforderlich ist. Auch das Grundrecht auf Befreiung vom Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Art. 4 Abs. 3 GG ist mit einem Anerkennungsverfahren verknüpft.
Für die Durchführung des Anerkennungsverfahrens zur Realisierung des Grundrechts auf Asyl wurde im Jahre 1953 das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf geschaffen. Es hat bis heute seine'alleinige Zuständigkeit behalten. Die Ausweitung seiner Personal-und Sachmittel in Übereinstimmung mit den steigenden Asylbewerberzahlen war stets ein vordringliches Problem. Gelegentlich ist erörtert wor-den, die Zuständigkeit zu dezentralisieren. Aber da die Entscheidung über einen Asylantrag nicht nur den raschen Zugriff auf aktuelle Informationen über Vorgänge in allen Teilen der Welt, sondern auch ein hochspezialisiertes Expertenwissen zur Auswertung dieser Informationen erfordert, mündete diese Reformdiskussion stets in die Erkenntnis, daß die Alleinzuständigkeit des Bundesamts erhalten bleiben muß. Jedoch ist das Bundesamt selbst durch die Errichtung von Außenstellen dezentralisiert worden. Ferner wurde das Anerkennungsverfahren laufend verbessert und gestrafft. Jeder einzelnen dieser Reformen gingen ausführliche Debatten in Expertenkreisen und politischen Gremien voran. Manche erscheinen noch heute problematisch. So wurde z. B. die 1980 vorgenommene Ersetzung der Anerkennungsausschüsse durch Einzelentscheider zwar überwiegend positiv beurteilt, aber sie führte auch zu mancherlei Problemen
Rechtsgrundlage für das Asylverfahren war zunächst die Asylverordnung von 1953. Dann entschloß sich der Gesetzgeber, das Asylverfahren im Ausländergesetz zu regeln (§§ 28ff.des Ausländergesetzes von 1965). 1982 wurde es wieder aus dem Ausländergesetz herausgenommen und in einem eigenen Gesetz, dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), geregelt Selbstverständlich gehören zum Asylrecht im objektiven Sinn auch die Verfahrensnormen. Ebenso selbstverständlich ist es, daß Verfahrensnormen nicht ohne Bezugnahme auf das materielle Recht formuliert und angewendet werden können. Bei der Verwirklichung des grundgesetzlich verankerten Asylrechts ist aber die Anwendung und Interpretation der Verfahrens-normen dermaßen in den Vordergrund getreten, daß nicht nur bei juristischen Laien der Eindruck entstand, das Asyl werde hierzulande aufgrund solcher Verfahrensnormen gewährt. Sogar in verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen fand sich der Ausdruck „Asyl nach der Asylverordnung“
bzw. „Asyl nach §§ 28ff. AuslG“ Die Rechts-lehre -soweit sie sich damals überhaupt mit dem Asylrecht beschäftigte -hat dagegen stets protestiert. Soweit ersichtlich wird tatsächlich nicht mehr von einem „Asyl auf der Grundlage des AsylVfG“ gesprochen. Rechtsgrundlage des in der Bundesrepublik Deutschland gewährten Asyls ist allein Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG.
Gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG steht das Grundrecht auf Asyl jedem politisch Verfolgten zu. Unausgeprochen im Text des Grundgesetzes ist die Beschränkung der Trägerschaft dieses Grundrechts auf Nichtdeutsche. Im ursprünglichen Entwurf des Asylartikels war noch vorgeschlagen worden, das Asylgrundrecht den „politisch verfolgten Ausländern“ zuzugestehen. Man erkannte aber bald, daß der Hinweis auf die Ausländer in dieser Vorschrift überflüssig ist. Deutsche im Sinne des Grundgesetzes brauchen sich nicht auf das Asylrecht zu berufen, um ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt zu begründen. Ihnen steht vielmehr das Grundrecht der Freizügigkeit gemäß Art. 11 GG zu, das auch die Einreise in das Bundesgebiet umfaßt. Ein Deutscher im Sinne des Grundgesetzes braucht daher, wenn er vom Ausland her einreisen will, nicht nachzuweisen, daß er im Ausland politisch verfolgt worden ist. Da die deutschen Bewohner der damaligen DDR stets als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes galten, unterlagen sie zu keiner Zeit den Regelungen des Asylverfahrensrechts und des materiellen Asylrechts. Dasselbe galt und gilt für Deutsche im Sinne des Art. 116 GG in allen anderen Teilen der Welt. Es zeugte daher stets von Rechtsunkenntnis, wenn die sog.
Spätaussiedler mit den „Asylanten“ in einen Topf geworfen wurden.
Rechtsdogmatisch stellt die Begrenzung des Asyl-grundrechts auf Nichtdeutsche eine Besonderheit dar. Herkömmlicherweise werden die Grundrechte nach ihrer Trägerschaft in „Menschenrechte“ und „Deutschenrechte“ eingeteilt. Die ersteren stehen jedermann zu (Beispiele: freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit), die letzteren nur Deutschen im Sinne des Grundgesetzes (Beispiele: Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl). Das Grundrecht auf Asyl paßt insofern nicht in dieses Einteilungsschema, als es jedermann mit Ausnahme der Deutschen zusteht. Doch ist diese Ausnahmestellung rechtsdogmatisch abgesichert. Deutsche, die im Ausland politisch verfolgt werden, können jederzeit unter Berufung auf Art. 11 GG Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland finden, ohne ein Anerkennungsverfahren zu durchlaufen. Deutsche, die in der Bundesrepublik Deutschland politisch verfolgt werden, müssen im Ausland Zuflucht suchen. Die letzterwähnte theoretische Konstruktion hat keine praktische Bedeutung. Dagegen hat der Ausschluß der Deutschen aus dem Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zur Folge, daß der» große Strom der „Aussiedler“ aus den (ehemaligen) Ostblockländern vom Asylanerkennungsverfahren unberührt bleibt.
Diese Zusammenhänge sind noch relativ leicht zu verstehen. Schwerer tut sich der juristische Laie mit dem Verständnis der rechtlichen Wirkung der Anerkennung. Gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG steht das Grundrecht auf Asyl allen politisch Verfolgten zu. Hier ist zunächst anzumerken, daß damit nicht die Bevölkerung der gesamten Welt zu Grundrechtsträgern erklärt wird. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG kann keine Wirkung außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland entfalten. Mit anderen Worten: Auf das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG kann sich nur berufen, wer in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangt ist. Theoretisch ließe sich daher das Problem einer übermäßigen Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl durch das hermetische Abriegeln der Grenzen lösen. Praktisch ist dies jedoch nicht möglich, und zwar nicht nur deshalb, weil eben eine solche Grenzabriegelung nicht durchführbar ist, sondern auch deshalb, weil potentielle Asylbewerber auch als „normale“ Ausländer in das Bundesgebiet einreisen und erst später den Asylantrag stellen können. Es ist sogar möglich, daß die Umstände, die zur begründeten Furcht vor politischer Verfolgung führen, überhaupt erst nach der Einreise entstehen. So können Visumsbeschränkungen zwar den Zustrom von Asylbewerbern in manchen Situationen einschränken, aber niemals ganz zum Versiegen bringen. Dasselbe gilt für die Bemühungen, die Berufung auf sog. „Nachfluchtgründe“ auf das mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG noch zu vereinbarende Minimum zu beschränken
Wer als politisch Verfolgter in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gekommen ist, genießt das Grundrecht auf Asyl. Er ist asylberechtigt gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Die positive Entscheidung über den Asylantrag am Ende eines ordnungsgemäßen Anerkennungsverfahrens kann diese Rechtsposition nicht schaffen, sondern nur bestätigen. Sie hat deklaratorischen Charakter. Trotzdem entsteht die Rechtsstellung als Asylberechtigter erst mit der rechtskräftigen positiven Entscheidung über den Asylantrag. Vorher ist der politisch Verfolgte nur Asylbewerber. Umgekehrt ist zu sagen, daß diejenigen, die sich zu Unrecht auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG berufen haben, zu keiner Zeit Grundrechtsträger gewesen sind. Der bloße Asylantrag kann diese Rechtsstellung nicht schaffen. Auch sie sind jedoch während der Dauer des Verfahrens Asylbewerber. So entsteht die für den Nichtjuristen schwer verständliche Situation, daß einerseits Grundrechtsträger ihr Grundrecht erst nach förmlicher Anerkennung ausüben dürfen, andererseits Personen, denen das Grundrecht nicht zusteht, eine Zeitlang in den Genuß von verfassungsmäßig abgesicherten Rechten gelangen.
So erfaßt das Asylrecht (im objektiven Sinn) auch Personen, die sich nicht auf das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG berufen können. Allerdings ist jene Vergünstigung zeitlich begrenzt. Rechtsdogmatisch ist sie durch die Überlegung abgesichert, daß es rechtsstaatswidrig wäre, den Asylbewerber für die Zeit zwischen dem Asylantrag und der Unanfechtbarkeit des Anerkennungsbescheids bzw.der letztinstanzlichen Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als gewöhnlichen Ausländer zu behandeln; denn dadurch würde sein möglicherweise bestehendes Grundrecht auf Asyl verletzt.
Auch wer diese Begründung akzeptiert, kann Bedenken erheben wegen der langen Verfahrens-dauer und wegen des weiteren Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber im Bundesgebiet. Beide Tatsachen werden in zunehmendem Maße als Skandal empfunden. Folgerichtig konzentrieren sich die Lösungsvorschläge auf die Verkürzung des Anerkennungsverfahrens (einschließlich des anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahrens) und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.
V. Rechtliche Ansatzpunkte für die Lösung der gegenwärtigen Asylprobleme
1. Anerkennungsverfahren und Rechtsschutz Bei den Bemühungen um Verfahrensbeschleunigung stand das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Vordergrund. Beweise hierfür sind die „Beschleunigungsgesetze“ der Jahre 1978 und 1980 Alle diese Bemühungen finden ihre Grenze nicht nur in der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4* GG, sondern auch im Grundrecht auf Asyl, wie das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen hervorgehoben hat. An der Spitze steht der Beschluß vom 14. November 1979, in dem sich die Sätze finden: „Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG sichert nicht nur materiell das Asylrecht des politisch Verfolgten; der Bestimmung kommt auch verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Allgemein beansprucht die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte auch im jeweiligen Verfahrensrecht Geltung. Diesem Grundsatz gemäß muß auch das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG dort auf die Verfahrensgestaltung Einfluß haben, wo es um das grundgesetzlich garantierte Recht des Betroffenen auf politisches Asyl geht.“ Den ersten dieser Sätze hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom Februar 1983 wörtlich wiederholt 23.
Von grundlegender Bedeutung für den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz im Asylverfahren ist der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 1982. In ihm weist das Bundesverfassungsgericht auf das „völkerrechtlich geschuldete Ausmaß an gerichtlichem Rechtsschutz“ hin und stellt fest, daß dazu auch der Zugang zu den Gerichten gehört. Der Fremde habe nach Maßgabe und in den Grenzen allgemein eröffneter Rechtswege das Recht, die Gerichte anzurufen und sein Rechtsschutzbegehren von unparteiischen Richtern geprüft und entschieden zu erhalten; ferner sei ein Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit, insbesondere ausreichendes Gehör und Schutz vor ungebührlicher Verfahrensverzögerung, zu gewährleisten. Allerdings können die Asylbewerber keine darüber hinausgehenden Forderungen in bezug auf die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens erheben; denn „auch wer das Asylrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beantragt und damit den Schutz und die Vergünstigungen der deutschen Rechtsordnung begehrt, muß diese Rechtsordnung von Völkerrechts wegen -und in den Grenzen des völkerrechtlichen Mindeststandards -so hinnehmen, wie sie jeweils gilt, einschließlich der prozessualen Vorkehrungen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit.“ Unter diesem Gesichtspunkt sind die prozeßrechtlichen Vorschriften des AsylVfG wiederholt der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterworfen worden. Derselbe Maßstab ist auch an die Reformvorhaben anzulegen. Die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze lassen erkennen, daß der Gesetzgeber hier immer noch einen Spielraum hat. Weder Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG noch Art. 19 Abs. 4 GG verurteilen den Rechtsstaat zur Hilflosigkeit. Die Pflicht des Gesetzgebers, „eine dem Grundrecht auf Asyl angemessene Verfahrensregelung zu treffen“, bleibt allerdings unverbrüchlich 2. Verfassungsänderung Diejenigen, die der Meinung sind, daß weitere Verkürzungen des Verfahrens, insbesondere die rasche Entscheidung über offensichtlich unbegründete Asylanträge, nicht mehr möglich sind, plädieren für eine Grundgesetzänderung. Da insbesondere die lange Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beklagt wird, ist der Gedanke aufgetaucht, die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 („Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen“) für die Nachprüfung asylrechtlicher Entscheidungen einzuschränken. Das ist möglich, soweit es nur um die Zulässigkeit von Berufung und Revision, also die Ausschöpfung des üblichen Instanzenzuges, geht. Hingegen würde der völlige Ausschluß von asylrechtlichen Verwaltungsakten aus der Rechtsweggarantie gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Der Versuch, eine derartige Einschränkung der Rechtsweggarantie durch eine Änderung von Art. 19 Abs. 4 GG zu ermöglichen, müßte an dem durch Art. 20 GG garantierten Rechtsstaatsprinzip scheitern, das durch Art. 79 Abs. 3 GG der Verfassungsänderung entzogen ist.
In dieser Lage erscheint es geradezu folgerichtig, die Änderung oder gar ersatzlose Streichung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu fordern. Als Änderungsmöglichkeiten kämen die Ergänzung durch eine enge Definition des politisch Verfolgten oder die Einfügung eines Gesetzesvorbehalts in Frage. Beide Alternativen sind in Expertenkreisen seit Jahren erörtert und im Endeffekt stets abgelehnt worden.
Der Begriffdes politisch Verfolgten wird im Grundgesetz nicht definiert. Der Verzicht auf eine exakte Definition ist absichtlich. Nach dem Willen der Schöpfer des Grundgesetzes sollte die Bundesrepublik Deutschland nicht nur den Anhängern bestimmter politischer Richtungen Zuflucht gewähren -wie dies in manchen Verfassungen, vor allem in den ehemaligen Ostblockländern, zum Ausdruck gekommen ist -, sondern allen politisch Verfolgten, auch wenn ihre Anschauungen nicht mit denjenigen der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen politischen Kräfte übereinstimmten. So war die Bundesrepublik Deutschland auch in den Zeiten des Kalten Krieges verpflichtet, politisch verfolgten Kommunisten Asyl zu gewähren. Nicht nur im Falle von chilenischen Flüchtlingen ist dieser Grundsatz tatsächlich praktiziert worden.
In der öffentlichen Diskussion wird dem Argument, der Verzicht auf jede einengende Definition des politisch Verfolgten verleihe dem Asylrechts-artikel Würde und Großzügigkeit, geringes Gewicht gegenüber der Behauptung beigemessen, die Bundesrepublik Deutschland sei auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage einfach nicht mehr in der Lage, mit den großen Asylbewerberzahlen fertig zu werden. Diese Behauptung wäre aber ihrerseits nur dann gewichtig, wenn feststünde, daß die einengende Definition im Verfassungstext wirksam zur Problemlösung beitragen könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Solange die Asylgewährung ein Grundrecht bleibt, muß über jeden Asylantrag in einem individuellen Verfahren entschieden werden. Ganz gleich, wie die Definition des politisch Verfolgten formuliert wäre, müßte in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Tatbestandsmerkmale der Asylgrundrechtsnorm erfüllt sind oder nicht. Verwaltung und Rechtsprechung würden also prinzipiell vor denselben Aufgaben stehen wie bisher. Die bisherige Rechtsprechung hat in jahrzehntelanger Arbeit Definitionskriterien herausgearbeitet und verfeinert, wobei den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung getragen wurde. Dadurch ist das materielle Asylrecht kompliziert und scheinbar unübersichtlich geworden. Die Fülle der Einzelprobleme wird in immer umfangreicher werdenden Kommentaren ausgebreitet. Aber das ist keine Besonderheit des Asylrechts. Verwaltungspraxis und Rechtsprechung müssen auf vielen Gebieten mit den Problemen der Komplexität und Unübersichtlichkeit fertig werden. Die Asylverwaltung und die Asylrechtsprechung haben das auf ihrem Gebiet durchaus bewiesen. Es wäre kaum zu hoffen, daß es dem Gesetzgeber gelingen könnte, die Ergebnisse dieser Bemühungen in einer Definition des politisch Verfolgten zusammenzufassen, mit deren Hilfe die Asylverfahren schneller abgewickelt werden könnten. Den weiteren Zustrom von Asylbewerbern aber kann keine noch so ausgeklügelte Definition beeinflussen.
Größere Wirkung versprechen sich manche Reformer von der Einführung eines Gesetzesvorbehalts. Wenn auf der Grundlage einer Ergänzung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Satz „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ nur eine einengende Definition des politisch Verfolgten gegeben wird, so ist dazu dasselbe zu sagen wie zur Definition im Verfassungstext selbst. Wenn aber der Gesetzes-vorbehalt den Gesetzgeber ermächtigen soll, das Grundrecht nach Zweckmäßigkeitserfordernissen einzuschränken oder für bestimmte Personengruppen aufzuheben, so würde dies praktisch eine völlige Zurücknahme der Asylrechtsgarantie bedeuten. Es liegt im Wesen des Asylrechts, daß es letztlich nicht einschränkbar, sondern nur -im Einzelfall oder für bestimmte Personengruppen -vernichtbar ist. Zu dieser Erkenntnis ist die Wissenschaft schon vor Jahrzehnten gelangt. Einige Experten vertreten sogar die Ansicht, daß das Asyl-grundrecht -entgegen dem Wortlaut von Art. 18 GG -nicht einmal durch Mißbrauch verwirkbar sei (Am Rande sei bemerkt, daß die in Art. 18 GG vorgesehene Verwirkung des Asylrechts nicht automatisch bei „mißbräuchlicher“ Inanspruchnahme des Grundrechts eintritt, sondern nur unter den dort normierten Voraussetzungen vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden darf. Das, was in der Umgangssprache als „Asylrechtsmißbrauch“ bezeichnet wird, ist in der Rechtssprache etwas ganz anderes, nämlich die Stellung eines unbegründeten Asylantrags.)
Schließlich ist auch vorgeschlagen worden, durch einen Gesetzesvorbehalt dem Gesetzgeber oder der Exekutive die Möglichkeit zu geben, im Verordnungswege die Länder zu bezeichnen, aus denen während der Geltungsdauer der Verordnung Flüchtlinge als Asylberechtigte anerkannt werden dürfen oder nicht. Man verspricht sich davon eine gleichmäßige Berücksichtigung der im ständigen Wandel begriffenen politischen Lage in den verschiedenen Ländern. Aber auch dadurch würde das Asyl als individuelles Recht vernichtet; es würde seinen Grundrechtscharakter verlieren. Die bisherige Praxis hat bestätigt, daß politisch Verfolgte im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG auch aus Ländern kommen können, in denen eine politische Verfolgung nicht stattfindet. 3. Internationale und europäische Lösungen Wenn die verfassungsmäßigen Möglichkeiten für die Verfahrensbeschleunigungen und die Verkürzungen des Rechtsweges ausgeschöpft sind und eine bloße Änderung des Verfassungstextes in keiner Alternative einen Ausweg bietet, so muß untersucht werden, ob nicht der gänzliche Verzicht auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Asylgewährung einige Rechtsprobleme lösen bzw. vermeiden könnte. Es gibt viele Staaten, die durchaus großzügig Asyl gewähren, ohne in ihrer Verfassung ein individuelles Recht des politisch Verfolgten zu normieren. Freilich verlangt der Rechtsstaat auch in diesem Fall eine gesetzliche Grundlage. Und selbst wenn man die Asylgewährung als reinen Gnadenakt ausgestaltet, müßten die Exekutiventscheidungen, die zur Verwaltung dieses Gnadenwesens erforderlich wären, den Ansprüchen des Rechtsstaates Genüge tun. Wieder ist ferner daran zu erinnern, daß der Zustrom von Ausländem, die in den Genuß eines solchen Gnadenaktes kommen wollen, wohl kaum geringer wäre als derjenige von Asylbewerbern. Das Problem der Auswahl nach gesetzlich vorgegebenen Kriterien und der Abschiebung der abgelehnten Bewerber wäre quantitativ und qualitativ sicher nicht geringer als nach der heutigen Rechtslage.
Vor allem aber ist zu berücksichtigen, daß das internationale Flüchtlingsrecht, an das die Bundesrepublik Deutschland durch den Beitritt zur Flüchtlingskonvention von 1951 und durch zahlreiche weitere Rechtsakte gebunden ist, unabhängig vom innerstaatlichen Recht gilt. Mehr noch: Wie jeder Signatarstaat der Flüchtlingskonvention ist auch die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihr innerstaatliches Recht so zu gestalten, daß es dem internationalen Flüchtlingsrecht entspricht. In dieser Beziehung hat die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht immer gute Noten erhalten
Zwar begründet die Flüchtlingskonvention kein individuelles Recht auf Asylgewährung. Aber sie verbietet in ihrem Art. 33 die Ausweisung und Zurückweisung von Flüchtlingen in Gebiete, in denen das Leben oder die Freiheit dieser Personen wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht wäre. Solange in der Bundesrepublik Deutschland Asyl auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt wird, hat dieses sog. Refoulement-Verbot nur Bedeutung für diejenigen Fälle, in denen ein abgelehnter Asylbewerber trotz der Ablehnung unter die genannte Konventionsbestimmung fällt. Würde man aber Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ersatzlos streichen, so würden alle Probleme, die mit der Verwaltung des bisherigen Asylrechts Zusammenhängen, bei der Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten erneut auftauchen
Auf einer anderen Ebene steht das Problem der Harmonisierung des Asylrechts im europäischen Rahmen. Niemand zweifelt daran, daß die Rechts-vereinheitlichung ein erstrebenswertes Ziel ist, das die europäische Einigung fördert. Die Harmonisierung ist daher auf jeden Fall zu begrüßen. Daß sie nicht leicht sein wird, zeigt schon die Tatsache, daß es bisher nicht einmal gelungen ist, eine einheitliche Handhabung der Flüchtlingskonvention in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft durchzusetzen. Aber niemand darf von der Harmonisierung die Lösung der im vorstehenden aufgezeigten Rechtsprobleme der Asylgewährung erwarten. Allenfalls kann erreicht werden, daß Asylbewerber, deren Anerkennung in einem Land der Gemeinschaft abgelehnt worden ist, das Verfahren in anderen Ländern nicht mit denselben Tatsachenbehauptungen wiederholen können. Alle anderen Probleme bleiben von der Harmonisierung unberührt So muß jetzt vermieden werden, daß der Hinweis auf die Notwendigkeit der europäischen Harmonisierung des Asylrechts nur dazu verwendet wird, um für die Änderung oder Streichung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu werben.
Das Fazit dieser Überlegungen ist nicht ganz so deprimierend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die restlose Ausschöpfung der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Beschleunigung der Asylverfahren (einschließlich des verwaltungsgerichtlichen Rechtswegs) und zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, gekoppelt mit einer auf die Vermeidung von Flüchtlingsströmen gerichteten Außenpolitik, verspricht noch eine gewisse Erleichterung, soweit diese angesichts des weltweiten Migrationsdrucks auf die Industrieländer überhaupt noch möglich ist. Von Verfassungsänderungen ist wenig zu erhoffen. Die Streichung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG wäre ehrlicher und würde die Asylgewährung auf der Grundlage einfacher Gesetze nicht behindern. In allen Fällen aber bleiben die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des internationalen Flüchtlingsrechts.