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Europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Von der Marktintegration zur politischen Integration | APuZ 7-8/1992 | bpb.de

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APuZ 7-8/1992 Europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Von der Marktintegration zur politischen Integration Wettbewerb und Wachstum im europäischen Binnenmarkt Europäische Zentralbank. Europäische Währungsunion ante portas? Ordnungspolitik im Reformprozeß Osteuropas

Europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Von der Marktintegration zur politischen Integration

Elke Thiel

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Zusammenfassung

Im Februar 1992 soll der Vertrag über die Europäische Union unterzeichnet werden, dem der Europäische Rat im Dezember 1991 in Maastricht zugestimmt hat. Er schafft die rechtlichen und institutionellen Grundlagen für die Vollendung der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion (WWU) und für den Einstieg zu einer Integrationsvertiefung in anderen Politikbereichen, insbesondere zur Schaffung einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik. Die Endstufe der WWU soll spätestens am 1. Januar 1999 mit den Mitgliedstaaten beginnen, in denen die hierfür notwendigen stabilitätspolitischen Voraussetzungen bestehen. Andere Mitgliedstaaten sollen zu einem späteren Zeitpunkt beitreten, wenn sie die in dem Vertrag festgelegten Qualifikationskriterien erfüllen. Die WWU wird nach deutschen ordnungs-und stabilitätspolitischen Grundsätzen gebildet werden. In der Endphase müssen die Mitgliedsländer die Kompetenz für die Geldpolitik einem gemeinsamen Organ, dem Europäischen Zentralbanksystem übertragen. Daß sich die Mitgliedstaaten auf dieses Konzept einigen konnten, ist der guten Zusammenarbeit und der wirtschaftspolitischen Annäherung im 1979 gegründeten Europäischen Währungssystem (EWS) zuzurechnen. Die Wende in einigen Mitgliedstaaten von einer keynesianischen Beschäftigungspolitik zu einer Politik der Inflationsbekämpfung und zu marktwirtschaftlichen Prinzipien machte das EWS zu einem Erfolg und schuf die Voraussetzungen für das Binnenmarktprogramm 1992. Die Bestimmungen über die WWU schreiben im Grunde das fest, was die Mitglieder des EWS praktiziert haben, als sie sich dem stabilitätsorientierten Kurs der Deutschen Bundesbank anpaßten. Die WWU eignet sich nicht für halbe Integrationsschritte und Kompromisse. Für die Geldpolitik muß es klare Zuständigkeiten geben. Der Vertrag soll die mit einer WWU verbundenen Stabilitätsrisiken so weit wie möglich ausschalten. So verwundert es nicht, daß die Vertragsbestimmungen die WWU in allen Einzelheiten regelt, während für andere Politikbereiche zunächst der Rahmen abgesteckt wird, der durch eine weitere Revision und Ergänzung der Verträge ausgefüllt werden muß.

I. Von der Einheitlichen Europäischen Akte zum Vertrag über die Europäische Union

Auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rats in Maastricht am 9. und 10. Dezember 1991 haben die Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft einem Vertragswerk zugestimmt, das die Grundlage für die Vollendung der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion (WWU) noch in diesem Jahrtausend sowie für weitere politische Integrationsschritte bildet, insbesondere die Annäherung auf eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik. Nach einer Überarbeitung der Texte soll der Vertrag über die Europäische Union im Februar 1992 unterzeichnet werden.

Der Vertrag über die Europäische Union ist die zweite grundlegende Revision und Ergänzung der europäischen Verträge, die 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Pariser Vertrag) und 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft (Römische Verträge) begründet haben. Maßgebend hierfür ist Artikel 236 EWG-Vertrag. Danach müssen Änderungen der Verträge von einer Regierungskonferenz ausgehandelt und von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden.

Die erste Vertragsrevision erfolgte durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA), die im Februar 1986 unterzeichnet wurde und am l. Juli 1987 in Kraft trat, nachdem die Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedstaaten abgeschlossen waren. Seitdem hat die Europäische Gemeinschaft eine Dynamik entwickelt, die ihr zum damaligen Zeitpunkt kaum jemand zugetraut hatte. Die Gemeinschaft hatte eine Phase hinter sich, die allgemein als Zustand der Eurosklerose bezeichnet wurde: Der Streit um die Finanzierung des EG-Haushaltes und die Reform der Agrarpolitik sowie das Bestehen der Mitgliedstaaten auf Einstimmigkeit der Beschlußfassung auch dort, wo nach den Verträgen Mehrheitsentscheidungen vorgesehen waren, hatte die Gemeinschaft über Jahre blockiert.

Die Einheitliche Europäische Akte war für viele Beobachter eine pragmatische Reform der kleinen Schritte. Sie blieb hinter dem zurück, was zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft für notwendig gehalten wurde und vom Europäischen Parlament gefordert worden war. Die Gemeinschaft schien damit ihre Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Daß nur fünf Jahre später im Dezember 1990 in Rom neue Vertragsverhandlungen über die Wirtschafts-und Währungsunion und die Politische Union aufgenommen werden würden, hat zu diesem Zeitpunkt niemand vorausgesagt. Den Anstoß für. die Einberufung dieser beiden Regierungskonferenzen gaben die Bestrebungen, das 1979 gegründete Europäische Währungssystem (EWS) in Richtung auf eine Wirtschafts-und Währungsunion mit einem Europäischen Zentralbank-system weiterzuentwickeln. Nach den Vorschriften der Einheitlichen Europäischen Akte ist für institutioneile Änderungen im Bereich der Währungspolitik ein neuer Vertrag gemäß Art. 236 EWG-Vertrag erforderlich. Als diese Bestimmung in die EEA aufgenommen wurde, war der allgemeine Eindruck, daß sich die Gemeinschaft in absehbarer Zukunft wohl kaum mit dieser Aufgabe befassen würde.

Das EWS war 1979 durch ein Abkommen zwischen den Notenbanken gegründet worden und hatte sich auf der Basis einer engen Zusammenarbeit der Währungsbehörden günstiger entwickelt, als man es zunächst erwartet hatte. Die Vorstellungen über eine mögliche Weiterentwicklung des Systems lagen jedoch weit auseinander. Die verschiedenen Vorschläge, die für eine Stärkung der Institutionen des EWS gemacht worden waren, liefen im Grunde alle auf einen gewissen Automatismus zur Stützung der schwächeren Währungen des Systems hinaus. Die deutsche Regierung und die Bundesbank sahen darin eine Gefahr für die Wahrung der Preisstabilität und konnten solchen Plänen nicht zustimmen. Die Bestimmung der EEA, daß institutioneile Veränderungen im EWS Gegenstand eines neuen Vertrages sein müssen, sollte sicherstellen, daß es in der Währungspolitik keine schleichende Aufweichung nationaler Zuständigkeiten geben würde.

Die Initiative, die zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen über die Wirtschafts-und Währungsunion führte, ging vom deutschen Außenminister aus. Im Februar 1988 schlug Hans-Dietrich Genscher in einem Memorandum vor, der Europäische Rat solle auf seiner Tagung in Hannover im Juni 1988 am Ende der deutschen EG-Präsidentschaft einem Ausschuß von Sachverständigen den Auftrag erteilen, innerhalb eines Jahres einen Bericht über die Grundsätze für die Schaffung eines europäischen Währungsraumes mit einer Europäischen Zentralbank sowie ein Konzept für die in der Übergangszeit zu treffenden Maßnahmen vorzulegen. Die Verfassung für eine Europäische Zentralbank solle sich an den Grundsätzen des Bundesbankgesetzes orientieren 1.

Der Europäische Rat betraute auf seiner Tagung in Hannover den sog. Delors-Ausschuß mit dieser Aufgabe. Unter dem Vorsitz des Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors, gehörten dem Ausschuß die Präsidenten der Notenbanken der EG-Mitgliedstaaten ad personam an, sowie ein weiterer Vertreter der EG-Kommission und drei unabhängige Währungsexperten. Der Delors-Ausschuß legte seinen Bericht im April 1989 vor. Er sprach sich einstimmig für die Schaffung eines politisch unabhängigen Europäischen Zentralbanksystems nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank aus. Er schlug vor, die Wirtschafts-und Währungsunion in drei Stufen zu verwirklichen. Die erste Stufe der WWU sollte am l. Juli 1990 beginnen, dem Stichtag für die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs im Rahmen des Binnenmarktprogramms.

Für den Eintritt in die zweite und dritte Stufe machte der Delors-Bericht keine Zeitvorschläge. Er empfahl jedoch, daß die Entscheidung über die Einleitung der ersten Stufe zugleich eine Entscheidung für den gesamten Prozeß sein sollte. Um die Kontinuität des Prozesses zu gewährleisten, sollten die Verhandlungen über einen neuen Vertrag unverzüglich eingeleitet werden 2. Im Juni 1989 nahm der Europäische Rat in Madrid den Delors-Bericht an, beschloß den Eintritt in die erste Stufe der WWU am Im Juni 1989 nahm der Europäische Rat in Madrid den Delors-Bericht an, beschloß den Eintritt in die erste Stufe der WWU am 1. Juli 1990 und sprach sich für die Einberufung der Regierungskonferenz aus, „sobald die erste Stufe der WWU begonnen hat“. Den Verhandlungen sollte eine umfassende und angemessene Vorbereitung vorausgehen

Die grundsätzliche Entscheidung über die Einberufung einer neuen Regierungskonferenz setzte Bestrebungen in Gang, die Vertragsverhandlungen über die WWU mit Verhandlungen über eine weitere Vertiefung der Integration in Richtung auf eine Politische Union zu verbinden. So schlug z. B. Jacques Delors in einer Rede vor dem Europäischen Parlament im Januar 1990 vor, daß die Regierungskonferenz Überlegungen in zwei Richtungen anstellen sollte: über die Wirtschafts-und Währungsunion und ihre institutioneilen Aspekte sowie über die übrigen Fragen einer Vertiefung der Gemeinschaft einschließlich der Europäischen Politischen Zusammenarbeit

Für den Sondergipfel in Dublin im April 1990 schlugen Staatspräsident Francois Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl der irischen EG-Präsidentschaft vor, der Europäische Rat solle beschließen, die vorbereitenden Arbeiten für eine Regierungskonferenz über die Politische Union einzuleiten. Beide Konferenzen sollten vor Ende des Jahres unter italienischer Präsidentschaft eröffnet werden, mit dem Ziel, daß das Vertragswerk über die Wirtschafts-und Währungsunion und die Politische Union am 1. Januar 1993 nach der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente in Kraft treten könne

II. Integrationsdynamik

Die gegenwärtige Integrationsdynamik in der EG ist dem günstigen Zusammenwirken verschiedener Faktoren zuzuschreiben. Die Gemeinschaft reagiert auf wirtschaftliche und politische Herausforderungen, die von außen kommen, mit dem Be-streben, sich enger zusammenzuschließen. Mit fortschreitender Integration wird die EG zu einer Handlungsebene, auf der die Mitgliedstaaten gemeinsam ihre internationalen Interessen besser vertreten können, als es den einzelnen Staaten möglich ist. 1. Annäherung wirtschaftspolitischer Konzeptionen Auslöser für den Aufschwung, den die Gemeinschaft seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte zu verzeichnen hat, war das Programm der EG-Kommission zur Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes ohne Grenzen bis Ende 1992. Die Herstellung der vier Freizügigkeiten, die Merkmale eines einheitlichen Binnenmarktes sind, nämlich die Freizügigkeit für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital, waren bereits Zielsetzungen des EWG-Vertrages von 1957. Während die Zollunion (Abbau der Zölle im Gemeinsamen Markt) bereits eineinhalb Jahre früher als ursprünglich geplant am 1. Juli 1968 verwirklicht wurde, kam die Gemeinschaft jedoch nur sehr stockend mit dem Abbau aller anderen nationalen Beschränkungen voran, die einem einheitlichen Binnenmarkt entgegenstehen. Dies hing zum Teil damit zusammen, daß die Harmonisierung aller nationalen Vorschriften wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen war als der Abbau der Zölle, vor allem wenn die Mitgliedstaaten darauf bestanden, daß die Beschlüsse einstimmig erfolgen mußten. Hinzu kam, daß die Regierungen nicht bereit waren, die Instrumente nationaler Wirtschaftsreglementierung aus der Hand zu geben. Die Mitgliedstaaten verzichteten damit auf die Vorteile, die ein großer Markt zu bieten hat.

Interessanterweise kamen die Anstöße für das europäische Binnenmarktprogramm Mitte der achtziger Jahre aus Kreisen der Wirtschaft, die Fortschritte bei der Herstellung eines einheitlichen europäischen Marktes forderten, weil sie sich davon eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einer wachsenden Konkurrenz aus Japan und Ostasien erwarteten. Auch bei den Regierungen zeichnete sich eine stärkere Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Prinzipien ab, nachdem der wirtschaftliche Interventionismus der siebziger Jahre die zentralen Probleme von Arbeitslosigkeit und niedrigem Wachstum nicht hatte überwinden können.

Durch diesen Wandel in den wirtschaftspolitischen Konzeptionen wurde das Binnenmarktprogramm zum Anker der Bestrebungen, die Entscheidungsprozesse in der Gemeinschaft zu vereinfachen. Die EEA stärkt insbesondere die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft in den Bereichen, in denen es darum geht, dem gemeinsamen Binnenmarkt zum Durchbruch zu verhelfen. Von einigen zentralen Fragen abgesehen werden Entscheidungen, die den Binnenmarkt betreffen, mit qualifizierter Mehrheit getroffen. Des weiteren werden die Entscheidungsprozesse dadurch erleichtert, daß das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Regelungen und die Einführung von Mindeststandards an die Stelle eines langwierigen Prozesses der Harmonisierung aller nationaler Bestimmungen tritt.

Die Aussicht auf den Binnenmarkt 1993 gab den Plänen, eine Europäische Wirtschafts-und Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung zu schaffen, neuen Auftrieb. Auch diesmal waren es insbesondere Kreise der Wirtschaft, die eine europäische Währung forderten, da dies die Rationalisierungsvorteile eines großen Binnenmarktes noch steigern würde. Auf deutscher Seite war man sich aber darüber einig, daß eine europäische Währung nur dann von Vorteil sei, wenn sie die gleiche Qualität aufweisen würde wie die DM. Dies sicherzustellen, soweit man es durch vertragliche Regelungen kann, war das deutsche Verhandlungsziel für den WWU-Vertrag.

Die Römischen Verträge und auch die EEA nennen das Ziel der WWU nicht ausdrücklich. Für eine Gemeinschaft, die sich die politische Einigung zum Ziel gesetzt hat, ist die WWU nach der Vollendung des Gemeinsamen Marktes jedoch eine folgerichtige Entwicklung. Schon 1969 hatten die Staats-und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen in den Haag die Gründung einer Wirtschafts-und Währungsunion als einen Schritt ins Auge gefaßt, um nach der Vollendung der Zollunion die Integration in Richtung auf eine Europäische Union zu vertiefen. Dieses Vorhaben scheiterte bereits auf der ersten Stufe der WWU an der Unvereinbarkeit der nationalen Wirtschaftspolitiken, insbesondere zwischen den großen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Nach dem Übergang zu freien Wechselkursen im internationalen System im Frühjahr 1973 zeigte sich, daß auch die europäische Währungsschlange als Festkurssystem zwischen den Währungen der Mitgliedsländer nicht aufrechtzuerhalten war. Großbritannien, Irland und Italien schieden bereits in der Anfangsphase aus dem System aus. Frankreich versuchte zunächst, in der Währungsschlange den Anschluß an die stärkere DM zu halten, verließ das Festkurssystem dann aber zuerst vorübergehend und schließlich endgültig. Die Freigabe des Wechselkurses wurde von diesen Ländern als ein Weg gesehen, um Handlungsspielräume für eine nationale Konjunktur-und Beschäftigungspolitik zu gewinnen. Die Kehrseite war eine Abwertung der Währungen, die den Inflationsdruck verstärkte. Zugleich gelang es diesen Ländern nicht, die Beschäftigungssituation im Inland nachhaltig zu verbessern. Diese Erfahrung trug dazu bei, daß Ende der siebziger Jahre in allen westlichen Ländern der Stabilität des Wechselkurses und der Inflationsbekämpfung wieder eine größere Priorität eingeräumt wurde. Die Wende von einer keynesianischen Beschäftigungspolitik zu einem an der Wiedergewinnung der Preisstabilität orientierten Kurs bereitete den Boden für die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS) im März 1979.

Das EWS war wesentlich erfolgreicher, als es viele bei der Einführung des Systems vorausgesagt hatten. Es hat sich zu einer Zone nicht nur stabiler Wechselkurse sondern auch relativ stabiler Preise entwickelt, was angesichts der großen Inflationsunterschiede in den Mitgliedsländern bei der Einführung des Systems kaum zu erwarten war. Die wirtschaftspolitische Annäherung im EWS fand eine Fortsetzung in der Einigung auf die marktwirtschaftlichen Prinzipien für die Herstellung des europäischen Binnenmarktes. Beides schuf die Voraussetzung dafür, daß sich die Mitgliedstaaten 1988 erneut dem Ziel der Wirtschafts-und Währungsunion zuwandten. 2. Erfahrungen mit dem Europäischen Währungssystem Das EWS ist ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse. Acht EG-Staaten beteiligten sich von Anfang an am EWS-Wechselkursverbund: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg, Irland und Italien. Die generelle Regelung ist, daß Abweichungen der Marktkurse von den vereinbarten Leitkursen nur innerhalb einer Bandbreite von 2, 25 Prozent nach oben und unten möglich sind. Die Notenbanken müssen durch Interventionen an den Devisenmärkten dafür sorgen, daß diese Margen nicht überschritten werden. Für Italien galt bis zum Eintritt der Lira in die 2, 25-Prozent-Marge im Januar 1990 als Sonderregelung eine erweiterte Bandbreite von sechs Prozent. Dadurch sollte dem größeren Anpassungsbedarf der italienischen Wirtschaft Rechnung getragen werden. Spanien trat dem EWS-Wechselkursverbund im Juni 1989 und Großbritannien im Oktober 1990 bei. Für beide Länder gilt im Augenblick noch die erweiterte Marge von sechs Prozent.

Die Gründung des EWS war für alle Beteiligten ein wirtschaftspolitisches Risiko. Frankreich hatte eine Inflationsrate von 10 Prozent, Irland von fast 14 und Italien von über 15 Prozent. Die deutsche Inflationsrate lag bei 4 Prozent, ähnlich wie in den Niederlanden und Belgien. Auf deutscher Seite wurde befürchtet, daß die Verpflichtung der Bundesbank, beim Erreichen der Interventionspunkte die schwächeren Währungen des Systems aufzukaufen, die Wiederherstellung der Preisstabilität im Inland erschweren würde. Frankreich und Italien liefen Gefahr, daß die Währungen in einem Festkurssystem mit der DM einem starken Abwertungsdruck ausgesetzt sein würden.

Angesichts der wirtschaftlichen Stabilitätsunterschiede zwischen den Mitgliedsländern waren Paritätsanpassungen in den ersten Jahren des EWS relativ häufig. In der Zeit von September 1979 bis März 1983 gab es insgesamt sieben „Realignments“; in den folgenden Jahren wurden die Leitkurse nur noch dreimal geändert, zuletzt im Januar 1987, wobei die Korrekturen wesentlich kleiner ausfielen. Ab 1983 gingen auch die Inflationsraten deutlich zurück. Begünstigt durch die preisdämpfende Wirkung sinkender Ölpreise hatten damals auch andere Länder gute Fortschritte in der Inflationsbekämpfung aufzuweisen.

Als jedoch nach 1988 der Preisauftrieb wieder insgesamt stärker wurde, blieben die Inflationsraten in den Ländern, die sich von Anfang an am EWS-Wechselkursverbund mit der engen Marge von 2, 25 Prozent beteiligt hatten, deutlich niedriger als in anderen EG-Mitgliedstaaten. Während für diesen engen Kreis des EWS die Inflationsraten 1990 etwa 3 bis 3, 5 Prozent betrugen, stieg die Inflation in Italien, Spanien und Großbritannien auf etwa 7 Prozent an. Sogar in der stabilitätsbewußten Schweiz ist die Inflationsrate mit 5 Prozent heute höher als in den Kemländern des EWS. Die höchsten Inflationsraten in der EG haben Portugal mit fast 14 und Griechenland mit über 20 Prozent.

Die Stabilitätserfolge im EWS sind darauf zurückzuführen, daß die Länder mit den schwächeren Währungen die Bindung an die stärkere DM in zunehmendem Maße als Vorteil für die eigene Preisstabilität verstanden und genutzt haben. Insbesondere Frankreich hat 1983 nach einer Phase expansiver Beschäftigungspolitik zu Beginn der Regierung von Staatspräsident Mitterrand und einer dreimaligen Abwertung des französischen Franc auf einen restriktiveren Stabilitätskurs umgeschaltet, um im EWS-Wechselkursverbund zu bleiben. Seitdem gingen die Bestrebungen dahin, den Franc zu einer ebenso starken Währung zu machen wie die DM. Frankreich, wie auch die anderen Mitglieder des EWS-Wechselkursverbundes, waren immer weniger bereit, in einem Realignment die eigene Währung gegenüber der DM abzuwerten. Das bestehende Wechselkursgefüge wurde stattdessen dadurch stabilisiert, daß Länder mit schwächeren Währungen durch ein im Vergleich mit der Bundesrepublik höheres Zinsniveau für einen privaten Kapitalzufluß sorgten, der diese Währungen stützte. Die DM wurde dadurch zum Stabilitätsanker für die Geld-und Interventionspolitik der anderen EWS-Mitglieder.

Im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktprogramms mußten Länder wie Frankreich und Italien Beschränkungen im Kapitalverkehr abbauen, die bis dahin ihren Währungen einen gewissen Schutz gewährt hatten. Da befürchtet wurde, daß mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs die Spannungen im EWS-Wechselkursverbund größer werden könnten, forderte Frankreich (unterstützt durch Italien) eine Stärkung der Interventions-und Kreditmechanismen zugunsten der schwachen Währungen des Systems. Nachdem durch die Beschlüsse der Notenbankgouverneure in Basel im August und der Wirtschafts-und Finanzminister in Nyborg (Dänemark) im September 1987 eine gewisse Anpassung der Regeln erfolgt war, machte die Bundesbank deutlich, daß sie aus stabilitätspolitischen Gründen keine weiteren Verpflichtungen zur Stützung schwächerer Währungen übernehmen könne. In der Frage der Weiterentwicklung des EWS war die Gemeinschaft zunächst in eine Sackgasse geraten.

Das Konzept, auf der Basis von EWS und Binnenmarkt eine Wirtschafts-und Währungsunion mit einem Europäischen Zentralbanksystem zu schaffen, gab der Diskussion eine neue Wendung. Das Ziel war nicht mehr die Stärkung des Festkurssystems durch einen Ausbau der Interventions-und Kreditmechanismen, sondern die Einigung über die ordnungs-und stabilitätspolitischen Grundsätze für eine europäische Geldpolitik. Für die deutsche Politik, die stets darauf hingewiesen hatte, daß sich das EWS als Zone währungspolitischer Stabilität nicht an der Stabilität der Wechselkurse, sondern an der Preisstabilität messen lassen müsse, war dies in vieler Hinsicht ein Erfolg. Die Bestrebungen für einen institutionellen Ausbau des EWS gingen nun in eine Richtung, die sehr viel mehr als frühere Ausbaupläne dem entsprach, was sich unter dem Einfluß der Bundesbank im EWS entwickelt hatte. Die Orientierung auf eine WWU als Stabilitätsgemeinschaft lag zugleich in der Linie dessen, was die EWS-Partner bereits praktiziert hatten, wenn sie sich dem Stabilitätskurs der Bundesbank anpaßten. 3. Wandel in Osteuropa Während in der Gemeinschaft 1988/89 die Weichen für die Europäische Wirtschafts-und Währungsunion gestellt wurden, nahm der politische Wandel in Mittel-und Osteuropa immer dramatischere Formen an. Sehr schnell wurde deutlich, daß die Reformländer -ebenso wie die Staaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA) -eine Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft anstrebten. Der Gemeinschaft kommt damit für die Gestaltung einer gesamteuropäischen Ordnung eine Schlüsselrolle zu. Vor dem Hintergrund eines aufflammenden Nationalismus im Osten ist die Gemeinschaft die einzige Organisation europäischer Staaten, die eine Ordnung in Europa begründet, die über nationalstaatliche Strukturen hinausgeht. Angesichts dieser Aufgabe stellte sich 1989 zunächst die Frage, ob die Vertiefung westeuropäischer Integration noch zeitgemäß wäre Würde nicht die Wirtschafts-und Währungsunion und eine Politische Union mit einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik den Beitritt neuer Mitglieder erschweren oder sogar verhindern?

Inzwischen werden Erweiterung und Vertiefung der Gemeinschaft nicht mehr als sich ausschließende Entwicklungen, sondern eher als aufeinanderfolgende Prozesse gesehen. Die Vertiefung der Integration in der EG soll ihre Handlungsfähigkeit nicht zuletzt mit Blick auf den Beitritt neuer Mitglieder Mitte der neunziger Jahre stärken. Österreich und Schweden, die beide Beitrittsanträge gestellt haben, beteiligen sich bereits indirekt am EWS-Wechselkursverbund, ebenso wie Finnland, das Anfang 1992 einen Beitrittsantrag stellen könnte. Für diese Länder dürfte die Vertiefung der Integration durch die WWU kein Hinderungsgrund für eine EG-Mitgliedschaft mehr sein. Der Beginn der Beitrittsverhandlungen ist für die zweite Hälfte 1992 ins Auge gefaßt.

Als sich die deutsche Einigung abzeichnete, wurde im Ausland eine gewisse Besorgnis laut, die Bundesrepublik könnte die Integration in der EG nicht mehr im gleichen Maße unterstützen wie zuvor. Die Bundesregierung machte ihrerseits deutlich, daß sie an ihrem integrationspolitischen Kurs festhalten werde und hat ganz wesentlich zum Zustandekommen des WWU-Vertrages beigetragen. Auch die Vertragsverhandlungen über die Politische Union gehen auf eine Initiative der deutschen zusammen mit der französischen Regierung zurück. Für die Bundesrepublik bietet eine handlungsfähige Gemeinschaft, die sich nach Osten öffnet, die Chance, nicht mehr wie in weniger guten Phasen der deutschen Geschichte zwischen West und Ost zu stehen

Für andere EG-Partner, insbesondere Frankreich, wird das zentrale Motiv für eine Vertiefung der Integration häufig darin gesehen, das geeinte Deutschland fest in die Europäische Gemeinschaft einzubinden Auch wenn solche Erwägungen vielleicht eine gewisse Rolle gespielt haben, reichen sie als Begründung nicht aus. Die ehemalige britische Premierministerin, Margaret Thatcher, hat im übrigen in die entgegengesetzte Richtung reagiert, wenn sie die Beteiligung am EWS und der WWU auch deswegen ablehnte, weil sie fürchtete, Großbritannien könnte in einer sich vertiefenden Gemeinschaft im Vergleich zur Bundesrepublik an Einfluß verlieren. Die Weichen für den Binnenmarkt 1993 und den WWU-Prozeß wurden bereits gestellt, als noch niemand die deutsche Einigung voraussagen konnte. Daß sich die Gemeinschaft gerade zu diesem Zeitpunkt in einer Phase des Aufschwungs befand, hat aber mit dazu beigetragen, daß die deutsche Einigung relativ problemlos erfolgen konnte.

III. Europäische Stabilitätspolitik

1. Deutsche Positionen zur gemeinsamen Währung Auf deutscher Seite ist das Vorhaben der WWU zum Teil mit Skepsis aufgenommen worden. Wirtschaftswissenschaftler warnen vor den stabilitätspolitischen Risiken einer WWU mit sehr ungleichen Partnern. Die allgemeine Einschätzung ist, daß für die Bundesrepublik in der WWU mehr auf dem Spiel steht als für andere Mitgliedsländer: das Aufgeben der DM als Symbol für Stabilität und Wohlstand für eine „unsichere“ europäische Währung. Diese Sichtweise ist auch in vielen Kommentaren der Presse in Verbindung mit dem Gipfel in Maastricht zum Ausdruck gekommen. Andererseits würde aber eine starke europäische Währung mit einem europäischen Finanzraum, der mit dem amerikanischen Finanzraum zu vergleichen ist, gerade für die Bundesrepublik Vorteile bringen.

Die WWU verlangt von allen Beteiligten Souveränitätsverzichte, die größer sind als das, wozu sie bisher in der Gemeinschaft bereit waren. In einem System fester Wechselkurse, in dem es keine Beschränkungen des Kapitalverkehrs gibt und Leitkursanpassungen kaum mehr vorgenommen werden, haben die Mitgliedsländer allerdings nicht mehr viel Spielräume für eine autonome Geldpolitik -ausgenommen das Land mit der Ankerwährung. Die Deutsche Bundesbank hat den geldpolitischen Kurs im EWS entscheidend beeinflußt und muß insofern in der WWU mehr tatsächlich ausgeübte Souveränität aufgeben als ihre Partner.

Die Bundesregierung hat sich für die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion eingesetzt. Die Bundesbank hat dieses Ziel grundsätzlich unterstützt und zugleich ihren Einfluß geltend gemacht, um die WWU im Sinne ihrer eigenen stabilitätspolitischen Zielsetzungen zu gestalten. Als der WWU-Prozeß mit dem Mandat von Hannover im Juni 1988 in Gang gekommen war, ging es für die deutsche Politik in den weiteren Verhandlungen um die Schaffung der vertraglichen und institutionellen Voraussetzungen dafür, daß eine " europäische Währung die gleiche Qualität haben würde wie die DM

Die Vertragsbestimmungen über die WWU sind ganz wesentlich durch deutsche Ordnungs-und Stabilitätsvorstellungen geprägt. Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil in der deutschen Öffentlichkeit oft geargwöhnt wird, die WWU sei der Zugriff anderer EG-Partner auf die deutsche Stabilitätspolitik. Wenn es mit anderen Worten dazu kommt, daß eine europäische Währung an die Stelle der nationalen Währungen tritt, wird die DM in einem System aufgehen, daß nach den Grundsätzen der Verfassung der Deutschen Bundesbank konstruiert ist. 2. Das Europäische Zentralbanksystem Das Statut für das Europäische Zentralbanksystem ist dem Modell der Deutschen Bundesbank nachgebildet. Es beruht auf den folgenden Prinzipien:

-einer föderalen Struktur, d. h. das für die Geldpolitik maßgebliche Entscheidungsgre-mium besteht aus den Mitgliedern des Direktoriums der Europäischen Zentralbank und den Notenbankpräsidenten der nationalen Zentralbanken; -der Unabhängigkeit der Geldpolitik von politischen Weisungen der nationalen Regierungen, der EG-Kommission und des Europäischen Parlaments; -der Verpflichtung auf das Ziel der Preisstabilität. Zur Unabhängigkeit geldpolitischer Entscheidungen gehört, daß die Notenbank nicht zur Finanzierung der Staatsverschuldung eingesetzt werden darf -eine Beschränkung, die im deutschen Verständnis nach zwei großen, durch die Notenbank-presse finanzierten Inflationen zu einem ordnungspolitischen Grundsatz geworden ist. Daß man sich in der Gemeinschaft darauf geeinigt hat, dem Europäischen Zentralbanksystem (EZBS) eine politisch unabhängige Stellung zu geben, ist insofern bemerkenswert, als in anderen Mitgliedsländern die Notenbanken an Weisungen der Regierungen gebunden sind, z. B. in Frankreich, Italien und Großbritannien Der italienische Staat finanziert seine Ausgaben in größerem Umfang über die Notenbank.

Damit sichergestellt ist, daß in einem föderalen Europäischen Zentralbanksystem die Regierungen keinen Zugriff auf die Geldpolitik haben, müssen auch die nationalen Notenbanken einen politisch unabhängigen Status erhalten. Dies soll nach dem Vertrag von Maastricht geschehen, bevor dem EZBS zu Beginn der Endstufe der WWU die Kompetenz für die Geldpolitik übertragen wird. Am 1. Januar 1994 beginnt die zweite Stufe der WWU. Um zu verhindern, daß in dieser Übergangsphase Grauzonen zwischen nationalen und gemeinschaftlichen Zuständigkeiten in der Währungs-und Geldpolitik entstehen, sollen dem dann zu gründenden Europäischen Währungsinstitut nur Koordinierungsaufgaben zukommen.

Ein bis zum Ende der Verhandlungen kritischer Punkt war die Zuständigkeit für Vereinbarungen über das äußere Wechselkursregime. Nach den Vertragsbestimmungen werden die täglichen Devisenmarktinterventionen gegenüber Drittwährungen von der Europäischen Zentralbank durchgeführt. Entscheidungen, die auf eine Festlegung der Wechselkurse zwischen der ECU (Europäische Währungseinheit) und anderen Währungen hinauslaufen, werden vom Rat getroffen, wobei die Zentralbank konsultiert wird mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen, die mit dem Ziel der Preisstabilität in Einklang steht.

Stabilitätspolitische Bedenken, die auf deutscher Seite gegenüber der WWU bestehen, entzünden sich nicht zuletzt an Zweifeln über die Stabilitätsgesinnung der neuen Entscheidungsträger In der Bundesrepublik gibt es eine stabilitätspolitische Tradition und ein Stabilitätsbewußtsein in der Öffentlichkeit, das man in anderen EG-Staaten nicht in gleicher Weise beobachten kann. Die Erfahrung zeigt zwar, daß Länder mit einer politisch unabhängigen Zentralbank insgesamt eine höhere Preisstabilität aufweisen, aber dieser Verfassungsgrundsatz ist noch keine Garantie für ein preisstabilitätsbewußtes Verhalten der Mitglieder des Europäischen Zentralbankrates.

Die Erfahrung der Länder mit schwächeren Währungen, daß die Anpassung an den Kurs der Deutschen Bundesbank ihnen eine größere Preisstabilität gebracht hat, trug mit dazu bei, daß sich das Statut eines politisch unabhängigen Europäischen Zentralbanksystems durchsetzen konnte. Aus dieser Sicht ist es interessant, daß sich alle Mitglieder des Delors-Ausschusses -auch der Gouverneur der Bank von England -für die politische Unabhängigkeit der Notenbank ausgesprochen und damit diesem Konzept zum Durchbruch verhülfen haben. So, wie die Bank von Italien die Mitgliedschaft im EWS durchaus genutzt hat, um sich gegen Forderungen von Regierung und Gewerkschaften nach einer expansiveren Geldpolitik zu wehren kann man sich vorstellen, daß in der WWU die nun von Weisungen der Regierungen unabhängigen nationalen Notenbankgouverneure in der Frage der Preisstabilität ein anderes Selbstbewußtsein entwickeln. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte die Unabhängigkeit der nationalen Notenbanken bald hergestellt werden.

Zweifel an der Stabilitätsgesinnung der Entscheidungsträger bestehen insbesondere im Hinblick auf die für die Wirtschaftspolitik zuständigen Instanzen. Mangelnde Haushaltsdisziplin oder überzogene Lohnsteigerungen können eine stabilitätsorientierte europäische Geldpolitik erschweren oder verhindern. Befürchtet wird, daß in einer WWU mit großen wirtschaftlichen Ungleichgewichten die Notenbank einem starken politischen Druck ausgesetzt sein könnte, die Geldpolitik zu lockern. Die Vertragsbestimmungen über die WWU sollen solche Risiken so weit wie möglich eingrenzen. 3. Haushaltsdisziplin Im Bereich der Finanzpolitik gibt es zwischen den Mitgliedsländern noch erhebliche Stabilitätsunterschiede. In den achtziger Jahren haben die meisten EG-Mitgliedstaaten zwar Haushaltsdefizite zurückgeführt, mit Ausnahme von Italien mit einem anhaltend hohen Defizit von etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und von Griechenland, wo sich das Staatsdefizit sogar erhöht hat. Während jedoch Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Deutschland die öffentlichen Haushalte konsolidiert haben, blieben die Haushaltsdefizite in den anderen Mitgliedstaaten immer noch hoch. Hinzu kommt eine hohe Staatsverschuldung in diesen Ländern, z. B. fast 80 Prozent BIP in den Niederlanden, über 80 Prozent des BIP in Griechenland und mehr als 100 Prozent des BIP in Italien und Belgien. Auf deutscher Seite ist das öffentliche Defizit in Verbindung mit der deutschen Einigung auf über 4 Prozent des BIP angestiegen. Die Staatsverschuldung bleibt aber mit etwa 45 Prozent des BIP immer noch unter dem EG-Durchschnitt von etwa 60 Prozent des BIP.

Die Vorkehrungen, die im WWU-Teil des Vertrags über die Europäische Union getroffen werden, um aus dem Finanzgebahren der Mitgliedstaaten resultierende Stabilitätsrisiken so weit wie möglich auszuschalten, sind: -die Einführung von Qualifikationskriterien, die die einzelnen Mitgliedsländer beim Eintritt in die Endstufe der WWU erfüllen müssen;

-die Festlegung von Regeln für die Haushaltsgestaltung in den Mitgliedsländern mit Sanktionsmöglichkeiten, wenn diese nicht eingehalten werden.

Die Mitgliedstaaten müssen übermäßige Staatsdefizite vermeiden. Die Kommission überwacht die Entwicklung der öffentlichen Haushalte und der Staatsverschuldung und stellt gegebenenfalls Fehlentwicklungen fest. Beurteilungskriterien sind insbesondere der Anteil des Staatsdefizits und der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt, wobei als Referenzgrößen für das Defizit der öffentlichen Haushalte 3 Prozent des BIP und für die gesamte Staatsverschuldung 60 Prozent des BIP zugrunde gelegt werden. Berücksichtigt werden soll außerdem, ob das öffentliche Defizit größer ist als die öffentlichen Investitionen, sowie andere für die Beurteilung der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Situation des Landes relevante Faktoren.

Die Kommission berichtet dem Rat über Fehlentwicklungen. Stellt der Rat mit qualifizierter Mehrheit fest, daß ein übermäßig großes Haushaltsdefizit besteht, richtet er Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat, innerhalb einer bestimmten Frist Abhilfe zu schaffen. Nach Ablauf dieser Frist kann der Rat seine Empfehlungen veröffentlichen, was einen zusätzlichen politischen Druck zur Anpassung bewirken soll. Kommt ein Mitgliedstaat den Empfehlungen des Rates weiterhin nicht nach, kann der Rat diesen Mitgliedstaat auffordern, innerhalb einer bestimmten Frist die vom Rat für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zur Zurückführung des Defizits zu treffen. Solange dies nicht erfolgt, kann der Rat über folgende Sanktionsmaßnahmen beschließen: -Er verlangt, daß der Mitgliedstaat seine Finanzsituation öffentlich darlegt, bevor er durch die Ausgabe von Staatspapieren an die privaten Kapitalmärkte herantritt, was im Zweifel die Möglichkeiten der Kreditaufnahme verringern dürfte;

-er ersucht die Europäische Investitionsbank, die Darlehenspolitik gegenüber diesem Mitgliedstaat zu überprüfen, mit der Möglichkeit, daß die Zahlungen eingestellt werden;

-er verlangt, daß der Mitgliedstaat eine unverzinsliche Einlage bei der Gemeinschaft hinterlegt;

-er verhängt Geldbußen.

Der Rat beschließt über diese einzelnen Schritte mit qualifizierter Mehrheit, wobei das betroffene Land in diesem Fall keine Stimme hat. 4. Eintritt in die Endstufe der WWU Die Mitgliedstaaten entscheiden sich mit der Unterzeichnung des Vertrages unwiderruflich für den Eintritt in die Endstufe der WWU, spätestens am 1. Januar 1999. Sonderregelungen bestehen lediglich für Großbritannien und Dänemark. Großbritannien hat sich vorbehalten, den Eintritt in die dritte Stufe der WWU zum Gegenstand einer Parlamentsabstimmung zu machen. In Dänemark soll hierüber eine Volksabstimmung stattfinden. Eine Entscheidung in diesen Ländern gegen die WWU kann aber den Beginn der dritten Stufe nicht aufhalten. Für alle anderen Mitgliedstaaten geht es beim Eintritt in die Endstufe nicht mehr um die Frage, wer die WWU will, sondern wer teilnehmen darf. Hierfür müssen sich die Mitgliedstaaten qualifizieren. Die Endstufe der WWU soll mit den Ländern beginnen, die die folgenden Stabilitätsanforderungen erfüllen:

-eine anhaltende Preisstabilität, wobei die Inflationsrate des letzten Jahres nicht mehr als 1, 5 Prozentpunkte über der durchschnittlichen Inflationsrate von höchstens drei Mitgliedsländern liegen darf, die hinsichtlich der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben;

-eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, d. h. keine übermäßigen öffentlichen Defizite entsprechend den Kriterien für die Überwachung der Haushaltslage und der Staatsverschuldung durch die Kommission;

-die Teilnahme am EWS-Wechselkursverbund mit der engen Bandbreite seit mindestens zwei Jahren, ohne daß die betreffende Währung abgewertet wurde;

-die Dauerhaftigkeit der erreichten Konvergenz, die dadurch zum Ausdruck kommen muß, daß das nominale langfristige Zinsniveau nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem der höchstens drei Mitgliedstaaten mit den besten Ergebnissen in der Preisstabilität liegt.

Der Europäische Rat entscheidet spätestens am 31. Dezember 1996 mit qualifizierter Mehrheit, ob eine Mehrheit der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllt und bestimmt gegebenenfalls den Zeitpunkt für den Beginn der Endstufe.

Ist der Zeitpunkt für den Beginn der dritten Stufe bis Ende 1997 nicht festgelegt worden, beginnt die Endstufe am 1. Januar 1999 mit den Mitgliedsländern, für die der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit bestätigt, daß sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Danach wird mindestens alle zwei Jahre oder auf Antrag eines Mitgliedstaates überprüft, welche Länder inzwischen die notwendigen Voraussetzungen für eine Beteiligung an der dritten Stufe erreicht haben. Großbritannien und Dänemark nehmen an diesem Qualifizierungsprozeß nur teil, wenn sie zuvor dem Rat notifizieren, daß sie in die dritte Stufe der WWU einzutreten bereit sind.

Das hier festgelegte Verfahren wirkt in zwei Richtungen. Da feststeht, daß die Gemeinschaft auf jeden Fall in die Endphase der WWU eintreten wird, entsteht zum einen ein gewisser Druck, sich möglichst nicht auszuschließen. Dies dürfte letztlich auch die Entscheidungen in Großbritannien und Dänemark beeinflussen. Welche Mitgliedstaaten sich für die dritte Stufe qualifizieren, ist zugleich ein Test für die Wirtschaftspolitik der Regierungen vor der eigenen Öffentlichkeit. Die Orientierung an den besten Ergebnissen in der Preisstabilität von höchstens drei Mitgliedsländern soll zum anderen dazu beitragen, die Qualifikationsschwelle hochzusetzen. Bei einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit kann ein kleiner Kreis stabilitätsbewußter Länder verhindern, das die Eintrittskriterien zu „großzügig“ ausgelegt werden. Wichtig ist, daß sich eine Kerngruppe findet, die die eigenen Stabilitätserfolge nicht durch „bedenkliche“ Kandidaten gefährden lassen will.

IV. WWU und Politische Union

Der Vertrag von Maastricht regelt die WWU in allen Einzelheiten, während die Vertragsteile über die Politische Union in vielen Bereichen noch unvollkommen sind. Die WWU eignet sich nicht für halbe Integrationsschritte. Um die Einheitlichkeit einer stabilitätsorientierten Geldpolitik zu sichern, ist die Schaffung eines Europäischen Zentralbank-systems unverzichtbar. Der Vertrag mußte lückenlos sein, um die Stabilitätsrisiken einer WWU so weit wie möglich auszuschalten.

In anderen Politikbereichen, z. B. auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik, stehen die Mitgliedstaaten noch am Anfang -wenn es gut geht vielleicht dort, wo die Gemeinschaft in der Währungspolitik 1979 stand, als mit der Gründung des EWS die wirtschaftspolitische Annäherung begann. Auch damals waren die Herausforderungen, die von außen kamen -die Instabilität im internationalen Währungssystem -ein wichtiges Motiv, um sich enger zusammenzuschließen. Die Vorstellungen darüber, wie eine gemeinsame Politik aussehen sollte, lagen jedoch noch weit auseinander und haben sich erst langsam in einem Erfahrungsprozeß angenähert.

Es ist oft darüber debattiert worden, ob und wann die Gemeinschaft einen point of no retum erreicht hat. Binnenmarkt und WWU begründen eine Solidaritätsgemeinschaft, die ohne eine politische Einigung kaum Bestand hat und Kräfte auslöst, die in diese Richtung wirken. Die WWU ist insofern das Verbindungsstück von Marktintegration und politischer Integration. Nach den Beschlüssen von Maastricht soll 1996 wieder eine Regierungskonferenz zusammentreten, um über eine weitere Revision und Ergänzung der Verträge zu verhandeln.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Delors-Bericht. Bericht zur Wirtschafts-und Währungsunion in der EG, vorgelegt vom Ausschuß zur Prüfung der Wirtschafts-und Währungsunion am 17. April 1989, in: Europa-Archiv, 44 (1989) 10, S. D 283-304.

  2. Vgl. Probleme der Europäischen Einigung (II). Die Tagung des Europäischen Rates der Staats-und Regierungschefs in Madrid im Juni 1989, in: Europa-Archiv, 44 (1989) 14, S. D 407.

  3. Rede von Jacques Delors vor dem Europäischen Parlament anläßlich der Vorlage des Arbeitsprogramms der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für 1990, Straßburg, 17. Januar 1990, S. 26.

  4. Vgl. Probleme der Europäischen Einigung (II). Die Sondertagung des Europäischen Rates in Dublin im April 1990, in: Europa-Archiv, 45 (1990) 11, S. D 283.

  5. Zur Problematik europäischer Strukturbildungen vgl. die Beiträge in Jürgen Nötzold (Hrsg.), Europa im Wandel: Entwicklungstendenzen nach der Ara des Ost-West-Konflikts, Baden-Baden 1990.

  6. Vgl. Edwina S. Campbell, Germany’s Past and Europe’s Future. The Challenges of West German Foreign Policy, Washington 1989.

  7. Vgl. Stanley Hoffmann, Abschied von der Vergangenheit. Politik und Sicherheit im zukünftigen Europa, in: Europa-Archiv, 45 (1990) 20, S. 595-606.

  8. Vgl. Peter Wilhelm Schlüter, Die Europäische Wirtschaft-und Währungsunion: Anmerkungen zur Regierungskonferenz, in: Integration, 14 (1991) 3, S. 106-114.

  9. Vgl. Rolf H. Hasse, Die Europäische Zentralbank: Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems, Gütersloh 1989.

  10. Vgl. Rolf Cäsar, Die „Autonomie“ der Deutschen Bundesbank -Ein Modell für Europa?, in: Rolf H. Hasse/Wolf Schäfer (Hrsg.), Europäische Zentralbank. Europas Währungspolitik im Wandel, Göttingen 1990, S. 111-127.

  11. Vgl. John B. Goodman, Monetary Politics in France, Italy, and Germany: 1973-85, in: Paolo Guerrieri/Pier Carlo Padoan (Hrsg.), The Political Economy of European Integration, New York-London 1989, S. 171-201.

Weitere Inhalte

Elke Thiel, Dr. rer. pol., geb. 1938; wissenschaftliche Referentin am Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen; Lehrbeauftragte im Bereich Internationale Politik an der Universität Bamberg. Veröffentlichungen u. a.: Dollar-Dominanz, Lastenteilung und amerikanische Truppenpräsenz in Europa, Baden-Baden 1979; Die Europäische Gemeinschaft. Vom Gemeinsamen Markt zur Europäischen Union, München 19924; West Germany’s Role in the International Economy, in: Journal of International, Affairs, 42 (1988) 1; Der Europäische Finanz-und Wirtschaftsraum: Perspektiven für einen „neuen“ Trilateralismus, in: Michael Kreile (Hrsg.), Europa 1992 -Konzeptionen, Strategien, Außenwirkungen, Baden-Baden 1991.