I. Politische Neukonstitution durch Verfassunggebung
Ein Jahr nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sind die Arbeiten an der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Integration ihrer Gesellschaften im vollen Gange. Das bindet einen beträchtlichen Teil der Ressourcen aller Beteiligten -der Politiker, der Verwaltung, der politischen Öffentlichkeit -, so daß es unangebracht erscheint, nun auch noch eine Verfassungsdebatte führen und eine Verfassunggebung initiieren zu wollen. Die Vereinigung im Wege des Beitritts der DDR nach dem (als Folge der Vereinigung aufgehobenen) Artikel 23 des Grundgesetzes hatte ja doch für viele den entscheidenden Vorteil, Erörterungen über eine Neukonstitution des gesamtdeutschen Staates, wie sie die damals gültige Fassung des Schlußartikels des Grundgesetzes (Art. 146) vorsah, überflüssig zu machen. Allenfalls einige beitrittsbedingte Anpassungen des Grundgesetzes schienen angebracht, und dementsprechend enthält der Einigungsvertrag in Art. 5 auch nur ein sehr vages Programm für künftige Verfassungsänderungen. v Die „nationale und staatliche Einheit zu wahren“ war nach der Präambel des Grundgesetzes eines der zentralen Staatsziele der 1949 gegründeten Bundesrepublik; trotz der Beschwörung eines vereinten Europa und der Öffnung zu einer supranationalen Ordnung konnte man die Präambel nur in dem Sinne verstehen, daß das Ziel in der Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaats lag. Nun machten sowohl die Präambel wie der Schlußartikel, in denen von der Selbstbestimmung und der freien Entscheidung des deutschen Volkes die Rede war, unmißverständlich deutlich, daß der deutsche Nationalstaat kein Selbstzweck war, sondern von den „Grundgesetzeltern“ als die selbstverständliche und geschichtlich gebotene institutionelle Form der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen Volkes angesehen wurde. Die Herstellung der staatlichen Einheit mochte ja, wie es Art. 23 vorsah, durch Beitritt anderer Teile Deutschlands zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erfolgen; aber der Zweck dieses Beitritts, nämlich die Wiederherstellung der Selbstbestimmung des deutschen Volkes, konnte ausweislich des Schlußartikels nur durch eine vom deutschen Volk „in freier Entscheidung“ beschlossene Verfassung erreicht werden. Der vom Grundgesetz angestrebte demokratische Nationalstaat zielte auf die Herstellung der Staatsbürgernation, auf die Selbstkonstitution des Demos als Nation. Die bloße staatliche Organisation des Ethnos, d. h. die Vereinigung aller Deutschen in einem Nationalstaat als solche, erfüllt diese Bedingung noch nicht. Erst der durch Verfassunggebung geschlossene Sozialvertrag zwischen allen auf dem Territorium Deutschlands lebenden Staatsbürgern kann jene wechselseitigen Solidarpflichten erzeugen, für die die rein ethnische Eigenschaft des gemeinsamen Deutschtums allenfalls eine diffuse vorpolitische Voraussetzung darstellen kann. Die Einsicht darin, daß das freie Staatsbürgertum, also der Demos und nicht der Ethnos, die moderne Nation begründen, war bereits den Autoren der Paulskirchenverfassung, die man zu den geistigen Quellen des Grundgesetzes zählen muß, bewußt. „Jeder ist ein Deutscher, der auf dem deutschen Gebiete wohnt“, erklärte der Abgeordnete Jordan, „die Nationalität ist nicht mehr begrenzt durch die Abstammung und die Sprache, sondern ganz einfach bestimmt durch den politischen Organismus, durch den Staat“ wobei wir heute noch deutlicher als damals unter dem „politischen Organismus“ den durch die Verfassung konstituierten Staat erkennen können. Die Wertidee des Staatsbürgertums, der „citizenship“ oder „citoyennet" liegt nicht in dem mehr oder minder diffusen Gefühl der gemeinsamen Ethnizität, sondern in der wechselseitigen Anerkennung der Bürger als Gleiche, und folglich konstituiert nur ihre gleichberechtigte Bemühung um die Schaffung gemeinsamer Institutionen das politische Gemeinwesen. Ein „Beitritt“ der Neuen zu den bereits vorhandenen Institutionen, und sei er noch so begeistert vollzogen, wird auf lange Zeit zwei Kategorien von Bürgern schaffen und damit die mit dem modernen Verfassungs- gedanken untrennbare Idee der „citoyennete“ selbst beschädigen. Es ist ja doch nicht zufällig, daß die wesentlichen politischen Umbrüche und Neuschöpfungen der Moderne in feierlichen Akten der politischen Neukonstitution kulminierten -Verfassunggebung ist ein Vorgang der politischen Gründung durch den selbstbewußten Willen jener, die sich zuallererst durch diesen kollektiven Schöpfungsakt als selbstbewußte „citoyens“, „citizens“ oder (Staats) Bürger -und nicht als Blutsbrüder, als Anteilseigner eines wirtschaftlichen Unternehmens oder als passive Untertanen einer versorgenden Staatsanstalt -konstituieren, anerkennen und hierauf die Gemeinsamkeit ihrer politischen Existenz gründen. Erst der Prozeß der gemeinsamen Verfassunggebung erzeugt, was die Verfassung voraussetzt, nämlich sich wechselseitig als Gleiche anerkennende Bürger und die daraus resultierenden Solidarpflichten.
Ebenso wie die Bürger des neu entstandenen deutschen Nationalstaats ihre neue politische Gemeinschaft erst durch Verfassunggebung herstellen müssen, muß auch das deutsche Volk als national-staatlich organisierte Gesamtheit seine Stellung in Europa und in der Welt neu definieren. Die Revolutionen in Ost-und Mitteleuropa haben nicht nur die Innenpolitik der betroffenen Länder, sondern zugleich auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen der Nachkriegsordnung gründlich umgewälzt. In der neuen Präambel des Grundgesetzes findet sich unverändert das 1949 abgegebene Gelöbnis, daß das deutsche Volk als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen wolle -aber wie drastisch hat sich durch die Vereinigung und die Neuerrichtung eines deutschen Nationalstaates die europa-und weltpolitische Rolle des deutschen Volkes verändert. Die politische Diskussion darüber hat ja spätestens aus Anlaß des Golfkrieges bereits begonnen. Die Deutschen, die des Bewußtseins der gemeinsamen Mitgliedschaft in einem einheitlichen politischen Verband seit mehr als einer Generation entwöhnt worden sind, bilden nun plötzlich im Herzen Europas die Gesellschaft eines Groß-staates. Es ist ja am 3. Oktober 1990 nicht nur die DDR untergegangen, sondern auch der unpolitische Wirtschaftsstaat Bundesrepublik in seinen Grenzen von 1949. Ob die Deutschen wollen oder nicht, ihr neuer Staat erhält eine Rolle innerhalb der gegenwärtigen Staatenwelt, auf die sie nicht vorbereitet sein können. Sie müssen lernen, diese Rolle zu begreifen und mit ihr in einer dem Frieden der Welt dienenden Weise umzugehen. Kein Staat ist gefährlicher als der, der sich selbst und seine Interessen nicht kennt. Verfassunggebung ist ein zentrales Element eines solchen kollektiven Lernprozesses. Eine Gesellschaft, die sich eine Verfassung gegeben hat, ist politisch intelligenter, wacher und über sich selbst aufgeklärter als ein Staat, der seine wirtschaftliche, politische und auch militärische Macht spürt, aber in diesem quasi naturwüchsigen Zustand verharrt, weil er keine institutionalisierten Formen der Reflexion über seine weltpolitische Rolle und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten kennt.
Die beiden bisher genannten Gründe für die Notwendigkeit eines Verfassunggebungsprozesses folgten unmittelbar aus der politischen Neukonstitution des deutschen Nationalstaates und hatten nichts mit einer etwaigen Reformbedürftigkeit des Grundgesetzes zu tun. Indessen war die bundesrepublikanische Gesellschaft unabhängig von den Umwälzungen in Europa, die schließlich zur deutschen Vereinigung geführt haben, an einen Punkt gelangt, an dem sie ohnehin zu grundlegenden Revisionen ihres überkommenen Politikverständnisses und, nach der Modernisierung am Ende der sechziger und dem Beginn der siebziger Jahre, zu einem weiteren politisch-kulturellen Modernisierungsschub genötigt war: alle jene Themen, Politikformen und Sensibilitäten, die durch die soge-nannten neuen sozialen Bewegungen zum Bewußtsein gebracht worden sind -die ökologische Frage, die Probleme der wissenschaftlich-technischen Risikoproduktion, die Politisierung der Geschlechterbeziehungen, die Empfindlichkeit für Friedens-und Abrüstungspolitik oder ganz allgemein die Intensivierung und Differenzierung politischer Beteiligung in bezug auf die lebensweltlichen Erfahrungen der Individuen -reiben sich mit den institutioneilen Formen eines Verfassungsprozesses, der in erster Linie auf die Erzeugung von gesellschaftlichem Konsens gerichtet ist. Im herrschenden bundesrepublikanischen Verfassungsverständnis bildet Konsens die Grundlage für Kontinuität, Stabilität, Gewißheit über Tatsachen und Werte und letztlich für gesellschaftliche Zusammenarbeit überhaupt. Diese grundlegende Annahme ist inzwischen erheblichen Zweifeln und Anfechtungen ausgesetzt. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert und inmitten eines Prozesses gesellschaftlicher Veränderungen, denen zunehmend Berechenbarkeit, Kontinuität sowie moralische und kognitive Gewißheiten der individuellen Biographien und der kollektiven Verbindlichkeiten zum Opfer fallen, müssen wir beginnen, die Fähigkeit zu erlernen, auch im unüberwindbaren Dissens gesellschaftlich zu kooperieren, moralische Vieldeutigkeit zu ertragen, mit Erkenntnisungewißheit über die Grundlagen und die weitere Entwicklung unse13 rer sozialen Existenz umzugehen und schließlich auf die Erfahrung diskontinuierlicher und überraschender Veränderungen, oder, in den Worten Helga Nowotnys, auf die „Einmaligkeit der eigenen Überraschung“ vorbereitet zu sein.
Verfassungen sind Formen der Selbstwahrnehmung, der Selbstorganisation und der Selbsteinwirkung der Gesellschaft. Sie bilden keinen Katechismus, der die abschließenden Antworten auf alle unsere politischen Probleme enthält. Richtig verstanden enthalten sie keine Lösungen von Problemen, sondern institutionalisieren die gesellschaftliche Fähigkeit, intelligente Problemlösungen zu finden. Nicht jede politische Veränderung gebietet daher sogleich eine Verfassungsrevision. Es müssen sich die Bedingungen gesellschaftlicher Selbstwahmehmung und -einwirkung geändert haben. Jeder der hier genannten drei Gründe steht für eine bedeutsame Veränderung: der erste bezieht sich auf die veränderte Identität der deutschen Gesellschaft und verlangt eine neue Selbst-wahrnehmung der Deutschen; der zweite bezieht sich auf eine veränderte Rolle der Deutschen gegenüber anderen Staaten und Nationen und verlangt eine neue Selbstdefinition der Deutschen gegenüber den Erwartungen der anderen; der dritte schließlich bezieht sich auf eine neue Wahrnehmung der Politik selbst, die so, wie sie Max Weber einst definierte -als Kampf um die Macht und als zweckgerichtete Einwirkung der Macht auf die Gesellschaft -, keines der neuen, häufig moralisch geprägten Probleme der nachindustriellen Gesellschaft wird lösen können. Ironischerweise haben die Revolutionen des Jahres 1989 sogar zu dieser Erkenntnis ihren Beitrag geleistet, indem sie die Machtlosigkeit der Macht und die Macht der Machtlosigkeit demonstriert haben. Alle drei Veränderungen betreffen im Grunde nicht Fragen der Politik, sondern sind meta-politisch: sie betreffen unsere Fähigkeit zur Politik, zur Konstitution als politische Gesellschaft, die ihre eigenen Probleme wahrnehmen und politisch regeln kann. Wir Deutschen sind dabei, uns nach innen und nach außen als politisches Gemeinwesen neu zu konstituieren, wir mögen das wahrhaben oder nicht. So sollten wir denn auch die aufgeklärte Form politischer Selbstkonstitution wählen -die der Verfassunggebung.
II. Gefahr des Verfassungsperfektionismus?
Natürlich beginnt auch der Verfassunggebungsprozeß des vereinigten Deutschland nicht in einer Stunde null. Das Grundgesetz hat sich für die alte Bundesrepublik, die in den einundvierzig Jahren ihrer Existenz freilich keinen größeren inneren oder äußeren Gefährdungen ausgesetzt war, als ebenso stabile wie anpassungsfähige Verfassung bewährt. Die Westdeutschen waren und sind zufrieden mit ihm, und die Ostdeutschen betrachten es in der Mehrzahl als den Inbegriff der Rechtsordnung, die sie in der Revolution von 1989 auch für sich erstrebten. Der mit der Verfassunggebung, genauer: mit der der Verfassunggebung vorausgehenden öffentlichen Verfassungsdebatte in Gang gesetzte politische Konstitutionsprozeß wird daher im wesentlichen den Charakter einer Revision des Grundgesetzes annehmen, die zweifellos die bewährten Elemente dieses einmal als Übergangsverfassung konzipierten Dokuments bestätigen wird. Daneben gibt es aber natürlich vielfältige Neuerungswünsche. Die Spannweite der angemeldeten Forderungen und Wünsche reicht von der verfassungsnormativen Bewältigung der Ungewißheiten und Risiken der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation über die Erweiterung der Möglichkeiten unmittelbarer demokratischer Mitbestimmung, die Einführung sozialer Rechte und Staatszielbestimmungen bis hin zur Reform des föderalistischen Systems. Dem notwendigen demokratischen Streit darüber liegen z. T. grundlegende Auffassungsunterschiede über die richtige Konzeption einer modernen Verfassung zugrunde; auch in der Verfassungspolitik gibt es eine „Linke“, eine „Rechte“ und eine „Mitte“. Es gibt aber auch Positionen, die man strömungsübergreifend in allen Lagern finden kann, und die wohl verbreitetste ist die Warnung vor einem „Verfassungsperfektionismus“.
In zwei Spielarten komme er vor, und beide seien gleicherweise abschreckend: nach der einen Variante sind Verfassungen wortreiche politische Manifeste, die die Hoffnungen, Wünsche und Ziele der verfassunggebenden Kräfte in einem Text bündeln, der eher den Charakter eines politischen Katechismus als den eines rechtsverbindlichen Gesetzes habe. Der Preis für die Anrufung alles Schönen, Guten und Wahren in der Verfassung sei ihre schwache Normativität. Nach der anderen Spielart des Perfektionismus werden ebenfalls möglichst umfangreiche Kataloge von gesellschaftlich erstrebenswerten Zielen in die Verfassung geschrieben, aber um zu vermeiden, daß sie normativ leerlaufen, werden sie ausdrücklich als verbindliche Staatsziele oder sogar als subjektive Rechte der Bürgerinnen und Bürger formuliert. Der Preis für diese Variante sei eine weitgehende Verrechtlichung der Politik. Je mehr politische Ziele und Mittel zu ihrer Verwirklichung verfassungsrechtlich festgelegt seien, desto mehr verkümmere Politik zum Verfassungsvollzug. Sie werde nicht nur ihrer kreativen Möglichkeiten beraubt, sondern entmündige auch das Volk, das sich dem über den Tod hinaus wirkenden Willen der verfassunggebenden Generation unterwerfen müsse. Die politische Macht wandere zu den Gerichten, die letzt-verbindlich entschieden, ob Parlament und Regierung den Verfassungsaufträgen nachgekommen seien. Eine gute Verfassung dagegen schaffe Institutionen und Verfahren, die Politik nach dem jeweiligen Mehrheitswillen ermöglichten -sie trete nicht an die Stelle von Politik. Vor allem aber widerstünden ihre Urheber der Versuchung, ihre politischen Auffassungen verfassungsfest zu machen und sie dadurch der künftigen öffentlichen Debatte zu entziehen.
Aktuelle Adressaten dieser Kritik sind die Autoren eines Verfassungsentwurfs (zu denen auch der Verfasser dieses Beitrags gehört), den sie im Auftrag des „Kuratoriums für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder“ erarbeitet haben,'um der notwendigen und erwünschten Verfassungsdebatte eine greifbare textliche Grundlage zu geben Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich nicht so aus, als hätten sie der Versuchung widerstanden, ihre politischen Präferenzen möglichst verfassungsfest zu machen. Der Entwurf spart keineswegs mit inhaltlicher Parteinahme in politisch kontroversen Fragen -angefangen von dem (allerdings nicht von allen Autoren mitgetragenen) Recht der Frauen auf selbstbestimmte Schwangerschaft über soziale Grundrechte (Rechte auf Bildung, Arbeit, soziale Sicherung und auf eine angemessene Wohnung) bis hin zur Verpflichtung des Staates zur Abrüstung. Es ist sogar gesagt worden, daß der Entwurf im Falle seiner Realisierung auf eine „Links-Verschiebung“ des Grundgesetzes hinausliefe, was ja wohl bedeuten soll, daß die Autorinnen und Autoren ihre politischen Präferenzen in die Verfassung schmuggeln wollten. Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen. Auch die Grundgesetzautoren haben eine Reihe von Regelungen getroffen, die damals durchaus politisch umstritten waren und es zum Teil heute noch sind, und die in der Folge den Raum politischer Gestaltung nachhaltig eingeschränkt haben: man denke nur an die verfassungskräftige Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, an die für einen säkularen Staat außerordentlich starke Stellung der Kirchen, an die Garantie des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen nach den Grundsätzen der Religionsgesellschaften, an die Pflicht des Gesetzgebers zur rechtlichen Gleichstellung unehelicher Kinder oder, um die heute wohl kontroverseste Regelung nicht zu vergessen, an die verfassungsrechtliche Pflicht der Frauen zur Austragung einer ungewollten Schwangerschaft. Keine Verfassung verzichtet vollständig auf die Festlegung bestimmter materieller Politikentscheidungen mit der Folge, daß deren Gegenstände damit in der Regel der öffentlichen Debatte entzogen werden; und keine begnügt sich damit, in makelloser Neutralität gegenüber politischen Alternativen sich auf die Schaffung von Institutionen und Verfahren für einen vollkommen offenen politischen Prozeß zu beschränken. Die Frage lautet daher, welche Mischung aus inhaltlich-politischen und institutioneilen Regelungen denn eine gute Verfassung auszeichnen?
Naturgemäß gibt es darauf keine eindeutige und unbestrittene Antwort. Aber es lassen sich immerhin einige Irrtümer aufklären, die sich in die Verfassungsdebatten eingeschlichen haben, weil Argumente, die durchaus einmal Gültigkeit hatten, einfach wiederholt werden, obwohl sich die Umstände inzwischen grundlegend geändert haben. Verfassungen sollen ja zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Ziele verwirklichen: einerseits sind sie darauf gerichtet, staatliche Macht zu begrenzen und damit bestimmte politische Optionen auszuschließen, andererseits sollen sie aber auch Politik ermöglichen und den Raum für politische Optionen erhalten oder sogar erweitern. Wenn z. B. Art. 26 des Grundgesetzes die Führung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig erklärt, so hat es damit eine jahrhundertealte außen-politische Option des modernen Staates zur Verfolgung seiner Interessen ausgeschlossen und den Raum legitimer Politik begrenzt. Und ebenso begrenzt z. B. die Zielbestimmung der Sozialstaatlichkeit den Raum politischer Optionen des Parlaments und der Regierung, indem sie jegliche mit diesem Ziel unvereinbare Politik verbietet. Das bedeutet aber nicht, daß damit diese politikbegrenzende Funktion der Verfassung mit ihrer politikermöglichenden im Widerspruch steht. Denn inzwischen haben wir gelernt, daß die Begrenzungen der Politik in Wirklichkeit den Reichtum politischer Optionen gar nicht beschränken, sondern vermehren: das Verbot der kriegerischen Durchsetzung von staatlichen Interessen oder die Bindung staatlicher Politik an das Prinzip sozialer Gerechtigkeit binden zwar den zuständigen Organen die Hände, aber sie zwingen dadurch die Politik zur kreativen Suche nach Alternativen, die sie niemals erwägen würde, wenn ihr keinerlei Beschränkungen auferlegt würden. Es ist in der Politik nicht anders als z. B. in der Ökonomie: erst die Verknappung und Verteurung wertvoller Rohstoffe schafft den heilsamen Zwang, sich um Ersatz-stoffe zu bemühen. Das Verbot der Anwendung der Folter als Mittel der strafprozessualen Sachverhaltserforschung hat den Grundstein für die Zivilisiertheit unseres strafprozessualen Beweisrechts gelegt. Das Verbot staatlicher Informations-und Meinungslenkung bildet die Grundlage für die Reflexionsfähigkeit einer staatsunabhängigen politischen Öffentlichkeit, die es ohne ein solches Verbot nicht geben könnte. Nach diesem Muster funktionieren verfassungsrechtliche Beschränkungen der staatlichen Macht allgemein: sie binden den Staat und die Politik und erzeugen dadurch den Zwang zur Reflexion politischer Zielsetzungen und zur Verfeinerung der Mittel ihrer Durchsetzung. Die Begrenzung politischer Optionen kann den Spielraum der Politik daher sehr wohl erweitern.
Wie verhält es sich nun mit einem verfassungsrechtlich anerkannten Recht eines jeden Menschen auf Arbeit, auf eine angemessene Wohnung und auf soziale Sicherung und mit einer in die Verfassung geschriebenen Pflicht des Staates, die zur Erfüllung dieser sozialen Grundrechte erforderliche Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-und Wohnungsbaupolitik zu verfolgen? Sind sie politik-ermöglichend oder vielmehr politikverhindernd? Der Streit über soziale Grundrechte geht ja nicht darum, daß die Gegner etwa gegen Vollbeschäftigung, soziale Sicherung oder eine angemessene Wohnraumversorgung der Bevölkerung sind. Ihr Einwand lautet, daß die Erfüllung dieser Ziele auf so vielfältigen und auch kontroversen, von den politischen Instanzen zu konkretisierenden Wegen möglich ist, daß das Grundrecht entweder keinen präzisen Inhalt hat (und damit die Normativität der Verfassung entwertet) oder daß, wenn man die Normativität ernst nimmt, letztlich die Gerichte auf Kosten von Parlament und Regierung die wesentlichen Entscheidungen in der Wirtschafts-, Sozial-und Wohnraumpolitik treffen (und damit das demokratische Prinzip beschädigen). Aber diese Alternative ist keineswegs zwingend, ja sie ist ausgesprochen realitätsfem. Auch die Wirksamkeit der klassischen liberalen Grundrechte hängt heute mehr und mehr davon ab, daß der Gesetzgeber die erforderlichen Konkretisierungen vomimmt: Die grundrechtliche Eigentumsgarantie wäre ein reiner Programmsatz, wenn nicht der Gesetzgeber durch die Zivilgesetzgebung (und, nota bene, die Regierung durch eine aktive Wirtschafts-und Infrastrukturpolitik) Inhalt und Schutzbereich des Grundrechts ständig konkretisieren würde. Die Rundfunkfreiheit, das Asylrecht, die Ausbildungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Wissenschaftsfreiheit -um nur einige Beispiele zu geben -hingen grundrechtlich in der Luft, wenn nicht der Gesetzgeber und die Regierung die Bedingungen der Wahrnehmung dieses Rechts jeweils erst schaffen würden. Das liegt daran, daß heute auch die klassischen liberalen Freiheitsrechte von gesellschaftlichen Voraussetzungen abhängen, die sich nicht mehr spontan herstellen, sondern politisch erzeugt werden müssen. Zeitgenössische Grundrechte -mögen sie nun eine klassisch liberale Herkunft haben oder zur modernen Kategorie der sozialen Grundrechte gehören -werden zunehmend überhaupt erst in politischen und administrativen Prozessen konkretisiert (und erfordern daher auch ein erhöhtes Niveau an bürgerschaftlicher politischer Beteiligung).
Grundrechte markieren daher unter den heutigen Bedingungen gesellschaftlicher Verdichtung nicht länger eine Grenze zu demokratischer Politik. Noch weniger sind sie ihr Antipode. Sie enthalten vielmehr Maßstäbe und Zielrichtung für die demokratischen Verfahren der Politikformulierung, in denen sie selbst erst ihren verbindlichen Inhalt erhalten. Das für die klassische Grundrechtskonzeption charakteristische Übergewicht autoritativ-richterlicher Rechtsdurchsetzung verliert an Bedeutung. Der gerichtliche Schutz von Grundrechten beschränkt sich zunehmend auf die Kontrolle der politischen und administrativen Verfahren, in denen sie konkretisiert werden. Moderne, in demokratischen Verfahren konkretisierte Grundrechte sind daher nicht politikverhindernd, sondern politikermöglichend. Sie sind sogar politikabhängig und daher nicht primär durch gerichtliche Erzwingbarkeit, sondern durch die verfassungsrechtliche Pflichtigkeit von Parlament und Regierung gekennzeichnet. Damit aber entfallen die wesentlichen Einwände gegen soziale Grundrechte. Weder berauben sie Parlament und Regierung ihrer legitimen Aufgabe, im demokratischen Streit über politische Alternativen zu entscheiden, noch schieben sie den Gerichten politische Kompetenzen zu, die ihnen nicht zustehen können. Ganz im Gegenteil: sie machen deutlich, daß in einer demokratischen Gesellschaft die Verantwortung für die Verwirklichung von Grundrechten nicht primär bei den Gerichten, sondern bei den politisch verantwortlichen Organen liegt. Sie bezeugen den in Deutschland lange verschütteten unauflöslichen Zusammenhang zwischen Grundrechten und Demokratie.
III. Die Unentrinnbarkeit der Politik
Auch die beste Verfassung kann freilich nicht Probleme lösen, die aus tiefgreifenden Wertgegensätzen in der Gesellschaft resultieren. In einem Feld nicht-neutralisierter Wertkonflikte provoziert jede verfassungsrechtliche Parteinahme zugunsten einer bestimmten Wertentscheidung unvermeidlicherweise den erbittertsten Widerstand der Gegenseite. So scheitert z. B. heute in Israel der Versuch, dem Land eine geschriebene Verfassung zu geben, daran, daß die Befürworter eines Grundrechts auf Religionsfreiheit einerseits und die Parteigänger eines kompromißlos jüdischen Charakters des Staates andererseits keine Kompromißformel finden können. Ähnlich gab es in den europäischen Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts keine Möglichkeit einer Einigung zwischen Katholiken und Protestanten. So liegt es vielleicht tatsächlich manchmal im Interesse der Gesellschaft, sich jedenfalls zeitweise selbst zu entmündigen, d. h. bestimmte Fragen, in denen keine Kompromißmöglichkeit erkennbar ist, aus der öffentlichen Debatte fernzuhalten, um eine selbst-zerstörerische Polarisierung zu vermeiden. In diese Richtung hat z. B.der amerikanische Rechts-und Politikwissenschaftler Stephen Holmes argumentiert: demokratische Entscheidungsverfahren funktionierten in manchen Zeiten nur deswegen, weil bestimmte, besonders kontroverse und durch Mehrheitsentscheidung nicht lösbare Themen von Verfassungs wegen „beschwiegen“, d. h.der öffentlichen Diskussion entzogen würden. Im Amerika vor dem Bürgerkrieg sei vor allem die Sklaverei ein solches Thema gewesen
Das klassische Beispiel für die europäischen Verfassungsstaaten ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit: um die Fortsetzung der blutigen Religionskriege des 17. Jahrhunderts zu vermeiden, entsagte der moderne Staat seit dem 18. Jahrhundert freiwillig seiner bisher in Anspruch genommenen Macht, das religiöse Bekenntnis seiner Untertanen zu bestimmen, und erklärte diese Ent
Scheidung zu einem individuellen Recht der Untertanen. Die Frage war damit der Politik entzogen, und der demokratische Verfassungsstaat hat diese Technik der Entpolitisierung durch Verrechtlichung übernommen. Heute sind es andere Fragen, die die Gesellschaft derart spalten, daß zu überlegen ist, ob man sie von Verfassung wegen von der öffentlich-politischen Debatte fernhalten sollte. Das gegenwärtig wohl prominenteste Beispiel ist der Streit über die Strafbarkeit der Abtreibung. Es zeigt zugleich aber auch die Grenzen einer Strategie der Entpolitisierung durch Verrechtlichung. Diese Strategie vermeidet ja einen unlösbaren öffentlichen Konflikt dadurch, daß sie für bestimmte Entscheidungen wie das religiöse Bekenntnis oder die Wahl des Ehepartners die politische Öffentlichkeit insgesamt für unzuständig erklärt und statt dessen das Recht des Individuums zur ausschließlichen Entscheidung proklamiert. Diese Strategie versagt jedoch, wenn die Ausübung des individuellen Rechts zugleich das wirkliche oder vermeintliche Recht eines anderen verletzt; so verhält es sich in dem Streit über die Abtreibung: für die einen ist die Abtreibung eine unter keinen Umständen hinnehmbare Verletzung des unveräußerlichen Rechts des Ungeborenen auf Leben, für die anderen ist das Verbot der Abtreibung ein staatlich den Frauen auferlegter Gebärzwang und damit eine Verletzung ihres unveräußerlichen Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben. Beide Seiten sind sich nur darin einig, daß die von ihnen jeweils reklamierten Rechte keiner kollektiven Entscheidung durch Mehrheit zugänglich sind -das ist schließlich der hauptsächliche Sinn von Rechten. Das unterscheidet den Streit um die Zulässigkeit der Abtreibung von dem historischen Vorbild der Religionsfreiheit, denn dort ging es um die Alternative zwischen öffentlich-politischer und individueller Zuständigkeit für die Frage der Religion, und nur als öffentlich-politische war die Religionsfrage unlösbar. Hier aber, so scheint es jedenfalls, konkurrieren zwei unvereinbare individuelle Rechte miteinander. Was bei der Religionsfreiheit noch funktionierte -die Verlagerung eines Konfliktes aus derSphäre der Politik in das Reich individueller Rechte führt in der Abtreibungsdebatte womöglich sogar zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung. Jedenfalls ist offenkundig, daß die Entscheidung der Verfassung für das eine oder das andere Recht gerade keine befriedende Wirkung haben kann. Wir stehen somit vor der brisanten Situation, daß ein Konflikt jedenfalls nach der Auffassung der Protagonisten weder durch politische Mehrheitsentscheidung noch durch die Verweisung in die Sphäre individueller Rechte gelöst werden kann -ersteres nicht, weil es sich um Entscheidungen im Bereich des Unabstimmbaren handelt, letzteres nicht, weil zwei unvereinbare Rechte aufeinander prallen. Sind die Möglichkeiten der Verfassung, mit explosiven ethischen und sozialen Konflikten umzugehen, damit erschöpft? Könnte sie sich mangels politischer Einigungsmöglichkeit jeglicher Stellungnahme zum Abtreibungsproblem enthalten? Täte sie das, so überließe sie seine Lösung der einfachen parlamentarischen Mehrheit -und letztlich, da diese der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, dem Verfassungsgericht (und damit potentiell einer Mehrheit von fünf Richtern). Die Erfahrung mit verfassungsgerichtlichen Entscheidungen in der Bundesrepublik und in den USA zeigt, daß dies keine sehr produktive Behandlung des Konfliktes darstellt.
Möglicherweise ist der Konflikt unlösbar, weil er so definiert ist, daß man nur immer wieder in eine Sackgasse gerät. Die Ausweglosigkeit ergibt sich ja daraus, daß die Abtreibung von den einen als Tötung, die Strafbarkeit der Abtreibung von den anderen als Eingriff in das körperliche Selbstbestimmungsrecht der Frau angesehen wird. Die Leibesfrucht wird von den einen als gegenüber der Schwangeren selbständiges Leben, von den anderen als Teil des Körpers der Schwangeren, der ebenso wie ihre Organe ihrer Selbstbestimmung unterliegt, angesehen. Offenkundig sind beide Annahmen nur Analogien zu Zuständen, die nicht Schwangerschaft sind. Denn weder ist der Embryo etwas gegenüber der Schwangeren Selbständiges, noch ist er ein körperliches Organ der Schwangeren. Es ist folgenreich, daß Schwangerschaft nur als Analogie zu diesen beiden Zuständen der Nicht-Schwangerschaft definiert wird. Denn nur durch diese Analogie läßt sich der Zusammenhang einerseits zu dem Grundrecht auf Leben, andererseits zu dem Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung herstellen. Mit guten Gründen lassen sich beide Analogien bestreiten. Betrachten wir Schwangerschaft als einen unvergleichbaren und eigengearteten seelisch-körperlichen Zustand der Frau, so folgt daraus zunächst, daß auch eine Abtreibung nicht im Wege der Analogie beschrieben werden kann: sie ist weder eine Tötung noch ein bloßer operativer Eingriff in den Körper der Schwangeren, sondern etwas Singuläres: die Verhinderung der Herausbildung selbständigen menschlichen Lebens. Die Abtreibung wäre danach unbeschadet unterschiedlicher religiöser Bewertungen in ihrer sozialen Wertigkeit weder als Tötung noch als Akt der Selbstbestimmung der Schwangeren über ihren Körper zu verstehen, sondern als eine eigenständige Handlungskategorie, deren soziale Bewertung weder aus dem Tötungsverbot noch aus dem Pathos der individuellen Selbstbestimmung zu gewinnen wäre.
Für die rechtliche Qualifizierung der Abtreibung würde sich weder aus dem Recht auf Leben noch aus dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung eine zwingende Schlußfolgerung ergeben, weil die Abtreibung beiden gegenüber etwas sozialethisch Eigenes darstellt. Was wäre der Vorteil dieser Strategie? Sie würde zunächst zum Ausdruck bringen, daß es der Verfassung in hochkontroversen und jedenfalls augenblicklich nicht lösbaren Fragen nicht darum gehen kann, der einen Auffassung zum Sieg über die andere zu verhelfen, sondern Regelungen zu finden, die das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft trotz unversöhnlicher Wertgegensätze in einzelnen Bereichen ermöglichen. Die Herauslösung der Abtreibung aus ihren Analogien entweder zur Tötung oder zur körperlichen Selbstbestimmung hätte den Vorteil, daß, wenn die Verfassung jetzt schweigt, die Frage der sozialethischen und rechtlichen Bewertung der Abtreibung tatsächlich offen ist und die öffentliche Diskussion erst noch die Maßstäbe entwickeln muß, nach denen sie rechtlich zu bewerten ist. Jenseits von politischer Mehrheitsentscheidung und der Anrufung von unveräußerlichen Rechten könnte die Verfassung durch diese offene Definition des Problems einen Prozeß auslösen, in dem die Öffentlichkeit, die politischen und sozialen Gruppen, das Parlament, das Verfassungsgericht und die Regierungen des Bundes und der Länder durch die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Kompetenzen um eine verbindliche rechtliche Bewertung der Abtreibung kämpfen -in diesem Prozeß könnte die Verfassung, statt auf außerrechtliche Werte zu verweisen und zu suggerieren, daß sie für diese Frage bereits eine Antwort bereithält, den Prozeß der Entdeckung und Konkretisierung der angemessenen rechtlichen Bewertung organisieren. Die Verfassung würde dann den Dissens nicht einfach verschweigen, sondern die Fähigkeit lehren und entwickeln, mit ihm umzugehen. Das bedeutet natürlich nicht, daß das Problem solange politisch neutralisiert werden kann, bis sich -vielleicht erst in Jahrzehnten -ein Konsens herausgebildet hat. Jede Regelung, einschließlich einer Nicht-Regelung, wird der einen oder der anderen Seite moralische Schmerzen zufügen. Das kann aber nicht das Kriterium für die Qualität einer Verfassung sein. Sie hat das Recht eines jeden zu schützen, eigene moralische Grundsätze zu haben und nach ihnen zu leben; sie kann aber kein Recht enthalten, die eigenen moralischen Präferenzen anderen aufzuerlegen oder dieses vom Staat zu verlangen. Daher kann die Verfassung auch nur jene rechtlichen Regelungen festlegen, die die soziale Ordnung garantieren, ohne den einzelnen eigenhändige moralisch unzumutbare Pflichten aufzuerlegen: das bedeutet einerseits den Ausschluß der Strafbarkeit der Abtreibung, andererseits das Recht eines jeden Arztes, die Vornahme einer Abtreibung zu verweigern. Mehr kann die Verfassung heute nicht leisten.