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Ferngelenkte Medienberichterstattung? Gefährdungen der Pressefreiheit in den USA | APuZ 51/1991 | bpb.de

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APuZ 51/1991 Amerika und Europa: Partner im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz Zurück in das nächste „amerikanische Jahrhundert“? Ferngelenkte Medienberichterstattung? Gefährdungen der Pressefreiheit in den USA Der Einfluß der Massenmedien auf die amerikanische Politik

Ferngelenkte Medienberichterstattung? Gefährdungen der Pressefreiheit in den USA

Stephan Ruß-Mohl

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Zusammenfassung

200 Jahre nach der Verabschiedung des First Amendment, jenes Verfassungszusatzes, der in den USA die Pressefreiheit garantiert, ist journalistische Autonomie zunehmend bedroht. Das Meinungsklima in den Vereinigten Staaten ist in bezug auf Medienfreiheit zwiespältig. Zu den Faktoren, die auf immer subtilere Weise die Berichterstattung der Massenmedien mitsteuem und inhaltlich beeinflussen, zählen Werbung, Sponsoring und Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch die Rechtsprechung wirkt oft einschüchternd auf den Journalismus zurück. Der Beitrag belegt diese Tendenzen überwiegend an Beispielen aus dem Zeitungsjoumalismus und plädiert abschließend für mehr Aufklärung der Medien über sich selbst und die Bedingungen, unter denen sie Bericht erstatten.

Die Vereinigten Staaten von Amerika gelten weltweit und zu Recht als Hort der Freiheit und Liberalität. Wenn sich im Dezember 1991 das Inkrafttreten des „First Amendment“ -jenes Verfassungszusatzartikels, der die Meinungsund Pressefreiheit garantiert -zum 200. Mal jährt, können die Amerikaner durchaus mit Stolz auf zwei Jahrhunderte Presse-und Meinungsfreiheit zurückblicken. Trotz vielerlei Anfechtungen und großer gesellschaftlicher Umwälzungen ist es gelungen, die freiheitlichen Ideale der bürgerlichen Revolution des 18. Jahrhunderts nicht nur im eigenen Land zu bewahren und sie ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten. An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend scheint es so auszusehen, als könnten sich diese Ideale allmählich weltweit durchsetzen.

Die Freude darüber ist indes auch in Amerika nicht ungetrübt. Zum einen scheint es in der Bevölkerung und auch unter den Intellektuellen an Bewußtsein zu mangeln, welche Kostbarkeit die bürgerlichen Freiheitsrechte darstellen.

Zum anderen brechen sich materielle Entwicklungen Bahn, die langfristig die journalistische Autonomie und damit die Pressefreiheit bedrohen. Diese Trends sollen im folgenden skizziert werden -nicht zuletzt deshalb, weil in den USA Entwicklungen bereits schärfer erkennbar werden, die auch in Deutschland und Europa die künftigen Rahmenbedingungen der Medienberichterstattung und damit der Pressefreiheit prägen werden.

I. Das Meinungsklima: Pressefreiheit ist nicht mehr mehrheitsfähig

Aufmerksamkeit verdienen zunächst einmal bestimmte Tendenzen im Meinungsklima, die auf wachsende Intoleranz in der multikulturellen amerikanischen Gesellschaft hindeuten. Das Grundrecht auf Meinungsund Pressefreiheit scheint jedenfalls im Bewußtsein der US-Bürger keineswegs mehr fest verankert zu sein. Vor allem jene Gruppen, die sich als gesellschaftliche Avantgarde empfinden und um die Rechte von Minderheiten und Frauen kämpfen, haben im Umgang mit Meinungs-und Pressefreiheit Schwierigkeiten. Sie haben jene Lektion von Rosa Luxemburg noch nicht gelernt, wonach Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden ist, und sie suchen mit Macht, Ideengut zu unterdrücken, das ihren eigenen Anschauungen zuwiderläuft. Schauplätze solcher Konflikte sind in den USA häufig gerade Universitäten, die sich ansonsten viel auf ihre Liberalität einbilden.

Aber auch in der breiten Bevölkerung gibt es für die Meinungs-und Pressefreiheit zunehmend Akzeptanzprobleme. „Es ist zweifelhaft, ob das , First Amendment* heute überhaupt bei einer Volksabstimmung Bestand hätte“, konstatierte jüngst unter Verweis auf neueste Umfrageergebnisse Burl Osborne, bis vor kurzem Präsident der American Society of Newspaper Editors (ASNE), eines Berufsverbandes, in dem sich die Chefredakteure amerikanischer Tageszeitungen zusammengeschlossen haben In dieselbe Richtung deuten auch weitere Befragungsergebnisse. Eine Studie des Jefferson Center for the Protection of Free Expression in Charlottesville, Virginia, hat herausgefunden, daß 30 Prozent der Amerikaner der Auffassung seien, daß das Recht auf Meinungsfreiheit sich nicht auf Zeitungen erstrecke

Derlei Zahlen sollten indes nicht überbewertet werden. Mangelndes Problembewußtsein in der Bevölkerung kann auch Ausdruck der Tatsache sein, daß Pressefreiheit letztlich unstrittig, jedenfalls kein Thema aktueller politischer Auseinan-dersetzungen ist. Zumindest ließe sich argumentieren, daß es womöglich gerade zu den Vorzügen einer langjährig stabilisierten Demokratie gehört, daß es über Selbstverständlichkeiten wie die Pressefreiheit einer öffentlichen Diskussion, die Problembewußtsein schafft, nicht bedarf.

II. Materielle Bedrohungen der Pressefreiheit:

Gegen ein solches Argumentationsmuster sprechen indes materielle Entwicklungen, denen es Aufmerksamkeit zu schenken gilt, weil sie -langfristig betrachtet -die Pressefreiheit bedrohen könnten. Von den vielfältigen Faktoren, die von „außen“ Journalismus prägen und Medienberichterstattung steuern, können im folgenden nur die näher betrachtet werden, die in den USA eine sehr hohe Durchschlagskraft gewonnen haben Es sind dies insbesondere der wachsende indirekte Einfluß der werbetreibenden Wirtschaft auf redaktionelle Inhalte; --die Macht einer sich professionalisierenden Öffentlichkeitsarbeit und, damit einhergehend, die immer gezieltere Beeinflussung der Nach-

richtengebung durch Themensetzung und Timing der Berichterstattung, aber auch durch das Inszenieren und das Sponsoring von Ereignissen, über die nach den herrschenden Regeln journalistischer Professionalität Bericht erstattet werden muß;

-die zunehmende Verunsicherung der Redaktionen durch eine Rechtsprechung, die die journalistische Arbeit immer mehr einengt.

Journalistische Unabhängigkeit ist allerdings -auch in westlichen Demokratien -immer nur eine relative Unabhängigkeit. Denn natürlich sind in einer Gesellschaft, die durch wachsende Arbeitsteilung und durch immer unüberschaubarer werdende wechselseitige Interdependenzen gekennzeichnet ist, auch Redaktionen von vielen Seiten abhängig: von den Lesern, die das Blatt kaufen oder das Programm anhören bzw. -sehen sollen; von den Nachrichten-Lieferanten, die die Redaktion mit „Stoff“ für die Berichterstattung versorgen; vom Verleger oder der Konzernspitze, die eine politische Linie oder, zusehends häufiger, zu erzielende Gewinn-Margen vorgeben; und nicht zuletzt vom politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umfeld. Dieses Koordinatensystem gilt es vor Augen zu haben, wenn man nach Veränderungen und Bedrohungen der journalistischen Autonomie fragt. 1. Werbung: Definitionsmacht über die Rahmenbedingungen der Medienberichterstattung Fernsehen ist in den USA praktisch ausschließlich, die Tageszeitungen sind oftmals zu über 80 Prozent werbefinanziert. Die krude These, die Werbebranche entscheide deshalb letztlich darüber, was die Medien berichten, hat Eingeweihten gleichwohl immer nur ein Lächeln entlockt. Sie hat so nie gestimmt und wird auch in Zukunft nicht richtiger. Daß die Werbewirtschaft indes auf sublime Weise mitsteuert, worüber die Medien berichten, wird sich künftig in all den Medienkonzernen und Zeitungshäusern kaum noch bestreiten lassen, in denen sich die Marketing-Strategen weiter durchsetzen. Paradoxerweise gilt das für die großen Fernseh-Networks und für Qualitätszeitungen, die, wie die New York Times, die journalistischen Maßstäbe setzen, fast ebenso wie für die zweit-und drittklassigen Medienprodukte, in denen seit eh und je die Rendite vor der journalistischen Qualität rangiert.

Mit dem Rüstzeug, das die Marktforschung liefert, erwachsen den Medienmachern nicht nur neue Möglichkeiten, die Berichterstattung den Publikumswünschen entsprechend zu gestalten. Es wächst auch der Druck und die Versuchung, vermehrt dem Gusto und den Bedürfnissen der wer-betreibenden Wirtschaft Rechnung zu tragen. „Wäre es zu Beginn der achtziger Jahre nur darum gegangen, mehr Zeitungen zu verkaufen -die Liste der vom Tod ereilten Blätter wäre ein ganzes Stück kürzer“, meint Marketing-Experte Conrad C. Fink, um gleich hinzuzufügen, was aus seiner Sicht Medienmanager heutzutage zuvörderst anzubieten haben sollten: „Lösungen für die Probleme der Anzeigenwirtschaft.“

Der Wettbewerbsdruck unter den immer vielfältigeren Medien um ein und denselben Werbekuchen wächst. Die größeren Stücke werden jeweils die Medienbetriebe für sich reservieren können, die nicht nur Anzeigenplatz verkaufen, sondern auch die „richtige“ Zielgruppe garantieren und Ideen mitliefern, wie der verkaufte Anzeigenplatz sich dazu nutzen läßt, auch den Verkaufserfolg des erenten möglichst sichtbar zu steigern. Nicht Berlusconis Erfolg mit dem privaten Fernsehen in Italien auch die Gewinne amerikanischer Medienkonzerne erklären sich letztlich durch immer raffinierter werdende Konzepte der Werbe-t-bzw. Anzeigenakquisition.

Und natürlich geben alle, die Bescheid wissen, zu, das Anzeigenumfeld, also das redaktionelle gebot, in hohem Maß über Erfolg oder Mißerfolg; der Werbung mitentscheidet Kein Wunder, wenn sich auch die inhaltlich-redaktionellen geböte zusehends den Erfordernissen der Werbewirtschaft unterordnen: „Zeitungsverlage werden ihre Produkte weiter auf bestimmte Gruppen Werbetreibenden Zuschneidern und in zuneh-mendem Maß sicherzustellen versuchen, daß Anzeigen und Newsstories sich aufeinander beziehen. Auch Zeitungen, die unterschiedlichen Konzernen gehören, werden einander immer ähnlicher sehen, nicht nur, weil sie die Formate standardisieren, dem auch, weil sie denselben Ratschlägen der Marketing-Experten folgen“, prognostiziert Ellis se in seinem Buch über die amerikanischen tungsimperien

Nicht durch selektiv ausgeübten Druck nehmen sich die Anzeigenkunden auf die Inhalte von Medienprodukten Einfluß, sondern mit Hilfe der Medialforschung. Sie stellt immer detailliertere Igruppen-Daten zur Verfügung und ermöglicht damit, Werbebotschaften immer präziser, also der Vermeidung von Streuverlusten, zu plazieren. Der Wandel vollzieht sich schleichend, in endlich vielen, kleinen Schritten. Das Werbe-Anzeigenaufkommen insgesamt ist stark angewachsen, nicht zuletzt aufgrund der verfeinerten Marketing-Strategien der Medienbetriebe. Beispiel von Tageszeitungen läßt sich zeigen, damit einhergehend der redaktionelle Teil auseitet werden mußte. Neu hinzugekommene, gruppenorientierte Beilagen und Sonderseiten die in der Regel nicht auf Kosten des traditionellen Nachrichtenangebots. Sie werden ihm eher zugefügt, als daß sie es ersetzen Special inter-Sections werden aber, allenfalls mit der Ausnahme von Wissenschafts-Beilagen, auch nur dann geführt, wenn sie sich vom erwartbaren zusätzlichen Anzeigenaufkommen her rechnen Die neu hinzukommenden Berichterstattungssparten verwandeln die Zeitung in einen Werbeträger, mit dem sich gezielter als bisher jene Publika erreichen lassen, denen die WerbeWirtschaft besonders gerne ihre Botschaften verkaufen möchte: die Wohlhabenden und die gutverdienenden Aufsteiger, die bisher vor allem von Zeitschriften erreicht wurden. Diese Ausweitung des Informationsangebotes hat indes ihre Kehrseiten. Zum einen macht es für den Leser einen beträchtlichen Unterschied, ob er die Tagesaktualitäten auf wenigen Seiten konzentriert findet oder er sie sich, auf hundert und mehr Zeitungsseiten verstreut, zusammensuchen muß. Dies artet selbst dann in lästige Arbeit aus, wenn das redaktionelle Angebot klar strukturiert ist, also Inhaltsverzeichnisse, Querverweise und andere Lesehilfen die Orientierung erleichtern. Zum anderen verlieren „Profi-Journalisten, die Chefredakteure eingeschlossen, an Einfluß, wenn es darum geht, die strategisch wichtigen Bereiche der Berichterstattung festzulegen. Diese Aufgabe haben mehr und mehr die Marketing-Berater übernommen“. Im Zentrum journalistischer Anstrengungen stehe nicht mehr, was die Gemeinschaft, die res publica brauche, sondern was die Anzeigenwirtschaft haben wolle, sorgt sich der Kommunikationsforscher Ben Bagdikian. Und: „Zeitungen , kontrollieren* ihre Leserschaft (hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung, S. R. -M.), indem sie über Stadtviertel der ärmeren und älteren Bevölkerungsgruppen weniger nachdrücklich berichten und zugleich ihre eigenen Werbe-undVer-triebskampagnen auf Quartiere mit dem erwünschten (Leser-) Profil ausrichten.“

Jedenfalls werden unter solchen Rahmenbedingungen die Geschäfte mit der klassischen Boulevardzeitung schwieriger, die vor allem aufs weniger kaufkräftige Massenpublikum und damit auf die Unterschichten zielt. Everette Dennis vom Gannett Center for Media Studies in New York erzählt genüßlich, auf welch schmerzliche Weise der Medien-Zar Rupert Murdoch diese Lektion habe lernen müssen. Als seine Akquisiteure aus-schwärmten, um für die von ihm aufgekaufte New York Post Anzeigen einzuwerben, hätten sich die Gesprächspartner bei Bloomingdale’s, dem weltberühmten Schicki-Micki-Kaufhaus, wenig begeistert gezeigt. Mit der Leserschaft des auflagenstarken Boulevard-Blatts sei kein Staat zu machen, bedeuteten die Warenhaus-Manager Murdochs Emissären. „Your readers are our shoplifters“ -Ihre Leser sind unsere KaufhausDiebe Neben solch indirekter Beeinflussung redaktioneller Angebote haben sich jedoch in den letzten Jahrzehnten viel direktere Formen der Steuerung durchgesetzt. 2. Public Relations und Sponsoring: Kontrolle über Themen und Timing In den USA hat sich eine Public Relations-(PR-) Industrie herausgebildet, die effektiv und geräuschlos funktioniert. Sie dominiert das journalistische Alltagsgeschäft, ohne daß die Journalisten selbst dies bisher so recht wahrhaben wollen. Das Schlüsselwort, das sich in Fachzirkeln durchgesetzt hat, ist News Management. Der Begriff steht für das Management der Medien von außen, die immer gezieltere Einflußnahme auf die Berichterstattung durch Öffentlichkeitsarbeit. Spoonfeeding ist ein weiteres Schlagwort, das den Prozeß zutreffend und zynisch zugleich umschreibt: Löffelweise werden die Journalisten und damit die Öffentlichkeit mit Informationshäppchen abgefüttert, die sorgfältig in den PR-Küchen der Großorganisationen vor-gekocht werden.

Besonders gute Chancen haben im Spiel um Publicity noch nicht einmal jene Institutionen, die ganz offensichtlich Eigeninteressen verfolgen, beispielsweise politische Parteien, Unternehmen oder auch Stars aus dem Show Business. Ihre Verlautbarungen sind den meisten Journalisten erst einmal verdächtig. Die Non-Profit-Organisationen tun sich da um vieles leichter -wie es bereits der amerikanische Starjournalist Henry Louis Mencken in den zwanziger Jahren beobachtet hat: „Wahr genug, die dreisten, frechen Lügner, die von Theatermanagern und Opernsängerinnen beschäftigt werden, tricksen den Journalisten nicht mehr so leicht aus wie dereinst; er ist so mißtrauisch geworden, daß er sie oft auch dann hinauswirft, wenn sie wirklich News anbieten. Aber was geschieht mit den Öffentlichkeitsarbeitern von solchen Organisationen wie dem Roten Kreuz, der Prohibition Unit, der Nahost-Hilfe, der US-Handelskammer, dem Justizministerium, dem CVJM und den vielen anderen Gruppen professioneller Patrioten? Ich will nicht sagen, daß deren Presseagenten immer und notwendigerweise Lügner sind. Alles was ich sagen kann, ist, daß ihre Statements in neun von zehn Fällen von den Zeitungen als zutreffend akzeptiert werden -ohne irgendeinen Versuch, exakt zu überprüfen, ob sie wahr sind oder nicht.“

Forschungsergebnisse führender Kommunik tionsforscher belegen, in welchem Ausmaß PI Leute mit ihren Taktiken und Strategien inzw sehen Themen und Timing der öffentlichen Di kussion bestimmen. Knapp 60 Prozent der Nac richten aus der amerikanischen Kapitale gerate auf Routine-Kanälen, also ganz überwieger durch Pressestellen, in Umlauf. Dies gilt auch f so honorige und gut ausstaffierte Blätter wie d New York. Times und die Washington Post -so h es jedenfalls vor einigen Jahren der Sozialwissei schaftler Leon Sigal ermittelt Für die meiste anderen US-Medien dürfte der Prozentsatz eher z niedrig gegriffen sein. Der New Yorker Medie kritiker Jeff Cohen brachte kürzlich auf ein, Fachtagung gar einen 80-Prozent-Wert ins Spiel Aufhorchen lassen auch Fallstudien, mit denen d Medienkritiker und Linguistik-Professor Noa Chomsky zeigt, daß selbst die Qualitäts-und Elit Zeitungen, die sich auf ihre journalistische Una hängigkeit eine ganze Menge einbilden, in ihr Berichterstattung auch bei heiklen Themen, w etwa Nicaragua, ziemlich erfolgreich von den PI Stäben und Pressechefs des Regierungsappara gesteuert werden Sein Kollege Bagdikian e gänzt, Abweichungen von der Realität gebe es der Berichterstattung häufig -wenn auch eh „durch Auslassung als auf Bestellung“. Insbesoi dere in der Auslandsberichterstattung folge d etablierte Presse häufig der Darstellung der Regi rung, die mitunter in ihren offiziellen Verlau barungen wichtige Fakten unterschlage

Seit langem leisten sich natürlich auch andere eil flußreiche Politiker einschlägige Experten und B rater, ebenso wie die Großunternehmen ganz Stabsabteilungen für Public Relations unterhalte: Letztere sind personell oftmals besser bestückt a die Redaktion einer mittelgroßen Tageszeitung Und sie betreiben im Grunde nichts weiter a Außendarstellung, was allerdings oftmals viel ha te Überzeugungsarbeit nach innen mit einschließl Die Öffentlichkeitsarbeiter haben auch zahlenm ßig die Journalisten längst überflügelt:

In den USA gibt es schätzungsweise 150000 PI Praktiker, aber nur 130000 Journalisten. Not größer wird das Gefälle vermutlich, wenn man Ausbildungsniveau, Berufserfahrung und Gehälter miteinander vergleicht Oft wechseln gerade erfahrene Journalisten in die PR-Branche über.

Wie sich in der Einzelsituation dieses Gefälle noch verschärft, zeigt der PR-Experte Scott M. Cutlip am Beispiel der Nachrichtenagentur AP und des US-Verteidigungsministeriums: „Mit 6500 news outlets in den USA ist AP der Hauptnachrichtenversorger für Zeitungen, Radio-und Fernsehstationen. Aber selbst die mächtige AP kann sich nur einen einzigen Reporter am Pentagon leisten, das jährlich 300 Milliarden Dollar Steuergelder verausgabt. Dieser einsame Reporter muß sich in hohem Maße auf Waschzettel und Orientierungshilfen der mehr als 200 Öffentlichkeitsarbeiter verlassen, die im Pentagon sitzen und aus öffentlichen Geldern bezahlt werden. Allein das PR-Budget des Verteidigungsministeriums für 1989 beläuft sich schon auf mehr als 47 Millionen Dollar. Versorgt werden damit insgesamt über 1000 PR-Mitarbeiter.“

Das eigene Image zu pflegen und zu polieren -eben dies lassen sich Unternehmen und auch so manche Behörde eine Menge kosten. Es ist ihnen ganz offenbar mehr wert als die „Gegenseite“, die aufs Nachrichtengeschäft spezialisierten Medien-betriebe, aufbringen kann, um ihre Redaktionen personell zu rüsten. Selbst solche Häuser haben Schwierigkeiten mitzuhalten, die Wert auf die journalistische Qualität ihrer Produkte legen und ihre Zeitungen und Rundfunkstationen nicht einfach als Goldesel betrachten, die nur für die Anteilseigner Gewinn abwerfen sollen. Der PR-Forscher Oscar J. Gandy Jr. spricht denn auch von Information subsidies, von subventionierter Information, die die PR-Stäbe bereitstellten -ein Begriff, der nur deshalb nicht ganz die Realität • trifft, weil hier nur partiell die öffentliche Hand der Geldgeber ist und auch keine notleidende Branche zum Nutznießer der Transfers wird.

Neue Versuchungen, die redaktionellen Angebote auf subtile Weise zu beeinflussen, entstehen durch Sponsoring. Im Gegensatz zu herkömmlicher Caritas und klassischem Mäzenatentum, die meist eher im stillen wirkten, handelt es sich dabei um den strategisch-gezielten Versuch, Medienaufmerksamkeit auf sich zu lenken. Verfahren wird nach dem alten Motto der Public-Relations-Branche „Tue Gutes und rede darüber“: Gemeinnützige Vorhaben, oft auch nur Aktivitäten, die bei bestimmten Zielgruppen populär sind, werden für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit instrumentalisiert -letztlich mit dem Ziel, von Publicity zu profitieren.

Während in Deutschland, wenn überhaupt, noch eher verschämt die verzerrenden Effekte des Sponsoring auf die Medienberichterstattung registriert werden, gibt es in den USA durchaus Ansätze zu einem offenen Gespräch über die Folgen: So hat etwa bei der Jahresversammlung der Zeitungsverleger aus Oregon kürzlich der Präsident von Thriftway Stores, einer großen amerikanischen Einzelhandelskette, ganz unverhohlen „mehr Hilfe von den Zeitungen“ für seine gemeindebezogenen Sponsorship-Aktivitäten gefordert. Thriftway „möchte sich als guter Nachbar in unseren Gemeinden erweisen“, aber auch aus seinen promo-

tional dollars „so viel wie möglich herausholen“ -

etwa, wenn es darum gehe, ein Kinderkrankenhaus zu unterstützen. „Um derlei Aktivitäten zu finanzieren, benötigen wir unseren gerechten Anteil an Publicity, und manchmal habe ich den Eindruck, wir bekommen ihn nicht. Wir benötigen eine bessere Presseberichterstattung über die Ereignisse, die wir in ihren Gemeinden sponsern“

forderte der Konzernchef, Jim Robinson, von den Verlegern

Die Verleger täten gut daran, sich solchem Druck nicht zu beugen. Helfen könnte wohl auch ein Journalismus, der die Sponsoring-Praktiken genauer unter die Lupe nimmt. Er hätte sich dabei aber nicht nur auf das Reportieren von Fakten zu beschränken, sondern sollte auch Motive, Hintergründe und Interessenkonstellationen ausleuchten, die Sponsoring bestimmen können

Professionalität, Professionalisierung -das sind die Stichworte, mit denen sich der Vorsprung der Public Relations in den USA im Vergleich zur Situation in Deutschland am ehesten umschreiben läßt.

Seit Mitte der siebziger Jahre hat sich der Professionalisierungsprozeß auf geradezu atemberaubende Weise beschleunigt -abzulesen an Indikatoren wie der Vielzahl und der Vielfalt universitärer Ausbildungsprogramme, der florierenden PR-For-

schung und auch der vergleichsweise starken ver-handlichen Organisation der Öffentlichkeitsarbeiter in zwei schlagkräftigen Berufsverbänden

Weshalb wird der Einfluß, den PR so offensichtlich auf die öffentliche Kommunikation nimmt, öffentlich kaum wahrgenommen? Das mag einmal damit zu tun haben, daß Machtfragen per se häufig tabuisiert oder falsch gestellt werden -wozu allerdings gerade in den USA auch PR-Leute immer wieder ihren Beitrag leisten. Vermutlich hat die Nicht-Thematisierung von PR aber auch eine Menge mit den ambivalenten Gefühlen zu tun, die die amerikanischen Journalisten Öffentlichkeitsarbei-tem entgegenbringen. Einerseits sind sie mißtrauischer, als das in den allermeisten Fällen angebracht sein dürfte: Denn ein tüchtiger PR-Profi belügt einen Journalisten nicht, ja, er versucht nicht einmal, ihn auf brüchiges Eis zu lotsen. Er pflegt dagegen wichtige Medien-Kontakte intensiv und wird allenfalls den einen oder anderen Journalisten so umgarnen, daß er sich ihm zu Gefälligkeiten verpflichtet fühlt und so dienstbar wird. Um diesem Ziel näherzukommen, gibt es ein breitgefächertes Repertoire von Mitteln. Plumpe Korruption ist eher rar -schon weil die meisten amerikanischen Journalisten, wenn es um Einladungen, Rabatte und Geschenke geht, sich einem sehr viel rigoroseren Ethik-Kodex unterwerfen als viele ihrer deutschen Kollegen. Andererseits läßt es schon das Selbstwertgefühl vieler Presseleute gar nicht zu, sich einzugestehen, wie sehr sie inzwischen auf die Vor-und Zuarbeit der PR-Profis angewiesen sind und wie viele ihrer Anregungen für Stories sie von dort beziehen.

Einer der eher raren Journalisten, die sich (selbst-) kritisch äußern, ist Alfred Larkin, Chef vom Dienst beim Boston Globe: „Natürlich kann eine gut geplante PR-Kampagne die Medien manipulieren. Nehmen wir nur den letzten Wahlkampf. Bushs Leute haben immer wieder über Dukakis Dinge ausgestreut, die unwahr waren, und die Medien wußten damit nicht umzugehen.“ Das Dilemma sei, daß sie auch nachgewiesenermaßen unwahre Behauptungen nicht einfach unterschlagen könnten. Sie melden, hieße aber auch, zu ihrer Weiterverbreitung beitragen. Und hinzuzufügen, daß es sich um die Unwahrheit handele, gehe auch nicht immer -sonst entstünde schnell der Eindruck der Parteilichkeit

Vermutlich besteht ein Teil des Erfolgsgeheimnisses von PR gerade in dem, was Vance Packard einmal, auf die Werbung gemünzt, die „geheime Verführung“ genannt hat. Der verführte Journalist -und mit ihm die Öffentlichkeit, die er bedient -soll möglichst gar nicht merken, daß er verführt worden ist. Er soll auch dann noch das Gefühl haben, selbst eine journalistische „Leistung“ erbracht zu haben, wenn er zur Gänze einen vorformulierten Pressetext verwendet hat oder sich seine Recherchen von einer hilfsbereiten Pressestelle erledigen ließ 3. Rechtsprechung: Verunsicherung und Einschüchterung Bei der Rechtsprechung handelt es sich um eine gänzlich andere Kategorie der Beeinflussung von Medieninhalten als bei den bisher behandelten Faktoren: Die Werbung nimmt indirekt Einfluß auf das Werbeumfeld und damit die Struktur der Informationsund Unterhaltungsangebote der Medien, über Public Relations und Sponsoring werden Berichterstattungsanlässe inszeniert und die Medien mit Nachrichten beliefert. Die Justiz kontrolliert dagegen in der Regel ex post bestimmte Medieninhalte. Gleichwohl gehen von solcher Kontrolle auch ex ante-Wirkungen aus, weil Gerichte ja nicht nur über Einzelfälle entscheiden, sondern mit ihren Schiedssprüchen auch die Bedingungen und Grenzen künftiger journalistischer Berichterstattungsfreiheit abstecken. Kenner der amerikanischen Medienszene beobachten, daß von der Rechtsprechung in den letzten Jahren diese Grenzen enger gezogen wurden. Die Journalisten beklagen als Folge der Rechtsprechung einen chil-Ung effeci -eine Frostwirkung, die die Berichterstattung einfriert, also einschüchternd und entmutigend auf die Journalisten wirkt.

Das Problem, dem im folgenden insbesondere Aufmerksamkeit zu schenken ist, sind Libel Deci-sions -Gerichtsentscheidungen, bei denen es um Verleumdung und Ehrenschutz geht. Immer häufiger haben in den achtziger Jahren diejenigen in den USA, die sich negativ von Medienberichterstattung betroffen fühlten, ihre Ansprüche vor Gericht eingeklagt, und zwar mit zunehmendem Erfolg. Oft ging es dabei um hohe Geldbeträge. Auf dem Spiel stand aber auch die Glaubwürdigkeit der Medien, die durch sich häufende Gerichtsver-fahren unterminiert wurde. Im Konflikt zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten haben letztere an Gewicht gewonnen. Die Gerichte anerkennen zusehends das Schutzbedürfnis des einzelnen vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit der Pressefreiheit

Wie in Deutschland auch, ist das Presserecht in den USA über weite Strecken Richterrecht. Der gesetzgeberische Spielraum in der Pressepolitik ist durch das First Amendment drastisch eingeengt. Deshalb war es weithin der Judikative Vorbehalten, die rechtlichen Rahmenbedingungen zeitgemäß weiterzuentwickeln. Der Supreme Court hat das in einer Weise getan, die das Grundrecht der Pressefreiheit nicht in Frage stellt, allerdings jeweils sorgsam gegen andere Grundrechte abwägt -wobei aber über die Jahrzehnte hinweg Pendelausschläge zu beobachten waren

Längerfristig betrachtet, „waren die Gerichte, allen voran der Supreme Court, auch so etwas wie ein nützliches Barometer für den gesellschaftlich-politischen Status des Journalismus. In der Tat ist die große Aufmerksamkeit, die der Oberste Gerichtshof der Presse nach rund 180 Jahren relativer Vernachlässigung über die letzten 25 Jahre hinweg hat zuteil werden lassen, schon in sich selbst ein Indikator für den Aufstieg des Journalismus in den Schemen der Macht.“

In den sechziger und siebziger Jahren konnten die Medien im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung sowie der Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung der Pentagon Papers und später um Watergate auch vor den Gerichten Teilsiege zugunsten von mehr Pressefreiheit verbuchen. Als Meilenstein der amerikanischen Presserechtsprechung gilt gemeinhin die Entscheidung „New York Times gegen Sullivan“ aus dem Jahr 1964, mit der die Schadensersatzklage eines Polizeioffiziers aus Alabama abgewiesen wurde. In dem Prozeß ging es noch nicht einmal um ein journalistisches Produkt, sondern um einen Anzeigentext, der sachlich unrichtige Behauptungen über den Polizisten enthielt und den die New York Times abgedruckt hatte

Der Richterspruch trägt gleichwohl auf sehr dezidierte Weise zur Sicherung der Pressefreiheit bei: Er zieht eine feine Trennlinie zwischen Privatpersonen und öffentlichen Würdenträgern (public officials), die Gegenstand von Veröffentlichungen werden. Letztere haben auch dann grundsätzlich keinen Anspruch auf Schadensersatz, wenn ihr Ansehen oder ihr Ruf aufgrund sachlich unzutreffender Berichterstattung geschädigt wird -es sei denn, sie können actual malice, also vorsätzliches oder böswilliges Handeln auf Seiten des Publikationsorganes nachweisen.

Dieser Beweislastverteilung lag die Überzeugung des Obersten Gerichts zugrunde, daß Presse-und Meinungsfreiheit nicht nur sachlich richtige und wahrheitsgemäße Äußerungen unter den Schutz der Verfassung stellt. .debate on public issues should be uninhibited, robust and wide open“ -die Diskussion über öffentliche Angelegenheiten muß ungehindert, hart und weit offen geführt werden. Dies geflügelte und vielzitierte Wort von Richter William Brennan war für den Obersten Gerichtshof handlungsleitend. In einer sich selbst regierenden Gesellschaft, in der Fortschritt vom freien Zugang zum „Marktplatz der Ideen“ abhänge, sei es nicht zu verhindern, daß auch verfälschende Darstellungen in Umlauf gesetzt würden -entscheidend sei also nicht die Richtigkeit der Aussage, sondern die Intention desjenigen, der sie trifft

„Für die folgenden zwei Jahrzehnte bestand ein größerer Anteil der Presserechtsprechung des Supreme Court darin, diese Entscheidung auszuweiten, einzuengen und weiter zu erhellen“, faßt der Publizistikwissenschaftler James Boylan in einer Rückschau die weitere Rechtsprechung zusammen In der Watergate-Ära inspirierten zeitweise Konzepte zur Ausweitung der Pressefreiheit die Diskussion. So wurde der größere Berichterstattungsspielraum der Presse gegenüber öffentlichen Amtsträgern (public officials) generell auf Personen von öffentlichem Interesse (public fi-gures) ausgeweitet.

Bereits in den siebziger und verstärkt in den achtziger Jahren schwingt dann das Pendel zurück: Diese Zeit ist gekennzeichnet durch eine ganze Serie von Gerichtsentscheidungen, bei denen es jeweils um Schadensersatz in Millionenhöhe ging: General Westmoreland gegen CBS, Ariel Sharon gegen Time, William Tavoulareas, Präsident der Mobil Oil, gegen die Washington Post Die Richter-Sprüche wurden von vielen Journalisten als einschüchternd empfunden -insbesondere als Einschränkungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten beim investigativereporting.

Nicht ausnahmslos ging es bei der presserechtlichen Spruchpraxis des Obersten Gerichtshofs um Libel. Alarmiert haben die Medien insbesondere auf den Schiedsspruch im Fall des Stanford Daily reagiert. Diese Studentenzeitung, die sich mit ihrer Klage gegen eine unangekündigte polizeiliche Durchsuchung ihrer Redaktionsräume zur Wehr zu setzen suchte, unterlag in letzter Instanz. Damit schien der Informantenschutz in Frage gestellt -ein unabdingbares Privileg einer freien Presse, wenn nicht die Quellen versiegen sollen. Die Washington Post argwöhnte, eine vergleichbare Polizeiaktion fünf Jahre zuvor in ihren eigenen Redaktionsräumen hätte möglicherweise zur Offenlegung der wichtigsten anonymen Quelle des Watergate-Skandals, von „Deep Throat“, geführt

Inzwischen zeichnet sich ab, daß nach einem Jahrzehnt, das im Bereich des Presserechts vor allem durch höchstrichterliche Libel-Entscheidungen geprägt war, in den neunziger Jahren Fragen des persönlichen Datenschutzes die Gerichte beschäftigen werden. Insbesondere wird es darum gehen, die Rechte der Journalisten unter dem Freedom of Information Act einzugrenzen. Mit diesem Gesetz wurde eine weitgehende Auskunftspflicht der Behörden gegenüber Medienvertretern festgeschrieben. Unter Berufung auf die Regelung haben Journalisten etwa Einsicht in sogenannte rap sheets begehrt -in persönliche Daten von Bürgern, die die Polizeibehörden zur Verbrechensbekämpfung speichern und die auch Auskunft über bisherige Vorstrafen geben würden

Diese Auseinandersetzungen versprechen nicht zuletzt deshalb für europäische Beobachter interessant zu werden, weil viele von ihnen die Hemmungslosigkeit und Beliebigkeit seit jeher befremdet hat, mit der amerikanische Medien Bürger an den Pranger zu stellen pflegen Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Grenzen der Berichterstattungsfreiheit in den USA künftig enger gezogen werden.

Im Alltagsgeschäft ist es jedoch nicht so sehr die Rechtsprechung des Supreme Court, die die Freiräume der Journalisten einzuengen droht. Das eigentliche Problem hat eher mit der angelsächsischen Rechtstradition zu tun: In den unteren Instanzen wirken Vertreter der Bevölkerung -also Laien -als Geschworene an der Urteilsfindung mit.

Sie tun sich bei Prozessen, in denen es um Persönlichkeitsrechte, um Verleumdung und Ehrenschutz geht, erfahrungsgemäß schwer damit, die verfassungsrechtlichen Prämissen der Pressefreiheit und des staatlichen Zensurverzichts zu akzeptieren: „Geschworenengerichte sprechen ein wegen Beleidigung beklagtes Presseorgan nach einer Untersuchung des New Yorker Libel Defense Resource Center in 80 Prozent der Fälle für schuldig. Nach dem Gang in die Berufung kehrt sich dieses Verhältnis um -64 Prozent der Fälle werden im Sinne des verurteilten Presseorgans entschieden. Zwischen 1974 und 1984 wurden nur etwa zehn Prozent aller wegen Ehrangriffs erhobenen Klagen gegen die Presse zugunsten der Kläger entschieden. Die Geschworenen versuchen, ein Recht anzuwenden, das es überhaupt nicht gibt. Ihr Interesse, unfaire Berichterstattung mit Sanktionen zu versehen, ist größer als die Einsicht in den Wert der Pressefreiheit.“

Als besonders beunruhigend empfinden die Medienrechtler Lee Levine und David L. Perry, daß es längst nicht mehr nur die Skandalblättchen der Regenbogen-Presse sind, die in Prozesse verwik-kelt werden. Und auch die Schadensersatz-Summen, die den Klägern von den Erstinstanzen zuerkannt werden, sind nicht unbedeutend: Durchschnittlich handelte es sich in den Jahren von 1980 bis 1986 um den stattlichen Betrag von 1, 9 Millionen Dollar Sie sind freilich dank der korrigierenden Eingriffe der höheren Instanzen kaum je zur Auszahlung gekommen.

Die Entscheide unterer Instanzen bleiben für den Journalismus und damit für die Pressefreiheit aber auch dann nicht folgenlos, wenn sie von den nächsthöheren Ebenen wieder „kassiert“ werden. Denn für die Betroffenen sind Prozesse allemal mit viel Ärger verbunden -selbst wenn man sie schließlich in der zweiten oder letzten Instanz doch noch gewinnt. Also wird man sich im Zweifelsfall für einen Berichterstattungsstil entscheiden, der solche Zweifelsfragen vermeidet, indem er niemandem weh tut Vor allem kleinere Zeitungen pflegen mehr und mehr solchen „saferjournalism“. Auch Blätter, die sich gegen die Risiken von Rechtsstreitigkeiten versichern, bekommen die Folgen der Prozeßflut zu spüren. Die Prämien für Libel-Insurance haben sich Mitte der achtziger Jahre verdoppelt, ja mitunter verdreifacht. Die Selbstbeteiligungssätze wurden drastisch heraufgesetzt Darüber hinaus bestrafen Versicherer die Redaktionen für aggressive Berichterstattung: Wenn journalistische Hartnäckigkeit die Prozeß-risiken steigert, treibt dies die Prämie in die Höhe -egal, ob das Medienuntemehmen vor Gericht verliert oder gewinnt. „Es gibt gute geschäftliche Gründe, sich aus investigativer Berichterstattung herauszuhalten“, rät Bill Bauer, Vizepräsident der Media/Professional Insurance Co. Vor allem die kleineren Medienunternehmen können es sich kaum noch leisten, diesen Ratschlag nicht zu befolgen

III. Aufklärungsbedarf über Pressefreiheit und Grenzen journalistischer Autonomie

Man müsse in der öffentlichen Diskussion verstärkt daran erinnern, daß das First Amendment auch so twas beinhalte wie „eine Lizenz, unfair zu sein“, meint Judy Hines vom amerikanischen Zeitungsverleger-Verband Dies soll nicht heißen, daß Fairneß nicht ein hochgestecktes und erstrebenswertes Ziel der Medienberichterstattung bliebe. Das Statement bringt jedoch pointiert zum Ausdruck, daß Pressefreiheit letztlich unteilbar ist. Die Grenzen, innerhalb derer sich Journalisten ohne Angst vor staatlichen Sanktionen bewegen können, müssen weit gesteckt sein und bleiben.

Hier schließt sich der Kreis: Die Rechtsprechung der Geschworenengerichte läßt sich als weiteres Indiz dafür werten, daß die Presse-und Meinungsfreiheit als ein besonders kostbares Grundrecht im Bewußtsein der amerikanischen Bevölkerung nicht hinreichend verankert ist. Ebenso trägt das Unwissen der breiten Öffentlichkeit über die tatsächlichen Bedingungen, unter denen Medienberichterstattung zustande kommt, dazu bei, daß über Presse-und Meinungsfreiheit unzureichende oder falsche Vorstellungen kursieren.

Im Vergleich mit Deutschland gibt es in den USA allerdings inzwischen auch Gegenkräfte, die zum Schutz von Presse-und Meinungsfreiheit wirksam werden. Zu nennen ist insbesondere eine vergleichsweise hohe Professionalisierung im Journalismus selbst sowie auch ein hochentwickelter Me- dienjournalismus, der die Bedingungen journalistischer Arbeit offenlegt und sich auch vor Selbstkritik nicht scheut. Er beschränkt sich nicht allein auf renommierte Fachzeitschriften wie das Columbia Journalism Review oder das Washington Journalism Review, sondern hat auch in großen Zeitungen wie der New York Times oder der Los Angeles Times seinen -inzwischen angestammten -Platz.

Flankierend zum Journalismus selbst eröffnet sich hier ein weites Betätigungsfeld für die Public-Relations-Abteilungen der Medienbetriebe, die zusehends ausgebaut werden, sowie für Stiftungen. Daß entsprechende Bestrebungen im Gange sind, läßt sich nicht nur an großangelegten Image-Kampagnen ablesen, mit denen Verbände der Medienindustrie, aber auch Medienkonzerne wie Gannett sich als Hüter des First Amendment in Szene setzen Es ist auch ablesbar an der Karriere eines Begriffs, der auf subtile Weise dazu beitragen könnte, das Bewußtsein der Bürger dafür zu schärfen, daß Pressefreiheit letztlich ihre Freiheit ist. Statt von Freedom ofthe press, also von Pressefreiheit, ist in der öffentlichen Diskussion schon seit geraumer Zeit zunehmend von The public’s right to know die Rede, vom Recht der Öffentlichkeit, Bescheid zu wissen.

„Verteidiger der Pressefreiheit haben sich dieses Begriffs bemächtigt, weil er demokratischer klingt als der simple Terminus . Pressefreiheit 1“, beobachtet John C. Merrill, Journalistik-Professor an der University of Missouri Damit würden Akzente verschoben: Statt die Eigeninteressen privater Unternehmen, eben der Presse, zu betonen, weitet die neue Formel die Betroffenheit aus und unterstreicht populistisch die Rechte der gesamten Bürgerschaft. Kurzum, es war schlauere Öffentlichkeitsarbeit, kommentiert James Boylan, ein Kollege Merrills aus Amherst, Massachusetts, solch strategisches Spiel mit der Sprache. Immerhin, die eingangs zitierten Umfrageergebnisse haben die Medienbranche zumindest der USA wachgerüttelt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. in: Editor & Publisher vom 27. 4. 1991, S. 6. Osborne verwies auf eine Studie „Free Expression and the American Public“, die im Auftrag der ASNE unter Leitung von Robert O. Wyatt an der Middle Tennessee State University erarbeitet worden ist (vgl. auch George Garneau, Press freedom in deep trouble. Survey finds Support for free speech protec-tions so weak that the First Amendment would fail a ratification vote if taken today, in: Editor & Publisher vom 20. 4. 1991, S. 11.)

  2. Zit. in: Nicols Fox, Siege of the First Amendment, in: Washington Journalism Review, December 1990, S. 42; weitere einschlägige Umfrageergebnisse finden sich bei: J. Herbert Altschull, Agenten der Macht. Die Welt der Nachrichtenmedien -eine kritische Studie, Konstanz 1989, S. 37 m. w. N.; Martin Koth, Rufmord als Verfassungsauftrag? Zum Konflikt zwischen Pressefreiheit und Beleidigungsschutz in der Rechtsprechung des US-Supreme Court, Berlin 1989, S. 13f. m. w. N.

  3. Der folgende Abschnitt orientiert sich auszugsweise an: Stephan Ruß-Mohl, Zeitungs-Umbruch. Wie sich Amerikas Presse revolutioniert, Berlin 1991 (i. E.).

  4. Conrad C. Fink, Strategie Newspaper Management, New York 1988, S. 210f.

  5. Vgl. dazu Giorgio Ferrari, II Padrone del Diavolo, Milano I, S. 78, 144f.

  6. Vgl. C. C. Fink (Anm. 4), S. 209ff.

  7. Vgl. Ellis Cose, The Press. Inside America’s most power-tewspaper empires -from the newsrooms to the board-ns, New York 1989, S. 21.

  8. Vgl. Leo Bogart, Press and Public: Who reads What, n, Where, and Why in American Newspapers, Hillsdale, . 19892, S. X.

  9. Vgl. Susan Miller, America’s Dailies and the Drive to Capture Lost Readers, in: Themenheft „The Business of News“, Gannett Center Journal, Spring 1987, S. 66.

  10. Ben Bagdikian, The Media Monopoly, Boston 19872, S. 221, 199.

  11. Gespräch des Verfassers mit Everette Dennis vom 11. 4. 1989.

  12. Henry Louis Mencken, Prejudices: A Selection. Made by James T. Farrell, New York o. J., S. 222f.

  13. Vgl. Leon Sigal, Reporters and Officials, Lexington u. 1973, S. 121. Vergleichbare Forschungsergebnisse für d Bundesrepublik Deutschland finden sich insbesondere bBarbara Baerns, Öffentlichkeitsarbeit oder Joumalismu Zum Einfluß im Mediensystem, Köln 1985.

  14. Zit. in: M. L. Stein, Newspapers as tv sets, in: Editor Publishervom 11. 3. 1989, S. 17.

  15. Nachzulesen in: Edward S. Herman/Noam Chomsk Manufacturing Consent. The Political Economy of the Ma Media, New York 1988.

  16. Vortrag von Bagdikian am 22. 5. 1989 in Madison, WL

  17. Vgl. Scott M. Cutlip, Public Relations. The Manufacture of Opinion, in: The Opinion Makers, Gannett Center Journal, Spring 1989, S. 105.

  18. Ebd., S. 112f.

  19. Vgl. Oscar J. Gandy, Beyond Agenda Setting: Information Subsidies and Public Policy, Norwood, N. J. 1982.

  20. Vgl. M. L. Stein, Advertisers seek Support. Businessmen chide press for too much crisis reporting, too little coverage of charities and promotions, in: Editor & Publisher vom 18. 8. 1990, S. 31.

  21. Vgl. Stephan Ruß-Mohl, Zur Kritik des Wirtschaftsjournalismus: Der Publizistikwissenschaftler, in: ders. /Heinz D. Stuckmann (Hrsg.), Wirtschaftsjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1991, S. 61-64.

  22. Vgl. Howard M. Ziff, Public Relations in the Academic Media Empire, in: Gannett Center Journal, Themenheft „Publicity“, Spring 1990, S. 12-21.

  23. Gespräch des Verfassers mit Alfred Larkin vom 16. 6. 1989 in Boston.

  24. Vgl. Norman E. Isaacs, Untended Gates. The Misma-naged Press, New York 1986, S. 35.

  25. Vgl. Dorothy Bowles/Homer Marcum, The Chilling Effect of Libel on Newspaper Editors, Paper Presented to the Newspaper Division, AEJMC Annual Convention (MS), Minneapolis 1990; Elizabeth K. Hansen/Roy L. Moore, Chilling the Messenger: Impact of Libel on Community Newspapers, in: Newspaper Research Journal, 11 (1990) 2, S. 86-99.

  26. Vgl. M. Koth (Anm. 2).

  27. Vgl. ebd., S. 120.

  28. James Boylan, How Free is The Press? An Overview of Supreme Court decisions, which, while charting new areas of freedom, have fended them in, in: Columbia Journalism Review, Sept. /Oct. 1987, S. 28.

  29. Vgl. M. Koth (Anm. 2), S. 27ff.; vgl. auch N. E. Isaacs (Anm. 24), S. 212 und Peter Stoler, The War Against the Press. Politics, Pressure and Intimidation in the 80s, New York 1986, S. 136f. sowie als Neuerscheinung, die nur noch bibliographisch berücksichtigt werden konnte: Douglas S. Campbell, The Supreme Court and the Mass Media, West Port, Ct. -New York 1991.

  30. Vgl. M. Koth (Anm. 2), S. 30.

  31. Vgl. J. Boylan (Anm. 28), S. 28.

  32. Vgl. J. Boylan (Anm. 28), S. 31; ausführlicher: Richard M. Clurman, Beyond Malice. The Media’s Years of Reckoning, New Brunswick-Oxford 1988.

  33. Zit. in: J. Boylan (Anm. 28), S. 31.

  34. Vgl. George Garneau, Newspapers and the courts. Despite the biggest libel judgement ever upheld against a newspaper, the industry declared victory on the libel front in 1989, in: Editor & Publisher vom 6. 1. 1990, S. 18.

  35. Vgl. bereits Emil Dovifat, Der amerikanische Journalismus, Stuttgart u. a. 1927 (Neuaufl. hrsg. von Stephan Ruß-Mohl, Berlin 1990), S. 163.

  36. Vgl. M. Koth (Anm. 2), S. 10; vgl. auch N. Fox (Anm. 2), S. 42.

  37. Vgl. Lee Levine/David L. Perry, No way to celebrate the Bill of Rights. Punitive damage awards go through the ceiling, in: Columbia Journalism Review, July/August 1990, S. 38.

  38. Vgl. P. Stoler (Anm. 29), S. 152.

  39. Vgl. Michael Massing, Libel Insurance: scrambling for coverage. Rates are soaring -and tough reporting can double the price, in: Columbia Journalism Review, Jan. /Feb. 1986, S. 36; vgl. auch E. K. Hansen/R. L. Moore (Anm. 25), S. 87.

  40. Zit. in: M. Massing (Anm. 39), S. 38; vgl. auch N. Fox (Anm. 2), S. 44.

  41. Gespräch des Verfassers mit Judy Hines, American Newspaper Publishers Association, in Reston/Virginia vom 13. 6. 1989.

  42. Vgl. George Garneau, Newspapers urged to Support First Amendment, in: Editor & Publisher vom 4. 5. 1991, S. 30.

  43. Zit. in: J. Boylan (Anm. 28), S. 28.

Weitere Inhalte

Stephan Ruß-Mohl, Dr. rer. soc., geb. 1950; seit 1985 Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationspolitik der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Leiter des Studiengangs Journalisten-Weiterbildung. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Wissenschaftsjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 19872; (Hrsg.) Emil Dovifat: Der amerikanische Journalismus, Berlin 1990 (Neuauflage); Zeitungs-Umbruch. Wie sich Amerikas Presse revolutioniert, Berlin 1991; (Hrsg. zus. mit Heinz D. Stuckmann) Wirtschaftsjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1991.