Mit dem Ende der Thatcher-Ära sind die zeitlichen Voraussetzungen für einen geschlossenen Über-blick über die Wirtschafts-und Sozialpolitik der Regierungszeit von Margaret Thatcher gegeben. Gleichwohl stehen einer bündigen Interpretation dieses Zeitraums britischer Geschichte einige Schwierigkeiten im Wege. Diese ergeben sich einmal daraus, daß die wirtschafts-und sozialpolitischen Maßnahmen keineswegs das Ausmaß an Geschlossenheit aufweisen, das die übergreifende Kennzeichnung als „thatcheristisch“ zunächst nahezulegen scheint. Außerdem haben die wirtschafts-und sozialpolitischen Maßnahmen dieses Zeitabschnitts außerordentlich unterschiedliche Bewertungen erfahren, so daß die Übernahme einheitlicher Beurteilungen mit einer Referenz an sachverständige Autorität ausgeschlossen ist.
In diesem Beitrag werden zunächst die Voraussetzungen der Wirtschafts-und Sozialpolitik Margaret Thatchers am Ende der siebziger Jahre dargestellt, um deutlich zu machen, woran ihre Politik-konzeption angeknüpft hatte. Anschließend wird untersucht, welche wirtschafts-und sozialpolitischen Zielsetzungen mit welchen Mitteln erreicht werden sollten. Diese Untersuchung hat für die verschiedenen Politikfelder getrennt zu erfolgen und den jeweiligen Wandel der Zielsetzungen und Mittelwahlen zu berücksichtigen. Im Anschluß daran sollen die Folgen der Wirtschafts-und Sozialpolitik in der Thatcher-Ära hervorgehoben werden. In Verbindung damit soll der Frage nachgegangen werden, ob der Bezeichnung „Thatcherismus“ eine Bedeutung zukommt, die über die mit dem Namen und der Funktion Margaret Thatchers notwendig verbundene Klassifizierung politischer Maßnahmen hinausgeht. Es stellt sich die Frage nach der inneren Logik der insgesamt eingeleiteten und durchgeführten Veränderungen, nach Leitbildern und Wertvorstellungen, die den wirtschaftsund sozialpolitischen Normierungen zugrunde lagen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Frage nach der Kompatibilität wirtschafts-und sozialpolitischer Maßnahmen sowie die Überlegung, ob Thatcherismus primär als wirtschaftspolitischer Maßnahmekatalog oder darüber hinaus als gesellschaftliche Ordnungsvorstellung zu begreifen ist.
I. Das Scheitern des Nachkriegskonsensus
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die britische Wirtschaft zwar eine Aufwärtsentwicklung, doch verlief diese weniger günstig als in den vergleichbaren westlichen Industrienationen. In der Zeit von 1950 bis 1979 stieg das Bruttosozialprodukt jährlich pro Kopf in Großbritannien zwar durchschnittlich um 2, 25 Prozent, das Wachstum blieb aber deutlich hinter dem Anstieg in vielen anderen Ländern zurück. Diese hatten in der gleichen Zeit etwa doppelt so hohe Wachstumsraten aufzuweisen (Frankreich: 4, 0 Proze 25 Prozent, das Wachstum blieb aber deutlich hinter dem Anstieg in vielen anderen Ländern zurück. Diese hatten in der gleichen Zeit etwa doppelt so hohe Wachstumsraten aufzuweisen (Frankreich: 4, 0 Prozent; Italien: 4, 4 Prozent; Bundesrepublik Deutschland: 4, 75 Prozent; Japan sogar 5, 5 Prozent) 1). Hierdurch verringerte sich der Anteil Großbritanniens am Weltindustrie-export erheblich: Betrug dieser im Jahre 1950 noch fast ein Viertel (24, 6 Prozent), so lag der Anteil im Jahre 1973 schon unter einem Zehntel (9, 1 Prozent). Ebenso blieben die britischen Pro-Kopf-Einkommen hinter der durchschnittlichen Einkommensentwicklung in den anderen westlichen Industrieländern zurück, während die Inflationsraten in Großbritannien höher waren 2). Lediglich bei der registrierten Arbeitslosigkeit hielten sich die britischen Ergebnisse auf dem Niveau der anderen Länder.
Diese Entwicklung wird als nachteilige Folge einer Stop-and-Go-Politik angesehen, deren Zielsetzung der Aufrechterhaltung des Pfund-Wechselkurses und der Vollbeschäftigung höchste Priorität einräumte. Bei einem nachlassenden Wirtschafts-Wachstum und steigenden Arbeitslosenzahlen sorgte die britische Fiskalpolitik -unterstützt von der Geldpolitik -zunächst für eine Nachfrageexpansion, als deren Folge Lohn-und Preisanstiege ebenso zu verzeichnen waren wie Importüberschüsse; die Leistungsbilanz verschlechterte sich. Um den Wechselkurs des Pfundes zu stabilisieren und weitere spekulative Kapitalabflüsse zu vermeiden, wurde der wirtschaftliche Aufschwung früher gebremst als dies binnenwirtschaftlich notwendig gewesen wäre; den Unternehmen sollten auf diese Weise höhere Erträge zugestanden werden, damit sie zu ähnlich hohen Investitionen veranlaßt würden wie in den Vergleichsländem, die auch erheblich höhere Steigerungen der Arbeitsproduktivität aufzuweisen hatten. Nachteilige Folgen einer Wirtschaftsbremsung für die Arbeitslosenquote wurden dann wieder durch eine Nachfrageausweitung des Staates aufzuhalten versucht.
Solange nicht die Sonderstellung des britischen Pfundes oder das Vollbeschäftigungsprimat aufgegeben werden sollte, blieb für eine wirtschaftspolitische Strategie nur die Möglichkeit, nach Wegen zu suchen, um kollektive Aktionen zur Durchsetzung von Lohnforderungen so zu steuern, daß ihre inflationäre Wirkung gebremst wurde. Therapie-möglichkeiten für eine als „britische Krankheit“ gebrandmarkte, vergleichsweise ungünstige wirtschaftliche Entwicklung Großbritanniens erblickte man zunehmend auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen und der Einkommenspolitik. In den sechziger und siebziger Jahren unternahmen sowohl von der Labour Party als auch von den Konservativen geführte Regierungen Versuche einer Steuerung der Arbeitsbeziehungen und ihrer Auswirkungen auf die Lohn-und Preispolitik
Diese Bemühungen zeigten langfristig keinen Erfolg. Die Versuche, durch arbeitsrechtliche Interventionen in die traditionell voluntaristischen Arbeitsbeziehungen eine „Verantwortlichkeit von Sozialpartnern“ durchzusetzen, scheiterten ebenso wie Maßnahmen zur Durchsetzung einer dauerhaften obligatorischen Einkommens-und Preispolitik. Auch auf der Grundlage neokorporatistischer Verhandlungsmuster (Social Contract) konnten und wollten die britischen Gewerkschaften allenfalls kurzfristige Lohnzurückhaltung üben. Schließlich mündeten die Beziehungen zwischen Regierung und Gewerkschaften in eine „Einkommenspolitik gegen die Gewerkschaften“ Anstatt der Aufforderung der Labour-Regierung Callaghan zu folgen, die Lohnsteigerung auf fünf Prozent zu begrenzen, strebten die Gewerkschaften eine Rückkehr zum „free collective bargaining" an. Sie setzten ihre Forderungen gegen den Staat als Arbeitgeber unerbittlich durch, indem sie ihn in einem dramatischen „winter of discontent“ durch Streiks im Energiesektor in fast allen Funktionen lahmlegten. Selbst ein wohlmeinender Kritiker befindet rückschauend, die Labour-Regierung sei „... an der Unmöglichkeit gescheitert, unter den gegebenen institutionellen Bedingungen jenes Minimum an Koordination zwischen staatlicher Wirtschaftsund Finanzpolitik und gewerkschaftlicher Lohnpolitik dauerhaft zu verwirklichen, ohne das eine so schwierige Ökonomie wie die britische nicht erfolgreich durch die Krise der siebziger Jahre gesteuert werden konnte“
Dieses offenkundige Scheitern hatte aber nicht nur einen Regierungswechsel zur Folge, sondern gab der neu gewählten konservativen Regierung unter Margaret Thatcher auch die Legitimation, Grundüberzeugungen britischer Wirtschafts-und Sozialpolitik in Frage zu stellen, die auf der Grundlage eines Nachkriegskonsensus der maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen bisher nicht zur Disposition gestanden hatten Die wirtschaftspolitischen Steuerungsdefizite erlaubten die Frage, ob an der Zielsetzung der Vollbeschäftigung und der wohlfahrtsstaatlichen Politik weiterhin festgehalten werden sollte und ob der Staat überhaupt weiterhin in die Wirtschaft intervenieren sollte, sei es als Arbeitgeber öffentlicher Unternehmen, sei es mit dem Ziel, wirtschaftliches Wachstum durch die Höhe der Staatsausgaben zu beschleunigen bzw. zu verlangsamen. Im intermediären Bereich der wirtschaftlichen Interessengruppen schien ein Strukturwandel unausweichlich, sollten nicht weiterhin wirtschaftlicher und sozialer Wandel blokkiert werden.
II. Maßnahmen der Thatcher-Regierung
1. Die Geld-und Finanzpolitik Die Regierung Thatcher setzte sich zunächst die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Großbritanniens zur Aufgabe. Sie bediente sich hierbei nicht grundsätzlich neuer Instrumente, sondern bündelte verschiedene wirtschaftspolitische Normierungen zu einer Politikkonzeption, die sie rigoros und dauerhaft durchzusetzen beanspruchte Im Einklang mit der wirtschaftspolitischen Grundkonzeption wurden auch sozialpolitische Maßnahmen ergriffen. Die Regierung Thatcher folgte einem monetaristischen Ansatz. Hiernach galt es vor allem, die Inflation zu bekämpfen, die als das Ergebnis überhöhter Staatsausgaben und überhöhter, mit gewerkschaftlicher Macht durchgesetzter Lohnforderung angesehen wurde. Dementsprechend unterbreitete die Thatcher-Regierung zu Beginn eine mittelfristige Finanzplanung (Medium Term Financial Strategy, MIPS) mit dem Ziel, das Wachstum der Geldmenge und die Nettokreditaufnahme des öffentlichen Haushalts drastisch zu begrenzen. Die Rigorosität und Ausschließlichkeit, mit der die Regierung Thatcher Wirtschaftspolitik mit dem Instrument der Geldmengensteuerung betrieb, wichen allerdings in den späteren Jahren der Regierungszeit einer nachgiebigeren Haltung, die vor allem darauf zurückzuführen war, daß die angepeilten Ziele lediglich zweimal (Haushaltsjahr 1982/83 und 1983/84) erreicht wurden, nachdem sie gegenüber den ersten beiden Haushaltsjahren erheblich nach oben korrigiert worden waren.
In der Kritik der staatlichen Geldmengensteuerung wird demzufolge darauf hingewiesen, daß eine Reduktion von Wirtschaftspolitik auf Geldmengenpolitik nicht möglich sei. Um geldpolitische Steuerungsmaßnahmen durchsetzen zu können, hätte es flankierender Reformen der institutionellen Rahmenbedingungen (insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Zentralbank) bedurft, zu denen sich die Regierung aber nicht bereitfinden konnte. Auch in bezug auf die finanzpolitischen Zielsetzungen kann von einer durchgängigen Ausgabenbegrenzung nicht die Rede sein. Eine restriktive Entwicklung des Staatshaushalts durchgehalten zu haben, wird der Regierung Thatcher insgesamt nur bis zum Haushaltsjahr 1981/82 zugebilligt; in der Zeit danach war ein deutlicher Expansionskurs festzustellen.
Eine nach Bereichen aufgegliederte Analyse der Ausgabenentwicklung bis zum Jahre 1985 ergibt, daß die Ausgaben in Komplexen, in denen sie zurückgehen sollten (Landwirtschaft, Erziehungsbereich, Beschäftigungspolitik), wuchsen und die Ausgaben für Felder, denen die Regierung schon ein Wachstum zugebilligt hatte, noch stärker stiegen als vorgesehen (Verteidigung, Innere Sicherheit, Soziale Sicherung). Beträchtliche Ausgaben-kürzungen konnten vor allem für das Wohnungswesen durchgesetzt werden Die staatlichen Ausgaben beliefen sich 1979/80 noch auf 44 Prozent des Bruttosozialprodukts, 1990 konnten sie immerhin auf 39, 5 Prozent begrenzt werden Möglichkeiten der Ausgabenkürzung ohne eine stärkere Verschuldung des öffentlichen Haushalts eröffneten sich für die Regierung Thatcher vor allem dadurch, daß die Ölpreise nach ihrem Amtsantritt stark angestiegen waren und die Erdöl-und Erdgaseinnahmen die Staatskasse erheblich aufbesserten. Hinzu kamen Einnahmen, die aus der Privatisierung staatlicher Unternehmen resultierten.
Immerhin kann bei aller Kritik an der inkonsistenten Mittelwahl nicht übersehen werden, daß es der Regierung Thatcher zunächst gelang, ihr wirtschaftspolitisches Hauptziel zu erreichen, nämlich die Inflationsrate deutlich zu senken. 1979 hatte diese noch 13, 4 Prozent betragen. Nach einem vorübergehenden Anstieg im Jahre 1980 (auf 18 Prozent) sank die Inflationsrate rapide und konnte von 1983 bis 1986 unter dem durchschnittlichen Niveau der übrigen OECD-Länder gehalten werden (1986: 3, 4 Prozent). Danach ist allerdings wieder ein Anstieg der Inflationsrate zu verzeichnen (1989: 4, 2 Prozent)
Die Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts stiegen nach einem vorübergehenden starken Abfall zu Beginn der achtziger Jahre kontinuierlich an, um 1987 4, 5 Prozent zu erreichen. Auffällig sind die starken Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Während der Bank-und Finanzbereich hohe Wachstumsraten erlebte, schrumpfte der Bereich des verarbeitenden Gewerbes -eine Entwicklung, die als „Deindustrialisierung“ apostrophiert wurde. Hieraus ergab sich, daß Großbritannien 1983 erstmals im Bereich des verarbeiten- den Gewerbes ein Handelsbilanzdefizit aufwies. Auch die Leistungsbilanz verschlechterte sich in den letzten Jahren: Sie wies 1988 ein Defizit von 14, 9 Mrd. Pfund, 1989 sogar von 22 Mrd. auf
Die Ausgabenkürzungen und der Strukturwandel der gewerblichen Wirtschaft sind für den hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit mit verantwortlich zu machen. 1979 waren 5, 3 Prozent arbeitslos gemeldet. Im Jahre 1985 hatte sic 9 Mrd. Pfund, 1989 sogar von 22 Mrd. auf 11).
Die Ausgabenkürzungen und der Strukturwandel der gewerblichen Wirtschaft sind für den hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit mit verantwortlich zu machen. 1979 waren 5, 3 Prozent arbeitslos gemeldet. Im Jahre 1985 hatte sich der Anteil auf 13, 5 Prozent erhöht. Ohne Änderungen in den statistischen Grundlagen der Erfassung von Arbeitslosigkeit wäre der Anstieg noch höher ausgefallen (15, 3 Prozent). Erst danach verringerte sich die Arbeitslosigkeit 12). 2. Die Privatisierungspolitik Der Verkauf öffentlicher Unternehmen gehörte ebenfalls zum Kernbereich der thatcheristischen Wirtschaftspolitik. Er wurde konsequent verwirklicht und soll zielstrebig fortgesetzt werden. Die Bedeutung der im Staatseigentum befindlichen Firmen für die Gesamtwirtschaft war in Großbritannien sehr hoch, seitdem die Labour-Regierung unter Attlee (1945-1951) umfangreiche Nationalisierungen durchgesetzt hatte. Vor dem Amtsantritt der ersten Thatcher-Regierung (1979) wurden von den verstaatlichten Unternehmen 11, 5 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet und etwa 1, 5 Millionen Arbeitnehmer beschäftigt. In den Wirtschaftsbereichen Energie, 'Transport, Kommunikation sowie Eisen und Stahl dominierten nationalisierte Unternehmen 13). Die Regierung verkaufte unter anderem die Staatsanteile von BP, die Mehrheit von British Aerospace, Sealink, British Gas, Jaguar und Telecom sowie die British Steel Corporation. Im Jahre 1990 waren 50 Großunternehmen bereits verkauft oder in absehbarer Zeit zum Verkauf vorgesehen, dies sind über zwei Drittel des vormals staatlichen Kapitaleigentums 14). Mit diesen Verkäufen verbunden war ein erheblicher Transfer von Arbeitsplätzen aus dem öffentlichen Sektor (bis 1986 bereits 400000).
Kritiker dieser Maßnahmen weisen zunächst darauf hin, daß bis zum Amtsantritt der Thatcher-Regierung die Akzeptanz einer „mixed economy“ zu den Inhalten des oben erwähnten Nachkriegskonsenses gehörte. Auch die Regierung Thatcher hat ihre Privatisierungspolitik zunächst ohne grundsätzliche konzeptionelle Legitimation vorsichtig eingeführt. Sie hat ihren Stellenwert innerhalb ihrer Politikkonzeption erst erhöht, nachdem deutlich geworden war, welchen haushaltspolitischen Nutzen sie aus der Verwirklichung von Privatisierungsplänen tatsächlich ziehen konnte.
Zu den offiziellen Zielsetzungen, die mit der Privatisierungspolitik nunmehr verbunden wurden, gehörten eine Zunahme des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch den Abbau staatlicher Monopolpositionen sowie die Erwartung, daß eine Entstaatlichung mit einer Entbürokratisierung der Entscheidungsabläufe verbunden werden könne und den Unternehmensleitungen erweiterte Handlungsspielräume zugebilligt würden. Diese sollten sich in einer stärkeren Wettbewerbsorientierung und anschließenden Effizienzsteigerungen auswirken. Hinzu kam die Leitidee, daß gesellschaftliches Eigentum nicht mit staatlichem Eigentum und Verfügungsgewalt gleichzusetzen sei, sondern vielmehr „public ownership“ nur durch „ownership by the people", also durch eine mit Privatisierung verbundene breite Streuung des Aktienbesitzes verwirklicht werden könne. Von einem „people’s Capital market“ wurde erwartet, daß er zugleich in der Lage sei, die Einstellungen von Lohnempfängern in der Weise zu verändern, daß diese -soweit sie Kapitaleigentum ihres Unternehmens erworben haben -am Aufbau einer „Unternehmenskultur“ interessiert seien und antagonistische Konfliktlinien zwischen Kapital und Arbeit überbrückt werden könnten.
Die überaus hohe Nachfrage nach den Aktien der aus dem Staatseigentum abzugebenen Unternehmen führte zunächst zu einer erheblichen Verbreiterung des Aktienbesitzes in der Bevölkerung (von 7 Prozent im Jahre 1979 auf 20 Prozent im Jahre 1988). Umstritten ist allerdings, ob diese breite Streuung von Dauer ist oder ob nicht ein erheblicher Teil der Kleinanleger eher daran interessiert ist, die erworbenen Anteile baldmöglichst mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die aus den Verkäufen erzielten Erlöse könnten dann zwar dazu geführt haben, das Wahlverhalten im Sinne der konservativen Partei zu beeinflussen, doch würde die erhöhte Konsumfähigkeit nicht dazu beitragen können, eine auf Eigentumsrechten basierende Identifikation mit dem Unternehmen zu erleichtern.
Unbestritten ist, daß die Durchführung und Ausweitung des Privatisierungsprogramms vor allem mit seiner Bedeutung für den Staatshaushalt zu erklären ist. Einschränkungen bei der Geldmengenexpansion und der Höhe der Kreditaufnahme wären sicherlich noch schwerer gefallen, wenn nicht aus den Privatisierungen in der Zeit von 1979 bis 1988 Einnahmen in Höhe von 22, 87 Mrd. Pfund hätten erzielt werden können 3. Steuerpolitik Die aus der Privatisierungspolitik erzielten Einnahmen verschafften den Thatcher-Regierungen auch eine steuerpolitische Manövriermasse, mit der sie die offensichtlich erwünschten Umverteilungseffekte erzielen konnte. Im Haushaltsjahr 1979/80 wurden die vorgeblich leistungsfeindliche steuerliche Progression erheblich abgeflacht und zusätzliche steuerliche Freibeträge gewährt Die Senkung der Steuersätze begünstigte die verschiedenen Einkommensgruppen in unterschiedlicher Höhe: Während der Spitzensteuersatz von 83 Prozent auf 40 Prozent gesenkt wurde, verminderte sich der Eingangssteuersatz lediglich von 33 Prozent auf 25 Prozent. Hinzu kamen Erhöhungen der Mehrwert-und Verbrauchssteuern, die auch in den darauffolgenden Haushaltsjahren -flankiert von Senkungen der Einkommens-und Körperschaftssteuern -durchgesetzt wurden. Die Mehrwertsteuer wurde verdoppelt und damit der einzelne Konsument einkommensunabhängig erheblich belastet. 4. Wohnungspolitik Die wirtschafts-und sozialpolitischen Funktionen der Wohnungspolitik unter Margaret Thatcher ähneln denjenigen der Privatisierungspolitik öffentlicher Unternehmen, insofern auch hier angestrebt wird, „den pragmatischen Topos der Haushaltskonsolidierung mit dem Topos der Entstaatlichung und Entbürokratisierung von gesellschaftlichen Lebenswelten“ zu verbinden. Hinzu kommt, daß im Bereich Wohnungswesen erhebUche Einsparungen angestrebt und tatsächlich auch erreicht wurden. Verbunden wurde diese Zielsetzung mit dem Vorsatz, den privaten Wohnungsmarkt zu Lasten der Kommunen erheblich aufzuwerten und den Bau von Eigenheimen stark zu fördern. Tatsächlich fiel der öffentliche, d. h. kommunale Wohnungsbestand (public rented) von 32, 2 Prozent im Jahre 1979 auf 23 Prozent im Jahre 1988, während sich der Anteil des Eigenheimsektors (owner occupied) von 54, 5 Prozent im Jahre 1979 auf 67 Prozent im Jahre 1988 erhöhte. Der kommunale Wohnungsneubau wurde in der Zeit von 1979 bis 1987 um 66 Prozent reduziert
Auf der anderen Seite hat die konservative Regierung eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnungsversorgung ergriffen. Flankiert von gesetzlichen Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung der Modernisierung reparaturbedürftiger Wohnungen stand das im Housing Act von 1980 verankerte Recht von Mietern kommunaler (Sozial-) Wohnungen zum Erwerb der von ihnen bewohnten Wohnungen im Mittelpunkt der konservativen Wohnungspolitik. Die Individuen sollten durch Eigentumserwerb am Erhalt und an der Pflege ihres Besitzes verstärkt interessiert werden und zu einer Eigenverantwortlichkeit finden, die ihnen auch eine selbstbestimmte Mitwirkung in einer demokratischen Gesellschaft ermöglichte.
Der private Erwerb kommunaler Sozialwohnungen wurde mit beträchtlichen Preisnachlässen gefördert. So konnten Mieter, die mindestens drei Jahre in einer kommunalen Wohnung gelebt hatten, die von ihnen bewohnte Wohnung mit einem Preisnachlaß von 33 Prozent erwerben. Dem Kauf-recht wurden Erleichterungen für die Hypothekenaufnahme und -Zahlungen an die Seite gestellt, um den Wohnungserwerb auch dann finanzieren zu können, wenn auf dem freien Markt kein Darlehen gewährt würde. Je nach Einkommenssituation können diese Darlehen den gesamten Kaufpreis abdecken. Die Akzeptanz dieser Regelungen wird allein schon dadurch ersichtlich, daß inzwischen über eine Million kommunaler Wohnungen von Privatleuten erworben wurden. Die höchsten Verkaufszahlen wurden in den Jahren 1983 und’ 1984 erreicht; seitdem ist die Anzahl der verkauften Wohnungen rückläufig.
Allerdings lassen sich Anzeichen für eine Polarisierung auf dem Wohnungsmarkt dadurch erkennen, daß ein wachsender Anteil der neuen Wohnungseigentümer nicht mehr in der Lage ist, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, sobald Arbeitslosigkeit oder familiäre Probleme auftreten. Erhöht wird diese Schwierigkeit dadurch, daß die Hochzinspolitik zur Stabilisierung des PfundKurses kostensteigemd wirkt. Eine Förderung des privaten Wohnungsmarkts versprach sich die konservative Regierung auch durch eine geänderte Mietpreispolitik. Den Bestimmungen des Housing Acts folgend sollten alle Mietwohnungen, die noch der Mietpreiskontrolle unterlagen, in ein Wohnwertmietensystem überführt werden, das eine Anhebung des Mietzinses für den Fall ermöglichte, daß die Wohnung modernisiert wurde (fair rents-system), anstatt nur davon abhängig zu sein, wieviel Jahre seit der Aufnahme der Mietpreisbindung vergangen sind. Allerdings haben diese Anreize bisher kaum dazu geführt, daß die private Bautätigkeit belebt wurde, da die hohen Zinssätze eine Investition im Wohnungssektor bisher nicht rentabel erscheinen ließen.
Infolge des erheblichen Rückgangs in der kommunalen Bautätigkeit werden Dysfunktionen der konservativen Wohnungspolitik insbesondere durch erhebliche Lücken in der Wohnungsversorgung deutlich, die vor allem diejenigen benachteiligen, welche nach den Kriterien für die Wohnungsvergabe keine Priorität genießen. Dies betrifft insbesondere alleinstehende Personen. Demzufolge hat die Obdachlosigkeit erheblich zugenommen; für 1986 werden die Kosten der Unterbringung mit 380 Mio. Pfund angegeben, wobei allerdings nur die Hälfte der Antragsteller und nur ein Fünftel der durch kompetente Schätzungen (Department of Environment) als obdachlos eingestuften Personen eine entsprechende Unterbringungsmöglichkeit erhalten. Immerhin erscheint die auf dem Gebiet der Wohnungspolitik erreichte haushaltspolitische Konsolidierung in einem anderen Licht, wenn man diese Folgenkosten der Wohnungspolitik mitbeachtet. 5. Gesundheitspolitik Der partei-und schichtenübergreifende Nachkriegskonsensus der britischen Politik enthielt einen „welfare consensus“, auf dessen Grundlage ein Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) ausgebaut wurde, der nicht den Mechanismen eines Versicherungsprinzips verpflichtet war. Der NHS wurde staatlich verwaltet, aus Steuergeldem finanziert und bot einen vom individuellen Einkommen unabhängigen gleichen und ungehinderten Zugang zur medizinischen Versorgung. Trotz dieser egalitären Struktur vermittelten die konzeptionellen Aussagen der konservativen Regierung Thatcher bei ihrer Regierungsübernahme nicht den Eindruck, daß einschneidende Eingriffe in den Gesundheitsdienst geplant waren. Auch läßt die Entwicklung staatlicher Ausgaben während der gesamten Zeit der Regierung Thatcher erkennen, daß der NHS im Unterschied zum Wohnungsbau zu den bevorzugten Ausgabenbereichen gehörte, für den in fast allen Haushaltsjahren reale Ausgabenzuwächse zu verzeichnen sind
Dennoch wurde auch der NHS Gegenstand von Veränderungsabsichten der Regierung Thatcher. Diesen lag zunächst die Überzeugung zugrunde, daß eine Förderung des privaten Gesundheitssektors dem einzelnen Konsumenten medizinischer Leistungen mehr Wahlmöglichkeiten einräumen und insgesamt zu einem besseren Leistungsangebot führen würde. Allerdings dürften sich die privaten Gesundheitsausgaben bis zum Jahre 1987 nicht mehr als verdoppelt haben und bei etwa neun Prozent der Kosten für den NHS liegen Es wird angenommen, daß dieser Anteil nicht mehr erheblich gesteigert werden konnte, weil die privaten Versicherungen durch Veränderungen in ihrer Mitgliederstruktur zu Prämienanhebungen gezwungen worden waren, die die Attraktivität des privaten Versicherungsschutzes gemindert hätten Der Anteil der von den konservativen Regierungen durchgesetzten Selbstbeteiligung der Patienten veränderte sich von zwei Prozent der Gesamtfinanzierung des NHS auf drei Prozent im Jahre 1988 und wird insgesamt als eher geringfügig eingestuft
Von größerer Bedeutung für einen auf konservative Politikzurückführbaren Wandel in der Gesundheitspolitik sind Initiativen, mit denen eine Effizienzerhöhung des NHS angestrebt wurde, ohne die Grundstrukturen der Gesundheitsversorgung ändern zu müssen. Eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben erfolgte zunächst auf dem Wege der Vergabe von Verträgen zur Durchführung von Reinigungs-, Wäscherei-und anderen weniger qualifizierten Diensten an Private (contracting out), sofern diese sich als billiger erweisen sollten (competitive tendering). Auch die Auswirkungen dieser Maßnahme hielten sich in Grenzen (20 Prozent der Hilfsdienste), wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die Vertragsvergabe an Private zum Teil nur deshalb abgewehrt werden konnte, weil diese durch noch günstigere Angebote innerhalb des NHS unterboten wurden (in-house-tendering). Veränderungen innerhalb der Gesundheitspolitik sollten auch durch die Implementation privatwirtschaftlicher Managementtechniken zur Wirtschaftlichkeits-und Leistungskontrolle erreicht werden, die ebenfalls zu einer Kostentransparenz und -kontrolle beitragen sollten und den Einfluß der Verwaltung gegenüber den im Gesundheitswesen agierenden Berufsgruppen stärkten. Hinzu kamen Formen des (kostengünstigeren) Einkaufens privat angebotener Sach-und Dienstleistungen in das gesundheitspolitische Leistungsangebot (buying in), mit dem Ziel, die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Sektor noch durchlässiger zu machen und zu einer „mixed economy of welfare" zu gelangen. Einer umfassenden Gesamtbewertung des gesundheitspolitischen Wandels in der Zeit der konservativen Regierungen der achtziger Jahre zufolge sind allerdings die bereits vollzogenen Veränderungen in der Struktur der Leistungserstellung und des Leistungsangebots von geringerer Bedeutung als die insgesamt erreichte erhöhte Aufnahmebereitschaft für privatorientierte gesundheitspolitische Handlungsweisen. 6. Soziale Sicherung Die auf den Bereich der sozialen Sicherung zielenden Maßnahmen der Thatcher-Regierungen weisen Ähnlichkeiten zu den gesundheitspolitischen Maßnahmen auf. Stärker noch als gegenüber dem vom NHS unterbreiteten Leistungsangebot war allerdings der offizielle Konsensus über die Berechtigung und Notwendigkeit wohlfahrtsstaatlicher Leistungen von einem alltäglichen Unbehagen über finanzielle Fehlzuweisungen begleitet, die die konservativen Interventionen in den Bereich der sozialen Sicherung eher zu legitimieren in der Lage waren als die Kritik an einem oftmals restriktiven und egalitären gesundheitspolitischen Leistungsangebot Hinzu kam, daß die Art und Weise des wohlfahrtsstaatlichen Leistungsangebots einer konservativen Ideologiekritik unterzogen wurde, die im Verlauf der Regierungszeit immer deutlichere Konturen annahm Den wohlfahrtsstaatlichen Leistungsstrukturen wurde vorgeworfen, einer „benefit dependency culture" Vorschub zu leisten, die die Leistungsempfänger abhängig machte und lediglich den Einflußbereich einer Armutslobby unberufener Interessenvertreter erweiterte. Im Gegensatz dazu war angesagt, den staatlichen Aufwand'zu minimieren, außer-staatliche Anbieter zu stärken und so zu einem insgesamt kostengünstigeren Leistungsangebot zu gelangen, das dem einzelnen zu einer stärkeren Unabhängigkeit verhelfen sollte (active citizenship).
Die staatliche soziale Sicherung wurde in Großbritannien traditionell als Volksversicherung verstanden, die auf der Grundlage einheitlicher, einkommensunabhängiger Beitragssätze gleiche Leistungen gewährte Allerdings konnte diese Grundsicherung ihrer Aufgabe, allein das Existenzminimum zu gewährleisten, immer weniger gerecht werden Zusätzliche Leistungen mußten hinzukommen. Diese konnten von verschiedenen Trägern zur Verfügung gestellt werden (Staat, Betrieb und private Haushalte). Eine noch unter der Labour-Regierung zustandegekommene Gesetzgebung aus dem Jahre 1975 bestimmte, daß neben der Grundrente eine einkommensabhängige staatliche Zusatzrente (State Earnings-Related Pensions Scheme, SERPS) gewährt wurde. Die Bereitstellung von Zusatzrenten konnte aber von einem betrieblichen Altersrentensystem übernommen werden, sofern letzteres gleiche Leistungen gewährte (auch in diesem Zusammenhang wird von einem contracting out gesprochen.)
Die Intention der konservativen Regierung Thatcher bestand darin, die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in ihrer Höhe und in ihrem Umfang zu senken bzw. in jedem Fall stärker von einem bestehenden und nachgewiesenen Bedarf (means-tested) abhängig zu machen. Neben einer solchen selektiven Sozialpolitik sollte der Anreiz vergrößert werden, außerstaatliche Leistungssysteme im Rahmen der sozialen Sicherung zum Zuge kommen zu lassen. Ferner sollte das Beitragssystem in der Weise umgestaltet werden, daß hiermit eine beschäftigungspolitisch wirksame Senkung der Lohnnebenkosten im Bereich der unteren Einkommensgruppen erreicht wurde. Tatsächlich haben die konservativen Regierungen einkommens-bezogene Zuschläge zum Krankengeld und zum Arbeitslosengeld abgeschafft und einkommensunabhängige Leistungen auf einer bestimmten Höhe festgeschrieben, ohne die Preissteigerungen zu berücksichtigen. Weiterhin wurde im Social Security Act von 1986 ein System der Alterssicherung normiert, das die Bedingungen für die betriebliche und private zusätzliche Altersversorgung durch finanzielle Anreize verbessert. Die aus der staatlichen Grundrente und den jeweiligen Zusatzleistungen zusammengesetzten Einkommensbestandteile sollen nach dem Ausbau dieses Renten-systems im Jahre 1998 etwa die Hälfte des früheren Erwerbseinkommens erreichen und damit den Anspruch auf Fürsorgeleistungen begrenzen helfen.
Eine beschäftigungswirksame Senkung der Beiträge unterer Lohngruppen zur Sozialversicherung soll durch eine 1985 in Kraft getretene Neugestaltung des Beitragssystems erfolgen
Die Kritik an den sozialpolitischen Maßnahmen der konservativen Regierung betont einmal, daß letztere anstelle einer aktiven Beschäftigungspolitik offensichtlich allenfalls dadurch zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen bereit sei, daß sie durch die Senkung der Sozialleistungen die Bereitschaft zur Aufnahme niedrig entlohnter Tätigkeiten steigern wolle. Zum anderen werden Zweifel an der kostensenkenden Wirkung der selektiven Sozialpolitik geäußert, weil die Ansprüche auf die Zahlung von bedarfsabhängigen Sozialleistungen bisher nur von einem Teil der Anspruchsberechtigten überhaupt geltend gemacht worden seien. 7. Kollektive Arbeitsbeziehungen Die kollektiven Arbeitsbeziehungen stellten aus verschiedenen Gründen ein besonderes Bewährungsfeld der konservativen Politik der achtziger Jahre dar. Einmal war die Erfahrung des Scheiterns staatlicher Interventionen in den Bereich der Arbeitsbeziehungen vor allem mit der erfolgreichen Blockade der im Industrial Relations Act 1971 unter der konservativen Regierung Heath erlassenen Rechtsnormen verbunden. Die neue konservative Regierung stand in diesem Politikfeld unter einem besonderen Erfolgszwang. Vor allem aber mußte eine monetaristische Wirtschaftspolitik versuchen, den nicht-marktkonformen Einfluß der Gewerkschaften auf die Lohnkostensteigerungen erheblich zu vermindern. Wenngleich Interventionen in die Arbeitsbeziehungen im Rahmen der konservativen Politik also Priorität genossen, gelang es den konservativen Regierungen, die Steuerung der kollektiven Arbeitsbeziehungen vorsichtig zu dosieren und die Erfolgschancen nicht durch überhastetes Vorgehen zu verschlechtern.
Die kollektiven Arbeitsbeziehungen sind erheblich verändert worden: Die Thatcher-Regierungen normierten eine Dekollektivierung der Arbeitsbeziehungen, indem sie gewerkschaftliches Handeln bei der Mitgliederrekrutierung, bei der Besetzung von Führungspositionen, bei Arbeitskampfhandlungen sowie bei der Unterstützung politischer Parteien an die ausdrückliche und nachweisbare -Zustimmung der Mitglieder band und die Gewerkschaften auf ihre Koalitionsfunktion im Wirtschaftsbereich festlegte. Den Gewerkschaften wurde es also verwehrt, an der politischen Entscheidungsfindung maßgeblich mitzuwirken oder diese zu blockieren Zu den Geltungsbedingungen dieser Interventionen in die kollektiven Arbeitsbeziehungen gehören die durch die Arbeitslosigkeit in der verarbeitenden Industrie bedingte Schwächung der Gewerkschaften ebenso wie die Tatsache, daß die Regierung mit einem Teil ihrer Normierungen und offiziellen Normierungsabsichten („to give the unions back to their members“) dem Selbstverständnis einzelner Gewerkschaften entsprach, die die gesetzlich verordneten Strukturen bereits vorher verwirklicht hatten und infolge ihres Funktionsverständnisses von gewerkschaftlicher Politik nicht zu einem prinzipiellen Widerstand gegen die Gesetzgebung einer konservativen Regierung bereit waren Insofern leisteten die Gewerkschaften keinen geschlossenen Widerstand gegen die Arbeitsrechtsgesetzgebung der konservativen Regierungen, sondern paßten sich ihr ebenso wie die Labour-Party im Laufe der Zeit teilweise an.
III. Strukturveränderungen der britischen Gesellschaft
Bilanzierungen und Beurteilungen der Politik der konservativen Regierungen unter der Leitung von Margaret Thatcher unterscheiden sich erheblich. Dies ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß seit dem Ende dieser Regierungszeit erst einige Monate vergangen sind und noch nicht absehbar ist, welche dauerhaften positiven oder negativen Wirkungen ihrer Politik zugeschrieben werden können. Die Meinungsverschiedenheiten ergeben sich auch nicht ausschließlich aus den politischen Standorten der Kommentatoren oder der unterschiedlichen Gewichtung einzelner Politikfelder. Die Schwierigkeit der Beurteilung liegt u. a. darin, daß einzelne ihrer Maßnahmen ambivalente Folgen haben, die Aussagen darüber, ob und inwieweit sich ein „Erfolg“ thatcheristischer Politik eingestellt hat oder einstellen wird, erheblich erschweren. Hier soll nun zunächst auf einige Wandlungstendenzen der britischen Gesellschaft hingewiesen werden.
Die gegenwärtigen Beurteilungen der Politik der Thatcher-Regierungen werden unter dem Eindruck einer erneuten wirtschaftlichen Rezession in Großbritannien abgegeben, bei der allerdings unklar ist, wie lange sie andauem und wie sie überwunden wird. Die Kritiker der konservativen Wirtschaftspolitik können allerdings darauf hinweisen, daß die Inflationsrate am Ende der Regierungszeit Margaret Thatchers etwa gleich hoch war wie zu Beginn (10, 9 Prozent bzw. 10, 3 Prozent), obwohl die Inflationsbekämpfung ein vorrangiges Ziel ihrer Politik war und vor allem die Unterordnung der anderen Ziele, insbesondere die Aufgabe des Vollbeschäftigungspostulats, der britischen Bevölkerung enorme Opfer abverlangte Auch die auf wirtschaftliches Wachstum sowie die Begrenzung der Staatsausgaben und des Lohnanstiegs gerichteten Zielsetzungen können zur Zeit nicht als erreicht gelten. Hinzu kommt, daß die Arbeitslosigkeit steigt und jetzt höher ist als zum Zeitpunkt des Amtsantritts der ersten von Margaret Thatcher gebildeten Regierung.
Es stellt sich die Frage, ob die Thatcher-Regierungen die Veränderungen der Sozialstruktur und die Verschlechterungen der Lebensbedingungen eines Teils der Bevölkerung tatsächlich dadurch legitimieren konnten, daß diese Veränderungen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen zur Verwirklichung verhalfen. Ist eine solche Priorität von Wirt
Schaftspolitik gegenüber Sozialpolitik aber nicht vorhanden, bleiben zudem wirtschaftspolitische Erfolge aus, obwohl Sozialstrukturen einschneidend verändert wurden, schließt sich die weitere Frage an, ob nicht die wirtschaftspolitische Zielsetzung der Gesellschaftspolitik lediglich als Vorwand diente.
Die Strukturveränderungen in der britischen Gesellschaft bestehen einmal in dem erfolgreichen Abbau von Formen kollektiver Interessenvertretung im Bereich der Arbeitsbeziehungen. Fraglich ist allerdings auch in diesem Fall, ob hiermit wirtschaftspolitischen Zielsetzungen tatsächlich entsprochen wurde oder ob die erreichte Dekollektivierung nicht ein sozialpolitischer Selbstzweck war. Der Strukturwandel in den Arbeitsbeziehungen hat vielleicht dazu geführt, daß der technologische und organisatorische Wandel der britischen Wirtschaft nicht länger blockiert wurde, er hat allerdings bis heute nicht verhindern können, daß Gewerkschaften hohe Lohnabschlüsse (1990 um mehr als 10 Prozent) erzielen konnten, die weitere Preissteigerungen induzierten. Die Kommentatoren rätseln, ob hierfür weiterhin ein erheblicher Mangel an qualifizierten Arbeitskräften vorrangig verantwortlich zu machen ist, oder ob nicht gar davon auszugehen ist, daß nunmehr demokratisch legitimierte Gewerkschaften den Interessen der von ihnen vertretenen Erwerbstätigen sogar noch wirksamer nachgehen können als dies vor den von Thatcher veranlaßten Änderungen der Gewerkschaftsgesetzgebung der Fall war
Weitere Strukturveränderungen der britischen Gesellschaft in der Zeit der Thatcher-Regierungen haben sich insbesondere als Folge von steuer-und wohlfahrtspolitischen Maßnahmen einstellen können. Eine Analyse der Verteilung der Haushaltseinkommen in Großbritannien ergibt, daß der Anteil desjenigen Fünftels der Einkommensbezieher am Gesamteinkommen, das über die höchsten Einkünfte verfügt, von 34, 4 Prozent im Jahre 1979 auf 39, 1 Prozent im Jahre 1987 anstieg, während der Anteil aller anderen Haushaltseinkommen am gesamten Nettoeinkommen fiel, das Haushaltseinkommen desjenigen Fünftels der Einkommensbezieher mit dem niedrigsten Nettoeinkommen sogar von 10, 1 Prozent im Jahre 1979 auf 8, 9 Prozent im Jahre 1987 Dramatischer noch erscheinen Hinweise auf Ergebnisse von Umverteilungsmaßnahmen, die einerseits große Teile der Bevölkerung unter oder in die Nähe der Armutsgrenze brachten, andererseits aber mittlere und obere Einkommensgruppen erhebliche Einkommenssteigerungen erzielen ließen Hiernach erhöhte sich der Anteil derjenigen, die staatliche Fürsorgeleistungen (supplementary benefits) in Anspruch nehmen mußten, in der Zeit von 1979 bis 1984 um 77 Prozent. Der Anteil derjenigen, die anspruchsberechtigt waren, diese Hilfe aber nicht in Anspruch nahmen, stieg im gleichen Zeitraum um mehr als ein Drittel. Auf der anderen Seite verdoppelten sich die aus Dividenden verdienten Einkommen im Verlauf der achtziger Jahre. Die Unterstützung der Regierung bei Privatisierungs-und Wohnungsbaumaßnahmen hat die Einkommens-und Vermögenssituation der mittleren Einkommensgruppen erheblich verbessert (sofern ihre Mitglieder in der Lage sind, die steigenden Hypothekenzinsen aufzubringen
In seiner Auseinandersetzung mit den konzeptionellen Grundlagen der thatcheristischen Sozialpolitik verdeutlicht der britische Sozialpolitiker Pete Alcock, daß Dekollektivierung und Entstaatlichung sowie Umerziehung zur Eigenverantwortlichkeit als Leitbilder thatcheristischer Politik angesehen werden können, ohne daß es unbedingt einer zusätzlichen wirtschaftspolitischen Legitimation bedurft hätte Allerdings stellt sich selbst dann, wenn man den von Thatcher gebildeten Regierungen zubilligt, Eigenveranwortlichkeit stärken zu wollen, um wirtschaftlich vorteilhafte Konkurrenzbedingungen herzustellen und Wettbewerbsvorteile verwirklichen zu helfen, die Frage nach den Folgen thatcheristischer Politik für die gesellschaftliche Integration. Die Vorbehalte gegenüber organisierter Solidarität werden von den dem Thatcherismus zuzuordnenden Denkansätzen bislang lediglich mit Hinweisen auf die positive Funktion individueller Hilfsleistungen und auf Formen „gemeinschaftlicher“ Integration in Familie und Nachbarschaft verbunden. Es wird allerdings nicht erwogen, ob solche aus vorindustriellen Lebenszusammenhängen übernommenen sozialpolitischen Integrationsmodelle mit denSteuerungskapazitäten moderner hoch-und nachindustrieller Gesellschaften kompatibel sind. Vor allem bleibt offen, wie die in allen Politikfeldern nachhaltig geförderte Sozialisation einer auf das Selbstinteresse aufbauenden marktorientierten Persönlichkeitsstruktur geeignet sein soll, als Nebenfolge philantropische Neigungen freizusetzen. Es erscheint jedenfalls zweifelhaft, ob der von Margaret Thatcher wiederholt gegebene Hinweis auf das Vorbild des barmherzigen Samariters strukturbildend sein kann.