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Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems? Westminster und Whitehall in der Ära Thatcher | APuZ 28/1991 | bpb.de

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APuZ 28/1991 Artikel 1 Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems? Westminster und Whitehall in der Ära Thatcher Wahlen und Parteiensystem in der Ära Thatcher Wirtschafts-und Sozialpolitik während der Regierung Thatcher Britische Außen-und Verteidigungspolitik: Thatcherismus und die Folgen

Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems? Westminster und Whitehall in der Ära Thatcher

Herbert Döring

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die alte These, in Großbritannien sei die Dominanz der Regierung über das Parlament (Cabinet Government) durch die des nahezu allein regierenden Premierministers (Prime-Ministerial Government) abgelöst und der Premier damit einem direkt gewählten Präsidenten ähnlich geworden, hat durch den Führungsstil Margaret Thatchers neuen Auftrieb erhalten. Doch betrifft diese Einschätzung nur den Arbeitsstil der Premierministerin und nicht die Transformation der Institutionen. Es kam nicht zur Einrichtung einer allein auf die Interessen der Premierministerin abgestellten und mitarbeiterstarken Präsidialbehörde (anstelle des bescheidenen „Prime Minister’s Department“). Die Leitidee der kollektiven Verantwortlichkeit des Kabinetts, in welchem die Minister nicht als Gehilfen verstanden werden, sondern zusammen mit dem Premier als kollektiver Akteur auftreten sollen, ist fest in den verhaltensleitenden Traditionen von Parlament und Regierung verankert. Wie oft diese Doktrin auch in skandalumwitterten Fällen umgangen worden sein mag, ihr Bruch wird als illegitim empfunden. Sollte die Rekrutierung der Minister aus dem Parlament, die in Großbritannien im Gegensatz zum Kabinett eines Präsidenten nach wie vor keine parlamentsfremden Quereinsteiger sein dürfen, nicht bereits kollegiale Verhaltensweisen erzeugen, so steht in beiden Parteien ein formales Verfahren zur Abwahl (genauer: der Nichtverlängerung der „Auftragsautorität“) des Premiers durch die Partei bereit. An ihm scheiterte Thatcher. Durch die Lockerung der Fraktionsdisziplin und den Machtzuwachs der neuen (seit 1979 14), den Ministerien zugeordneten Aufsichtsausschüsse ist nicht etwa eine verstärkt antagonistische Partnerschaft zwischen Parlament und Regierung entstanden. Vielmehr sind die Verhaltenserwartungen des Westminster Modells verstärkt worden: Sie sehen zwingend Raum für kritische Diskussion im Unterhaus vor, ohne die Politik des aus Parlamentariern bestehenden Kabinetts dauerhaft blockieren zu können. Die Einführung der Fernsehübertragungen aus dem Unterhaus bestätigte diese Tendenzen: keine ausschließliche Fokussierung auf die Fragestunden des Premierministers, sondern interessierte Berichterstattung aus den prinzipiell öffentlich tagenden neuen Ausschüssen.

Kritiker des persönlichen Führungsstils von Margaret Thatcher -nicht zuletzt im Streit zurückgetretene oder von ihr entlassene Minister -belebten eine alte Debatte über die Gefahr einer „Präsidentialisierung“ des Parlamentarismus in Großbritannien neu. Die für sich allein genommen nicht besonders interessante Frage, ob das britische parlamentarische System insgeheim präsidentielle Züge angenommen habe oder nicht, erfährt ein über den britischen Fall hinausweisendes allgemeines Interesse. Denn in jüngster Zeit ist es verstärkt üblich geworden, unabhängig von formalen verfassungsrechtlichen Unterschieden von einer universalen Tendenz zu einer vom Premierminister, Staatspräsidenten oder Kanzler nahezu alleinbestimmten Regierungspolitik zu sprechen

Aus diesem systematischen Interesse heraus wird eine Bestandsaufnahme der wichtigsten in Westminster (dem Sitz des Parlamentes) und in Whitehall (dem Sitz von Regierung und Verwaltung) in den drei Amtszeiten von Margaret Thatcher zwischen 1979 und 1990 eingetretenen Veränderungen unter folgender Themenstellung erörtert: Welche Züge ihrer Regierungspraxis lassen sich, wenn überhaupt, als präsidentiell kennzeichnen? Damit die Darstellung nicht in impressionistischer Beliebigkeit zerfließt, bietet es sich an, die auszuwählenden Fragen am „Westminster Modell“ eines parlamentarischen Systems auszurichten, das (wenn auch nicht unbestritten) oft zum Musterbeispiel einer starken, aber dennoch dem Volke verantwortlichen (und vom Parlament'abberufbar bleibenden) Exekutive erhoben worden ist.

I. Das Westminster Modell. Kennzeichen eines parlamentarischen Systems

Als herausragendes Kennzeichen des Westminster Modells demokratischer Herrschaft pflegt die vergleichende Regierungslehre die bewußte Aufhebung der in vielen anderen Verfassungsstaaten üblichen Gewaltenbeschränkungen zu bezeichnen Der Mehrheitsherrschaft werden nur rechtsstaatliche, aber keine politischen Grenzen (außer der Abwahl einer Regierung) gezogen. Dadurch soll -so sagen die Befürworter alternierender Mehrheitsherrschaft -eine klar zurechenbare Verantwortlichkeit einer anhand des Wahlprogramms einer Partei gewählten und abwählbar bleibenden Exekutive geschaffen werden. 1. Gewaltenverschmelzung statt Gewaltenteilung „Die Legislative, ihrem Namen nach gewählt, um Gesetze zu machen, steht in Wirklichkeit vor der Hauptaufgabe, eine Exekutive zu bilden und aufrechtzuerhalten.“ Mit dieser visionären Auffassung nahm Walter Bagehot eine Eigenheit des Westminster Modells vorweg, als dessen „verborgenes“ Wesen und wirksames Geheimnis er die „Fusion der legislativen und exekutiven Funktionen“ bezeichnete Das Kabinett, das dem Unterhaus (House of Commons) kollektiv verantwortlich ist und von der Bevölkerung nur im nachhinein durch Wahl der Oppositionspartei sanktioniert werden kann, besteht wegen des mehrheitsbildenden Wahlrechts in der Regel aus den Führern nur einer Partei, ohne den Zwang zu Koalitionen. Das einfache Mehrheitswahlrecht, das allerdings nur bei eindimensionalen sozialen Konfliktlinien störungsfrei arbeitet, benachteiligt kleinere Parteien, wird aber dennoch im Interesse der Bildung einerhandlungsfähigen Exekutive von einer großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert

Die britische Regierung, die nach zwingendem Brauch und Herkommen ausschließlich aus Parlamentariern bestehen muß (und nicht wie im präsidentiellen System aus parlamentsfremden Quereinsteigem zusammengesetzt sein darf), verfügt über eine international vergleichsweise ungewöhnliche formale (faktisch natürlich nach inner-und zwischenparteilichen Konstellationen wechselnde) Machtfülle. Dazu tragen bei:

1. das eine Minderheit der Stimmen (meistens) in eine absolute Mehrheit der Mandate verwandelnde Wahlrecht;

2. das Fehlen einer föderalistischen Gegenmacht; 3. das Fehlen eines Verfassungsgerichts (bei insgesamt angestiegener Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit der Handlungen von Ministern im Einzelfall durch die Gerichte)

4. die in der parlamentarischen Geschäftsordnung verankerte Kontrolle des Unterhauses durch das Kabinett;

5. die Beschränkung der Vetomöglichkeiten des Oberhauses.

Im internationalen Verfassungsvergleich ist dieses gewaltenkonzentrierende Westminster Modell freilich eher ein Sonderfall. Denn als weiteres Beispiel läßt sich nur noch Neuseeland anführen. Dagegen haben Australien und Kanada als sozial-strukturell stärker fraktionierte Großflächenstaaten Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit eingeführt Die parlamentarische Opposition kann die Regierung vor die kritische Auseinandersetzung im sog. „Redeparlament“ ziehen. Neben Fragestunde und Plenardebatten besitzt sie aber nur wenige der in vielen anderen parlamentarischen Systemen üblichen Mitwirkungs-und Kontrollrechte Eine „parlamentarische Mitregierung“ wäre in Großbritannien nicht nur wegen des Fehlens von Gegengewichten und prinzipiell öffentlich tagenden Ausschüssen schwer möglich. Sie gilt auch als unerwünscht, weil klarer Verantwortlichkeit im Machtwechsel der Vorzug gegeben wird. 2. Machtzuwachs des Kabinetts Die Kontrolle des Unterhauses durch das Kabinett, die in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg das Westminster Modell parlamentarischer Demokratie in seiner heutigen Form begründete, wurde dem House of Commons nicht etwa oktroyiert. Sie wurde von den Abgeordneten selbst, wenn auch nicht ohne Widerstreben, in einer verfassungspolitischen Strukturentscheidung beschlossen. Vor die Grundsatzfrage gestellt, ein professionalisiertes System spezialisierter Fachausschüsse parallel zu den Ministerien zu begründen, oder aber ein Amateurparlament aus Teilzeit-Abgeordneten zu erhalten, verzichtete das Haus auf Ausschüsse parallel zu allen wichtigen Ministerien und übertrug die Gesetzesinitiative (fast) vollständig auf das aus den führenden Parlamentariern der demokratisierten Regierungspartei bestehende Kabinett.

Auslösender Faktor war vor allem die Ausdehnung der Staatstätigkeit, die mit dem Ausbau des Empire und den Anfängen staatlicher Sozialpolitik einen wachsenden Gesetzgebungsbedarf erzeugte. Die traditionellen Kontroll-, Antrags-und Debattierrechte individueller Abgeordneter wurden stark beschnitten, um dem Kabinett die rasche Ratifikation seines im Wahlkampf versprochenen (und durch Wahl und Abwahl einer Partei vom Wähler kontrollierbaren) Gesetzgebungsprogramms zu ermöglichen. Dieser Machtzuwachs, den das Kabinett durch die bis heute in Kraft gebliebenen Änderungen der Geschäftsordnung des Unterhauses erhielt, konnte, was heute gerne übersehen wird, von führenden Verfassungsinterpreten vor 1914 durchaus als Verfall parlamentari-scher Regierung im Sinne Bagehots interpretiert werden Aber gegen die altliberalen Kritiker setzte sich die mit dem Westminster Modell identische Doktrin der parlamentsabhängigen „Kabinettsregierung“ durch.

Ihr zufolge lenkt und bestimmt das aus Unterhaus-abgeordneten (und wenigen Lords aus dem Oberhaus) bestehende Kabinett unter öffentlicher Kritik durch Opposition und Hinterbänke -die Alternativen aufzeigen, aber eine zum Handeln entschlossene Regierung nicht blockieren können -alle Beschlüsse des Hauses. Alte und neue Kritiker der Machtfülle der mit dem Parlament verschmolzenen Regierung warnen polemisch vor einer „Autokratie“ des Kabinetts (bzw.des Premierministers) oder sogar vor einer „Elective Dictatorship“ (Hailsham). Doch Verteidiger des Westminster Modells pflegen ihnen entgegenzuhalten, wenn die Regierung wirklich etwa zu einer Autokratie auf Zeit geworden sein sollte, es doch immerhin eine durch kollektive Verantwortlichkeit zur Rechenschaft zu ziehende Autokratie unter dem „ständigen Feuer der Kritik“ und der Drohung des Machtwechsels in der nächsten Wahl sei Allerdings zeigt die auch heute wieder durchaus ernstgemeinte Frage, ob das Parlament überhaupt „noch eine Rolle spiele“, daß die Analyse des Westminster Modells nicht der einzige Zugang einer Auseinandersetzung mit Westminster und Whitehall ist 3. Machtkonzentration nach „präsidentieller Wendung“?

Die These, im Gehäuse der ehrwürdigen Fassade der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Kabinetts sei ein heimliches Präsidialsystem entstanden, wurde von Richard Crossman in seiner berühmten Einleitung zu Bagehots „The English Constitution“ im Jahre 1963 zugespitzt. Wenn man, so schrieb er, das präsidentielle System als Ausübung der Regierung durch ein direkt gewähltes oberstes Amt definiere, dann besitze auch England wahrhaft einen Präsidenten ebenso wie die Vereinigten Staaten Im 19. Jahrhundert sei beim Aufstieg des Westminster Modells, insbesondere bei der Dominanz des Unterhauses über das Oberhaus (House of Lords), die Wahlfunktion des Unterhauses auf das Elektorat und seine Gesetzgebungsfunktion auf das Kabinett übertragen worden. Nun habe sich in einem weiteren stillen Verfassungswandel ein Transfer der Macht vom Kabinett auf den Premier vollzogen.

Später machte Crossman einmal die oft übersehene Einschränkung, daß „Prime-ministerial" und „Presidential government“ nicht dasselbe seien Aber seine suggestive These, daß in jedem Falle „Cabinet government“ durch „Prime-ministerial government“ abgelöst worden sei, wird doch als „präsidentielle Wendung“ verstanden und gewinnt ihre Spitze erst durch die Annahme einer strukturellen Konvergenz der Ämter von Präsident und Premier. Der Premier ist (allerdings nur dann, wenn wegen des Wahlsystems allein zwei Parteien für die Regierungsbildung zählen) der einzige vom Volk direkt gewählte Minister. Wird er darin nicht einem Präsidenten ähnlich? Er allein ernennt, nachdem der Sieger der Unterhauswahl im Buckingham Palast der Königin Reverenz erwiesen hat, alle übrigen Minister, und er kann sie auch wieder entlassen und sein Kabinett nach Gutdünken umbilden.

Überdies gibt der Premier den Ausschlag bei der Vergabe von Oberhaussitzen durch Verleihung des (nicht erblichen) Adelstitels eines Lords auf Lebenszeit, womit er die Mehrheitsverhältnisse der zweiten Kammer beeinflussen kann. Es ist jederzeit ganz allein in seine Hand (ohne Beratung mit dem Kabinett) gelegt, wann das Unterhaus, das spätestens alle fünf Jahre neu gewählt werden muß, aufgelöst wird. Nicht nur kontrolliert er die Tagesordnung des Kabinetts, sondern auch den Informationsfluß aus den von ihm eingesetzten Unterausschüssen des Kabinetts Die Macht des Premierministers, der im Gefüge der konstitutionellen Monarchie die politische Verantwortung für die niemals abgeschafften, aber politisch umgedeuteten Reservatrechte des Monarchen übernimmt,überragt das kollektiv mit ihm zusammen dem Unterhaus verantwortliche Kabinett. Stand und steht es daher einem starken Premier so wie Mar-garet Thatcher nicht frei, Kritiker zu entlassen und mit einem ergebenen Kabinett abhängiger Gehilfen ähnlich einem Präsidenten zu regieren?

II. Das Kabinett als kollektiver Akteur in der Ära Thatcher

In seinen Beratungen soll ein britisches Kabinett frei diskutieren, nach außen aber (auch dem Unterhaus und der Presse gegenüber) strikte Vertraulichkeit bewahren und mit nur einer Stimme sprechen. So will es die herrschende, von Politikern, Beamten und Öffentlichkeit verinnerlichte (wenngleich nicht immer beachtete) Doktrin der kollektiven Verantwortlichkeit von Premier und Kabinett Überdies sind die einzelnen Minister dem Unterhaus durch Fragestunden und andere Kontrollinstrumente auch individuell verantwortlich. Doch in beiden Punkten, der individuellen wie der kollektiven Verantwortlichkeit, verstärkten sich durch die Verfassungspraxis der Thatcher-Regierung längst vor ihr bekannte Probleme. 1. Ministerverantwortlichkeit und Dienstgeheimnis Öffentliche Kritik der Exekutive durch Parlament und Medien ist zentral für die Legitimation des Westminster Modells. Doch können Minister, wenn sie das Unterhaus bewußt irreführen, sich auf das durch die Androhung einer Gefängnisstrafe gesicherte Stillschweigen ihrer Beamten verlassen? Nach den Bestimmungen des aus Furcht vor Spionen verabschiedeten „Official Secrets Act“ von 1911, das auch heute noch gilt und dessen Reform seit langem gefordert wird, wird neben Landesverrat jede Weitergabe von Dienstwissen -ob als geheim klassifiziert oder nicht -mit Gefängnis bestraft, sofern Beamte nicht ausdrücklich durch ihren Minister zur Weitergabe von Informationen (und sei es auch nur an Parlamentarier oder an Journalisten) autorisiert worden sind

Als sich während der Regierungszeit Thatchers Indiskretionen (Leaks) aus dem Civil Service (Staatsdienst, mit Karrierebeamten) häuften, strengte die Regierung Prozesse gegen Beamte an. Der aufsehenerregendste Fall war der „Ponting Case“. Dabei ging es um die Frage, ob im Falklandkrieg das argentinische Kriegsschiff „General Belgrano“ auf Weisung des Kriegskabinetts in London bewußt torpediert und versenkt worden war, um die Krise eskalieren zu lassen. Der Beamte Clive Ponting hatte in dieser Frage offizielle Dokumente, die nicht als geheim klassifiziert waren, an einen der Regierung besonders kritisch gegenüberstehenden Unterhausabgeordneten gegeben. Aus diesen Papieren schien hervorzugehen, daß versucht worden war, Parlament und Öffentlichkeit in der Angelegenheit irrezuführen.

Von der Regierung angeklagt, wurde Clive Ponting vor ein Geschworenengericht aus ehrenamtlichen Laien gestellt, das als traditionelles Grundrecht der Engländer jeder Angeklagte anstelle eines aus Berufsrichtern zusammengesetzten Tribunals wählen kann. Der Freispruch des inzwischen aus dem Staatsdienst ausgeschiedenen Ponting ändert nichts an der Problematik der Informationsfreiheit. Denn der Vorsitzende Richter, der in einem solchen Geschworenengericht selbst nicht an der Beratung über den Schuldspruch mitwirkt, hatte die Jury zuvor eindringlich ermahnt, daß Ponting nach Geist und Buchstaben des geltenden Gesetzes verurteilt werden müsse, damit allerdings eine gegenteilige Reaktion provoziert. In einem ähnlichen Fall wurde die junge Beamtin Sarah Tisdall aus dem Außenministerium ins Gefängnis geschickt, weil sie der Zeitung „Guardian“ Informationen zugespielt hatte, wie die Stationierung amerikanischer Raketen in Großbritannien im Unterhaus erörtert werden sollte.

Die Forderung, den Geheimnisschutz dahingehend zu lockern, daß nur hoch die Weitergabe von ausdrücklich als geheim klassifizierten Informationen strafbar ist, hat durch die Musterprozesse in der Ära Thatcher und die der Regierung nachgesagte Tendenz zur Festigung des „l’Etat-gendarme" (Verstärkung der Polizeikräfte, Verbot gewerkschaftlicher Organisation im Nachrichten-hauptquartier Cheltenham) keine neue Qualität, wohl aber eine verstärkte Aktualität erhalten. Die Fragen von Informationsfreiheit und Verantwortlichkeit der Minister werden nach den Erfahrun-gen der Ära Thatcher dringlicher diskutiert als zuvor. Die berühmte Westland Affäre, die große Wellen schlug -in ihrem Verlauf traten zwei Minister zurück warf grundsätzliche Fragen der ministeriellen Verantwortlichkeit auf im Intrigen-spiel von Behörden gegeneinander unter Weitergabe manipulativ gefilterter offiziöser Informationen durch autorisierte, später aber desavouierte Beamte. 2. Externe Berater der Premierministerin außerhalb des Kabinetts Die in der Reformära Attlee nach 1945 erstmals im großen Stil eingesetzten Kabinettsausschüsse waren (und sind) ein Weg, um das Kabinett beim Wachstum der Staatsaufgaben von weniger dringlichen Sachangelegenheiten zu entlasten Aber mit diesem Verfahren wurde unter Churchill und Attlee auch über den Bau der britischen Wasserstoffbombe ohne Kenntnis des gesamten Kabinetts entschieden. Als Außenminister George Brown 1968 erfuhr, daß die im Kabinett noch umstrittene Pfundabwertung im geheimen Staatsrat (Privy Council) beschlossen worden war, trat er aus Protest gegen Wilsons „Cliquenregierung“ zurück. Bis 1986, nach sechseinhalb Jahren Amtszeit, hatte Margaret Thatcher zwar weit weniger Kabinettsausschüsse als frühere Premiers eingesetzt; jedoch neigte sie statt dessen zunehmend dazu, die Kabinettskollegen unter dem Einfluß externer Berater vor vollendete Tatsachen zu stellen und ohne die Chance einer Entscheidungsdiskussion im Kabinett in die kollektive Verantwortlichkeit -oder zum Rücktritt -zu zwingen

Hierin wird ihre spezielle Variante des „Primeministerial government“ gesehen. Obwohl sie ihr Kabinett anfangs zunächst aus mehreren Richtungsgruppen der Partei zusammensetzte, verfolgte sie mit einem ihr ergebenen kleinen Kreis in der Wirtschaft-und Sozialpolitik Ziele, die vom traditionellen Flügel der Partei nicht gutgeheißen wurden. Im Bestreben, ihre politische Linie durchzusetzen, neigte sie zunehmend zur Entlassung von Ministern, die die Konsequenzen ihrer restriktiven Sozialpolitik fürchteten und als „Wets“ (sich in die Hosen nässende Angsthasen) verschrien wurden. Später kam ein mühsam verhehlter Dissens im Kabinett über die Europapolitik hinzu. Als ihr langjähriger Schatzkanzler, Nigel Lawson, aus Protest zurücktrat, weil die Premierministerin dem Rat eines externen Beraters (Professor Sir Alan Walters) öffentlich den Vorzug gab, verstärkte sich der Eindruck, daß sie sich nach der Art eines Präsidenten mit „Küchenkabinetten“ umgab, die weder dem Parlament noch dem Civil Service entstammten.

Tatsächlich aber blieb eine solche Berufung externer Fachleute in befristete staatliche Stellen (vergleichbar den wechselnden Beratern eines Präsidenten) die Ausnahme Gegen eine Präsidentialisierung spricht auch, daß sie auf die Einrichtung eines eigenen „Prime Minister’s Department“, das immerhin seit über 20 Jahren im Gespräh gewesen war, verzichtete, als der Faiklandkrieg ein solches Ministerium auf die Agenda brachte. Sie verzichtete (wohl) wegen des befürchteten Widerstands im Parlament und wegen des öffentlich geäußerten Ressentiments einiger Kabinettskollegen, die sich gegenüber einer weiteren Machtsteigerung eines bereits dominierenden Premiers verstört zeigten Ihre Stabsabteilung -die ihr allerdings rein persönlich zuarbeitete, ohne für die anderen Minister verfügbar zu sein -war zusammen mit dem offiziellen Stab in „ 10 Downing Street“ (offizieller Amtssitz des Premierministers) und im Cabinet Office im Vergleich zu einem deutschen Bundeskanzler oder einem amerikanischen Präsidenten verschwindend klein 3. Bürokraten und Politiker Ein intimer Kenner der durch große Geheimhaltung geschützten Gewohnheiten von Whitehall, der Journalist und Zeithistoriker Peter Hennessy, urteilt, es sei keine Übertreibung, daß Margaret Thatcher die Struktur des Civil Service stärker als jeder andere Premierminister in Friedenszeiten vor ihr seit Gladstone (Premierminister zwischen 1868 und 1894) verändert habe Nicht nur wurde die Zahl des Personals und die Anzahl der Formulare verringert, sondern auch ein betriebswirtschaftliches Planungssystem -wie die „Financial Management Initiative“ (FMI) -zur Stärkung der Aufsicht der gewählten Politiker über die Karrierebeamten des Civil Service eingeführt.

Diese Reformen wurden unter der Leitung eines vorübergehend in den Staatsdienst eintretenden Beraters der Premierministerin, Sir (heute Lord) Derek Rayner, eingeführt und später von einem (ebenfalls nur vorübergehend freigestellten) Direktor des Industriekonzern ICI fortgeführt. Rayner, ein Direktor der Kaufhauskette Marks and Spencer, der früher selbst in Whitehall gearbeitet hatte, kooperierte mit dem Civil Service, indem er Verbündete auf allen Stufen der Bürokratie suchte. Unter Bruch des scheinbar so ehernen Gesetzes der Budgetmaximierung durch eine Bürokratie, die primär an der Ausweitung ihrer Abteilungen interessiert sei, verringerte sich der Umfang des Staatsdienstes um etwa 20 Prozent auf den niedrigsten Personalstand der Nachkriegszeit 1981 wurde das für die Personalplanung zuständige „Civil Service Department“ aufgelöst. Indem seine Aufgaben zwischen dem Schatzamt und dem im Rahmen des „Cabinet Office“ neu eingerichteten , (Office of Management and Personnei“ aufgeteilt wurden, verlor der Civil Service sein seit 135 Jahren bestehendes Monopol der alleinigen Rekrutierung der Ministerialbeamten. So verwundert es nicht, daß Thatcher vorgeworfen wurde, sie habe unter Aufhebung der Reformen Gladstones die höheren Ränge des Civil Service politisiert. Aber die Tatsache, daß sie „certainly took a keener interest in the work of the Cabinet Secretary’s Senior Appointments Selection Committee than any Premier in memory“ bedeutet doch bei genauem Hinsehen nur einen bescheidenen Schritt in Richtung auf das international eher übliche Maß der Mitsprache der politischen Leiter bei der Auswahl ihrer beratenden Spitzenbeamten.

Anders als etwa in der Bundesrepublik Deutschland haben in Großbritannien, das bis heute an der strikten politischen Neutralität seiner Beamten festhält und ihnen auch keine Kandidatur zum Unterhaus ohne Quittierung des Dienstes (ohne Garantie der Rückkehr in den Staatsdienst) erlaubt, Politiker keinen Einfluß auf die Karrieren ihrer Beamten oder die Besetzung von Stellen. Hineinnahme der Auswahlkommission ins Cabinet Office und die Teilnahme der Premierministerin an ihren Sitzungen bedeutet lediglich mehr Mitsprache, nicht aber, daß sie ihren Willen den dort anwesenden Beamten oktroyieren kann. Auch Kritiker einer der britischen Verwaltungskultur fremden Tendenz, daß Politiker an der Auswahl ihrer Spitzenbeamten mitwirken, „räumen ein, daß die Auswahl weniger nach politischen Einstellungen getroffen wird, als nach persönlichen und Management-Qualitäten. Während früher eher abwartende, analytische Persönlichkeiten gefragt waren, bevorzugt die konservative Regierung eher hemdsärmelige Macher mit einem can-do-approach.“

Als eine der Ursachen für die notorischen Spannungen zwischen der Premierministerin und der etablierten Bürokratie gilt (ob berechtigt oder nicht) ihre Überzeugung, daß der Civil Service ein Teil jenes stagnationsbrütenden, für den wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens verantwortlich gemachten „direktionslosen Konsenses“ parteiübergreifender Absprachen einer an John Maynard Keynes orientierten Wirtschaftssteuerung gewesen sei. Thatchers Versuch, die partei-übergreifenden sektoralen Netzwerke zu zerbrechen, setzte bei der Reform des Civil Service an. Die Erfolgsbilanz der Regierung beim Abbau der in Großbritannien weit verzweigten halbstaatlichen Körperschaften außerhalb der Staatsbürokratie wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Bis Mitte der achtziger Jahre löste die Regierung 441 der bestehenden Gremien auf, von denen es, je nach Definition und Abgrenzung, zwischen 250 und über 2 000 gibt. Abgeschafft wurden aber nur die unbedeutenderen Beiräte (advisory bodies), während gleichzeitig in anderen Bereichen neue, mit beträchtlichen Kompetenzen ausgestattete, entstanden 4. Wahl und Wiederwahl des Premierministers Der Premier wird -darin sehen viele Beobachter eine Ähnlichkeit zum Präsidenten -als einziger Minister (wenn auch nicht formal, so doch faktisch) direkt vom Volk gewählt. Max Weber, der dabei an Gladstone dachte, bezeichnete ihn deshalb als „Diktator des Wahlschlachtfeldes“ Aber im Gegensatz zum Präsidentenamt der USA, wo seit 1972 Parlaments-und Parteiführer aus dem Nominierungsprozeß der Präsidentschaft so gut wie ausgeschlossen sind kann ein britischer Regierungschef nur dann den plebiszitären Test bestehen, wenn er zuvor in einem förmlichen satzungsmäßigen Auswahlverfahren (bei den Konservativen allerdings erst seit 1965 und bei Labour uneingeschränkt nur bis 1981) durch seine Fraktion und damit allein durch das Parlament als Kandidat für das höchste Regierungsamt gewählt worden ist

Richard Crossman hatte abschätzig über die Ansicht „konstitutioneller Puristen“ geurteilt, daß die Abberufbarkeit des Premierministers (sowohl durch das gesamte Parlament als auch durch seine Kabinettskollegen) nach wie vor einen zentralen Unterschied zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System ausmache Denn er hielt es in der politischen Praxis für so gut wie ausgeschlossen, daß ein amtierender Premier in einem ordentlichen Verfahren ausgewechselt werden könne. Doch das Unvorstellbare trat 1990 ein: Die Regierungschefin, die auf die längste Amtszeit eines britischen Premiers in diesem Jahrhundert zurückblicken konnte, verfehlte knapp die Wiederwahl in ihrer Fraktion und trat schließlich auf den Rat ihres Kabinetts hin zurück

Was Sidney Low bereits 1904 schrieb, liest sich wie eine Vorwegnahme von Aufstieg und Fall der Premierministerin Thatcher, die nunmehr als „Dame Margaret“ den Hinterbänken des Unterhauses angehört: „Ein englischer Premierminister, der seiner Majorität im Parlament sicher ist, kann tun, was der deutsche Kaiser und der amerikanische Präsident und alle Komiteevorsitzende im Kongreß der Vereinigten Staaten nicht tun können; denn er kann die Gesetze ändern, er kann Steuern auferlegen und aufheben, und er kann alle Staats-gewalten dirigieren. Die einzige Bedingung ist, daß er seine Majorität bewahren muß.“ Zum indirekten Auslöser ihres Sturzes wurde die Unruhe unter den Abgeordneten über die vom Premier gewünschte (und durchgesetzte) neue Gemeindesteuer. Diese Kopfsteuer (Poll Tax) erzeugte unerwartete soziale Härten und ließ zahlreiche konservative Abgeordnete um ihre Wiederwahl fürchten. Nachdem sich die Unruhe aber bereits gelegt hatte und der alarmierende Vorsprung der Labour Party in den Meinungsumfragen während des Sommers 1990 etwas zurückgegangen war, wurde der Rücktritt von Sir Geoffrey Howe, dem stellvertretenden Premierminister und letzten verbleibenden Minister aus dem ersten Kabinett Thatcher von 1979, zum unmittelbaren Auslöser der Krise. Anlaß war eine über den Kopf der Minister verlautbarte öffentliche Attacke der Regierungschefin bezüglich der künftigen europäischen Integration. In seiner die Demission erläuternden Unterhausrede verglich erdas „persönliche Regiment“ der Regierungschefin ohne Konsultation mit dem Kabinett unter nachträglicher Desavouierung der Minister mit der irrationalen Handlungsweise des Kapitäns eines Cricket-Teams, der seine Spieler behindert

Im verschlüsselten Code, der von Fraktion und Öffentlichkeit als Aufforderung zur Abwahl verstanden wurde, beschuldigte er Thatcher, das verhaltensleitende Grundprinzip der „Kabinettsregierung“, den kameradschaftlichen Sportsgeist eines kämpfenden Teams, durch Sprunghaftigkeit und einsame Entschlüsse außerhalb des Kabinetts verlassen zu haben Heseltine, der in der „Westland Affäre“ aus Protest gegen die Verweigerung einer Diskussion im Kabinett aus ihrer Regierung zurückgetreten war, wurde zum ernsthaften Gegenkandidaten. Im Kampf um die Führung in der Fraktion appellierte Margaret Thatcher über den Kopf der Parlamentarier hinweg an die konservativen Wahlkreisorganisationen außerhalb des Parlaments. Die Sondierung der Basis, die von der Parteisatzung bei der Führerwahl vorgeschrieben war, ergab für sie in der Tat eine Mehrheit von 70 Prozent

Doch beim ersten Wahlgang fehlten ihr in geheimer Wahl in der Fraktion schließlich vier Stimmen so daß Crossmans „elective first magistrate“ am Parlament scheiterte. Ihre wenige Minuten nach Bekanntwerden der Nachricht im Ausland (auf dem EG-Gipfel) bekanntgegebene Absicht, auch im satzungsmäßigen zweiten Wahlgang kandidieren zu wollen, wurde in London als Versuch gerügt, in charakteristischer Manier eine kollegiale Beratung über die Führungskrise der Partei verhindern zu wollen Nach London zurückgekehrt, befragte sie ihre Minister getrennt.

In ironischer Analogie zur historischen Einführung der kollektiven Verantwortlichkeit, als das Kabinett sich angesichts von Einzelaudienzen durch den Monarchen darauf verständigt hatte, es sei gleichgültig was sie sagten, sofern sie alle das Gleiche sagten, wird berichtet, daß ihr alle bis auf zwei zum Rücktritt rieten. Um einen zu starken Kurs-wechsel zu verhindern und möglichst viel von der Politik des „Thatcherismus“ ohne die dominante Persönlichkeit von Thatcher zu retten, wurde nicht der Herausforderer Heseltine, sondern John Major gewählt und von der Königin zum Premier ernannt. Zwar verfehlte auch er die erforderliche Mehrheit in der Fraktion, aber seine innerparteilichen Konkurrenten verzichteten im Gegensatz zu Thatcher, deren Abwahl man wünschte, auf eine Stichwahl.

III. Die Rolle des Unterhauses

Das britische Kabinett, das aus den Vorderbänken des Unterhauses (und einigen wenigen Lords aus dem Oberhaus ohne Sitz im Unterhaus) besteht, verbleibt ein Bestandteil des Parlaments. Es wird nicht so wie in der „antagonistischen Partnerschaft“ eines präsidentiellen Systems zum exekutiven Gegenspieler der Legislative. Vielmehr ist die (von den Hinterbänken in wechselnden Abstimmungen stets erneut zu akzeptierende) Dominanz des Kabinetts über das Unterhaus trotz neuer Trends in den siebziger und achtziger Jahren nach wie vor herausragendes Kennzeichen des Westminster Modells. 1. Ratifikation von Gesetzesvorlagen durch das Unterhaus „Die Einhaltung einer strikten Fraktionsdisziplin“, schreibt Winfried Steffani, „ist funktionell die wichtigste Voraussetzung zur Arbeitsfähigkeit des modernen britischen parlamentarischen Regierungssystems mit Premierhegemonie.“ Nun ist die Fraktionsdisziplin heute nicht etwa geschwunden. Nur hat sie vor Thatcher (und nicht etwa unter einer innerparteilich notorisch zerstrittenen Labour-Regierung, sondern unter dem konservativen Premier Heath) eine neue Qualität angenommen. In einem unerwartet dramatischen Anwachsen der Zahl der Abgeordneten, die mit der Gegenseite gegen einen als wichtig angesehenen Beschluß ihrer eigenen Partei stimmten, ist die Abstimmungsdisziplin auf ein Maß gesunken, für das man, um in der Geschichte eine Parallele zu finden, bis zu den 1860er Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückgehen muß

Philip Norton, einer der besten Kenner des britischen Unterhauses, sieht die Hauptursache für die weniger loyale Einstellung der Hinterbänke im Unmut der Fraktion über das Ausspielen eines „Prime-ministerial government" durch den „olympischen Stil“ des konservativen Premiers Edward Heath Nachdem die zu erwartenden Sanktionen gegen einen solchen Bruch der Parteidisziplin sich als leere konstitutionelle Mythen entpuppt hatten und einige der Rebellen später durchaus Minister werden konnten, führte die spontane Erfahrung zu einem dauerhaft gewandelten Verhal- ten. Der unter Heath eingetretene Verhaltenswandel ist ein Kennzeichen von Westminster geblieben. Diese Erklärung, die den Bestand der Regierung durch das neue „Drohpotential“ der Hinterbänkler nicht gefährdet sieht, aber die legendäre Fähigkeit eines britischen Kabinetts, kraft eiserner Fraktionsdisziplin jeder von ihr gewünschten Maßnahme Gesetzeskraft verleihen zu können, als erschüttert bezeichnet, steht im Einklang mit den funktionalen (normativen) Verhaltensregeln des Westminster Modells. Wenn nämlich das Parlament wirklich der „Resonanzboden des Zumutbaren“ ist, wie Uwe Thaysen im Anschluß an Winfried Steffani die sinnstiftende Idee dieses Modells parlamentarischer Regierung übersetzt dann gehört dazu auch die Fähigkeit der eigenen Fraktion, sich gelegentlich dem Konsens zu verweigern. Max Webers geflügeltes Diktum, die britischen Abgeordneten seien praktisch zu „gut diszipliniertem Stimmvieh“ geworden trifft für die Gegenwart des Westminster Modells noch weniger zu als für die Vergangenheit. Die Legislative ist nicht zu einer in blinder Gefolgschaft Beschlüsse der Exekutive ratifizierenden „Legitimative" geworden. In den gleichen Zusammenhang gehört auch das Aufkommen der „neuen Opposition“ des Oberhauses. Die Tage, in denen eine konservative Regierung wegen ihrer „natürlichen Mehrheit“ in der auf Lebenszeit besetzten Zweiten Kammer aus Erbaristrokraten und in den Adelsstand erhobenen Oberhausmitgliedern auf Lebenszeit keinen Widerstand zu fürchten brauchte, gehören der Vergangenheit an. Durch ihr suspensives Veto, das sie allerdings nur bei nicht finanzwirksamen Gesetzen (vor allem bei Verfassungsänderungen) besitzen, zwangen sie die Regierung von 1979 bis 1987 durch insgesamt 106 Niederlagen zu einem auch von Medien und interessierter Öffentlichkeit genutzten erneuten Nachdenken, ohne die Politik der Exekutive dauerhaft blockieren zu können 2. Das Ausschußsystem des Unterhauses seit 1979

Die für das Westminster Modell typische Kontrolle des Unterhauses durch das Kabinett, die durch wenige der in anderen Verfassungssystemen üblichen Gegengewichte eingeschränkt wird, kann nur akzeptiert werden, wenn die aus dem Parlament hervorgegangene Exekutive tatsächlich in der ständigen kritischen Auseinandersetzung mit der parlamentarischen Opposition und den Medien, aber auch den eigenen Hinterbänken steht. Sollte das Unterhaus faktisch nicht (mehr) über ausreichende Instrumente von kritischer Öffentlichkeit verfügen, dann wäre die Legitimationsdoktrin der Parlamentssouveränität ein ideologischer Schirm geworden.

Mit der Einrichtung von 14 neuen (und inzwischen permanenten) Sonderausschüssen -die 1979 erstmals in der britischen Verfassungsgeschichte allen wichtigen Ministerien parallel zugeordnet sind, prinzipiell öffentlich tagen und Minister sowie (mit deren Zustimmung) Beamte zitieren können (wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird) -wurden neue Aufsichtsausschüsse als permanente Wachhunde der Bürokratie eingesetzt Diese Reform des Ausschußwesens resultierte auch aus der Unzufriedenheit einer interfraktionellen Mehrheit der Hinterbänke mit Restriktionen der Fragestunde (zu zahlreichen Bereichen wird keine Auskunft gegeben) mit den aus Zeitdruck im Plenum nur knappen Debatten und mit der in der Geschäftsordnung verankerten Unmöglichkeit, während der legislativen Beratungen in den Ständigen Ausschüssen (dem zweiten britischen Ausschußtypus) Beamte zu befragen.

Freilich existiert nach wie vor eine für das Westminster Modell kennzeichnende Zweigleisigkeit der Struktur der Ausschüsse. Sie garantiert die rasche Ratifikation der von der Exekutive vorgelegten Gesetzentwürfe. Im dualen Ausschußsystem, das für Großbritannien typisch ist, wird zwischen Ständigen Ausschüssen (allerdings aus wechselnden Mitgliedern) und ad hoc gebildeten Aufsichts-und Untersuchungsausschüssen (mit teilweise aber durchaus permanentem Charakter) unterschieden. Nur solche Select Committees wurden den 14 Ministerien auf Dauer zugeordnet. Während Standing Committees, die die Gesetze beraten, nicht das Recht besitzen, als Grundlage der Debatte sich auf Beamte, Zeugen und Akten zu stützen, sondern als verkleinerte Plenarversammlungen im Beisein der wachsamen Fraktionsgeschäftsführer abstimmen, besitzen die partei- übergreifenden Select Committees durchaus dieses Recht, doch ist es ihnen verwehrt, Gesetzestexte zu beraten oder Gesetzesvorlagen auszuarbeiten. Von einer experimentellen Mischung beider Formen, die nach der Reform möglich ist, wurde nur selten Gebrauch gemacht.

Mit zur Einrichtung der neuen Ausschüsse hat die auch in Großbritannien zunehmende Professionalisierung der Abgeordneten beigetragen, die sie zu Bereichsspezialisten mit langjähriger Parlaments-tätigkeit werden läßt. Ähnlich wie sich in der gesamten Bevölkerung infolge der Bildungsexpansion der fünfziger und sechziger Jahre politische Artikulations-und Kritikfähigkeit verstärkten, war es eine wachsende Zahl akademisch gebildeter Abgeordneter nicht mehr zufrieden, im „best club of London“ Politik als einen vor allem im Plenum des Hauses auszuübenden Nebenberuf in den frühen Nachmittags-und späten Abendstunden zu betrachten, die andere Tageshälfte aber für einen bürgerlichen Hauptberuf freizulassen. Eine breite Mehrheit der Hinterbänkler aus allen Parteien zwang einer im Grunde widerstrebenden Regierung die Ausschußreform auf, ohne die Dominanz des Kabinetts über das Unterhaus beseitigen zu wollen. 3. Premier, Unterhaus und Medien 1989 wurde erstmals die Fernsehübertragung von Unterhausdebatten erlaubt, nachdem das Oberhaus bereits 1985 vorangegangen war. Nach langem Widerstreben der Abgeordneten, das helle Scheinwerferlicht der elektronischen Medien in die nach einem stark rituellen Zeremoniell arbeitende Debattierkammer des Unterhauses einzulassen, fanden die zunächst nur experimentell befristeten Fernsehaufzeichnungen bei der endgültigen Abstimmung 1990 eine überzeugende Mehrheit, nachdem die Probeübertragungen die Befürchtungen der Gegner von Fernsehaufnahmen zerstreut hatten. Diese Innovation glich das Geschehen im Palast von Westminster an die in vielen anderen Demokratien bereits übliche Praxis an.

Allerdings darf der rhetorische Schlagabtausch der sich auf Bänken gegenübersitzenden Abgeordneten, die nicht von einem Rednerpult, sondern von ihrem Sitzplatz aus sprechen, nicht im raschen Wechsel der Kamera verfolgt werden. Auch beim Ausbruch gelegentlich hitziger und rüpelhafter Wortgefechte, die für das bisweilen bis spät in die Nacht tagende „Redeparlament“ nicht untypisch sind, muß die Kamera auf den Abgeordneten gerichtet bleiben, der gerade das Wort erteilt erhalten hat, oder für die Zeit der Unruhe unbeweglich auf den Stuhl des unparteiischen Parlamentspräsidenten, des Speakers, einschwenken

Als Indiz dafür, daß der Macht-und Bedeutungszuwachs der neuerdings den Ministerien zugeordneten Sonderausschüsse tatsächlich existiert, widmet das Fernsehen diesen neuen Einrichtungen (alle Ausschüsse tagen in Westminster prinzipiell öffentlich) einen weit größeren Anteil an der Berichterstattung als den alten Ständigen Ausschüssen Dies Faktum ist um so aufschlußreicher, als die Medien nur zur Berichterstattung aus dem Plenum verpflichtet sind und Femsehaufnahmen in den Ausschüssen ihrem Belieben anheim gestellt wurden. Debatten über lokale Angelegenheiten werden von den Regionalprogrammen der britischen Fernsehsender bevorzugt übertragen. Abgesehen davon, daß sich vorübergehend die Zahl mündlicher Fragen einfacher Abgeordneter ohne Regierungsamt steigerte, hat das Fernsehen keine bleibende Veränderung im gewohnten Verhalten der Abgeordneten bewirkt.

Hat das Fernsehen aber -etwa durch einseitige Konzentration auf die Fragestunden des Regierungschefs -der Premierministerin ein Übermaß an Sendezeit auf Kosten des gesamten Parlamentes gewidmet? Der quantitative Anteil der Übertragungen erweist diese naheliegende Vermutung als eine ungerechtfertigte Übertreibung Obwohl die audiovisuellen Medien die personalplebiszitäre Wirkung starker, telegener Persönlichkeiten zu verstärken pflegen, bedeutet es doch einen gewaltigen Unterschied, ob ein direkt gewählter Chef der Exekutive sich zweimal wöchentlich ins Parlament begeben muß, um sich den listigen Fangfragen seiner parlamentarischen Kollegen von der Opposition zu stellen, oder ob er ganz allein in seinem zum Fernsehstudio hergerichteten Amtssitz unter diskreter Anwendung aller medientechnischen Kunstgriffe direkt zum Volk spricht.

Daß Margaret Thatchers Image im Fernsehen aus ihren geschickten (wenn auch gelegentlich schrillen) Repliken auf parlamentarische Anfragen der Opposition im Unterhaus -wobei sie von ihrem Kabinett umgeben gezeigt wird -resultierte, spricht gegen die von manchen vermutete Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems. Nachdem es in Großbritannien immer schon stil-widrig gewesen wäre, den Premier nicht vom Parlament, sondern von 10 Downing Street aus zur Nation sprechen zu lassen, hat die Einführung des Fernsehens ins Unterhaus schon vor der Verweigerung ihrer Wiederwahl durch die Unterhausfraktion die parlamentarischen Schranken eines „Diktators des Wahlschlachtfeldes“ (Max Weber) und „elective first magistrate“ (Richard Crossman) verstärkt sichtbar gemacht.

Weil die nur teilweise schriftlich oder vertraglich fixierten Institutionen und Verfahrensregeln mit ihren juristisch nicht erzwingbaren Konventionen seit eh und je einer starken Persönlichkeit eine ungewöhnliche Machtfülle erlauben, war Großbritannien immer schon ein parlamentarisches System mit „Premierhegemonie“ (Winfried Steffani). Aber im Unterschied zum präsidentiellen System ist der Premier zusammen mit seinen Ministern, die sich als Kollegen, die ihn ausgewählt haben, nicht als bloße Gehilfen verstehen können, in die kollektive Verantwortlichkeit des Kabinetts eingebunden. Mag diese zentrale Doktrin auch nur auf Brauch und Herkommen beruhen, deren Verletzung nicht mehr als ein schlechtes Gewissen oder eine schlechte Presse erzeugt, so muß der Bruch der Kollegialität doch „verhehlt“ werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Uwe Taysen/Roger H. Davidson/Robert G. Livingston (Hrsg.), US-Kongreß und Deutscher Bundestag, Opladen 1988, S. 530, 548. Zum Stand der internationalen Diskussion vgl. John Hart, President and Prime Minister: Convergence or Divergence?, in: Parliamentary Affairs, 44 (1991) 2, S. 208-225.

  2. Vgl. Arend Lijphart, Democracies. Patterns of Majoritarian and Consensus Government in Twenty-One Countries, New Haven 1984.

  3. Walter Bagehot, Die englische Verfassung, Neuwied u. a. 1971, S. 54, 57. In Großbritannien sind nicht nur Exekutive und Legislative, sondern auch Rechtsprechung und Kabinett (teilweise) verschmolzen. Denn der Präsident des Obersten Berufungsgerichts (der Lordkanzler als Vorsitzender der 19 Law Lords im Oberhaus) ernennt nicht nur die Richter des Landes, sondern sitzt auch als Kabinettsminister in der Regierung.

  4. In Meinungsumfragen befürwortet zwar eine Mehrheit das Verhältniswahlrecht, weil es fairer sei. Doch diese Mehrheit schwindet, wenn darauf hingewiesen wird, daß dann jeder Wahlkreis nicht mehr nur noch einen (nämlich „seinen“) Abgeordneten haben könnte. Im Jahre 1986 optierten immerhin 59 Prozent der Befragten für das derzeitige System; vgl. Herbert Döring, Parteiensystem, Sozialstruktur und Parlament in Großbritannien. Wandlungen des „Westminster Modells“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/87, S. 21.

  5. Vgl. Judicial Review, in: Contemporary Record. The Magazine of the Institute of Contemporary British History, 2 (1988) 3, S. 39f.

  6. Vgl. Günther Doeker, Der parlamentarische Bundesstaat im Commonwealth of Nations, Tübingen 1980; Patrick Weller, First Among Equals: Prime Ministers in Westminster Systems, London 1985.

  7. Zur Rolle der parlamentarischen Opposition in Großbritannien vgl. David Denver, Great Britain: From Opposition with a Capital „ 0“ to Fragmented Opposition, in: Eva Kolinsky (Hrsg.), Opposition in Western Europe, London 1987; Herbert Döring, Das klassische Modell in Großbritannien: Ein Sonderfall, in: Peter Lösche (Hrsg.), Göttinger Sozial-wissenschaften heute. Parlamentarische Opposition im internationalen Vergleich, Göttingen 1990, S. 84-101; Lars Kastning, Vereinigtes Königreich, in: Winfried Steffani (Hrsg.), Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG, Opladen 1991, S. 375-413.

  8. Vgl. Herbert Döring, Skeptische Anmerkungen zur deutschen Rezeption des englischen Parlamentarismus 1917/18, in: Lothar Albertin/Werner Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland, Düsseldorf 1981, S. 132-137.

  9. A. L. Lowell, The Government of England, New York, New Edition 1912, Bd. I, S. 355.

  10. „Parliament -does it still matter?“ -so lautet der Untertitel einer Ausgabe von Contemporary Record (Anm. 5). Zu unterschiedlichen Interpretationen vgl. Henry Drucker/Patrick Dunleavy/Andrew Gamble/Gillian Peele (Hrsg.), Developments in British Politics, Bd. 2, London 1988, S. 354f.

  11. Vgl. Richard Crossmann, Einleitung zu Walter Bagehot, The English Constitution, London 1963, S. 22L Ähnlich bereits sechzig Jahre zuvor Sidney Low, The Governance of England (1904), 19114, S. 158: „The Office of Premier has become more than ever like that of an elective President, since it has been held by ä succession of able statesmen ...“

  12. In seinen Harvard Vorlesungen von 1970, zitiert bei J. Hart (Anm. 1), S. 210.

  13. Vgl. Martin Burch, The United Kingdom, in: Jean Blondel/Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.), Cabinets in Western Europe, New York 1988, S. 17-32; Anthony King (Hrsg.), The British Prime Minister, London 19852.

  14. Vgl. David L. Ellis, Collective Ministerial Responsibility and Collective Solidarity, in: Geoffrey Marshall (Hrsg.), Ministerial Responsibility, Oxford 1989, S. 46-56.

  15. Vgl. G. Marshall (Anm. 14), S. 152f., S. 154-163; Sillian Peele, Civil Rights, in: H. Drucker u. a. (Anm. 10), S. 150-158.

  16. Jacques Leruez. Fin de partie en Grande-Bretagne. Bilan de l’re thatcherienne, in: Etudes, 374 (1991) 2, S. 165 f.

  17. Vgl. Peter Hennessy, Whitehall, London 1989, S. 302 (mit einer Beschreibung der Affäre); s. a. die Beiträge in G. Marshall (Anm. 14), S. 80-91, 134-139; Patrick Dunleavy, Reinterpreting the Westland Affair: Theories of the State and Core Executive Decision Making, in: Public Administration, 68 (1990) 1, S. 29-60.

  18. Vgl. Peter Hennessy, The Quality of Cabinet Government, in: Martin Burch/Michael Moran (Hrsg.), British Politics. A Reader, Manchester 1987, S. 280.

  19. D. L. Ellis (Anm. 14), S. 51.

  20. Vgl. Michael Doherty, Prime-ministerial Power and Ministerial Responsibility in the Thatcher Era, in: Parliamentary Affairs, 41 (1988), S. 49-67; Anthony Seldon, The Cabinet Office and Coordination 1979-1987, in: Public Administration, 68 (1990) 1, S. llf.

  21. Vgl. Geoffrey K. Fry, Inside Whitehall, in: H. Drucker u. a. (Anm. 10), S. 99.

  22. Vgl. P. Hennessy (Anm. 17), S. 387, 645 f.

  23. Zu Beginn der Sitzungsperiode von 1984/85 hatte Thatchers Stabsabteilung, die nach einem vom Labour Premier Wilson geschaffenen Präzedenzfall im „Prime Minister’s Office“ eingerichtet worden war, neun Mitglieder; vgl. G. K. Fry (Anm. 21), S. 98.

  24. Vgl. Peter Hennessy, The Civil Service, in: Dennis Kavanagh/Anthony Seldon (Hrsg.), The Thatcher Effect, Oxford 1989, S. 114.

  25. Angaben aus dem National Audit Office zitiert bei P. Hennessy (Anm. 17), S. 600. Heidrun Abromeit, Staatsentwicklung in der Thatcher-Ära: Weniger Staat -mehr Staat, in: Roland Sturm (Hrsg.), Thatcherismus -Eine Bilanz nach zehn Jahren, Bochum 1989, S. 299, macht skeptisch geltend, daß dieser Erfolg der Regierung einiges an Glanz verliert, „wenn man bedenkt, daß die Personaleinsparungen bisher überwiegend die industriell Beschäftigten (z. B. in den Royal Ordnance Factories) betreffen. Auch ist es der Regierung nicht gelungen, im gleichen Takt und Ausmaß die öffentlichen Ausgaben zu verringern.“

  26. P. Hennessy (Anm. 24), S. 120.

  27. Werner Jann, Politik als Aufgabe der Bürokratie: Die Ministerialbürokratie im politischen System der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien, in: Peter Haungs (Hrsg.), Herrschaft der Bürokratie? (Politische Bildung, 21 [1988] 2), S. 55.

  28. Vgl. H. Abromeit (Anm. 25), S. 301.

  29. Max Weber, Politik als Beruf (1919), in: Gesammelte politische Schriften, Tübingen 1958, S. 523: „Ein cäsaristischplebiszitäres Element in der Politik: der Diktator des Wählschlachtfeldes, trat auf den Plan.“

  30. Vgl. J. Hart (Anm. 1), S. 221, Anm. 16.

  31. Vgl. Bill Coxall/Lynton Robins, Contemporary British Politics. An Introduction, London 1990, S. 240f., 247f.

  32. Vgl. R. Crossman (Anm. 11), S. 54.

  33. Zu den Ironien des politischen Systems gehört es, daß für die Unterhauswahl einer Partei die einfache Mehrheit (fast immer von weniger als 50 Prozent) der gültigen Wählerstimmen ausreicht. Aber für die Kür des konservativen Parteiführers genügt selbst die absolute Mehrheit in der Fraktion im ersten Wahlgang nicht, wenn er nach der Parteisatzung nicht zugleich einen Stimmenvorsprung von 15 Prozent vor dem nächsten Konkurrenten erzielt. Thatcher erreichte 55 Prozent (204 Abgeordnete), Heseltine 41 Prozent (152 Abgeordnete). S. 133. Vgl. R. K. Alderman/Neil Carter, A Very Tory Coup: The Ousting of Mrs. Thatcher, in: Parliamentary Affairs. 44 (1991) 2, S. 133.

  34. Sidney Low, Die Regierung Englands (1904), Tübingen 1908, S. 45.

  35. The Fall of Thatcher. Was it, or was it not, a plot?, in: The Economist vom 9. 3. 1991, S. 22.

  36. In der lange vor Thatchers Sturz gegebenen Differenzierung zwischen (europäischem) „Cabinet Government“ und amerikanischem Präsidialsystem durch Richard Rose, Government against Sub-govemments, in: ders. /Ezra N. Suleiman (Hrsg.), Presidents and Prime Ministers, Washington 1980, S. 331, heißt es lapidar und treffend: „Unabhängig davon, ob ein Premierminister als mitspielender Mannschaftskapitän oder als Trainer handelt, hat er die Loyalitätsregeln eines politischen Gemeinschaftsschicksals mitzutragen.“

  37. Vgl. R. K. Alderman/N. Carter (Anm. 33), S. 132.

  38. Siehe Anm. 33. ,

  39. Vgl. R. K. Alderman/N. Carter (Anm. 33), S. 134.

  40. Winfried Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, S. 83.

  41. Vgl. die Tabellen in Richard Rose, Still the Century of Party Government?, in: Parliamentary Affairs, 36 (1983), S. 284f., 291.

  42. Philip Norton, The Changing Face of Parliament, in: Contemporary Record (Anm. 5), S. 4.

  43. Uwe Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland. Daten -Fakten -Urteile im Grundriß, Opladen 19762, S. 37.

  44. M. Weber (Anm. 29), S. 524.

  45. Vgl. Donald Shell, The House of Lords, Oxford 1988, S. 130.

  46. Vgl. Gavin Drewry (Hrsg.), The New Select Committees: a Study of the 1979 Reforms, Oxford 1985; Thomas Saalfeld, Das britische Unterhaus 1965 bis 1986. Ein Parlament im Wandel, Frankfurt 1988.

  47. Vgl. Philip Norton, Parliament in the United Kingdom. Balancing Effectiveness and Consent?, in: ders. (Hrsg.), Parliaments in Western Europe, London 1990, S. 10-31.

  48. Zu diesen und anderen Eigentümlichkeiten der Dramaturgie der Fernsehberichterstattung vgl. Michael Ryle, Tele-vising the House of Commons, in: Parliamentary Affairs, 44 (1991) 2, S. 185-207.

  49. Vgl. ebd., S. 200. In den Hauptnachrichten wurde den Sonderausschüssen acht bis zwölf Prozent der Berichterstattung eingeräumt. Anders war es in allein mit Parlamentsfragen befaßten Sendungen, in denen den Sonderausschüssen bis zu 25 Prozent, der Arbeit der Ständigen Ausschüsse dagegen nur drei bis sechs Prozent der Sendezeit gewährt wurde.

  50. Vgl. ebd.

Weitere Inhalte

Herbert Döring, Dr, phil., geb. 1940; Privatdozent (apl. Professor) und Mitarbeiter des Mannheimer Zentrums für Sozialwissenschaften; 1977-1983 Dozent an der University of London; seitdem Lehrstuhl-vertretungen in Essen, Mannheim, Göttingen und Stuttgart. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Gordon Smith) Party Government and Political Culture in Western Germany, London 1982; Wählen Industriearbeiter zunehmend konservativ? Die Bundesrepublik Deutschland im westeuropäischen Vergleich, in: Archiv für Sozialgeschichte, 29 (1989); Aspekte des Vertrauens in Institutionen. Westeuropa im Querschnitt der Internationalen Wertestudie 1981, in: Zeitschrift für Soziologie, 19 (1990).