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Wettbewerb und Wachstum im europäischen Binnenmarkt | APuZ 7-8/1992 | bpb.de

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APuZ 7-8/1992 Europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Von der Marktintegration zur politischen Integration Wettbewerb und Wachstum im europäischen Binnenmarkt Europäische Zentralbank. Europäische Währungsunion ante portas? Ordnungspolitik im Reformprozeß Osteuropas

Wettbewerb und Wachstum im europäischen Binnenmarkt

Ulrich van Suntum

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf dem Weg zum Europäischen Binnenmarkt ist die EG ein gutes Stück vorangekommen; mit dem Ende 1991 von EG und EFTA gemeinsam beschlossenen Europäischen Wirtschaftsraum wird zudem das bisher größte integrierte Wirtschaftsgebiet entstehen. Es wird erwartet, daß die handelsschaffenden Effekte dieser Entwicklung ihre handelsablenkenden Effekte überwiegen. Von der Verwirklichung der sog. vier großen Freiheiten im Binnenmarkt dürfte eine Intensivierung des Wettbewerbs sowie ein erheblicher Liberalisierungsdruck in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgehen. Probleme wirft das Nebeneinander von Freizügigkeit im Waren-und Personenverkehr einerseits und nationalen Unterschieden in der Sozial-, Umwelt-und Steuerpolitik andererseits auf. Zudem wird es notwendig sein, einen Teil des zusätzlichen Wachstums zur Unterstützung der leistungsschwächeren Mitgliedstaaten zu verwenden. Schließlich setzt ein Erfolg des Binnenmarktprogramms auch eine Liberalisierung des Außenhandels mit Drittstaaten voraus.

I. Stand des Binnenmarktprogramms

Schon bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 25. März 1957 war die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes unumstrittenes Ziel der sechs Gründerstaaten (Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg). Zunächst entstand jedoch nur eine Zollunion, d. h. die Zollgrenzen zwischen den sechs Gründerstaaten wurden schrittweise abgeschafft und durch einen gemeinsamen Zolltarif gegenüber Drittländern ersetzt. Dieses Ziel war bereits Mitte 1968, 18 Monate vor Ablauf des dafür im EWG-Vertrag vorgesehenen Zwölfjahreszeitraums, erreicht Vorausgegangen waren dem EWG-Vertrag die Verträge über die Europäische Zahlungsunion (EZU) vom 19. September 1950 sowie über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS; Montanunion) vom 18. April 1951.

Am 22. Januar 1972 traten der EWG mit Großbritannien, Dänemark und Irland drei weitere Mitglieder bei. Sie waren zuvor Mitglieder der 1960 gegründeten EFTA (European Free Trade Association) gewesen, die im Gegensatz zur EWG nicht als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern nur als Freihandelszone konzipiert ist, d. h. die in ihr zusammengeschlossenen Staaten (die Schweiz, Österreich, Schweden, Norwegen, Finnland, Island und -bis 1986 -Portugal) verzichten zwar auf Zölle untereinander, haben jedoch keinen gemeinsamen Außenzoll und keine weitergehenden Integrationsziele.

Am 13. März 1979 trat das Europäische Währungssystem (EWS) in Kraft, in dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) feste Wechselkurse (abgesehen von einer geringen Schwankungsbreite von ± 25 Prozent) untereinander vereinbarten 2; es wurde außerdem mit dem ECU (European Currency Unit) eine gemeinsame europäische Währungseinheit geschaffen. Sie diente zunächst lediglich Verrechnungszwecken, soll aber nach den Beschlüssen des EG-Gipfels von Maastricht vom Dezember 1991 bis spätestens 1999 als gemeinsame Währung die nationalen Währungen der Mitgliedstaaten ablösen

Mit Griechenland (am 1. Januar 1981) sowie Spanien und Portugal (am 1. Januar 1986) traten in der Folgezeit drei weitere Staaten der EG bei, die somit auf eine Mitgliederstärke von zwölf Staaten mit insgesamt 326 Mio. Einwohnern (1989) wuchs Das gemeinsame Sozialprodukt dieser Staaten war 1989 mit umgerechnet 4, 8 Billionen Dollar nur wenig niedriger als das der USA mit 2 Billionen 5.

Am 1. Juli 1987 trat die Einheitliche Europäische Akte in Kraft, in der die Römischen Verträge von 1957 mit dem Ziel geändert und ergänzt wurden, bis zum 1. Januar 1993 einen einheitlichen Binnenmarkt unter den zwölf Mitgliedstaaten zu verwirklichen, d. h. „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist“ Das vorher geltende Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat der EG wurde für wichtige Fragen durch das Prinzip einer qualifizierten Mehrheit ersetzt, um notwendige Integrationsschritte nicht länger am Veto einzelner Mitgliedstaaten scheitern zu las-sen. Es wurden außerdem die Ziele eines stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts neu in das Vertragswerk aufgenommen und so die Voraussetzung dafür geschaffen, Anpassungsprobleme der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsländer im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes abzumildern. Ihren materiellen Ausdruck fanden diese Ziele u. a. in der Entscheidung des Ministerrates von 1988, die Finanzausstattung der drei Struktur-fonds der EG bis 1993 gegenüber 1987 zu verdoppeln Im einzelnen handelt es sich dabei um den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie um den Europäischen Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL, Abteilung Ausrichtung), die im EG-Haushalt 1991 mit insgesamt knapp 15 Mrd. DM bereits gut 25 Prozent der gesamten Ausgaben ausmachen Die Kommission der EG hat außerdem im Mai 1989 den Entwurf einer „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte“ für die Gemeinschaft (Sozialcharta) vorgelegt, deren einstimmige Annahme im Ministerrat allerdings im Dezember 1989 vorerst an der Gegenstimme Großbritanniens scheiterte.

Bereits 1985 hatte die Kommission in einem sog. Weißbuch 282 konkrete Einzelvorschläge zur Verwirklichung des Binnenmarktes angekündigt, die inzwischen auch präsentiert und um drei weitere Vorschläge ergänzt wurden. Von diesen Vorschlägen hatte der Ministerrat bis April 1991 195 akzeptiert, zweifellos ein Erfolg für das neu eingeführte Mehrheitsprinzip Bei der konkreten Umsetzung dieser Beschlüsse gibt es allerdings Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und zudem hat die Zahl der Vertragsverstöße im Zuge der für die Einzelstaaten immer bindender werdenden Regelungen deutlich zugenommen Wichtige Fragen wie z. B. die Behandlung der unterschiedlichen Mehrwert-und Verbrauchsteuersätze in den Mitgliedsländern, für die nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip gilt, sind zudem noch nicht endgültig gelöst worden.

Immerhin hat sich der Ministerrat im Juni 1991 auf eine einheitliche Untergrenze von 15 Prozent für die Mehrwertsteuer sowie im Grundsatz auch auf einheitliche Untergrenzen für die Verbrauch-Steuern auf Alkohol, Tabak und Mineralöl in allen Mitgliedsländern ab Januar 1993 geeinigt Für die Mehrwertsteuer wurde außerdem eine bis 1996 geltende Übergangslösung gefunden, die im Grundsatz dem sog. Bestimmungslandprinzip folgt, d. h. alle mehrwertsteuerpflichtigen Waren werden nach den Steuersätzen desjenigen Landes besteuert, in das sie geliefert werden. Da dieses System eine Rückerstattung der bzw. Befreiung exportierter Waren von der Mehrwertsteuer des jeweiligen Ursprungslandes impliziert, erfordert es nach Fortfall der Grenzkontrollen anderweitige Kontrollmechanismen, die nunmehr direkt bei den beteiligten Unternehmen eingesetzt werden müssen. Somit werden im Grunde die Grenzkontrollen nicht wirklich abgeschafft, sondern nur in die Unternehmen verlagert, wovon erhebliche Kosten und Lästigkeiten zu erwarten sind

Mit der Unterzeichnung des Vertrages über einen Europäischen Wirtschaftsraum zwischen der EG und der EFTA am 22. Oktober 1991 hat das Binnenmarktprogramm nochmals eine größere Dimension bekommen. Zwar werden die EFTA-Staaten nicht sofort vollständig in das Binnenmarktprogramm einbezogen -es wird z. B. keine Zollunion zwischen EG und EFTA und auch keine Angleichung der indirekten Steuern geben -, aber dennoch wird es zu wesentlichen Integrationsschritten und Liberalisierungsmaßnahmen kommen, etwa bei der Freizügigkeit des Kapital-, Dienstleistungs-und Personenverkehrs. Der Europäische Wirtschaftsraum wird mit einer Einwohnerzahl von 385 Mio. und einem Bruttoinlandprodukt von 5, 5 Billionen Dollar der größte integrierte Wirtschaftsraum sein

II. Ziele des Binnenmarktprogramms

Die Errichtung eines einheitlichen Binnenmarktes zwischen einer begrenzten Anzahl von Staaten ist -weltwirtschaftlich betrachtet -im Grunde nur eine zweitbeste Lösung. Das gilt vor allem in bezug auf die der EG zugrundeliegende Zollunion; die Außenhandelstheorie unterscheidet hier zwei Effekte: -Zum einen treten handelsschaffende Effekte auf, indem die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt wird. Auf diese Weise können Spezialisierungsvorteile und eventuell Vorteile der Massenproduktion erzielt werden, die tendenziell wohlstandssteigernd wirken.

Außerdem kommen die Konsumenten in den Genuß einer größeren Produktvielfalt, indem sie ohne Zölle und Kontingente frei z. B. zwischen französischen und deutschen Pkw wählen können, und der Wettbewerb innerhalb des Wirtschaftsraumes wird gestärkt. -Zum zweiten kommt es aber auch zu handels-ablenkenden Effekten, indem nämlich Güter, die " vorher aus anderen Staaten (Drittländern)

bezogen wurden, nunmehr durch Lieferungen aus Ländern der Zollunion ersetzt werden.

Dies wirkt tendenziell wohlfahrtsmindernd, denn die Drittlandimporte werden durch den gemeinsamen Außenzoll einseitig diskriminiert, obwohl sie -zu Weltmarktpreisen gerechnet -u. U. preisgünstiger als entsprechende Bezüge aus den Zollunionsländern sind. Ein konkretes Beispiel hierfür sind die Agrarimporte Großbritanniens aus den früheren Commonwealth-Ländern, die ein wesentlicher Grund für das lange Zögern Großbritanniens waren, der EG beizutreten.

An sich sieht das am 30. Oktober 1947 von 23 Staaten unterzeichnete General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) aus diesem Grunde das Prinzip der unbedingten Meistbegünstigung vor: Danach müßten eigentlich Zollkonzessionen oder andere Vergünstigungen, die zwei Staaten sich gegenseitig gewähren, auch allen anderen Signatarstaaten zugestanden werden Einigung über das Abkommen konnte aber nur dadurch erzielt werden, daß bestimmte Ausnahmen von diesem Prinzip zugelassen wurden, u. a. auch für Zollunionen. Tatsächlich verstößt die EG nicht nur durch ihren Binnenhandel gegen das Prinzip der Meistbegünsti-gung, sondern auch im Handel mit den EFTA-Staaten, in dem es für gewerbliche Produkte seit 1983 keine Zollgrenzen mehr gibt desgleichen im Handel mit den sog. assoziierten Ländern wie der Türkei, zahlreichen afrikanischen Ländern und neuerdings einigen früheren Ostblock-Staaten.

Ein vollständiger Binnenmarkt erfordert weitaus mehr als den Abbau von Zöllen und Kontingenten (d. h. von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen). Allgemein ist er durch die Verwirklichung der sog. „vier großen Freiheiten“ gekennzeichnet, die bislang in der EG in unterschiedlichem Maße verwirklicht sind

Freier Warenverkehr: Hier besteht -neben den divergierenden Mehrwert-und Verbrauchsteuersätzen -das Problem vor allem in den unterschiedlichen Normen und Produktvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten. Sie stellen ein beachtliches, sog. nicht-tarifäres Handelshemmnis dar, muß doch bislang jeder Hersteller seine Produkte in bis zu zwölf unterschiedlichen Variationen anbieten, um EG-weit auf dem Markt präsent zu sein. Nachdem die EG lange Zeit vergeblich versucht hat, diese Rechtsvorschriften zu harmonisieren, wird seit dem Weißbuch von 1985 der „nouvelle approach“ der gegenseitigen Anerkennung verfolgt Danach darf jedes Produkt, welches in einem Mitgliedstaat nach den dort geltenden Gesetzen rechtmäßig hergestellt wird, überall in der Gemeinschaft frei gehandelt werden. Im übrigen beschränkt sich die EG nunmehr in ihren Richtlinien auf eine Mindestharmonisierung im Hinblick auf Gesundheit und Sicherheit

Freier Personenverkehr: Hier wurden bereits wichtige Fortschritte erzielt, u. a. durch die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen und bei der Niederlassungsfreiheit, die inzwischen ne-ben Selbständigen und Arbeitnehmern auch Studenten und Rentnern zusteht. In der Asylanten-und Zuwandererfrage haben sich die EG-Länder -mit Ausnahme Dänemarks -inzwischen auf ein Verfahren geeinigt, wonach künftig jeder einzelne Mitgliedstaat für die Antragsprüfung zuständig ist. Im sog. Schengener Abkommen haben sich die sechs Gründerstaaten der EG darauf verständigt, ihre zwischenstaatlichen Grenzkontrollen bereits ab 1992 wegfallen zu lassen und statt dessen polizeiliche Ersatzlösungen zur Verbrechensbekämpfung anzuwenden.

Freier Kapitalverkehr: Dieser ist -seit der am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Liberalisierung -bereits weitgehend verwirklicht; insbesondere gibt es inzwischen keine Devisenbeschränkungen mehr. Für die südlichen EG-Länder (Italien, Spanien, Portugal und Griechenland) wurden Übergangsfristen vereinbart. Probleme bestehen allerdings noch hinsichtlich der in den einzelnen Ländern unterschiedlichen Besteuerung von Kapitaleinkommen. So erhebt Luxemburg keine Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte und hat auch sonst keine wirksamen Vorkehrungen gegen Steuerhinterziehungen in diesem Bereich getroffen, was dieses Land im Wettbewerb der Kapitalmärkte tendenziell begünstigt.

Freier Dienstleistungsverkehr: Hier wurden vor allem im Bankensektor und im Verkehrsbereich bereits wesentliche Fortschritte erzielt. Für die Banken gilt ab 1993 das Herkunftslandprinzip, d. h. jede Bank, die in einem der Mitgliedstaaten zugelassen ist, darf dann über Zweigstellen -nicht jedoch über Tochterunternehmen -ihre Dienstleistungen auch in allen anderen Mitgliedländern anbieten, wobei sie der Aufsicht des Herkunftslandes unterliegt Der Straßengüterverkehr ist bereits seit dem sog. Untätigkeitsurteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Mai 1985, in dem der Ministerrat zu nachhaltigen Liberalisierungsschritten verpflichtet wurde schrittweise aus den Fesseln der teilweise sehr restriktiven nationalen Wettbewerbsbeschränkungen befreit worden. So gibt es im grenzüberschreitenden Verkehr seit dem 1. Januar 1990 keine Preisbindung mehr, ab 1993 entfallen auch die mengenmäßigen Beschränkungen (Konzessions-Kontingente). Zugleich wurde das sog. Kabotagerecht eingeführt, zunächst in Form eines jährlich erweiterten Kabotage-Kontingentes. In diesem Rahmen dürfen demnach auch nichtge-bietsansässige Unternehmer Transporte in jedem Mitgliedsland ausführen, die z. B. in der Bundesrepublik bisher streng den einheimischen Fuhrunternehmen (im Rahmen entsprechender, mengenmäßig beschränkter Konzessionen) vorbehalten waren. Im Versicherungssektor schließlich wird bisher noch zwischen Verträgen mit Unternehmen und solchen mit Privatpersonen differenziert: Während erstere ab einer bestimmten Größe inzwischen Verträge mit jeder Versicherungsgesellschaft aus dem EG-Raum zu den dort geltenden Bedingungen abschließen dürfen, sind Einzelpersonen aus Gründen des Verbraucherschutzes zunächst noch auf die -vielfach streng regulierten -Versicherungsunternehmen ihres Heimatlandes angewiesen

III. Deregulierung und Wettbewerb der Systeme

Endziel des Binnenmarktes ist, daß sich der Waren-, Personen-, Kapital-und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ebenso frei entfalten kann wie innerhalb der Einzelstaaten selbst. Schon davon werden erhebliche Wohlstandsgewinne aufgrund zunehmenden Wettbewerbs, leistungsfähigerer Unternehmenseinheiten, eines insgesamt vielfältigeren Güterangebotes und nicht zuletzt einer größeren Mobilität von Kapital und Arbeit erwartet. Darüber hinaus hat sich das Binnenmarktprogramm aber schon jetzt als ein wirkungsvoller Hebel zur Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen auch innerhalb der Einzelstaaten erwiesen. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen:

Im Straßengüterfernverkehr der Bundesrepublik besteht eine Vielzahl staatlicher Regulierungen, die ihren Ursprung zumeist noch in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre haben Insbesondere ist seine Ausübung im Binnenverkehr an Konzessionen gebunden, die mengenmäßig beschränkt sind. Mit dem vom Europäischen Gerichtshof verlangten, gleichberechtigten Marktzugang von Transportunternehmen aus anderen EG-Ländern ist diese Beschränkung jedoch kaum zu vereinbaren, dies schon deswegen nicht, weil Konzessionen nur selten freiwerden; infolgedessen wird es zu einem Ende der mengenmäßigen Beschränkungen in diesem Bereich kommen

Die Zulassung ausländischer Versicherer zu den in deren Herkunftsländern geltenden Bedingungen, die für Großrisiken bereits seit 1988 geltendes EG-Recht ist, stellt für die strenge staatliche Regulierung des Versicherungswesens in der Bundesrepublik geradezu einen Sprengsatz dar. Denn die Beschränkungen, denen die deutschen Versicherungen aufgrund dieser Regulierungen ausgesetzt sind, erweisen sich nunmehr als Wettbewerbsnachteil gegenüber den ausländischen Konkurrenten; an die Stelle der früheren Ausländerdiskriminierung tritt so eine Diskriminierung der inländischen Anbieter („Umkehrdiskriminierung“). Infolgedessen kehrte sich auch das Interesse der inländischen Anbieter um, sie plädieren nunmehr für eine Freigabe des Konditionenwettbewerbs anstelle der bisherigen, wettbewerbsbeschränkenden Regelungen, wozu es 1990 auch gekommen ist

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für den Druck, den das Binnenmarktprojekt in Richtung Deregulierung der innerstaatlichen Märkte ausübt, so den Luftverkehrsmarkt und den Handwerksbereich. In letzterem gilt in der Bundesrepublik für Inländer nach wie vor der sog. „Große Befähigungsnachweis“ (Meisterbrief) als unabdingbare Voraussetzung zum Betreiben eines selbständigen Handwerksbetriebes, während das europäische Recht ausländischen Handwerkern den Marktzutritt schon dann ermöglicht, wenn sie die -oft wesentlich milderen -Zulassungsvoraussetzungen ihres Heimatlandes erfüllen

IV. Europäisches und nationales Wettbewerbsrecht

Der engere Zusammenschluß zum europäischen Binnenmarkt hat aber nicht nur indirekte Wettbe-werbswirkungen, sondern er verlagert auch die unmittelbare Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich stärker auf die europäische Ebene. Davon gehen einerseits zusätzliche Liberalisierungsimpulse aus, andererseits entstehen aber auch neue Gefahren für den Wettbewerb.

Positive Auswirkungen auf den Wettbewerb werden von der strengeren Anwendung des Artikel 86 und 90 des EWG-Vertrages erwartet, in denen einerseits das Verbot des Monopolmißbrauchs, andererseits Sonderregelungen für öffentliche Unternehmen festgelegt sind So hat z. B. die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit zumindest in Teilbereichen (Vermittlung von Führungskräften) in Frage gestellt. Aber auch privatrechtlich gestaltete, wenngleich mit staatlicher Billigung oder gar staatlichem Zwang zustandegekommene Kartellabsprachen wie die Tarifbildung im Straßengüter-und Binnenschiffahrtsverkehr stehen gemäß Art. 85 EWG-Vertrag, der solche Absprachen im Grundsatz verbietet auf dem europäischen Prüfstand. Lediglich auf einseitig staatlich festgelegte Preise (wie in der deutschen Stromwirtschaft) greift das EG-Recht (noch) nicht durch

Eine Lücke im EWG-Vertrag bestand lange Zeit hinsichtlich der Kontrolle von Unternehmens-zusammenschlüssen; sie wurde jedoch durch die am 21. Dezember 1989 vom Ministerrat verabschiedete Fusions-Kontrollverordnung geschlossen Ähnlich wie im Fall von Kartellabsprachen (Art. 85 EWG-Vertrag) kann die EG-Kommission allerdings wettbewerbsbeschränkende Fusionen genehmigen, wenn dies dem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt in der Gemeinschaft dient. Damit hat sich der vor allem von Frankreich vertretene, industriepolitisch orientierte Ansatz gegenüber dem stärker wettbewerbspolitischen Ansatz Großbritanniens und Deutschlands durchge-setzt Hierin wird vor allem von deutscher Seite ein Rückschritt gegenüber dem strengeren deutschen Recht gesehen, zumal das EG-Recht im Konfliktfalle grundsätzlich vorgeht. Allerdings können die Einzelstaaten innerhalb einer Dreiwochenfrist die Kommission zwingen, einen nach nationalem Recht problematischen Fusionsfall entweder selbst aufzugreifen oder an die nationale Kontrollbehörde weiterzuleiten. Außerdem steht den Einzelstaaten ein Klagerecht gegen Fusionsgenehmigungen der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof zu

Wettbewerbspolitisch bedeutsam sind schließlich auch die Regelungen über staatliche Beihilfen (Subventionen) in Art. 92 bis 94 EWG-Vertrag. Danach sind solche Beihilfen im Grundsatz mit EG-Recht unvereinbar, wenn sie wettbewerbsverzerrende Wirkungen entfalten oder zu entfalten drohen, allerdings nur, sofern dadurch der Handel zwischen den EG-Staaten beeinträchtigt wird

Auf der Grundlage dieser Regelungen hat die EG-Kommission bereits wiederholt die Reduzierung nationalstaatlicher Subventionen durchgesetzt, so bei der deutschen Regionalpolitik. Da staatliche Subventionen als versteckte Handelshemmnisse mit der vollständigen Öffnung der Grenzen eher noch an Bedeutung gewinnen dürften, wird dieser wettbewerbspolitischen Kompetenz der EG-Kommission in Zukunft ein noch größeres Gewicht als bisher zukommen. Unrühmlich für die Bundesrepublik ist, daß sie -gemessen am Gesamtvolumen -inzwischen zum Spitzenreiter bei den nationalen und gemeinschaftlichen Beihilfen geworden ist

V. Wachstumsimpulse des Binnenmarktes

Im Jahre 1988 legte die EG-Kommission den sog. Cecchini-Bericht vor, in dem versucht wurde, die durch das Binnenmarktprojekt hervorgerufenen gesamtwirtschaftlichen Vorteile zu quantifizieren. Der Bericht unterschied zwischen den Auswirkungen des reinen Binnenmarktprojektes einerseits und den Wachstumsimpulsen, die im Falle bestimmter wirtschaftspolitischer Begleitmaßnahmen zu erwarten seien, andererseits. Kumuliert über den Sechsjahreszeitraum 1988-1993 sollten danach folgende Impulse mit dem Binnenmarkt verbunden sein -Steigerung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um zusätzlich 4, 5 (bzw. 7, 0) Prozent;

-Dämpfung der Inflationsrate um 6, 1 (bzw. 4, 5)

Prozentpunkte;

-Entlastung der öffentlichen Haushalte in Höhe von 2, 2 (bzw. 0, 4) Prozent des BIP;

-Steigerung des Außenbeitrags (Saldo von Exporten und Importen) um 1 (bzw. Senkung um 0, 2) Prozent des BIP; -Schaffung von 1, 8 Mio. (bzw. 5 Mio.) zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Diese Zahlen wird man wohl eher als politische Daten verstehen müssen, die der Öffentlichkeit einen groben Eindruck von den Möglichkeiten vermitteln sollten, die der Binnenmarkt der EG verschafft; eine genaue quantitative Abschätzung der Auswirkungen eines derart vielschichtigen Programms -und dies auch noch getrennt nach den Auswirkungen einzelner Maßnahmenbündel, wie im Cecchini-Bericht geschehen -ist auf wissenschaftlicher Grundlage kaum möglich. Interessant ist der Cecchini-Bericht gleichwohl, zumal die dort durchgespielten Handlungsaltemativen für die Wirtschaftspolitik die wachstumspolitische Phi-losophie der EG recht gut verdeutlichen. So impliziert der Bericht u. a., daß man mehr Wachstum und Beschäftigung auf Kosten der Preisniveaustabilität erreichen könne, was insbesondere von deutscher Seite -mit guten Gründen -stets nachdrücklich verneint worden ist.

Mit der Süderweiterung hat sich das Wohlstands-gefälle innerhalb der EG erhöht. So ist das Pro-Kopf-Einkommen in den wohlhabendsten Mitgliedsländern (Bundesrepublik Deutschland und Dänemark) etwa viermal so hoch wie in den ärmsten Ländern (Portugal und Griechenland), und auch Arbeitslosigkeit und Inflationsrate der sog. Peripherie sind erheblich höher als im harten Kem der Gemeinschaft, der sich aus den sechs Gründungsmitgliedern und Dänemark zusammensetzt. Dies hat zu dem Vorschlag eines Europa der zwei Geschwindigkeiten geführt, in dem weitere Integrationsschritte (insbesondere die Vollendung der Währungsunion) zunächst auf die Kern-länder beschränkt bleiben, während die Peripherie-Länder erst nach entsprechenden Erfolgen insbesondere in der Stabilisierungspolitik mit einbezogen werden sollen. Dieser Vorschlag ist jedoch umstritten, weil er auch die Gefahr eines Auseinanderfallens der Gemeinschaft in sich bergen könnte.

In jedem Falle macht aber die stärkere wirtschaftliche Integration der Gemeinschaft besondere Hilfs-und Ausgleichsmaßnahmen für die wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsländer erforderlich. So erhielten allein die drei südlichen Länder Griechenland, Portugal und Spanien gut 45 Prozent der 1989 gezahlten Regionalzuschüsse; von den rund 29 Mrd. DM, die im Rahmen der drei EG-Strukturfonds bis 1993 ausgegeben werden sollen, sind allein 20 Mrd. DM für die vier strukturschwächsten Länder (Irland und die drei oben genannten) vorgesehenen Der Sachverständigenrat schätzt, daß die Transferzahlungen an diese Länder rund 4 bis 5 Prozent in Relation zu ihrem Bruttoinlandsprodukt ausmachen Darüber hinaus sind diesen Ländern zahlreiche Sonderregelungen gewährt worden, die ihnen den Weg in den gemeinsamen Binnenmarkt erleichtern sollen.

Andererseits läßt sich feststellen, daß die neuen Mitglieder bereits jetzt sehr stark von dem gemeinsamen Markt profitiert haben; insbesondere Spanien und Portugal hatten in den letzten Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten zu verzeichnen und konnten Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit (nicht allerdings bei der Inflationsbekämpfung) erzielen; Griechenland tut sich dagegen, auch aufgrund einer wenig erfolgreichen nationalen Wirtschaftspolitik, bisher noch sehr schwer.

Die Eingliederung des früheren Gebietes der DDR in die EG schafft im Prinzip keine besonderen Probleme für den Binnenmarkt; allerdings sind für einige Wirtschaftsbereiche Ostdeutschlands Übergangsfristen vorgesehen worden, und insbesondere der dortige Agrarsektor wird reduziert werden müssen

Erfolge bei der Konvergenz der Wirtschaftspolitik in Richtung auf niedrigere Inflationsraten und Zinsen sowie -mit Einschränkungen -bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen konnten in den achtziger Jahren in den Kernländern der EG erzielt werden; auch die Wachstumsraten divergieren zwischen diesen Ländern nicht mehr so stark wie zu Beginn des letzten Jahrzehnts Auch die makro-ökonomischen Kenndaten der EG insgesamt haben sich im Laufe der achtziger Jahre in markanter Weise verbessert: So lag die durchschnittliche Wachstumsrate im Zeitraum 1987-1990 mit 3, 4 Prozent gut doppelt so hoch wie im Zeitraum 1981-1984, die Inflationsrate konnte von 8, 7 auf 4, 3 Prozent halbiert werden und die Beschäftigung nahm um jährlich 1, 4 Prozent zu, während sie Anfang der achtziger Jahre mit durchschnittlich -0, 5 Prozent pro Jahr noch rückläufig war Wenngleich zu bedenken ist, daß sich die Weltwirtschaft Anfang der achtziger Jahre in einer Rezession befand, während 1982 eine bis heute anhaltende Prosperitätsphase einsetzte, sind doch die vor einer „Eurosklerose“ warnenden Stimmen inzwischen verstummt In der Tat dürfte das Binnenmarkt-projekt dazu beigetragen haben, daß sich die westeuropäische Wirtschaft Anfang der neunziger Jahre in einer insgesamt robusten Verfassung präsentiert.

VI. Soziale und ökologische Folgen

Traditionelle Elemente der EG-Sozialpolitik sind Bestimmungen zum Unfall-und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, zur Gleichstellung von Männern und Frauen sowie zur Förderung bzw. Gewährleistung der Freizügigkeit und der beruflichen Aus-und Weiterbildung. Darüber hinaus wurden mit den schon erwähnten Strukturfonds Instrumente geschaffen, die im Wege finanzieller Transfers an die Länder der Peripherie die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern verringern sollen.

Die Forderung nach einer Sozialunion, wie sie der EG-Sozialcharta zugrunde liegt, geht jedoch weit darüber hinaus. Vor allem von den Gewerkschaften, aber auch von den Arbeitgeberverbänden der wohlhabenden Länder wird eine Harmonisierung sozialer Rechte und Leistungen auf möglichst hohem Niveau angestrebt, d. h. die Peripherie soll hier möglichst bald mit dem in den Kernländern erreichten Sozialstandard gleichziehen. Im einzelnen geht es dabei um Fragen der zugelassenen Höchstarbeitszeiten, der vorgeschriebenen Ruhe-und Urlaubszeiten, der Arbeitsvertrags-und Kündigungsschutzgestaltung sowie um soziale Leistungen wie Mutterschaftsurlaub, Kinder-und Krankengeld. Nicht zuletzt gehören auch die -in der Bundesrepublik besonders weit entwickelten -Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in diesen Katalog.

Hintergrund der Harmonisierungsforderung ist die Befürchtung eines sog. Sozialdumpings durch die Länder der Peripherie. Diese hielten, so wird argumentiert, ihre Arbeitskosten vergleichsweise niedrig, indem sie ihren Arbeitnehmern entsprechende soziale Leistungen und Rechte vorenthielten, und verschafften sich so einen künstlichen Wettbewerbsvorteil zu Lasten der Kernländer. In der Folge, so die weitere Argumentation, könnten die Kernländer zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ihrerseits zu einem Abbau ihres hohen Sozial-standards gezwungen sein, was aber wohl kaum der Sinn des Binnenmarktes sei und somit nicht hingenommen werden könne.

Die Gegenthese verweist darauf, daß das Niveau der sozialen Leistungen bzw.der damit verbun-denen Lohn-und Lohnzusatzkosten nicht unabhängig von der Arbeitsproduktivität betrachtet werden dürfen. Vielmehr sei das hohe soziale Sicherungsniveau in den Kernländem nur das Spiegelbild der dort sehr hohen Produktivität, während sich die Länder der Peripherie ein solches Niveau auf absehbare Zeit kaum leisten könnten; sie gerieten dabei vielmehr ihrerseits in Gefahr, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen den Arbeitskosten der EG-Länder weitaus geringer, wenn man sie zu der jeweiligen Produktivität in Beziehung setzt, also die Lohnstückkosten anstelle der reinen Lohnniveaus vergleicht

Ein weiteres Gegenargument verweist darauf, daß die Länder der Peripherie im Unterschied zu den Kernländem bislang überwiegend Handelsbilanzdefizite aufweisen; eine Steigerung ihrer Exporte wäre also im Sinne des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts durchaus erwünscht. Und schließlich ist die gewerkschaftliche Position in dieser Frage insofern widersprüchlich, als sie in anderem Diskussionszusammenhang stets die produktivitätssteigernden Wirkungen hervorheben, die das gut ausgebaute soziale Netz in der Bundesrepublik zur Folge hat (weniger Arbeitskämpfe, größere Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer, höherer Ausbildungsstand etc.). Soweit dieses Argument zutrifft, müßte der hohe Sozialstandard eigentlich die Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen im Binnenmarkt verbessern, und soweit dies nicht der Fall ist, wäre ja in der Tat die Sinnhaftigkeit der betreffenden sozialen Errungenschaften zu hinterfragen. Dies ist zumindest Position derjenigen, die die auch in diesem Bereich einem „Wettbewerb der Systeme“ den Vorzug gegenüber einer akzentuierten Harmonisierungsstrategie geben.

Ganz ähnliche Probleme treten im Zusammenhang mit der Umweltpolitik im europäischen Binnenmarkt auf. Auch hier wird argumentiert, der hohe Umweltstandard etwa der Bundesrepublik im Vergleich zu den Ländern der Peripherie, aber auch z. B. im Vergleich zu Frankreich, gefährde die deutsche Wettbewerbsposition und müsse daher ohne entsprechende Harmonisierung in den ande-ren Ländern dazu führen, daß entweder Arbeitsplätze verloren gingen oder der Umweltschutz in den Hochstandardländern zurückgenommen werden müsse (sog. Öko-Dumping). Erschwerend kommt hier noch hinzu, daß mangelhafter Umweltschutz in den Nachbarländern die eigenen ökologischen Anstrengungen auch direkt konterkariert, indem z. B. Abwässer oder Luftverunreinigungen „exportiert“ werden. Was nützen z. B. die deutschen Anstrengungen zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen, wenn gleichzeitig in anderen Ländern um so mehr emittiert wird oder gar deutsche Unternehmen, abgeschreckt durch entsprechende Umweltabgaben, dazu übergehen, in den europäischen Nachbarländern zu produzieren?

Im Prinzip gelten im Hinblick auf das „Öko-Dumping“ dieselben Harmonisierungsbegründungen und Gegenargumente wie beim „Sozialdumping“: Einerseits ist ein zumindest vorübergehender Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen in den Hochstandardländern nicht zu leugnen, andererseits kommt es auch hier auf die Gesamtsicht des Standortes an. Es ist im übrigen aus ökonomischer Sicht nichts dagegen einzuwenden, daß umweltbelastende Produktionen in solche Regionen bzw. Länder abwandern, in denen sie aufgrund einer insgesamt noch geringen Beanspruchung der Umwelt-ressource oder auch aufgrund andersgelagerter Präferenzen der Bevölkerung vergleichsweise wenig belastend wirken. Zumindest auf längere Sicht erscheint es zudem durchaus zweifelhaft, ob hohe Umweltstandards wirklich einen Wettbewerbs-nachteil darstellen oder ob sie nicht vielmehr dazu führen, daß die betroffenen Unternehmen ein ökologisches Know how entwickeln, welches ihnen letztlich sogar Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten aus anderen Ländern verschafft. EG-politischer Handlungsbedarf erscheint daher vorwiegend mit Blick auf die grenzüberschreitenden Emissionen angezeigt, weniger im Sinne einer -im übrigen auch dem Föderalprinzip zuwiderlaufenden -alles vereinheitlichenden Harmonisierungspolitik

Wenig einzuwenden ist allerdings gegen EG-einheitliche Mindeststandards; selbst wenn sie in manchen Fällen hinter dem Zurückbleiben, was bisher schon in einzelnen Ländern erreicht wurde, so kann der Gesamteffekt für die Umwelt dennoch höher sein als der einer nationalstaatlichen Umweltpolitik, bei der zwar einzelne Staaten mehr tun mögen, andere dagegen nahezu überhaupt nichts.

Ein weiteres Problem stellen die umweltpolitischen Auswirkungen des Binnenmarktprogramms selbst bzw.des mit diesem verbundenen zusätzlichen Wirtschaftswachstums dar. Eine von der EG bereits 1973 eingesetzte sog. Task Force hat die entsprechenden Auswirkungen abzuschätzen versucht und ist auf einen Anstieg der Emissionen um z. B. 8 bis 9 Prozent bei Schwefeldioxid bzw. von 12 bis 14 Prozent bei Stickoxid bis zum Jahre 2010 gekommen Dabei handelt es sich allerdings um eine Statusquo-Prognose, bei der noch keine politischen Gegensteuerungsmaßnahmen berücksichtigt wurden. Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sind nämlich keineswegs zwangsläufig positiv miteinander verknüpft, sondern dies hängt maßgeblich von den durch die Wirtschaftspolitik gesetzten Rahmenbedingungen ab. Gerade die umweltpolitische Handlungsfähigkeit der EG hat sich aber in der Vergangenheit als besonders schwach in solchen Zeiten erwiesen, in denen die Wachstumsraten niedrig und daher die Opportunitätskosten des Umweltschutzes hoch waren

VII. Binnenmarkt und Welthandel

Auf die handelsablenkenden Wirkungen eines Binnenmarktes wurde bereits hingewiesen. In diesem Zusammenhang wurden auf Seiten der nicht der EG angehörenden Drittländer Befürchtungen laut, das Binnenmarktprogramm könne im Ergebnis auf eine „Festung Europa“ hinauslaufen, in der Importe aus Drittländern (z. B. japanische Automobile) diskriminiert würden und somit der Welthandel behindert werde. Verstärkt wurden diese Befürchtungen durch das vorläufige Scheitern der sog. Uruguay-Runde, in der die Staaten des Allgemeinen Handels-und Zollabkommens (GATT) bisher vergeblich versuchen, u. a. das Problem des Agrarprotektionismus zu lösen, bei dem die EG -zu Recht -ganz vorne auf der Anklagebank sitzt.

Der Sachverständigenrat hat in diesem Zusammenhang nachdrücklich gefordert, den Protektionismus der EG gegenüber Drittländern -nicht nur im Agrarbereich -aufzugeben und statt dessen die Prinzipien von Freihandel und Meistbegünstigung auch gegenüber diesen Staaten anzuwenden Er hat dabei nicht nur auf die Gefahr von Gegenmaßnahmen der betroffenen Länder (insbesondere der USA) hingewiesen, sondern auch auf die Nachteile, die die Verbraucher in der EG selbst von diesem Protektionismus haben. In der Tat würde das Binnenmarktprojekt Stückwerk bleiben, wenn es nicht um entsprechende Liberalisierungsmaßnahmen gegenüber den Drittländern ergänzt würde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur Entstehung der EG: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes 1992, Bonn 1989, S. 6f.; Hartmut Berg, Außen-wirtschaftspolitik, in: Dieter Bender u. a. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, München 19883, S. 469ff.

  2. Großbritannien blieb dem Währungsverbund zunächst fern und trat ihm erst im Oktober 1990 bei. Für Italien galt zunächst eine höhere Bandbreite von ± 6 Prozent; auch anderen Mitgliedstaaten wie später Griechenland wurden teilweise Sonderkonditionen gewährt.

  3. Vgl. im einzelnen Europäische Wirtschafts-und Währungsunion (WWU). Ergebnisse des EG-Gipfels von Maastricht, in: Wittener Konjunkturarchiv, 1 (1991), S. 94.

  4. Durch die deutsche Vereinigung ist die Bevölkerungszahl der EG um rund fünf Prozent auf 345 Mio, Einwohner (1990) angewachsen.

  5. Die Zahlenangabe basiert auf jeweiligen Preisen und Kaufkraftparitäten von 1985; Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Internationale Wirtschaftszahlen 1991, Tab. 6 sowie eigene Berechnungen.

  6. Paragraph 8a EWG-Vertrag, zitiert nach: Bundesministerium für Wirtschaft (Anm. 1), S. 6.

  7. Vgl. EG-Haushalt -Immer noch agrarlastig, in: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd), (1991) 2, S. 2.

  8. Vgl. ebd.; den größten Ausgabenblock stellen allerdings mit 31, 5 Mrd. DM bzw. einem Anteil von knapp 54 Prozent an den Gesamtausgaben nach wie vor die Interventionen auf dem Agrarmarkt (Abteilung Garantie des EAGFL) dar.

  9. Vgl. Europäischer Binnenmarkt -Schneller entschieden, in: iwd, (1991) 19, S. 6.

  10. Vgl. die Übersicht im Handelsblatt vom 20. Dezember 1990, S. 10.

  11. Im Jahre 1989 wurden 664 Verfahren wegen Verletzungen des EG-Vertrages eingeleitet, mehr als doppelt soviel wie 1982; vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1990/91, TZ 463.

  12. Vgl. EG-weite Untergrenze für die Mehrwertsteuer, in: Wittener Konjunkturarchiv, 1 (1991), S. 42.

  13. Vgl. kritisch dazu Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 464; Europas Unternehmen präsentieren sich für Übergangsregeln bisher wenig gerüstet, in: Handelsblatt vom 10. September 1991, S. 6.

  14. Vgl. ausführlich Europäischer Wirtschaftsraum. Ansatz für eine gesamteuropäische Integration, in: DIW-Wochenbericht, 58 (1991) 47, S. 669-673.

  15. Vgl. H. Berg (Anm. 1), S. 467f.

  16. Rund 57 Prozent der EFTA-Exporte gehen in die EG; die EFTA-Länder Österreich und Schweden haben inzwischen Aufnahmeanträge in die EG gestellt, die jedoch nach einem Beschluß der EG-Kommission -ebenso wie alle anderen Aufnahmegesuche -nicht vor 1993 behandelt werden sollen.

  17. Vgl. Michael Kreile (Hrsg.), Europa 1992. Konzeptionen, Strategien, Außenwirkungen, Baden-Baden 1991; Heinz W. Adams (Hrsg.), Europa 1992, Frankfurt/M. 1989; Beihefte der Konjunkturpolitik, Heft 36 (Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes), Berlin 1990.

  18. Vgl. Jochen Michaelis, Gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen in der EG, in: Wirtschaftsdienst, 70 (1990), S. 483ff.

  19. Dennoch ist wohl auch weiterhin mit solchen „Monstren“ wie der legendären, lOOseitigen Richtlinie über „vor dem Fahrersitz angebrachte Umsturzvorrichtungen an land-und forstwirtschaftlichen Schmalspurzugmaschinen auf Rädern“ (gemeint sind Überrollbügel für Traktoren) zu rechnen, vgl. ebd., S. 486.

  20. Geldpolitisch ist sie allerdings der Zentralbank des Gast-landes unterstellt, d. h. sie hat z. B. die dort geltenden Mindestreserveerfordernisse einzuhalten.

  21. Anlaß war eine 1983 erhobene Klage des Europäischen Parlaments gegen den Ministerrat wegen dessen Untätigkeit auf diesem Gebiet.

  22. Die derzeit geltende Rechtslage ist im einzelnen wesentlich komplizierter, als es hier dargestellt werden kann. So wird z. B. bei Lebensversicherungen danach unterschieden, ob die Initiative zum Vertragsabschluß vom Versicherungsnehmer oder von der Versicherung selbst ausgeht; ersterer Fall wird liberaler gehandhabt.

  23. Vgl. Ulrich van Suntum, Verkehrspolitik, München 1986, S. 13ff., 36.

  24. So auch die Deregulierungskommission in ihrem ersten Bericht: Marktöffnung und Wettbewerb, o. O. März 1990, S. 142f.

  25. Vgl. Jürgen Basedow, Deregulierung -ein Muß im EG-Binnenmarkt, in: Wirtschaftsdienst, 71 (1991), S. 375.

  26. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse im Bereich der ärztlichen Versorgung, wo für EG-Bürger die volle Niederlassungsfreiheit gilt, sofern sie die in ihrem jeweiligen Heimatland geltenden Voraussetzungen für den Betrieb einer eigenen Arztpraxis erfüllen.

  27. Vgl. J. Basedow (Anm. 25), S. 374f.

  28. Es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmeklauseln von diesem Verbot, so für den Fall, daß durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung -und nur durch diese -wesentliche Vorteile (z. B. Kostensenkungen) erreicht werden können, diese den Verbrauchern zugute kommen und der Wettbewerb dadurch nicht vollständig ausgeschaltet wird; vgl. dazu näher Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Europäische Wettbewerbspolitik -die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages, Bonn 1989.

  29. Vgl. J. Basedow (Anm. 25), S. 374.

  30. Vgl. Ingo Schmidt, Die Europäische Fusionskontroll-Verordnung, in: Wirtschaftsdienst, 70 (1990), S. 90ff.

  31. Zwar kennt auch das deutsche Wettbewerbsrecht den Ausnahmetatbestand der sog. „Ministererlaubnis“ aus gesamtwirtschaftlichen Gründen, jedoch sind hier schon durch die Kompetenztrennung zwischen Kartellamt einerseits und Wirtschaftsminister andererseits sowie durch die zwingende Anhörung der Monopolkommission in solchen Fällen Barrieren gegen eine Aufweichung des Wettbewerbsschutzes eingezogen worden, die im europäischen Recht fehlen.

  32. Diese Elemente der sog. „nationalen Restkompetenz“ wurden vor allem auf deutschen Druck in die Verordnung aufgenommen. Vgl. Die EG-Kommission rechnet mit bis zu 60 Fusionskontrollfällen pro Jahr, in: Handelsblatt vom 27. 12. 1989, S. 3; Hans Mundorf, Der Preis für Europa, in: Handelsblatt vom 27. 12. 1989, S. 2.

  33. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Euro-Informationsbroschüre „Staatliche Beihilfen“, Bonn 1989.

  34. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 467.

  35. Es wurde unterstellt, daß durch den Binnenmarkt zusätzliche Handlungsspielräume für die Wirtschaftspolitik entstehen, die z. B. für noch höheres Wirtschaftswachstum -allerdings dann auf Kosten anderer Ziele wie Preisniveaustabilität -genutzt werden können.

  36. Die Angaben beziehen sich auf den gesamten EG-Raum. Die Auswirkungen für den Fall, daß die Wirtschaftspolitik einen Teil des finanzpolitischen Handlungsspielraums für zusätzliche Wachstumsimpulse (auf Kosten der Preisniveaustabilität) nutzt, sind in Klammem angegeben. Vgl. Lutz G. Stavenhagen, Der europäische Binnenmarkt -Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 206 (1989), S. 476ff.

  37. Hierzu sind neben den vier südlichen Ländern Italien, Spanien, Portugal und Griechenland auch Großbritannien und Irland zu zählen.

  38. Mit Blick auf die verhältnismäßig niedrige Inflationsrate kann auch Irland noch zum „harten Kern“ gerechnet werden, in bezug auf Pro-Kopf-Einkommen und Arbeitslosigkeit gehört dieses Land dagegen eher zur Peripherie.

  39. Vgl. Die soziale Dimension, in: iwd, (1989) 16, S. 4.

  40. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 469.

  41. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 470.

  42. Vgl. Peter G. Rogge, Towards a Single Financial Market in Europe -Implications and Challenges for Outsiders, in: List Forum für Wirtschafts-und Finanzpolitik, 17 (1991), S. 132ff.

  43. Vgl. die Übersicht bei Barbara Böttcher, EG ’ 92: wirtschaftliche Initialzündung erfolgt, in: Deutsche Bank Bulletin, Juni 1990, S. 5.

  44. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 462.

  45. Vgl. zum folgenden Angelos Kotios/Manfred Schäfers, Soziale Dimension und Kohäsion: Ergänzung oder Widerspruch?, in: Wirtschaftsdienst, 70 (1990), S. 200ff.; Dirk Meyer, Die Sozialcharta als Gegenstück zum EG-Binnenmarkt?, in: ebd., S. 519ff.

  46. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, TZ 460 ff.

  47. Gleichwohl bleibt die Bundesrepublik nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft auch dann noch das teuerste Land (nach Dänemark) mit einem Vorsprung von z. B. 9 Prozent gegenüber Frankreich bzw. von fast 30 Prozent gegenüber Spanien; vgl. Teures Deutschland, in: iwd, (1991) 24, S. 6.

  48. Vgl. Paul Klemmer, Harmonisierung der Umweltpolitik in der EG, in: Wirtschaftsdienst, 71 (1991), S. 262 ff.

  49. Vgl. Umweltschutz und Europäischer Binnenmarkt. Herausforderung und Chance für die deutsche Wirtschaft, in: ifo-schnelldienst, (1990) 23, S. 19.

  50. Vg(. Jan C. Bongaerts, Die Entwicklung der europäischen Umweltschutzpolitik, in: WSI-Mitteilungen, (1989) 10, S. 580.

  51. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 11), TZ 471 ff.

Weitere Inhalte

Ulrich van Suntum, Dr. rer. oec., geb. 1954; ordentlicher Professor und Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik und Konjunkturforschung an der Universität Witten/Herdecke; 1985-1990 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum; 1987/88 Generalsekretär des Sachverständigen-rates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Veröffentlichungen u. a.: Regionalpolitik in der Marktwirtschaft, Baden-Baden 1981; Konsumentenrente und Verkehrssektor, Berlin 1986; Verkehrspolitik, München 1986; (Mithrsg.) Grundlagen und Erneuerung der Marktwirtschaft, Baden-Baden 1988; Hrsg, des Wittener Konjunktur-Archivs.