I. Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag
1973 beantragte eine Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion die Errichtung eines „Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen“. Dieser Vorstoß der damaligen Opposition blieb jedoch zunächst ebenso folgenlos wie zahlreiche weitere Initiativen, die in den nachfolgenden Jahren auf eine Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung zielten. Auch der Regierungswechsel Anfang der achtziger Jahre brachte in dieser Frage zunächst keine Wende. Nur die Positionen wurden vertauscht. Die neue Regierungskoalition zeigte sich ihren eigenen Forderungen aus den Jahren in der Opposition gegenüber unsicher und verhalten, während die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei in ihrer neuen Oppositionsrolle die Forderung nach einer Technikfolgenabschätzung aufgriff und neuerlich in die Diskussion führte. Nach weiteren Phasen der Ernüchterung und der Resignation wurde 1990 schließlich eine Minimallösung in Gestalt eines nur sparsam ausgestatteten „Büros für Technikfolgenabschätzung“ (TAB) realisiert. Das TAB hat mittlerweile mit der bescheidenen institutioneilen Förderung von jährlich zwei Mio. DM seine Arbeit begonnen und mehrere Projekte auf den Weg gebracht
Damit haben der Deutsche Bundestag im Plenum und diverse Fachausschüsse des Bundestages sowie die speziell für diese Angelegenheit eingerichteten Enquete-Kommissionen siebzehn lange Jahre über die Einrichtung eines neuen Beratungsgremiums zur Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen debattiert. Parallel zu der Diskussion im Hohen Haus haben zahllose Wissenschaftler und Interessenvertreter ihre Vorschläge unterbreitet oder ihre Stellungnahmen zu vorliegenden Vor
Schlägen abgegeben Eine Zusammenstellung aller Veröffentlichungen zu dieser Frage würde mittlerweile Regale füllen. An diesem „Leidensweg der Institutionalisierung“ ist klärungsbedürftig, warum der Entscheidungsprozeß so langwierig und hürdenreich war.
Im Rückblick ist festzustellen, daß sich die Debatten über eine Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung vorwiegend auf eine Verbesserung der parlamentarischen Arbeit bezogen. Im Vordergrund stand die Beschaffung von entscheidungsrelevanten Informationen und wissenschaftlich fundierten Einschätzungen für die politischen Entscheidungsträger. Die Exekutive sollte ein Frühwarnsystem für mögliche Fehlentwicklungen erhalten. Vor allem aber sollte die parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive gestärkt werden. Angesichts der langwierigen und im Endeffekt nur mäßig erfolgreichen Geschichte einer parlamentarischen Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung drängt sich jedoch die Frage auf, ob der Beratungsbedarf von Parlament und Regierung, der durch die institutionalisierte Technikfolgenabschätzung gedeckt werden soll, von den Kräften, die den Aufbau einer solchen Einrichtung gefordert haben, überschätzt worden ist.
Mit dieser Vermutung soll freilich nicht die Hypothese gestützt werden, die „schwere Geburt“ der Institutionalisierung einer Technikfolgenabschätzung sei darauf zurückzuführen, daß es keinen Bedarf nach gesellschaftlicher Technikkontrolle und entsprechenden Infrastrukturen gäbe. Technische Risiken haben heute eine derartige Bedeu-tung erlangt, daß unsere Gesellschaft bereits als Risikogesellschaft charakterisiert wird Die unbeabsichtigten und häufig nur schwer vorhersehbaren Nebenfolgen lassen viele Techniken inzwischen kontraproduktiv erscheinen. Die Dynamik, die Komplexität und in vielen Bereichen auch die Größenordnung der Gefahrenpotentiale machen es „immer schwieriger und zugleich notwendiger, neben den beabsichtigten Wirkungen von Innovationen auch unbeabsichtigte Konsequenzen und unerwünschte Nebeneffekte zu erkennen“ Offensichtlich erzeugt aber dieser Bedarf nicht eine entsprechend gewichtige Nachfrage nach einer staatlichen Technikfolgenabschätzung, die als wis-senschaftliche Politikberatung konzipiert ist. Diese Zurückhaltung beruht darauf, daß die gewählten Körperschaften ihre Entscheidungskompetenzen im Bereich der Techniksteuerung weitgehend an außerstaatliche Gremien abgetreten haben. Mit der Auslagerung von Zuständigkeit geht, zumindest in der Wahrnehmung der politischen Entscheidungsträger, eine Minderung des Beratungsbedarfs einher. Dies wird nachfolgend zum Anlaß genommen, die in der Techniksteuerung vorherrschende „Arbeitsteilung“ zwischen Staat und Verbänden zu problematisieren und verschiedene Möglichkeiten einer Reorganisation der Technik-steuerung zu diskutieren.
II. Politik am Staat vorbei: Techniksteuerung durch Verbände
Technikfolgenabschätzung umfaßt nach einer Definition des Bundesministers für Forschung und Technologie „die Beschreibung wissenschaftlich-technischer Sachverhalte, die Wirkungs-und Folgenanalyse und die Bewertung neuer Techniken und ihrer Alternativen“ Nach der Auffassung der Enquete-Kommission beim 10. Deutschen Bundestag soll die Technikfolgenabschätzung „abzielen auf die Bedingungen und potentiellen Auswirkungen der Einführung und Anwendung von Techniken, auf die gesellschaftlichen Konfliktfelder, die durch den Technikeinsatz erzeugt werden, und auf die Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung dieser Techniken oder ihrer Anwendungsmodalitäten“ Damit kommt der Technikfolgenabschätzung neben der Analysekomponente eine Bewertungskomponente und eine Handlungsvorbereitungskomponente zu: Sie soll Entscheidungshilfen geben.
Die vergleichsweise schwache Nachfrage nach einer staatlichen Technikfolgenabschätzung könnte daher darauf zurückgeführt werden, daß in der Bundesrepublik Deutschland (und seit 1985 auch in der Europäischen Gemeinschaft) -im Gegensatz zur Technologiepolitik, die die Förderung von Wissenschaft und Forschung beinhaltet -auf eine umfassende staatliche Techniksteuerung, die auf die für die Technikbewertung weitaus bedeutsamere Technikgestaltung und -anwendung abzielt, weitgehend verzichtet wird. Legislative und Exekutive überlassen diese Regelungsmaterie anderen Institutionen, entscheiden also vielfach nicht selbst und sind von daher auch nicht in dem erwarteten Ausmaß auf Informationen und andere Zuarbeiten angewiesen.
Der Gesetz-und Verordnungsgeber beschränkt sich statt dessen in der Regel auf die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. „anerkannte Regeln der Technik“, „Stand der Technik“, „gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse“), deren inhaltliche Ausfüllung durch technische Regeln erfolgt, die im Rahmen eines korporatistischen Politikmodells von technischen Verbänden aufgestellt werden in Deutschland sind dies das Deutsche Institut für Normung (DIN), der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), die Berufsgenossenschaften und ca. 150 weitere regelsetzende Verbände, zu denen sich auf europäischer und internationaler Ebene zahlreiche weitere privatrechtlich organisierte Normungsinstitute gesellen.
Für die Verwendung dieser „Generalklauselmethode“ läßt sich eine Fülle von Beispielen anfüh-ren So verweist das Gerätesicherheitsgesetz auf die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“. Die zugehörige Verwaltungsvorschrift enthält mehr als 1600 DIN-Normen, die diese General-klausel inhaltlich ausfüllen. Die Landesbauordnungen enthalten den Satz „Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind zu beachten“ und die Bestimmung, daß technische Regeln von den obersten Baubehörden als zwingend zu befolgende technische Baubestimmungen bauaufsichtlich eingeführt werden. Die Paragraphen 90 und 91 des Betriebsverfassungsgesetzes verweisen bei Informations-und Mitbestimmungsrechten auf „gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse“, die sich u. a. in technischen Regeln niederschlagen. Paragraph 5 Nr. 2 des Bundesimmissionsschutzgesetzes verlangt eine Vorsorge gegen Emissionen nach dem „Stand der Technik“, der durch DIN-Normen und VDI-Richtlinien festgestellt wird.
Nicht staatliche Gesetze, sondern technische Regeln, die von privatrechtlichen Verbänden aufgestellt werden, enthalten die konkreten Aussagen über die Sicherheit von Maschinen und elektrischen Anlagen, über die menschengerechte Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen, über die Qualität des Trinkwassers, die Verwendung von FCKW in Schaumstoffen, das Recycling von Kunststoffen und Papier, die Verwendung von Asbest, die Grenzwerte für Schadstoffemissionen von Heizkesseln, Spanplatten und Holzschutzmitteln oder den Einsatz giftiger Farbpigmente. Die meisten umweltschutzrelevanten Emissions-und Immissionsgrenzwerte werden nicht etwa durch staatliche Gesetze, sondern durch die -inzwischen z. T. mit dem DIN fusionierten -VDI-Kommissionen „Reinhaltung der Luft“ und „Lärmschutz“ aufgestellt Sofern Technikfragen doch einmal über Gesetz oder Verordnung geklärt werden, bedienen sich die Entscheidungsträger der Vorarbeiten der fachlich spezialisierten Organisationen. Auch die Technikbewertung selber ist verbandlich geregelt -beispielsweise durch die VDI-Richtlinien 3780 (Technikbewertung, Begriffe und Grundlagen) und 5015 (Technikbewertung in der Bürokommunikation). Die konkrete Techniksteuerung liegt demnach vorwiegend in der Zuständigkeit von gesellschaftlichen Verhandlungssystemen, die nicht dem Staat zugerechnet werden können. Die materiellen Prozesse der Technikfolgenabschätzung, Technikbewertung und Technikgestaltung sind de facto in den verstaatlichen Raum ausgelagert worden. Das traditionelle Regulierungsmodell einseitig-hoheitlichen Handelns, das eine eindeutige Differenz zwischen den normsetzenden staatlichen Instanzen und den Normadressaten voraussetzt, ist folglich im Falle der Techniksteuerung bis auf wenige Ausnahmen außer Kraft. „Der Staat nimmt ein inhaltliches „technology assessment’ im Rahmen seiner Gesetzgebung nicht vor.“
An der Praxis einer Techniksteuerung durch Verbände ist immer wieder Kritik geübt worden. Die regelsetzenden Organisationen bilden letztlich parastaatliche Gebilde, deren demokratische Fundamente auf einem unsicheren Boden stehen. Sie müssen zu jenen „soziopolitischen Gebilden“ gerechnet werden, für die es, wie Offe es formuliert, „im Koordinatensystem geltender verfassungsrechtlicher Normen und ordnungspolitischer Soll-vorstellungen sozusagen keinen Platz gibt, bei denen man vielmehr geneigt wäre, sie als Relikte vormodemer Epochen und Regimetypen einzustufen“ „Bei der außerordentlichen Bedeutung technischer Normen und ihrer zum Teil rechtlichen Sanktionierbarkeit fragt man sich, ob sich hier neben der Legislative in den Normungsinstitutionen quasi eine zweite gesetzgebende Instanz etabliert hat“ deren demokratische Steuerung und Kontrolle schwierig ist. Für Ulrich Beck ist die technische Normung deshalb sogar ein Fall „organisierter Unverantwortlichkeit“: „Sicherheitsfragen, die die Gesellschaftsordnungen vom Ural bis zum Atlantik erschüttern, werden in der Hochgefahrenzivilisation wie beim guten alten Kaiser Wilhelm ebenso illegitim wie real letztlich von ständisch organisierten Ingenieuren entschieden -verund gedeckt durch die Ermächtigungsformel . Stand von Wissenschaft und Technik 1, die in allen Sicherheitsgesetzen das kleingedruckte Wesentliche der Ausführung in die Hände von Hofgutachtern und Experten legt“. Die „klassischen Instrumente politischer Steuerung -Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift -sind in den Kernaussagen leer, jonglieren mit dem , Stand der Technik 1, untergraben auf diese Weise ihre eigene Zu-ständigkeit und setzen zugleich an ihrer Stelle den , wissenschaftlich-technischen Sachverstand'auf den Thron der Gefahrenzivilisation“
Solche aus demokratietheoretischer Perspektive bestehenden Mängel gewinnen mit dem zunehmenden Einfließen „außertechnischer Wertbezüge“ hinsichtlich einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung eher noch an Virulenz: So dominieren in den meisten Normungsgremien die wirtschaftlichen Interessen, während insbesondere die Verbraucherschutz-, Umweltschutz-und Arbeitnehmerinteressen häufig unterrepräsentiert sind weil sich die mangelnde Organisationsund Konfliktfähigkeit dieser Interessen in einer geringeren Fähigkeit zur Beteiligung an der verbandlichen Regelsetzung niederschlägt, die einen hohen Einsatz an Personal, Zeit, Kosten und technischem Sachverstand erfordert
Von daher besteht durchaus Anlaß, die bestehende Arbeitsteilung zwischen Staat und Verbänden in der Techniksteuerung zu überdenken. Zwei Varianten einer Reorganisation der Techniksteuerung kommen dabei in Betracht: Die erste Variante will die staatlichen Zuständigkeiten in der Techniksteuerung zu Lasten der technischen Verbände ausweiten und die Regelungsmaterien in die parlamentarische Auseinandersetzung oder zumindest in die Hand der Exekutive, die ihrerseits einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt, zurückholen. Die zweite Variante will an der verbandlichen Selbstregulierung der Technik festhalten, diese aber durch eine staatliche Regulierung ihrer Rahmenbedingungen ergänzen; Ziel ist hier eine staatlich regulierte Selbstregulierung und eine solchermaßen sichergestellte „Demokratisierung“ der verbandlichen Regelsetzung.
III. Staatliche Technikfolgenabschätzung: Eine neue Variante von „Expertokratie"?
Auf den ersten Blick ist die Forderung nach einer Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung im parlamentarischen Raum der erstgenannten, eher etatistischen Position zuzurechnen. Der wichtigste Grund für die faktische Delegation der materiellen Techniksteuerung an die technischen Verbände liegt nach dieser Argumentation in technischen Kompetenzdefiziten auf Seiten des Staates, der hinsichtlich der notwendigen Informationen, Bewertungskriterien und Kapazitäten zur Entwicklung technischer Alternativen den Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft, die die Technikentwicklung selbst betreiben, unterlegen und damit auf deren Ressourcen angewiesen ist. Zur Kompensation der defizitären technischen Kompetenz der staatlichen Akteure soll die Technikfolgenabschätzung dienen, der damit die Funktion eines wissenschaftlichen Instruments der Politikberatung zugewiesen wird, mit dem das Rationalitätsniveau politischer Entscheidungen erhöht werden soll
Die Politikberatungsfunktion der Technikfolgenabschätzung gründet sich allerdings auf zwei Prämissen, welche die Züge eines Politikmodells tragen, das als „Expertokratie“ bezeichnet werden kann: Die erste Prämisse bsteht darin, daß eine wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung überhaupt möglich ist, d. h. daß es mit wissenschaftlichen Methoden möglich ist, Technikfolgen zu ermitteln, und daß es möglich ist, Technik und ihre Folgen mit wissenschaftlichen Methoden auf ihre soziale Wünschbarkeit hin zu bewerten. Die zweite Prämisse lautet, daß eine wissenschaftliche Politik-beratung zu rationaleren politischen Entscheidungen zu führen vermag.
Der ersten Prämisse ist entgegenzuhalten, daß es eine „rein wissenschaftliche“, „objektive“ Technikfolgenabschätzung nicht geben kann. Die Technik-bewertung als zentrale Komponente der Technikfolgenabschätzung kann nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Interessen erfolgen. Daß Analyse und Bewertung nicht zu trennen sind, ist jedoch nach der Feststellung des Sachverständigenrats „in der Vergangenheit zum Nachteil der Technikfolgenabschätzung nicht immer erkannt und berück• sichtigt worden“. Dagegen wird gefordert: „Die Technikfolgen werden deshalb nicht nur objektiv, sondern auch und vor allem im Hinblick auf ihre soziale Wünschbarkeit beurteilt, wobei die jeweils verwendeten Bewertungskriterien explizit gemacht werden müssen.“ Aus der Erkenntnis, daß die Resultate wissenschaftlicher Forschung subjektiv gefärbt sein können, zieht der Sachverständigenrat jedoch nicht den Schluß, daß sich die wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung einer Technikbewertung im Hinblick auf ihre soziale Wünschbarkeit zu enthalten habe. Vielmehr soll das Bewertungsproblem wissenschaftsintem -innerhalb eines „politikunabhängigen (!) nationalen TA-Systems“ -durch den „rationalen“, intersubjektiven Diskurs gelöst werden, zwar „unter Einhaltung demokratischer Spielregeln“, aber unter Einschluß „informeller, oft sehr variabler Formen des Diskurses“. Zur Realisierung der Forderungen nach Rationalität und Intersubjektivität dieses Diskurses wird das Anwenden „strenger wissenschaftlicher Kriterien“, „anerkannter wissenschaftlicher Kontrollmethoden“, „der bewährten Verfahren der Veröffentlichung und kritischen Diskussion“, des Verfahrens der „Parallel-Begutachtung“ sowie der Moderation durch Aufgabenträger empfohlen, „die einen ausgewiesenen Sachverstand, weitestgehende Unabhängigkeit und damit eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz besitzen“ Damit löst sich der Sachverständigenrat letztlich doch nicht von der positivistischen Auffassung, wonach die Gegenstände wissenschaftlicher Analyse -hier: die Technik und die Technikfolgen -zwar eine Bewertung implizieren, deren Objektivität aber prinzipiell durch die Wissenschaftlichkeit des Diskurses herstellbar sei. Doch auch wenn die geforderten Regeln des wissenschaftsinternen Diskurses eingehalten werden, bleibt das Problem der demokratischen Legitimation der Bewertungskomponente der Technikfolgenabschätzung ungelöst.
Problematisch erscheint auch die zweite Prämisse der Konzeption von Technikfolgenabschätzung als Politikberatung, die das Rationalitätsniveau politischer Entscheidungen steigern soll. In der Diskussion über die Technikfolgenabschätzung hat insbesondere Renate Mayntz darauf hingewiesen, daß sich politische Entscheidungen weniger an den Kriterien sachlicher Rationalität, sondern vielmehr an den Kriterien politischer Rationalität, deren Referenz der Erwerb und der Erhalt politischer Macht ist, orientieren, d. h. daß die Ergebnisse und Empfehlungen wissenschaftlicher Beratungskapazitäten von den Entscheidungsträgern lediglich selektiv, nach ihrer jeweiligen politischen Opportunität genutzt werden Damit erscheint auch die politische Nutzung der Technikfolgenabschätzung den jeweiligen Konstellationen der verschiedenen Interessen an der Technikgestaltung und ihren Machtpotentialen unterworfen.
Die staatliche Technikfolgenabschätzung darf also in ihrer Reichweite nicht überschätzt werden. Vor allem darf mit der Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung nicht die Erwartung verbunden werden, die derzeit auf verschiedene gesellschaftliche Institutionen verteilte Zuständigkeit für Techniksteuerung in das politisch-administrative System zu überführen. Denn der Versuch, mit Hilfe der Technikfolgenabschätzung die Technik-steuerung zu „etatisieren", wäre äußerst problematisch. Es bestünde die Gefahr, daß die Technikfolgenabschätzung als scheinbar objektives Instrument zur Legitimation von Entscheidungen, die an Partikularinteressen gebunden sind, mißbraucht wird. Es wäre nicht auszuschließen, daß die Technikfolgenabschätzung zu einem dirigistischen Modell pervertiert wird, das den Bürgern ungeachtet ihrer Interessen und Präferenzen verbindlich vorschreibt, welche technologischen Lösungen die besten sind und deshalb allein in Frage kommen. Sie würde schnell zu einem Instrument der Legitimationsbeschaffung von interessengebundenen Entscheidungen, oder sie träfe solche Entscheidungen ungeachtet der demokratischen Willensbildung selbst.
Es wäre freilich völlig verfehlt, wollte man den Befürwortern einer institutionalisierten Technikfolgenabschätzung vorhalten, sie würden mit diesem Instrument die negative Vision einer staatlichen Steuerung des technischen Wandels anvisieren. Auch wenn es gelänge, das Kompetenzdefizit der politischen Entscheidungsträger in Legislative und Exekutive mit Hilfe einer institutionalisierten Technikfolgenabschätzung zu kompensieren, bestünde noch eine Reihe weiterer Restriktionen staatlicher Techniksteuerung.
Unabhängig vom Sachverstand steht dem Staat auch nicht das für eine effektive Techniksteuerung erforderliche Personal zur Verfügung. Die Größenordnung des personellen Aufwands wird daran deutlich, daß allein die Normungsarbeit beim DIN von rund 40000 hochqualifizierten Fachleuten betrieben wird, die ehrenamtlich tätig sind bzw. von den entsendenden Stellen -überwiegend Wirtschaftsunternehmen -finanziert werden. Die verbandliche Techniksteuerung erbringt damit einen erheblichen Beitrag zur Staatsentlastung, der auch in den Erläuterungen zum Normenvertrag mit dem DIN vom 5. Juni 1975 ausdrücklich angesprochen wird.
Weiterhin besteht bei staatlichen Interventionen stets die Gefahr, daß sie keine Legitimation bei den Adressaten der Techniksteuerung finden, die über erhebliche faktische Obstruktionspotentiale verfügen. „Die Legitimationsprobleme der staatlichen Steuerung, nicht Effizienzprobleme, dürften denn auch ein wesentlicher Faktor für den zunehmenden Rekurs auf gesellschaftliche Verfahren sein. Die Informationsprobleme der Steuerung könnten notfalls (wenn auch nicht flächendekkend) durch Expertise, die im politischen System selbst mobilisiert wird, bewältigt werden. Die Akzeptanz der Entscheidungen setzt offenbar neue Formen der Beteiligung der Betroffenen voraus... Auch Entscheidungen, die mit beträchtlichem Aufwand im politischen System als *. richtig und *. vertretbar begründet werden, lösen häufig chronischen Streit und sozialen Widerstand (Proteste, Blockaden, Verweigerung) aus.“ Staatliche Techniknormen können boykottiert werden, indem der Markt die entsprechende Technik nicht bereitstellt; sie können obsolet werden, wenn die Unternehmen andere Techniklinien verfolgen; sie können innerhalb von komplexen Interdependenz-ketten, die die Rechtssetzung kaum komplett zu antizipieren und zu erfassen vermag, verwässert werden, so beispielsweise staatlich festgesetzte Grenzwerte durch privat regulierte Meß-und Prüfverfahren Während sich die verbandliche Techniksteuerung auf das Konsensprinzip gründet und daher eine Legitimation und eine hohe Akzeptanz durch die Wirtschaft aufweist, hat eine staatliche Technikfolgenabschätzung mit heftiger Kritik aus der Industrie zu kämpfen
Es ist auch zu bezweifeln, ob dem Staat ausreichende Instrumente für eine effektive Technik-steuerung zur Verfügung stehen. Das staatliche Steuerungsinstrument „Recht“ weist einen immanenten Hang zur Statik auf, der der Dynamik der technischen Entwicklung nicht angemessen ist, weil Innovationen nicht rechtlich programmierbar sind. Gesetze und Verordnungen hinken nach dieser Argumentation hinter dem technischen Fortschritt her und entwickeln einen konservativen Charakter Während Gesetze formal auch dann noch gelten, wenn sie dem Stand der Technik nicht mehr entsprechen, treten technische Regeln -die von den Verbänden ohnehin regelmäßig auf ihre Aktualität hin überprüft werden -in diesem Fall automatisch außer Kraft.
Über das Problem der mangelnden Aktualität hinaus verweist Rainer Wolf auf die Grenzen imperativen Rechts, das lediglich punktuelle Eingriffe durch formale Gebote und Verbote vornehmen kann, die angesichts der steigenden Komplexität der technischen Regelungsmaterien nur unzureichende Resultate erbringen können. Dagegen kann mit kooperativen, konsensorientierten Strategien (z. B. Selbstbeschränkungsabkommen), die durch individuelle Verhandlungen oder aber durch korporatistische (verbandliche) Regelungen gefunden werden, „regelmäßig nicht inhaltlich weniger, sondern gegenständlich mehr ausgehandelt werden ... als mit der Durchsetzung einer imperativen Rechtsnorm erreicht werden könnte“ Die Tendenz zu solchen kooperativen Modellen hat bereits in einigen gesetzlichen Bestimmungen, die informellen Lösungen den Vorrang vor hoheitlichen Eingriffen einräumen (z. B. Paragraph? III Bundesimmissionsschutzgesetz, Paragraph 14 II Ab-fallgesetz), ihren Niederschlag gefunden.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß einer staatlichen Technikbewertung und Techniksteuerung erhebliche Restriktionen entgegenstehen, die auch über eine institutionalisierte Technikfolgenabschätzung nicht aufgehoben werden können. Es sind nicht nur Kompetenzdefizite, die einer staatlichen Techniksteuerung entgegenstehen, und selbst diese lassen sich mit der Technikfolgenabschätzung nicht vollständig ausräumen. Da sowohl die Ergebnisse der Technikfolgenabschätzung als auch deren politische Wirkungen (implizit) interessen-gebunden sind, stellt sich die Frage, ob nicht ein politisches Management der gesellschaftlichen Interessen im Rahmen eines korporatistischen Politikmodells, d. h. eine gesellschaftliche Technik-steuerung, erfolgreicher ist als der Versuch, im Rahmen eines expertokratischen Politikmodells über eine staatliche Technikfolgenabschätzung die Kapazitäten für eine staatliche Techniksteuerung zu steigern.
Das korporatistische Modell der Delegation der Techniksteuerung und mithin auch der Technikbewertung an privatrechtliche Verbände hat sich zumindest mehrfach als erfolgreicher erwiesen als eine staatliche Technikregulation. Das jüngste Beispiel für das Mißlingen einer staatlichen Technik-steuerung ist auf der europäischen Ebene zu verzeichnen: Mit dem Weißbuch der EG-Kommission von 1985 wird das Scheitern des Versuchs einer detaillierten staatlichen Techniksteuerung offiziell eingestanden und gleichzeitig die „neue Konzeption“ der technischen Harmonisierung eingeführt, die darin besteht, daß sich die EG-Richtlinien auf die Festlegung grundlegender Anforderungen beschränken und gleichzeitig den europäischen Normungsverbänden ein Mandat erteilen, diese durch Normen zu konkretisieren
Angesichts der zahlreichen Vorzüge der Verhandlungslösung und der Unzulänglichkeiten der alternativ denkbaren staatlichen Techniksteuerung wird wohl auch in Zukunft auf die Organisationspotentiale im vorstaatlichen Raum nicht verzichtet werden. Damit sind aber die demokratietheoretischen Vorbehalte gegen die Regelsetzung durch verstaatliche Gremien nicht ausgeräumt. Die zweite Variante einer Reorganisation der Technik-steuerung hingegen, die an der verbandlich vermittelten Verhandlungslösung festhält, unterwirft diese einer staatlichen Gestaltung und Kontrolle.
Eine auf den ersten Blick einfache Lösung, die die demokratietheoretische Problematik zumindest abmildern könnte, liegt in der Mitwirkung staatlicher Akteure an der verbandlich organisierten Techniksteuerung. Die Vertreter der öffentlichen Hand hätten demnach in den regelsetzenden Gremien den Standpunkt des „öffentlichen Interesses“ zu vertreten. Da sich die relevanten Normenorganisationen ohnehin zur Berücksichtigung des „öffentlichen Interesses“ verpflichtet haben, dürfte ein entsprechendes Wohlverhalten erwartet werden. Sollte dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht der Fall sein, bliebe den staatlichen Repräsentanten immer noch die Möglichkeit, das „öffentliche Interesse“ auf den „klassischen Wegen“ durchzusetzen.
Aufgrund empirischer Evidenzen muß allerdings bezweifelt werden, daß allein durch eine staatliche Beteiligung an der verbandlichen Techniksteuerung die gewünschte Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung garantiert werden kann. So hat sich beispielsweise in einem Forschungsprojekt, das die technische Normung im Bauwesen untersuchte gezeigt, daß die Repräsentanten der Landesbauministerien und der Gemeinden in den Normenausschüssen nicht unbedingt das öffentliche Interesse an einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung vertreten. In einem besonders schwerwiegenden Fall haben sie sogar die Überarbeitung der bauaufsichtlich eingeführten Normen (DIN 18164, 18159, 52612) verhindert, die noch die Verwendung der ozongeschädigten halogenisierten Kohlenwasserstoffe (FCKW) in Schaumstoffen zur Wärmedämmung verbindlich vorschreiben. Während der Bundes-umweltminister eine Normänderung forderte und auch aus der chemischen Industrie, die inzwischen Ersatzstoffe anbietet, ein Änderungsantrag gestellt wurde, hat der zuständige Arbeitsausschuß (dem auch Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs-und Siedlungswesen zuständigen Landesminister und des staatlichen Instituts für Bautechnik, Berlin, angehörten) eine Normänderung mit dem Hinweis auf die mangelnde Bewährung von Ersatzstoffen abgelehnt, obwohl eine vom Bundeskabinett am 30. Mai 1990 beschlossene Verordnung ein Verbot von FCKW zum 1. Januar 1995 ausspricht. Hier lag offensichtlich ein Konflikt zwischen verschiedenen öffentlichen Interessen vor, die von unterschiedlichen Ressorts vertreten werden, und für die es überdies unterschiedliche Bund-Länder-Zuständigkeiten gibt.
Solche Beispiele zeigen, daß keineswegs davon auszugehen ist, daß „der Staat“ die öffentlichen Interessen an sozial-und umweltverträglicher Technikgestaltung in bestmöglicher Weise zu ver-folgen vermag. Der häufig gebrauchte Singular .. das öffentliche Interesse" löst sich bei näherer Betrachtung in ein Konglomerat verschiedener, miteinander konkurrierender Einzelinteressen auf. genau wie sich ..der Staat” im faktischen Handeln in eine Vielzahl von Gebietskörperschaften. Ministerien. Behörden und Einzelakteuren auflöst, die aufgrund des Ressortprinzips und faktischer Klientelverflechtung bestimmten Partikularinteressen verpflichtet sind. Der immer wieder zu beobachtende Ressortpartikularismus ist ebenfalls als ein wesentlicher behindernder Faktor für die staatliche Technikfolgenabschätzung identifiziert worden
IV. Techniksteuerung in der „assoziativen Demokratie“
Damit weisen sowohl die staatliche Technikfolgenabschätzung als auch die gesellschaftliche Technik-steuerung spezifische Vor-und Nachteile auf. die eine Synthese aus beiden Modellen nahelegen, welche mit Joshua Cohen und Joel Rogers als .. assoziative Demokratie" bezeichnet werden kann Im folgenden soll daher das Modell einer staatlich kontrollierten verbandlichen Technik-steuerung skizziert werden, bei der der Staat im wesentlichen drei Funktionen ausübt: Erstens nimmt er eine prozedurale Steuerung vor. um in den gesellschaftlichen Steuerungsgremien ein demokratisch legitimiertes Konsensmanagement der verschiedenen Interessen zu gewährleisten, was u. a. die formale Chancengleichheit beinhaltet. Zweitens bemüht sich der Staat auch um eine materielle Chancengleichheit der verschiedenen Interessen, sich an der gesellschaftlichen Technik-steuerung effektiv zu beteiligen: dazu gehört die gezielte Unterstützung der in den verbandlichen Arenen unterrepräsentierten Interessen durch materielle Hilfen, wobei auch einer staatlich organisierten Technikfolgenabschätzung eine wichtige Rolle zukommen kann. Drittens schließlich beteiligen sich staatliche Akteure aus den verschiedenen Ressorts selber an der gesellschaftlichen Technik-steuerung, indem sie in den regelsetzenden Gremien die öffentlichen Interessen aus der Sicht des jeweiligen Ressorts artikulieren.
Ein demokratietheoretisches Argument, die staatliche Repräsentation der öffentlichen Interessen durch eine staatlich gestützte verbandliche Repräsentation zu ergänzen, liegt in den oben angesprochenen Schwierigkeiten, ein einheitliches und eindeutig definierbares öffentliches Interesse quasi als Summe aus der Vielzahl miteinander konfligierender öffentlicher Einzelinteressen unter Einschluß partikularer institutioneller Eigeninteressen der verschiedenen Ressorts herauszudestillieren. Aus der Analyse, daß sich .. die Einheit der Staatswil-lensbildung und die Einheit der Verwaltung... zunehmend als Fiktionen" erweisen, ergeben sich demokratietheoretische Konzepte, die folglich ..dem Staat" das Monopol auf die Definition „des öffentlichen Interesses" absprechen und statt dessen auf Konsensbildungsprozesse setzen, die unter gleichrangiger Beteiligung staatlicher Akteure und von Vertretern einer Vielzahl von gesellschaftlichen Interessen ablaufen. Auch Ritters Konzept des .. kooperativen Staats" gründet sich auf die empirische Erkenntnis, daß „der Staat" „das öffentliche Interesse" nicht mehr eindeutig zu repräsentieren vermag: „Der Staat und seine Verwaltung sind keine monolithische Einheit, sondern ein polyzentrisch handelnder Akteur: ... in der Verbundproduktion von öffentlichen Aufgaben ist der Staat nicht länger alleinige und zentrale Steuerungsstelle. sondern . Mitspieler in einem Netz von Handelnden""
Tatsächlich werden solche partizipativen oder kooperativen Steuerungsmodelle nicht nur bei der technischen Regelsetzung durch Verbände praktiziert, sondern bei einer Fülle weiterer Steuerungsmaterien Der Gesetzgeber selbst hat beispielsweise die Fiktionen von der Einheit der staatlichen Verwaltung und einer eindeutigen Bestimmbarkeit „des öffentlichen Interesses" mit dem Baugesetzbuch aufgegeben; dies schreibt jetzt bei Planungsverfahren vor, daß verschiedene private und öffentliche Belange (im Plural) „gegeneinander und untereinander" abzuwägen sind (Paragraph lf.). Wenn die territoriale Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen (durch Parteien) einschließlich ihrer Übersetzung in Staats-und Ver-waltungshandeln nicht mehr ausreicht, um eine effektive politische Steuerung auf einem Politikfeld zu gewährleisten, ist sie zu ergänzen durch eine prozedurale Steuerung von Arenen funktionaler Repräsentation (durch Verbände) sowie reflexiver Repräsentation (mit Partizipationshilfen) der nur schwer organisierbaren Interessen
Gegenüber den klassischen Pluralismuskonzeptionen zeichnet sich das Modell der „assoziativen Demokratie“ durch einen aktiven Staat aus, der immer wieder aufs Neue dafür Sorge zu tragen versucht, daß die Konsensfindungsprozesse nicht von übermächtigen Partikularinteressen dominiert werden, sondern ein „Gemeinwohl“ produzieren, das durch den Konsens aller relevanten und annähernd chancengleich partizipierenden gesellschaftlichen Interessen definiert ist. Die staatliche Sicherstellung der Partizipationsfähigkeit der weniger organisations-und konfliktfähigen Interessen durch die bereits erwähnten Organisations-und Finanzhilfen stellt als reflexiv-prozedurale Steuerung eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Entscheidungsgremien dar. Als zweite wesentliche Voraussetzung hat der Staat durch prozedurale Steuerung im eigentlichen Sinne zu gewährleisten, daß das Steuerungsverfahren die demokratietheoretischen Minimalanforderungen erfüllt, die eine Delegation politischer Steuerungskompetenzen an privatrechtliche Institutionen zu legitimieren vermögen.
Konkret kann eine bessere Berücksichtigung der Interessen an einer sozial-und umweltverträglichen Techniksteuerung durch mehrere Maßnahmen erreicht werden. Zunächst kann der Staat eine bessere Repräsentation der öffentlichen Interessen an einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung durch die Entsendung fachlich kompetenter Vertreter in die regelsetzenden Gremien erreichen, wobei allerdings nicht nur eine Intensivierung, sondern auch eine Pluralisierung der staatlichen Beteiligung erforderlich ist. Es reicht in vielen Fällen nicht aus, nur aus einem Ressort Vertreter in die Normungsgremien zu entsenden. Vielmehr sind -analog zum Beteiligungsverfahren nach dem Baugesetzbuch -beispielsweise bei allen Normungsvorhaben, die ökologische Fragen berühren, neben den Fachressorts die Um-weltministerien zu beteiligen, die überdies mit verschiedenen technischen Behörden, insbesondere dem Umweltbundesamt, über den erforderlichen technischen Sachverstand verfügen. Ähnliches gilt bei gesundheitspolitischen Fragen für die Gesundheitsministerien und Behörden wie das Bundesgesundheitsamt, bei Fragen des Arbeitsschutzes für die Arbeitsministerien und Behörden wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Über die unmittelbare eigene Einflußnahme -als ein Mitspieler unter anderen -hinaus kann der Staat im Rahmen einer prozeduralen Steuerung eine adäquate Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung in der verbandlichen Regelsetzung verlangen. Im Grundsatz ist dies bereits 1975 durch den Normenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Institut für Normung und der damit zusammenhängenden Verfahrensnorm DIN 820 geschehen, in dem sich das DIN u. a. zur „Berücksichtigung des öffentlichen Interesses“ verpflichtet. Allerdings sind diese Regelungen als unzureichend, weil zu vage kritisiert worden
Daraus ergibt sich die Forderung, daß im Normen-vertrag und -im Falle des DIN -in der DIN 820 die Begriffe „öffentliches Interesse“ und „Gemeinwohl“ genauer zu spezifizieren wären; so wäre beispielsweise in jedem Fall das öffentliche Interesse am Umweltschutz in den Zielkatalog aufzunehmen. Darüber hinaus wäre die Berücksichtigungspflicht zu operationalisieren, beispielsweise indem eine unzureichende Berücksichtigung öffentlicher Interessen eine aufschiebende Wirkung im Schlichtungs-und Schiedsverfahren erhielte, wie dies hinsichtlich der Umweltinteressen vom Bundesumweltminister gefordert, wird.
Ebenfalls zur prozeduralen Steuerung gehört, daß der Staat für eine interessenpluralistische Zusammensetzung der relevanten Normen-und Richtlinienausschüsse sorgt. Die Grundlagennorm DIN 820 (und die analogen Bestimmungen der anderen regelsetzenden Verbände) enthält zwar bereits die Bestimmung, daß „die interessierten Kreise“ -beispielhaft genannt werden „Anwender, Behörden, Berufsgenossenschaften, Berufs-, Fach-und Hochschulen, Handel, Handwerkswirtschaft, industrielle Hersteller, Prüfinstitute, Sachversicherer, selbständige Sachverständige, Technische Über-wacher, Verbraucher, Wissenschaft“ -„in einem angemessenen Verhältnis“ vertreten sein sollen; allerdings ist in der Praxis der Regelsetzung häufig festzustellen, daß gerade die öffentlichen, kollektiven oder innovativen Interessen an sozial-und umweltverträglicher Technikgestaltung, wenn überhaupt, nur in einer Minderheit vertreten sind. Dies hängt nicht nur damit zusammen, daß die Ausschußmitglieder (beispielsweise nach der Richtlinie für Normenausschüsse im DIN) nach dem Kooptationsprinzip rekrutiert werden, sondern auch damit, daß die stark auf dem System der verbandlich organisierten Interessen aufbauende Organisation der Regelsetzungspraxis dazu führt, daß die im gesellschaftlichen Raum existierenden Unterschiede in der Organisations-und Konflikt-fähigkeit von Interessen reproduziert werden. Die für eine erfolgreiche Beteiligung an der technischen Regelsetzung benötigten Ressourcen zu mobilisieren, fällt den organisierten Verbraucher-, Umweltschutz-und z. T. auch den Arbeitnehmer-interessen weitaus schwerer als den unmittelbar vom Ertrag der Beteiligung profitierenden Wirtschaftsinteressen. Daher sind Maßnahmen zur Steigerung der Partizipationsfähigkeit der unterrepräsentierten Interessengruppen erforderlich.
Seitens der regelsetzenden Verbände ist eine erhebliche Erleichterung der Partizipationsbedingungen durch eine Erhöhung der Transparenz der Regelsetzung zu erwarten. Im Gegensatz zur gängigen Praxis (die eigentliche Normungsarbeit erfolgt nicht öffentlich; erst wenn ein Normentwurf erarbeitet worden ist, wird der interessierten Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme geboten) bestehen demokratische Minimalanforderungen an Selbststeuerungsprozesse darin, daß die Entscheider identifizierbar, die Argumente und die Entscheidungsverläufe öffentlich nachvollziehbar sind. Hierzu gehört auch die beispielsweise von Gewerkschaftsseite und vom Umweltbundesamt geforderte Verschärfung der Informationspflicht der regelsetzenden Organisationen
Zur Durchsetzung dieser prozeduralen Steuerung steht dem Staat der gesamte Kanon der Steuerungsmaßnahmen zur Verfügung, den Schuppert eingehend diskutiert hat darunter präzisere materielle Vorgaben im Rahmen der Generalklauselmethode, die Rahmengesetzgebung oder zumindest eine Verschärfung der vertraglichen Verfahrensregelung, die prozedurale Steuerung durch die staatlichen Vertreter in den Aufsichts-und Lenkungsgremien oder die finanzielle Steuerung. Ein indirekt wirksames Mittel des Staates, die regelsetzenden Verbände dazu zu bringen, die öffentlichen Interessen aus eigener Motivation hinreichend zu berücksichtigen, besteht jedoch in der Drohung mit dem allgegenwärtigen Gesetzesvorbehalt oder zumindest einem -im Bauwesen vorhandenen, auf anderen Technikfeldern einführbaren -Anerkennungsvorbehalt verbandlicher technischer Regeln. Die Drohung mit staatlicher Regulierung kann ausreichen, um die regelsetzenden Verbände zu bewegen, die öffentlichen Interessen von sich aus zu berücksichtigen und die demokratische Qualität der verbandlichen Techniksteuerung zu heben, um staatlichen Eingriffen zuvorzukommen. Der Gesetzesvorrang schwebt wie das Damoklesschwert über den technischen Verbänden -allerdings muß der Staat dafür sorgen, daß das Damoklesschwert auch scharf bleibt, d. h. er muß ein Mindestmaß an eigener technischer Kompetenz vorhalten, wie dies z. B. im Bereich des Umweltschutzes mit dem Umweltbundesamt geschieht. Gesetzesvorbehalt und Anerkennungsvorbehalt stellen im übrigen auch Kontrollinstrumente (bzw. Notbremsen) dar, um technische Regeln, bei denen sich Partikularinteressen durchgesetzt haben, ex post außer Kraft zu setzen bzw. zu korrigieren. Über die rein prozedurale Steuerung hinaus ist der Staat in einer „assoziativen Demokratie“ gefordert, für Chancengleichheit der konkurrierenden Interessen in den Arenen gesellschaftlicher Selbst-steuerung zu sorgen. Das schließt eine gezielte Verbesserung der Partizipationsfähigkeit der weniger organisations-und konfliktfähigen Interessen ein, z. B. durch Organisations-und Finanzhilfen, aber auch durch die Bereitstellung des für eine effektive Beteiligung an der verbandlichen Techniksteuerung unverzichtbaren technischen Sachverstands. Auch in dieser Gruppe von Maßnahmen gibt es durchaus eine Reihe von Ansätzen, die allerdings sämtlich quantitativ (vor allem von der Personalausstattung her) noch nicht ausreichend sind. Im Bereich direkter organisatorischer, personeller und finanzieller Unterstützung ist an erster Stelle der seit 1975 vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierte Verbraucherrat im DIN zu nennen, zu dessen Aufgaben einerseits gehört, die Verbraucherverbände auf verbraucherrelevante Normungsvorhaben aufmerksam zu machen, und andererseits, die Verbraucherverbände dabei zu unterstützen, Verbraucherinteressen in konkrete Normungsvorhaben einzubringen. Mit einer ähnlichen Konstruktion und analoger Aufgabenstellung wurde 1990 die vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit finanzierte Koordinierungsstelle Umweltschutz im DIN eingerichtet (bzw. ausgebaut). Eine vergleichbare Vertretung der Arbeitnehmerinteressen, die von den Gewerkschaften gefordert wird gibt es auf nationaler Ebene noch nicht, wohl aber auf der zunehmend an Bedeutung gewinnenden europäischen Ebene in Gestalt eines von der EG-Kommis-sion finanzierten technischen Büros zur Beobachtung arbeitnehmerrelevanter europäischer Normungsvorhaben.
Neben den organisatorischen Ansätzen zur Verbesserung der Partizipationsfähigkeit stellt die Bereitstellung des erforderlichen Sachverstands in technischen Detailfragen eine weitere wichtige Unterstützungsleistung von staatlicher Seite dar. In den fachlichen Auseinandersetzungen haben die Repräsentanten der Interessen an sozial-oder umweltverträglicher Technikgestaltung, die zudem häufig Generalisten sind, den Mitgliedern der regelsetzenden Gremien, die aus der interessierten Wirtschaft stammen und sich meist aus den Forschungs-und Entwicklungsabteilungen ihrer Unternehmen bzw. aus der Auftragsforschung mit dem aktuellsten wissenschaftlich-technischen Sachverstand zu versorgen vermögen, meist keine adäquate Kompetenz entgegenzusetzen. Um argumentative Gegenstrategien entwickeln zu können oder realistische technische Alternativlösungen in die Regelsetzung einbringen zu können, wäre es meist erforderlich, gezielten Sachverstand bereitzustellen -etwa durch Rekrutierung versierter Fachspezialisten oder durch die Vergabe von Gutachten, Forschungs-und Entwicklungsaufträgen, deren Finanzierung von staatlicher Seite übernommen werden müßte.
Auch diese Art von Maßnahmen wäre im Grundsatz nicht neu, wenngleich bis heute noch in unzureichendem Maße praktiziert: So haben etwa die Umweltschutzorganisationen die Möglichkeit, über die Koordinierungsstelle Umweltschutz im DIN auf den im Umweltbundesamt (UBA) konzentrierten Sachverstand zurückzugreifen. Darüber hinaus entsendet das UBA selber Vertreter in die Normenausschüsse. Im Rahmen des Programms „Mensch und Technik. Sozialverträgliche Technikgestaltung“ hat das Land Nordrhein-Westfalen die Aufstellung verbandlicher Regeln zur Gestaltung von Arbeit und Technik initiiert und normungsbegleitende Projekte gefördert, die laufende Normungsvorhaben evaluierten und Einsprüche gegen Normentwürfe formulierten Die bundeseigene Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, die eine umfangreiche For-schungsarbeit betreibt, hat ihre Kompetenzen ebenfalls in mehrere Normungsvorhaben zur sozialverträglichen Gestaltung von Informationsverarbeitungssystemen eingebracht. Mit dem Trend zur „entwicklungsbegleitenden Normung“ werden die Möglichkeiten des Staates, Einfluß auf technische Regelsetzungsprozesse über die öffentliche Förderung von normungsvorbereitenden und -begleitenden Forschungs-und Entwicklungsvorhaben zu nehmen, weiter steigen. Ein wichtiges Beispiel stellt die Förderung der vorbereitenden Arbeiten zur Normung der rechnerintegrierten Fertigung (CIM) durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) dar in deren Rahmen das BMFT auch die Durchführung einer Vorstudie zur Technikfolgenabschätzung der projektierten Normungsarbeiten durchgesetzt hat.
Diese Beispiele zeigen, daß eine staatlich geförderte wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung im Rahmen einer gesellschaftlichen Techniksteuerung eine durchaus wichtige Rolle spielen kann. Solche Technikfolgenabschätzungsprojekte können dazu dienen, im Vorfeld der verbandlichen Technik-steuerung die organisierten Interessen an einer sozial-und umweltverträglichen Technikgestaltung mit dem erforderlichen Sachverstand zu versorgen. Eine staatlich finanzierte Technikfolgenabschätzung hätte damit die Aufgabe, im gesellschaftlichen Aushandlungsprozeß der unterschiedlichen Interessen zur Herstellung von „Waffengleichheit“ auf dem Gebiet der wissenschaftlich-technischen Kompetenz beizutragen.
Dieses Modell unterscheidet sich vom expertokratischen Modell der Technikfolgenabschätzung darin, daß hier die Interessengebundenheit der Technikfolgenabschätzung nicht geleugnet wird, sondern, im Gegenteil, die Technikfolgenabschätzung zur Unterstützung der weniger partizipationsfähigen Interessen dient. Damit beansprucht die Technikfolgenabschätzung selber keine demokratische Legitimation; die Legitimation entsteht vielmehr im Konsensbildungsprozeß unter Beteiligung eines breiten Spektrums gesellschaftlicher Interessen, die alle über ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten verfügen
Im Rahmen einer „assoziativen Demokratie“ könnte auch den parlamentarischen Technik- folgenabschätzungsgremien (wie beispielsweise dem Ausschuß „Mensch und Technik“ im Landtag Nordrhein-Westfalen eine spezifische, politische Rolle zukommen. Die Delegation der Technik-steuerung an die regelsetzenden Verbände darf nämlich keineswegs mit einem Rückzug des Staates aus diesem Politikfeld einhergehen. Vielmehr erfordert die „assoziative Demokratie“ einen in mehrfacher Weise aktiven Staat, d. h. einen Staat, -der sich intensiv und ressortpluralistisch an der technischen Regelsetzung beteiligt, -der durch die Drohung mit dem Gesetzesvorbehalt und ggf. mit einem Anerkennungsvorbehalt eine hohe demokratische Qualität der verbandlichen Regelsetzung zu erreichen vermag, -der für Verfahrensregeln im Prozeß der technischen Regelsetzung sorgt, die eine pluralistische Interessenberücksichtigung gewährleisten, -der die Fähigkeit der weniger organisations-und konfliktfähigen Interessen zur Partizipation an der verbandlichen Regelsetzung gezielt fördert, -der die Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen an sozial-und umweltverträglicher Technikgestaltung in der verbandlichen Regel-setzung durch die Bereitstellung technischen Sachverstandes, etwa durch staatlich finanzierte Vorhaben zur Technikfolgenabschätzung, unterstützt.
Die assoziative Demokratie bedeutet damit keinen „Abschied vom Staat“. Wenn Parlament und Regierung diese Elemente einer politischen und prozeduralen Steuerung aktiv praktizieren, dürfte die gesellschaftliche Techniksteuerung einer staatlichen Techniksteuerung nicht nur unter Effektivitätsgesichtspunkten, sondern auch unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation überlegen sein.