Die brutalen Gewaltaktionen rechtsextremer Randalierer gegen Asylbewerber und Ausländer sowie das aggressive und martialische Auftreten von Neonationalsozialisten und Skinheads in den neuen Bundesländern haben ein Thema in die Schlagzeilen gebracht, dem lange Zeit hinsichtlich seiner politischen Bedeutung nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Gemeint sind die rechtsextremen Tendenzen im Osten Deutschlands. Offensichtlich werden entsprechende Entwicklungen von Parteien, Politikern und Öffentlichkeit immer noch primär über Wahlergebnisse wahrgenommen. Von daher schien es so, als ob Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern keine Chance hätte, lagen doch die Ergebnisse der zu diesem politischen Spektrum gehörenden Parteien bei den Bundestagswahlen 1990 in allen fünf neuen Bundesländern unter zwei Prozent und damit auch unter den Resultaten in den alten Bundesländern Um so überraschter sieht man sich den gegenwärtigen rechtsextremen Tendenzen in der ehemaligen DDR gegenüber, dabei waren derartige Entwicklungen durchaus voraussehbar Mit einer sich oberflächlich an der Wahlentscheidung orientierenden Wahrnehmung wird man ein so komplexes Phänomen wie den Rechtsextremismus nicht erfassen können. Deshalb werden hier zunächst einige methodische Vorbemerkungen vorausgeschickt, die nicht nur die folgende Darstellung und Analyse begleiten, sondern sich grundsätzlich als Kriterien zur Untersuchung des Rechtsextremismus verstehen. Manches mag dabei als selbstverständlich erscheinen, ist es aber, betrachtet man die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen in Öffentlichkeit und Wissenschaft keineswegs.
L Methodische Vorbemerkungen
Rechtsextremismus kann als eine Sammelbezeichnung für antidemokratische Auffassungen und Bestrebungen mit traditionell politisch rechts einzuordnenden Ideologieelementen bezeichnet werden. Zu letzteren gehören u. a. ein die „Nation“ als höchsten Wert ansehender Nationalismus, eine autoritäre Politikvorstellung, die den Staat über die Gesellschaft stellt, eine antipluralistische „Volksgemeinschafts“ -Vorstellung, die die gesellschaftliche Homogenität und die Identität von Volk und Regierung fordert sowie eine Ideologie der Ungleichheit, verbunden mit Abwertung und Ausgrenzung der nicht zur Eigengruppe gehörenden Menschen. Nationalsozialismus bzw. Neonationalsozialismus ist eine, aber keineswegs die einzige Form des Rechtsextremismus. Insofern kann auch nicht jeder Rechtsextremist als (Neo-) Nationalsozialist bezeichnet werden; es gibt auch andere Formen, etwa die eines „Deutsch-Nationalismus“ oder der „Konservativen Revolution“ im Sinne der „Neuen Rechten“. Entsprechende Unterscheidungen sind nicht nur um einer differenzierten Betrachtung willen notwendig, sondern auch, um Diffamierungs-wie Verharmlosungstendenzen zu entgehen. Bei der Definition von Rechtsextremismus orientiert sich auch die Fachliteratur immer noch zu stark an der nationalsozialistischen Ideologie und berücksichtigt dabei nicht genügend die vielfältigen Formen von Rechtsextremismus.
Differenziert betrachtet werden müssen auch die Ebenen rechtsextremer Einstellungen. Von Rechtsextremismus sollte nicht nur gesprochen werden, wenn eine politisch-programmatische Ideologie im Sinne der oben genannten Elemente, etwa als geschlossenes Weltbild, vorhanden ist. Vielmehr müssen dem auch entsprechend ausgerichtete diffuse Stimmungen, emotionale Relikte und Konstrukte des alltäglichen Lebens zugeordnet werden. Hier sollte man statt vor einer rechtsextremen Ideologie besser von rechtsextremen Orientierungen reden Das niedrige theoretische Niveau entsprechender Positionen und Einstellungen darf dabei keinen Anlaß geben, hier nicht von Rechtsextremismus zu sprechen.
Darüber hinaus muß eine politikwissenschaftliche Analyse die verschiedenen Bereiche, in denen sich Rechtsextremismus artikuliert, beachten: Erstens bedarf es dazu einer kritischen Untersuchung von rechtsextremen Parteien; einerseits hinsichtlich ih-rer politischen und organisatorischen Entwicklung, andererseits hinsichtlich ihrer Wahlergebnisse. Auf einer zweiten Ebene sollten rechtsextreme Gruppierungen, Organisationen und Publikationen beachtet und analysiert werden, und zwar hinsichtlich ihrer internen Entwicklung, aber auch bezogen auf ihre Außenwirkung. Drittens verdienen gesellschaftliche Gruppen Beachtung, die zunächst eher unpolitisch wirken, aber mit ihrem Auftreten eine Subkultur bilden, die für rechtsextreme Tendenzen empfänglich ist. Auf einer vierten Ebene bedarf es der Einschätzung des rechtsextremen Wähler-und Einstellungspotentials, wobei klar sein muß, daß beides nicht miteinander identisch ist. Es kann durchaus eine Situation geben, in der das rechtsextreme Einstellungspotential nicht entsprechende Parteien wählt, etwa weil es als Wählerpotential anderer Parteien integriert wurde oder weil sich keine attraktive rechtsextreme Partei für dieses Einstellungspotential findet.
II. Rechtsextreme Parteien
Entsprechend dieser hier skizzierten Bereiche des Rechtsextremismus sollen nun die diesbezüglichen Tendenzen in den neuen Bundesländern untersucht werden, begonnen wird dabei mit dem parteiförmig organisierten Rechtsextremismus.
Nach der Öffnung der Grenzen im November 1989 wurden die bundesdeutschen rechtsextremen Parteien auf dem Boden der damaligen DDR aktiv und zwar einerseits durch Verbreitung von Propagandamaterial und andererseits, um dort eigene Parteistrukturen aufzubauen. Dominierende Kraft hierbei waren die „Republikaner“ (REP) Junge Aktivisten transportierten im Dezember 1989 Propagandamaterial nach Leipzig und Ost-Berlin, wo es ohne große Behinderung bei Demonstrationen verteilt wurde. Folgt man einem internen Bericht, so fand das Material schnell Verbreitung und wurde positiv aufgenommen Allerdings werteten die REP-Funktionäre hier die Neugier und das Informationsbedürfnis der DDR-Bürger in verzerrter Sicht leichtfertig als allgemeine Zustimmung Auch sonst wurden die sich nun bietenden politischen Möglichkeiten überschätzt, etwa wenn auf dem Rosenheimer Parteitag der REP Mitte Januar 1990 davon ausgegangen wurde, daß 20-30 Prozent die Partei in der DDR wählen würden
Indessen kamen die REP organisatorisch kaum voran, nur langsam entstanden Landes-, Kreis-und Ortsverbände. Oft erwiesen sich örtliche Parteifunktionäre als unfähig, entsprechende Strukturen aufzubauen, oder es vertraten Partei-sprecher offen neonationalsozialistische Parolen was der taktischen Linie der REP widersprach. Zwischen Februar und August 1990 wurde der Partei sogar aufgrund eines Beschlusses der Volkskammer legale Tätigkeit und Wahlbeteiligung verboten. Bei den Landtags-und Bundestagswahlen des Jahres erreichten die REP in Ostdeutschland lediglich zwischen 0, 6 und 1, 2 bzw. zwischen 1, 0 und 1, 7 Prozent der Stimmen. Zwischenzeitlich ging es mit dem organisatorischen Aufbau voran, es entstanden in allen Ländern eigene Landesverbände, und die Mitgliederzahl stieg nach eigenen Angaben (Juni 1991) auf gut 3 500 an Einer der führenden sächsischen Aktivisten gab bereits 1990 an, die Mehrzahl der Neu-mitglieder sei jugendlichen Alters und stamme aus Arbeiter-und Handwerksberufen Auffällig ist eine jüngst zu beobachtende Annäherung an das rechtsextreme Skinhead-Potential: Während der Parteivorsitzende Franz Schönhuber noch im Juli 1991 in Leipzig von „Irren“ sprach und die Polizei dazu aufrief, diese zu entfernen, nahm er sie im September des Jahres in Neubrandenburg vor Vorwürfen in Schutz und setzte sich dafür ein, daß sie bei einer Kundgebung in den Saal gelassen wurden
Neben den REP wurde vor allem die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) in der ehemaligen DDR aktiv. Auch sie nutzte die Situation nach der Maueröffnung aus und verbreitete an den Grenzübergängen und auf den Leipziger Montagsdemonstrationen Aufkleber, Klein-Broschüren, Flugblätter und anderes Propagandamaterial. Hinsichtlich des organisatorischen Aufbaus bemühte sich die NPD um Kontakte zur ehemaligen Blockpartei „National-Demokratische Partei Deutschlands“ (NDPD). Eine erhoffte Zusammenarbeit oder gar Einigung kam allerdings nicht zustande so daß man sich von Seiten der NPD zu einer Neugründung entschloß. Im Januar 1990 wurden in Leipzig die „Mitteldeutschen National-demokraten“ (MND) gegründet die sich kurz vor der Wahlregistrierung im August in NPD umbenannten und sich Anfang Oktober 1990 mit der NPD der bisherigen Bundesrepublik zusammenschlossen Bei den Landtags-und den Bundestagswahlen 1990 erreichte man im Osten Deutschlands lediglich Ergebnisse zwischen 0, 13 und 0, 7 Prozent der Stimmen. Landesverbände bestehen zwischenzeitlich in allen neuen Bundesländern. Die Mitgliederzahl wird von der Partei selbst (September 1991) mit 2 800 angegeben. Vor allem Arbeiter, Studenten und Schüler stellten die soziale Basis der Partei, während der Anteil der Angestellten und Bauern gering sei. Das Durchschnittsalter der NPD-Mitglieder betrage ca. 23 Jahre
Im Gegensatz zu den REP und der NPD nahm die .. Deutsche Volksunion“ (DVU) in den neuen Bundesländern an den Wahlen nicht teil und trat auch sonst nicht in Erscheinung. Erst im März 1991 entstand ein Landesverband Berlin-Brandenburg und im Juni ein Landesverband Thüringen. Genauere Zahlen zur Mitgliederentwicklung liegen nicht vor. Für Sachsen, wo im Sommer des Jahres ein Landesverband gegründet werden sollte, gab man über 1 000 Mitglieder an eine sicherlich stark übertriebene Zahl, vergleicht man die Mitgliederzahlen der REP und der NPD und berücksi Jahre 18.
Im Gegensatz zu den REP und der NPD nahm die .. Deutsche Volksunion“ (DVU) in den neuen Bundesländern an den Wahlen nicht teil und trat auch sonst nicht in Erscheinung. Erst im März 1991 entstand ein Landesverband Berlin-Brandenburg und im Juni ein Landesverband Thüringen. Genauere Zahlen zur Mitgliederentwicklung liegen nicht vor. Für Sachsen, wo im Sommer des Jahres ein Landesverband gegründet werden sollte, gab man über 1 000 Mitglieder an 19, eine sicherlich stark übertriebene Zahl, vergleicht man die Mitgliederzahlen der REP und der NPD und berücksichtigt man die bislang geringe Aktivität der DVU in den neuen Ländern 20. Neben den genannten waren auch andere rechtsextreme Parteien in der ehemaligen DDR aktiv, so etwa die „Freiheitliche Arbeiter Partei“ (FAP) oder die „Patrioten für Deutschland“, allerdings ohne propagandistisch oder organisatorisch besonders aufzufallen.
Allgemein kann gesagt werden, daß sich der Aufbau der rechtsextremen Parteien in Ostdeutschland nur langsam vollzog, sie funktional und personell nur mäßig ausgestattet sind und die organisatorische Schwäche größer als in den alten Bundesländern eingeschätzt werden muß. Erst in letzter Zeit machte man Fortschritte beim Aufbau von Landes-und Kreisverbänden, was in den Medien indessen nur wenig Beachtung fand.
III. Neonationalsozialistische Gruppierungen
Neben den genannten rechtsextremen Parteien wurden insbesondere neonationalsozialistische Gruppierungen nach Öffnung der Grenzen in der damaligen DDR tätig. Hierzu gehörten vor allem die „Nationale Alternative“ (NA) und die „Deutsche Alternative“ (DA) 21, Organisationen, die auf Initiative des inzwischen verstorbenen Michael Kühnen gegründet worden waren 22.
Die Anfang 1990 in Ost-Berlin gegründete NA 23 bediente sich bei ihren ersten Aktivitäten bemerkenswerterweise bisher nur aus der politischen Linken bekannter Aktionsformen wie Hausbesetzungen und die Gründung von Sanierungsinitiativen. Die genutzten Häuser, insbesondere das in der Weitlingstraße 122 in Ost-Berlin wurden zu einem Aktions-und Organisationszentrum ausgebaut, in dem eine Reihe von prominenten Wortführern der neonationalsozialistischen Szene Schulungen durchführten und Anweisungen für die politische Arbeit gaben. Strategisch und konzeptionell wollte die NA zweigleisig vorgehen: Offiziell gab man sich moderat, um so die Registrierung als legale Partei zu erreichen, inoffiziell ging man mit Gewalt gegen Ausländer und linke Einrichtungen vor und führte Demonstrationen und Feiern zu Hitlers Geburtstag durch. Aufgrund die-ser VorKommnisse durchsuchte die Folizel die Häuser, beschlagnahmte diverses Propagandamaterial und verhaftete zeitweise den gesamten NA-Vorstand. Fast das ganze Jahr 1990 über blieben die Aktivisten indessen in den Häusern wohnen, erst im November wurden sie zum Auszug aufgefordert. Daraufhin kam es zu Protestdemonstrationen, auf denen Parolen wie „Rotfront verrecke“ und „Ausländer raus“ skandiert wurden Nach längeren Auseinandersetzungen mit den zuständigen Behörden gaben die Neonationalsozialisten die Häuser dann freiwillig auf; einige der Aktivisten verlagerten daraufhin ihre Tätigkeit nach Dresden.
Die DA wurde bereits Anfang Mai 1989 von Kühnen-Anhängern in Bremen gegründet. Sie bot die Grundlage, um organisatorisch im östlichen Teil Deutschlands wirken zu können und ist personell weitgehend mit der NA identisch. Die parallele Existenz beider Organisationen gehörte zu Kühnens Verwirrspiel mit verschiedenen Organisationsnamen, das dazu dient, für Verbotsfälle möglichst schnell eine entsprechende Nachfolgeorganisation parat zu haben. Bereits im Dezember 1989 entstanden erste Ortsverbände in Dresden und Cottbus, und im März 1990 wurde in West-Berlin eine „DA-Ost“ gegründet. Anfang Juli versammelten sich ca. 120 Neonationalsozialisten zu einem Parteitag in Cottbus, bei dem sich Kühnen medienwirksam von einer Polizeieinheit verhaften ließ Im Juli traf er sich mit dem Gründer der US-amerikanischen NSDAP-Aufbauorganisation Gary R. Lauck in Ost-Berlin, wo beide für eine „legale Neugründung der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei“ und die „Gründung eines vierten Reiches“ eintraten Einen anderen medienwirksamen Auftritt hatte Kühnen im Oktober 1990 in Dresden, wo ein Aufmarsch von 300 Neonationalsozialisten unter seiner Führung stattfand
Insgesamt verlagerten sich die Aktivitäten seit dem Herbst 1990 von Ost-Berlin weg in andere Regionen, insbesondere in den Raum Dresden/Cottbus, wo zwischenzeitlich für die Neonationalsozialisten ein besseres Arbeitsfeld entstanden war. Mit dieser örtlichen Verlagerung von Aktivitäten nahm auch die Bedeutung der NA zugunsten der DA im neonationalsozialistischen Spektrum ab, letztere war nun die dominierende Kraft und begann von Dresden aus, der „Hauptstadt der Bewegung“ flächendeckend in den neuen Bundesländern zu agieren Zu diesem Zweck gründete die DA weitere Organisationen wie „Jungsturm“, „Verband der Sächsischen Wehr-wölfe“, „Schutzstaffel Ost“ oder „Nationaler Widerstand Deutschlands“, die sich aus neonationalsozialistisch orientierten Skinheads zusammensetzen und insbesondere durch Gewaltaktionen gegen Ausländer und linke Einrichtungen auffielen Organisatorisch kam es im ostdeutschen Neonationalsozialismus nach dem Tod von Michael Kühnen und Rainer Sonntag zu heftigen Auseinandersetzungen um Führungspositionen und teilweise auch zu Spaltungstendenzen, wie etwa die Gründung einer „Sächsischen Nationalen Liste“ Ende August 1991 vermuten läßt. Trotz dieser Krisentendenzen waren die Aktivisten weiterhin tätig, so auch als Provokateure bei den Ausschreitungen in Hoyerswerda im September
Der Verfassungsschutz schätzte im Juni 1991 das neonationalsozialistische Potential auf mehr als 1500 Personen, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar um „ein Vielfaches, und zwar mit zunehmender Tendenz“. Das „militante rechtsextremistische Sympathisantenfeld“ werde auf 15 000 Personen geschätzt Bernd Wagner, Leiter der Staatsschutzabteilung im Gemeinsamen Landeskriminalamt der fünf neuen Bundesländer, bestätigte diese Zahlen und sprach im Oktober 1991 davon, daß im Osten ein „rechtsextremes Potential von 10000 bis 15 000 Mann zur Verfügung“ stünde
IV. Die rechtsextreme Skinhead-Szene
Der dominierende Einfluß westdeutscher Aktivisten in den rechtsextremen Parteien und Organisationen der neuen Bundesländer sollte nicht zu der Vermutung oder der Unterstellung Anlaß geben, es handele sich beim Rechtsextremismus um ein „importiertes Phänomen“. Denn bereits vor der Wende in der DDR bildete sich eine Skinhead-Szene unter Jugendlichen heraus, die im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr rechtsextreme Züge annahm
Zu Beginn der achtziger Jahre gab es nur vereinzelte Skinheads, die lediglich eine unter vielen jugendkulturellen Strömungen zu sein schienen und eher an Musik und Mode, denn an politischer Betätigung interessiert waren. Ungefähr seit 1983 setzte ein Organisationsprozeß ein, der bis 1986 dazu führte, daß es ihnen im Vergleich zu anderen Jugendgruppen gelang, stabile Organisationsstrukturen aufzubauen. Es entstanden Kleingruppen mit einer festen Mitgliederzahl, die neue Bewerber in ihrer Organisation nur nach Erfüllung bestimmter Bedingungen aufnahmen. Gleichzeitig entwikkelten sich enge Gruppenbeziehungen, die eine hohe Übereinstimmung von Interessen-und Verhaltensmustem bewirkten. Beides führte dazu, daß die Skinheads sich immer mehr in der Gesellschaft isolierten.
Gefördert wurde diese Entwicklung durch die immer brutaleren und gewalttätigeren Aktivitäten der Skinheads. Zunächst kam es zu scheinbar völlig unpolitischen Prügeleien bei Fußballspielen, die allerdings schon mit rassistischen Beschimpfungen verbunden waren. Danach eskalierte die von der Skinhead-Szene ausgehende Gewalt immer mehr, es kam zu Ausschreitungen gegen jüdische Einrichtungen und Überfällen gegen Ausländer. Der bekannteste Fall dieser Art war der Überfall auf die Zionskirche im Oktober 1987. Dabei drangen rechtsextreme Skinheads unter Skandierung von Parolen wie „Sieg Heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“ in das Gebäude ein und schlugen die anwesenden Jugendlichen brutal zusammen. Es kam zwar anschließend zur Verurteilung einiger der Beteiligten, der politische Hintergrund wurde allerdings geleugnet, die Tat lediglich als Rowdytum dargestellt
Aufschluß über die rechtsextreme Skinhead-Szene erhält man durch eine unveröffentlicht gebliebene „Studie über Erkenntnisse der Kriminalpolizei zu neofaschistischen Aktivitäten in der DDR“ in der 1989 die Akten aus einigen Strafverfahren ausgewertet wurden. Untersucht hatte man darin auch die Ideologie und sozialen Werte der straffällig gewordenen Skinheads, die eindeutig rechtsextreme Züge aufwiesen. Im Mittelpunkt stand ein Nationalismus, der alle anderen Werte hinter der Zugehörigkeit zur eigenen Nationalität stellte. Eng damit verbunden war die Ablehnung von Ausländem, die für die Skinheads der Inbegriff von Faulheit, Schlamperei, Unordnung und Schmutz seien. Eine ähnliche Ablehnung wurde gegenüber Körperbehinderten, geistig Behinderten, Homophilen und anderen Gruppen beobachtet, die nicht den Normen des Weltbildes der Skinheads entsprachen, wie Punks, Öko-Freaks etc. Die beschriebenen Inhalte drückten sich nicht in theoretischen Forderungen, sondern primär in ihrer Umsetzung in Beschimpfungen und Aggressionen aus; Gewalt schien gar eine identitätsstiftende Funktion zu haben. Die Studie enthielt auch einige Sozialdaten über die untersuchten rechtsextremen Straftäter. Dabei wurde deutlich, daß sich die Skinheads aus allen Schichten der DDR-Bevölkerung rekrutierten, es also keine durch bestimmte schichtenspezifische Lebensumstände motivierten Gruppenzugänge gibt. Die Mehrzahl der untersuchten rechtsextremen Skinheads war zwischen 18 und 25 Jahre alt, nur eine unbedeutende Minderheit war älter. Der Frauenanteil betrug lediglich ca. 20 Prozent. Besonders hervorgehoben werden muß, daß die überwiegende Mehrheit der untersuchten Skinheads, rund 80 Prozent, in ihren Arbeitskollektiven als geachtete Mitglieder eingeschätzt wurden -ein Befund, den auch eine wissenschaftliche Forschungsarbeit zum Thema bestätigt
Nach dem Ende der SED-Diktatur nutzten die Skinheads die neuen Freiheiten aus und traten in der Öffentlichkeit immer aggressiver auf, insbesondere bei gewalttätigen Attacken gegen Ausländer, Asylbewerber und bestimmte Kultureinrichtungen. Wie zahlreichen Schlagzeilen der Tages-presse zu entnehmen ist, überstieg dabei das Ausmaß der angewandten Gewalt quantitativ und qualitativ das bisher aus dieser Subkultur-Szene in der alten Bundesrepublik und in den anderen westlichen Ländern bekannte Niveau. Insbesondere die Ausschreitungen im sächsischen Hoyerswerda im September 1991 die vielfach mit einem Pogrom verglichen wurden, belegen diese erschrekkende Aggressivität, die ganz bewußt den möglichen Tod von Menschen einkalkuliert Bei all diesen Aktivitäten ging man nicht spontan, sondern geplant vor, worauf bereits sehr früh aufgrund kriminalsoziologischer Untersuchungen hingewiesen wurde
Darüber hinaus näherte sich die Skinheads-Szene immer mehr den neonationalsozialistischen Gruppierungen an. Der Leitende Regierungsdirektor im Bundesamt für Verfassungsschutz, Heinrich Sippel, geht sogar soweit zu bemerken: „Auftritte von Skinheads ohne neonationalsozialistische Begleitumstände sind so seltene Ausnahmeerscheinungen, daß es gerechtfertigt ist, die Skinhead-Szene grundsätzlich als ein neonazistisches Phänomen anzusehen, zumal die Glatzköpfe durchweg einen unterschwelligen Hang zu neonazistischen Denkmustern aufweisen.“ So sehr der letztgenannten Einschätzung zugestimmt werden kann, sollten beide Phänomene allerdings nicht gleichgesetzt werden, muß man die Skinhead-Szene doch etwas differenzierter einschätzen. Zum einen gibt es darin auch nicht-rechtsextreme Minderheiten (wie etwa „Red-Skins“), zum anderen auch rechtsextreme Gruppen mit einem relativ gering entwikkelten politischen Bewußtsein, die zumindest noch nicht als neonationalsozialistisch eingeschätzt werden können. Zutreffend ist sicherlich, daß das Skinhead-Potential ein wichtiges Rekrutierungsfeld für rechtsextreme Parteien und Organisationen darstellt. Insgesamt wurde das „militante rechtsextremistische Sympathisantenumfeld“, wie bereits erwähnt auf 15 000 Personen mit steigender Tendenz geschätzt.
V. Das rechtsextreme Einstellungspotential
Bei den öffentlichen Aktionen und Attacken von Neonationalsozialisten und Skinheads gegen Ausländer und Asylbewerber war nicht selten Beifall und Zustimmung anwesender Bürger zu vernehmen. Handelt es sich dabei um eine unbedeutende Minderheit in der Bevölkerung oder kann von einem größeren rechtsextremen und ausländer-feindlichen Einstellungspotential gesprochen werden? Auskunft über diese Frage geben einige Studien aus der empirischen Sozialforschung, die mitlerweile vorliegen
Bei der qualitativen und quantitativen Einschätzung des rechtsextremistischen Einstellungspotentials muß berücksichtigt werden, daß es zuverlässige sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse dazu vor der Wende 1989 nicht gab und die hier erwähnten Studien mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich der Repräsentativität, der angewandten Methoden und der Aussagekraft der einzelnen Fragestellungen betrachtet werden müssen. Es empfiehlt sich darüber hinaus, die jeweiligen Zahlenangaben nicht als feste Werte im engeren Sinne, sondern mehr als Trends zur Orientierung zu sehen. Kurz nach den Volkskammerwahlen vom März 1990 führten die beiden Ost-Berliner Sozialwissenschaftler Günter Gutsche und Peter Ködderitzsch eine Untersuchung über das rechtsextreme Einstellungspotential in der damaligen DDR durch Die Studie wurde durch arbeitstechnische Einschränkungen bedingt mit relativ wenig Aufwand durchgeführt und ist aus den verschiedensten Gründen nicht mit Studien aus der bundesdeutschen empirischen Sozialforschung vergleichbar. Zu den Ergebnissen: Zu dem Einstellungsstatement „Die Deutschen haben eine Reihe von guten Eigenschaften wie Fleiß, Pflichtbewußtsein und Treue, die andere Völker nicht haben“ äußerten sich über 50 Prozent der Befragten zustimmend, wobei Jugendliche überdurchschnittlich stark zu-stimmten. Mit der Aussage „Der Einfluß von Juden und Freimaurern auf unser Land ist auch heute noch groß“ stimmten 16 Prozent, bei den Jugendlichen sogar 23 Prozent, überein. Der Fragestellung „Nicht nur unsere Umwelt, sondern auch unsere Rasse muß rein erhalten werden“ stimmte nahezu ein Fünftel, bei den Jugendlichen ein Drittel der Befragten zu. Weitere Fragen bezogen sich auf die Partei der REP. Gut vier Prozent der Interviewten „hegten Sympathie für die Republikaner’", bei den Jugendlichen über neun Prozent.
Eine auf West-und Ost-Berlin bezogene vergleichende Untersuchung wurde im Frühsommer 1990 vom Wissenschaftszentrum Berlin unternommen und ermittelte u. a. Zustimmung zu Autoritarismus, Ethnozentrismus und Nationalbewußtsein Autoritarismus wurde über Einstellungsstatements hinsichtlich Erziehungsfragen, Anti-Pluralismus und Law-and-order-Mentalitäten gemessen, wobei das Forscherteam zu dem Ergebnis kam, daß sich autoritäre Einstellungen bei 61, 9 Prozent der OstBerliner und 29, 9 Prozent der West-Berliner feststellen ließen. Ähnlich verteilt waren die Werte bei der Zustimmung zu Fragestellungen, die Ethnozentrismus messen sollten: Hier konnte eine Zustimmungsbereitschaft von 26, 1 Prozent für OstBerliner und 10, 6 Prozent für West-Berliner ermittelt werden. Beachten muß man bei diesen Untersuchungen jedoch: Erstens ist Ost-Berlin aus den verschiedensten Gründen nicht repräsentativ für die ehemalige DDR, und zweitens findet man Autoritarismus keineswegs nur im rechtsextremen Spektrum sondern auch bei als linksextrem einzuschätzenden Parteien und ihrem Umfeld, wie der SED als Staatspartei und der DKP als system-oppositioneller Kleinpartei.
Beide Studien belegen die hohe Akzeptanz für rechtsextreme Positionen bei Jugendlichen; insofern sind auch spezielle Untersuchungen, die zu dieser Altersgruppe Mitte 1990 vom damals noch existierenden Leipziger Zentralinstitut für Jugend-forschung durchgeführt wurden, von besonderem Interesse Über entsprechende Fragestellungen wurde die Zustimmung zu verschiedenen Einstellungsstatements ermittelt, was zu folgenden Ergebnissen führte: Nationalistische Einstellungen konnten bei 20-25 Prozent der Jugendlichen festgestellt werden, Ausländer empfanden als störend 40-45 Prozent der Befragten, bei ca. 16 Prozent der Jugendlichen konnte Autoritarismus bzw. eine Führermentalität festgestellt werden, den Nationalsozialismus verharmlosenden Äußerungen stimmten 10-15 Prozent zu, ca. zehn Prozent empfanden gar Sympathie für Hitler und etwa zehn Prozent der männlichen Jugendlichen hielten Gewalt für ein legitimes Mittel der Interessenvertretung. Die Ergebnisse dieser Studie faßte der Soziologe Wilfried Schubarth wie folgt zusammen: „Damit muß man insgesamt ein nicht unbeträchtliches rechtsextremes Einstellungspotential unter ostdeutschen Jugendlichen in verschiedenen Facetten und Schattierungen konstatieren. Charakteristische Merkmale dabei sind vor allem nationalistische und fremdenfeindliche sowie autoritäre und intolerante Orientierungsmuster.“
Diese Bewertung wird auch von einer im Auftrag der Freudenberg-Stiftung durchgeführten (Teil-) Studie über „Einstellungen ostdeutscher Jugendlicher zu Rechts-und Linksextremismus“ bestätigt. Es handelt sich dabei um eine im November/Dezember 1990 im Freistaat Sachsen unternommene Befragung auf relativ breiter Datengrundlage, die an gewohnte sozialwissenschaftliche Standards anschließt. Die von ehemaligen Mitarbeitern des Zentralinstituts für Jugendforschung erstellte Studie kam dabei zu den folgenden Ergebnissen: Bei mindestens 15-20 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen kann von einem autoritär-nationalistischen Einstellungssyndrom gesprochen werden, 40 Prozent sind der Auffassung „Wem es in Deutschland nicht paßt, der soll auswandern“, eine Führermentalität konnte bei 17 Prozent ausgemacht werden, eine überhöhte Auffassung von der Rolle der Deutschen in der Geschichte bei 14 Prozent und zehn Prozent waren gegen die Anerkennung der gegenwärtigen Grenze zwischen Polen und Deutschland. Die Affinität zu rechtsextremen Parteien und Organisationen waren demgegenüber eher gering: REP sechs Prozent, NPD fünf Prozent, DVU vier Prozent, FAP drei Prozent und NA zwei Prozent.
VI. Zur politikwissenschaftlichen Analyse
Das Phänomen von Rechtsextremismus in einer vormals dem „real existierenden Sozialismus“ zuzurechnenden Gesellschaft ist eine neue und nicht leicht zu bewertende Erscheinung, insofern tut sich die politikwissenschaftliche Analyse noch schwer mit einer Einschätzung. Hinzu kommt, worüber auch nicht die zuvor ausgebreiteten Erkenntnisse hinwegtäuschen sollten, daß das Wissen um den Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern immer noch sehr bruchstückhaft ist, Informationen nur sehr spärlich kommen und selbst der Verfassungsschutz sich nicht in der Lage sieht, quantitative Angaben zu machen.
Eines kann jedoch hinsichtlich der politikwissenschaftlichen Diskussion über den Rechtsextremismus schon jetzt eindeutig konstatiert werden: das völlige Versagen jener Ansätze, die in einer kapitalistischen Gesellschaft die entscheidende Ursache für das Aufkommen entsprechender politischer Strömungen sahen, und dies für Länder des „real existierenden Sozialismus“ ausschlossen. Stellvertretend für diese Position sei hier der Politologe Reinhard Kühnl genannt, der 1971 in einem vergleichenden Aufsatz zur „Auseinandersetzung mit dem Faschismus in BRD und DDR“ schrieb: „Unzweifelhaft aber ist, daß es in der DDR gelang, mit den faschistischen Traditionen zu brechen und eine Wiederkehr des Faschismus unmöglich zu machen... Dagegen bleibt in der Bundesrepublik der Faschismus als Tendenz und Bedrohung bestehen.“ Gerade aber die Herausbildung eines Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR belegt, daß der postulierte oder vielmehr propagierte Zusammenhang so nicht bestand und daß die Wirtschaftsordnung einer Gesellschaft nicht der entscheidende Faktor für das Aufkommen von Rechtsextremismus ist, diese eher eine untergeordnete Rolle spielt
Wesentlich ergiebiger für die Analyse sind da schon jene Ansätze, die sich in der Diskussion um die REP-Wahlerfolge 1989 entwickelt haben und hinsichtlich der Wählerbasis vom „Aufstand der Modernisierungsopfer“ ausgingen. Entsprechende Interpretationen, die neben anderen Autoren insbesondere von dem Jugendforscher und Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer vorgetragen wurden, nannten als Ursaschen für Rechts-extremismus die Individualisierungstendenzen in modernen Industriegesellschaften, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, zunehmende Ohnmachtserfahrungen und Bindungsverluste sowie die Auflösung sozialer Milieus. Entsprechende Prozesse ließen sich auch in der ehemaligen DDR, einer Gesellschaft im Umbruch, beobachten. Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von der Zerstörung sozialer Lebenszusammenhänge, Handlungsunsicherheiten in beruflicher Hinsicht, Ohnmachtserfahrungen durch Auflösung von familiären oder Firmenzusammenhängen und Vereinzelungserfahrungen. Um die damit verbundenen Irritationen zu überwinden, verlange man nach Gewißheit, Klarheit und Stabilität, die über ein neues Freund-Feind-Bild in Vorurteilen gegen andere und Fremde gewonnen würde. Gleichzeitig suche man nach neuen Zusammengehörigkeiten, die einem keiner mehr nehmen könne und die noch am ehesten das abhanden gekommene Selbstwertgefühl wieder erstarken ließe. Dazu eigneten sich in besonderem Maße nationalistische Gefühle, verbunden mit entsprechenden Ressentiments gegen Ausländer. Die durch diese Entwicklungen ausgelöste Eskalation des Rechtsextremismus werde noch beschleunigt, und zwar einerseits durch die von westlicher Politik mitbewirkte Zerstörung von Lebenszusammenhängen und andererseits durch die demonstrative Überlegenheit von Westdeutschen, die die Herausbildung von mehr Selbstbewußtsein erschwere und den Hang zu Schuldverschiebungen auf Fremde fördere. Es komme aufgrund der gesellschaftlichen Umbrüche zu einer anomischen Situation, zu Norm-und Regellosigkeit, die der Gewalt freien Lauf lasse, wenn Angst und Verunsicherung erfahren werde. Gefordert sei eine Politik, die soziale Lebenszusammenhänge stifte und nicht zerstöre, so Heitmeyer. Die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung belegen den engen Zusammenhang zwischen rechtsextremen und ausländerfeindlichen Orientierungen einerseits und der subjektiv als negativ eingeschätzten Lebensbefindlichkeit und wachsenden Ängsten und Sorgen angesichts großer Zukunftsungewißheit andererseits Problematisch ist allerdings das ausschließliche Rekurrieren auf diese sozialen Aspekte. Sie erklären zwar das Vorhandensein von Unmut und auch von Aggressivität, aber nur begrenzt deren politische Orientierung. Warum sich dieses soziale Protestpotential nicht den politischen Oppositionskräften, sei es die Sozialdemokratie, die Grünen oder den Bürgerrechtsgruppen im Sinne eines demokratischen Engagements, zuwendet, kann so nicht erklärt werden. Das Abdriften eben zur extremen Rechten in politischer Orientierung wie politischer Praxis gilt es zu analysieren. Dazu müssen die Mentalitätsbestände der politischen Kultur jener Gesellschaft, aus der sich dieser besondere Rechtsextremismus entwickelt hat, dahingehend untersucht werden. Zwar nennt Heitmeyer das Aufwachsen und Leben in autoritären und repressiven Verhältnissen und den Mangel an Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte mit als Ursachen, allerdings ohne diese Faktoren wirklichen gewichtend in seine Interpretation einzubeziehen. Kurzum, es gilt eben auch nach dem zu fragen, was aus der ehemaligen DDR-Gesellschaft an dort vermittelten Werten und Verhaltensweisen die Hinwendung zur extremen Rechten mit bedingen konnte.
Dazu gehören eine Reihe von traditionell politisch rechts einzuordnenden Ideologieelementen, die unter der SED-Herrschaft mit staatlicher Unterstützung verbreitet und genutzt wurden. So bediente man sich in unterschiedlichen Phasen der DDR-Geschichte „vaterländischer“ und „nationaler“ Appelle an die Bevölkerung, um Konsens für die eigene -Politik zu erhalten. Propagiert wurde auch ein autoritärer Staat, der hinsichtlich seiner inhaltlichen Legitimation an eher aus der politischen Rechten bekannte Argumentationsmuster erinnerte. Vor allem im letzten Jahrzehnt der Existenz der DDR begann der Versuch, sich als Erbe nationaler historischer Entwicklungen zu sehen, womit die Konstruktion eines entsprechenden Geschichtsbildes verbunden war. In Öffentlichkeit und Erziehung propagierte die SED einen scharfen Militarismus mit entsprechenden Wertvorstellungen. Natürliche Ungleichheit wurde zunehmend zur Legitimation sozialer Unterschiede angeführt, was den Beifall rechtsextremer und rassistischer Intellektueller im Westen fand. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gab es nicht, die Nationalsozialisten galten als Agenten des Monopolkapitals und damit erübrigten sich Fragen nach weiteren gesellschaftlichen Bedingungen für deren Aufstieg. Und schließlich war die DDR-Gesellschaft eine monokulturelle Gesellschaft, die sich streng vor anderen kulturellen Einflüssen abzuschotten versuchte. Berücksichtigt man all diese Mentalitätsbestände, deren Aufarbeitung noch ein Desiderat der Forschung ist, so verwundert es nicht, wenn heute Rechtsextremisten z. T.sehnsüchtig auf die DDR zurückblicken oder Skinheads mit ihren Wertvorstellungen zu SED-Zeiten durchaus nicht nur Außenseiter waren
Darüber hinaus müssen jene Faktoren berücksichtigt werden, die in der politikwissenschaftlichen Diskussion als Strukturelemente extremistischer Doktrinen bezeichnet werden. Der Extremismus-Forscher Uwe Backes nennt als solche u. a.: Absolutheitsansprüche, Dogmatismus, Freund-Feind-Stereotype, Fanatismus und Aktivismus. Ergänzend bzw. konkretisierend dazu könnten noch genannt werden: ein identitäres Politik-und Gesellschaftsverständnis und die Auffassung von der Homogenität des Volkes. All diese Eigenschaften sind sowohl bei der SED zu ihrer Zeit als herrschende Partei als auch beim Rechtsextremismus unserer Tage in den neuen Ländern zu finden. Wohlgemerkt, hier soll keine Gleichsetzung völlig unterschiedlicher politischer Phänomene vorgenommen werden, indessen gilt es durchaus, die strukturellen Gemeinsamkeiten in Betracht zu ziehen. Schließlich sind die Bürger der ehemaligen DDR in einer Gesellschaft sozialisiert worden, die von einer als extremistisch einzuschätzenden Partei dominiert wurde, die dabei auch entsprechende Denkhaltungen und Verhaltensweisen vermittelte. An diese Formen kann rechtsextreme Agitation nach dem Zusammenbruch der DDR durchaus anknüpfen. Aber auch inhaltlich gibt es, wie aufgezeigt, Anknüpfungspunkte. Insofern sollte auch nicht die Analyse des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern von den politischen Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart abgekoppelt werden. Dies tun indessen jene Autoren, die als verursachende Faktoren lediglich die sozialen Folgen des Einigungsprozesses hervorheben. Beachtet werden müssen auch jene „Diktaturschäden“, die zu Orientierungen geführt haben, die wiederum empfänglich machen für antidemokratische Parolen von rechts. Die Langlebigkeit extremistischer Mentalitätsbestände in den neuen Bundesländern sollte aufgrund der bisherigen Erfahrungen damit nicht unterschätzt werden. Wenn hier hinsichtlich des Rechtsextremismus dezidiert auf den mitverursachenden Faktor der DDR-Gesellschaft verwiesen wurde, dann ist dies nicht so zu verstehen, als solle die SED allein für dieses Phänomen verantwortlich gemacht werden. Hinsichtlich der in der politikwissenschaftlichen Diskussion zum Thema vorherrschenden anders orientierten Erklärungsansätze ging es darum, gerade diesen nicht genügend beachteten Faktor hervorzuheben. Er bildet quasi den unabdingbaren Ausgangspunkt für die Hinwendung zu rechtsextremen Ideologieelementen und erklärt, warum die politische Orientierung in der gesellschaftlichen Umbruchphase nicht im demokratischen Sinne, sondern hin zu den Ideologien bzw. Organisationen der extremen Rechten erfolgt.
Neben diesen historisch-gesellschaftlichen Aspekten, hier als Mentalitätsbestände gefaßt, sind selbstverständlich auch jene Faktoren zu berücksichtigen, die die Vertreter eines auf die Auflösung sozialer Lebenszusammenhänge hinweisenden Ansatzes nennen. Die Dramatik des sozialen Wandels und seiner Folgen auf ökonomischer Ebene wie im Bereich der Werte läßt einen vorhandenen Boden-satz entsprechend politisch eskalieren. Deswegen wäre hier in der Tat eine diesen Tendenzen entgegenwirkende Sozialpolitik notwendig. Allerdings, und darauf muß mit aller Deutlichkeit hingewiesen werden, wird man sich demokratisches Verhalten nicht erkaufen können. Wenn die Stabilität eines demokratischen Verfassungsstaates auf der wirtschaftlichen Ruhigstellung seiner Gegner ruht, so ist dies kein sicheres Fundament. Hier besteht Aufklärungsbedarf und die Notwendigkeit einer politischen Bildung zum Erlernen von Demokratie (und zwar nicht nur im Osten Deutschlands). Persönliche und gesellschaftliche Konflikte, und dies gilt es zu vermitteln, müssen anders angegangen werden als mit dem Projizieren von Haßgefühlen auf andere und Fremde.
Nicht immer vorwärtsweisend in diesem Sinne ist das, was dazu aus dem Westen kommt. Dies gilt exemplarisch für die in der Tat als „Scheindebatte“ zu bezeichnende Auseinandersetzung um die Asyl-frage, die von Politikern und Medien meist emotional aufgeladen und unsachlich geführt wird. Entsprechendes Verhalten kann gerade in gesellschaftlichen Umbruchphasen verhängnisvolle Wirkungen haben und hier läßt sich zumindest an einem Beispiel der „Import“ von Vorurteilen gut nachweisen. Alle empirischen Untersuchungen belegen, daß Türken in der ostdeutschen Bevölkerung als besonders unsympathisch gelten und dies, obwohl es sie in der ehemaligen DDR faktisch nicht gab. Das Kölner Institut „ISG Sozialforschung Gesellschaftspolitik“ bemerkt dazu in einer Studie über „Ausländerfeindlichkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR“: „Da die Antipathie Türken kaum... auf gegenüber eigener Kenntnis von Türken, geschweige denn auf persönlichen Erfahrungen beruhen kann, ist zu vermuten, daß westdeutsche Stereotype rasch von der Bevölkerung der ehemaligen DDR übernommen wurden; dabei ist nicht auszuschließen, daß hierzu auch die Massenmedien beigetragen haben.“ Kurzum, hier können, gerade hinsichtlich der Ausländer-feindlichkeit, Vorgaben aus dem Westen eine den Rechtsextremismus motivierende Wirkung haben und das insbesondere bei einem Thema, das zum wichtigsten Mobilisierungsthema entsprechender Parteien und Gruppierungen geworden ist.
VII. Schlußbemerkungen
Offensichtlich existiert in den neuen Bundesländern ein nicht unbeträchtliches rechtsextremes Einstellungspotential. Rechtsextreme Parteien konnten dieses bei Wahlen allerdings (noch) nicht mobilisieren. Es besteht eine „Schere zwischen der Existenz rechtsextremer Meinungen und geringer politischer Organisation“ 67. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären? Es gibt dafür im wesentlichen zwei Gründe: Erstens wird die gegenwärtige politische Diskussion von den Inhalten bestimmt, die mit den etablierten Parteien verbunden sind (was allerdings für die Asyl-Debatte nur noch begrenzt gilt), und zweitens existiert zur Zeit keine rechtsextreme Partei, die auch dazu in der Lage wäre, dieses Potential zu mobilisieren.
Die REP waren es zeitweise im Jahr 1989, haben sich aber durch innerparteiliche Auseinandersetzungen und politische Unfähigkeit um Chancen gebracht, die etwa der „Front National“ für seine Etablierung in der französischen Parteienlandschaft erfolgreich genutzt hat. Den rechtsextremen Parteien in Deutschland fehlt es im Osten noch mehr als im Westen an wirklich funktionierenden und effektiv arbeitenden Parteiapparaten, einem intellektuellen Potential, vorzeigbaren Kandidaten und attraktiven Führungsfiguren. Insofern dürfte die „Schere“ auch weiterhin offen bleiben; die Zerstrittenheit und politische Unfähigkeit in diesem Lager ist so groß, daß die langfristige Etablierung einer rechtsextremen Partei wie in Frankreich für die nächste Zeit nicht absehbar ist. Ähnliches gilt für das neonationalsozialistische Spektrum. Dafür dürfte das Skinhead-Potential eher zunehmen und auf einer niedrigen politischen Ebene mit seinen Gewaltaktionen gegen Ausländer und linke Kultureinrichtungen noch mehr von sich reden machen. Es ist in Kleingruppen organisiert, durch äußere Kennzeichen nicht mehr klar identifizierbar und damit auch schwer beobachtund einschätzbar. Stützen können sich deren Aktivitäten auf ein nicht zu unterschätzendes rechtsextremes und ausländerfeindliches Einstellungspotential in der Bevölkerung, daß das eigentliche Problem ist. Hinsichtlich dieses ausländerfeindlichen Einstellungspotentials sollte aber nicht mit „westlicher Arroganz“ in den Osten geblickt werden, es gibt auch ein solches im westlichen Teil Deutschlands. Vergleichende Studien dazu fehlen noch, hier sei nur kurz auf ein Ergebnis einer Umfrage vom September 1991 hingewiesen: Danach stimmten dem Einstellungsstatement „Das Aus-länderproblem hat rechtsradikale Tendenzen aufkommen lassen. Haben Sie für diese Tendenzen Verständnis?“ 21 Prozent der Ostdeutschen und (sogar) 38 Prozent der Westdeutschen zu Angesichts der brutalen Gewaltaktionen gegen Ausländer ist das hier auch geäußerte Verständnis für Aktivitäten, die Grundprinzipien des demokratischen Verfassungsstaates und des Rechtsstaates negieren, erschreckend. Ein Blick ins westliche Ausland belegt, daß es sich bei diesem Phänomen allerdings um keine „deutsche Besonderheit“ handelt, sondern ganz im Gegenteil Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit dort z. T. wesentlich deutlicher ausgeprägt sind -ein Hinweis, der jedoch nicht zur Beruhigung dienen sollte.