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Die Mächte im Nahen Osten und der zweite Golfkrieg | APuZ 30-31/1991 | bpb.de

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APuZ 30-31/1991 Die Mächte im Nahen Osten und der zweite Golfkrieg Abhängigkeiten und Entwicklungschancen der arabischen Welt Die Kurden Ein Volk auf der Suche nach seiner Identität Ursprung und Entwicklung des Islam Artikel 1

Die Mächte im Nahen Osten und der zweite Golfkrieg

Helmut Hubel

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen des zweiten Golfkriegs auf die regionalen und auswärtigen Mächte im Nahen Osten. Eine Folge des Kriegs um Kuwait liegt zum einen vor allem darin, daß der territoriale Status quo ante wiederhergestellt wurde. Zweitens hat die internationale Allianz unter amerikanischer Führung mit der „gewaltsamen Abrüstung“ des Irak eine Bedrohung beseitigt, die im Grunde sämtliche Regime des Nahen Ostens betraf und die letztlich der Schlüssel für den Zusammenhalt der internationalen Koalition war. Als drittes Resultat ist festzustellen, daß sämtliche Regime -einschließlich das Saddam Husseins -den Krieg überdauerten. Somit ist zu bezweifeln, daß der Konflikt nachhaltige Wirkungen auf die „Spielregeln“ des Nahen Ostens nach sich gezogen hat. Die irakischen Ambitionen haben die Entwicklung einer neuen Konstellation von Allianzen und Rivalitäten allerdings beschleunigt. Syriens Regime erscheint vorläufig als der größte Profiteur der Umgruppierung. International bestätigt sich der Trend, daß die Sowjetunion vorläufig als wesentliches internationales Gegengewicht zu den USA ausgefallen ist. Für die USA ergibt sich daraus jedoch keineswegs automatisch ein größerer Einfluß in der Region. Vielmehr dürfte die amerikanische Weltmacht gezwungen sein, sich zur Wahrung ihres Einflusses sehr viel intensiver als bisher mit den regionalen Problemen auseinanderzusetzen. Dies betrifft als zentrale Fragen den Palästina-Konflikt und das Rüstungsproblem.

Dieser Beitrag stützt sich in wichtigen Teilen aufmeine Studie: Der zweite Golfkrieg in der internationalen Politik, Bonn 1991. Außerdem wurden Erfahrungen bei einer internationalen Konferenz des jüdisch-arabischen Zentrums der Universität Haifa! Israel Ende Mai 1991 eingearbeitet.

I. Entwicklungen nach dem Ende des irakisch-iranischen Kriegs

Als im August 1988 die Führung Irans den Weg zu einem Waffenstillstand freigegeben hatte, schien der Nahe Osten nach acht Jahren Golf-Konflikt zu einer gewissen Ruhe zu kommen. Zwar schuf der Aufstand der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten seit Dezember 1987 neue Probleme für den jüdischen Staat; die Intifada beschränkte sich jedoch weitgehend auf das von Israel kontrollierte Territorium: Sie erfaßte nicht die benachbarten arabischen Staaten und hatte keine entscheidenden weltpolitischen Auswirkungen. Angesichts des revolutionären Umbruchs in den Ländern Mittelost-Europas schien dann der Orient aus der internationalen Politik weitgehend ausgeblendet. Es war jedoch, wie sich bald erweisen sollte, die Ruhe vor dem Sturm.

Bereits im März 1988, in der letzten Phase des irakisch-iranischen Kriegs, hatten die massiven Raketenangriffe des Irak gegen Bevölkerungszentren Irans gezeigt, daß der irakische Diktator nun über die Fähigkeit verfügte, die ursprüngliche Reichweite der von der Sowjetunion gelieferten Raketen des Typs Scud-B von 280 auf knapp 600 Kilometer zu vergrößern. Damit waren nicht nur Teheran und Riad, sondern auch Tel Aviv in die Reichweite irakischer Raketen gerückt.

Seit Herbst 1989 deutete sich an, daß die Rüstungsanstrengungen Saddam Husseins die bisherige militärische Überlegenheit Israels zumindest in einigen kritischen Bereichen gefährdeten. Dies betraf nicht nur das große konventionelle Potential des Irak, etwa bei Panzern und Kampfflugzeugen. Gefährlich waren vor allem die Raketen und die chemische Rüstung Bagdads, mit denen erstmals ein arabischer Führer über die Option verfügte, die Bevölkerung Israels massiv zu bedrohen. Der Einsatz von Giftgas an der iranischen Front und gegen Kurden des eigenen Landes hatte bereits gezeigt, daß Saddam Hussein vor einem Bruch der Genfer Konvention von 1925 nicht zurückschreckte. Wohl nicht zuletzt durch Zutun israelischer Behörden wurden in den folgenden Monaten immer mehr Details der irakischen Rüstungsanstrengungen bekannt. Spektakuläre Ereignisse -wie die Ermordung des kanadischen Kanonenbauers Gerald Bull (der in Diensten Saddam Husseins stand), die Beschlagnahme von Röhren zum Bau einer „Superkanone“ und von Zündern für einen nuklearen Sprengsatz (sogenannten Krytons) -lenkten die internationale Aufmerksamkeit auf das Problem. Der irakische Diktator wiederum sah sich von einer „internationalen Verschwörung“ bedroht und unternahm dagegen spektakuläre Schritte. So ließ er den Journalisten Bazoft, der für den britischen Geheimdienst irakische Waffenlager zu erkunden gesucht hatte, hinrichten. Anschließend warnte er am 1. April 1990 Israel davor, erneut einen Präventivschlag -wie im Juni 1981 gegen das irakische Kernkraftwerk Tammuz I (Osirak) -zu unternehmen. Erstmals brüstete er sich öffentlich, daß er über binäre chemische Waffen verfüge, mit denen er „halb Israel verbrennen“ könnte.

Auch in den innerarabischen Beziehungen zeichnete sich eine wachsende Polarisierung ab. So wurde spätestens seit dem Treffen des Arabischen Kooperationsrats (ACC) im Februar 1990 deutlich, daß sich die Führungen Jordaniens, Jemens und der PLO stärker nach Bagdad auszurichten begannen. Zwar versuchte insbesondere die Führung Ägyptens, auf Saddam Hussein mäßigend einzuwirken; doch war das zu einem Zeitpunkt, da der irakische Führer auch die Vereinigten Staaten herauszufordern begann, aussichtslos.

Das Verhalten Saddam Husseins war als Ausdruck einer gefährlichen Kombination von innerer Schwäche und militärischer Stärke zu verstehen. Der Ausgang des Kriegs gegen Iran hatte dem Irak trotz aller Propaganda keinen klaren Sieg beschert. Das Bagdader Regime war mit annähernd 80 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet. Der niedrige Ölpreis und das Förderverhalten anderer OPEC-Staaten, nicht zuletzt Kuwaits und der Vereinigten Arabischen Emirate, ließen keine rasche Einkommenssteigerung erwarten. Die irakische Bevölkerung, die im Krieg gegen Iran einen fürchterlichen Blutzoll geleistet hatte, und die Klientel des Baath-Regimes sahen statt der versprochenen Früchte des Siegs nur wachsenden Mangel und Probleme. So lag es nahe, daß Saddam Hussein versuchen würde, durch Steigerung der äußeren Spannungen von der inneren Krise abzulenken.

Aus der revolutionären Veränderung in Europa und im Verhalten der nuklearen Supermächte zog Saddam Hussein bereits im Februar 1990 den Schluß, daß die Sowjetunion nicht mehr der „Hauptstreiter für die Araber“ sei. Das bedeutete jedoch auch, daß die Führung in Moskau noch weniger als früher in der Lage sein würde, auf den Irak in irgendeiner Form dämpfend einzuwirken. Der irakische Führer ging jedoch noch weiter und schickte sich an, das Ende der Supermächte-Rivalität für sich am Golf auszunutzen. Seine Forderung an die Amerikaner, alle ihre Schiffe abzuziehen, bedeutete nichts anderes, als daß er selbst jetzt eine dominierende Rolle zu spielen wünschte. Gegenüber Israel verschärfte er die Spannungen vor allem mit dem Ziel, die arabischen Führer und „Massen“ hinter sich zu scharen.

Die amerikanische Regierung verfolgte die irakisch-israelischen Spannungen und die Gewichtsverschiebungen unter den arabischen Staaten mit Aufmerksamkeit. Die Politik der Regierung Bush sah vor, auf das irakische Regime mittels Kooperation dämpfend einzuwirken. Anders als vom Kongreß gefordert, hatte die Regierung in Washington den Einsatz von Giftgas gegen die Kurden im Jahr 1988 nicht mit harten Sanktionen beantwortet. Dieser kooperative Ansatz scheiterte jedoch gegenüber einem Diktator, der meinte, mit Hilfe eines „Befreiungsschlags“ einen Großteil seiner Probleme lösen zu können.

Das denkwürdige Gespräch Saddam Husseins mit der amerikanischen Botschafterin April Glaspie am 25. Juli 1990, knapp eine Woche vor seiner Aggression, verschaffte ihm in einem zentralen Punkt Klarheit: Es gab keine amerikanische Schutzgarantie für Kuwait. Der irakische Führer hatte sich niemals längere Zeit im Westen aufgehalten. Er stützte sein Urteil über die USA auf die Erfahrungen der achtziger Jahre, in denen zwei amerikanische Präsidenten durch die Geiselkrisen in Iran und Libanon verunsichert worden waren und stets gezögert hatten, sich im Nahen Osten militärisch massiv zu engagieren. Er rechnete offensichtlich nicht damit, daß ihm die USA nach seiner geplanten Einverleibung Kuwaits entschlossen entgegentreten würden.

II. Die militärische und politische Bedeutung des Kriegs um Kuwait

Der Konflikt, der am 2. August 1990 begann und am 28. Februar 1991 mit der Waffenruhe endete, verlief in fünf Phasen. Die irakische Eroberung Kuwaits beantwortete der amerikanische Präsident binnen fünf Tagen mit der Entsendung von zunächst mehr als 200000 Soldaten. Dieser defensive Aufmarsch vor allem zum Schutz Saudi-Arabiens ging Anfang November 1990 in eine offensive Anordnung über, als Präsident Bush mehr als eine Verdoppelung des Aufgebots verfügte. Nach Ablauf des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gesetzten Ultimatums unternahmen die westlichen Mitglieder der internationalen Militärallianz mehr als fünf Wochen andauernde Luftangriffe gegen Befehlszentralen, militärische Einrichtungen und insbesondere Forschungs-und Produktionsanlagen für nichtkonventionelle Waffen. Schließlich bewirkte die alliierte Landoperation binnen 100 Stunden die Vertreibung der irakischen Truppen aus Kuwait.

Indem Präsident Bush nur kurz nach der irakischen Aggression beschloß, weit mehr als nur eine symbolische Abschreckungsmacht nach Saudi-Arabien zu entsenden, demonstrierte er seine Entschlossenheit, Saddam Husseins Vorgehen nicht hinzunehmen. Das massive Truppenaufgebot bewirkte innerhalb weniger Wochen eine glaubhafte militärische Abschreckung vor weiteren Übergriffen. Andererseits hatte dieser schnelle militärische Einsatz die politische Konsequenz, daß Bemühungen um eine diplomatische Beilegung der Krise kaum Erfolgschancen hatten. Wie Frankreichs Präsident Mitterands Äußerung von der „Logik des Krieges“ früh andeutete, ließ der massive alliierte Truppenaufmarsch Saddam Hussein nur den einen Ausweg, sich vollständig und bedingungslos zurückzuziehen.

Andererseits hätte selbst ein vollständiger irakischer Rückzug ein Problem nicht beseitigt, das für Präsident Bush im Verlauf der Krise immer mehr zur zentralen Frage wurde: das irakische Militär-potential und insbesondere die Rüstungsanstrengungen im Bereich der ABCund Raketenwaffen. Die amerikanische Sorge um die Ölzufuhr aus der energiereichsten Region der Erde war sicher ein wichtiges Motiv. Entscheidend war jedoch die machtpolitische Herausforderung des irakischen Führers, die Israel, die arabischen Golfstaaten, Iran, Ägypten und Syrien gleichermaßen betraf. Sie war letztlich der Schlüssel für den Zusammenhalt der internationalen Militärkoalition, an der auch einflußreiche arabische Staaten mitwirkten.

Der Kriegsplan, den die Führung der USA Ende Oktober 1990 im wesentlichen festgelegt hatte und dann in Abstimmung mit den Alliierten verwirklichte, war genau auf die amerikanischen Bedürfnisse zugeschnitten: Die Militäroperation sollte so massiv und schnell wie nur möglich erfolgen, und sie sollte möglichst geringe eigene Opfer fordern. So perfekt der Plan auch ausgeführt wurde, so nahm er doch zwei schwerwiegende Folgen in Kauf: Die massiven Luftangriffe zerstörten auch die Elektrizitäts-und Wasserversorgung für die Bevölkerung in den wichtigen irakischen Städten. Die Zivilbevölkerung, die ausdrücklich nicht als Feind galt, hatte so zumindest indirekt schwere Opfer zu bringen. Zweitens ließ der Plan des amerikanischen Oberbefehlshabers Norman Schwarz-kopf den irakischen Truppen in Kuwait fünf Wochen Zeit, um mit der Entzündung kuwaitischer Ölfelder und dem Einleiten von Öl ins Meer einen bislang nicht erlebten ökologischen Krieg zu führen. Die sehr geringen Opfer unter den alliierten Truppen wurden so mit einer Umweltkatastrophe erkauft, deren globale Folgen nicht abzuschätzen sind.

III. Die Rolle der Sowjetunion und die Auswirkungen auf die Beziehungen der Weltmächte

Vor 1987 wäre es nicht vorstellbar gewesen, daß sich die sowjetische Führung von ihrem langjährigen Alliierten in Bagdad so eindeutig distanzieren würde. Seit dem Freundschaftsvertrag von 1972 war der Irak zu einem der wichtigsten Partner der UdSSR in der Dritten Welt aufgestiegen. In finanzieller Hinsicht war er wahrscheinlich der wichtigste. So hatte die Sowjetunion allein in den Jahren 1982-1989 Waffen im Wert von 22 Milliarden US-Dollar nach Bagdad verkauft. Ein Großteil war in bar (in US-Dollar) oder durch irakische Öllieferungen bezahlt worden. Zu Beginn der Krise schuldete der Irak der Sowjetunion dafür auch noch etwa 8 bis 10 Milliarden US-Dollar

Ungeachtet dieser engen Beziehungen distanzierte sich der sowjetische Außenminister Eduard A. Schewardnadse eindeutig und nachhaltig von der irakischen Aggression. Bereits am 3. August veröffentlichte er zusammen mit seinem amerikanischen Amtskollegen James Baker eine Erklärung, in der beide Großmächte Bagdads Vorgehen kategorisch verurteilten. Die sowjetische Bereitschaft, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrere Resolutionen und harte Sanktionen gegen den Irak zu verabschieden, war wohl der Schlüssel für die bisher einmalige internationale Zusammenarbeit. *

Aus Rücksicht auf die im Irak festgehaltenen Ausländer (darunter mehr als 8000 Sowjetbürger), aber auch aus innenpolitischen Erwägungen, suchte die sowjetische Führung die Krise ohne weiteren Einsatz von Gewalt zu lösen. Das „AfghanistanTrauma“ in der sowjetischen Bevölkerung, die Rücksicht auf die mehr als 50 Millionen muslimischen Bewohner der südlichen Unionsrepubliken und die klare Haltung der Militärführung schlossen für Präsident Gorbatschow eine Beteiligung an militärischen Aktionen gegen den Irak aus. Außenminister Schewardnadse hatte vor seiner Zustimmung zur denkwürdigen UN-Resolution Nr. 678, die den Militäreinsatz autorisierte, eine entsprechende Andeutung gemacht. Ihm ging es jedoch vor allem darum, die Amerikaner und Briten in eine Operation der Vereinten Nationen einzubinden. Wie bereits 1987 (im Zusammenhang mit der Umflaggung kuwaitischer Öltanker und ihrem militärischen Schutz) schlug Schewardnadse vor, das bisher nie beanspruchte militärische Stabskomitee der Vereinten Nationen mit der Verantwortung für die Militäraktion zu betrauen. Damit wäre die politische Verantwortung für das Unternehmen vom amerikanischen Präsidenten auf den Sicherheitsrat verlagert worden. Zu einem derartigen revolutionären Schritt waren indes weder die USA noch andere Mitglieder des Sicherheitsrats bereit. Zwar stimmte die Sowjetunion der faktischen Ermächtigung der USA und ihrer Partner zum Militäreinsatz schließlich zu; das sowjetische Verhalten im weiteren Verlauf der Krise war jedoch nicht eindeutig. Parallel zur UN-Diplomatie des Außenministers unternahm der persönliche Beauftragte des Präsidenten und Nahost-Experte Jewgeni M. Primakow mehrere Reisen in den Irak, um in direkten Gesprächen mit Saddam Hussein nicht nur die bilateralen Fragen zu lösen, sondern auch die Krise friedlich beizulegen. So war es kein Zufall, daß sich Primakow öffentlich gegen die UN-Resolution Nr. 678 mit dem Argument aussprach, man dürfe den irakischen Führer nicht in die Enge drängen und müsse ihm einen Ausweg ohne Gesichtsverlust ermöglichen.

Primakow vertrat die Interessen der sowjetischen „Arabien-Lobby“ -darunter nicht zuletzt auch der Militärs und des militärindustriellen Komplexes -und den Anspruch Moskaus, im Nahen Osten weiterhin eine maßgebende politische Rolle zu spielen. Hätten seine und Gorbatschows Vermittlungsbemühungen im Februar 1991 zum Erfolg geführt und die alliierte Landoperation abgewendet, hätte die sowjetische Führung wohl einen bedeutenden Prestigeerfolg errungen. So war es bemerkenswert, daß die Sowjetunion einerseits die Beschlüsse der internationalen Koalition mittrug, andererseits zwischen Bagdad und Washington zu vermitteln suchte. Bereits am 29. Januar konnte es die sowjetische Diplomatie unter dem neuen Außenminister Alexander Bessmertnych als Erfolg verbuchen, daß die USA erstmals seit 1977 der Sowjetunion wieder offiziell eine führende politische Rolle im Nahen Osten zugestanden. Als Gegenleistung widersetzte sich die sowjetische Führung schließlich nicht entscheidend dem militärischen Vorgehen der Allianz gegen Saddam Hussein. Nach Ende der Kämpfe waren Bessmertnych und Gorbatschow demonstrativ bemüht, die Irritationen auszuräumen, die in den Wochen zuvor bei der amerikanischen Regierung entstanden waren.

Nach der gemeinsamen Nahost-Erklärung von 1977 hatte die Sowjetunion ihre erhoffte Rolle nicht wahrzunehmen vermocht, denn der ägyptische Staatspräsident Anwar al-Sadat ermöglichte bald darauf mit seiner Reise nach Jerusalem den Frieden mit Israel unter alleiniger amerikanischer Mitwirkung. Erst nach dem Ende des kalten Krieges konnte Moskau erwarten, daß es angesichts der grundsätzlich verbesserten Beziehungen zu Washington bei den Bemühungen um eine „Nachkriegsordnung“ im Nahen Osten nicht wieder ausgeschlossen würde. Tatsächlich zeigten die Nahost-Reisen Bakers und Bessmertnychs im April und Mai 1991, daß die nuklearen Supermächte nun auch im Nahen Osten eng zusammenarbeiteten.

Die bilaterale amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit und die enge Abstimmung der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, bewährte sich auch nach Einstellung der Kämpfe an der irakisch-kuwaitischen Front. Mit Rücksicht auf das Mandat der UN, aber auch aus anderen grundsätzlichen Erwägungen verfügte der amerikanische Präsident am 28. Februar die Einstellung der Kämpfe. Die Alliierten stießen nicht bis Bagdad vor; sie unterließen es, Saddam Hussein zu stürzen.

Die Resolution Nr. 687 des UN-Sicherheitsrats vom 3. April sanktionierte dann ausdrücklich das alliierte Kriegsziel, den Irak „gewaltsam abzurüsten“. Als Bedingung für einen formellen Waffenstillstand verlangte das Gremium vom Irak nicht nur eine eindeutige Grenzregelung mit Kuwait, es erließ detaillierte Bestimmungen zur Zerstörung von nichtkonventionellen Waffen und von Raketen mit einer Reichweite von mehr als 150 Kilometern. Außerdem half der Sicherheitsrat mit seiner Resolution Nr. 688 vom 5. April, den Folgen der kurdischen Massenflucht zu begegnen.

Der Aufstand der Schiiten und Kurden des Irak war -nach den Opfern für die Zivilbevölkerung und der Umweltkatastrophe -die dritte nicht vorhergesehene Folge der alliierten Militäroperation gegen Saddam Hussein. Am menschlichen Elend der kurdischen Flüchtlinge wurden vor allem die Grenzen einer Realpolitik sichtbar, die zwar sorgfältig die innenpolitischen Bedingungen in den USA und die Interessen wichtiger Alliierter berücksichtigte, die Folgen des Vorgehens für den Irak aber ignorierte. So konnte nach der Schwächung des Terrorregimes von Saddam Hussein der Aufstand der bisher unterdrückten Bevölkerungsgruppen erwartet werden, zumal Präsident Bush die Hoffnung geäußert hatte, das „irakische Volk“ werde sich selbst des Diktators entledigen. Die Entscheidung der Alliierten, Saddam Hussein nicht an der blutigen Niederschlagung des Aufstands zu hindern, riskierte dann jedoch nichts anderes, als einen versuchten Völkermord zu dulden. Angesichts der internationalen Proteste sahen sich die amerikanische und die westeuropäischen Regierungen veranlaßt, zum Schutz und zur Ver-sorgung der kurdischen Flüchtlinge Truppen in die Türkei und in den Norden des Irak zu entsenden. Auch Deutschland beteiligte sich an dieser huma-nitären Aktion mit Truppen, die mit Zustimmung der Regierung Irans nun sogar auf einem Territorium „außerhalb der NATO“ operierten.

IV. Der Krieg um Kuwait und die regionale Mächtekonstellation

So massiv die militärischen Operationen und durchschlagend ihre Folgen auch waren -der Krieg um Kuwait hat das politische Gefüge des Orient nur momentan erschüttert, jedoch keineswegs geändert. Aus regionaler Sicht war der Konflikt der Kulminationspunkt einer erheblichen Verschiebung von Allianzen und Rivalitäten. Der Krieg hat das „alte Spiel“ wechselnder Partnerschaften keineswegs beendet, sondern diese nur in eine neue Konstellation gebracht.

Seit dem Ende des irakisch-iranischen Kriegs zeichnete sich diese Umgruppierung bereits ab. Im neu gegründeten Arabischen Kooperationsrat (ACC) arbeiteten mit Ägypten, Jordanien, Jemen und dem Irak wichtige arabische Führungen zusammen, die sich nicht am Golf-Kooperationsrat (GCC) beteiligen und so allenfalls indirekt vom Ölreichtum seiner Mitglieder profitieren konnten. Syrien, das im Krieg Iran unterstützt hatte, drohte durch das neue regionale Bündnis noch weiter isoliert zu werden. Ägyptens Führung beobachtete den zunehmend konfrontativen Kurs des Irak mit Sorge, suchte aber auch weiterhin, Saddam Hussein zu mäßigen. Gleichzeitig deuteten die ägyptisch-syrischen Begegnungen auf hoher Ebene an, daß Damaskus mit Hilfe Kairos einen Ausbruch aus der Isolation anstrebte. Umgekehrt orientierten sich die Führungen Jordaniens, des vereinigten Jemen und der PLO stärker an Bagdad. Iran unter der Führung von Präsident Rafsanjani konzentrierte sich auf die inneren Probleme und bemühte sich zugleich um eine allmähliche Normalisierung seiner politischen Beziehungen zur Außenwelt. Israel, das während des ersten Golfkriegs fast acht Jahre Atempause im Konflikt mit seinen arabischen Nachbarn genossen hatte, sah sich wieder verstärkt in die regionalen Entwicklungen involviert. Die irakische Intervention in Kuwait gab diesen Tendenzen zur Umgruppierung den wesentlichen Anstoß.

Sie führte zur Spaltung der Arabischen Liga und begrub damit die zu Anfang der Krise von einigen regionalen Führungen noch gehegte Hoffnung, eine „arabische Lösung“ zustande bringen zu können. Die Führung Syriens nutzte aber entschlossen die „Gunst der Stunde“, um ihre Isolation zu beenden. Präsident Assads Schachzug war es, seine bisherige Rolle mit dem Irak zu tauschen Durch seine militärische Hilfe für das bedrängte Saudi-Arabien vermochte er außerdem zusätzliche finanzielle Leistungen der ölreichen Golf-Staaten zu mobilisieren. Schließlich verstand er es, sich seine Mitwirkung an der internationalen Koalition gegen Saddam Hussein insbesondere von der amerikanischen Regierung dadurch „bezahlen“ zu lassen, daß er nun im Libanon weitgehend freie Hand erhielt. Der christliche Militärführer Michael Aoun, der sich zuletzt gegen die syrische Dominanz gestellt hatte, gab in Ermangelung weiterer irakischer Waffen und amerikanischer politischer Rückendeckung bald danach auf. Am 17. Mai 1991 -genau acht Jahre nach dem (später wieder gekündigten) israelisch-libanesischen Vertrag von 1983 -krönte Assad seine Hegemonie durch einen „Freundschaftsvertrag“ mit der libanesischen Regierung. Auch Ägyptens Führung hoffte, durch ihr militärisches Engagement in Saudi-Arabien langfristige politische Bindungen zu den Staaten des Golf-Kooperationsrats zu errichten und davon in Form von wirtschaftlicher Hilfe und der Beschäftigung ägyptischer Arbeitskräfte zu profitieren. Für die Regime Saudi-Arabiens und Kuwaits war die Beteiligung vor allem Ägyptens und Syriens an der internationalen Militärkoalition ein wesentlicher politischer Faktor. Sie hofften, sich damit in der arabischen Welt dafür rechtfertigen zu können, daß sie die USA und andere westliche Mächte um militärische Hilfe ersucht hatten. Der „ 2 + 6“ -Gip-fel vom 5. /6. März 1991, als die Regierungen Ägyptens, Syriens und der sechs GCC-Mitglieder die Kriegsallianz bekräftigten, schien die neue regionale Mächtekonstellation festzuschreiben. Indes signalisierte die spätere Entscheidung von Ägyptens Präsident Mubarak, die Hälfte seiner Truppen vom Golf zurückzuziehen, daß wohl nicht alle der weitreichenden Hoffnungen Kairos erfüllt würden. Syriens Präsident dürfte andererseits die weitere Präsenz seiner Truppen benutzen, um die Spenden-bereitschaft Saudi-Arabiens zu fördern. Assad ging auch gleich daran, sich von Nordkorea Raketen des Typs Scud-C zu verschaffen -Waffen, die wesentlich zielgenauer waren als die irakischen Raketen. Er nutzte so den Konflikt auf allen Ebenen, um seine Machtposition zu stärken. Möglicherweise wurden dadurch bereits verschärfte Spannungen zwischen Israel und Syrien eingeleitet.

Jordanien, Jemen und die Führung der PLO mußten ihre bedingte Förderung Saddam Husseins politisch und wirtschaftlich teuer bezahlen. Da Amman, Sanaa und Yassir Arafat in absehbarer Zeit auf wichtige Finanzleistungen der ölreichen Golfstaaten verzichten müssen, wird der Druck in ihren Ländern bzw. innerhalb der PLO wohl noch zunehmen. Die amerikanische Regierung, die Jordaniens König zunächst durch Ignorierung bestrafte, wird diese Haltung wohl nicht auf Dauer aufrechterhalten. Insbesondere der amerikanische Kongreß dürfte aber geneigt sein, künftige Hilfe für Jordanien nur dann zu leisten, wenn sich der König auf die amerikanischen Vorstellungen zur Lösung des Palästina-Konflikts einläßt. Der überraschende diplomatische Vorstoß des jordanischen Königs Hussein Anfang Juni 1991, seine Forderung eines Abbaus bestehender Tabus im arabisch-israelischen Umgang, die umgehend eine Einladung des Herrschers nach Israel zur Folge hatte, ist wohl in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Eine radikale Neuordnung der regionalen Beziehungen konnte schon deshalb nicht erfolgen, da Saddam Hussein nicht gestürzt wurde. Die Führungen Irans, der Türkei und wohl auch der meisten arabischen Länder zogen es vor, sich mit einem stark geschwächten, aber territorial erhaltenen Irak weiter auseinanderzusetzen. Sie wollten nicht die Risiken eingehen, die sich aus einer Zersplitterung der Macht und einem möglichen Zerfall dieses Landes ergeben könnten. Der Krieg hat so zum Ergebnis, daß der regionale Status quo ante -in Form aller Regime und der bestehenden Grenzen -bekräftigt wurde.

Während der Kuwait-Krise hatte Saddam Hussein unter anderem den Palästina-Konflikt zu nutzen versucht, um von seiner Agression abzulenken und die internationale Koalition zu spalten. Mit seinen Raketenangriffen auf israelische Bevölkerungszentren bezweckte der irakische Führer, den Charakter des Konflikts neu zu definieren und die Bevölkerungen derjenigen arabischen Länder zu mobilisieren, deren Regime gegen ihn auftraten. Israel schlug jedoch nicht zurück. Der israelische Verteidigungsminister Moshe Arens fürchtete zwar, das Ausbleiben eines israelischen Gegen-schlags könnte Israels bisherige Abschreckungsdoktrin grundsätzlich schwächen. Andererseits war jedoch klar, daß sich nun die USA selbst engagierten, um eine möglicherweise tödliche Bedrohung für Israels Zivilbevölkerung zu bekämpfen. Wichtig war außerdem, daß während der Krise erstmals amerikanische Soldaten, die Einheiten der Patriot-Abwehrraketen, in und für Israel kämpften.

Ähnlich hielt es auch die Führung Irans für das Beste, stillzuhalten, während die Alliierten das Geschäft besorgten, dem hochgerüsteten Nachbarn die gefährlichsten Waffen aus der Hand zu schlagen. Für den türkischen Präsidenten Turgut Özal bot die Krise -trotz schwerer Bedenken seiner Militärführung -die Gelegenheit, internationales Profil zu zeigen und sich, ohne eigene Truppen einzusetzen, an der Seite der Sieger zu engagieren. Indem er den USA die Nutzung türkischer Basen gestattete, vermochte er in Washington die strategische Bedeutung seines Landes erneut zu demonstrieren -eine Rolle, welche die türkische Führung mit dem Ende des Ost-West-Konflikts bereits als verloren gesehen hatte. Die amerikanische Führung war im Gegenzug bereit, diese Unterstützung -die ihr Luftangriffe auch vom Norden aus ermöglichte -gebührend zu honorieren. Daß Präsident Bush zunächst zögerte, auf die Massenflucht der Kurden zu reagieren, hängt wohl nicht zuletzt mit der Begegnung Bushs mit Özal vom März 1991 in Camp David zusammen. Bekanntlich hat nicht nur der Irak, sondern auch die Türkei ein kurdisches Problem.

Angesichts der geringen Veränderungen durch den Krieg besteht aus regionaler Sicht wenig Anlaß zur Hoffnung, daß jetzt der arabisch-israelische und der israelisch-palästinensische Konflikt leichter gelöst werden könnten. Ebenso bleibt offen, wie in der Golfregion eine künftig stabilere „Friedensordnung“ errichtet werden kann.

V. Die Rolle der auswärtigen Mächte

Der zweite Golfkrieg gab für die Weltpolitik wichtige Aufschlüsse. Verlauf und Ergebnis dieses Konflikts haben bestätigt, was in den zwei vorauf-gegangenen Jahren in Europa und in eigenen Regionen der „Dritten Welt“ bereits zu verzeichnen war: Die Sowjetunion ist als international hand-lungsfähige Großmacht weitgehend ausgefallen. Die Führung in Moskau hat zwar mit diplomatischen Mitteln versucht, auf den Verlauf des Kriegs Einfluß zu nehmen. Als es zur Entscheidung kam, hat sie sich aber der internationalen Allianz unter Führung der USA nicht entgegengestellt und hat ihren früheren Partner Irak nicht entscheidend unterstützt.

Der Ausfall der Sowjetunion als Gegengewicht zu den USA hat im Nahen Osten jedoch keineswegs zur Folge, daß die einzig verbliebene Weltmacht nun weitgehend unumschränkt die Entwicklungen dominieren könnte. Das Ende des Ost-West-Konflikts auch im Orient scheint vielmehr zwei andere wesentliche Konsequenzen zu haben. Einerseits sind die USA von der sowjetischen Herausforderung zu einem erheblichen Teil befreit. Sie sehen deshalb die Probleme der Region nicht mehr aus der Perspektive des bisherigen weltpolitischen Konflikts. Andererseits bedeutet dies jedoch, daß sich die verbliebene Weltmacht sehr viel mehr als bisher auf die Probleme des Nahen Ostens einlassen muß, will sie dort weiter einen bestimmenden Einfluß ausüben. Wie das Beispiel des Irak Washington gelehrt hat, können in der Welt nach dem Kalten Krieg grundlegende Interessen der USA auch aus Krisenregionen unmittelbar und massiv gefährdet werden.

Die regionalen Mächte haben den weltpolitischen Umbruch sehr, genau wahrgenommen und ziehen daraus ihre eigenen Schlußfolgerungen. Konnten sie früher das weltpolitische Spannungsfeld ausnutzen, um sich durch Anlehnung an eine der Weltmächte von ihnen Schutz oder Privilegien zu verschaffen, so ist jetzt dieser Hebel weitgehend entfallen. Ihr Hauptansprechpartner sind jetzt die USA, die politische und militärische Hilfe vor allem nach dem Kriterium vergeben werden, inwieweit die betreffende Regierung zur Wahrung amerikanischer und westlicher Interessen in der Region beiträgt. Ein beschränkender Faktor ist jedoch, daß angesichts des ungünstigen wirtschaftlichen Zustands der USA die amerikanischen Kapazitäten zur wirtschaftlichen Hilfe sehr begrenzt sind. Daraus ergibt sich das amerikanische Anliegen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich andere auswärtige Mächte zu beteiligen. 1. Die USA Der Regierung Bush war daran gelegen, den zweiten Golfkrieg rasch zu beenden. Ein durchschlagender Sieg sollte sicherstellen, daß die amerikanischen Truppen nicht die Erfahrung ihres Einsatzes in Vietnam wiederholen müßten und auf unabsehbare Zeit in der arabischen Wüste festgehalten würden. Ein Sieg, der den „arabischen Stolz“ nicht zu stark verletzte, sollte sicherstellen, daß Washington auch künftig im Bündnis mit wichtigen Regimen seine Interessen wahren könnte. So drangen die alliierten Truppen nicht bis Bagdad vor und stürzten Saddam Hussein nicht.

Der Aufstand der Schiiten und Kurden im Irak, seine Niederschlagung durch das Bagdader Regime und das daraus resultierende Flüchtlingselend erwiesen sich jedoch als der erste massive „Störfaktor“ für die amerikanischen Pläne zur Schaffung einer „Nachkriegsordnung“ im Nahen Osten. Die Umrisse der geplanten Ordnung hatte Präsident Bush bereits sechs Tage nach Einstellung der Kampfhandlungen am 6. März 1991 angedeutet. In seiner Rede proklamierte der amerikanische Präsident vier wesentliche Ziele.

Erstens rief er die Freunde und Verbündeten der USA in der Region auf, Vereinbarungen zu treffen, um die künftige Sicherheit zu garantieren. Zweitens versprach er, „unermüdliche Anstrengungen“ zu unternehmen, um den Palästina-Konflikt in allen wesentlichen Aspekten -also das Palästinenserproblem und Israels Verhältnis zu seinen Nachbarn -zu lösen. Drittens forderte er, das Problem der Rüstung im Nahen Osten, insbesondere im Bereich der ABC-Waffen und der Raketen, anzugehen. Viertens schlug er vor, sich den wirtschaftlichen Problemen der Region zuzuwenden. Die Grundvorstellung war, den militärischen Erfolg und seine vermeintlichen Wirkungen zu nutzen, um unter amerikanischer Führung den zentralen regionalen Konflikt zu beseitigen, die militärische und wirtschaftliche Lage zu stabilisieren und damit die größten Gefahren für die Aufrechterhaltung des Status quo einzudämmen.

Im April und Mai 1991 unternahm Außenminister Baker in kurzer Folge vier Reisen in die Region, um in intensiven Gesprächen mit den wichtigsten Akteuren den Weg für einen Durchbruch im Palästina-Konflikt zu bereiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Baker sich darauf beschränkt, in Telefongesprächen von Washington aus mit den Parteien zu sprechen und im übrigen darauf zu warten, bis die Zeit für einen Vorstoß „reif 4 sein würde. Er hatte damit sicherzustellen versucht, daß er sich nicht durch spektakuläre Schritte unter Erfolgszwang setzen würde. Dem texanischen Rechtsanwalt Baker ging es vor allem auch darum, sich bei außenpolitischen Vorhaben stets der Rük-kendeckung der Wortführer im amerikanischen Kongreß zu versichern. Der Krieg zwang Bush und Baker jedoch, sofort die Initiative zu ergreifen. Das Konzept des Außenministers sah vor, durch Gespräche mit allen wichtigen Konfliktparteien einen Verhandlungsprozeß in Gang zu setzen, in dessen Verlauf die unterschiedlichen Ausgangspositionen einander immer mehr angenähert werden sollten. Das grundsätzliche Problem war jedoch, daß die amerikanische Regierung davon ausging, daß der Krieg eine neue Lage und somit bessere Chancen für einen Durchbruch geschaffen habe. Demgegenüber schienen insbesondere die Führungen Syriens und Israels darauf zu beharren, daß der zweite Golfkrieg am Palästina-Konflikt nichts Grundsätzliches geändert habe.

Israels von der Likud-Partei geführte Regierung wollte sich nicht auf einen Verhandlungsprozeß einlassen, der am Ende einen Rückzug Israels aus besetzten Gebieten zur Folge haben würde. Demgegenüber forderte der amerikanische Außenminister -in Übereinstimmung mit arabischen Regierungen und Sprechern der Palästinenser -„Land gegen Frieden“ zu tauschen. Dies war die alte Forderung der UN-Resolutionen Nr. 242 (von 1967) und 338 (von 1973). Der Likud und seine Koalitionspartner erklärten diese Forderung jedoch mit dem israelischen Rückzug vom Sinai (nach dem israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979) für bereits erfüllt. „Judäa und Samaria" gelten ihnen als Teil von Groß-Israel, und sie erklärten eine Abtretung dieser Gebiete als grundsätzlich nicht verhandelbar. Ministerpräsident Shamir wollte sich so auch nicht auf eine periodisch tagende internationale Konferenz einlassen, in deren Verlauf insbesondere die Vereinten Nationen und die Europäer zusammen mit den arabischen Regierungen Israel weitgehende Zugeständnisse abringen könnten. Er suchte vielmehr, den internationalen Rahmen zu begrenzen und sich vor allem bilateralen Friedensverhandlungen mit arabischen Staaten zuzuwenden.

Aber auch bei den arabischen Gesprächspartnern stieß Baker rasch auf Widerstand. Während der amerikanische Außenminister in langen Gesprächen mit dem syrischen Präsidenten die „neue Lage“ beschwor, belehrte ihn Assad, daß sich an dem alten Konflikt im Grunde nichts geändert habe. Er verlangte weiter eine internationale Konferenz, die zum Ergebnis haben müsse, daß sich Israel aus allen 1967 eroberten Gebieten zurückziehen müsse.

Die Palästinenser spielten in dieser Phase eine eher untergeordnete Rolle. Als Folge des zweiten Golfkriegs war die Position der PLO nach den Sympathiebekundungen Jassir Arafats für Saddam Hussein zunächst erheblich geschwächt. Die amerikanische Regierung sah keinen Grund, den 1990 bereits vor dem Krieg abgebrochenen Dialog wiederaufzunehmen. Sie legte sich öffentlich darauf fest, daß am Ende der Verhandlungen kein unabhängiger Palästinenserstaat entstehen würde. Diese Haltung entsprach wohl der fast aller beteiligten Regierungen.

Ende Mai 1991 war noch nicht abzusehen, wohin die diplomatischen Bemühungen führen würden. Bushs und Bakers Ansatz war zunächst sehr viel breiter und ehrgeiziger als der früherer amerikanischer Regierungen, die meist Teillösungen als Zwischenschritte angestrebt hatten. Denkbar war jedoch, daß die Regierung Bush zur Politik der kleinen Schritte zurückkehren würde, sollte sich das Vorhaben einer Gesamtlösung nicht verwirklichen lassen.

Zum zweiten zentralen Vorhaben, der regionalen Rüstungsbegrenzung, unterbreitete Präsident Bush Ende Mai konkretere Vorschläge. Das Konzept zielte vor allem auf internationale Schritte zur Begrenzung der nichtkonventionellen und Rake-ten-Rüstung, während es im Bereich der konventionellen Waffen nur Richtlinien für eine Export-begrenzung vorsah. Das grundsätzliche Problem war, daß die amerikanische Regierung einerseits zwar die potentiell gefährlichsten Waffensysteme unter Kontrolle zu bringen wünschte, daß sie andererseits aber nicht auf die Möglichkeiten verzichten wollte, regionale Partner durch Waffenlieferungen weiter zu unterstützen und'dadurch politisch Einfluß auszuüben. Schließlich hatte Saudi-Arabien bereits den Wunsch nach großen Waffen-käufen in den USA geäußert, die für die bedrängte amerikanische Rüstungsindustrie von beträchtlichem Interessen waren.

Aber auch bei anderen Regionalmächten scheint das Streben nach neuen Waffen ungebrochen. Eine Erfahrung des Golfkriegs war, daß Israel den irakischen Raketen nichts Entscheidendes hatte entgegensetzen können. Die neuen Raketen für Syrien und Israels intensivierte Bemühungen um Herstellung einer effektiven Raketenabwehr (mit Hilfe des amerikanisch-israelischen Arrow-Programms) lassen fragen, ob der Konflikt am* Golf die regionalen Rüstungsambitionen nicht noch eher beschleunigt, als daß er sie gedämpft hat. So bleibt abzuwarten, ob die Abrüstungsmaßnahmen in den Waffenstillstandsbedingungen für den Irak tatsächlich der Beginn eines regionalen Prozesses zur Rüstungskontrolle sein werden. 2. Die Sowjetunion Die Nahost-Reise von Alexander Bessmertnych führte im Mai 1991 zum erstenmal einen sowjetiB sehen Außenminister kurz nach Israel. Wenigstens im Bereich der Diplomatie unterstrich Moskau damit, daß es weiterhin eine wichtige Rolle zu spielen beabsichtigt. Die sowjetische Führung kann dabei auf die Zustimmung Washingtons bauen, denn erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg unterstützen die USA explizit und grundsätzlich eine politische Mitwirkung Moskaus im Nahen Osten.

Nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs ist jedoch zu fragen, welchen besonderen Beitrag die sowjetische Führung noch zu leisten vermag. Bereits 1987 hatte Präsident Gorbatschow gegenüber der syrischen Führung klargestellt, daß er nicht beabsichtige, eine syrische „strategische Parität“ mit Israel zu fördern. So ist nun nicht zu erwarten, daß Moskau bei den Nahost-Friedensbemühungen auf Präsident Assad einen besonderen Einfluß ausüben könnte.

Eine international wenig beachtete Begleiterscheinung der Krise um Kuwait war, daß die Sowjetunion nach mehr als 50 Jahren mit Saudi-Arabien wieder diplomatische Beziehungen aufnahm. Kein Zufall war es wohl auch, daß das saudische Königreich die sowjetische Zustimmung zur UN-Resolution Nr. 678 mit einem mehrere Milliarden US-Dollar umfassenden Kredit an Moskau honorierte. Anstatt weiter die Partnerschaften mit eher radikalen Regimen zu pflegen, dürfte die sowjetische Führung noch mehr darum bemüht sein, vorteilhafte Beziehungen mit den wirtschaftlich attraktiven Ländern dieses Raums zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere die arabischen Ölförderländer. Aber auch Israel wird sich zunehmenden sowjetischen Interesses erfreuen. So sind in den vergangenen Monaten hunderttausende sowjetischer Juden eingewandert, die das Russische nach dem Hebräischen und Englischen als dritte Landessprache des jüdischen Staates etablieren und sozusagen eine Infrastruktur für die israelisch-sowjetischen Beziehungen bilden werden.

Ähnlich wie in den USA werden die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes der Sowjetunion darauf drängen, weiterhin Waffen in den Nahen Osten zu liefern, um damit wenigstens einen Teil der bestehenden Kapazitäten auszulasten und wichtige Einnahmen zu tätigen. So dürfte auch die sowjetische Führung -trotz all ihrer Appelle zur Begrenzung der Rüstung im Nahen Osten -nicht völlig auf den Verkauf von Waffen verzichten wollen. Da jedoch einige Waffenkategorien im Nahen Osten bereits sowjetische Sicherheitsinteressen akut berühren, dürfte Moskau zumindest im Bereich der Raketen und ABC-Waffen ein politisches Interesse an einschränkenden Regelungen haben. 3. Westeuropa Für die Europäische Gemeinschaft war der zweite Golfkrieg eine bittere Erfahrung. Trotz der Bemühungen um ein geschlossenes Auftreten und der Ansätze zu einer Koordination des militärischen Vorgehens im Rahmen der Westeuropäischen Union traten die Westeuropäer im wesentlichen nicht als Gemeinschaft in Erscheinung. Großbritannien profilierte sich als engster Partner der USA; Frankreich versuchte lange Zeit, die Krise friedlich beizulegen, sah sich schließlich aber veranlaßt, am Krieg gegen den Irak teilzunehmen. Deutschland leistete, ebenso wie Spanien, Italien und andere europäische Länder, einen massiven Beitrag für den militärischen Aufmarsch der USA und ihrer Partner. Da es sich mit eigenen Truppen nicht beteiligen wollte und zum Vorgehen der internationalen Allianz keine klare Stellung zu beziehen schien, sah es sich im Ausland teilweise heftiger Kritik ausgesetzt. Ein finanzieller Beitrag von annähernd 18 Milliarden DM und ein starkes Engagement der Bundeswehr nach dem Krieg zur Linderung der kurdischen Flüchtlingsnot suchten, dieser Kritik zu begegnen.

Bisher ist nicht abzusehen, wie die künftige Rolle Westeuropas im Nahen Osten aussehen wird. Mit zwei ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat, als bisher wichtige Rüstungslieferanten und angesichts des großen wirtschaftlichen Interesses an dieser Region werden die Westeuropäer bemüht sein, bei der Schaffung einer „Nachkriegsordnung“ mitzuwirken. Die Frage bleibt, wie weit Europa in der Lage sein wird, eine gemeinsame Position zu erarbeiten und durchzuhalten. Dies gilt für alle Problembereiche.

In der Diplomatie für den Palästina-Konflikt könnten die Europäer in Ergänzung zu amerikanischen Initiativen wichtige Vermittlungsdienste leisten. Bei den Bemühungen, die nahöstliche Rüstungsdynamik einzudämmen, werden sie zunächst im nationalen Rahmen verstärkte Exportkontrollen durchzuführen haben. Ein EG-verbindlicher Rahmen für solche Bemühungen würde nicht nur die Effizienz von Kontrollen verbessern, er würde den jeweiligen Regierungen auch helfen, Widerstände wichtiger Interessengruppen in ihren Ländern zu überwinden. Sollten die Bemühungen um eine Nahost-Friedensregelung tatsächlich greifbare Ergebnisse zeitigen, so werden die Europäer mit Friedenstruppen und finanziellen Hilfeleistungen eine wichtige Rolle zu übernehmen haben. Auch in Deutschland täte man gut daran, sich darauf rechtzeitig vorzubereiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach Aussagen des sowjetischen Orient-Experten Vladimir A. Isaev auf der erwähnten Konferenz in Haifa/Israel.

  2. Wichtig dürfte für Bush gewesen sein, sich nicht in längere Kämpfe im Irak verwickeln zu lassen, aber auch „den Arabern“ keine weitere Demütigung zuzumuten.

  3. Vgl. Bassam Tibi, Die irakische Kuwait-Invasion und die Golfkrise, in: Beiträge zur Konfliktforschung, (1990) 4, S. 5-34.

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