Zur Jahrtausendwende werden etwa sechs Milliarden Menschen auf der Welt leben; davon werden etwa drei Milliarden extrem arm sein, d. h, am Rande des physischen Existenzminimums mehr überleben als leben; eine weitere Milliarde wird arm sein, d. h. die elementaren Grundbedürfnisse (Essen, Kleidung, Wohnung, Transport, Medikamente usw.) kaum befriedigen können; eine weitere Milliarde wird gut versorgt sein und die letzte Milliarde wird im Wohlstand leben Zwei Drittel der Weltbevölkerung werden demnach arm oder extrem arm sein. Es bedarf nicht besonderer Phantasie, um sich vorzustellen, was vier Milliarden arme und extrem arme Menschen in sozialer, ökologischer und nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht bedeuten, wobei zu bedenken ist, daß sie zum allergrößten Teil in den Entwicklungsländern leben werden. Das Ergebnis der vergangenen Entwicklungsdekaden ist somit mehr als ernüchternd. In den meisten Entwicklungsländern zeigt sich nicht die erhoffte „nachholende Entwicklung“; regionale und sektorale Modemisierungsprozesse finden zwar vielfach statt, gleichzeitig bauen sich aber immer komplexere wirtschaftliche, politische, soziale, demographische und ökologische Probleme auf, die einem konstruktiven Zugriff allmählich zu entgleiten drohen.
Das Ende des Ost-West-Konflikts hat zu einer weitgehenden Beendigung der systemar bedingten Konfrontation in den Entwicklungsländern geführt, wodurch für sie neue Chancen aufgrund größerer Autonomie, aber auch neue Risiken aufgrund eines nachlassenden Interesses seitens der Industrienationen entstanden sind. Die bislang tonangebenden Entwicklungstheorien werden davon nicht unberührt bleiben, denn sie waren zu einem erheblichen Teil selber kulturelle Produkte des Ost-West-Konflikts. Im deutschsprachigen Raum gebührt insbesondere Dieter Senghaas der Verdienst, schon frühzeitig und kenntnisreich auf eine Reihe von ideologischen Irrläufern der entwicklungstheoretischen Diskussion aufmerksam gemacht zu haben. Die bisherige Entwicklungspolitik verursacht Frustrationen, weil sie sowohl quantitativ wie qualitativ weit davon entfernt ist, in den Entwicklungsländern eine positive Dynamik auf breiter Front zu bewirken, und die bisherigen Entwicklungstheorien verursachen Frustrationen, weil sie trotz eines großen intellektuellen Aufwands an einer nomologischen Erklärung für Entwicklung bzw. Unterentwicklung letztlich gescheitert sind
Im vorliegenden Beitrag soll die entwicklungstheoretische Diskussion der vergangenen Jahre und Jahrzehnte nicht noch einmal aufgerollt werden; dies ist an anderer Stelle bereits ausgiebig geschehen. Statt dessen wird das Thema induktiv und pragmatisch angegangen. 1. Was ist Entwicklung und Unterentwicklung?
Die Begriffe Entwicklung und Unterentwicklung bezeichnen im Grunde keine Gegensätze, sondern die äußeren Pole eines Kontinuums, auf dem die einzelnen Nationen aufgereiht sind. Der politische und journalistische Sprachgebrauch hat zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern eine ziemlich willkürliche Grenze gezogen; zum Teil wird diese Grenze mit Hilfe einiger handlicher Indikatoren (z. B. Pro-Kopf-Einkommen) gezo-gen, zum Teil ist sie aber auch das Ergebnis bestimmter geographischer („Die Länder des Südens“) oder politischer („Die Dritte Welt“) Konvenienzen.
Derartige Unterscheidungen zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern sind jedoch wenig befriedigend: Die Auswahl der üblicherweise verwendeten Indikatoren ist willkürlich und führt häufig zu einem falschen Bild, weil es sich in der Regel um nationale Durchschnittsdaten handelt, bei denen Verteilungskriterien weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die geographische Definition der unterentwickelten Länder ist unbrauchbar, weil niemand genau sagen kann, wo der Norden aufhört und der Süden anfängt, und weil es sowohl entwickelte Länder im Süden (z. B. Australien) wie auch unterentwickelte Länder im Norden (z. B. Mongolei) gibt. Der Begriff der „Dritten Welt“ wiederum bezeichnet jene Länder, die weder zur „Ersten“ (westliche Industrienationen) noch zur „Zweiten Welt“ (sozialistische Staaten) gehören; da von der „Zweiten Welt“ nicht mehr so recht die Rede sein kann, kann es eigentlich auch keine „Dritte Welt“ mehr geben, abgesehen davon, daß die „Erste“ und „Zweite“ Welt nie sauber von der „Dritten Welt“ abgegrenzt werden konnten.
Die Crux solcher Definitionen, die letztlich alle mühsam und unscharf sind, liegt darin, daß vor ihrer Formulierung bereits bekannt ist, welche Länder als unterentwickelt bezeichnet werden sollen und nur mehr ein gemeinsamer Nenner gesucht wird, der alle diese Länder umfaßt und sie gleichzeitig von den übrigen Ländern abgrenzt. Besser erscheint ein einfacher und sehr pragmatischer Ansatz: Entwicklung bezeichnet demnach einen umfassenden Prozeß gesellschaftlichen Wandels, der anhand einer Vielzahl von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen und ökologischen Indikatoren dargestellt und sozusagen als Momentaufnahme in einem spezifischen Entwicklungsprofil abgebildet werden kann. Der Begriff der Entwicklung hat nicht nur eine beschreibende, sondern im Sinne von „Fortschritt“ auch eine wertende Dimension, d. h. es ist nicht gleichgültig, in welchen Bereichen der Wandel stattfindet, z. B. in der Diversifizierung der Bonbonsorten oder in der Verbesserung des Bildungssystems. Das entscheidende Kriterium für Entwicklung muß letztlich die Verbesserung der kollektiven Lebensqualität sein, und zwar jeweils vorrangig in jenen Bereichen, in denen sie besonders defizient ist.
Die kollektive Lebensqualität setzt sich aus vielen Elementen zusammen, die zum Teil nur schlecht oder gar nicht im objektiven Sinne gemessen werden können wie Glück oder Ästhetik. Andere Elemente sind aber gut zu erfassen, und zwar über eine Fülle von Indikatoren, die das konkrete Alltagsleben der Menschen sowie die ökologische Qualität ihrer Umgebung betreffen
Die sogenannten Entwicklungsländer können in bezug auf viele Aspekte kaum sehr überzeugend z. B. gegenüber Portugal, Irland, Griechenland, Jugoslawien, Bulgarien oder sogar der Sowjetunion abgegrenzt werden, und sie unterscheiden sich auch untereinander zum Teil erheblich; das einzige, das sie verbindet, ist die Tatsache, daß ein großer Teil ihrer Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt (dem widerspricht nicht, daß es in diesen Ländern zum Teil sehr entwickelte, „moderne“ Sektoren und Regionen gibt). Dies scheint die einzige sinnvolle Definition von Entwicklungsländern bzw. unterentwickelten Ländern zu sein. 2. Ursachen für Entwicklung und Unterentwicklung Alle monokausalen Thesen über Entwicklung und Unterentwicklung beleuchten nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Problems und führen letztlich in die Irre. Daher ist es wichtig zu erkennen, daß es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die in jedem Land und in jeder historischen Situation in einer sehr spezifischen Mischung und Verknüpfung wirksam werden. Manche Faktoren spielen darüber hinaus in einzelnen Fällen eine herausragende Rolle, in anderen Fällen aber nicht; so bilden z. B. im Tschad das trockene Klima und die magere Ressourcenausstattung besondere Entwicklungshemmnisse, nicht aber in Zaire; dort scheinen eher Probleme der politischen und wirtschaftlichen Organisation im Vordergrund zu ste- hen. Es gibt also eine spezifische Gewichtung der einzelnen Faktoren, wobei in einer überwiegend günstigen Faktorenkonstellation auch ungünstige Faktoren kompensiert werden können.
Ein besonderes Problem, das bei der Analyse von Entwicklung und Unterentwicklung auftritt, besteht allerdings darin, daß zwar viele bedeutsame Faktoren isoliert werden können, ihre Gewichtung und ihre gegenseitige Verknüpfung aber schwer zu bestimmen sind. Fällt im Falle Brasiliens z. B.der Faktor Bevölkerungswachstum mehr ins Gewicht als die chronische Wirtschaftskrise? Hängt das Bevölkerungswachstum möglicherweise sogar mit der chronischen Wirtschaftskrise zusammen, da letztere zu schwierigen Lebensbedingungen beiträgt, unter denen es aus mikro-sozialer Sicht bekanntlich naheliegen kann, viele Kinder zu haben? Fördert das Bevölkerungswachstum vielleicht auch umgekehrt die chronische Wirtschaftskrise, da die marginale Bevölkerung volkswirtschaftlich mehr Kosten als Nutzen produziert? Solche Fragen bezüglich der Gewichtung und Verknüpfung der für die Entwicklung bzw. Unterentwicklung verantwortlichen Faktoren treten in großer Zahl auf; die verschiedenen entwicklungstheoretischen Ansätze fügen sie zwar zu bestimmten Systemen zusammen, aber die bisherigen Ergebnisse sind doch einigermaßen unbefriedigend, weil die spezifische Konstellation der Faktoren in jedem einzelnen Land und in seiner jeweils besonderen historischen Phase im Rahmen allgemeiner Theorien keine angemessene Berücksichtigung finden kann. Die Folgerung daraus ist simpel, nämlich die Erkenntnis, daß die Ursachen für Entwicklung und Unterentwicklung in jedem spezifischen Fall gesondert analysiert werden müssen, wenn man gehaltvolle Aussagen erwartet und sinnvolle Ansätze für die Über-windung der Unterentwicklung herausarbeiten will. Dabei geht es im wesentlichen um folgende Faktoren, deren Beitrag für die Behinderung bzw. Förderung des Entwicklungsprozesses im konkreten Fall zu beurteilen ist:
1. Physische Faktoren: Größe, geographische Lage, Klima, ökologische Qualität, Ausstattung mit Rohstoffen u. ä.
2. Demographische, ethnische und kulturelle Faktoren: Bevölkerungszahl, Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsverteilung, ethnische Zusammensetzung, ethnisches Konfliktpotential, dominante Religion(en) und Werte (einschließlich Arbeits-und Wirtschaftsethik), Akkulturationsbereitschaft u. ä.
3. Soziale Faktoren: Soziales „Niveau“ (gemessen anhand sozialer Indikatoren), sozio-ökonomisches Modell, Schichtung, Verteilung, Eliten, Mobilität, Berufsstruktur, soziales Konfliktpotential, Verstädterung, sozialer Wandel, Rolle der Frau u. ä.
4. Wirtschaftliche Faktoren: Wirtschaftliche „Masse“, Struktur und Leistungsfähigkeit, Art der Einbindung in die Weltwirtschaft (einschließlich terms-of-trade, Weltmarktnachfrage, Handelsrestriktionen, Preisbildung, Kreditangebot, Kreditbedingungen, Verschuldung, evtl, wirtschaftlicher Boykott), binnen-und außenwirtschaftliche Konjunktur, Art der Wirtschaftspolitik u. ä.
5. Politische Faktoren: Politisches System, Rolle des Staates, Rolle einzelner interner Akteure (Einzelpersonen, Parteien, Streitkräfte usw.), Rolle externer Akteure, professionelle Kompetenz der politischen Führung und der Verwaltung, politische Kultur (einschließlich Korruption, Nepotismus, Autoritarismus, Militarismus usw.), dominante Ideologien (einschließlich dadurch bedingter Mißwirtschaft und Fehlallokation von Ressourcen) u. ä.
6. Sonstige Faktoren: Naturkatastrophen (z. B.
Wirbelstürme, Vulkanausbrüche, Erdbeben), anthropogene Umweltschäden (z. B. Zerstörung von Acker-und Weideland, Veränderung des Wasserhaushalts, industrielle Katastrophen), Mißernten sowie Kriegskosten und -Schäden. 3. Nachholende Entwicklung?
Bei der Beschäftigung mit der Problematik von Entwicklung und Ünterentwicklung stößt man fast automatisch auf die Frage, ob die Entwicklungsländer die historische Entwicklung der heutigen Industrienationen zeitverschoben und verkürzt nachholen. Letzteres wird ja vielfach angenommen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß dies zwar einzelnen Entwicklungsländern zu gelingen scheint (z. B.den „vier kleinen Tigern“), den meisten offensichtlich aber nicht. Im folgenden werden einige Unterschiede zwischen der historischen Entwicklung der heutigen Industrienationen und der Entwicklungsländer aufgeführt; zwar sind nicht alle diese Unterschiede in jedem einzelnen historischen Fall gegeben, wohl aber die meisten:
Die ersten Industrienationen waren zugleich führende Weltmächte (bzw. profitierten von deren Nachbarschaft) und konnten die externen Entwicklungsfaktoren weitgehend zu ihren Gunsten kontrollieren. Kolonialismus und Imperialismus, deren Opfer die heutigen Entwicklungsländer waren, bewirkten eine zusätzliche Akkumulation. Eine Behinderung oder Deformierung der Entwicklung im Stile der bisherigen Ost-West-und Nord-Süd-Probleme gab es nicht. Die ersten Industrienationen waren eben „die ersten“, d. h. sie hatten einen großen Innovationsvorsprung und einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil; sie verhielten sich protektionistisch, solange dies zweckmäßig war, und setzten den Freihandel durch, nachdem sie internationale Wettbewerbsfähigkeit erlangt hatten; den heutigen Entwicklungsländern wurde der Freihandel frühzeitig von außen aufgezwungen, was die Herausbildung monokultureller Strukturen förderte und eine ausgewogene Entwicklung auf der Basis eigener Ressourcen und eigener Kompetenz verhinderte.
Die Industrialisierung der heutigen Industrienationen erfolgte innengeleitet, kumulativ, polyzentrisch und mit vollständigen Zyklen im Rahmen einer vernetzten Produktionsstruktur, d. h. vom Roheisen bis zur kompletten Maschine und von der Zuckerrübe bis zum fertigen Zucker; die Landwirtschaft ernährte die eigenen Städte und nicht andere Länder. Zwar entstand während der Industrialisierung der heutigen Industrienationen eine „industrielle Reserve-Armee“ mit allen sozialen Übeln, wie wir sie auch in den heutigen Entwicklungsländern erleben, trotzdem konnte die soge-nannte soziale Frage letztlich einigermaßen befriedigend gelöst werden, erstens weil es von der „Masse“ her um bescheidene Größenordnungen im Vergleich zu vielen der heutigen Entwicklungsländer ging, zweitens weil das Bevölkerungswachstum in den frühen Industrienationen geringer war (massive Bevölkerungsverluste durch Seuchen, Kriege und Auswanderung), drittens weil der Industrialisierungsprozeß langsamer und geordneter erfolgte, viertens weil sich die politischen Eliten und Gegeneliten entschlossener und kompetenter mit diesem Problem beschäftigt haben, fünftens weil die wirtschaftliche Potenz der betreffenden Länder eine Lösung dieses Problems erleichterte und sechstens weil die betreffenden Konflikte ungehinderter und letztlich konstruktiver ausgetragen werden konnten, da die Internationalisierung innerstaatlicher Krisen noch nicht die Regel war.
Betrachtet man die genannten Punkte, die man um weitere ergänzen könnte, dann wird verständlich, warum sich die Industrialisierung der heutigen Industrienationen trotz vielfältiger Spannungen und Konflikte im Vergleich zu den heutigen Entwicklungsländern organischer, auf weiterer Basis und im Rahmen eines stärker innengeleiteten Prozesses vollziehen konnte. Trotz der krampfhaften Formen des Wachstums und seiner bekannten gesellschaftlichen Konsequenzen war dieser Prozeß doch ein anderer als jener, der sich in den heutigen Entwicklungsländern vollzieht. Die These, wonach die Entwicklungsländer eine nachholende Entwicklung durchmachen, ist wohl sehr fragwürdig, sieht man von wenigen Ausnahmen ab. Regionale und sektorale Modernisierungsprozesse finden zwar in vielen Entwicklungsländern statt, gleichzeitig häufen sich aber auch alte und neue Probleme einer solchen Dimension, daß der Entwicklungsprozeß letztlich nichts anderes ist als eine komplexe und chronische Krise, die sich aus vielen unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Elementen zusammensetzt.
Will man diese Krise bewältigen, so muß vieles gleichzeitig geschehen, da zahlreiche Entwicklungshemmnisse interdependent verwoben sind. Die Tatsache, daß es möglich ist, diese negativen Regelkreise zu durchbrechen, zeigt der Fall Südkoreas oder Taiwans, wo wichtige entwicklungsfördernde Faktoren offensichtlich erfolgreich entfaltet und zur Geltung gebracht werden konnten, während viele entwicklungshemmende Faktoren kontrolliert bzw. ausreichend kompensiert wurden. 4. Wer ist „schuld“ an der anhaltenden Unterentwicklung?
Ein Teil der „Schuld" an der anhaltenden Unter-entwicklung liegt an Faktoren, die nicht durch menschliches Handeln zu beeinflussen und nur schwer zu kompensieren sind, z. B. an einer schlechten Ressourcenausstattung, an ungünstigen klimatischen Verhältnissen oder an Zerstörungen aufgrund von Naturkatastrophen.
In synoptischer Perspektive läßt sich aber feststellen, daß die meisten Ursachen der Unterentwicklung anthropogen sind, wobei die „Opfer“ leichter zu identifizieren sind als die „Täter“ (Verursacher, Profiteure). Ganz holzschnittartig reduziert sich die Schuldfrage auf zwei grundlegende Positionen: 1. „Die armen Länder werden von den reichen Ländern beherrscht und ausgebeutet“, und 2. „Die armen Länder sind unfähig, sich selber zu entwikkeln und die Hilfe der reichen Länder sinnvoll einzusetzen.“ Diese Thesen gibt es in vielen detailreichen und mehr oder weniger elegant formulierten Varianten, wobei auch stärker persönliche („die Imperialisten“, „die Kommunisten“, „die Scheichs“, „die Diktatoren“) und stärker anonyme Aspekte („der Weltmarkt“, „das kapitalistische bzw. sozialistische System“, die „strukturelle Gewalt“) in den Vordergrund gerückt werden. Dieser Beitrag gibt Gelegenheit, die Gewichtung der in-ternen (sozusagen hausgemachten) und externen (sozusagen internationalen) Entwicklungshemmnisse etwas genauer zu betrachten, wobei es im folgenden ausschließlich um die Entwicklungshemmnisse anthropogenen Ursprungs geht.
Die externen Entwicklungshemmnisse ergeben sich aus politischer Bevormundung und ungünstigen außenwirtschaftlichen Bedingungen. Am extremsten läßt sich beides anhand der sogenannten Bananenrepubliken zeigen: Diese formal souveränen Länder sind de facto halbkoloniale Gebilde und leben im wesentlichen davon, daß sie Bananen (oder andere landwirtschaftliche Produkte bzw. Rohstoffe) ausführen und die meisten Bedarfsgüter einführen. Sie sind nicht nur extrem abhängig von ausländischen Regierungen und ausländischen Unternehmen, sondern sie reagieren auch geradezu reflexartig auf die Entwicklung der betreffenden Weltmarktpreise, die sie selber nicht kontrollieren können; die gesellschaftliche Struktur und der Entwicklungsprozeß sind das unmittelbare Ergebnis der allgegenwärtigen ExportWirtschaft, die von externen Interessen gefördert und geschützt wird.
Gegen die These, die armen Länder seien unfähig, sich selber zu entwickeln und die Hilfe der reichen Länder sinnvoll einzusetzen, läßt sich also einwenden, daß externe Abhängigkeit sehr wohl zu einer deformierten Entwicklung beitragen kann, weil die im jeweiligen Land vorhandenen menschlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen nicht im Sinne einer optimalen, innengeleiteten Entfaltung zugunsten entwicklungspolitischer Prioritäten eingesetzt werden können. Dabei dürfen drei Punkte jedoch nicht übersehen werden: 1. „Von außen“, also vom internationalen System (einschließlich Weltmarkt), kommen nicht nur Behinderungen im Sinne von Bevormundung und Benachteiligung, sondern auch wichtige Innovationsimpulse und wirtschaftliche Chancen;
eine Abschottung der Entwicklungsländer würde ihre Entwicklung nicht beschleunigen, sondern im Gegenteil erheblich bremsen; letztlich muß es für sie darum gehen, eigene Anstrengungen zu unternehmen und solche Formen der internationalen Kooperation (darunter Nischen in der Weltwirtschaft) zu suchen, die sich „unter dem Strich“ entwicklungsfördemd auswirken; zwischen Autarkie und Kolonialstatus gibt es diesbezüglich ein breites Spektrum. 2. Das internationale System (einschließlich Weltmarkt) kann nicht für alle Deformationen der Entwicklungsländer verantwortlich gemacht werden, weil es auch „hausgemachte“ Entwicklungshemmnisse gibt. 3. Die meisten Entwicklungsländer sind keine Bananenrepubliken, d. h. sie haben ein erhebliches Maß an staatlicher Souveränität und Autonomie für die Durchsetzung einer eigenständigen Politik. Die externe Entwicklungsdynamik setzt sich in diesen Ländern ja nicht erzwungenermaßen durch, sondern wesentlich nach Maßgabe dessen, was die betreffenden ökonomischen und politischen Eliten wollen, zulassen, unterlassen bzw. fördern.
Da den externen Entwicklungshemmnissen in den meisten entwicklungstheoretischen Ansätzen und in der öffentlichen Diskussion eine ausschlaggebende Rolle zugewiesen wird und in vielen Entwicklungsländern nach wie vor zahlreiche imperialistische Mythen im Umlauf sind, die von der eigenen Verantwortung für die anhaltende Unterentwicklung ablenken sollen, wird im folgenden versucht, den Blick für jene Dimensionen der Entwicklungsproblematik zu schärfen, die bislang vernachlässigt waren. Damit wird zugleich nahegelegt, von einer einseitigen Verteilung der politischen und moralischen Verantwortung für das Elend in den Entwicklungsländern abzukommen; Unterentwicklung ist nämlich nicht nur das Ergebnis von Behinderungen aufgrund externer Zwänge, sondern zu einem ganz erheblichen Teil auch das Produkt der Interessen, Organisationsformen, Verteilungsstrukturen und Kompetenzen in den Entwicklungsländern selber. Die Adressaten einer entwicklungspolitischen Kritik können also nicht nur alleine die Industrienationen oder das von ihnen zwar beherrschte, aber dennoch weitgehend anonyme internationale System (einschließlich Weltmarkt) sein, sondern vor allem auch die Eliten der Entwicklungsländer selber. Diese mögen zwar historische Produkte internationaler Strukturen und Prozesse sein, aber sie sind nichtsdestoweniger politische Akteure mit erheblichen Handlungsspielräumen und Verantwortlichkeiten. 5. Hausgemachte Entwicklungshemmnisse Die wichtigsten Entwicklungshemmnisse, die in der Verantwortung der Entwicklungsländer selber liegen, sind folgende: 1. Ein ganz entscheidendes Entwicklungshemmnis ist das explosionsartige Wachstum der Bevölkerung, das bekanntlich mit elementarer Armut wesentlich zusammenhängt. Die Hoffnung, eine gedeihliche Bevölkerungsentwicklung im Zuge der Überwindung der elementaren Armut zu erreichen, ist für die meisten Länder ein Trugschluß, denn das starke Bevölkerungswachstum ist ja gerade einer jener Faktoren, welcher die Überwindung der elementaren Armut verhindert. Die durchschnittlichen Zuwachsraten verringern sich zwar (mit der Ausnahme Afrikas) allmählich, doch dieser Prozeß erfolgt viel zu langsam, um die sich abzeichnenden demographischen Katastrophen verhindern zu können. Angesichts dieser Situation erscheint es dringlich, eine effiziente geburten-kontrollierende Politik zu betreiben, aber dies geschieht lediglich in ganz wenigen Entwicklungsländern, und von diesen sind lediglich drei von der Masse her relevant (China, Indonesien und Mexico).
2. Die Verteilung von Macht, Besitz, Einkommen und Chancen ist in fast allen Entwicklungsländern außerordentlich unausgewogen und ungerecht; dadurch werden große Teile der Bevölkerung nicht nur extrem benachteiligt, sondern ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Intelligenz werden auch nicht sinnvoll entfaltet und eingesetzt.
Entsprechend gibt es ständige Spannungen und Konflikte, die viele Kräfte binden und wie Sand im Getriebe wirken. Auch die vorhandenen Mittel (Rohstoffe, Land, Kapital, Arbeit, Kreativität) werden nicht dergestalt entfaltet und eingesetzt, daß eine vernünftige und gerechte Gesellschaft entsteht, sondern in einer solchen Weise, daß die Kapitaleigner möglichst viel Gewinn machen. Gegen letzteres ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden, aber das Gewinnstreben muß viel stärker als bisher im Sinne des Gemeinwohls nach sozialen wie ökologischen Kriterien diszipliniert werden.
3. Die Oberschichten leben zu einem beträchtlichen Teil parasitär, d. h. sie leisten wenig Sinnvolles und verbrauchen viel Unnötiges. Hinzu kommt, daß die gehobenen Berufe wenig auf die Probleme des Landes abgestimmt sind. Die Oberschichten identifizieren sich in der Regel auch wenig mit den zentralen Problemen der Nation. Man beobachtet zwar einen allgegenwärtigen, geradezu euphorischen Nationalismus, aber dieser bedeutet nicht, daß die Eliten von den Problemen des Massenelends, der Umweltzerstörung oder der Verschuldung in besonderer Weise betroffen sind. Das sind letztlich „Probleme der Regierung“. Die Regierung beruft sich auf die Erblast, die sie von der vorigen Regierung übernommen hat, und so wird dieses Sankt-Florians-Prinzip in allen Varianten durchgespielt, ohne daß wirkliche Verantwortung übernommen wird und die notwendigen Entscheidungen fallen. 4. Ein weiteres Entwicklungshemmnis ist die verbreitete Mißwirtschaft, Fehlplanung und Korruption sowie politische Systeme, in denen der Personenkult, die Vetternwirtschaft und der Opportunismus nach wie vor eine große Rolle spielen. In vielen Fällen fehlt es auch in erheblichem Maße an öffentlicher Moral, an einem Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl und an einem Arbeitsethos der Verwaltung. Eine zusätzliche politische Belastung stellt das Militär dar, das nicht nur zahlreiche Ressourcen bindet, die viel besser verwendet werden könnten, sondern sich häufig auch wie ein Staat im Staate verhält und sich immer wieder zur „Rettung des Vaterlandes“ berufen fühlt. Gestützt wird dieses politische System durch eine ineffiziente, komplizierte, schwerfällige und ebenfalls korrupte Bürokratie. 5. Weitere Probleme sind mit der mangelnden Strukturpolitik und der unzureichenden Kontrolle der Stadtentwicklung verbunden. Die Politik versagt häufig bei einer sinnvollen Agrarpolitik (einschließlich Agrarreform und Eindämmung der Landflucht), während die Städte, in denen der größte Teil der Bevölkerung in den Entwicklungsländern lebt, in aller Regel völlig chaotisch wachsen; sie bringen ein Milieu hervor, das für die Bürger immer belastender wird. 6. Als letzter Punkt sollte die Umweltzerstörung und Ressourcenplünderung erwähnt werden, die in den Entwicklungsländern zunehmend katastrophale Ausmaße angenommen hat und zu einem ganz erheblichen Ausmaß „in eigener Regie“ erfolgt. Gegen Kritik an dieser Politik (bzw. an diesem Laissez-Faire) verwahren sich viele Verantwortliche in den Entwicklungsländern mit der Aufforderung, sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten zu mischen („ökologischer Imperialismus“), oder sie vertreten die bekannte These, arme Länder könnten sich Umweltschutz nicht leisten; mit dieser These, die leicht zu falsifizieren ist wird nicht nur eine durchsichtige apologetische Absicht verfolgt, sondern zugleich versucht, internationale Hilfsgelder für hausgemachte Defizite einzusetzen.
Die hier angeführten Punkte sind nicht mißzuverstehen: Ohne Frage gibt es in vielen Entwicklungsländern gesellschaftliche Prozesse, die auch im ge- werteten Sinne als Fortschritt wahrgenommen werden.
Solche Prozesse finden zwar statt, aber sie betreffen erstens die Bevölkerung in sehr unterschiedlicher Weise, und sie werden zweitens von einer Reihe negativer Entwicklungen begleitet, wie sie oben skizziert wurden. Es geht hier natürlich nicht darum, ein negatives Zerrbild der Entwicklungsländer zu entwerfen, sondern in kurzer und pointierter Form auf Entwicklungsprobleme hinzuweisen, ähnlich wie ein Arzt, der sich vornehmlich mit der Krankheit und nicht mit der Gesundheit befaßt. Wir erkennen in vielen Entwicklungsländern also durchaus einen positiven Entwicklungsstrang, daneben aber auch eine Verschleppung vieler alter sowie eine Anhäufung neuer Probleme, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß der positive Entwicklungsstrang zunehmend entwertet und gefährdet wird.
Das Kernproblem der Entwicklung ist gar nicht so sehr darin zu sehen, den wirtschaftlichen Prozeß mit mehr oder weniger Erfolg zu dynamisieren -und bereits dies gelingt bekanntlich nur ausnahmsweise -, sondern die Rahmenbedingungen für einen gesellschaftlichen Wandel zu schaffen, der selbsttragend und langfristig nach drei Prioritäten ausgerichtet sein sollte: Existenzsicherung (Grundbedürfnisbefriedigung); Sozialverträglichkeit (angemessene Verteilung der gesellschaftlichen Pflichten, Rechte und Erträge) und Umweltfreundlichkeit (Erhaltung der materiellen Verfügbarkeit, der natürlichen Regenerationsfähigkeit und eines Milieus, das der physischen wie psychischen Gesundheit der Menschen zuträglich ist).
Diese drei Prioritäten betreffen in ganz entscheidendem Maße die Politik der Entwicklungsländer selber. Das internationale System mag zwar in bestimmten Bereichen entwicklungshemmende Rahmenbedingungen setzen, aber innerhalb dieser gibt es beträchtliche entwicklungspolitische Spielräume. Wenn seitens der Entwicklungsländer z. B. die externe Verschuldung gegenwärtig als das entscheidende Entwicklungshemmnis hervorgehoben wird, so werden dahinter gerne eigene Versäumnisse versteckt, die mit der Verschuldung überhaupt nichts zu tun haben, wie z. B. Defizite in bezug auf die Durchführung einer Agrarreform, die Nivellierung der Einkommensverteilung, die Moralisierung und Professionalisierung der Verwaltung, die Achtung der Menschenrechte, die Geburtenkontrolle usw.
Bezüglich der Ursachen für die anhaltende Unter-entwicklung bedarf es sowohl seitens der Industrie-wie der Entwicklungsländer nicht nur der gegenseitigen Kritik, sondern vor allem auch der Selbstkritik, um im Dschungel der entwicklungspolitischen Ideologien, Illusionen und interessengebundenen Argumente die Übersicht zu behalten und schnelle Schlüsse sowie wohlfeile Schuldzuweisungen zu vermeiden. 6. Neue externe Bedingungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Die Konsequenzen der veränderten Ost-West-Beziehungen für die Entwicklungsländer sind ambivalent zu beurteilen. Sicherlich wird ein Prozeß der globalen Restrukturierung eingeleitet, der zu einer relativen Marginalisierung der Entwicklungsländer führen wird, möglicherweise mit Ausnahme einiger weniger Länder, die aufgrund einer besonderen politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Entwicklung bzw. geographischen Lage eine prominente Position innerhalb des internationalen Systems behalten bzw. erringen können. Die sicherheitspolitische Rolle der Entwicklungsländer für die ehemaligen Blöcke als Austragungsort der Auseinandersetzung um die globale Hegemonie verschwindet. Damit wird die Bedeutung dieser Länder für die Industrienationen im wesentlichen auf ihr wirtschaftliches Gewicht (einschließlich ihrer Ressourcenausstattung) sowie auf ihren möglichen Beitrag zur Verschärfung bzw. Überwindung der sogenannten „Global Challenges" reduziert. Bezüglich der wirtschaftlichen Aspekte wird folgendes angenommen: Als Folge der Auflösung der Blöcke entstehen zwischen den Entwicklungsländern und in ihrem Verhältnis zu den Industrienationen neue Konkurrenzen, und die ehemaligen bzw. noch bestehenden sozialistischen Länder Ost-europas werden versuchen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten der westlichen Industrienationen viel stärker als bisher für sich zu nutzen, was letztlich auf Kosten der Entwicklungsländer gehen dürfte. Die absehbare Tendenz deutet in Richtung auf einen „Rückzug der Metropolen auf sich selbst“ Abzusehen ist ebenfalls, daß die Länder Osteuropas mehr als bisher mit den Entwicklungsländern konkurrieren dürften und daß sie ihre bisherige Wirtschafts-und Entwicklungshilfe vermutlich spürbar reduzieren werden.
Der naheliegende Gedanke, ob die als Folge der eingetretenen Entspannung zwischen Ost und West eingesparten Rüstungsmittel zu einer Auf- Stockung der Entwicklungshilfe umgewidmet werden könnten, ist wohl nicht sehr realistisch, und zwar vor allem aus drei Gründen: Erstens wird ein Teil der eingesparten Mittel für den Aufbau Ost-europas gebunden, zweitens dürfte eine derartige Umwidmung an zahlreichen innenpolitischen und haushaltstechnischen Gründen scheitern und drittens steht dem wohl auch die mangelhafte Komplementarität zwischen Entwicklungshilfegebern und -empfängem entgegen, d. h. trotz dringenden Bedarfs an Hilfsmaßnahmen in den Entwicklungsländern sind die dortigen Rahmenbedingungen häufig so schlecht, daß es bereits heute Mühe macht, für alle zur Verfügung stehenden Mittel sinnvolle Projekte zu identifizieren („project finding"). Auf indirektem Wege erscheinen positive Effekte der Abrüstung in den Industrienationen für die Entwicklungsländer allerdings denkbar, und zwar über die Sanierung der Haushalte aufgrund ihrer Entlastung von Rüstungsausgaben, was insbesondere im Falle der USA positive wirtschaftliche Effekte -auch zugunsten der Entwicklungsländer -erwarten läßt; dies dürfte allerdings kaum exakt zu quantifizieren sein.
Das Ende des Ost-West-Konflikts ist für die Entwicklungsländer natürlich von außen-und sicherheitspolitischer Bedeutung, denn die bisherigen Nord-Süd-Beziehungen waren zu einem beträchtlichen Maße Teil des Ost-West-Konflikts. Das Ende des Ost-West-Konflikts bedeutet weniger politisches Engagement der Industrienationen gegenüber den Entwicklungsländern, weniger Bevormundung, weniger erzwungene oder erkaufte Loyalität, weniger Interventionismus, weniger Internationalisierung regionaler Konflikte sowie weniger weltpolitische Aufmerksamkeit für Ereignisse und Prozesse in den Entwicklungsländern. Das internationale System bekommt eine stärker polyzentrische Struktur, und innerhalb dieser Struktur wächst den Entwicklungsländern mehr Autonomie zu, die jedoch eine ambivalente Errungenschaft ist: Einerseits haben diese Länder nunmehr größere Bewegungsfreiheit, um ihre eigenen Entwicklungsvorstellungen zu verwirklichen und ihre eigene Kompetenz zu entfalten, andererseits erleiden sie auch mögliche Nachteile; paradoxerweise hatten ja viele Entwicklungsländer im Rahmen des Ost-West-Konflikts auch beträchtliche politische, ideologische und wirtschaftliche Spielräume, da die jeweilige Bündnismacht in gewisser Weise instrumentiert und geradezu „erpreßt“ werden konnte und die Blockfreien sich ihre Blockfreiheit direkt oder indirekt honorieren ließen.
Auch die politischen Strukturen in den Entwicklungsländern werden nicht unbehelligt bleiben.
Die Ost-West-Konfrontation hat ja unter anderem dazu geführt, daß der Osten wie der Westen wenig penibel waren bei der Auswahl der jeweils „befreundeten“ Regierungen bzw. Oppositionsgruppen. Nach der Devise „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ wurden von beiden Seiten Gruppen unterstützt, deren Kompetenz und Integrität zum Teil sehr zu wünschen übrig ließ und die ohne eine solche Unterstützung sicherlich keine derart prominente politische Rolle gespielt hätten. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß die Ost-West-Konfrontation in den Entwicklungsländern politische Polarisierungen gefördert und kompetente reformerische Kräfte der linken wie der rechten Mitte tendenziell geschwächt hat.
Dies heißt allerdings nicht notwendigerweise, daß sich die Situation entscheidend verbessern wird, sobald die von außen zum Teil aufgezwungenen und zum Teil subventionierten Modelle zusammenbrechen sollten, weil die Voraussetzungen für eine effiziente Entwicklungspolitik aufgrund jahrzehntelanger Mißwirtschaft und Korruption meistens schlecht sind und sich die für eine derartige Politik erforderlichen Eliten vielfach gar nicht herausbilden konnten.
Der absehbare Prozeß einer relativen Marginalisierung der Entwicklungsländer im Rahmen des internationalen Systems ist allerdings nicht gleichbedeutend mit deren Isolation. Als Folge der Auflösung der Blockantagonismen und der verstärkten Herausbildung polyzentrischer Strukturen wird die „Durchlässigkeit“ der Entwicklungsländer, die früher aufgrund ihrer Einbindung in den Ost-West-Konflikt gegenüber dem jeweils anderen „Lager“ relativ abgeschottet waren, für die Interessen aller internationaler Akteure erhöht; das ist unter entwicklungspolitischen Aspekten bekanntlich ambivalent zu beurteilen, da eine verstärkte transnationale Integration zwar sektorale Entwicklungseffekte auszulösen vermag, die nationale Desintegration zugleich aber fördert
Zusammenfassend läßt sich zum Ende des Ost-West-Konflikts feststellen, daß sich der disziplinierende und dynamisierende, aber auch deformierende Einfluß der bisherigen Ersten und Zweiten Welt in der Dritten Welt abschwächen wird, was für die Entwicklungsländer sowohl neue Chancen wie auch neue Risiken mit sich bringen dürfte. In jedem Fall ist zu hoffen, daß ihr Zuwachs an Autonomie zu einem entsprechenden Zuwachs an politischer Verantwortung führen wird.