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Politische Sprache -Instrument und Institution der Politik | APuZ 17/1991 | bpb.de

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APuZ 17/1991 Politische Sprache -Instrument und Institution der Politik Deutsche Teilung, deutsche Einheit und die Sprache der Deutschen „Von mir hätten Sie immer nur die halbe Wahrheit bekommen.“ Interviews mit Journalisten des Deutschen Fernsehfunks der DDR

Politische Sprache -Instrument und Institution der Politik

Andreas Dörner

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Politische Sprache ist weder ein beliebig verwendbares Werkzeug, noch eine eigenmächtige Kraft, die ihren Willen gegen die Menschen durchsetzt. Sie ist immer zugleich ein Instrument politischen Handelns und eine Institution, deren kollektiv verbindliche Regeln jeder Sprecher beachten muß. Erst wenn man diese Doppelstruktur in Rechnung stellt, versteht man, wie politische Realität durch Sprache konstruiert wird. Politische Sprache prägt unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit ebenso wie den Aufbau von Sinnperspektiven, unsere Gefühle ebenso wie unsere Wertungen und Wünsche. Nicht zuletzt stiftet politische Sprache als Institution politische Heimaten und Identitäten. Damit ist sie ein zentrales Steuerungsmedium, das unter Verzicht auf physische Gewalt oder materielle Anreize politische Gefolgschaften sicherstellen kann. Deshalb auch ist der Kampf um die öffentliche Benennungsmacht, der Kampf um Wörter und Formulierungen immer auch ein Kampf um politische Machtstrukturen. Wer die politische Sprache beherrscht, der beherrscht in großem Maße auch die Köpfe und Körper derjenigen, die diese Sprache verwenden. Durch die bewußte Gestaltung von Sprache lassen sich gegebene Verhältnisse legitimieren und stabilisieren. Wo es jedoch gelingt, die Fragwürdigkeit des Bestehenden oder die Attraktivität von Alternativen aufzuzeigen, da wird politische Sprache zum entscheidenden Hebel von gesellschaftlicher Veränderung.

I. Einleitung: Der Donnerkeil des Mirabeau

Heinrich von Kleist schildert in seinem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ein aufschlußreiches Beispiel für die eigenartige Dynamik der politischen Sprache. Er bezieht sich dabei auf die berühmte Rede des Grafen Mirabeau in der französischen Deputiertenkammer am 23. Juli 1789, mit der dieser dem Zeremonienmeister des Königs auf dessen Auflösungsbefehl antwortet. Der Leser kann anhand der Kleistschen Kommentare (die jeweils aus der Ich-Perspektive eingeflochten sind) genau verfolgen, wie sich im Akt des Sprechens das Machtpotential der politischen Sprache entfaltet:

antwortete Mirabeau, , wir haben des Königs Befehl vernommen' -ich (d. i. Kleist) bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: Ja, mein Herr', wiederholte er, , wir haben ihn vernommen' -man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. , Doch was berechtigt Sie' fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf -, uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation." -Das war es, was er brauchte! , Die Nation gibt Befehle und empfängt keine.' -um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. , Vnd damit ich mich Ihnen ganz deutlich erkläre' -und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: , so sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsre Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.' (...) Man liest, daß Mirabeau, sobald der Zeremonienmeister sich entfernt hatte, aufstand, und vorschlug: sich sogleich als Nationalversammlung, und als unverletzlich, zu konstituieren.“ 1)

Was geht hier vor? Kleist zeigt zunächst, welche bewegende Macht vom gesprochenen Wort ausgehen kann: hier die Macht der Selbstdefinition, die, einmal ausgesprochen, es einer Gruppe von Männern ermöglicht, sich als Repräsentanten einer „Nation“ zu deklarieren und auch gleich die ent-* sprechenden institutionellen Schritte einzuleiten -allen Lähmungen zum Trotze, die das Wort des Königs früher beim Volk ausgelöst hatte. Durch den Sprachakt werden neue politische Realitäten geschaffen.

Zum anderen ist jedoch zu beachten, daß Mirabeau diesen Sprachakt keineswegs aus dem völligen Nichts heraus schöpfen konnte. Die Möglichkeit einer Bedeutung der Wörter „Repräsentanten der Nation“ in Mirabeaus Sinne muß sich bereits im Vorfeld der Ereignisse eröffnet haben, denn ohne einen -von der sozialgeschichtlichen Forschung mittlerweile auch gut aufgearbeiteten 2) -entsprechenden Wandel von Mentalität und Sprachbewußtsein würde eine derartige Äußerung unverstanden im Raum stehenbleiben.

Schließlich aber wäre das geschilderte Ereignis eine unbedeutende Anekdote geblieben, wenn nicht das reale politische Handeln der französischen Bürger diesem neuen Sprachgebrauch der „Nation“ zum politischen Durchbruch verholfen hätte.

Die Kleistsche Beschreibung gibt somit einen schlaglichtartigen Einblick in das Beziehungsgeflecht, in dem politische Sprache ihre charakteristische Wirksamkeit entfaltet. Sie konstituiert sich in einem stetigen Wechselspiel zwischen individuellem Sprachhandeln (Sprache als Instrument) und kollektiv verbindlichen Regeln des Sprachgebrauchs (Sprache als Institution). Dabei bleibt sie immer bezogen auf den gesellschaftlichen Rahmen, innerhalb dessen gesprochen und geschrieben wird. Allerdings besteht zwischen Sprache und politischer Realität keineswegs ein simples Abhängigkeitsverhältnis. Zwar ist kein Sprachgebrauch unabhängig von seinen kontextuellen Bedingungen denkbar -aber, wie das Beispiel zeigt, kann eine neue Sprache auch neue politische Fakten schaffen.

Es scheint alles andere als Zufall, daß die Besonderheit der modernen politischen Sprache gerade im Kontext der Französischen Revolution so deutlich hervortritt. Die Revolution stellt -wie für viele andere Bereiche -auch für die politische Kommunikation eine entscheidende Modernitätsschwelle dar. Natürlich haben auch die alten Griechen schon über Möglichkeiten wie Grenzen politischer Rhetorik oder über Wahrheit und Falschheit von politischen Begriffen nachgedacht. Um 1789 jedoch entsteht nicht nur eine radikal neue politisch-soziale Begrifflichkeit, sondern der bewußte Umgang mit politischer Sprache erreicht nach Aufwand und Wirkung eine völlig andere Qualität. Die neuen bürgerlichen Eliten prägen neue Wörter und Bedeutungen und setzen diese mit umfangreichen „sprachpolitischen“ Maßnahmen durch: Massenwirksame und massenmobilisierende Propaganda rückt in den Mittelpunkt politischen Handelns, und es werden sogar Grammatiker und Wörter-buchautoren großzügig bezahlt, um auch auf diesem Wege die Macht im Staate zu festigen

Wie hier beim Beispiel der Französischen Revolution sind es meist gesellschaftliche Umbruch-und Extremsituationen, die gleichsam wie die plötzlich auftauchende Spitze eines Eisbergs Mechanismen bewußt machen, die doch unter der Oberfläche politisch-gesellschaftlicher Normalität immer schon am Werk sind. Hierzulande etwa sind noch gut die sprachlichen Erscheinungen unserer nationalsozialistischen Vergangenheit präsent. Nicht nur zentral gesteuerte Sprachregelungen, sondern vor allem die vielen sprachlichen Alltäglichkeiten haben das Terrorsystem in die Köpfe der Menschen hineingepflanzt, was ihm eine enorme politische Stabilität verliehen hat Und schließlich wird uns heute die Relevanz von politischen Sprachwelten sinnlich faßbar vor Augen geführt in einer Situation, wo langjährige „realsozialistische“ Sprachrituale in der ehemaligen DDR, das neue Selbstbewußtsein des „Wir sind das Volk“ und die Sprachgewohnheiten der alten Bundesrepublik hart aneinanderstoßen.

Die Voraussetzungen und Funktionsweisen sowohl des alltäglichen wie des außeralltäglichen politischen Sprachgebrauchs sollen im folgenden genauer beleuchtet werden

II. Das sprachliche Zeichen und die Konstruktion von Wirklichkeit

Wer über politische Sprache nachdenken will, der muß sich zunächst einige grundlegende Eigenschaften von Sprache überhaupt bewußt machen. Woraus besteht Sprache und aufgrund welcher Prozesse funktioniert sie? Zunächst ist wichtig: Die elementaren Einheiten, derer wir uns im täglichen Umgang mit Sprache bedienen, sind Zeichen. Sprache ist nicht das einzige, wohl aber das wichtigste Zeichenphänomen der modernen Welt. Sprachliche Zeichen, z. B. Wörter oder Sätze, stellen jeweils eine Kombination dar aus einem sinnenfälligen Ausdruck (einer Laut-oder Buchstabenkette) und einem sinnhaften Inhalt, der die „Bedeutung“ des Zeichens ausmacht. Die Ausdrucksseite ist zunächst relativ unproblematisch auch wenn hier etwa die Dimensionen von Stil und Ästhetik eine eigene politische Relevanz entwikkeln können, wie weiter unten noch gezeigt wird. Komplizierter und spannender erscheint zunächst der Inhalt.

Zum ersten gilt: Der Inhalt eines sprachlichen Zeichens ist nicht einfach ein Ding oder ein Sachverhalt, der objektiv gegeben ist. Wenn dem so wäre, dann erschiene der Streit um Worte als leeres Geschwätz. Plausibler ist es, mit der neueren zeichentheoretischen Forschung den Inhalt aufzufassen als sozial konventionalisierte Vorstellungen von den Dingen und Sachverhalten, die wir ihrerseits nur in Form von Zeichen artikulieren können. Das läßt sich exemplarisch beobachten an einer Wörterbuch-Definition, die das Definierende umschreibt mit Wörtern, welche wiederum mit anderen Wörtern näher geklärt bzw. „interpretiert“ werden (Beispiel: Trost = Zuversicht im Unglück, Erleichterung im Leid, Zuspruch). Im Grunde kommen wir aus diesem Prozeß der Interpretation von Zeichen durch Zeichen, aus der „unendlichen Semiose“ gar nicht heraus. Wenn ich z. B. klären will, was jemand unter Demokratie versteht, muß ich sehen, welche Begriffe er zur Füllung heranzieht, etwa Beteiligung, Gleichberechtigung usw., die ihrerseits interpretationswürdig sind. Selbst bei einem unverdächtigen Wort wie Tomate zeigt sich in bestimmten Kontexten (etwa einer EG-Definition), daß der Inhalt ein komplexes Produkt ökonomischer und sozialer Interpretationen ist; ganz abgesehen von jener „Reichsschokoladenverordnung“ aus den Zeiten der Kontingentierung, die lapidar feststellt: „Weihnachtsmann im Sinne dieses Gesetzes ist auch der Osterhase.“

Als zweites läßt sich für alle Inhalte sagen, daß sie -in jeweils unterschiedlicher Gewichtung -drei Dimensionen des Weltbezuges aufweisen: einen kognitiv-darstellenden, einen affektiv-gefühlsbezogenen und einen evaluativ-bewertenden. Das läßt sich an einem konkreten Beispiel verdeutlichen.

Wenn der Bundesinnenminister in einem Presseinterview sagt, der Asylantenstrom habe mit einem Anstieg der Asylanträge um 50 Prozent ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen, dann -vermittelt er einen zahlenförmig erfaßbaren Sachverhalt, -drückt ein Gefühl der Besorgnis oder sogar der Angst angesichts dieses Sachverhaltes aus und -bewertet das Dargestellte so, daß eine alsbaldige Veränderung nahegelegt wird.

Die bewertende Dimension ist in der Regel mit einem Appell an die Rezipienten der Äußerung verbunden, etwas zu tun oder zu unterlassen -hier etwa an Exekutivbeamte, Politikerkollegen oder Wähler, an der Beseitigung des „Mißstandes“ mitzuarbeiten, wobei die Wortwahl das ihrige beiträgt („Strom“ hat etwas archaisch Beängstigendes, das Vorstellungen von Überflutung, Mitgerissenwerden und Unbeherrschbarkeit hervorruft).

Damit ist aber immer noch nicht geklärt, wie die konkreten Bedeutungen einer sprachlichen Äußerung zustande kommen. Mit einem Ausdruck kann sich ja eine Vielzahl von Kognitionen, Gefühlen und Wertungen verbinden. Beliebig darf es dennoch nicht sein, sonst würde Kommunikation nicht funktionieren. Nun, alle Sprachteilnehmer können sich zunächst auf Sprache als Institution beziehen, in der zum Teil sehr genau (vgl. juristische oder andere Fachbegriffe), zum Teil sehr vage die Inhalte festgelegt sind. Wir alle wachsen ja in die Sprache als ein uns vorgegebenes System von Bedeutungen hinein, was uns davor bewahrt, den Sinn einer Äußerung immer aufs neue aushandeln zu müssen. Andererseits füllen wir unsere Sprache gemäß unseren individuellen Erfahrungen je verschieden aus.

Welche Bedeutung tatsächlich realisiert wird, wie sie emotional und wertend eingefärbt ist, das bleibt immer eine Frage der konkreten Interaktion zwischen den beteiligten Menschen: eine Frage unterschiedlicher Erfahrungshorizonte (ein DDR-Bürger hat z. B. „Staat“ ganz anders erfahren als ein Bundesbürger), eine Frage jeweiliger Interessen und damit letztlich auch eine Frage der kommunikativen Macht (s. u.). Der Kampf um die geltende Interpretation von Wörtern findet nicht nur bei öffentlichen Debatten um „Nach-oder Aufrüstung“ und das „Modell Deutschland“ statt, sondern er wird täglich sichtbar etwa zwischen Ehepartnern, die sich um die Frage streiten, wer wen mehr „liebt“ bzw. ob man einander überhaupt noch liebt, oder auch zwischen Lehrern und Schülern, die den Inhalt von Notenprädikaten wie „sehr gut“ oder „mangelhaft“ aushandeln.

Das Resultat dieser Zeichenprozesse legt jeweils fest, was „für uns“ als Realität gilt. Ob wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat oder einem repressiven System, in einer multikulturellen Vielfalt oder in einer Bedrohung durch „Überfremdung“ leben -das ist nicht zuletzt abhängig von der jeweils akzeptierten sprachlichen Definition. Insofern ist Sprache das zentrale Medium der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“, wie es die Soziologen Berger und Luckmann treffend formuliert haben Auch die politische Wirklichkeit ist in diesem Sinne sprachlich konstruiert. Wenn es also immer wieder erbitterten Streit um Worte und Formulierungen gibt, so ist das kein Indikator für Anormalität oder für einen Verfall der politischen Kultur, den man durch den „vernünftigen“ Bezug auf etwas objektiv Gegebenes vermeiden könnte, sondern es ist eine logische Konsequenz der konstitutiven Rolle der Sprache für unsere politische Wirklichkeit. Eine liberal-rechtsstaatliche Demokratie läßt sich von einer Diktatur genau dadurch unterscheiden, ob es eine Vielstimmigkeit von -z. T. bewußt unscharf gelassenen -Realitätsdefinitionen gibt oder ob eine Variante mit Zwang als die verbindlich gültige durchgesetzt wird.

III. Funktionen politischer Sprache

Was leistet nun konkret diese sprachliche Konstruktion politischer Wirklichkeiten? Zunächst einmal reduzieren wir dadurch die Komplexität der uns umgebenden sozialen Welt. Wir ziehen durch Benennung und Typisierung Strukturen ein in die amorphe Vielfalt von Sinneseindrücken. Das heißt auch, daß jeweils bestimmte Dinge herausgehoben, andere ausgeblendet werden. Entschieden wird hier aber nicht nur, was wir wahmehmen, sondern vor allem auch, wie wir es kategorisieren: ob uns ein Staat als Beschützer oder als Bedrohung begegnet, ob ein Flüchtling als willkommener Gast oder als gefährlicher „Asylant“ oder ein Jude als Mitmensch oder „Untermensch“ erscheint, das ist durch Sprache steuerbar.

Eines darf dabei nicht übersehen werden: Wenn Sprache das definiert, was für uns politische Wirklichkeit ist, dann legt sie auch den Rahmen dessen fest, was politisch getan werden kann. Sagbares und Machbares sind untrennbar miteinander verknüpft Gelingt es einem Politiker, entgegen den geltenden Konventionen neue Perspektiven aufzuzeigen, so eröffnet er damit auch neue Handlungsräume. Gerade darin liegt ja die Faszination des Visionären, daß es die Grenzen unserer sprachlich konstituierten Welt durchbricht und Veränderbarkeit ermöglicht. Die Marxschen Visionen von der klassenfreien Gesellschaft sind für diesen Zusammenhang ein anschauliches Beispiel, wie immer man zu den konkreten Resultaten auch stehen mag. Die Verknüpfung gilt freilich auch für die Freisetzung destruktiver Energien. Dort, wo Menschen als Ratten und Ungeziefer bezeichnet werden dürfen, ist es sehr viel leichter, auch zu entsprechenden Vernichtungsmitteln bis hin zum Giftgas zu greifen.

Immer da, wo sich solche sprachliche Perspektive von Welt verfestigt, tritt die sinnkonstituierende Funktion von Sprache zutage. Sie läßt uns eine Situation aufgrund einer selektiv positiven Einfärbung als sinnhaft erleben, sie bündelt und kanalisiert unsere Gefühle -sei es zur Legitimation von vorhandenen politischen Welten, sei es zum Streben nach einer utopischen Gegenwelt. Diese sinn-konstituierende Kraft von Sprache macht sie zu einem zentralen politischen Steuerungselement, das es erlaubt, ohne physische Gewalt oder materielle Anreize ganze Menschenmassen zu mobilisieren -auch dort, wo moralische Hemmschwellen der Mobilisierung im Wege zu stehen scheinen

Man denke hierbei nur an den Krieg am Golf. Hunderttausende von Irakern wurden durch das Zauberwort „Jihad“ (heiliger Krieg) in einen für unser Empfinden ebenso grausigen wie wahnsinnigen Krieg geschickt; Krieg erscheint hier nicht mehr als blutiges Interessenkalkül der Mächtigen, sondern als ekstatische Erfüllung einer heiligen Sache. Und das nur wenige Jahre, nachdem unter der gleichen Parole iranische Kinder in irakische Giftgasgranaten getrieben worden waren. Auf der anderen Seite, das sollte nicht vergessen werden, stehen aber heute auch einige Missionare der „westlichen Zivilisation“, die den gerechten Krieg auf ihre Fahnen geschrieben haben und am liebsten den gesamten Irak in die Steinzeit zurückbomben würden.

Schließlich ist zu bedenken, daß Sprache nie ein individueller Besitz, sondern eine soziale Institution ist. Die Gemeinsamkeit von sprachlich vermittelten Sinnwelten schafft Zugehörigkeiten und politische Identitäten. Nicht zuletzt die sogenannten „Fahnenwörter“ (Dieckmann) sind es, die wie ein Signal Gruppen zusammenhalten lassen: Ende des letzten Jahrhunderts etwa die politischen Lager mit den Parolen von „Kaiser und Vaterland“, „Thron und Altar“ oder „Solidarität des internationalen Proletariats“. So wie uns heimatliche Gefühle beschleichen, wenn wir in der Fremde jemanden deutsch sprechen hören, so vermittelt uns ein vertrautes und positiv besetztes Vokabular das Gefühl einer politisch-sozialen Heimat.

Im öffentlichen politischen Kampf der Bundesrepublik findet die Abgrenzung allerdings meist über negativ besetzte, gleichsam stigmatisierende Schlüsselwörter statt (man erinnere sich etwa an Sozialismus in „Freiheit statt Sozialismus“ oder „Der Sozialismus geht, wir kommen“). Zur Selbst-beschreibung werden in unserer auf die politische Mitte orientierten Landschaft fast ausschließlich Konsenskategorien verwendet, die nirgendwo auf Widerstand stoßen (Freiheit, Fortschritt, Sicherheit etc.) -Unterschiede oder Konfliktlinien sind erst in den Nuancen und in der konkreten Füllung der Wörter sichtbar. Wer von dieser Konsenslinie sprachlich abweicht, der muß damit rechnen, schnell als „extrem“ oder „außerhalb des Systems“ stehend wahrgenommen und aus dem legitimen politischen Diskurs ausgeschlossen zu werden.

IV. Politische Sprache als Instrument

Mit dem instrumentellen Charakter politischer Sprache kommt die pragmatische Dimension der Sprachhandlungen und Sprachwirkungen in den Blick. Sprechen und Schreiben, Hören und Lesen werden als Formen der Interaktion verstanden, die freilich neben gewollten auch ungewollte, neben erwarteten auch unerwartete Reaktionen ermöglichen. Welche Bedeutung letztlich realisiert und mit welchen Konsequenzen verarbeitet wird, das stellt sich -wie schon betont -als Resultat eines komplexen Prozesses her.

Jeder politische Sprachakteur versucht zunächst, bei seinen Rezipienten bestimmte Kognitionen, Emotionen und Bewertungen hervorzurufen, um auf diesem Weg konkrete politische Verhaltensweisen zu bewirken. Dies kann in politischen Normallagen die bloße Zustimmung zu einem Regierungshandeln sein. In unser Bewußtsein rückt es jedoch eher dann, wenn das Ziel eine außeralltägliche Mobilisierung wie etwa zu Streiks, Blockaden und anderen Aktionen darstellt. Wie dies vonstatten geht, das hängt vom Kontext ab, in dem gesprochen wird. Interne politische Kommunikation in Organisationen verläuft anders als die öffentliche Auseinandersetzung in einer Demokratie wird anders gesprochen als in der Diktatur, im Krieg anders als im Frieden. Ungeachtet dieser Differenzierungen handelt es sich grundsätzlich um drei Mechanismen:

-Der Versuch, Wörter und Formulierungen zur Beschreibung einer Situation zu verbreiten, um damit das Feld für politische Aktionen zu öffnen: Ein geradezu „klassisch“ gewordenes Beispiel ist das Wort „Nachrüstung“, das vor einigen Jahren eine Reihe von rüstungspolitischen Maßnahmen als legitim und vernünftig erscheinen lassen sollte. Dieser Versuch kann auch als weitgehend geglückt gelten; das Wort hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch mit Ausnahme des grün-alternativen Milieus weitgehend durchgesetzt. Die rhetorischen Mittel des Euphemismus (Beschönigung) und der Hyperbel (Übertreibung) spielen hier eine besonders prominente Rolle: Mit ihrer Hilfe können Gefahren überspielt (von den „Brennstäben“ bis zum „Entsorgungspark“) oder „hochgekocht“ werden (wie bei der „Asylantenflut“) -Die Besetzung von bereits etablierten Begriffen:

Hier geht es darum, Konsenswörter wie Demokratie, Sicherheit und Freiheit mit den je eigenen Projekten und Programmen zu verknüpfen und darüber zu entscheiden, auf welche historisch-politische Situation die Kategorien angewendet werden. „Mehr Demokratie wagen“ unterstellt, daß es bislang zu wenig davon gab und daß erst mit dem Regierungsantritt der eigenen Partei ein adäquates Ausmaß von Demokratie erreicht werde. Ein Begriff von „innerer Sicherheit“, der alle Andersdenkenden außerhalb des legitimen Systems stellt, eröffnet Möglichkeiten einer autoritären Innenpolitik, die mit anderen Sicherheitsbegriffen nicht vereinbar wären.

Freilich dient die Besetzung von Begriffen nicht nur dem Erhalt von etablierter Macht. Das eindrucksvollste Beispiel bekamen wir unlängst bei der „deutschen Revolution“ vorgeführt, wo die einfache Selbstbeschreibung Wir sind das Volk Bürger gegen eine Staatsmacht mobilisiert hat, der sie über Jahrzehnte hinweg nichts entgegenzusetzen wagten. Diese Selbstbeschreibung erinnert sehr stark an den eingangs zitierten „Donnerkeil des Mirabeau“, wo auch über sprachliche Akte politische Veränderungen initiiert wurden

-Die syntaktische Konstruktion von politischen Wirklichkeiten: Jeder Aufbau eines Satzes enthält Aussagen über Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten in der politischen Welt. Ein typisches Beispiel ist das Verschwindenlassen von konkreten Akteuren durch Passivsätze oder durch die Personifikation von Natur und Sachen (z. B. „Menschen werden verfolgt“, „eine Situation entwickelt sich“, „ein Krieg bricht aus“, „der Dollar steigt“ oder „die Wirtschaft reagiert“). Vor allem die sogenannten „Sachzwänge“ verdanken sich häufig einer derartigen sprachlichen Perspektivierung Ob diese Strategien erfolgreich sind, hängt davon ab, welches Ausmaß an Benennungsmacht die individuellen und kollektiven Akteure ins Spiel bringen können. Das setzt als erstes natürlich den Zugang zu Massenmedien voraus, denn eine auch noch so ausgeklügelte „Begriffspolitik“ muß scheitern, wenn sie die Adressaten nicht erreicht. Insofern ist den Kommunikationsprozessen erst einmal eine Schwelle aus ökonomischer und politischer Macht vorgeschaltet, die überwinden muß, wer sich auf dem Markt politischer Sprachen durchsetzen will. Jenseits dieser Schwelle kann sich Benennungsmacht vornehmlich aus drei verschiedenen Quellen speisen:

-Institutionell begründete Benennungsmacht läßt sich mobilisieren aus anerkannten gesellschaftlichen Institutionen und Positionen heraus. Ein anschauliches Beispiel ist in der Bundesrepublik das Bundesverfassungsgericht, das kraft seiner „gesatzten“ Autorität höchst einflußreiche Definitionen, Begriffe und verbindliche Auslegungen etabliert hat. Man denke an die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ oder das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ -Prägungen, die den politischen Diskurs der Bundesrepublik sehr stark beeinflußt haben. Aber auch andere öffentliche Ämter oder ein Professorentitel können als „symbolisches Kapital“ zur Entfaltung von Benennungsmacht eingebracht werden.

-Der Bezug auf „heilige“ Traditionen. Hier kommt die diachrone, zeitlich bedingte Dimension von Sprache zum Tragen: Immer dort, wo es gelingt, traditionell positiv besetzte Begriffe mit der eigenen politischen Position zu verbinden, ist die Chance auf kommunikative Akzeptanz hoch. Stigmatisierte Bereiche sind zu meiden, wie zum Beispiel die amerikanische Debatte um das Wort liberal im Präsidentschaftswahlkampf vor einigen Jahren gezeigt hat. Der Akteur bedarf hier des genauen Wissens um die Geltung von Traditionsbeständen. In der heutigen „wertgewandelten“ Zeit scheint z. B. ein Rückgriff auf Grundwerte wie Disziplin oder die Fähigkeit zur Unterordnung politisch wenig erfolgversprechend.

-Die Produktion von „Charisma“, das durch rhetorische und ästhetische Inszenierungen entfaltet werden kann. Charismatisch inszenierte Persönlichkeiten, die sich selbst stilisieren und ihre Zuhörerschaft in den Bann schlagen, sind heute noch genauso wichtig wie im Zeitalter der Nationalbewegungen. Die Rhetorik ist ja seit der Antike eine zentrale Konstituente von Sprache als politischem Instrument, ihre Grundregeln sind häufig beschrieben und auch in Lehrbuchform aufbereitet worden (man denke nur an Quintilians „Institutio oratoria"), und auch hier gilt: Das, was sich im Extrem gelungener Inszenierungen von Cicero über Goebbels bis zu Ronald Reagan gut studieren läßt, das ist auch noch im politischen Alltagsgeschäft des parlamentarischen Hinterbänklers stets präsent.

Hier wird deutlich, daß politische Sprache auch eine ästhetische Dimension besitzt: Griffigkeit, Stimmigkeit und Eleganz des Stils, Überraschungsmoment und Treffsicherheit der Metaphorik sind als ästhetische Verfahren ein wichtiger Charismagenerator im politischen Geschäft, wobei in unserem visuellen Zeitalter auch die nichtsprachliche Zeichenebene von Mimik und Körpersprache zunehmend wichtiger wird. Vor allem in Krisen-und Umbruch-zeiten, in denen Bestände an Selbstverständlichkeiten in Bewegung geraten, ist der charismatische Aspekt von politischer Sprache eine wichtige Machtressource.

Spätestens seit der Zeit der Französischen Revolution, als die Massen zu einem relevanten Faktor im politischen Feld geworden waren, ist politische Sprache als Steuerungsmedium aus dem Arsenal politischer Instrumentarien nicht mehr wegzudenken. Allerdings kann politisches Sprachhandeln auch eine Eigendynamik gewinnen, die in der neueren Diskussion unter dem Etikett der „symbolischen Politik“ abgehandelt wird. Gemeint ist damit zunächst, daß politische Sprache -insbesondere in ihrer verdichteten Form als Symbol und Mythos -an die Stelle von realer Politik treten kann Wer die Einheit der Nation, den Konsens der Demokraten oder die Solidarität der Werktätigen klug inszeniert, der kann z. B. sozialpolitische Abstriche im Budget machen; wer Gefahren verharmlost oder kleine Schritte als große Errungenschaften verkauft, der kann eine laxe Umweltpolitik betreiben; und wer gegenüber den Gewerkschaften öffentlich Konflikte simuliert, der kann hinter den Kulissen in Ruhe die alten Bündnisse pflegen. Hier eröffnet sich ein weites Feld für die Tätigkeit professionalisierter kultureller Eliten. Allerdings erfaßt eine solche ideologiekritische Sicht nur die eine Seite des Phänomens. Symboli-sehe Politik muß nicht nur „Ersatz“ für reale Politik sein. Es gibt auch „ideelle Interessen“ (Max Weber) und kulturell-symbolische Bedürfnisse, die über Realpolitiken nicht abzudecken sind. Dazu gehört beispielsweise die politische Identitätsstiftung durch Symbole und Rituale, die Konstruktion von politischen Heimaten oder eine gewisse stilvolle Form, in der politische Repräsentation auch in einer Demokratie erfolgen muß Ein politisches System, das nicht auf affektiv-symbolische Bindun-gen der Individuen zurückgreifen kann, erweist sich bei den kleinsten Krisenanzeichen als sehr instabil. Die Weimarer Republik ist nicht zuletzt an einem Mangel an symbolischer Politik von Seiten der demokratischen Kräfte gescheitert. Schließlich aber besteht in unserer komplexen Welt ein verstärktes Verlangen danach, politisches Geschehen in den Horizont des Verstehbaren und Anschaulichen hineinzuholen. Dafür ist symbolische Politik in und mit der Sprache unverzichtbar.

V. Politische Sprache als Institution

„Der alte Mann im grauen Mantel konnte die Leute nicht mehr verstehen, das war nicht so schlimm. Viel schlimmer war, sie konnten ihn nicht mehr verstehen. Und deshalb sagte er nichts mehr. Er schwieg, sprach nur noch mit sich selbst, grüßte nicht einmal mehr.“ Mit diesen Sätzen endet eine Kindergeschichte von Peter Bichsel in der ein Mann sich dadurch eine neue Sprache schafft, daß er die Zuordnung von Ausdruck und Inhalt einfach verändert: „Dem Bett sagt er Bild. Dem Tisch sagt er Teppich“ usw.

Das Scheitern dieses Versuchs verweist uns auf eine Grundbedingung politischer Sprache: Wer erfolgreich sprachlich handeln will, der muß die Regeln der politischen Sprache als Institution kennen und berücksichtigen, sonst wird er politisch „sprachlos“. Das betrifft nicht nur die elementaren Verwendungsweisen von Grundwörtern, sondern ganze Wortfelder mit ihren emotionalen und affektiven Inhaltsnuancen, mögliche und unmögliche Wortverbindungen, gebräuchliche und ungebräuchliche Sprechakte. Ein Beispiel dafür, was bei Unkenntnis dieser feinen Regeln politischer Sprechakte passieren kann, hat Philipp Jenningers Gedenkrede zum 50. Jahrestag der antijüdischen Novemberpogrome in Deutschland geboten. Jenninger hat offenbar die Eigenarten einer „Gedenkrede“ mißachtet und in einer Weise gesprochen, die jenseits des öffentlichen Konsenses darüber lag, was „man“ sagen darf und was nicht. Die Rede, wie immer sie auch intendiert gewesen sein mag, mußte deshalb wie eine sympathieheischende Rechtfertigung der Täter wirken und hat entsprechendes Entsetzen ausgelöst.

Im Dickicht der politischen Sprache kann sich schnell verirren, wer das Geflecht von Regeln nicht beherrscht. Jeder Begriff ist sehr genau anderen zugeordnet. Derjenige, der sich heute z. B. als sozialistisch bezeichnet, muß damit rechnen, in Opposition zu Begriffen wie Demokratie, Freiheit oder auch Wohlstand zu geraten. Die sprachliche Konstruktion von politischer Wirklichkeit ist also gekennzeichnet durch ein System von Worten und Verbindungen, das sich historisch in je unterschiedlicher Weise verfestigt.

Immer wieder ist aber auch beobachtbar, daß eine politische Sprache historische Erfahrungswelten nicht mehr adäquat erfaßt und deshalb verändert wird. Das Projekt der „Begriffsgeschichte“ bzw. „historischen Semantik“ hat diesen Prozeß für die Zeit der politischen Moderne seit der Mitte des Jahrhunderts sehr genau beschrieben 18). Neue Wörter und Kombinationen werden geprägt, Wortinhalte verändert: Nation heißt im 19. Jahrhundert etwas ganz anderes als in der frühen Neuzeit; das Wort wird mit kulturellen Identitäten und politischen Sinnentwürfen angereichert sowie mit der Realerfahrung der großen Territorialstaaten verknüpft. Ein Renaissancemensch hätte eine derart gefüllte Begrifflichkeit überhaupt nicht verstanden. Neue Akteure wie Bürgertum und Proletariat, Massenheere und Parteien bevölkern die Landkarte der politischen Sprache, neue Wertbegriffe prägen den Diskurs, neue Anrede-und Grußformeln werden gebräuchlich Die Politik, so kann man mit Niklas Luhmann formulieren, findet neue Formen der Selbstbeschreibung, wobei die des Staates sicherlich für die Moderne zentral ist

Dies alles verweist darauf, daß die Institution der politischen Sprache das wichtigste Medium nicht nur der Realitätskonstruktion, sondern auch der Entwicklung politischer Identität darstellt. Politische Sprache als Identitätsgenerator und Gerüst des kollektiven Gedächtnisses, das historische Erfahrung präsent hält, prägt für uns das, was als politisch normal, richtig und machbar erscheint. Insofern ist sie der Ausdruck dessen, was man als politisch-kulturelle Selbstverständlichkeiten einer Gesellschaft bezeichnen könnte. Das wird am folgenden vergleichenden Beispiel deutlich

Für die politische Sprache im Großbritannien des 19. und 20. Jahrhunderts sind die entscheidenden Größen der politischen Welt Individuen, Gruppen und Parteien sowie government und die community als Rahmen der Politik. In Deutschland dagegen führen fast alle Wege der politischen Sprache zum Staat. Der Staat ist hier das alles beherrschende Subjekt von Politik -er steuert, straft, gewährt, hilft und greift in das Wirtschaftsleben ein. Eine derartige eingreifende Zentralinstitution gibt es bis heute für die Briten nicht. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei den Wortelementen mit der Wurzel pol. In Deutschland haben wir schon sehr früh ein gleichsam ressortartig ausdifferenziertes Begriffs-system von der Sozial- bis zur Außenwirtschaftspolitik, das strukturell dem „technischen“ Politikbegriff der deutschen politischen Kultur entspricht: Politik ist hier die effektive systemische Produktion und Verteilung von öffentlichen Gütern. Entsprechende Sprach-und Denkstrukturen sucht man in der britischen Sprache vergebens; hier steht der Politikprozeß als Interaktion zwischen Akteuren im Mittelpunkt. Aufmerksamkeiten und Selbstverständlichkeiten sind hier also sehr unterschiedlich gelagert, was Konsequenzen auch für den Umgang mit Problemen hat: Ein Brite würde nie so wie ein Deutscher auf die Idee kommen, „den Staat“ für die Lösung aller sozialen Probleme verantwortlich zu sehen.

Auch hier zeigt sich also die Dialektik von Sagbarem und Machbarem. Politische Sprache als Institution aber grenzt auch aus, und sprachliche Tabu-zonen werden ja gerade deshalb geschaffen und aufrechterhalten, weil das, was „man“ nicht sagen darf, auch aus dem Horizont des Machbaren verschwindet. Um die Gewalt zu verdeutlichen, die von Sprache als Institution ausgehen kann, hat Michel Foucault den Begriff des Diskurses eingeführt Der Diskurs in diesem Sinne strukturiert durch seine Vorgaben für die alltägliche Wirklichkeitskonstruktion so stark unser Denken und Handeln, daß man sagen könnte: Nicht wir sprechen die Sprache, sondern die Sprache spricht uns. Allerdings ist auch hier daran zu erinnern, daß der Diskurs das Resultat von Kämpfen um die Benennungsmacht darstellt. Hinter dem Diskurs stehen also immer auch Akteure und Interessen.

Für den Zusammenhang von Sagbarem und Machbarem gilt zudem: Was im öffentlichen Diskurs nicht erlaubt ist, kann im Dunstkreis des Stammtisches durchaus normal sein. Und die Abwesenheit im öffentlichen Diskurs sagt noch nichts darüber, was in der kommunikativen Latenz dennoch vorhanden ist. Die „Republikaner“ haben ja einige Jahre lang in der alten Bundesrepublik die Rolle des Enttabuisierers im Hinblick auf rassistische und nationalistische Muster gespielt.

Zu berücksichtigen sind dabei diejenigen Institutionen und Akteure des politischen Feldes, die den öffentlichen Diskurs beherrschen. Das Spektrum reicht von einzelnen Politikern und „moralischen Instanzen“ über die Massenpresse bis hin zu Wörterbüchern und Enzyklopädien, die politische Sprache gleichsam verbindlich kodifizieren. Auch hier kommt wieder die Dimension des kommunikativen Kampfes um die Benennungsmacht in den Blick. In diesem Kampf entscheidet sich, was als normal und extrem, als legitim oder als verachtenswert gilt.

Institution und Instrument der politischen Sprache sind also eng verflochten. Wir alle werden in eine politische Sprache „hineinsozialisiert“, die jedoch keineswegs unveränderbar ist. Sprachliche Alternativen können, wenn sie Akzeptanz finden, den herrschenden Sprachgebrauch umstülpen, Selbstverständlichkeiten und Identitäten dynamisieren. Wenn wir z. B. heutige Diskussionen mit denen vergleichen, die vor 1968 und den verschiedenen Bewegungen im Gefolge (Frauen, Frieden, Umwelt) stattgefunden haben, dann wird das sofort deutlich: Die Sprache zeigt eine Entwicklung, die ungeachtet einiger Konstanten doch eine Entwicklung von autoritären oder gar „unpolitischen“ Mustern hin zu einer „Partizipationskultur“ geführt hat. Die „Mitarbeit in der Sprache“, wie sie schon Friedrich Schleiermacher 1834 postuliert hat, wird also dann wirksam, wenn sie in sozialer und politischer Bewegung „Bodenkontakt“ bekommt.

VI. Sprache und politisch-gesellschaftlicher Kontext

Es bleibt festzuhalten, daß die politische Sprache weder jene unheimliche Macht ist, zu der sie häufig dämonisiert wird, noch ein völlig nach Belieben form-und verwendbares Werkzeug gesellschaftlicher Interessen. Sie ist eine soziale Institution, die nach beschreibbaren Regeln funktioniert und deren Strukturen sich ein Akteur bei Kenntnis dieser Regeln nutzbar machen kann.

Die gängigen Klagen über die Unkontrollierbarkeit oder gar über einen „Verfall“ der politischen Sprache gehen also an der komplizierten Realität vorbei. Zu fragen ist statt dessen jeweils, wer unter welchen Kontextbedingungen politische Sprache verwendet und welche Konsequenzen daraus erwachsen. Die Berücksichtigung der Kontexte ist dabei insofern wichtig, als die Funktionsbedingungen der Sprache sehr eng mit den spezifischen Erfordernissen des betreffenden politischen (Teil-) Systems verknüpft sind. Eine simple Übertragung von Regeln alltagssprachlicher Kommunikation würde hier zu einem realitätsfernen Moralisieren führen.

Politische Sprache bleibt stets eingebunden in das komplexe Geflecht der existierenden Machtstrukturen einer Gesellschaft. Sprachliche Benennungsmacht läßt sich ohne einen entsprechenden Zugang zu politisch-ökonomischen Machtressourcen nur sehr bedingt entfalten. Freilich bedeutet dies keinen Determinismus. In politischer Sprache, dies ist betont worden, kann sich immer auch die Gegenstimme zu den Mächtigen artikulieren. Bestehende Verhältnisse können gleichsam sprachlich eingeklammert und in ihrer Kontingenz gezeigt werden, so daß Veränderbarkeit sichtbar wird. Auch bei größtem Aufwand an Mitteln ist politische Sprache nicht völlig zu steuern oder stillzustellen; immer bleiben alternative Formulierungen möglich, immer sind gegebene sprachliche Ausdrücke mit anderen Inhalten kommunizierbar. Insofern ist die Sprache eine der zentralen Schnittstellen politischer und sozialer Veränderung.

Insbesondere dort, wo Strukturen und Selbstverständlichkeiten in Bewegung geraten sind, kann der politische Sprechakt zum entscheidenden Funken für Reform oder Revolution werden -das wurde 1989 in der DDR ebenso sichtbar wie schon 1789 in Frankreich. Das führt uns zum Beginn dieses Aufsatzes zurück, denn kaum ein anderer hat diese Logik so klar erkannt wie der eingangs zitierte Heinrich von Kleist. Er, der später mit der Waffe der ihm eigenen Sprachmacht den antinapoleonischen Widerstand hochpeitschte, versuchte im eingangs erwähnten Aufsatz seiner Faszination angesichts der „revolutionären“ Dynamik des politischen Sprechens in einer physikalischen Beschreibung Ausdruck zu geben:

„Wenn man an den Zeremonienmeister denkt, so kann man sich ihn bei diesem Auftritt nicht anders, als in einem völligen Geistesbankrott vorstellen; nach einem ähnlichen Gesetz, nach welchem in einem Körper, der von dem elektrischen Zustand Null ist, wenn er in eines elektrisierten Körpers Atmosphäre kommt, plötzlich die entgegengesetzte Elektrizität erweckt wird. Und wenn in dem elektrisierten dadurch, nach einer Wechselwirkung, der ihm innewohnende Elektrizitätsgrad wieder verstärkt wird, so ging unseres Redners Mut, bei der Vernichtung seines Gegners, zur verwegensten Begeisterung über. Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Ümsturz der Ordnung der Dinge bewirkte.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heinrich von Kleist, Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, in: Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke, hrsg. von Curt Grützmacher, München 1967, S. 880-884.

  2. Vgl. Rolf Reichardt, Zur Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Frankreich zwischen Absolutismus und Revolution, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 12 (1982) 47, S. 49-74; Reinhart Koselleck/Rolf Reichardt (Hrsg.), Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins. Vorlagen und Diskussionen der internationalen Arbeitstagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, 28. Mai -l. Juni 1985, München 1988.

  3. Vgl. Brigitte Schlieben-Lange, Die Französische Revolution und die Sprache, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 11 (1981) 41, S. 90-123.

  4. Vgl. dazu den hervorragenden Überblick bei Michael Marek, „Wer deutsch spricht, wird nicht verstanden!“ Der wissenschaftliche Diskurs über das Verhältnis von Sprache und Politik im Nationalsozialismus -Ein Forschungsbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte, 30 (1990), S. 454-492. Ferner zum Thema immer noch lesenswert: Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig 1990.

  5. Zur Einführung in die Thematik der politischen Sprache vgl. u. a. Rolf Bachem, Einführung in die Analyse politischer Texte, München 1979; Wolfgang Bergsdorf, Politik und Sprache, München 1978; Walther Dieckmann, Sprache und Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache, Heidelberg 1969; Michael J. Geis, The Language of Politics, New York u. a. 1987.

  6. Dies gilt, obwohl uns etwa die Folgen der Durchsetzung der Schriftsprache zeigen, daß die Ausdrucksebene und deren Fixierung in bestimmten Konstellationen sehr wichtig werden kann; zu dem im folgenden entwickelten und verwendeten Zeichenbegriff vgl. Umberto Eco, Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt/M. 1977; Louis Hjelmslev, Prolegomena to a Theory of Language, Madison u. a. 1969; Charles Sanders Peirce, Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Vol III: Exact Logic. Vol. IV: The Simplest Mathematics, hrsg. von Charles Hawthorne and Paul Weiss, Cambridge, Mass. 1933; Valentin N. Volosinov, Marxismus und Sprachphilosophie. Grundlegende Probleme der soziologischen Methode in der Sprachwissenschaft (1928), Frankfurt/M. 1975.

  7. Vgl. Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1969.

  8. Vgl. Willibald Steinmetz, Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume in England 1780-1867, Diss. Bielefeld 1989. Steinmetz veranschaulicht seine These sehr eindrucksvoll anhand von Wahlrechts-debatten im englischen Parlament.

  9. Diese Funktion von politischer Sprache wird besonders von verdichteten Sprachformen wie Symbolen und Mythen ausgeübt. Ein solches verdichtetes Syndrom aus Kognition, Emotion und Bewertung kann mitunter eine Dynamik entfalten, die ganze Zivilisationsprozesse außer Kraft setzt und schier unglaubliche Grausamkeiten von Menschen gegen Menschen ermöglicht; vgl. Herfried Münkler/Wolfgang Storch, Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos, Berlin 1988.

  10. W. Dieckmann (Anm. 5) unterscheidet interne und öffentliche politische Sprache, wobei er die interne weiter differenziert in die Sprache des Gesetzes, der Verwaltung, der Verhandlung und der Überredung; in diesem Aufsatz soll es aber hauptsächlich um die öffentliche politische Sprache gehen. Politische Sprache als Fachsprache bildet einen ganz eigenständigen Gegenstand.

  11. Zahlreiche anschauliche Beispiele finden sich bei Klaus Blanc (Hrsg.), Tatort: Wort, München 1983; Armin Burkhardt/Franz Hebel/Rudolf Hoberg (Hrsg.), Sprache zwischen Militär und Frieden. Aufrüstung der Begriffe?, Tübingen 1989. Vgl. ferner Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit, München 1980.

  12. Georges Sorel nimmt zu Beginn dieses Jahrhunderts eine andere mobilisierende Selbstbeschreibung in den Blick: den Mythos vom Proletariat, das die Geschichte zu ihrem gerechten Ende führe. Es ist bekannt, welche politischen Energien diese -allerdings von intellektuellen Eliten lancierte -Selbst-beschreibung freigesetzt hat; vgl. Georges Sorel, Über die Gewalt. Innsbruck 1928.

  13. Vgl. Colin H. Good, Presse und soziale Wirklichkeit. Ein Beitrag zur „kritischen Sprachwissenschaft“, Düsseldorf 1985.

  14. Vgl. hierzu Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“. Leon sur la leon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985.

  15. Vgl. Murray Edelman, Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, Frankfurt u. a. 1976; Ulrich Sarcinelli, Symbolische Politik. Zur Bedeutung symbolischer Politik in der Wahlkampfkommunikation, Opladen 1987; Rüdiger Voigt (Hrsg.), Politik der Symbole -Symbole der Politik, Opladen 1989.

  16. Auf den ästhetischen Aspekt von Demokratie verweist schon George Santayana, The Sense of Beauty (1896), Cambridge/Mass. -London 1988, S. 71 ff.; vgl. auch das Themen-heft „Ästhetik und Politik“ der Zeitschrift „Merkur“, 40 (1986) 9/10.

  17. Peter Bichsei, Ein Tisch ist ein Tisch, in: Peter Bichsei, Kindergeschichten, Darmstadt-Neuwied 1969, S. 21 ff.

  18. Vgl. vor allem die mehrbändigen Lexika: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1972ff.; Rolf Reichardt/Eberhart Schmitt (Hrsg.), Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820, München 1985 ff; theoretisch dazu Dietrich Busse, Historische Semantik. Analysen eines Programms, Stuttgart 1987.

  19. Eine historische Betrachtung von Sprechakten verrät viel über die Struktur der Gesellschaft, in der sie gebräuchlich sind; wer darf z. B. wen ansprechen, an wen Forderungen stellen, drohen, etwas versprechen etc.; vgl. dazu John G. A. Pocock, The Reconstruction of Discourse. Towards the Historiogräphy of Political Thought, in: Modem Language Notes, 96 (1981) 5, S. 959-980; zum parlamentarischen Sprachhandeln liegen u. a. vor Horst Grünert, Sprache und Politik. Untersuchungen zum Sprachgebrauch der , Paulskirche‘, Berlin u. a. 1974; Hans Ulrich Gumbrecht, Funktionen parlamentarischer Rhetorik in der Französischen Revolution. Vorstudien zur Entwicklung einer historischen Text-pragmatik, München 1978; Werner Holly, Zur Geschichte parlamentarischen Sprachhandelns in Deutschland. Eine historisch-pragmatische Skizze an Beispielen der ersten Sitzungen von verfassungsgebenden Versammlungen, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 12 (1982) 47, S. 10-48; Gregor Kalivoda, Parlamentarische Rhetorik und Argumentation. Untersuchungen zum Sprachgebrauch des 1. Vereinigten Landtages in Berlin 1847, Frankfurt/M. u. a. 1986; Johannes Volmert, Politikerrede als kommunikatives Handlungsspiel. Ein integriertes Modell zur semantisch-pragmatischen Beschreibung öffentlicher Rede, München 1989.

  20. Vgl. Niklas Luhmann, Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme, in: Udo Bermbach (Hrsg.), Politische Theoriegeschichte (= PVS Sonderheft 15), Opladen 1984, S. 99-114.

  21. Vgl. dazu Andreas Dörner/Karl Rohe, Politische Sprache und Politische Kultur. Diachron-kulturvergleichende Sprach-analysen am Beispiel von Großbritannien und Deutschland, in: Erich Latniak (Hrsg.), Sprache statt Politik? Politikwissenschaftliche Semantik-und Rhetorikforschung, Opladen 1991; Andreas Dörner, Politische Lexik in deutschen und englischen Wörterbüchern. Metalexikographische Überlegungen und Analysen in kulturwissenschaftlicher Absicht, in: Andreas Dörner/Gregor Meder (Hrsg.), Worte, Wörter, Wörterbücher. Lexikographische Beiträge zum Essener Linguistischen Kolloquium 1983-1989, Tübingen 1991 (i. E.); Wolfgang Seck, Politische Kultur und politische Begrifflichkeit in Deutschland und Großbritannien, Diss. Essen 1990.

  22. Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1977.

  23. H. von Kleist (Anm. 1), S. 882.

Weitere Inhalte

Andreas Dörner, geb. 1960; Studium der Sozialwissenschaften und Germanistik; seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Politikwissenschaft an der Universität Essen; arbeitet z. Zt. an einer Dissertation über „Politische Mythen in der Moderne“ am Beispiel des Hermannsmythos in Deutschland. Veröffentlichungen: Aufsätze zu den Bereichen politische Sprache, politische Kultur, Semiotik und Wissenschaftssoziologie.