I. Einführung
Schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte finden in vielen Ländern der Dritten Welt statt. Sie fordern dort wie auch hier zum Nachdenken darüber auf, wie sie in Zukunft verhindert werden können Die Auflösung des Ost-West-Konfliktes hat zu Veränderungen in der politischen Debatte über Menschenrechte geführt. Jedoch gibt es zunehmende Anzeichen, besonders bei den Diskussionen in den Vereinten Nationen, daß der alte Ost-West-Konflikt in Zukunft durch eine schärfere Konfrontation zwischen Nord und Süd abgelöst werden könnte, wobei sich einige der früheren kommunistischen Länder auf die westliche Seite, andere auf die Seite der Mehrheit der Staaten der Dritten Welt stellen. Dies heißt jedoch nicht, daß nicht auch weiterhin in der Praxis politische und wirtschaftliche Interessen gegenüber der Menschenrechtsfrage überwiegen können.
Wichtige positive Veränderungen am Ende des Ost-West-Konfliktes bestehen darin, daß regionale Konflikte durch die Zusammenarbeit zwischen den Supermächten schneller beendet werden können. Die Konflikte in Kambodscha, Vietnam, Afghanistan sowie in Afrika -aber nicht in Israel und am Golf -sind bisher Beispiele hierfür. Jedoch zeigen Afghanistan und Kambodscha, daß auch bei weitgehender Übereinstimmung zwischen den USA und der Sowjetunion Konflikte fortbestehen können.
Ein Gradmesser für den Nord-Süd-Konflikt ist die Entwicklung in der UN-Menschenrechtskommission, in der 43 Staaten Mitglieder sind. Bereits 1989 war es der Kommission politisch weder möglich, den Irak wegen Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen noch Aktivitäten hinsichtlich afrikanischer Länder, außer Südafrika, zu diskutieren. Bei der Tagung 1990 wurde eine Verurteilung des Iraks und der Volksrepublik China mit den Stimmen der Dritten Welt gegen die der westlichen Länder verhindert Grund war die Stimmenthaltung der lateinamerikanischen Länder, die seit Jahren mit einem gewissen Recht auf die einseitige Konzentration Lateinamerikas in der UN-Menschenrechtsarbeit hingewiesen hatten, nun aber selbst zu einer Fortsetzung dieser Praxis beitrugen. 1991 stand die Kommission unter dem Eindruck des Golfkrieges. Auch hier zeigte sich die zunehmende Bedeutung der Regionalgruppen, aber ein Nord-Süd-Konflikt war nicht so deutlich sichtbar. Dieser wird für die politische Gewichtsverteilung in der UN-Menschenrechtskommission Bedeutung haben, die 1992 von 43 auf 53 Mitgliedstaaten ausgeweitet wird. Damit soll Forderungen nach einer besseren Repräsentativität entsprochen werden. Da die Kommission für die Weiterentwicklung internationaler Menschenrechtsstandards, ihre Anwendung und für Kritik an menschenrechts-verletzenden Regierungen zuständig ist und dem UN-Wirtschafts-und Sozialrat und der UN-Generalversammlung zuarbeitet, ist ihre Bedeutung für die Fortentwicklung und Einhaltung des internationalen Menschenrechtsschutzes von überragender Bedeutung. Entscheidend wird das Jahr 1992 sein, in dem die Kommission zum ersten Mal in erweiterter Form zusammentreten wird.
Von den tiefgreifenden Veränderungen in Osteuropa und der UdSSR überrascht, scheint sich ein großer Teil der Länder Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens von einem nun stärkeren Norden bedroht zu fühlen. Alte Ängste, das Thema der Menschenrechte würde zu einer ungebührlichen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des eigenen Landes führen und könnte von politischen Interessen benutzt werden, nehmen zu. Die in den Vereinten Nationen in Regionalgruppen organisierten Länder scheinen zunehmend zusammenzurücken, wenn es um Kritik an Menschenrechtsverletzungen geht.
So verhinderten lateinamerikanische Staaten deutlichere UN-Aktionen zu Guatemala und El Salvador, und die Gruppe der 77 (Blockfreien) begrenzte eine französische Initiative zu Myanmar (Birma). Da in diesen Ländern keine „Öffentlichkeit“ existiert, die das Stimmverhalten der eigenen Regierung im Ausland beobachtet, hinterfragt und politisch zur Diskussion stellt, können Regierungen weitgehend ohne öffentliche Kontrolle handeln. Aber auch die westliche Gruppe votiert zunehmend einheitlich.
Im folgenden wird zuerst ein Überblick über Verletzungen des Menschenrechts auf Leben sowie über politische Haft für 1989/90 gegeben um dann Forschungsergebnisse zur Ursachenfrage vorzustellen. Abschließend werden Hindernisse und Chancen für einen verbesserten Menschen-rechtsschutz in der Dritten Welt diskutiert.
II. Menschenrechtsverletzungen in der Dritten Welt
1. Afrika Die Durchsetzung von Menschenrechten in Afrika steht aufgrund der verzweifelten wirtschaftlichen Lage und der geringen politischen Stabilität vor besonders großen Problemen. Der Sturz der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa wirkt sich zunehmend auf die afrikanischen Länder mit Einparteienregimen aus. War lange Zeit argumentiert worden, daß nur ein solches Regime angesichts der ethnischen Heterogenität politische Stabilität garantiere, entstehen zunehmend Oppositionsbewegungen, die Mehrparteienregime, mehr politische Freiheit und eine demokratische Kontrolle des staatlichen Machtapparates fordern.
In Westafrika sagten Regierungen die Zulassung mehrerer Parteien zu. In Somalia und Äthiopien sind jetzt Diktaturen gestürzt worden, die für erhebliche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren. Im Sudan hingegen kam es zu einem Rückfall einer liberalen Regierung in eine Militärdiktatur. Nach dem Militärputsch in diesem Land wurde eine große Zahl von Journalisten, Rechtsanwälten und Menschenrechtsaktivisten festgenommen. Eine größere Zahl von politischen Gefangenen wurde weiterhin in Kamerun, Kongo, Ghana, Tschad und Malawi festgehalten.
In den letzten Jahren ist es zur Entlassung von mehreren hundert politischen Gefangenen in Angola, Äthiopien, Benin, Namibia, Somalia, Südafrika und Uganda gekommen. Auch die Zahl der Hinrichtungen sind in den beiden Ländern, die die Todesstrafe am häufigsten anwendeten, in Südafrika und Nigeria, zurückgegangen. In Südafrika wurden Hinrichtungen im Februar 1990 und im Frühjahr 1991 suspendiert.
Allerdings nehmen Menschenrechtsverletzungen und Opfer der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte wie im Tschad, Sudan, in Liberia, Äthiopien und Somalia zu. Zahlreiche Zivilisten wurden von Regierungskräften hingerichtet. Ethnische Konflikte und Flüchtlingsbewegungen haben 1989 zu neuen Menschenrechtsverletzungen in Mauretanien geführt. Mehrere tausend schwarze Mauretanier aus dem Süden des Landes wurden nach ethnischen Konflikten des Landes verwiesen, hunderte vorher interniert und einige gefoltert.
Da selbst mittelfristig nicht mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage zu rechnen ist, wird auch eine graduelle Demokratisierung nur unter großen Schwierigkeiten voranschreiten, nicht zuletzt weil vermeintliche oder echte Staatsstreiche immer wieder zu Massenverhaftungen und starken Bedrohungsgefühlen bei Regierungen führen. In der Zukunft wäre vor allem eine Aussöhnung zwischen den in weiten Teilen Afrikas weiter bestehenden ethno-hierarchischen Strukturen und dem modernen Territorialstaat wichtig, wobei sich beide füreinander öffnen müßten Immerhin ist es in den letzten Jahren zum Aufbau eines afrikanischen Menschenrechtsschutzsystems gekommen 2. Asien In der Volksrepublik China hat das Massaker auf dem Tiananmen-Platz die erhoffte Modernisierung um Jahre, vielleicht Jahrzehnte zurückgeworfen. Das Massaker kostete nach Schätzung von amnesty international mindestens tausend Menschen das Leben. Danach kam es zu geheimen Exekutionen und zur Folterung von Gefangenen. In vielen asiatischen Ländern werden politische Gefangene festgehalten, darunter in Vietnam, das immer noch „Umerziehungslager“ hat.
Nachdem in Indien sowohl Spannungen zwischen Hindus und Moslems wie separatistische Neigungen zugenommen haben, kam es verstärkt zu illegalen Festnahmen, Folter und außergerichtlichen Hinrichtungen Der jahrelange bewaffnete Konflikt in Sri Lanka hat mehreren tausend Menschen das Leben gekostet; sie „verschwanden“, wurden Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen durch Todesschwadrone und „Sicherheitskräfte“ oder starben in Haft. Ethnische Konflikte spielten auch bei Menschenrechtsverletzungen in Tibet, Myanmar, Bangladesh und Indien eine wichtige Rolle.
In Indonesien betrafen die Unterdrückungsmaßnahmen vor allem islamische Aktivisten und Anhänger sezessionistischer Bewegungen in Irian Jaya und Osttimor. Auch wurden einige politische Gefangene nach über 24 Jahren Haft hingerichtet. Präsident Suharto hat unterdessen in seiner Biographie zugegeben, daß 5000 Menschen, die von 1983 bis 1986 Straftaten begangen zu haben verdächtigt wurden, in Schnellverfahren hingerichtet wurden.
In Ländern wie Myanmar (Birma), den Philippinen, Afghanistan und Kambodscha stehen sich bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte der Regierung gegenüber. In Afghanistan hat der von der Regierung in Kabul und der UdSSR äußerst brutal geführte Krieg durch Kämpfe, Bombardierungen, Minen und Hinrichtungen Hunderttausende von Toten gekostet Im Rahmen von Aufstandsbekämpfung kommt es immer wieder zu Übergriffen der „Sicherheitskräfte“ in Form von Folterungen und außergerichtlichen Hinrichtungen, z. B. auf den Philippinen. Besonders tragisch ist der Fall Myanmar, wo solche Menschenrechtsverletzungen sowohl gegenüber Demonstranten als auch Angehörigen von rebellierenden ethnischen Oppositionsgruppen angewandt wurden. Bestand nach den Wahlen noch Hoffnung auf Demokratie, so wird unterdessen deutlich, daß die Armee ihr eigenes Verständnis von Demokratie durchzusetzen versucht
Nach unbestätigten Berichten sind auch Guerillakräfte in einigen Ländern für die Tötung von Zivilisten verantwortlich, z. B. die Mudschahedin in Afghanistan und die Khmer Rouge in Kambodscha.
In Asien gibt es keine zwischenstaatliche Menschenrechtskommission Unabhängige Menschenrechtsgruppen haben in den meisten Ländern nur geringen Einfluß, während sie in den kommunistischen Staaten nicht zugelassen werden. In einem Klima starker politischer Polarisierung werden Menschenrechtsaktivisten oft selbst als „subversiv“ bezeichnet und zu Opfern von Anschlägen der „Sicherheitskräfte“, wie etwa auf den Philippinen. 3. Lateinamerika und Karibik In Lateinamerika finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien, Peru, El Salvador und Guatemala statt. In diesen Ländern stehen sich Guerilla und Regierung gegenüber, und in den Auseinandersetzungen werden zahlreiche friedliche politische Aktivisten und Unbeteiligte ermordet.
In Kolumbien gab es ursprünglich fünf Guerillagruppen, zwei Guerillagruppen kämpfen noch weiter. In den letzten Jahren sind Hunderte von Personen nach ihrer Festnahme durch „Sicherheitskräfte“ „verschwunden“ und ihr Schicksal ist bis heute nicht aufgeklärt. Mehrere tausend Personen starben als Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen, vor allem Personen der politischen Linken. Auch hier wurden nur selten Fälle aufgeklärt In Peru kämpfen die „Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru“ und der „Leuchtende Pfad“ gegen die Regierung. Der „Leuchtende Pfad“ ist für zahlreiche Grausamkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung und gefangengenommenen Regierungsvertretern bekannt. Eine Kommission des peruanischen Kongresses berichtete 1989, daß in diesem Land 5 877 Personen in den letzten neun Jahren „verschwunden“ sind. In beiden Ländern versagen Militärgerichte in fast allen Fällen bei der Aufklärung von Straftaten, bei denen Militärangehörige beschuldigt werden.
Trotz des Übergangs zur Demokratie kommt es sowohl in El Salvador als auch in Guatemala wei-terhin zu außergerichtlichen Hinrichtungen durch Todesschwadrone, die offensichtlich Kontakt zur Armee haben Die Regierungen haben nicht den politischen Willen, dagegen vorzugehen, und die Justiz muß daher in der Aufklärung dieser Straftaten versagen. In Guatemala und Kolumbien sind Richter, die in solchen Fällen ermittelten, entführt bzw. ermordet worden.
Daß es einen engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts-und sozialer Krise mit Menschenrechtsverletzungen (und auch Umweltproblemen!) gibt, zeigt das Beispiel Brasilien wo zunehmende Kriminalität, verbunden mit abnehmender Effektivität der Polizei nicht nur zu katastrophalen Gefängnisbedingungen und zu einem Ansteigen zweifelhafter Todesschüsse auf echte oder vermeintliche Kriminelle geführt hat, sondern darüber hinaus zum Wiederaufleben von Todesschwadronen, die zuerst Ende der sechziger Jahre durch ihre Morde bekannt wurden. Mehrere hundert Menschen, darunter vor allem Straßenkinder, sind ihren von Geschäftsleuten bestellten Mördern zum Opfer gefallen. Die Aufklärung solcher Fälle ist gering.
In Chile hatte der noch immer amtierende oberste Gerichtshof das (Selbst-) Amnestiegesetz der Militärjunta für verfassungsgemäß erklärt, worauf hundert „Verschwundenen“ -Fälle von den Gerichten nicht weiter untersucht werden konnten. Der neu-gewählte Präsident Patricio Aylwin hat eine „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ eingesetzt, die Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen, „Verschwundenen“ und von Tod unter der Folter ermittelte. Nach ihrem im März 1991 dem Präsidenten übergebenen Bericht starben mehr als 2000 Menschen durch die Militärregierung und 164 Menschen kamen durch politische Terrorakte ums Leben Sie nennt die Namen der Opfer, aber nicht die Täter, weil dies nicht zu ihrem Auftrag gehörte.
Auch in Nicaragua haben sowohl der scheidende Präsident Ortega wie die Präsidentin Chamorro weitgefaßte Amnestiegesetze erlassen, die zur Freilassung von Angehörigen der sandinistischen Armee, von „Contra“ -Rebellen und von Angehörigen der Somoza-Nationalgarde führten.
In der Karibik ist vor allem die Verhängung der Todesstrafe weit verbreitet, und rund 350 Personen sind zum Tode verurteilt worden. Sie wird aber in letzter Zeit nur in wenigen Fällen ausgeführt. In Trinidad prüft eine Kommission, ob diese Strafe weiter beibehalten werden soll.
Auch in Lateinamerika haben Todesdrohungen bzw. Morde an Menschenrechtsaktivisten in den letzten Jahren zugenommen, so in Guatemala, Honduras, Peru, Kolumbien und Brasilien. In Peru versuchte man, sie mit Bombenanschlägen, Morddrohungen und zwei außergerichtlichen Hinrichtungen einzuschüchtem. Der Subkontinent hat gleichwohl ein besonders aktives regionales Menschenrechtsschutzsystem (die Interamerikanische Menschenrechtskommission und den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof) 4. NaherOsten Mehrere zehntausend politische Gefangene sind im Nahen Osten in den letzten Jahren festgenommen worden. Betroffene waren vor allem politische Oppositionelle, religiöse und ethnische Gruppen. Bei den religiösen Gruppen handelte es sich um Shiiten in Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain und religiöse Aktivisten in Libyen. Im Irak wurden bisher mehrere tausend politische Gefangene, vor allem Kurden, Regierungskritiker und ihre Angehörigen, festgehalten. Wie die Lage zur Zeit aussieht, ist unklar. Der Iran ist für die höchste Zahl von bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich. Folterungen und Mißhandlung von Gefangenen werden aus fast allen Ländern der Region gemeldet.
In Ägypten ging die Regierung mit Notstandsvollmachten gegen die politische Linke, Gewerkschaffer und islamische Fundamentalisten vor. Ebenso wurden in Syrien mit Notstandsgesetzen mehrere tausend politische Oppositionelle festgehalten; im Libanon waren es einige hundert Festgenommene.
Auch im Nahen Osten wird die Technik des „Verschwindenlassens“ angewandt. Sie ist im Irak und in Marokko anzutreffen, wo Hunderte von Sahrauhis seit Jahren „verschwunden“ sind. In der Türkei waren Kurden und assyrische Christen betroffen. Die Todesstrafe wird zunehmend verhängt und ausgeführt, mit über tausend Hinrichtungen für angeblichen Drogenbesitz (von 1500 bekannt gewordenen Hinrichtungen im Jahr 1989) im Iran und Hunderten von Hinrichtungen im Irak, wo vor allem Deserteure und kurdische Oppositionelle betroffen waren. Im Iran wurden zwischen August 1988 und Januar 1989 mindestens 2000 Menschen hingerichtet. In Saudi-Arabien und der Arabischen Republik Jemen wurden weiterhin islamische Strafen wie Enthauptung und Steinigung angewandt.
In Israel sind im Rahmen der „intifada“ allein 1989 mehr als 260 unbewaffnete palästinensische Zivilisten, unter ihnen auch Kinder, von Angehörigen der israelischen Truppen erschossen worden. Amnesty international kritisiert: „Diese Todesfälle ereigneten sich oft unter Umständen, die vermuten ließen, daß Soldaten mit übergroßer Härte vorgegangen sind oder vorsätzlich tödliche Gewalt angewandt haben“ Rund 4000 Personen wurden ohne Anklage und Gerichtsverfahren in Haft gehalten.
Fragen der Übereinstimmung und möglicher Gegensätze zwischen dem Islam und den Menschenrechtsnormen werden seit langem diskutiert Seit Jahren gibt es Versuche, sowohl eine islamische als auch eine arabische Menschenrechtskonvention zu entwerfen. Während eine islamische Konvention im Rahmen der Islamischen Konferenzorganisation (OIC) noch am Anfang steht, hat ein Komitee unabhängiger Experten 1986 den Entwurf einer Arabischen Charta der Völker-und Menschenrechte vorgelegt
Ein besseres Verständnis für Menschenrechte wird jetzt in der arabischen Welt auch auf dem Gebiet der Forschung und Ausbildung vorangetrieben. Am Institut für Höhere Kriminologiestudien der Universität Syrakus werden seit 1985 mehrere hundert Personen, darunter Juristen, hochrangige Armee-und Polizeioffiziere und Minister, in Menschenrechtsfragen ausgebildet Durch Kontakte zu arabischen Universitäten und den Aufbau entsprechender Ausbildungsprogramme sollen die positiven Ergebnisse vervielfacht werden.
Auch sind einige Länder jetzt bereit, über Menschenrechtsfragen zu sprechen, so der Iran (Besuch eines UN-Beauftragten). Algerien, Jordanien und Kuwait haben selbst Reformen und eine verstärkte Beachtung von Menschenrechten angekündigt. Jordanien, Syrien und Marokko empfingen Missionen von amnesty international. In Jordanien, im Libanon, in Saudi-Arabien und Tunesien wurden politische Gefangene freigelassen.
III. Forschung über Ursachen von Menschenrechtsverletzungen
Während Forschung und Aktivitäten zu Menschenrechtsverletzungen seit den siebziger Jahren in erheblichem Maß zugenommen haben und viele neue Organisationen gegründet wurden, steht die Ursachenforschung noch weitgehend am Anfang. Bisher gibt es keine Theorie oder zumindest keinen Theorieansatz, der allgemein akzeptiert wäre. Auch für Überlegungen zu Entwicklungsdiktaturen, Herrschaftsklassen in der Dritten Welt, Modernisierungs-, Dependenz-und Imperialismus-theorien sind Menschenrechte, vor allem politische Unterdrückung, nur von untergeordneter Bedeutung. Sicher gibt es allgemeine Hypothesen und einige sind an Länderbeispielen getestet worden So betonen einige Autoren, daß die Durchsetzung der Demokratie, und gemeint ist hier vor allem die angelsächsische Form, unabdingbare Voraussetzung für die Einhaltung der Menschenrechte sei. Dies entspricht der Beobachtung, daß schwerwiegende und andauernde Menschenrechtsverletzungen in tendenziell demokratischen Gesellschaften eher die Ausnahme darstellen.
Damit wird die Ursachenfrage jedoch nur auf das Problem der Bedingungen von Demokratie in der Dritten Welt verschoben, auf ihre innergesellschaftlichen und internationalen Rahmenbedingungen. Chronische Wirtschaftskrisen, jahrzehntelang verschleppte gesellschaftliche Reformen und daraus folgende Legitimationskrisen des politischen Systems lassen sich in der großen Mehrheit dieser Länder ausmachen. Wie immer auch im Einzelfall die Diagnose ausfällt, die Rückführung auf inner-und internationale Faktoren führt zu erbitterten Debatten, ob für diese Grundprobleme die Verantwortung überwiegend im Kolonialismus oder eher in aktuelleren politischen Einflüssen (vor allem durch parasitäre Herrschaftsklassen zu suchen sind. Je nach politischem Standpunkt galten der westliche Imperialismus, der kommunistische Weltherrschaftsanspruch, die Durchsetzungsmacht transnationaler Konzerne oder die Borniertheit einheimischer Eliten als nicht weiter ableitbare allgemeine Bedingungsfaktoren.
Angesichts dieser wenig ergiebigen, oft an parteipolitischen und ideologischen Interessen orientierten Kontroversen ist zuerst die Notwendigkeit einer soliden Datenbasis zu Menschenrechtsverletzungen einzufordern. Denn bisher gibt es eine solche zu den einzelnen Menschenrechten nicht, wenn es auch Quellen zu einigen Bereichen wie politische Unterdrückung, Gesundheit, Bildung etc. gibt, die aber nicht als Daten für die entsprechenden Menschenrechte ausreichen. Versuche dieser Art genügen zwar den Bedürfnissen nach Information Aktion, und aber nicht sozialwissenschaftlichen Erfordernissen. Dies gilt für Übersichten wie die Jahresberichte von amnesty international, Freedom House und des US-Außenministeriums. An diesen und anderen Übersichten als Grundlage für wissenschaftliche Forschung ist unterdessen erhebliche Kritik geübt worden
Während in der Bundesrepublik bisher nur wenige Forscher Beiträge zur Ursachenfrage leisteten haben Forscher in den USA und in den Niederlanden mit interdisziplinären Studien begonnen, die zu Theorieansätzen führen sollen
In den USA und Kanada waren es vor allem Forscher wie Michael Stohl, George A. Lopez, Ted Robert Gurr, Jack Donnelly und Rhoda Howard, die sich dieses Themas in den letzten zehn Jahren angenommen haben. Dort wurde die Diskussion vor allem unter den Begriffen „Staatsterrorismus“ aber auch „Politizid“ und „Genozid“ (Gurr) geführt. Neben ausführlichen Länderfallstudien und Beiträgen zur Theorie wurden auch ausländische Einflüsse -politische Intervention, Militär-und Polizeihilfe, Geheimdienstaktivitäten -beschrieben und analysiert
In den Niederlanden ist am Institut für Soziale Konflikte der Universität Leiden ein Forschungsschwerpunkt zu Ursachen von systematischen Menschenrechtsverletzungen in Form von „Verschwindenlassen“, außergerichtlichen Hinrichtungen und Folter entstanden. Acht Projekte werden zur Zeit bearbeitet oder vorbereitet: -Eine weltweite Erfassung von Menschenrechtsverletzungen auf der Basis einiger zentraler Menschenrechte, die alle die in den beiden UN-Menschenrechtspakten von 1966 vertretenen Menschenrechtsnormen repräsentieren;
-die Ursachen systematischer Menschenrechtsverletzungen zwischen 1960 und 1990 in Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay, in Guatemala/Costa Rica und in einigen südostasiatischen Staaten;
-die Justizsysteme in Ländern mit schweren Menschenrechtsverletzungen;
-die Rolle der Polizei und der Gefängnisbeamten;
-die Rolle von Vigilantengruppen und Todes-schwadronen;
die Rolle des Militärs und der Geheimdienste/Spezialeinheiten sowie -eine Dokumentensammlung von Folterern, die über ihre eigene Erfahrung berichten
IV. Hindernisse auf dem Weg zu einem besseren Menschenrechtsschutz
Viele Grundprobleme der wirtschaftlichen und sozialen Fehlentwicklung in der Dritten Welt, aber auch der politischen Organisation des Nationalstaates sind ungelöst. Mit der mangelnden Übereinstimmung über Zugang und Kontrolle politischer Machtausübung werden Interessengegensätze gewaltsam ausgetragen. Lokale Kriege und gewaltsame Oppositionsbewegungen sind die Folge. 1. Politisierte Ethnizität Als Folge künstlicher Grenzen und der unvollständigen Herausbildung von Nationalstaaten leben ethnische Konflikte wieder auf. Ethnische und kulturelle Unterschiede werden politisch besetzt und auch manipuliert, um durch entsprechende Loyalitäten politische Ziele durchzusetzen. Die Beschaffung von Waffen für ethnische Gruppen fällt in der Regel leicht und kann dann schnell zu einer Proliferation an Gruppen führen, die für ihre Ziele besonders dann zur Anwendung von Gewalt bereit sind, wenn sie vom Staat diskriminiert und gewalttätig unterdrückt werden (Türkei, Irak). Die jüngsten Ereignisse im asiatischen Teil der Sowjetunion und der langjährige Kampf der Kurden sind hierfür Beispiele, aber auch in Indien und in verschiedenen Ländern Afrikas ist ein solcher Trend zu beobachten. 2. Paramilitärische Gruppen In immer mehr Ländern tauchen sogenannte paramilitärische Gruppen auf, die für Entführung, Folter und die Ermordung von Zivilisten verantwortlich sind. Oft handelt es sich um eine Situation, in der die Regierung einer Guerilla gegenübersteht. So erklärte der kolumbianische Innenminister und jetzige Präsident Cesar Gaviria am 1. Oktober 1987 im Parlament, es gäbe 140 paramilitärische Gruppen im Land und die Regierung wisse nicht, wer sie ausbildet, finanziert und trainiert. Jahrelang hatten offizielle Stellen die Existenz solcher Gruppen bestritten. Unterdessen ist deutlich, daß dieser Begriff ganz verschiedene Gruppen bezeichnet, z. B. sogenannte Selbstverteidigungsgruppen von Landbesitzern, Killergruppen von Drogen-händlern und vom Militär ausgebildete Selbstverteidigungsgruppen
In Guatemala und El Salvador sind solche Gruppen seit Jahren in enger Kooperation mit dem Militär bekannt und stellen einen Teil der Guerillabekämpfungsstrategie dar. Auf den Philippinen werden sie als Citzens Armed Force Geographical Units (CAFGUs) geführt und sollen dem Militär bei der Bekämpfung der kommunistischen Nationalen Volksarmee (NPA) helfen. Es handelt sich oft um religiös fanatisierte Gruppen, die zu besonderen Grausamkeiten (Mord und Verstümmelung) bereit sind
Diese Gruppen sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie suggerieren, es gäbe in dem jeweiligen politischen Konflikt neben den politischen Akteuren: Regierung, bewaffnete und unbewaffnete Opposition noch paramilitärische Gruppen, die angeblich unabhängig von der Regierung agieren und deshalb auch nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Genauere Untersuchungen dieses Phänomens zeigen jedoch, daß diese Gruppen in aller Regel eng mit Regierung und Militär Zusammenarbeiten, die sicherstellen, daß ihre Straftaten zumeist nicht untersucht werden bzw. es nicht zu Verurteilungen kommt, und dies trotz Kritik im In-und Ausland. Sie begehen häufig schwere Menschenrechtsverletzungen und entlasten dadurch die offiziellen Sicherheitskräfte der Regierung von Kritik Dies ist auch logisch, weil sie in aller Regel Teil der militärischen Strategie zur Guerillabekämpfung sind. 3. Bedrohungsvorstellungen und Sicherheit In Vergangenheit und Gegenwart standen Menschenrechtsverletzungen oft in Verbindung mit Bedrohungsvorstellungen und Sicherheitskonzepten, z. B.den Doktrinen der Nationalen Sicherheit in Südamerika. Je nach Land und politischer Orientierung wurden die zu schützenden Werte mit „Frieden“, „Freiheit“, „politische Stabilität“ oder „Schutz der Revolution“ (in marxistisch-leninistischen Regimen) bezeichnet.
Für die Zukunft werden Konzepte von innerer und äußerer Sicherheit einen großen Einfluß darauf haben, ob Menschenrechte eingehalten oder von den Staatsführungen als „disponibel“ begriffen werden. Zu fragen ist immer, wessen „Sicherheit“ geschützt wird, die Sicherheit der Bevölkerung, einzelner Bürger, des Staates, der Nation oder kleiner und kleinster Machteliten. Um dem weit verbreiteten Mißbrauch von Sicherheitsdoktrinen vorzubeugen, müssen demokratisch gewählte Politiker und zivile Experten an der Ausarbeitung und Umsetzung solcher Konzepte beteiligt werden, besser aber noch die Bevölkerung selbst. 4. Straffreiheit von Menschenrechtsverletzungen Nach dem Übergang zur Demokratie stellte sich in vielen Ländern die Frage, ob und wie politische Führer und ihre Helfer in Polizei, Geheimdiensten und Militär zur Rechenschaft gezogen werden sollen -eine Frage, die ja auch in der Bundesrepublik mit Blick auf den Staatssicherheitsdienst und einige SED-Politiker diskutiert wird.
Selten wurden Diktatoren und ihre Helfer vor ein Gericht gestellt Vielmehr wurden, vor allem in Lateinamerika, übereilt „Amnestien“ verabschiedet, die der „nationalen Versöhnung“ dienen sollen. Nun müssen jedes Land und seine Bevölkerung frei sein, den ihnen gemäßen Weg zur Versöhnung zu gehen. Gleichwohl haben Amnestien wichtige politische und juristische Folgen für den Menschenrechtsschutz. Amnestiegesetze beenden in der Regel die gerichtliche Aufklärung des Tat-hergangs. Damit bleibt für die Angehörigen der Opfer, die doch zur Versöhnung bereit sein sollen, unklar, wer die Täter sind. Weiterhin haben Amnestien auch eine zivilrechtliche Wirkung, indem sie die Möglichkeiten der Familienangehörigen einschränken oder aufheben, dem Staat gegenüber Schadenersatz zu fordern. Denn dies setzt ja eine Aufklärung des Falles, die Feststellung einer Verantwortung des Staates, voraus. Schließlich wird in den Amnestiegesetzen auf die Bestrafung schwerer Verbrechen vor ihrer Aufklärung verzichtet.
Schwere Straftaten wie Entführung, Vergewaltigung, Folter und Mord, die von Zivilisten begangen wurden, führten zur Strafverfolgung; dieselben Straftaten, im Auftrag oder mit Duldung des Staates begangen, blieben fast immer straffrei Dies gilt für die unmittelbaren Täter, ihre Vorgesetzten bis hinauf zur Leitung der Behörde und die politische Führung. Diese Erfahrung ist ein deutliches Zeichen für zukünftige Diktaturen und ihre Helfer. Daß solche Taten ohne Angst vor persönlichen Folgen begangen werden können, ist eine ernste Belastung und Gefahr für jede neue Demokratie.
V. Perspektiven für die Zukunft
1. Ost-West-Konflikt Wichtigste Veränderung ist das Abklingen des Ost-West-Konfliktes. Damit verringern sich die Chancen für kleine Machteliten, innenpolitische Konflikte in Systemauseinandersetzungen umzudeuten, um dadurch ihr Überleben zu sichern.
Denn in vielen Ländern war es nicht verwunderlich, daß es zu Zivil-oder Militärdiktaturen kam, sondern aufgrund schwieriger Entwicklungs-und Institutionsbildungsprozesse verständlich. Verblüffend und besorgniserregend war und ist, wie lange sich solche Regime halten können. Obwohl innenpolitische Faktoren in den meisten Fällen überragendes Gewicht hatten, war Hilfe aus dem Ausland, besonders Militär-, Polizei-und Geheimdienstausbildung, oft von großer Bedeutung. Dadurch wurden innergesellschaftliche Kräfte zugunsten der Machtelite gebunden. Es ist aber nicht auszuschließen, daß regionale Mächte aus ihrer Interessenlage heraus in einzelnen Fällen eine solche Politik fortsetzen. Ebenso könnten sich einige Großmächte aus strategischen Interessen auch weiterhin zu einer solchen Politik verleiten lassen. 2. Wirtschaftlich-soziale Rechte und Nord-Süd-Konflikt Bei Diskussionen in den Vereinten Nationen betonen vor allem Regierungsvertreter aus Ländern der Dritten Welt, daß die Einhaltung von Menschenrechten nur durch tiefgreifende Veränderungen in den weltwirtschaftlichen Beziehungen möglich sei, weil die gegenwärtigen Bedingungen der Weltwirtschaft für die Dritte Welt eine Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer, bürgerlicher und politischer Rechte gleichermaßen unmöglich mache.
Der Westen reagierte überwiegend ablehnend auf solche Positionen, weil er vermutete, daß dadurch die westlichen Industriestaaten in ungerechtfertigter Weise kritisiert werden sollten, um Ansprüche auf mehr Ressourcen mit Menschenrechtsansprüchen zu legitimieren. Mit der Kritik an der Weltwirtschaft versuche man zu begründen, daß die Dritte Welt die Menschenrechte gegenwärtig noch nicht einhalten könnte und die Verantwortung hierfür die westlichen Industriestaaten trügen. Schließlich wurde von Seiten der Industriestaaten darin ein Angriff auf den freien Welthandel gesehen, der allerdings durch protektionistische Maßnahmen dem eigenen Anspruch immer weniger gerecht wird.
Verbindliche wirtschaftliche und soziale Rechte sind für westliche Länder schwer zu akzeptieren, da sich hier die Rolle des Staates in Spannung zu einer von staatlichen Eingriffen freien Wirtschaft befindet, z. B. bei Menschenrechten auf Arbeit, Bildung und Gesundheit Diese Rechte werden daher in der juristischen Diskussion, besonders in der Bundesrepublik und in den USA, eher zurückhaltend und überwiegend ablehnend kommentiert.
Auch sind die westlichen Staaten nicht bereit, die Durchsetzung der Menschenrechte mit wirtschaftlichen Mitteln -Investitionen, Handel, Stimmverhalten in internationalen Finanzinstitutionen etc. -voranzutreiben. Unter der Carter-Regierung war zeitweise das Stimmverhalten in internationalen Finanzinstitutionen (Internationaler Währungsfond, Weltbank, Regionale Entwicklungsbanken) von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht worden Heute lehnen die westlichen Regierungen -und nicht nur sie -dies ab, weil nach ihrer Auffassung die wirtschaftlichen Beziehungen von politischen Einflüssen freigehalten werden sollten. Bei der Diskussion über Wirt-Schaftssanktionen, etwa in den Fällen Afghanistan, Südafrika und Chile kam diese Grundposition bei fast allen westlichen Ländern, mit Ausnahme einiger skandinavischer Staaten, zum Ausdruck.
In den nächsten Jahren werden diese Diskussionen in den Vereinten Nationen noch mehr an Gewicht gewinnen. Hier zeigen sich die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Norden und Süden. Angesichts der Veränderungen in der UN-Menschenrechtskommission werden sich die westlichen Länder überlegen müssen, inwieweit sie den Ländern der Dritten Welt in Fragen wie Recht auf Entwicklung und in Fragen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte entgegenkommen wollen, um in der Kommission eine Mehrheit für ihre Initiativen zu erhalten. 3. Entwicklung und Weltwirtschaft Die Entwicklung der Weltwirtschaft und besonders die Chancen oder Barrieren für viele Länder der Dritten Welt, deren Anteil am Welthandel kontinuierlich sinkt, ist ein weiterer entscheidender Faktor. Die Entwicklung in Ländern wie Argentinien, Brasilien und Peru zeigt, welche funda-mentalen Probleme für das Überleben von Demokratie in dem Umfeld einer andauernden und sich vertiefenden Wirtschaftskrise bestehen. Für viele Länder Afrikas haben Experten und internationale Organisationen nahezu jede Hoffnung auf eine kurz-und mittelfristige wirtschaftliche Gesundung aufgegeben.
Die zentrale Frage lautet, welche Veränderungen der Weltwirtschaft unabdingbar sind, damit die Länder der Dritten Welt realistische Chancen für ihre wirtschaftliche Entwicklung erhalten. Veränderungen in den Wirtschaftsbeziehungen, die Lösung der Schuldenkrise, Protektionismus und Rohstoffpreise sind nur einige der zentralen Problem-felder, aber auch die sozialen und damit politischen Folgen der IWF-Anpassungsprogramme Daß auch innenpolitische und Wirtschaftsreformen im eigenen Land dazu gehören, liegt auf der Hand.
Bei der Diskussion über eine Neugestaltung der weltwirtschaftlichen Beziehungen sind die Industrieländer im Westen und Osten gefragt, nicht nur eigene Interessen durchzusetzen, sondern die Überlebensinteressen der ärmsten Länder vorrangig zu berücksichtigen. Dies stößt zur Zeit in der politischen Praxis allerdings auf Skepsis, weil in Europa vor allem die Sanierung der maroden Wirtschaften in Osteuropa auf der Tagesordnung steht und daher knappe Finanzmittel in Konkurrenz zur Unterstützung für Entwicklungsländer stehen. 4. Politische Herrschaft, Gesellschaft und Demokratisierung Politische Herrschaftsstrukturen spielen offensichtlich eine zentrale Rolle für die Durchsetzung der Menschenrechte. Um so wichtiger ist die aktuelle Entwicklung hin zu einer Demokratisierung der Länder, insbesondere in Lateinamerika seit Anfang der achtziger Jahre und jetzt in Afrika. Auch in Asien und dem Nahen Osten sind Ansätze sichtbar, die Grund zu vorsichtigem Optimismus geben. Diese politischen Veränderungen sollten ohne ausländische Einmischung von der Bevölkerung selbst vorangetrieben werden. Inwieweit politische Auflagen der Industrieländer (Konditionalität) hier von Nutzen sind und wie ein möglicher Mißbrauch verhindert werden kann, muß geprüft werden
Auf staatlicher Ebene hängt die Einhaltung von Menschenrechten in der Praxis vor allem von der Justiz und der Polizei ab, wobei in einigen Ländern das Militär zusätzlich mit Polizeiaufgaben beauftragt wird. Seit langem wird daher von Experten eine entsprechende Ausbildung von Polizei-und Militärangehörigen in Menschenrechtsfragen gefordert. Wenn gewaltsame Konflikte bereits stattfinden, macht die Brutalisierung der Angehörigen von Sicherheitskräften Menschenrechtserziehung äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich. Allerdings darf man sich über kurzfristige Erfolge solcher Bemühungen keine Illusionen machen. Denn es hängt vom politischen Willen der Regierung sowie der Leitung der Sicherheitsorgane und der Justiz ab, ob solche Maßnahmen nur kosmetisch oder ernsthaft durchgeführt werden.
Bei einem Versagen dieser Institutionen kommt es meistens dazu, daß die in der Dritten Welt vielfach erst im Entstehen begriffene „Gesellschaft“ bzw. Sektoren von ihr einspringen müssen. Seit den siebziger Jahren gründeten sich zahlreiche lokale Menschenrechtsorganisationen, die Informationen sammeln, auswerten und Aktionen durchführen. Sie zeigen durch ihre Existenz und Arbeit, daß das Menschenrechtsthema ein Anliegen der Bevölkerung ist und nicht nur ungerechtfertigte Kritik aus dem Ausland darstellt. Viele Aktivisten müssen in ihren Ländern mit Todesdrohungen, Folter und Mord rechnen. 5. Menschenrechtspolitik Schließlich wird für die Zukunft die Menschenrechtspolitik der Industrieländer und anderer Staaten der Dritten Welt von Bedeutung sein. Ihre Grundlage ist die aktive Bereitschaft, sich sowohl in Einzelfällen als auch bei einer sich verschlechternden Menschenrechtssituation im Zielland aktiv einzusetzen -auch und gerade, wenn andere Interessen darunter leiden könnten. Hierzu bedarf es einer in sich schlüssigen Politikformulierung in der Außen-, Entwicklungs-und Sicherheitspolitik. Ein neues striktes Regime -strikt vor allem auch in der effektiven Überprüfung seiner Einhaltung -für Waffenexporte (einschließlich Ersatzteile und Produktion im Ausland) und Polizei-/Militärhilfe wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Einzelne Menschenrechtsverletzungen wird es auch in Zukunft in vielen Ländern der Dritten Welt geben. Aktiv zur Eindämmung massiver Menschenrechtsverletzungen beizutragen, ist ein dringendes Gebot politischer Vernunft. Nur wenn diese in ihrer strukturellen Verursachung begriffen werden, können sie mittelfristig mit Aussicht auf Erfolg verringert werden.