I. Problemstellung
Der Zusammenbruch des „real-existierenden Sozialismus“ auf deutschem Boden und die ihm nachfolgende Einigung Deutschlands hat auf vielen Gebieten zu Änderungen historischen Ausmaßes geführt. Davon ist nicht zuletzt auch der politische Extremismus betroffen. Sowohl seine rechte als auch seine linke Variante sieht sich vor grundsätzlich neue Herausforderungen gestellt. Folgende Paradoxien sind augenfällig: In die Schlagzeilen geraten gegenwärtig einerseits fast ausschließlich rechte Varianten des Extremismus (z. B. ausländerfeindliche Strömungen oder neonationalsozialistische Tendenzen), obwohl doch das DDR-System linksextremistisch geprägt war. Andererseits lenkt die allenthalben zu beobachtende einseitige Fixierung auf die Staatssicherheit davon ab, daß in der DDR die Herrschaft von der SED ausging. Der von der PDS mit Genugtuung zur Kenntnis genommene Hinweis der Gauck-Behörde, der frühere DDR-Ministerpräsident Hans Modrow sei kein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen, ist richtig und falsch zugleich. Als Chef der SED-Bezirksleitung Dresden mußte und durfte er gar nicht für den der Partei unterstellten Staatssicherheitsdienst tätig sein. Die einschlägigen Akten gingen gleichwohl über seinen Schreibtisch. Insofern ist eine Auskunft der Gauck-Behörde über Modrows Unbescholtenheit formal zutreffend, in der Sache aber irreführend. Wie stark jemand dem Unrechtssystem in der DDR gedient hat und in dieses verstrickt war, hängt demnach nicht oder nicht nur von der Intensität seiner Zuarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit ab
Wer diese in erster Linie als „Staat im Staat“ ansieht, verkennt die Rolle einer kommunistischen Staatspartei.
Der folgende Beitrag soll zwecks besserer Einordnung einen Überblick zur linksextremistischen Szene in der Bundesrepublik geben -zur vergangenen, zur gegenwärtigen und zur zukünftigen Entwicklung. Ausgeklammert wird der linksextremistische Terrorismus, dessen Aktivitäten seit Anfang der siebziger Jahre zum Erscheinungsbild der Bundesrepublik gehören, auch wenn sie gegenwärtig stagnieren, ja rückläufig sind Es liegt zudem in der Natur der Sache, daß ein solcher Überblick das Auf und Ab linksextremistischer Bestrebungen nur grob skizzieren kann Die chronologische Anlage der Arbeit soll die Frage nach der Gefahr des linken Extremismus in Gesamtdeutschland beantworten helfen. Ist „Entwarnung“ angesagt, oder besteht die Notwendigkeit zu beständiger Alarmbereitschaft? Handelt es sich dabei überhaupt um eine angemessene Alternative?
II. Situation bis 1989
In den ersten vierzig Jahren der Bundesrepublik Deutschland konnten linksextremistische Tendenzen den demokratischen Verfassungsstaat nicht ge-fährden. Die stärkste Kraft im Bereich des Links-extremismus war diejenige Form des Kommunismus, die sich am politischen System der DDR orientierte -zunächst die KPD, später die DKP. Allerdings dürfen andere Gruppierungen nicht gänzlich vernachlässigt werden.
Die Kommunistische Partei Deutschlands war in der Weimarer Republik eine machtvolle Bewegung, zumal in der Endzeit, konnte jedoch die als „sozialfaschistisch“ diffamierte Sozialdemokratie nicht überrunden, obwohl der Abstand bis zu den Novemberwahlen von 1932 auf wenige Prozentpunkte zusammenschrumpfte (SPD: 20, 4 Prozent;
KPD: 16, 9 Prozent). Im Dritten Reich mußten Mitglieder der KPD, die sich bereits in den zwanziger Jahren an der Sowjetunion orientierte, aufgrund ihrer Widerstandsaktivitäten einen hohen Blutzoll entrichten Dieser moralische Bonus wurde nach 1945 schnell verspielt. Die KPD, Satellit der SED, die wiederum ein Satellit der KPdSU war, diskreditierte sich zunehmend. Insofern durfte ihre nachlassende Bedeutung nicht verwundern. Der Niedergang der KPD war also weniger eine Reaktion auf den Verbotsantrag der Bundesregierung von 1951. Hatte die KPD bei den Landtagswahlen 1946/47 n Prozent). Im Dritten Reich mußten Mitglieder der KPD, die sich bereits in den zwanziger Jahren an der Sowjetunion orientierte, aufgrund ihrer Widerstandsaktivitäten einen hohen Blutzoll entrichten 5. Dieser moralische Bonus wurde nach 1945 schnell verspielt. Die KPD, Satellit der SED, die wiederum ein Satellit der KPdSU war, diskreditierte sich zunehmend. Insofern durfte ihre nachlassende Bedeutung nicht verwundern. Der Niedergang der KPD war also weniger eine Reaktion auf den Verbotsantrag der Bundesregierung von 1951. Hatte die KPD bei den Landtagswahlen 1946/47 noch ca. zehn Prozent der Stimmen erzielt, kam sie bei der Bundestagswahl 1949 auf 5, 7 Prozent der Stimmen und 1953 nur noch auf 2, 2. Obwohl die KPD gesellschaftlich weitgehend stigmatisiert war, konnte sie dank konspirativer Tätigkeit der SED mittels gutgläubiger Patrioten oder Idealisten, die sich vor den Karren der Kommunisten spannen ließen, den einen oder anderen Erfolg für sich verbuchen -etwa beim Versuch, die Westintegration der Bundesrepublik zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern 6.
Das rechtlich einwandfreie, politisch aber umstrittene Verbot im Jahre 1956 durch das Bundesverfassungsgericht setzte den Schlußpunkt unter eine dahinsiechende Partei, die in ihrem Programm von 1952 zum revolutionären Sturz der Adenauer-Regierung aufgerufen hatte. Vor und nach dem Verbot wurde eine Reihe von Tarn-, Ersatz-oder Nebenorganisationen ins Leben gerufen. Die Exekutive griff gegen diese zur Zeit des Kalten Krieges rigoros durch. Die illegalen Aktivitäten der Partei 7 konzentrierten sich auf die Gewerkschaften und auf die Unterwanderung neutralistisch-pazifistischer Gruppierungen. Die angesichts der Machtverhältnisse defensiv ausgerichtete kommunistische Propaganda konzentrierte sich auf den Kampf gegen den Antikommunismus und für den Antifaschismus. Bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre beschränkte sich die linksextremistische Szene weitgehend auf den an der Sowjetunion orientierten Kommunismus.
Mit der studentischen Protestbewegung und ihren geradezu kulturrevolutionären Auswirkungen setzte eine Auffächerung ein 8. Die antiautoritäre Bewegung unter Führung des von der SPD verstoßenen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes 9 sympathisierte mit Revolutionsbewegungen der Dritten Welt und lehnte das der Manipulation der „Massen“ dienende parlamentarische Getriebe im „Spätkapitalismus“ ebenso ab wie den als „bürokratisiert“ geltenden „realen Sozialismus“ der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten. Doch der SDS löste sich im März 1970 auf
Als eine Art Spaltprodukt der Studentenbewegung entstand in der Folgezeit eine Reihe sogenannter „K-Gruppen“, die sich revolutionär gebärdeten: Der Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung sei versteinert, „revisionistisch“. Es handelte sich daher um Spielarten des Maoismus, was aber nicht immer auf eine Orientierung an der chinesischen Politik hinauslaufen mußte. Für die von Ernst Aust am 31. Dezember 1968 -just fünfzig Jahre nach der KPD -ins Leben gerufene Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten firmierte Albanien als das alleinige Vorbild. Die von der „reinen Lehre“ überzeugten Gruppierungen bekämpften einander heftig. Das „beste“ Ergebnis für „K-Gruppen“, denen selbst ein Mindestmaß an innerer Demokratie fehlte, kam bei der Bundestagswahl 1976 zustande: Der Kommunistische Bund Westdeutschlands und die Kommunistische Partei Deutschlands erreichten jeweils 0, 1 Prozent der Stimmen. Heutzutage sind diese Gruppierungen, die sich bei allem Haß gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat nicht als Durchgangsstation für den Terrorismus erwiesen, entweder von der politischen Bildfläche verschwunden oder isolierter denn je. Das gilt weniger für die von Gewaltherrschaft gekennzeichnete „autonome Szene“, die in gewisser Weise auch von der studentisch geprägten Protestbewegung ihren Ausgangspunkt genommen hat. Militante Autonome sind aufgrund schwacher theoretischer Vorstellungen nur schwer einzuordnen Alle Strömungen eint freilich die prinzipielle Bejahung von Gewalt. Mit der Studentenbewegung liberalisierte sich das politische Klima. Davon profitierte auch der Kommunismus sowjetischer Couleur Da das KPD-Verbot nicht aufzuheben war, kam es im Herbst 1968 -unter Duldung und Mitwirkung des Bundesjustizministers Gustav W. Heinemann -zur „Neukonstituierung“ einer kommunistischen Partei Die Deutsche Kommunistische Partei wurde faktisch die Nachfolgeorganisation der KPD. Ihre Wahlerfolge fielen bescheiden aus: Kandidierte sie bei der Bundestagswahl 1969 nur innerhalb der von ihr beherrschten „Aktion Demokratischer Fortschritt“ (0, 6 Prozent), so blieb sie 1972 und 1976 mit jeweils 0, 3 Prozent, 1980 und 1983 mit jeweils 0, 2 Prozent der Stimmen selbst unter derfür die Wahlkampfkostenerstattung wichtigen Schwelle von 0, 5 Prozent. Auf drei Wähler kamen zwei Mitglieder! Bei der Bundestagswahl 1987 kandidierte die Partei nicht: Die von ihr dominierte „Friedensliste“ stellte lediglich Wahlkreis-kandidaten auf. Und bei der Bundestagswahl 1990, kurz nach der Wiedervereinigung, verzichtete die DKP ebenfalls auf eine Kandidatur und unterstützte die PDS.
Nun darf nicht der Schluß von den mageren Wahl-resultaten auf die Einflußlosigkeit der DKP in den siebziger und achtziger Jahren gezogen werden. Dank geschickter und verdeckter Bündnisstrategie war es ihr gelungen, in gesellschaftlichen Teilbereichen Einfluß zu erlangen. Das gilt etwa für einige Einzelgewerkschaften, in denen gegen die DKP kaum eine wichtige Entscheidung durchzusetzen war Auch außerparlamentarische Aktivitäten der DKP verpuffen nicht. Die in den fünfziger Jahren noch selbstverständliche Abgrenzung zwischen der demokratischen und der extremistischen Linken funktionierte nicht mehr So versuchte die DKP recht erfolgreich, die Friedensbewegung für ihre Interessen einzuspannen. Insbesondere bei der Kampagne gegen die „Berufsverbote“ verstand sie es, in weiten Teilen der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, die Schutzmaßnahmen des demokratischen Staates höhlten die Liberalität aus. Die kommunistisch dominierte Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ erwies sich aufgrund ihrer Betriebsamkeit auch im Ausland als außerordentlich erfolgreich. Vielen ihrer Unter
Stellungen und Verdrehungen zum „Duckmäusertum“ und zur „Gesinnungsschnüffelei“ wurde Glauben geschenkt. Charakteristisch für die Bündnispolitik der DKP war die Strategie des Antifaschismus: Selbstverständlich erschienen nur „Berufsverbote“ gegen Linksextreme als kritikwürdig. Dem Staat wurde im Gegenteil vorgeworfen, Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst zu dulden. Auch der kritische Beobachter muß der DKP bescheinigen, daß sie das politische Koordinatensystem im Verein mit anderen Kräften ideologisch zu beeinflussen verstand. Allerdings bezog sich der von ihr angestrebte antifaschistische Konsens mehr auf intellektuelle Eliten, weniger auf politische Entscheidungsträger.
Die Geschichte vom „Aufstieg und Niedergang des deutschen Kommunismus“ ist eine Geschichte seiner Abhängigkeit von der Sowjetunion. Die enge Anbindung an die DDR machte Stärke und Schwäche des Kommunismus zugleich aus. Die Stärke zeigte sich in der finanziellen, organisatorischen und ideologischen Unterstützung. Aber das Negativbeispiel der DDR wiederum schreckte viele Bürger ab. Insofern mußte die DKP immer bemüht sein, selber nicht so stark in Erscheinung zu treten. Das schwächte notwendigerweise ihre Durchschlagskraft.
Die Krise der DKP in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde nicht durch die starke Anbindung an die Sowjetunion ausgelöst, sondern gerade umgekehrt durch eine gewisse Abwendung von ihr. Denn Gorbatschows im Namen von Glasnost und Perestroika eingeleitete Reformpolitik fand nicht die volle Unterstützung der DKP wie der SED-Spitze. Innerhalb der DKP bildeten sich mit den „Traditionalisten“ und den „Erneuerern“ zwei Linien heraus. Als das SED-Regime im „deutschen Herbst“ in ihre Krise geriet, vergrößerte sich auch die der DKP. Ihre vielfältige Abhängigkeit von der SED wurde nun vollends offenbar.
Was der Verfassungsschutz immer wieder gesagt hatte, erwies sich als richtig: Die DKP war finanziell von der SED abhängig. Gleiches galt für Organisationen wie die Deutsche Friedens-Union (DFU) oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -Bund der Antifaschisten in der Bundesrepublik Deutschland (VVN-BdA), die nach außen hin den Eindruck kommunistischer Unabhängigkeit erweckten. Bei Verlagen sah dies nicht anders aus. „Das plötzliche Versiegen ihrer Geldquellen hat die DKP-Finanzbuchhalter sicher überrascht. Drei Tage vor seinem Rücktritt hatte Erich Honecker noch den , Finanzplan der DKP für das Jahr 1990’ abgesegnet, der 67, 9 Millionen Westmark für die Bruderpartei vorsah. Doch der Gang der Ereignisse machte der Bruderhilfe einen Strich durch die Rechnung... Ab Anfang Dezember waren die Kassen der DKP leer, und es folgte ein Zusammenbruch auf der ganzen Linie.“ Der Organisationsapparat fiel geradezu schlagartig auseinander
III. Gegenwärtige Situation
Die von vielen als stabil angesehene DDR fiel nach der Flucht-und nach der Demonstrationsbewegung wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Versuche der SED, später der SED/PDS, schließlich der PDS, unter dem nicht demokratisch legitimierten Ministerpräsidenten Hans Modrow das Steuer wieder in die Hand zu bekommen, schlugen fehl. Der Sturz der SED mündete in die Vereinigung Deutschlands.
Durch den Zusammenbruch in der DDR beschleunigte sich der Zerfallsprozeß der DKP, der stärksten Kraft im Bereich des organisierten Linksextremismus. Von ihren einst 40000 Mitgliedern aus den siebziger und achtziger Jahren sind ihr keine 10000 mehr verblieben. Manche schlossen sich anderen kommunistischen Gruppierungen an, wenige gingen zu den Grünen oder zur PDS. Auf dem 10. Parteitag im März 1990 löste ein vierköpfiger Sprecherrat (Anne Frohnweiler, Rolf Priemer, Helga Rosenberg, Heinz Stehr) den langjährigen Vorsitzenden Herbert Mies und seine Stellvertreterin Ellen Weber ab, die erneut in den Parteivorstand kam. Der 11. Parteitag der DKP im Mai 1991 bestätigte diese Wahl. Rolf Priemer analysierte dort die Veränderungen in Deutschland: „Der Niedergang in der früheren DDR sei nicht Folge von Anpassungsschwierigkeiten und auch nicht allein der sogenannten SED-Mißwirtschaft anzulasten. Er sei zuallererst das Ergebnis des kapitalistischen Charakters dieser Anpassung, der imperialistischen Art der Vereinnahmung der neuen Ostprovinzen durch das bundesdeutsche Finanzkapital.“ Und Helga Rosenberg zeigte nach dem gescheiterten Putschversuch in der Sowjetunion auf einer Parteivorstands-Tagung Flagge. Sie warf der eigenen Partei eine unkritische Haltung gegenüber der „Liquidationspolitik“ Gorbatschows vor: „Gorbatschow hat die DDR nicht nur für ein paar Mrd. DM verkauft, vorher wurde die SED -bei sowieso schon vorhandenen Schwierigkeiten -nach Art Gorbatschows von innen heraus liquidiert. .. Ich bin davon überzeugt, daß es für die Gesundung unserer Partei notwendig sein muß, das Liquidatorentum radikal zu kritisieren und zu überwinden.“
Auf ihre Nebenorganisationen und von der DKP beeinflußten Organisationen wirkte sich die Entwicklung verheerend aus. Die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) schrumpfte zu einer winzigen Gruppe, und der „Marxistische Studentinnen-und Studentenbund Spartakus“ (MSB) löste sich im Juni 1990 gar auf. Vorfeldorganisationen wie die DFU und die WN-BdA sind in ihrer bündnispolitischen Rolle stark beeinträchtigt.
Als besonders aufschlußreich muß die Entwicklung der ebenfalls von der SED gesteuerten „Sozialistischen Einheitspartei Westberlins“ (SEW) gelten, die Ende 1988 noch über 4500 Mitglieder hatte. Sie konstituierte sich nach dem Scheitern des „realen Sozialismus“ im April 1990 als „Sozialistische Initiative“, ehe Mitte des Jahres 1991 schließlich die Auflösung erfolgte. Die meisten der 500 verbliebenen Mitglieder gingen zur PDS. Damit fand diese Partei, die aufgrund der alliierten Vorbehaltsrechte in Westberlin -im Gegensatz zur NPD -niemals verboten war, ein unrühmliches Ende.
Nicht nur die DKP, sondern das gesamte linksextreme Spektrum wurde vom Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ in Mitleidenschaft gezogen. Bei der Bundestagswahl 1990 kandidierte nur die PDS, die aufgrund der für die Wahlgebiete Ost und West gesondert geltenden Sperrklauselregelung mit 2, 4 Prozent in den Deutschen Bundestag einzog (Ost: 11, 1 Prozent; West: 0, 3 Prozent), sieht man einmal von Splittergruppen wie der „Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands“ oder der KPD ab Bei dem Wahlbündnis Linke Liste/PDS wurden neben sechs Mitgliedern der DKP auch solche aus den Reihen der „K-Gruppen“ aufgestellt (wie beispielsweise aus dem Kommunistischen Bund oder der Vereinigten Sozialistischen Partei -einem Zusammenschluß einer trotzkistischen Gruppierung mit der früheren KPD/ML). Andere linksextreme Gruppierungen forderten zum Wahlboykott auf. An der Spitze dieser Initiative stand die 1989 ins Leben gerufene Sammlungsbewegung „Radikale Linke“, die frühere Repräsentanten aus den Rei-hen der „K-Gruppen“, der DKP, der Trotzkisten sowie der Grünen (etwa Thomas Ebermann und Rainer Trampert) umfaßt und sich auf originelle Forderungen wie „Nie Wieder Deutschland“ zu einigen wußte Ein organisatorisches Dach ist für die „Radikale Linke“ bisher nicht geschaffen worden. Anders bei der „Ökologischen Linken“, die sich unter der Ägide von Jutta Ditfurth im Dezember 1991 als Partei konstituierte. Sie versteht sich als „radikal-ökologisch, antifaschistisch, feministisch, antiklerikal, antimilitaristisch und basisdemokratisch“
Scheinen mit der „Radikalen Linken“ und der „Ökologischen Linken“ Gruppen neu zu entstehen, so verschwinden andere. Das gilt etwa für die ideologisch schwer einzuschätzende „Marxistische Gruppe“ -ein sektiererischer Geheimbund mit über 10000 Anhängern, insbesondere an süddeutschen Universitäten Dieser aktive und zynisch argumentierende Verschwörerkonventikel, der die „Annexion“ der DDR heftig kritisiert hatte löste sich im Frühjahr 1991 überraschend auf, offensichtlich deshalb, weil die konspirativen Bemühungen in Kreisen der Wirtschaft ruchbar wurden und zu Entlassungen von MG-Mitgliedern führten. Noch die Auflösungserklärung ist von besonderer Form der Unbelehrbarkeit inspiriert: „Wir geben nicht auf, weil wir wegen mangelnder Nachfrage nach kommunistischer Kritik an unseren Ansichten Zweifel bekommen hätten. Wir geben auch nicht auf, weil die Welt den Kommunismus für tot erklärt. Wir lösen uns auf, weil uns der freiheitliche demokratische Rechtsstaat mit seinem Verfolgungswahn keine Wahl läßt. Und der staatlichen Fahndung Märtyrer anzubieten, ist uns zu blöd.“ Skepsis ist angebracht, ob die Auflösung tatsächlich befolgt wird.
Auch der lange in sich zerstrittene, 1971 gegründete Kommunistische Bund -die eine Richtung stand der PDS nahe, die andere gruppierte sich um die „Radikale Linke“ -löste sich im Juni 1991 auf Der KB vollzog damit das nach, was die meisten anderen „K-Gruppen“ lange hinter sich hatten. Die von einer Minderheit des KB im August 1991 ins Leben gerufene „Gruppe K“ ist von vornherein zum Scheitern verurteilt
Die aus den Bürgerbewegungen hervorgegangene „Vereinigte Linke“ (VL) hat sich weder im östlichen noch gar im westlichen Deutschland etablieren können. Sie war am zentralen „Runden Tisch“ vom Dezember 1989 bis März 1990 vertreten. Im Gegensatz zu anderen Bürgerbewegungen trat sie nicht in Modrows „Regierung der nationalen Verantwortung“ ein, weil sie sich nicht mit der sich abzeichnenden Einheit Deutschlands anfreunden konnte, und sie schloß sich aufgrund ideologischer Differenzen auch nicht dem Bündnis 90 an. Gemeinsam mit der marxistischen Partei „Die Nelken“ kam es bei der Volkskammerwahl zu einem „Aktionsbündnis Vereinigte Linke“: 20342 Wähler (0, 18 Prozent) brachten ein Mandat. Zum Teil kandidierten Mitglieder der VL auf Listen anderer Parteien, der PDS oder des Bündnis 90. Im Herbst 1991 konstituierte sich die VL wegen Erfolglosigkeit, wie auch der zum Teil PDS-orientierte Unabhängige Frauenverband, als eingetragener Verein
Die bisher für die Bundesrepublik charakteristische Trennung in moskau-und chinaorientierte Gruppierungen hat sich durch die Entwicklung verwischt. Eine Annäherung zwischen den ehemals sowjetmarxistisch-orientierten und den nicht an der Sowjetunion ausgerichteten Strömungen ist erfolgt Beispielsweise versucht die DKP, Kontakte zur ostdeutschen KPD zu knüpfen. „Es herrschte Einmütigkeit darüber, daß die Kommunistinnen und Kommunisten gefordert sind, einen aktiven Beitrag zu einem möglichst engen Zusammenwirken aller linken Kräfte zu leisten, daß zugleich jedoch eine eigenständige kommunistische Partei für ganz Deutschland unverzichtbar ist.“ Die PDS hat in der alten Bundesrepublik Deutsch-land Fäden zu den „K-Gruppen“ gesponnen und gewisse Erfolge erzielt. Manfred Coppik, in den siebziger Jahren Aushängeschild der Linken innerhalb der SPD, 1982 Gründer der „Demokratischen Sozialisten“ und seit Januar 1991 Mitglied des Parteivorstandes der PDS, prangert diesen Umstand selbstkritisch an: „Der Versuch der PDS-Führung, in diesem Bereich [bei den K-Gruppen] tragende Bündnispartner zu finden und auf diese Weise den Aufbau der PDS in Westdeutschland voranzutreiben, war eine Fehleinschätzung.“
Die Aussage, vieles sei im Fluß, trifft besonders auf die gegenwärtige Entwicklung im Bereich des Linksextremismus zu. Bisher ist noch keine Verschmelzung der linksextremistischen Organisationen in den alten und den neuen Bundesländern eingetreten. Sowohl die DKP als auch die PDS sehen die Selbständigkeit der eigenen Organisation als notwendig an Der PDS ist die Ausdehnung auf die alten Bundesländer nicht gelungen. Sie hat hier nicht mehr als 600 Mitglieder. Gleiches gilt für die DKP in den neuen Bundesländern. Die „Kommunistische Plattform“ innerhalb der PDS hat vor einer Ausdehnung der DKP in den neuen Bundesländern gewarnt. „Solidarisch verbunden fühlen sich die Kommunistinnen in der PDS mit den Mitgliedern der DKP, aber nur in den alten Bundesländern. Von der Ausdehnung der DKP halten die Versammelten nicht viel, mehr dagegen von der Mitarbeit aller Kommunisten der Ex-DDR in der PDS, von einer , breiten linken Arbeitsfront gegen den antisozialen Crashkurs der herrschenden Klasse*.“ Mittlerweile gründete sich die erste „marxistische Plattform“ innerhalb der PDS/Linken Liste Nordrhein-Westfalen
Gewiß ist die sich als sozialistische Alternative verstehende PDS heute überwiegend keine kommunistische Partei mehr Aber wer daraus die Schlußfolgerung zu ziehen geneigt ist, sie sei auch keine extremistische Partei mehr, dürfte einem Irrtum unterliegen. Nach wie vor beruft sich die PDS auch auf Lenin als einen ihrer ideologischen Gewährsmänner. Von den 2, 3 Millionen Mitgliedern der SED im Sommer 1989 hat die PDS nur einen Bruchteil halten können. Gehörten ihr zur Zeit der Vereinigung noch etwa 325 000 Mitglieder an, so ist ein Jahr später der Mitgliederanteil beinahe halbiert worden. Den vielen Austritten stehen kaum Eintritte gegenüber. Fast 99 Prozent der Mitglieder aus den Reihen der PDS gehörten auch der SED an. Ist die Annahme aus der Luft gegriffen, daß es sich dabei um den „harten Kern“ Überzeugter handelt? Und ist die nachfolgende These wirklich nur konstruiert? Je mehr Personen die PDS verlassen, um so stärker kommt der extremistische Charakter zum Vorschein. Der alerte Vorsitzende Gregor Gysi mit seinen Warnungen vor einer DDR-Nostalgie dürfte nicht das Gros der Mitglieder repräsentieren. Die PDS verficht einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und „realexistierendem Sozialismus“ Im Wahlprogramm der Linken Liste/PDS wurde das folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Die LINKE LISTE/PDS arbeitet an Bausteinen für eine Alternative zum bisher gekannten , realen Sozialismus* im Osten und zu den kapitalistischen Gesellschaften im Westen. Denn beide haben sich auf unterschiedliche Art als unfähig erwiesen, dem bedrohten Zustand der Welt zu begegnen und den Ansprüchen der Menschen auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu entsprechen.“
Nach Auffassung des Verfassungsschutzes gehören zwei Bundestagsabgeordnete dem (inzwischen aufgelösten) „Kommunistischen Bund“ an Mit der „Kommunistischen Plattform“ besitzt die PDS eine von kommunistischen Ideen bestimmte Gruppierung. Offenkundig ist die PDS in sich nicht sonderlich homogen. Die Reaktionen auf den Putsch-versuch in der Sowjetunion fielen innerhalb der Partei höchst unterschiedlich aus Selbst PDS-Mitglieder haben des öfteren von einer unzureichenden Erneuerung gesprochen. Und der auf dem Parteitag im Dezember 1991 mit großer Mehrheit wiedergewählte Vorsitzende Gysi drohte bereits mehrfach mit seinem Rücktritt
IV. Zukünftige Situation
1. Perspektiven des Linksextremismus Natürlich hängen Vorhersagen stets von einer Reihe von Imponderabilien ab. Die folgenden Überlegungen beziehen sich vor allem auf die stärkste organisatorische Kraft, die PDS. Die von der SED übernommene Erblast wird ihr zu schaffen machen. Wer aber bereits das Totenglöcklein zu läuten beginnt und die PDS als „Fußnote in den Geschichtsbüchern“ verschwinden sieht, mag voreilig sein, auch wenn Kräfte innerhalb der PDS eine Selbstauflösung in Erwägung gezogen haben. „Die Nachricht vom endgültigen Niedergang der Partei überrascht niemanden, die Trauer um den Abgang beschränkt sich auf die Mandatsträger und auf jenes Häuflein aufrechter Altkommunisten, für die es schwer war zu verstehen, daß es keine Zukunft für diejenigen geben konnte, die für immer und ewig mit der Schuld der letzten 40 Jahre identifiziert werden. Mit dieser Erblast im Kreuz und mit der real existierenden personellen, finanziellen und ideologischen Kontinuität zur SED konnte keine Partei überleben. So hatte der Verfall der PDS immer etwas Naturgesetzliches, ihr Verwesungsgeruch wehte schon auf den Gründungsversammlungen durch die Reihen der Mitglieder.“
Die PDS versucht systematisch den Eindruck zu erwecken, als werde sie auf kaltem Wege aus dem politischen Willensbildungsprozeß eliminiert. Sie müsse alte Verpflichtungen aus dem (geringen) Neuvermögen bestreiten. Auf diese Weise treibe man die PDS in den Ruin. Auch wenn diese Behauptungen so nicht zutreffen -die PDS, die das Erbe der SED angenommen hat, kann nicht einfach ihr früher zum großen Teil unrechtmäßig erworbenes Vermögen behalten -, muß Sorge dafür getragen werden, daß die PDS ihren politischen Offenbarungseid nicht mit finanziellen Engpässen zu begründen vermag.
Die Zukunft der PDS dürfte wesentlich davon abhängen, „wie viele Mitglieder oder Sympathisanten von SPD und Grünen mit ihren Forderungen an die Grenzen des kapitalistischen Systems stoßen und dann eine individuelle Entscheidung für eine relevante sozialistische Partei treffen“ Bisher ist sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen die Basis nicht abgebröckelt. Die PDS-Bündnisangebote an die Grünen, die Bürgerbewegungen und den linken Flügel der SPD sind verpufft.
Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung spricht viel dafür, daß es die PDS nicht schafft, das Parteiensystem in einem größeren Umfang zu beeinflussen und an der bundesweiten Fünfprozenthürde scheitert. Die häufig vertretene Annahme, die PDS werde sich als Regionalpartei in den Parlamenten der neuen Bundesländer halten können kann nicht als sicher gelten, mag allenfalls für die nächsten Landtagswahlen zutreffen. Die PDS hat sich aufgrund ihrer offenkundig mangelnden Glaubwürdigkeit entgegen dem Sachverständnis bisher nicht als Anwalt der DDR-Bürger zu profilieren vermocht. Aber noch ist die Warnung von Kritikern verfrüht, „eine Nachfolgepartei der Nachfolgepartei zu gründen“
Ist die linke Variante des politischen Extremismus heutzutage gefährlicher als vor der Vereinigung Deutschlands? Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich von der Einschätzung der Gefahren-potentiale ab Zu den wichtigsten Indikatoren gehören Wahlerfolge, der organisatorische Einfluß, die ideologisch-programmatische Attraktivität, die Frage des Handlungsstils -strenge Legalitätsorientierung versus aktivistische Militanz -, die Höhe des extremistischen Einstellungspotentials sowie Infiltrationsmöglichkeiten. Vieles spricht für die Annahme, daß der Einfluß des politischen Extremismus von links weiter schwinden dürfte. Das gilt etwa für „Seilschaften“ in den neuen Bundesländern. Die Krise der extremen Linken in Deutschland ist nicht nur angesichts der desaströsen Hinterlassenschaften offenkundig. Insofern droht von dieser Seite her gegenwärtig keine ernsthafte Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat. Am ehesten kann die PDS bei ihren Antifaschismus-Kampagnen Anhänger mobilisieren. Davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht, wie umgekehrt Rechtsextremisten in einer Manier der Ablenkung gerne auf Umtriebe von SED und PDS verweisen. Die PDS glaubt ihre Existenzberechtigung nicht zuletzt mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus unter Beweis stellen zu müssen: „Ausländischen Beobachterinnen und Beobachtern ist klar, daß der zunehmende Rechtsradikalismus auf der einen Seite und die beabsichtigte -Beseitigung solcher Parteien wie die PDS auf der anderen Seite eine Einheit bilden. Und da es diese Einheit tatsächlich gibt, sollten wir alles tun, um zu bleiben. Eine freiwillige Aufgabe hätte zur Folge, sich den rechten Entwicklungstendenzen in der Bundesrepublik Deutschland zu beugen.“ 2. Perspektiven der Abwehrbereitschaft Die Antwort auf die Frage nach der Gefährlichkeit des politischen Extremismus hängt nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen für den politischen Extremismus ab. Beispielsweise ist durch den Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion und in der DDR der „Interventionsapparat“ von außen verschwunden. Auch dieser Tatbestand hat die Wirkungskraft des linken Extremismus in Deutschland geschwächt. Freilich gibt es ebenso gegenläufige Tendenzen, wie das für die Konzeption der streitbaren Demokratie mit ihrer Vorverlagerung des Demokratieschutzes gilt. Sie war eine Reaktion auf den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Diese Erfahrungen sind im Laufe der Jahrzehnte immer mehr verblaßt.
Zunehmend wird jedoch eine Position stärker, für die nur illegale Bestrebungen illegitim sind. Erst wer Gewalt anwendet, verstößt nach dieser Lesart gegen demokratische Prinzipien. „Die Ideologie der streitbaren Demokratie 4, die den Wechsel der Zeiten überdauert hat und ihre Regression bis heute als eine geläuterte, gar höhere Form der Demokratie ausgibt, ist die westliche Erblast des Kalten Krieges. Eben dieses verkürzte Demokratieverständnis steht heute zur Disposition, nicht nur die Ämter für Verfassungsschutz.“ Gegenwärtig -nach dem Zusammenbruch des Kommunismus -steht der Verfassungsschutz in Deutschland mit dem Rücken zur Wand. Die Argumente gegen diese Institution kommen dabei aus zwei Richtungen. Ihm wird einerseits vorgeworfen, eine Art Überwachungsstaat zu installieren und andererseits wird seine mangelnde Effizienz beklagt. So sei der Verfassungsschutz nicht in der Lage gewesen, die geheime Militärorganisation der DKP aufzuspüren. Faktisch stehen die beiden Positionen in einem spürbaren Spannungsverhältnis zueinander.
Wer der Konzeption der streitbaren Demokratie eine Absage erteilt und als extremistisch nur solche Gruppierungen anzusehen gewillt ist, die Gewalt anwenden oder propagieren, darf nicht mit zweierlei Maß messen: An die rechte Variante des Extremismus müssen die gleichen Kriterien angelegt werden. Auch wenn sich eine Rückkehr zum Demokratieverständnis der Weimarer Republik vollziehen sollte, bedeutet dies nicht notwendigerweise eine Aufwertung (links-) extremistischen Gedankenguts. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die politisch Verantwortlichen sich zur Abkehr vom Konzept der streitbaren Demokratie konsequent bekennen und der Öffentlichkeit die Außerkraftsetzung einer Alarmvorrichtung zum Demokratieschutz verdeutlichen. Ein alarmierender Zustand muß damit nicht verbunden sein.
Folgende Möglichkeiten des Demokratieschutzes im Hinblick auf die PDS zeichnen sich ab. Erstens: Die PDS gilt als demokratisch, weil sie keine Gewalt anwendet und auch nicht zu solcher aufruft. Zweitens: Die PDS gilt als demokratisch, weil sie weder verfassungsfeindliche Methoden noch Ziele propagiert. Drittens: Die PDS wird aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Zielsetzung vom Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht. Viertens: Gegen die PDS wird ein Antrag auf ein Parteiverbot beim Bundesverfassungsgericht gestellt.
Zur Zeit wird jedoch eine andere Strategie eingeschlagen: Der frühere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte sich mit der Begründung gegen eine Beobachtung der PDS durch den Verfassungsschutz gewandt, daß eine politische Bekämpfung notwendig sei. „Unsere Demokratie ist stark genug, um mit einer solchen Partei fertig zu werden.“ Selbstverständlich muß die PDS politisch -ein Verbotsantrag steht nicht ernsthaft zur Diskussion-bekämpft werden. Und es stimmt auch, daß die Demokratie stark genug ist, sich der PDS und ihrer überalterten Anhängerschaft zu erwehren. Aber Schäubles Argumentation überzeugt nicht. Die Frage, ob eine Partei demokratisch ist oder nicht, steht in keinem direkten Zusammenhang zu ihrem Bedrohungspotential. Ansonsten dürfte beispielsweise auch die NPD, die den demokratischen Verfassungsstaat keineswegs gefährdet, nicht überwacht werden.
Offenkundig wollte die politische Führung in der Bundesrepublik die PDS nicht beobachten lassen. Dieses Problem darf aber nicht -wie etwa die Frage nach einem Verbot einer Organisation -von Gesichtspunkten politischer Opportunität abhängen. In der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck, der Staat sehe sich nicht in der Lage, die PDS als verfassungsfeindlich zu bezeichnen. Oder: Die PDS gehöre nicht zu den Parteien mit verfassungsfeindlichen Tendenzen. Beides könnte gleichermaßen verheerende Konsequenzen für die politische Kultur haben: Der politische Extremismus würde salonfähig gemacht, das Selbstbewußtsein des demokratischen Verfassungsstaates litte Schaden. Ein antiextremistisches Demokratieverständnis bliebe auf der Strecke. Für das Verhalten der Politiker und Behörden dürften hier taktische, strategische und pragmatische Gründe ebenso eine Rolle spielen wie liberale Skrupel. Am meisten überzeugt für die Zurückhaltung gegenüber der PDS folgender Umstand: Da in den neuen Bundesländern der zum Teil mißtrauisch beäugte Verfassungsschutz noch gar nicht aufgebaut ist, macht es keinen Sinn, die PDS dort, wo sie besonders stark ist, überwachen zu wollen. Allerdings ließe sich aus der Not eine Tugend machen: Man könnte die PDS als verfassungsfeindlich qualifizieren, ohne daß dieses Diktum die nachrichtendienstliche Überwachung nach sich zieht. So würde man an einer schwächeren Form der streitbaren Demokratie festhalten. Es ließe sich dann auch der Einwand entkräften, daß mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Wer dieser Position zuneigt, muß sie aus Gründen der politischen Equilibristik auch für die extreme Rechte anwenden.
Bisher bezeichnet lediglich die CSU die PDS als verfassungsfeindlich. In Bayern wird diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Die Innenminister der anderen Länder schrecken davor gegenwärtig zurück, wenngleich sich die Stimmen derer mehren, die die PDS als Beobachtungsobjekt einstufen möchten Nach Meinung des stellvertretenden PDS-Vorsitzenden Andre Brie muß es nicht verwundern, daß „kritische und oppositionelle Kräfte in der BRD mit geheimdienstli-chen Methoden gestoppt werden sollen“. Die PDS betrachte es als normal, „wenn sie Politikern wie dem Bundesinnenministerium und dem Verfassungsschutz ein Dorn im Auge ist“ 57.
Könnte man nicht für „Entwarnung“ plädieren? Gewiß sind alle Formen des Linksextremismus gegenwärtig in einer Krise, und es besteht kein Anlaß, die Lage zu dramatisieren. Doch ein politischer Gezeitenwechsel ist nicht ausgeschlossen. Die Konzeption der streitbaren Demokratie darf nicht so verstanden werden, als sei sie eine von tagespolitischen Opportunitäten bestimmte Reaktion auf eine akute Bedrohung. Wer sie dagegen so interpretiert, kann in der Tat zum Schluß kommen, man benötige sie nicht mehr. Nur muß man sich dann darüber im klaren sein, daß sie sich in einem Alarmzustand nicht mehr revitalisieren läßt.
Allerdings ist der Weg zurück in die fünfziger Jahre, als die Bundesrepublik sich in einer Art permanenter Alarmstimmung befand, nicht angezeigt. Viele der seinerzeit praktizierten Schutzmaßnahmen waren überzogen und sind nur vor dem Hintergrund einer ungefestigten politischen Kultur erklärbar. Häufig wurde „blinder Alarm“ geschlagen. Mancher „Warnschuß“ kräftigte nicht die Liberalität der politischen Ordnung. Der demokratische Verfassungsstaat muß mit dem politischen Extremismus jedweder Couleur leben. Aber: Bereits verfassungsfeindliche Ziele sind extremistisch, nicht erst gewalttätige Methoden.