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Kulturformen von Jugendlichen: Von der Sub-und Jugendkultur zu Formen der Jugendbiographie | APuZ 27/1991 | bpb.de

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APuZ 27/1991 Die Jugend in den neuen Bundesländern Sozialistische Bewußtseinsbildung und ihre Folgen Kulturformen von Jugendlichen: Von der Sub-und Jugendkultur zu Formen der Jugendbiographie Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit

Kulturformen von Jugendlichen: Von der Sub-und Jugendkultur zu Formen der Jugendbiographie

Karl Lenz

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bislang hat sich die Jugendforschung mit dem Thema Kultur vor allem in zwei Traditionslinien befaßt. Zum einen hat sie sich mit jugendlichen Subkulturen beschäftigt, zum anderen mit der These der eigenständigen und homogenen Jugendkultur. Nach einer kurzen Darstellung dieser Themenschwerpunkte wird ein Weg eingeschlagen, der es möglich machen soll, der vielfach konstatierten Pluralität der Jugend gerecht zu werden und zugleich den Blick nicht nur auf einige wenige auffällige Jugendliche zu richten. Für diese Aufgabenstellung wird zunächst ein theoretisches Modell skizziert, das die aktive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den vorgegebenen sozialen und materiellen Lebensbedingungen betont. Kultur-formen von Jugendlichen werden dabei auf die Verarbeitungs-und Bewältigungsmuster bezogen, die in diesem Prozeß der aktiven Auseinandersetzung auf Seiten der Jugendlichen sichtbar werden. Das Interesse gilt im weiteren den in den Alltagswelten von Jugendlichen wiederkehrenden, typischen Kombinationen von Verarbeitungs-und Bewältigungsmustem, die sich zu einer Typologie von Jugendbiographien verdichten lassen. Im Hauptteil werden auf der Grundlage empirischer Studien vier Formen der Jugendbiographie beschrieben, die als familienorientierte, maskulin-orientierte, hedonistisch-orientierte und subjektorientierte bezeichnet werden. Im Schlußabschnitt wird die Frage nach der Reichweite der Ergebnisse aufgeworfen, wobei insbesondere auch gefragt werden soll, ob diese Formen der Jugendbiographie auch bei den Jugendlichen aus den neuen Bundesländern zu vermuten sind.

I. Kultur als Thema

Studien zu jugendlichen Subkulturen Die Anfänge der Studien, die sich mit -zunächst noch ohne den Begriff selbst zu gebrauchen -jugendlichen Subkulturen befassen, reichen in den USA bis in die zwanziger Jahre zurück. Aus dieser Reihe früher Arbeiten ragt William F. Whytes „Street Corner Society“ heraus, eine Feldstudie in einem Chicagoer Slumviertel (Cornerville) mit italienischen Immigranten, in deren Mittelpunkt die Norton Street Gang steht. Diese Studien bilden zugleich eine wichtige Grundlage, auf der dann in den fünfziger und sechziger Jahren das Konzept der Subkultur formuliert wurde. Ohne in Details der Begriffsbestimmung zu gehen, kann vom Vorhandensein einer Subkultur bei sozialen Gruppen und sozialen Kategorien dann gesprochen werden, wenn „deren Verhalten in bestimmten Relevanz-bereichen durch Werte und Normen geprägt wird, die nicht allgemein, sondern nur für die Mitglieder dieser Gruppe und sozialen Kategorie verbindlich sind“ 1). Eine Subkultur weicht also in Teilbereichen von der dominanten Kultur ab, wobei offen bleibt, wie groß die vorhandenen partiellen Unterschiede sind

Die Straße als Treffpunkt, Übertretungen der gesetzlichen Ordnung wie auch Gewalthandlungen gehören zu den wiederkehrenden Fixpunkten dieser frühen Studien über jugendliche Subkulturen, die . fast ausschließlich auf delinquente Jugendliche beschränkt waren. Erst in den sechziger und siebziger Jahren hat sich die Spannbreite der Subkultur-forschung ausgeweitet. Als eine frühe Stimme hat David Matza neben Delinquenz auf Radikalismus und Bohemianismus als weitere Formen der jugendlichen Rebellion verwiesen. Während delinquente Jugendliche die Schule früh verlassen und ganz überwiegend aus einem niedrigen Sozial-milieu stammen, wurden als Träger dieser beiden anderen Formen der Abweichung Jugendliche mit einem höheren Ausbildungsniveau gesichtet. Dadurch hat die Subkulturforschung begonnen, verstärkt auch subkulturelle Tendenzen bei Jugendlichen aus einem mittleren und höheren Sozial-milieu zum Gegenstand zu machen.

Wichtige Impulse sind im weiteren von dem Birminghamer Centre of Contemporary Cultural Studies (CCCS) ausgegangen, an dem die Analyse von Subkulturen englischer Jugendlicher in den siebziger Jahren eine fruchtbare, wenn auch nur kurzlebige, Blüte erlebte Die Aufmerksamkeit galt vor allem Subkulturen von Arbeiterjugendlichen, im geringeren Maße auch den „abweichenden“ Tendenzen bei Jugendlichen aus der Mittel-schicht, die als „Gegenkultur“ bezeichnet wurden. Die CCCS-Forscher gehen von der Existenz einer proletarischen und einer bürgerlichen Kultur aus. Jugendliche Sub-und Gegenkulturen stellen spezifische Verarbeitungsformen ihres jeweiligen kulturellen Erbes dar. Nicht dieses Zweiklassenmodell, sondern die detaillierten Analysen der die Subund Gegenkulturen kennzeichnenden Stilbildung als aktive Hervorbringung waren es, die die hohe Resonanz dieser Arbeiten auslösten

Im Gefolge des CCCS wurde auch im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Studien zu jugendlichen Subkulturen durchgeführt. Gegenstand des Forschungsinteresses wurden z. B. die gegen Ende der siebziger Jahre aus England kommenden, sich auch im Bundesgebiet ausbreitenden Punks, aber auch die Fußballfans, Rocker oder rechtsradikalen Jugendgruppen. Zusätzlich wurden auch jugendliche Subkulturen der Vergangenheit in einer Retrospektive zum Untersuchungsthema: die wilden Cliquen der zwanziger Jahre, die „Edelweißpiraten“ der Nazizeit und aus den fünfziger Jahren die Halbstarken und die „Exis“.

Ohne in Abrede zu stellen, daß die Erforschung jugendlicher Subkulturen in der Tradition des CCCS ein wichtiges Feld der Jugendforschung darstellt, sollten die Grenzen der Subkulturforschung nicht außer acht gelassen werden. Vor allem ist zu beachten, daß „Subkulturen per definitionem Ausnahmen von der Regel (sind); die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen schließt sich niemals einer Subkultur an“ Höchst fraglich erscheinen alle Hilfskonstruktionen, mit denen versucht wird, auch wenn nur ein Segment untersucht wird, dennoch Rückschlüsse auf eine Gesamtjugend zu ziehen. Jugendliche Subkulturen werden als Spitze eines Eisberges aufgefaßt, die sichtbar machen, was in bezug auf die Gesamtjugend verdeckt bleibt. Diese unterstellte Linearität ist ein Trugschluß. Damit soll nicht behauptet werden, jugendliche Subkulturen seien für „andere Jugendliche“ völlig unbedeutend. Sie können durchaus Bedeutung haben, sei es als Reservoir neuer Ausdrucksmittel oder in ihrer besonderen Eignung zur Abgrenzung. Verfehlt ist es aber, subkulturelle Jugendliche zu Repräsentanten „der“ Jugend zu erheben.

Ebensowenig tragfähig erscheint die Vorstellung, die Gesamtjugend sei zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Subkulturen. So viele jugendliche Subkulturen man auch zu entdecken glaubt -je konturenloser man das Subkulturkonzept faßt, desto mehr werden es -, dennoch wird man die „Entdeckung“ machen, daß sich die große Anzahl der Jugendlichen auch weiterhin diesem präparierten Fangnetz entziehen wird. Unzulänglich ist es schließlich auch, den subkulturellen Jugendlichen eine homogene Masse von Mehrheitsjugendlichen, die sogenannten Konventionellen, gegenüberzustellen. Ein solcher Versuch geht in zweifacher Hinsicht fehl, da er von vornherein unterstellt, zwischen subkulturellen und nicht-subkulturellen Jugendlichen seien ausgeprägte Unterschiede vorhanden, zugleich aber von Anfang an ausschließt, daß sich die sogenannten Mehrheitsjugendlichen untereinander in markanter Weise unterscheiden können. 2. These der Jugendkultur In der zweiten Traditionslinie wird nicht nur ein Teil der Jugendlichen, sondern die Jugend insgesamt als Sub-oder Teilkultur oder, wie es sich auch eingebürgert hat, als „Jugendkultur“ betrachtet Grundlegend ist die Vorstellung, daß in modernen Gesellschaften nicht nur einige wenige Jugendliche, sondern alle Träger einer eigenständigen Kultur sind, die sich in relevanten Aspekten von der der Erwachsenen unterscheidet. Impliziert wird dabei auch, daß die Kultur der Jugendlichen in einem hohen Maße homogen sei. Diese These der Jugendkultur wurde nachhaltig von Talcott Parsons in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt. Das zentrale Thema der Jugendlichen ist es nach Parsons, sich zu amüsieren; sie legen größten Wert auf gemeinsame Aktivitäten mit Gleichaltrigen, vor allem mit dem anderen Geschlecht. Im Unterschied zur Erwachsenenkultur fehle in der Jugendkultur noch weitgehend das zentrale Prinzip der Verantwortung. Eine empirische Grundlage bekam die Jugendkultur-These durch James Colemans großangelegte High-School-Studie. Nach Coleman bilden die Jugendlichen eine eigene Welt, „which focuses teenage interests and attitudes on things far removed from adult responsibilities, and which may develop Standards that lead away from those goals established by the larger society“ In der deutschsprachigen Diskussion wurde diese These von Friedrich H. Tenbruck aufgenommen. Tenbruck betont, daß die Jugend in der Gegenwart ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Selbstkontrolle gegenüber der Gesamtgesellschaft gewonnen habe, so daß es angemessen erscheint, von ihr als einer „Teilkultur“ zu sprechen

Es würde zu weit führen, wollte man die Kritik an der Jugendkultur-These hier im einzelnen aufführen, in der vor allem zahlreiche Schwächen der Coleman-Studie aufgezeigt wurden. Darauf kann um so leichter verzichtet werden, als die umfangreiche Debatte in einer ansonsten selten auffindbaren Klarheit ergeben hat, daß die Jugendkultur-These nicht haltbar ist.

Es waren im wesentlichen zwei Argumentationsstränge, durch die diese These in ihren Grund-festen erschüttert wurde. Empirische Studien zum Verhältnis der Jugendlichen und ihren Eltern, vor allem die vergleichende Studie (USA-Dänemark) von Denise B. Kandel und Gerald S. Lesser und die deutsche Studie von Hans Oswald konnten überzeugend zeigen, daß von einem globalen Gegensatz keine Rede sein kann. Jugendliche orientieren sich keineswegs nur oder primär an Gleichaltrigen (Peers), sondern auch -und vielfach sogar stärker -an ihren Eltern. Die Jugendlichen stehen in einem komplexen Beziehungsgeflecht, in dem sie sich als aktive Subjekte je nach Situation und Problemlage mehr oder minder stark an unterschiedlichen Bezugspersonen -seien es Eltern, Peers (Gleichaltrige) oder andere Erwachsene -orientieren, die sich vielfach nur graduell voneinander unterscheiden. Ein weiterer Argumentationsstrang hat deutlich gemacht, daß die in der Jugendkultur-These beinhaltete Annahme einer Homogenität der Jugendlichen eine unzulässige Verkürzung ist. Aussagen über „die Jugend“ werden der Vielfalt und Heterogenität jugendlicher Lebensläufe nicht gerecht. „Die Jugend“ gibt es nicht, vielmehr wurde darauf verwiesen, daß Jugend unausweichlich im Plural aufzufassen ist

II. Theoretisches Modell

Wenn es darum geht, Kulturformen Jugendlicher in der Gegenwart zu beschreiben, scheidet eine Orientierung an der Jugendkultur-These aus, da hier eine homogene und eigenständige Kultur der Jugendlichen behauptet wird. Aber auch die Tradition der Subkulturforschung hilft nicht weiter, da diese zwar auf eine Vielfalt kultureller Formen gerichtet. ist, aber damit nur einen Bruchteil der Jugendlichen erfassen kann. Im weiteren soll Ausschau gehalten werden nach der Pluralität und Differenziertheit jugendlicher Lebensläufe, und diese sollen mit Inhalt gefüllt werden. Zugleich soll aber der Blick nicht nur auf einige auffällige Jugendliche gerichtet, sondern das breite Spektrum jugendlicher Lebensformen abgedeckt werden. Hierfür ist es zunächst erforderlich, ein theoretisches Modell der Jugendforschung zu entwerfen, das für diese Aufgabenstellung geeignet erscheint

Den Ausgangspunkt bildet eine Korrektur des Subjektmodells. Die Jugendlichen werden nicht als bloß von außen bestimmte Objekte aufgefaßt, sondern als aktiv und kompetent handelnde Subjekte. Diese notwendig erscheinende Korrektur darf jedoch nicht zu einem Pendelausschlag in die entgegengesetzte Richtung führen, nämlich zu einer Vernachlässigung sozialer Strukturen. Für eine angemessene Konzeptualisierung als Grundlage für die Jugend-forschung kommt es daraufan, die aktive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den vorgegebenen sozialen und materiellen Lebensbedingungen zu betonen Das aus der phänomenologischen Sozialtheorie stammende Konzept der Alltagswelt stellt eine Verbindung beider Ansprüche her.

Für die Erforschung der Alltagswelten von Jugendlichen ist zunächst die vorgegebene Basis-struktur aufzuzeigen. Als Basisstruktur werden die Gegebenheiten und Anforderungen bezeichnet, mit denen die Jugendlichen als objektive Faktizität konfrontiert werden, die sie bewältigen und verarbeiten müssen. Als ein erstes zentrales Element dieser Basisstruktur lassen sich die Handlungsfelder unterscheiden, in denen das Alltagsleben der Jugendlichen stattfindet und die eine Reihe „eigensinniger“ Ansprüche an die Jugendlichen beinhalten. Handlungsfelder können die Herkunftsfamilie, Peer-Beziehungen, Schule und Arbeitswelt sein. Meistens erstrecken sich Alltags-welten von Jugendlichen auf drei (Schule oder Arbeitswelt), sie können aber auch alle vier Handlungsfelder umfassen.

Ein zweites wichtiges Element der Basisstruktur bilden die Handlungsaufgaben. Damit sind altersstufen-spezifische Aufgaben gemeint, die an die Jugendlichen in dieser Lebensphase gestellt werden und von ihnen bewältigt werden müssen. Auch wenn in der Diskussion bei der Benennung und in der Anzahl unterschiedliche Positionen vertreten werden, besteht dennoch weitreichende Überein-stimmung, daß die folgenden Handlungsaufgaben für die Lebensphase Jugend von zentraler Bedeutung sind: a) Umstrukturierung des sozialen Netzwerks, b) Übernahme der Geschlechtsidentität und Aufnahme heterosexueller Beziehungen, c) Erwerb von Qualifikationen, d) Ausformung eines relativ stabilen Selbstkonzepts und e) Entwurf eines Lebensplans.

Als kompetent handelnde Subjekte setzen sich die Jugendlichen mit der gesellschaftlich konstruierten und vorgegebenen Basisstruktur aktiv auseinander. In ihrer Auseinandersetzung mit den Elementen der Basisstruktur steht den Jugendlichen dabei nicht nur ein Weg offen, vielmehr ist von einer Bandbreite möglicher Verarbeitungs-und Bewältigungsformen auszugehen. Wie diese Anforderungen und Aufgaben bewältigt werden, ist jedoch nicht individuell willkürlich und beliebig, sondern es zeigen sich durchaus gewisse Regelmäßigkeiten, die es erlauben, von wiederkehrenden kulturellen Mustern zu sprechen.

Von dieser Ebene der Verarbeitungs-und Bewältigungsmuster (Grundmuster) ist die Ebene der Ausdrucksmittel zu unterscheiden. Für ein und dasselbe Grundmuster gibt es eine Palette von Mitteln, mit denen dieses zum Ausdruck kommen kann. Am einfachsten kann das am Kleidungsverhalten illustriert werden. Bei einem Teil der Jugendlichen findet sich als ein Grundmuster ein ausgeprägt maskuliner Verhaltenskodex. Dieser kann durch schwere Stiefel, umgekrempelte Jeans mit sichtbaren Hosenträgern und millimeterkurzen Haaren, wie es bei Skinheads der Fall ist, ebenso zum Ausdruck gebracht werden wie durch die Nietenhose, das karierte Texashemd, die Lederjacke und die Elvis-Tolle der Halbstarken der fünfziger Jahre. Ausdrucksmittel finden sich nicht nur bei jugendlichen Subkulturen, lediglich sind dort auffälligere und auch provokantere Mittel gebräuchlich. Zu vermuten ist jedoch, daß den jugendlichen Subkulturen für die Hervorbringung neuer Ausdrucksmittel eine hohe Bedeutung zukommt, die dann auch von Jugendlichen, die sich nicht zu dieser Subkultur zählen und sich eventuell sogar von dieser distanzieren, in einer mehr oder minder modifizierten Weise übernommen und angeeignet werden. Trotz aller individueller Eigenheiten, die sich bei Ausdrucksmitteln gehäuft finden lassen, verweisen die Ausdrucksmittel dennoch auf ein kulturelles Repertoire, das hervorgebracht wird und auf das dann als Bestand in vielfältiger Weise zurückgegriffen werden kann.

III. Formen der Jugendbiographie

Mit diesem theoretischen Modell geht eine Verlagerung des Kulturkonzepts einher. Kultur wird nicht weiter als unabhängig vom Handeln vorhanden im Sinne des Systems von Werten und Normen aufgefaßt, sondern wird mit den Regelmäßigkeiten in Verbindung gebracht, die sich in der aktiven Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Strukturen erkennen lassen Wenn es im weiteren um die Kulturformen von Jugendlichen geht, dann beziehe ich mich auf die Ebene der Bewältigungsund Verarbeitungsmuster. Dabei wäre es möglich, die mit einzelnen Teilelementen der Basisstruktur in Verbindung stehenden unterschiedlichen Grundmuster aufzuzeigen. Hier soll jedoch ein anderer Weg der Analyse eingeschlagen werden, der darauf ausgerichtet ist, typische Kombinationen von Bewältigungs-und Verarbeitungsmustern aufzuzeigen, um dadurch zu einer Typologie von Jugendbiographien zu kommen. Dabei stütze ich mich auf meine Untersuchung in einer bayerischen Stadt mittlerer Größenordnung („Meinerstadt“), in der Alltagswelten von Jugendlichen mit offenen Interviews, Gruppendiskussionen, Experteninterviews und teilnehmender Beobachtung exploriert wurden Als zentrales Ergebnis der Studie können vier jugendliche Handlungstypen deutlich voneinander unterschieden werden, die im weiteren beschrieben werden sollen. Dieses Ergebnis findet zumindest in wichtigen Teilen Bestätigung in drei weiteren Studien, von denen eine früher, die anderen beiden nahezu parallel zu meiner durchgeführt wurden. Aus den siebziger Jahren stammt die Wiesbadener Studie über die Lebenswelt von Schülern und Schülerinnen einer achten Haupt-schulklasse Die Forschungsgruppe unterscheidet zwischen familienzentrierten und subkulturellen Jugendlichen, und aus ihrer Beschreibung ergibt sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit zwei der jugendlichen Handlungstypen der Meinerstadt-Studie. Noch ausgeprägter sind die Über-einstimmungen der Frankfurter Studie der Arbeitsgruppe Jugendforschung unter der Leitung von Helmut Becker, die sich vor allem mit dem Raumbezug von Jugendlichen in einer hessischen Kleinstadt befaßt hat Die Typologie von vier sozialen Milieus von Jugendlichen, die am Ende des Projekts herausgearbeitet wurde, stimmt in den gemeinsam bearbeiteten Bereichen mit den vier jugendlichen Handlungstypen in einem hohen Maße überein. Schließlich ergeben sich weitere Parallelen auch mit dem Essener Projekt unter der Leitung von Wilfried Breyvogel, in dem in zwei Teilstudien eine Straßenclique von Arbeiterjugendlichen und eine kritisch-oppositionelle Gesamtschüler-Szene vor allem im Verhältnis zur Schule, zum Gegenstand gemacht wurden. 1. Familienorientierte Jugendliche Der familienorientierte Handlungstypus der Meinerstadt-Studie entspricht weitgehend dem, was bei der Projektgruppe Jugendbüro als „Familienzentrierte“ und bei der Arbeitsgruppe Jugendforschung als „Milieu der Institutionell-Integrierten“ bezeichnet wird. Wie schon aus der Wiesbadener Studie hervorgeht, sind die Familienzentrierten häufig zu Hause, und durchaus auch gern. Ihre Eltern sind auch bemüht, die Bindungen ihrer Kinder an die Familie aufrechtzuerhalten. Die Herkunftsfamilie, wie meine Studie ergänzt, stellt für den familienorientierten Handlungstypus das zentrale Bezugssystem dar. Sie leben und handeln weitgehend in Übereinstimmung mit ihren Eltern, wobei sich diese Übereinstimmung vor allem durch die Unterordnung der Jugendlichen unter die elterlichen Erwartungen und Anforderungen ergibt. In Bereichen elterlicher Kontrolle (z. B. Weggehen, Aufenthaltsort) machen die Familien-orientierten vielfach Vorschriften der Eltern überflüssig, indem sie diese gleichsam vorwegnehmen und von sich aus zur Richtschnur ihres Handelns machen.

Aus allen drei genannten Studien geht hervor, daß für familienorientierte Jugendliche die Peer-Beziehungen deutlich hinter der Relevanz der Herkunftsfamilie zurückstehen. Eine große Bedeutung für ihre Integration in einen Peer-Kontext kommt der Mitgliedschaft in Vereinen zu, was die Arbeitsgruppe Jugendforschung veranlaßt hat, vom Milieu der Institutionell-Integrierten zu sprechen. Die Vereine ermöglichen es den Jugendlichen überhaupt erst, gegenüber den bindungsbemühten Eltern einen gewissen außerfamilialen Freiraum zu gewinnen. Heterosexuelle Beziehungen werden von familienorientierten Jugendlichen lange aufgeschoben, wobei feste Beziehungen in ihren Vorstellungen vielfach bereits den Beiklang von Heiratsabsichten haben. Für sie steht die Berufsvorbereitung zunächst deutlich im Vordergrund, wogegen alle anderen Stationen in ihrem Lebensplan weitgehend diffus bleiben. Sie entsprechen dabei von sich aus dem Leitbild der Jugendphase als einem Moratorium: Die Jugendphase erscheint ihnen als „Schonraum“, in dem sie noch freigestellt sind von den Verantwortungen der Erwachsenen, und zugleich als eine Vorbereitungsphase für das Leben später, die es zu nutzen gilt und die zu nutzen sie auch bestrebt sind.

Das Selbstkonzept der Familienorientierten, was auch die Arbeitsgruppe Jugendforschung herausgestellt hat, ist geprägt durch eine vehemente Abgrenzung von allen auffälligen Jugendlichen. Dagegen betonen sie ihre eigene „Normalität“, was sich aus ihrer subjektiven Gewißheit speist, in Übereinstimmung mit der Erwachsenenwelt zu stehen. Dies wird auch unterstrichen, wenn sie zu erkennen geben, welche hohe Relevanz es für sie in allen Handlungsfeldern hat, vernünftig zu sein und vernünftig zu handeln. Dies setzt sich konsequent in ihrer Berufswahl fort, bei der Aufstiegs-orientierung und Sicherheitsstreben ihre zentralen Motive sind. 2. Maskulin-orientierteJugendliche Für diese Form der Jugendbiographie kann auf alle vier obengenannten Studien Bezug genommen werden; die Rede ist von „Subkultuijugendlichen“, „subkulturellem Milieu“, der „arbeitersubkulturellen Jugendclique“ oder vom „maskulinorientierten Handlungstypus“ Übereinstim-mend werden Männlichkeit und Härte sowie die Suche nach Abenteuer und Aufregung, was auch Schlägereien, Gesetzesbrüche und Konfrontationen mit der Polizei einschließen kann, als zentrale Kennzeichen herausgestellt. Verbreitet ist bei den maskulin-orientierten Jugendlichen als Sozialgefüge die Clique, die sich durch (relativ) feste Mitgliedschaft, meist tägliches Zusammensein der Mitglieder, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und öffentliches Auftreten als Gruppe auszeichnet. Vollmitglieder von Cliquen sind meist nur Jungen, Mädchen sind „Anhängsel“; sie kommen in aller Regel nur als Freundin vor. Cliquen dienen den maskulin-orientierten Jugendlichen vor allem dazu, „etwas zu unternehmen“, aus dem Nichtstun auszubrechen. Maskulin-orientierte Jugendliche berichten frühe Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, die sehr schnell auch genitalsexuelle Formen miteinschließen. Die Meiner-stadt-Studie macht auch deutlich, daß ihren festen Beziehungen sehr schnell ein ernsthafter und endgültiger Charakter zugeschrieben wird und Pläne für eine gemeinsame Zukunft entworfen werden. Die Beziehungen sind an ein rigides Treuegebot gekoppelt, das zwar durchaus von beiden Seiten gefordert wird, aber nur für die Mädchen die weitreichende Konsequenz hat, daß ihre Außenkontakte durch ihren Freund beschränkt und kontrolliert werden.

Maskulin-orientierte Jugendliche verfügen über einen großen Freiraum, der von ihnen weitgehend eigeninitiativ gesetzt und ausgeweitet wird. Die Eltern stehen der Ausweitung der Handlungsfreiräume weitgehend machtlos gegenüber; entweder sind die Eltern bereit, diese duldend-tolerierend zu akzeptieren, oder sie müssen diese über Konfrontationen schließlich doch hinnehmen. Die Schule erscheint ihnen -wie die Essener und meine Studie gleichermaßen zeigen -als eine von außen auferlegte, subjektiv weitgehend sinnlose Zeit, die sie möglichst schnell hinter sich bringen wollen. Berufsarbeit wird der Schule deutlich vorgezogen, wobei für die maskulin-orientierten Jungen Geld Verdienen und ein sicherer Arbeitsplatz die zentralen Motive der Berufswahl darstellen.

Die Jugendphase stellt sich für die Maskulin-orientierten als eine Sturm-und Drangphase dar, als eine zeitlich begrenzte Phase, in der man sich austoben und ausleben muß, bevor dann sehr bald und scheinbar unweigerlich das ruhige Erwachsenenleben beginnt. Die Jugendphase stellt für sie keine Vorbereitungsphase dar, sondern bildet gleichsam den Höhepunkt des erwartbaren Lebenslaufs. Das Erwachsenenleben wird in traditionellen Kategorien vorgestellt, von den Mädchen wird die Familie als der wesentliche und eigentliche Lebensinhalt genannt, während sich die maskulin-orientierten Jungen in der Rolle des Versorgers der Familie sehen. 3. Hedonistisch-orientierte Jugendliche Becker u. a. stellen für das Milieu manieristischer Strömungen das Streben nach dem Besonderen, das Hervorstechen aus der Masse als zentrale Orientierung heraus. Dies zeige sich sowohl in der Wahl ihrer bevorzugten Treffpunkte wie auch in dem hohen Stellenwert ihres Äußeren. Dabei sind es vor allem die kulturindustriell vorproduzierten Kleidungs-, Haar-, Accessoire-und auch Musik-moden, an denen sie ausgerichtet und interessiert sind. Diese Charakterisierung zeigt eine Reihe von Parallelen zu dem hedonistisch-orientierten Handlungstypus der Meinerstadt-Studie. Wie die Namensgebung bereits betont, erweist sich das Streben nach einem Maximum an Lebensfreude für diese Jugendlichen als zentral. Sie streben nach materiellem Wohlstand und Luxus, sie möchten das Leben in vollen Zügen genießen und sehen sich selbst als kontaktfreudig, unternehmungslustig und im Mittelpunkt des Geschehens. Sie möchten einen Beruf, der Spaß macht, der jedoch nicht der einzige Lebensinhalt sein soll. Das Leitthema Spaß und Freude bestimmt auch ihr Zusammensein mit Peers, Probleme aller Art bleiben dagegen weitgehend ausgeklammert. Auch der hohe Stellenwert, den hedonistisch-orientierte Jugendliche der Mode zumessen, läßt sich aus meiner Studie bestätigen. Das heißt jedoch nicht, daß sie sich von der Modeindustrie einfach vorschreiben lassen, was sie tragen, sondern sie selektieren das Angebot nach ihren eigenen individuellen Präferenzen, wobei sich vor allem die Mädchen als ausgesprochene Mode-Expertinnen erweisen.

Auch für diese Form der Jugendbiographie haben Peers eine große Relevanz. Allerdings scheint es für Hedonistisch-orientierte kennzeichnend zu sein, daß sie keiner festen Gruppe, sondern einem „Peer-Kreis“ angehören. Übereinstimmend heißt es bei den Frankfurtern, daß hier keine kollektiven Strukturen ausgebildet werden und das vorhandene Sozialgefüge diffus sei. Ihre Peer-Kreise bilden sich in erster Linie um kommerzielle Räume, vor allem noble Diskotheken und Cafes. Die Peer-Kreise sind weitgehend geschlechtlich ausgewogen, und die Zugangswege sind für beide Geschlechter weitgehend dieselben. Überhaupt fällt auf, daß ihre Peer-Interaktionen stark auf das andere Geschlecht ausgerichtet sind. Im Peer-Kontext werden heterosexuelle Beziehungen mit unterschiedlicher gefühlsmäßiger und sexueller Intensität ausprobiert und Erfahrungen gesammelt, wobei die vorhandenen Beziehungen bei den individuellen Planungen nicht weit in die Zukunft reichen und auch in ihrer gegenwärtigen Relevanz beschränkt bleiben.

Zu ihren Eltern haben hedonistisch-orientierte Jugendliche ein gutes Verhältnis, und es besteht auch ein breiter Konsens. Dies ergibt sich in ihrem Fall nicht durch Unterordnung, sondern verweist auf eine weitgehend symmetrische Beziehungsform, in der Eltern und Jugendliche auf einer gleichen Ebene miteinander interagieren. Konflikte kommen vor, meist jedoch ohne konfrontative Komponente, sondern lediglich als Teil eines Aushandlungsprozesses zwischen gleichberechtigten Parteien. Auch außerhalb ihrer Herkunftsfamilie berichten hedonistisch-orientierte Jugendliche davon, daß sie „wie Erwachsene“ behandelt werden, und sie sehen sich selbst -zumindest in einer Reihe von Bereichen -als erwachsen. 4. Subjektorientierte Jugendliche Die Suche nach Freiräumen und Entfaltungsmöglichkeiten für die eigene Person, Authentizität und Spontaneität sowie ein hohes Maß an Selbstreflexion, vielfach gekoppelt mit Formen kreativer Praktiken, erweisen sich für diese vierte Form der Jugendbiographie als typisch. Zugleich ist ein intensives Miteinander mit anderen für die subjekt-orientierten Jugendlichen von zentraler Wichtigkeit. Dies geht aus Helspers Studie über eine Mensa-Szene einer Gesamtschule ebenso hervor wie aus der Frankfurter und aus meiner eigenen Studie. Die letztgenannte Studie macht deutlich, daß das Miteinander-reden-können die Hauptforderung ist, die an Mitmenschen gestellt wird und die sie vor allem bei Peers erfüllt sehen. Unter den Peers finden subjektorientierte Jugendliche Gleichgesinnte, mit denen es möglich ist, „gute Gespräche“ zu führen, ganz im Unterschied zu den eigenen Eltern, mit denen vielfach massive Konflikte bestehen. Ihre Eltern gelten ihnen auch als Prototyp des Erwachsenseins, und sie beteuern immer wieder, daß sie so nicht werden wollen. In der Unmöglichkeit, miteinander zu reden, kommen fundamentale Differenzen mit den Wertvorstellungen der Eltern zum Ausdruck. Die materielle Orientierung und hohe Konformität ihrer Eltern bilden gleichsam das Kontrastprogramm, auf dessen Hintergrund die subjektorientierten Jugendlichen ihre eigenen gegenkulturellen Vorstellungen artikulieren. Die gegenkulturellen Vorstellungen, die von den beiden anderen Studien zur Benennung dieses Typus als „gegenkulturelles Milieu“ bzw. „jugendliche Gegenkultur“ herangezogen werden, umfassen eine Abkehr von einer rigiden Arbeitsmoral, das Streben nach subjektiv sinnvoller Arbeit, eine Kritik an gesellschaftlichen Konventionen (z. B. Ablehnung der Heirat) und ein gesellschaftskritisches Engagement, vor allem in Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen.

Wie am ausführlichsten von Helsper aufgezeigt wird, stehen subjektorientierte Jugendliche den Lerninhalten und Lernformen sehr kritisch gegenüber. Zugleich sind sie an einer verlängerten Schulzeit sehr interessiert, weil sie hierin eine Möglichkeit der Individualität und Erhaltung von Freiräumen sehen. Ähnlich wie die hedonistisch-orientierten sind auch die subjektorientierten Jugendlichen in einem Peer-Kreis verankert, der sich im deutlichen Kontrast zu den hedonistisch-orientierten Peer-Kreisen als „progressive Szene“ versteht und sich von diesen auch vehement abgrenzt. Heterosexuelle Erfahrungen machen subjektorientierte Jugendliche im Durchschnitt später als Jugendliche der beiden letztgenannten Handlungstypen. Sie stellen hohe Anforderungen an eine feste Beziehung und betrachten den Freund bzw. die Freundin als Lebenspartner in der Gegenwart. So wichtig er oder sie jetzt auch sein mag, der Beziehung wird dennoch kein endgültiger Charakter zugeschrieben. Als typisch erscheint für subjektorientierte Jugendliche auch eine starke Angleichung der weiblichen und männlichen Geschlechtsidentität, die im Kleidungsstil, aber auch in den Verhaltensweisen deutlich zum Vorschein kommt.

IV. Thesen zur Reichweite der Ergebnisse

Diese Beschreibung von unterschiedlichen Jugend-biographien macht es möglich, das Gemeinsame einer Reihe jugendlicher Subkulturen zu erkennen. Viele der beschriebenen Stilformen (z. B. Fußballfans, Rocker, Skinheads, Halbstarke) las-sen sich dem maskulin-orientierten Handlungstypus zuordnen. Auf das skizzierte Theoriemodell bezogen, erweisen sich diese Stilformen lediglich als unterschiedliche Ausdrucksmittel ein und derselben Jugendbiographie. Dabei gehören jedoch auch beim maskulin-orientierten Handlungstypus keineswegs alle Jugendlichen einer Subkultur oder besser formuliert: einer expressiven Stilrichtung an

Hier soll außerdem die These vertreten werden, daß mit diesen beschriebenen Verlaufsformen der Jugendbiographie nicht nur Tendenzen eingefangen werden, die sich auf eine Jugendgeneration beschränken, sondern sich auch in die Vergangenheit zurückverfolgen lassen. So scheinen die beiden erstgenannten Formen dem zu entsprechen, was schon in den Anfängen der Jugendforschung als „verlängerte“ bzw. „verkürzte Jugend“ bezeichnet wurde

Daß die maskulin-orientierten Jugendlichen in der Tradition der verkürzten Jugend stehen, wird auch von Bietau herausgestellt. Damit wurde, z. B. von Siegfried Bernfeld als einem der Pioniere der Jugendforschung, eine Verlaufsform der Jugend-biographie beschrieben, die auf wenige Jahre komprimiert ist und schon frühzeitig beginnt. Nicht nur kommt den Peers hier ein hoher Stellenwert zu, diese Jugendlichen nehmen für sich auch schon Freiheiten in Anspruch, die für die Gegen-gruppe unvorstellbar gewesen wären. Aus den frühen Beschreibungen der verlängerten Jugend geht hervor, daß für diese Jugendlichen die Jugend später beginnt, im hohen Maße in den Schutz der Herkunftsfamilie eingebunden ist und die Übernahme der Rechte und Verpflichtungen lange aufgeschoben wird -alles Merkmale, die bei den familienorientierten Jugendlichen aufgezeigt wurden.

Dagegen dürften die hedonistisch-orientierte und subjektorientierte Verlaufsform der Jugendbiographie neueren Datums sein. Für ihre sozialhistorische Konstitution lassen sich lediglich erste Vermutungen formulieren: Der hedonistisch-orientierte Handlungstypus ist ein „Produkt“ der fünfziger Jahre. Obwohl die sich seit den fünfziger Jahren ausbreitende Freizeit-und Kulturindustrie für nahezu alle Jugendlichen Ausdrucksmittel zur Verfügung stellt, scheint diese für den hedonistisch-orientierten Handlungstypus in einem besonderen Maße konstitutiv. Der subjektorientierte Handlungstypus dagegen dürfte vor allem mit dem kulturellen Umbruch der Studentenbewegung in Verbindung stehen. Es ist auch zu vermuten, daß dessen Ausbreitung eng mit der Bildungsexpansion verbunden ist.

Durch die deutsche Wiedervereinigung wird schließlich auch die Frage aufgeworfen, ob sich diese vier beschriebenen Formen der Jugendbiographie auch in den neuen Bundesländern finden lassen. Eine Antwort darauf fällt schwer. Eine biographisch orientierte Jugendforschung, die im Westteil in den achtziger Jahren einen starken Aufschwung erlebte und aus der die verwendeten Studien stammen, fehlt bislang für das Gebiet der ehemaligen DDR. Da solche Studien nicht vorliegen, bleibt nur der Weg der Spekulation. Teile der letzten Shell-Studie („Jugendliche + Erwachsene ’ 85“) wurden in Ungarn repliziert, und diese Studie stellt ein Novum dar, da sie zum ersten Mal einen Vergleich zwischen Ost und West auf nationaler Ebene ermöglichte. Jürgen Zinnekker und sein ungarischer Kollege Peter Molnar kommen auf dieser Grundlage zu der Feststellung, daß die ungarischen Jugendlichen der Gegenwart in vieler Hinsicht eine größere Nähe zu den westdeutschen Jugendlichen der fünfziger Jahre als zu den heutigen aufweisen. Im Anschluß an diesen Ost-West-Vergleich scheint es zunächst naheliegend zu sein, ein gewisses Modernisierungsgefälle auch bei den ostdeutschen Jugendlichen zu erwarten. Auf diese vorliegende Untersuchung mußte ausgewichen werden, da deutsch-deutsche Vergleichs-studien bis zur Wende unvorstellbar waren und zudem die DDR-Jugendforschung in relevanten Teilen als Geheimsache behandelt wurde. Mittlerweile liegen jedoch Ergebnisse über erste gesamtdeutsche Panorama-Jugendstudien vor, die aber diese These eines Modemisierungsgefälles nicht stützen. In der Schülerstudie ‘ 90 wurden kurz vor der Währungsunion 2 600 Schülern und Schülerinnen aus den industriellen Großregionen Ruhrgebiet und Halle-Leipzig im Alter von 14 bis 18 Jahren schriftlich auszufüllende Fragebögen vorgelegt Die Ergebnisse überraschen durch die Fülle von sichtbar werdenden Gemeinsamkeiten. Jugendliche aus Ost und West setzen die gleichen Prioritäten für ihr Leben, sind ähnlich stark auf Peers ausgerichtet, fällen viele Entscheidungen eigenständig, berichten eine ähnlich liberale Erziehung durch ihre Eltern und geben sich gleichermaßen anspruchsvoll in Fragen der Schulund Berufsbildung. In ihrer Sympathie zu den neuen sozialen Bewegungen übertreffen die ostdeutschen Schüler und Schülerinnen sogar die westdeutschen. Die gesamtdeutsche Forschungsgruppe weist darauf hin, daß „lange vor der Revolution auf der Straße eine Revolution in den Köpfen stattgefunden“ hat, die eine starke Angleichung der Jugendgeneration aus beiden Teilen bewirkt hat.

Auf die anstehende Frage lassen sich diese Ergebnisse nicht unmittelbar übertragen, dafür werden in Fragebogen-Studien die subjektive Perspektive der Jugendlichen zu holzschnittartig erfaßt und die vorhandenen Unterschiede durch vorgegebene Antwortkategorien tendenziell nivelliert. Dennoch scheint die Fülle der Gemeinsamkeiten der Vermutung Auftrieb zu geben, daß Unterschiede in den Formen der Jugendbiographien eher unwahrscheinlich sind. Wenn sich Unterschiede finden lassen, so dürften sich diese allenfalls auf die Ausdrucksebene beziehen. Aber auch auf dieser Ebene ist nicht mit ausgeprägten Unterschieden zu rechnen, da sowohl die Schülerstudie wie auch Untersuchungen aus der ehemaligen DDR deutlich machen, daß die ostdeutschen Jugendlichen in einem hohen Maße mit den Westmedien vertraut sind und es auch schon lange vor dem Mauerfall waren. Die Popmusik aus dem Westen, die Orientierung an der westlichen Mode und auch die Kenntnisse expressiver Stilformen gehören für ostdeutsche Jugendliche schon seit langem zum festen Bestandteil ihres Alltagslebens. Erhärtet werden können diese Vermutungen aber nur durch biographische Jugendstudien aus beiden Teilen der Bundesrepublik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Laszlo A. Vaskovics, Subkulturen -ein überholtes analytisches Konzept?, in: M. Haller u. a. (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft. Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologen-tages in Zürich 1988, Frankfurt 1989, S. 589.

  2. Zu der kritischen Diskussion des Subkulturkonzeptes vgl. Gary A. Fine/Sherryl Kleinmann, Rethinking subcultures: An interactionist analysis, in: American Journal of Sociology, (1985), S. 1-20; L. A. Vaskovics (Anm. 1).

  3. Vgl. David Matza, Subterranean traditions of youth, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Sciences, (1961), H. 338, S. 102-118.

  4. Vgl. John Clarke (Hrsg.), Jugendkultur als Widerstand, Frankfurt 1979; Mike Brake, Soziologie der jugendlichen Subkulturen, Frankfurt 1981.

  5. Vgl. Jürgen Zinnecker, Jugendliche Subkulturen, in: Zeitschrift für Pädagogik, 27 (1981), S. 421-440.

  6. Rolf Lindner, Jugendkultur -stilisierte Widerstände, in: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), Immer diese Jugend!, München 1985, S. 24.

  7. Vgl. Hans Oswald, Zur Konzeptualisierung der Jugend als Subkultur, in: M. Haller (Anm. 1), S. 600-613; Karl Lenz, Alltagswelten von Jugendlichen, Frankfurt 1986, S. 29-52.

  8. James Coleman, The Adolescent Society, London 1961, S. 9.

  9. Vgl. Friedrich H. Tenbruck, Jugend und Gesellschaft, Freiburg 19652.

  10. Vgl. Denise B. Kandel/Gerald S. Lesser, Youth in Two Worlds. United States and Denmark, San Francisco 1972; Hans Oswald, Abdankung der Eltern?, Weinheim 1980.

  11. Vgl. K. Lenz (Anm. 7), S. 62ff.

  12. Hier ist nur eine knappe Darstellung möglich, vor allem müssen die theoretischen Bezüge weitgehend ausgespart werden. Vgl. K. Lenz (Anm. 7), S. 83ff.; ders., Die vielen Gesichter der Jugend, Frankfurt 1988; S. 9ff.

  13. Vgl. Klaus Hurrelmann/Wilhelm Heitmeyer, Sozialisations-ünd handlungstheoretische Ansätze in der Jugendforschung, in: H. -H. Krüger (Hrsg.), Handbuch der Jugendforschung, Opladen 1988, S. 47-70.

  14. Vgl. Richard A. Peterson, Revitalizing the culture concept, in: Annual Review of Sociology, 5 (1979), S. 137-166.

  15. Vgl. K. Lenz (Anm. 7, 12).

  16. Vgl. Projektgruppe Jugendbüro und Hauptschularbeit, Die Lebenswelt von Hauptschülern, München 1975.

  17. Vgl. Helmut Becker/Jörg Eigenbrodt/Michael May, Pfadfinderheim, Teestube, Straßenleben. Jugendliche Cliquen und ihre Sozialräume, Frankfurt 1984.

  18. Vgl. Alfred Bietau, Arbeiterjugendliche zwischen Schule und Subkultur. Eine Straßenclique in einer ehemaligen Berg-arbeitersiedlung des Ruhrgebiets, in: W. Breyvogel, Pädagogische Jugendforschung, Opladen 1989, S. 131-159.

  19. Vgl. Werner Helsper, Jugendliche Gegenkultur und schulisch-bürokratische Rationalität: Zur Ambivalenz von Individualisierungs-und Informalisierungsprozessen, in: W. Breyvogel, ebd., S. 161-185.

  20. Daß ich auch hier das Etikett „maskulin-orientiert“ vorziehe, obwohl die drei anderen Studien Kombinationen mit Subkultur den Vorzug geben, hat damit zu tun, daß in diesen Studien die alte Gleichsetzung von Subkultur mit Delinquenz fortgesetzt und das Subkultur-Konzept in einer beschränkten Variante verwendet wird. Dabei bleibt in diesen Studien ausgespart, ob es sich hierbei überhaupt -im oben definierten Sinne -um eine Subkultur handelt, und zwar notgedrungen, da diese Studien einen Bezug auf eine wie auch immer geartete Gesamtkultur nicht herstellen, sondern sich für die subjektive Perspektive der Jugendlichen interessieren.

  21. Ich bevorzuge es, von Stilen statt von Subkulturen zu sprechen, da die vorliegenden Studien es meist versäumen, zu klären, ob die Verwendung des Subkulturkonzepts gerechtfertigt ist.

  22. Zur Begriffsgeschichte ausführlicher: Werner Fuchs, Verlaufsformen der Jugendbiographie. Studienbrief der Femuniversität Hagen, Kurseinheit 1, 1988, S. 37ff.

  23. Vgl. Werner Fuchs, Biographische Studien zur Jugend-phase, in: Karl Ulrich Mayer (Hrsg.), Lebensverläufe und sozialer Wandel. Sonderheft 31 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Wiesbaden 1990, S. 58-88.

  24. Vgl. Jürgen Zinnecker/Peter Molnär, Lebensphase Jugend im historisch-interkulturellen Vergleich: Ungarn 1985 -Westdeutschland 1954 -Westdeutschland 1984, in: Wilfried Ferchhoff/Thomas Olk (Hrsg.), Jugend im internationalen Vergleich, Weinheim 1988, S. 181-206.

  25. Vgl. Arbeitsgruppe Schüler in Deutschland 1990, Anders und doch gleich. Jugendliche im Prozeß der Vereinigung -Eine erste gesamtdeutsche Schülerbefragung, in: Päd. extra & demokratische Erziehung, (1990) 12, S. 39-45. Ausführlich zu den Ergebnissen: Imbke Behnken u. a., Schülerstudie ’ 90. Jugendliche im Prozeß der Vereinigung, Weinheim 1991.

  26. Arbeitsgruppe, ebd., S. 39.

  27. Vgl. die Beiträge von Günter Lange/Hans-Jörg Stiehler, Holm Felber, Cordula Günther und Wolfgang Kühnel, in: G. Burkart (Hrsg.), Sozialisation im Sozialismus. Lebensbedingungen in der DDR im Umbruch. 1. Beiheft der Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 1990.

Weitere Inhalte

Karl Lenz, Dr. phil., geb. 1955; Studium der Soziologie, Sozialpsychologie sowie Sozial-und Wirtschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Akademischer Rat a. Z. am Institut für Soziologie der Universität Regensburg. Veröffentlichungen u. a.: Alltagswelten von Jugendlichen, Frankfurt 1986; Die vielen Gesichter der Jugend, Frankfurt 1988; Jugendliche heute: Lebenslagen, Lebensbewältigung und Lebenspläne, Linz 1989; zahlreiche Aufsätze aus dem Bereich der Jugendforschung.