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Wirtschaftslage und Wirtschaftsreformen in der ehemaligen UdSSR | APuZ 52-53/1991 | bpb.de

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APuZ 52-53/1991 Der sowjetische Weg zu Markt und Demokratie Wirtschaftslage und Wirtschaftsreformen in der ehemaligen UdSSR Nationalitätenkonflikte im Kaukasus und in Mittelasien Ethnokratie -ein verhängnisvolles Erbe in der postkommunistischen Welt Daten zur Geographie, Bevölkerung, Politik und Wirtschaft der Republiken der ehemaligen UdSSR Artikel 1

Wirtschaftslage und Wirtschaftsreformen in der ehemaligen UdSSR

Wladislaw Below

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach dem Putsch im August 1991 und dem faktischen Zusammenbruch der Stützen des kommunistischen Kommandosystems steht die Wirtschaft in der ehemaligen UdSSR am Rande des Kollapses. Neben schwierigen innerrepublikanischen Umstrukturierungen und einer allgemeinen Hilflosigkeit vor den weitgehend unbekannten Mechanismen der einzusetzenden Marktwirtschaft ist es der Zerfall des vormals einheitlichen (wenn auch maroden) Unionsmarktes, der die Krise verschärft. Politische Ambitionen, die derzeit in heftigen Nationalitätenkonflikten ihre negativen Folgen finden, kollidieren mit der wirtschaftlichen Vernunft, die eine vertraglich ratifizierte Wirtschaftsgemeinschaft unter dem Dach einer Union souveräner Staaten nahelegt. Positive Erscheinungen in der Volkswirtschaft der ehemaligen UdSSR lassen sich für die Reformen nutzen. Dabei kommt es nicht allein auf die Geschwindigkeit an, sondern vor allem auf die konsequente Fortentwicklung gemeinsamer Aktivitäten. Der Vertrag über die Wirtschaftsgemeinschaft, bislang von acht Republiken unterzeichnet, und die darauf folgenden interrepublikanischen Abkommen und Aktionsprogramme schaffen dazu die institutioneile Basis. Auf der Agenda stehen nun u. a. die Schaffung eines einheitlichen Währungsraumes (mit dem Hauptzahlungsmittel Rubel), einer unabhängigen Bankenunion, die strenge Restriktion und Koordinierung der Haushaltspolitik und die Erneuerung der Steuersysteme, eingebettet in eine kaum eilig zu erlangende Umschichtung und Neuorientierung der gesamten Infrastruktur. Der Russischen Föderation unter Staatspräsident Jelzin kommt beim Übergang zur Marktwirtschaft im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft eine entscheidende Rolle zu. Einige wichtige Erlasse des Präsidenten zur Restriktion der Finanzpolitik, zu Privatisierungs-und Entmonopolisierungsfragen, zur Liberalisierung (Preisfreigabe) und zur Umgestaltung von Rüstungsindustrie und Verwaltungsapparat werden durch das Parlament blockiert bzw. vor dem Inkrafttreten modifiziert. Die Verspätung der Durchführung konkreter geplanter Reformschritte aber kann schon bald zu unabsehbaren Folgen führen.

Zur Zeit sind die Völker der ehemaligen UdSSR (ohne die drei baltischen Republiken) in die schwierigste und dramatischste Etappe ihrer Entwicklung eingetreten. Es entscheiden sich die wichtigsten Fragen ihrer nächsten Zukunft, die das politische, wirtschaftliche und soziale Umfeld ihrer weiteren Existenz bestimmen werden. Der Erfolg der Schritte auf diesem Weg wird davon abhängen, inwieweit und wie schnell es gelingen wird, die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen für die neuen Beziehungen unter den neuen staatlichen Einheiten und unter den in ihren Grenzen funktionierenden Wirtschaftssubjekten auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR de facto und de jure zu gestalten und zu organisieren.

Seit einigen Monaten herrscht in der Ex-Sowjetunion eine qualitativ neue Situation. Der Mißerfolg des Putschversuches vom 19. bis zum 21. August 1991 bedeutete den faktischen Zusammenbruch des totalitären politischen Systems, der Diktatur der Kommunistischen Partei und ihrer administrativen Kommandostrukturen. In drei August-tagen passierte das, was im Laufe von mehr als sechs Jahren der Perestrojka kaum zu erreichen war -die mächtigen politischen Strukturen waren auf einmal vernichtet. Fast alle ehemaligen Unionsrepubliken erklärten ihre staatliche Unabhängigkeit und Souveränität, und es entstand eine nicht mehr zurückzunehmende Möglichkeit, nun zum Markt überzugehen.

I. Schwierige wirtschaftliche Situation

In die neue Epoche traten die Republiken des ehemaligen sowjetischen Imperiums schwer belastet mit vielen wirtschaftlichen Problemen. Einerseits wurde die Volkswirtschaft der Ex-UdSSR durch die nichteffiziente Politik der kommando-administrativen Zentralverwaltungsorgane und die offizielle Rüstungspolitik im Laufe von vielen Jahrzehnten in eine tiefe strukturelle ökonomische Krise gebracht. Andererseits haben das nichtkonsequente Suchen nach Reformkonzepten seit Mitte der achtziger Jahre, das Fehlen des wirtschaftlichen Sachverstandes und des notwendigen politischen Willens für den Übergang zur Marktwirtschaft bei vielen Entscheidungsträgem in den oberen Machtorganen sowie die nationalistisch bedingten zentrifugalen Tendenzen in der ökonomischen Politik der ehemaligen Unionsrepubliken das Land an den Rand des Wirtschaftskollapses getrieben.

In den Monaten nach dem Putschversuch vertiefte sich die Wirtschaftskrise weiter. Zu ihren dominierenden Charakteristika gehören (wie für das ganze Jahr 1991) das ständige Absinken der Produktion, die Steigerung der Inflationsrate, die sich verschlechternde Situation in der Außenwirtschaft. Nach den vorhandenen Einschätzungen wird das Bruttosozialprodukt 1991 nur 87 Prozent des Niveaus von 1990 betragen, die Industrieproduktion 91 Prozent, die Agrarproduktion 90 Prozent, die Investitionen 80 Prozent Sehr kompliziert ist die finanzielle Situation, was mit der schwierigen Lage der Staatsfinanzen verbunden ist. Die Haushalts-einnahmen aller Ebenen schrumpfen, hauptsächlich als Folge des Produktionsrückganges und der Senkung der Außenhandelserlöse. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, darunter für soziale Programme. Das gemeinsame Defizit des Unionshaushaltes und der Haushalte der einzelnen Republiken wird sich Ende 1991 auf 300 Mrd. Rubel belaufen Die Haushaltsfinanzierung erfolgt wie früher hauptsächlich durch die staatlichen Noten-bankkredite. Die Verschuldung des ehemaligen Unionsstaates wird Ende 1991 ca. 1000 Mrd. Rubel betragen -im Vergleich zu 566 Mrd. Rubel am Anfang des Jahres

Die Finanzierung der Staatsausgaben durch die Staatsbank führte zu einer erheblichen Erhöhung der Geldmenge in der 2. Hälfte 1991. Statt der geplanten 8 Mrd. Rubel wird die Geldemission 1991 ca. 110-140 Mrd. Rubel betragen. Die Bargeldbestände der Bevölkerung erhöhten sich drastisch. Die Versuche, durch grundlegende Reformen der Groß-und Einzelhandelspreise in der ersten Hälfte des Jahres die Lage auf dem Markt zu stabilisieren, scheiterten, was u. a. dazu führte, daß sich die Lohn-Preis-Spirale in Bewegung gesetzt hat.

Ständige Preiserhöhungen sind alltäglich geworden. In der ehemaligen Sowjetunion gibt es keine sichere Methodik zur Bestimmung aussagefähiger Größen für die Festsetzung der Indexe der Verbraucherpreise und der Inflation. Deshalb sind die offiziellen statistischen Instanzen nicht imstande, die reale Inflationsrate zu berechnen. Alle Experten stimmen darin überein, daß sie weiterhin wachsen wird.

Das Wachstumstempo der nominalen Geldeinnahmen der Bevölkerung ist höher als das der Ausgaben für Waren-und Dienstleistungseinkäufe. Das entsprechende Verhältnis zwischen ihnen ist von Januar bis September 1991 im Vergleich zu derselben Periode 1990 um das 3, 7fache gestiegen. Da die Bevölkerung im Laufe des Jahres einige attraktive Möglichkeiten bekam, sind die Spareinlagen, der Kauf von Wertpapieren usw. ebenfalls stark (um das 3, 7fache) gestiegen (beide Größen sind in laufenden Preisen berechnet)

Das war in beträchtlichem Maße mit unkontrollierten Einkommenssteigerungen verbunden, die die Regionen und viele Unternehmen selbst unabhängig von der staatlichen Politik und oft im Widerspruch zu dieser-durchgeführt haben. Aber die realen Einkommen sanken (allein in der ersten Hälfte 1991 um 15 Prozent). Es ist auch zu berücksichtigen, daß die Ausgaben der Bevölkerung für Nahrungsmittel besonders stark gewachsen sind. Andere Ausgaben sind hingegen zurückgegangen. Der gesamte Einzelhandelsumsatz (in konstanten Preisen) schrumpfte. Ein Teil des Kaufkraftüberhangs kam dem nichtstaatlichen Sektor zugute. Dabei sind die Preise in privaten Geschäften höher als die im Staatshandel, und die Zahl solcher nichtstaatlichen Läden wächst mit jedem Tag.

Immer komplizierter wird die Lage in der Industrie, die durch den ständigen Produktionsrückgang gekennzeichnet ist. Besonders negativ entwickelten sich in den ersten drei Quartalen 1991 die Kohleförderung (-11 Prozent), die Erdölförderung (-9 Prozent), die zivilen Zweige des Maschinenbaus, die Papierindustrie, die Nahrungsmittel-industrie(-8 bis -10 Prozent) Zu den Ursachen gehören Versorgungsengpässe und Produktionsstillstand wegen des Ausbleibens von Lieferungen, die ihrerseits hauptsächlich durch den Zerfall des ehemaligen einheitlichen Unionsmarktes und die tiefe Krise im Finanz-und Geldsystem bedingt sind. Negativen Einfluß üben hier auch Nationalitätenkonflikte und Streiks aus. Allein im September 1991 streikten 70 Unternehmen (hauptsächlich in Rußland).

Die Landwirtschaft der Ex-UdSSR hat 1991 mit 160 Mio. t (-25 Prozent) die schlimmste Getreideernte seit vielen Jahren. Die unbefriedigende Entwicklung ist auch in anderen Agrarbereichen zu verzeichnen -bei Kartoffeln, Zuckerrüben und Gemüse. Die Produktion tierischer Erzeugnisse ging in drei Quartalen 1991 bei Vieh und Geflügel um 12 Prozent, bei Milch und Milchprodukten um 13 Prozent, bei Eiern um 8 Prozent zurück. Wie auch früher bestehen in diesem Sektor Probleme, die bei Lagerung, Transport und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte entstehen. Deshalb werden weitere hohe Verluste erwartet.

Besonders schwer ist die Situation im Investitionskomplex, vor allem bei den Objekten, die als Unionseigentum gelten. Ihr Bau wird praktisch eingestellt; von den 329 Unionsobjekten, die fertiggestellt werden sollten, wurden 1991 nur drei tatsächlich in Betrieb genommen. Die überlangen Bauzeiten und Verzögerungen bei der Fertigstellung neuer Produktionsanlagen bei anderen Objekten sind noch größer geworden. Der Verlust-wert der unvollendeten Investitionen wird 1991 um weitere 55-65 Mrd. Rubel wachsen.

Die akute Wirtschaftskrise führt zur Erhöhung der sozialen Spannungen. Die Zahl der Arbeitslosen wächst ständig. Ihre Zahl beläuft sich in der Ex-UdSSR auf mindestens zwei Millionen. Allein im September 1991 kamen zu den Arbeitsämtern 269, 2tausend Menschen, von denen 147, 4tausend neue Arbeitsstellen bekamen. Aber die offizielle Registrierung der Arbeitslosen und die Einrichtung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung.

Neben den negativen Erscheinungen in der Volkswirtschaft der ehemaligen SU sind auch einige positive Momente auf ihrem Territorium zu erwähnen. Die bestehen darin, daß sich schon vor dem Putsch und besonders nach diesem mannigfaltige konstruktive marktwirtschaftliche Elemente entwickelten. Diese Elemente leisteten ihren Beitrag zur qualitativen Veränderung des sowjetischenWirtschaftssystems mit teilweise überraschender Geschwindigkeit. 1991 wurden ohne staatliche Unterstützung mehr als 400 Waren-, Dienstleistungsund Wertpapierbörsen geschaffen. In der ersten Jahreshälfte ist die Zahl der selbständigen Bauern-höfe um das Sechsfache gestiegen. Allein in der Russischen Föderation funktionieren mehr als 2000 nichtstaatliche Geschäftsbanken. Es gibt Tau-sende von selbständigen Körpergesellschaften, die in allen Wirtschaftsbereichen erfolgreich arbeiten. Auch die staatlichen Wirtschaftssubjekte verändern ihr Handeln im existierenden System. Immer mehr orientieren sie sich in ihren Entscheidungen auf die marktwirtschaftlichen Motivationsmechanismen, wenngleich noch nicht von einem Durchbruch die Rede sein kann.

II. Neue Aufgaben in der Volkswirtschaft nach dem Scheitern des Putschversuches

Die Auflösung der Kommunistischen Partei, besonders ihres Zentralkomitees mit seinen vielen Wirtschaftsabteilungen, die qualitative Veränderung der Situation im Ministerrat und anderen Zentralverwaltungen der Ex-UdSSR bedeutete ein Ende des Gegenüberstehens von Zentrum und Republiken, die schon seit zwei Jahren zu selbständigen Reformen strebten und nach dem Scheitern des Putsches zum ersten Mal die Möglichkeit bekommen haben, eine unabhängige Wirtschaftspolitik durchzuführen. Im September/Oktober 1991 ergab sich für die meisten Republiken das Einverständnis in die objektive Notwendigkeit, Gremien zu schaffen, die imstande sein werden, ihre gemeinsamen Aktivitäten in einem neuen Wirtschaftsraum zu koordinieren und effektiv zu gestalten.

Anfang September 1991 verabschiedete der Volksdeputiertenkongreß ein neues Gesetz, das die Machtorgane der UdSSR für eine Übergangsperiode strukturell neuorientiert hat. Im Rahmen dieser Periode sollte das höchste Organ der staatlichen Unionsmacht der Staatsrat sein, der aus den Staatsoberhäuptern der souveränen Republiken mit dem Präsidenten der SU an der Spitze besteht. Das legislative Organ der ehemaligen UdSSR -der Oberste Sowjet -wurde dabei reorganisiert. Die laufende Steuerung in der Volkswirtschaft hat das Komitee für die operative Verwaltung übernommen.

Nach den intensiven und nicht einfachen Verhandlungen kamen die meisten Republiken zu einer Vereinbarung, in kürzester Zeit ein institutionelles System des wirtschaftlichen Zusammenwirkens einzurichten. Es soll aus drei Hauptelementen bestehen:

-einem Vertrag über die Wirtschaftsgemeinschaft;

-einem interrepublikanischen Abkommen über die praktische Durchsetzung der im Vertrag vorgesehenen Mechanismen (Bankenunion, Zahlungsunion usw.); -einem Aktionsprogramm im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft.

1. Der Vertrag über die Wirtschaftsgemeinschaft Am 18. Oktober 1991 wurde der Vertrag über die Wirtschaftsgemeinschaft von 8 Republiken unterzeichnet (Armenien, Weißrußland, Kasachstan, Kirgisien, Rußland, Tadschikistan, Turkmenien, Usbekistan). Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldowa nahmen eine Sonderstellung ein. Die letzten zwei Republiken traten dem Vertrag am 6. November 1991 bei. Der Vertrag bestimmt die gemeinsamen Ziele, Grundprinzipien und Mechanismen der Zusammenarbeit im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft, ihre Aufgaben, Vollmächte und die Struktur der Verwaltungsorgane. Konkreteres wird in zusätzlichen Vereinbarungen erfaßt und muß um die Jahreswende unterschrieben und auch in Parlamenten ratifiziert werden.

Der Vertrag und die mit ihm verbundenen Abkommen und Vereinbarungen schaffen die institutionelle Basis für die Zusammenarbeit zwischen den souveränen Staaten (den ehemaligen Republiken) im wirtschaftlichen Bereich. Alle Teilnehmer einigen sich darin, daß auf dem Wege der radikalen Wirtschaftsreformen die tiefe Krise überwunden, ein marktwirtschaftliches Fundament aufgebaut und die Voraussetzungen für die Integration in die Weltwirtschaft geschaffen werden können.

Die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft führen eine gemeinsame Regelung der Prozesse in ihren Volkswirtschaften durch. Vorgesehen ist ein einheitlicher Währungsraum mit dem Rubel als Hauptwährung. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, daß die einzelnen Mitglieder parallel dazu ihre nationalen Währungen haben werden. Es muß eine unabhängige Bankenunion (als Reservensystem aufgebaut) geschaffen werden, die die Zentralbanken aller Teilnehmer-Staaten vereint und die gemeinsam abgestimmte Geld-und Kreditpolitik durchführt. So wird die Haushaltspolitik koorB diniert und in erster Linie auf die Beschränkung der Defizite und Unifizierung der Steuersysteme gerichtet. Die Teilnehmerstaaten treten gleichzeitig einer Zollunion bei, in deren Rahmen sie alle Hindernisse auf den inneren Wegen für Waren, Dienstleistungen und Kapitalien beseitigen und einen einheitlichen Zolltarif einführen. Die ökonomische Gesetzgebung der Staaten muß gegenseitig angepaßt werden, wobei die rechtlichen Normen des Vertrages und die aus ihm abgeleiteten Abkommen Priorität erhalten.

Im Vertrag ist vorgesehen, daß die Staaten, die keine Vollmitgliedschaft in der Gemeinschaft wollen, als assoziierte Mitglieder von den anderen akzeptiert werden können, wenn sie der Zollunion beitreten und die Grundprinzipien der Untemehmensfreiheit anerkennen. Die Geld-, Kredit-und Haushaltspolitik der assoziierten Mitglieder wird mit der Politik der Gemeinschaft über zusätzliche Abkommen koordiniert.

Zu den wichtigsten Instituten der Wirtschaftsgemeinschaft gehören Staatsoberhäupterrat, Interstaatliches Wirtschaftskomitee, Bankenunion und Arbitrage (Einigungsamt). Das interstaatliche Wirtschaftskomitee ist ein exekutives Organ, es koordiniert die Durchführung der Wirtschaftspolitik der Teilnehmerstaaten. Am Komitee werden ihm unterstellte Organe geschaffen, die für die Verwaltung in den entsprechenden volkswirtschaftlichen Bereichen zuständig sind. Die Teilnehmerstaaten werden die Wirtschaftsreformen in abgestimmten Bereichen durchführen. Größere Selbständigkeit werden sie in der Privatisierungs-, in Agrar-und Wohnungsbaureformen sowie in der Sozialpolitik haben. .

Momentan besteht darüber noch kein eindeutiger Konsensus. Das gemeinsame Voranschreiten ist jedoch nicht mehr nur eine Frage der Zeit, sondern eine der Kontinuitäten. Es ist deshalb wichtig, daß die Expertengruppe unter Leitung von G. Jawlinski, die auch den Entwurf des Vertrages über die Wirtschaftsgemeinschaft verfertigte, Ende November zusätzliche 24 Vereinbarungen vorbereitet hat, in denen konkrete Mechanismen der Regelung rechtlicher Fragen in verschiedenen Bereichen beschrieben sind. 2. Veränderungen der Infrastruktur Abgesehen von allen negativen Erscheinungen und Widersprüchlichkeiten der Maßnahmen der ehemaligen Unionsregierung hat man in letzter Zeit auch günstige Voraussetzungen für die jetzigen Reformen geschaffen. Das betrifft in erster Linie die Gründung einiger legislativer und institutioneller Infrastrukturorgane für das künftige marktwirtschaftliche Fundament. In diesem Zusammenhang wurden einige wichtige grundlegende Gesetze verabschiedet -wie z. B. das über Eigentumsverfassung und über die Unternehmen, über Privatisierung, über Körperschaftsgesellschaften und über die Veräußerung von Wertpapieren.

Verwaltungsorgane wurden gegründet, die in einer Marktwirtschaft notwendig sind -das Antimonopolkomitee (Kartellamt), Komitees zur Privatisierung, für die Bodenreform usw. Und obwohl diese erste Erfahrung sehr wichtig war, konnte sie unter den ehemaligen Zentralstrukturen nicht in vollem Maße für die Weiterbringung der radikalen Reformen ausgenutzt werden. Nach wie vor fehlt der Wirtschaftsgemeinschaft eine ganze Reihe von weiteren wichtigen gesetzlichen und rechtlichen Grundlagen, wie z. B. Gesetze über Konkurse, über Hypotheken, über Wertpapiere. Außerdem haben einige neugegründete Verwaltungsorgane ihre Tätigkeit noch nicht begonnen, und es fehlt auch an praktischer Erfahrung. Es besteht dringender Bedarf an dem Aufbau konkreter Mechanismen zur Realisierung der schon angenommenen Teile der marktwirtschaftlichen Reformprogramme. Unter anderem hat dies bereits zu einer willkürlichen und teilweise anarchischen Entwicklung der Liberalisierungsprozesse im staatlichen Sektor geführt, wobei sich die ehemaligen Staatsorgane oft als passive Beobachter verhielten. In der Folge waren viele Wirtschaftsbereiche und ökonomische Prozesse außer Kontrolle gesetzt.

Alles das charakterisiert die Startpositionen, mit denen die ehemaligen Republiken die Durchsetzung der von ihnen gestellten Ziele und die Durchführung der radikalen Wirtschaftsreformen zu beginnen haben. Die aktuelle Lage im Herbst 1991 stellte die Notwendigkeit auf die Tagesordnung, Initiative zu zeigen und zu ergreifen, die verschleierten Prozesse zu legalisieren und die weiteren entsprechenden gesetzlichen und institutioneilen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für diese zu schaffen.

III. Führende Rolle der Russischen Föderation bei der Durchführung der Wirtschaftsreformen

Initiative hat Ende Oktober 1991 die größte Republik der Ex-UdSSR gezeigt, die Russische Föderation, die mit ihrem Präsidenten B. N. Jelzin an der Spitze eine entscheidende Rolle im Widerstand während des Putsches im August 1991 gespielt hat. Dieselbe entscheidende Rolle soll jetzt Rußland im Übergang zur Marktwirtschaft im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft spielen. Von den Erfolgen des russischen Staates in der Durchsetzung der Reformen hängt in vielerlei Hinsicht das Schicksal der entsprechenden Reformen in den anderen Republiken ab.

Die Ausgangsposition für marktwirtschaftliche Reformen in Rußland ist vielleicht eine der schwierigsten. Die Russische Föderation ist das größte Opfer des stalinistischen kommando-administrativen Systems. Im Laufe von mehr als 70 Jahren hat dieses System die russische Wirtschaft ruiniert, das intellektuelle Potential zerstört, die Umwelt vernichtet und die Bürger beraubt. 55 Prozent aller russischen Familien des bisher noch in der Welt an Rohstoffen und Bodenschätzen reichsten Landes leben unterhalb der Armutsgrenze. Rußland hat im Rahmen der sozialistischen planwirtschaftlichen Arbeitsteilung den anderen Republiken immer viel mehr gegeben als selbst bekommen. Auf Kosten der Russischen Föderation entwickelten sich die Wirtschaften der ehemaligen sozialistischen Staaten (das betrifft in erster Linie Erdgas-und Erdölexporte).

Aber das geistige und materielle Potential ist geblieben, und Rußland sieht seine Aufgabe darin, nicht nur einen Ausweg aus der tiefen Wirtschaftskrise zu finden, sondern auch ein Fundament für hochentwickelte und effiziente Marktwirtschaft zu schaffen, das seinerseits als ein gesundes Gravitationsfeld im ehemaligen sowjetischen Wirtschaftsraum die Integrationsprozesse auf allen Ebenen fördern wird. Zu diesem Zweck wurde ein Paket von Maßnahmen ausgearbeitet, das es erlauben soll, einen reformatorischen Durchbruch zu erreichen und schon in einigen Monaten die Lage zu stabilisieren und den Umbau der Wirtschaft zu beginnen. Es gibt keine Alternative zu diesen für viele schmerzhaften Maßnahmen. Auf welchen Wegen können die radikalen Reformen durchgesetzt werden? 1. Preisfreigabe In erster Linie geht es um ökonomische Stabilisierung. Deshalb spielen die restriktive Geld-, Kredit-und Finanzpolitik und die Steuerreform eine besonders wichtige Rolle. Motor soll die Preisfreigabe sein. Man geht davon aus, daß der Staat nicht imstande ist, einen „richtigen und gerechtfertigten Preis“ für die Waren und Dienstleistungen festzusetzen. Diese Aufgabe kann nur der marktwirtschaftliche Mechanismus lösen. Die ungeregelte Liberalisierung der Preise vollzog sich im ehemaligen kommando-administrativen System seit langem. Bei den fixierten Preisen im staatlichen Sektor verschwanden die Waren aus den staatlichen Läden, um sofort im privaten Sektor und in der Schattenwirtschaft zu erscheinen, wo sie zu weitaus höheren Preisen realisiert wurden. Mit der Liberalisierung des Wirtschaftslebens in den Republiken seit zwei Jahren entstand dieselbe Situation in Rußland, in dem viele Preise im Unterschied zu anderen Regionen fixiert blieben. Die anderen Republiken profitierten bei dem Kauf in der Russischen Föderation von Rohstoffen und Halbprodukten, die sie dann zu Weltmarktpreisen weiterverkauft haben. 1991 beliefen sich die direkten Verluste Rußlands wegen solcher Preisscheren auf 33 Mrd. Rubel. Gleichzeitig war es gezwungen, die Fertigprodukte in den anderen Republiken zu ständig wachsenden Preisen einzukaufen.

Die Lage in der russischen Wirtschaft wurde seit dem Herbst 1991 zusätzlich dadurch erschwert, daß die baltischen Staaten und einige andere Republiken, die beabsichtigten ihre eigene Währung einzuführen, sich von den Rubelvorräten zu befreien versuchten, indem sie Waren in jeder Menge kauften und die Differenz zwischen Geld-und Warenmasse vergrößerten. Um diesen Prozeß der ungerechtfertigten Umverteilung zu stoppen und gleichzeitig die Preise zu einem wichtigen Regelungsinstrument in der Wirtschaft zu machen, werden im Winter 1991/92 die meisten Preise freigegeben. Nur für kleine Warengruppen ist nach der bestimmten Erhöhung die weitere Fixierung vorgesehen. Man erwartet, daß die Preise nach der Freigabe um das Drei-bis Vierfache steigen werden, sich danach in ungefähr sechs bis neun Monaten stabilisieren und dann in einer bestimmten Zeit sinken werden. Man hofft auch, daß die Preisexplosion einen selbstdämpfenden Effekt haben wird. 2. Restriktive Haushaltspolitik Parallel zur Liberalisierung der Preise wird die restriktive Haushaltspolitik eingeführt. In erster Linie werden die staatlichen Ausgaben für die nichtrentablen Produktionen, für Rüstungsindustrie und Verwaltungsapparat reduziert. Seit dem 1. November 1991 hat Rußland die Finanzierung von 70 Unionsministerien und ähnlichen Strukturen eingestellt. Es wird jetzt keine finanzielle Hilfe und Kredite anderen Staaten zur Verfügung stellen. Auch die sozialen Ausgaben werden neustrukturiert werden. Der Staat wird keine Indexierung für Löhne und Gehälter einführen. Nur für die haushaltsfinanzierten Organisationen ist eine einmalige Lohnerhöhung vorgesehen, die ansonsten selbst erwirtschaftet werden muß. Insgesamt muß das Haushaltsdefizit des russischen Staates praktisch minimiert oder sogar beseitigt werden. Die Haushaltspolitik wird darauf zu achten haben, daß die Ausgaben nur durch reale Einnahmen zu dekken sind. Jeder andere Weg würde die Reformen ruinieren.

Problematisch ist auch die Reform des Steuersystems. Das gegenwärtige System ist ineffizient, kompliziert und den marktwirtschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen. Der Anteil der Steuern an den staatlichen Einnahmen ist sehr niedrig. Deshalb wird das russische Steuersystem so umgebaut, daß es zum Beispiel aktivere Förderungsfunktionen für die Entwicklung jener Unternehmen tragen kann, die die für die Bevölkerung notwendigen Waren und Dienstleistungen produzieren. Parallel dazu muß das russische Bankensystem umgebaut werden. Das Ziel besteht darin, restriktive Geld-und Kreditmechanismen einzuführen, um in erster Linie Barrieren auf dem Wege der Hyperinflation aufzubauen. Rußland versucht gegenwärtig ein eigenes effektives Reservebankensystem zu schaffen, wobei große Schwierigkeiten bestehen, die mit dem Widerstand der anderen Republiken verbunden sind. Prinzipiell besteht ein Konsensus darüber, daß die Republiken eine gemeinsame Zentralbank haben sollen, die eine einheitliche oder eng koordinierte Geld-und Kreditpolitik auf ihren Territorien durchführt. In einer Vereinbarung wurde erreicht, daß die Hälfte aller Stimmen in der Bank unter den Teilnehmern gleich verteilt werden und die andere Hälfte nach dem wirtschaftlichen Produktionspotential. Aber die gemeinsame Zentralbank ist noch nicht gegründet. Eine einheitliche Währungszone mit dem Rubel an der Spitze soll es erlauben, in einer bestimmten Zeit die Geldmenge in dieser grundlegend zu reduzieren. Selbstverständlich braucht man dafür ein enges Zusammenwirken mit den anderen ehemaligen Unionsrepubliken, die die Einführung einer eigenen Währung bereits beschlossen haben. Denkbar ist, daß der Rubel die Rolle der Leitwährung übernimmt und die anderen an der Union teilnehmenden Währungen gegenseitig konvertierbar sein würden. Leider sieht die Realität anders aus. Abgesehen von den Verpflichtungen, die aus dem Wirtschaftsvertrag resultieren, beabsichtigen einige Republiken ohne Vereinbarungen mit Ruß-land und den anderen, auf ihrer eigenen Währung zu beharren. In diesem Fall könnte die Russische Föderation gezwungen sein, ihr Geld-und Kredit-system anders zu organisieren, indem sie ihrer Zentralbank die Funktionen der souveränen Notenbank übergibt und auf ihrem Territorium eine selbständige russische Währung einführt. Für die Wirtschaftsgemeinschaft wäre das unerwünscht, weil die politisch bedingte ökonomische Verselbständigung der Teilnehmerstaaten die Durchführung der abgestimmten marktwirtschaftlichen Reformen erschweren würde. 3. Privatisierung des Staatseigentums Neben der neuen Geld-, Finanz-und Kreditpolitik gehört zu den wichtigsten Säulen des russischen Programms der Wirtschaftsreformen die Privatisierung des Staatseigentums. Hier geht es darum, schon in der nächsten Zeit einen mächtigen Anstoß für die Entwicklung des hocheffizienten privaten Sektors in der russischen Wirtschaft zu geben. Die Verspätung in der Durchführung der gründlich ausgearbeiteten und durchdachten Privatisierungspolitik ist sehr groß. Das größte Hindernis bestand früher in der Ideologisierung, nach der das private Eigentum unzulässig war. Die Partei war propagandistisch bemüht die Bürger zu überzeugen, daß die privaten Unternehmen zur Senkung des Lebensniveaus der breiten Masse führen würden. Tatsächlich vollzog sich in Rußland noch in den Jahren der kommunistischen Herrschaft eine verschleierte Schattenprivatisierung, die u. a. von Nomenklatura und Apparatschiks, die sich durch die Perestrojka bedroht sahen, durchgeführt wurde.

Als das ehemalige Unionszentrum grünes Licht für die Privatisierung in bestimmten Wirtschaftsbereichen gab, wurde diese in erster Linie gemäß den Interessen der an der Macht Stehenden verwirklicht und nicht als konsequente Entstaatlichung verstanden. Jetzt gilt es einen zivilisierten rechtsstaatlichen Prozeß der auf den entsprechenden Gesetzen stehenden Privatisierung möglichst schnell in Bewegung zu setzen. In erster Linie betrifft das die Einbeziehung der breiten Bevölkerungsschichten in die sogenannten kleinen Privatisierungen. Kleine und mittlere Unternehmen im Handel und Transport, im Industrie-und Dienstleistungsbereich müssen in private Hände übergeben werden. Die rechtliche Prozedur der Über-gabe des staatlichen Eigentums wird mittlerweile vereinfacht. Im Winter 1991/92 können nach Expertenschätzungen bis zu 50 Prozent aller russischen KMU (ca. zehntausend kleine und mittelständische Unternehmen) und unvollendete Bauobjekte privatisiert werden. Allein das soll dem russischen Staat ungefähr 100 Mrd. Rubel einbringen.

Parallel dazu werden die Objekte des Staatseigentums unter den verschiedenen Niveaus der staatlichen Macht verteilt -zwischen Bund, Republik, Gebiet usw. Im nächsten Schritt soll der staatliche Aufbau Rußlands neustrukturiert werden. Es ist geplant, ein Bundessystem nach dem Beispiel der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen. Aus verschiedenen Gründen kann aber ein großer Teil der russischen Wirtschaft in der nächsten Zeit nicht privatisiert werden. Das betrifft die Betriebe der Schwerindustrie und viele aus dem Rüstungskomplex. Für eine bestimmte Periode bleiben sie dem staatlichen Sektor unterstellt, aber in ihrer Tätigkeit werden grundlegende Veränderungen vorgenommen. So sind neue Motivationsmechanismen für die staatlichen Unternehmen zu schaffen, die Haushaltsfinanzierung weitgehend zu reduzieren, sie auf die Gewinnmaximierung zu orientieren und steuerliche Erleichterungen für Investitionen einzuführen. Dazu werden die meisten der Staatsunternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt, an denen neben dem Staat die Belegschaften teilnehmen können. Später werden auch andere Interessenten die Aktien von diesen zu Marktpreisen kaufen können. 4. Der Agrarsektor Besondere Aufmerksamkeit wird der Privatisierung im Agrarsektor geschenkt. Gerade hier bleibt der Widerstand von ehemaligen Strukturen sehr stark. In letzter Zeit gelang es in Rußland, dreißig-tausend private Farmerwirtschaften einzurichten, was zwar viel ist, aber für die Dimensionen der russischen Landwirtschaft nur einen Tropfen auf den heißen Stein bedeutet. Zur Veränderung der krisenhaften Situation beschloß die Russische Regierung eine vielseitige Unterstützung der privaten Haushalte in der Landwirtschaft -von direkten finanziellen Zuschüssen bis zur Organisation der Produktion der für die kleinen Farmen geeigneten Agrarmaschinen und Ausrüstungen und der Schaffung des entsprechenden Servicenetzes für ihre Bedienung. (Gerade auf diesem Gebiet könnte die deutsch-russische Zusammenarbeit sehr erfolgreich werden.) Als weitere Starthilfe ist geplant, landwirtschaftliche Maschinen und Transportmittel im Wert von 100 Mio. Dollar zu importieren. Um die Privatisierung möglichst komplex durchzuführen, werden wichtige Novellen zum Bodengesetz eingeführt. 5. Entmonopolisierung Neben Preisfreigabe und Privatisierung werden Maßnahmen eingeleitet, die auf die Entmonopolisierung der russischen Wirtschaft gerichtet sind. Solange der Rubel unkonvertierbar bleibt und ausländische Firmen nicht frei zum russischen Markt kommen können, existieren hunderte von Unternehmen, die entweder hundertprozentige Anbietermonopolisten oder bestenfalls Oligopolisten sind. Diese sind aus dem Wettbewerb ausgeschlossen und imstande, von der Qualität und Quantität ihrer Produktion einmal abgesehen, die überhöhten Monopolpreise festzusetzen. Das Antimonopolkomitee wird deshalb in nächster Zukunft eine wichtige Rolle für die staatliche Wettbewerbspolitik spielen.

Das Reformpaket Rußlands stimmt mit den Hauptrichtungen des Komitees für die operative Steuerung in der Volkswirtschaft überein. Am 1. November 1991 wurde ein Beschluß verabschiedet, der die Grundprinzipien bei der Durchführung der erstrangigen Reformmaßnahmen in allen Bereichen beinhaltet. Dieser Wirtschaftskodex soll in allen Republiken der Gemeinschaft gelten. Für die Durchführung der radikalen Wirtschaftsreformen sind entsprechende Verwaltungs-und Machtstrukturen notwendig, damit die gestellten Ziele rechtzeitig und effektiv erreicht werden können. Ausgehend von dieser Aufgabe reformierte der russische Präsident Jelzin die entsprechenden exekutiven Organe. In erster Linie wurde die Zahl der Ministerien drastisch reduziert -von 46 auf 23. Gleichzeitig sank die Zahl der Mitarbeiter im russischen Ministerrat. 6. Schwierigkeiten der Exekutive Man kann die Situation in den obersten russischen Machtorganen mit der Einführung des Notstandes vergleichen. Für ein Jahr bekommt der russische Präsident das Recht, selbständig die Strukturen der exekutiven Organe zu verändern und eine eigenständige Personalpolitik in diesen durchzuführen. Zusammen mit der von ihm geleiteten Regierung darf er staatliche Bundesämter, -komitees, -departements und andere Einrichtun-B gen schaffen, die aus ihrer Sicht für die operative Steuerung in der gegenwärtigen Wirtschaftssituation notwendig sind. Praktisch sofort nach dem Beginn der Tätigkeit der Regierung hat Jelzin Mitte November eine Reihe von wichtigen Erlassen unterschrieben. Zu ihnen gehören die Ukasse über die Liberalisierung der Außenwirtschaftstätigkeit in der Russischen Föderation, über die Kommerzialisierung des Handelssektors, über die soziale Partnerschaft und die Einigung bei den Arbeitskonflikten, über die Reorganisation der russischen Zentralbank, die Dekrete über die finanziellen Maßnahmen im Rahmen der Wirtschaftsreformen, über den Mindestlohn und über die Regelung der Erdöllieferung außerhalb der Russischen Föderation. Gegen die meisten der Beschlüsse kam es Ende November zu Widerstand durch das Präsidium des Obersten Sowjets der Russischen Föderation und dann auch durch das Parlament. Unter anderem wurden die als zu liberal angesehenen Normen, die den Unternehmen zu große Freiheit gewährten, besonders in der Außenwirtschaft, annulliert. Das Parlament sprach sich auch dagegen aus, die russische Zentralbank direkt der Regierung zu unterstellen und aus ihr die Staatsbank von Rußland zu machen. Das Antimonopolkomitee wird jetzt nicht der Regierung, sondern dem Parlament unterstehen. Durch diesen Beschluß verlor das Ministerkabinett einen wichtigen Hebel der Einwirkung auf die Wettbewerbspolitik. Umstritten blieb das Dekret über einen Mindestlohn, der zu hoch angesetzt war und deshalb ein zusätzliches Inflationspotential ins Leben gerufen hatte. Fraglich ist, inwieweit das Gegenüberstehen von der „Regierung der Reformen“ und dem Parlament einen bremsenden Einfluß auf das Tempo der Reform-prozesse hat. Die Verspätung in der Durchführung geplanter Schritte, etwa im Finanzsystem, könnte schon bald zu unvorhersehbaren Folgen führen.

Auch ohne den Widerstand der Abgeordneten stehen die Reformen vor vielen Problemen und Schwierigkeiten. Zu den strukturellen Besonderheiten der existierenden Volkswirtschaft gehört das Übergewicht der Schwer-und Rüstungsindustrie. Nur ein sehr geringer Teil der Volkswirtschaft produziert unmittelbar für die Bevölkerung. Aber die Preise für die Waren und Dienstleistungen können nur dann stabilisiert oder sogar gesenkt werden, wenn die Zahl der Produzenten, die miteinander in den Wettbewerb treten, drastisch erhöht wird, unter dem Motto der Demonopolisierung und Konkurrenz. Offen bleibt, ob in den nächsten Monaten, in denen der Rubel stark abgewertet wird, viele neue Produzenten auf den Markt kommen werden. Die Gefahr der weiteren Monopolisierung der Wirtschaft und des Produktionsrückganges ist da.

Die konkreten Mechanismen der Durchsetzung der in Dekreten und Ukassen vorgesehenen dringenden Maßnahmen sind nicht immer vollkommen ausgearbeitet, was auch verständlich ist. Es mangelt an den funktionsfähigen rechtsstaatlichen Verwaltungsstrukturen wie an geeigneten Fachleuten. Das betrifft sowohl die höchsten exekutiven Machtorgane als auch entsprechende örtliche Verwaltungsstrukturen. Jelzin wies in der letzten Zeit nicht zufällig darauf hin, daß es ohne starke und harte exekutive Macht kaum möglich sein wird, die radikalen Reformen durchzusetzen. Um diese Macht an Ort und Stelle und gleichzeitig die vertikalen Verbindungen in der gesamten Verwaltungsstruktur zu stärken, verfügte der russische Präsident die Einsetzung seiner unmittelbaren Vertreter in allen russischen Gebieten. Diese Vertreter sollen den Widerstand der örtlichen Funktionäre abwehren, unter denen viele ehemalige Parteiapparatschiks sind, denen es gelungen war, aus sich Quasi-Demokraten zu machen. Jetzt ist ihre Tätigkeit einer Sabotage ähnlich.

Die wirtschaftliche und politische Lage in allen Teilen der Ex-UdSSR ist äußerst schwierig, das Suchen nach neuen Wegen ist kompliziert. Alle ehemaligen Republiken tragen zur Zeit Altlasten des stalinistischen administrativen Kommando-systems. Diese sind nicht von heute auf morgen überwindbar, schon gar nicht in der Wirtschaft. Wenn einige, wie auch Rußland, nicht allein auf die Eigeninitiative oder die Hilfe der westlichen Länder bauen, sondern einen vernünftigen Weg in der Zusammenarbeit miteinander suchen, dann gibt das Anlaß zur Hoffnung. Wünschenswert ist, daß die wirtschaftliche Vernunft die Oberhand im Kampf gegen die politischen Ambitionen gewinnt und die Parlamente der Republiken nicht nur ihren Vertrag über die Wirtschaftsgemeinschaft ratifizieren werden, sondern auch ihre Präsidenten von der Notwendigkeit des politischen Konsensus unter neuen souveränen Staaten überzeugen. Vielleicht wird dann auch der Vertrag über die Union der souveränen Staaten von ihren Staatsoberhäuptern unterschrieben, was bei Abfassung dieses Aufsatzes (Ende November 1991) leider noch nicht geschehen ist. Ein solcher politischer Vertrag wird sehr gute und stabile Voraussetzungen für das erfolgreiche Funktionieren der Wirtschaftsgemeinschaft schaffen. Rußland wird seinerseits alles Erdenkliche tun, um dieses Ziel zu erreichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ekonomika i iz, Nr. 43/November 1991, S. 7.

  2. Vgl'. Moskovskij Komsomolec vom 21. November 1991, S. l.

  3. Vgl. Ekonomika i iz, Nr. 43/November 1991, S. 7; Trud vom 27. November 1991, S. 2.

  4. Vgl. Ekonomika i iz, Nr. 43/November 1991, S. 7.

  5. Vgl. ebd.

Weitere Inhalte

Wladislaw Below, Dr. oec.; geb. 1960; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europa-Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau; Leiter des Sektors für Deutschland. Veröffentlichungen u. a.: Manager gegen Bürokraten -die Perspektiven der Perestrojka in der Sowjetunion, Hamburg 1989; Die deutsche Vereinigung und die Perspektiven der sowjetisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen, Moskau 1990.