Die volkswirtschaftlichen Kosten der Umweltbelastung. Zur Abschätzung der ökologischen und ökonomischen Kosten kurativer Nachsorge-und offensiver Vorsorgestrategien des Umweltschutzes | APuZ 10/1991 | bpb.de
Die volkswirtschaftlichen Kosten der Umweltbelastung. Zur Abschätzung der ökologischen und ökonomischen Kosten kurativer Nachsorge-und offensiver Vorsorgestrategien des Umweltschutzes
Christian Leipert
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Zusammenfassung
Die offensive Strategie der Umweltvorsorge weist gegenüber der kurativen Umweltschutz-, Entsorgungsund Sanierungsstrategie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht klare ökologische und ökonomische Vorteile auf. Dennoch spielt sie bis heute in der Praxis der Umweltpolitik nur eine periphere Rolle. Die Ursachen hierfür liegen einmal in aus ökologischer Sicht falschen Politikprioritäten und andererseits in der unzureichenden Transparenz der Kosten unserer umweltbelastenden Produktions-und Konsumweise sowie der ökologischen und ökonomischen Kosten der dominanten Politik des kurativen Umweltschutzes. Im ersten Teil des Artikels wird auf die problematischen ökologischen Folgen der Wachstumsfixierung in Politik und Gesellschaft und der einseitigen Ausrichtung der wirtschaftspolitischen Erfolgsrechnung eingegangen. Fortschritte bei einer Ökologisierung der Wirtschaftspolitik erfordern auch eine Erweiterung aller ökonomischen Informationssysteme um eine ökologische Komponente. Im zweiten Teil werden die ökologischen Vor-und Nachteile der defensiven und der offensiven Strategievarianten der Umweltpolitik abgewogen. Nachteile des kurativen Umweltschutzes hegen in der technologischen Verlängerung der Produktionsprozesse, mit der ein erhöhter Einsatz von Energie und Materie bei unveränderter Güterproduktion einhergeht, ferner in der Tendenz zur Verlagerung der Umweltprobleme auf andere Regionen, die Zukunft und andere Umweltmedien. Im dritten Teil werden Ansatzpunkte zu einer ökologischen Kostenrechnung, mit der mehr Transparenz über die ökologischen und ökonomischen Negativeffekte des Wirtschaftens geschaffen werden könnte, aufgezeigt. Diese sollte aufjeden Fall Kategorien der defensiven Ausgaben der Schadensbewältigung, der Einkommens-und Ertragsverluste, der ökonomischen Vermögensverluste sowie der darüber hinausgehenden Natur-und Wohlfahrtsverluste enthalten. Dargestellt werden Ergebnisse aus eigenen Folgekostenuntersuchungen, die sich vor allem aufdie Größenordnung der defensiven Ausgaben des Umweltschutzes und der Entsorgung sowie der Umweltsanierung und -reparatur beziehen. Eingegangen wird auch auf vorliegende Versuche, eine Gesamtabschätzung der ökonomischen Kosten der Umweltzerstörung vorzunehmen. Rasche Fortschritte in Richtung einer ökologischen Kostenrechnung setzen letztlich eine neue Prioritätensetzung seitens der Politik voraus. Diese ist jedoch fraglich, solange die Regierungen unverändert an der zentralen Stellung der eng ökonomischen Wachstumspolitik in ihrem Politikkonzept festhalten.
I. Ökonomisches Wachstum und ökologische Kosten
Informationsdefizite über ökologische und ökonomische Kosten Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, im Zusammenhang mit der Frage nach der geeigneten umweltpolitischen Strategie der Zukunft eine Vorsorgepolitik zu fordern, weil die Vermeidung von Umweltbelastungen und daraus resultierenden Umweltschäden erheblich billiger sei als die sonst nötige Entsorgung der Produktionsrückstände oder die Reparatur und Sanierung von Umweltschäden, Die meisten, die diese Floskel im Munde führen, geben sich mit der „Wohlfeilheit“ der damit abgegebenen Stellungnahme zufrieden und fragen nicht nach den Ursachen für die eklatante Diskrepanz zwischen dem propagierten umweltpolitischen Ideal und der in der Realität weiterhin dominierenden Entsorgungs-, Sanierungs-und Reparaturpolitik.
Eine Politik der vorsorgenden Vermeidung von Umweltschäden wird einerseits blockiert durch ökologisch unzureichende oder falsche Politikprioritäten und andererseits durch eine mangelhafte Transparenz der totalen (einschließlich der ökologischen) Kosten unserer umweltverbrauchenden Produktions-und Konsumweise sowie der ökologischen und ökonomischen Kosten des heute vorherrschenden Typs von Umweltpolitik: der kurativen Umweltschutzpolitik.
Im folgenden wird zunächst auf die gravierenden ökologischen Konsequenzen der einseitig auf möglichst hohes Wirtschaftswachstum ausgerichteten Wirtschaftspolitik eingegangen. Im Anschluß daran geht es um die Frage: Wie teuer ist die vorherrschende" kurative Umweltpolitik aus ökologischer und ökonomischer Sicht wirklich? Hier wird die Überlegenheit einer Vermeidungsstrategie in der Umweltpolitik sichtbar werden, die auf ihrer gesamtwirtschaftlichen Vorteilswürdigkeit in ökologischer und ökonomischer Sicht basiert.
Die ökologischen und ökonomischen Vorteile einer antizipativen, auf Vermeidung von Umweltbelastungen abzielenden umweltpolitischen Strategie werden erst umfassend sichtbar werden, wenn es zu einer ökologischen Erweiterung und Anpassung der einzel-und gesamtwirtschaftlichen Erfolgsrechnung und zum Aufbau einer Rechnungslegung über die ökologischen Folgekosten unseres Produktionsund Konsumprozesses kommt. Im zweiten Teil dieses Aufsatzes werden deshalb Ansatzpunkte für die Erarbeitung derartiger neuer Rechnungen aufgezeigt und empirische Ergebnisse zur Größenordnung von wesentlichen Komponenten der ökologischen Folgekosten des Wirtschaftens präsentiert und diskutiert. 2. Dominanz der Wachstumspolitik Eine wesentliche Ursache für den geringen gesellschaftlichen Stellenwert des umweltpolitischen Vorsorgegedankens ist die gesellschaftliche und politische Relevanz der Wachstumspolitik, die trotz aller ökologisch motivierter Kritik weiterhin zu konstatieren ist. Zentrales Ziel der Wirtschaftspolitik ist unverändert die Erreichung einer möglichst hohen Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts (BSP), an der die Höhe des jährlichen Wirtschaftswachstums gemessen wird.
Aus ökologischer Sicht ist diese Wachstumsgröße völlig ungeeignet, den echten, auch ökologischen Gesichtspunkten Rechnung tragenden Erfolg der Wirtschaftspolitik anzuzeigen 1). Das heutige, auf der BSP-Rechnung aufbauende Wachstumskonzept unterschlägt völlig die mittlerweile schon gigantische Dimensionen erreichenden ökologischen Folgelasten und -kosten des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses. In die volkswirtschaftliche Erfolgsrechnung (BSP) gehen ausschließlich jene Produktionsleistungen, die über Märkte ausgetauscht worden sind, bewertet mit ihren Marktpreisen bzw. zu ihren Herstellkosten (bei staatlichen Leistungen) ein. Die Inanspruchnahme kostenloser Güter wie die Leistungen der natürlichen Umwelt, die als freie Güter galten und in weiten Bereichen bis heute gelten, blieb bei einer derartigen Abgrenzung ausgespart. Konsequenterweise blieb die zunehmende Beeinträchtigung und partielle Zerstörung dieser ehemals freien Umweltgüter im Verlaufe des Wachstumsprozesses in den letzten 20 bis 25 Jahren aus der BSP-Rechnung ausgeblendet, obwohl es sich tatsächlich um echte und steigende gesellschaftliche Produktionskosten im Sinne von Wohlfahrts-und Naturverlusten für die davon Betroffenen und die Gesamtgesellschaft handelt. Erst wenn die Gesellschaft mit ökonomischen Gegenmaßnahmen reagiert, z. B. mit der Reparatur immissionsgeschädigter Gebäudefassaden und Denkmäler, mit der Sanierung von Altlasten und mit der Entsorgung der immer rascher ansteigenden Abfallmengen, gehen diese defensiven bzw. kompensatorischen Ausgaben wieder in das BSP ein. Diese Praxis der Volkswirtschaftlichen Gesamt-rechnung (VGR), alle Produktionsleistungen eines Jahres im Sozialprodukt zu summieren, unabhängig davon, ob sie einen positiven Beitrag zu Wohlstand und Lebensqualität leisten oder ob sie nur Beeinträchtigungen und Verschlechterungen der Lebens-und Umweltqualität kompensieren (die zuvor durch negative externe Effekte des Wirtschaftsprozesses hervorgerufen worden sind), ist der zweite Haupteinwand gegen die weitere Verwendung der traditionellen Wachstumsgröße als zentraler Ziel-und Erfolgsindikator der Wirtschaftspolitik. Mit wachsender Bedeutung der defensiven Ausgaben der Schadensbewältigung kommt es dann nämlich zu einem Zustand, in dem das weitere Wirtschaftswachstum in zunehmendem Maße von der Bewältigung der Negativfolgen profitiert, die es selbst ausgelöst hat. Durch einen derartigen Zirkel der Selbstgenerierung aus den negativen Folgen des Wachstums selbst würde der eigentlich intendierte Sinn des Wachstums, die Eröffnung von mehr ökonomischen Wahlmöglichkeiten für die Gesellschaft, geradezu auf den Kopf gestellt. 3. Bewußte Ausblendung der ökologischen Kosten Hat man diese gravierenden Defizite des heutigen Wachstumskonzepts im Kopf, dann beginnt deutlich zu werden, daß die Umwelt bei der heute praktizierten Wirtschaftspolitik, die weiterhin am eng verstandenen ökonomischen Wachstumskonzept orientiert ist, notwendigerweise der Verlierer sein muß. Unsere Wirtschaftspolitik will möglichst hohes Wirtschaftswachstum. Dies war das prononcierte Ziel in der Vergangenheit und bleibt es auch, gerade im Zusammenhang mit der Frage nach der Finanzierung der enormen Lasten, die aus der Vereinigung Deutschlands und dem riesigen Nachholbedarf in den neuen Bundesländern resultieren. Keiner in der „alten“ Bundesrepublik soll eine Minderung seines Lebensstandards hinnehmen müssen. Die zusätzlichen finanziellen Lasten sollen aus dem anvisierten Wachstum oder aus zusätzlichen Schulden finanziert werden, die wiederum aus den zusätzlichen Steuereinnahmen des Wachstums der Zukunft zurückgezahlt werden sollen. Hohes Wirtschaftswachstum hat in der Politik eine instrumentale Schlüsselfunktion gewonnen, die den politisch Verantwortlichen durch nichts ersetzbar erscheint. Dieser politische Stellenwert höheren Wachstums ist ökologisch äußerst brisant, denn heutzutage werden höhere Wachstumsraten des BSP unmittelbar durch die beschleunigte Beeinträchtigung und Zerstörung der Umwelt erkauft. Die Automobilindustrie beispielsweise rüstet sich, einen riesigen Markt in Osteuropa zu bedienen. Die Kraftfahrzeugdichte und die gefahrenen Kilometer steigen, der Benzinverbrauch nimmt zu, der Straßengüterverkehr expandiert insbesondere im Zusammenhang mit dem EG-Binnenmarkt 1993 und der wirtschaftlichen Modernisierung in der ehemaligen DDR. Alles das steigert das BSP. Aber es steigen eben gleichzeitig auch die Kohlendioxid-Emissionen, der Treibhaus-effekt wird angeheizt, es steigen — trotz Katalysators — die Stickoxidemissionen weiter an. Damit gibt es keine Entlastung für den sterbenden Wald und keine Entlastung städtischer Regionen, die besonders durch den Jahr für Jahr ärger werdenden Sommersmog und die steigende Ozonbelastung der Luft betroffen sind. Ähnlich enge Zusammenhänge zwischen Produktionswachstum und ökologischen Verlusten gibt es beispielsweise im Bereich der Energieerzeugung oder der Landwirtschaft.
Hohe Wachstumsraten des BSP sind zum Schmiermittel der Politik geworden. Einerseits ist die Art und Weise der Bewältigung der politischen Aufgaben in vielen Bereichen zunehmend von der dauernden Erreichung einer Mindestwachstumsrate abhängig geworden. Andererseits erfüllt das jährliche Einkommenswachstum in vielfältiger Weise die Funktion, Konflikte zu regulieren. Neue Aufgaben-gebiete können sich oft nur durchsetzen, weil hierfür Mittel aus dem Wachstum der Staatseinnahmen abgezweigt werden können, ohne den Besitzstand der etablierten politischen Interessen anzugreifen. Auch der Verteilungskampf zwischen Arbeit und Kapital hat durch die Wachstumswirtschaft der vergangenen Jahrzehnte enorm an Konfliktträchtigkeit verloren. Der Konflikt drehte sich bei dem dauernden Vorhandensein von Wachstum nur noch um die Verteilung des Einkommenswachstums und nicht mehr um die der Vermögensbestände, was zu ungleich schärferen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geführt hätte.
Eine ökologisch ungeschminkte Wachstumsrechnung würde an den Tag bringen, daß die heutige Wachstumskalkulation ohne den Wirt Natur gemacht worden ist — nicht zuletzt deswegen, weil der Verteilungsanspruch des stummen Produktionsfaktors Natur, der über keine gesellschaftliche Vetomacht verfügt, leicht übersehen werden kann.
Die produktiven und konsumtiven Funktionen der Umwelt sind heute nicht mehr — wie in der Vergangenheit — kostenlos zu sichern. Heute, wo die Ressourcen und Leistungspotentiale der Natur zu einem ökonomisch knappen Gut, ja zum wertvollsten Vermögen der Menschen geworden sind, das es mit großer Sorgfalt unter erheblichem Kostenaufwand zu bewirtschaften gilt, muß hierfür ein bestimmter, tendenziell wachsender Anteil am BSP abgezweigt werden. Man kann vor diesem Erfordernis beide Augen schließen und so tun, als ob das gesamte Produktionswachstum auf beide Sozial-partner (hier im Wortsinne, nämlich gegen die Erhaltungsinteressen der Natur) verteilt werden kann, wie das Gewerkschaften und Arbeitgeber mehr oder weniger bis heute praktizieren Dies verschlimmert jedoch nur die zukünftige Lage der Natur, deren Wiederherstellung und Sanierung — soweit das überhaupt noch möglich ist — in Zukunft nur um so größere Anstrengungen und damit Einschränkungen der materiellen Einkommensinteressen erfordern werden.
Es kann nicht überraschen, daß in einer derartigen Konstellation der gesellschaftlichen und politischen Verabsolutierung des rein ökonomisch verstandenen Wachstumsziels und der Verteilung der Wachstumserträge auf die Sozialschichten der Gesellschaft das Interesse an einer Sicherung aller Umweltfunktionen außer acht gelassen wurde. Die Priorisierung der Wachstumsinteressen in der Politik implizierte das Zulassen von Umweltbelastungen und Umweltverbrauch. Das Recht auf Umweltverschmutzung — übernommen aus einer Zeit, als: die Umwelt wirklich noch als unerschöpfliches und freies Gut erschien — gilt, wenn man von den expliziten Einschränkungen durch Umweltschutzgesetze absieht, bis heute. Der heutigen Situation einer massiven Gefährdung des fragilen Gutes Umwelt angemessen wäre dagegen ein Recht auf eine intakte Umwelt und damit ein allgemeines Verbot der Umweltverschmutzung. Das in manchen Bereichen schon eingeschränkte, aber generell noch immer geltende Recht auf Umweltverschmutzung stellt einen eingebauten Mechanismus in Wirtschaft und Politik gegen die vorsorgliche Vermeidung von Umweltbelastungen dar. Da aufgrund des überragenden Interesses an hohen Wachstumsraten Umweltbelastungen zunächst hingenommen werden, ist es nur zu verständlich, daß sich eine Umweltpolitik vom Typus der reagierenden, symptomkurierenden Entsorgungs-und Sanierungspolitik herausgebildet hat. Im folgenden soll gezeigt werden, daß diese Strategie der Umweltpolitik gravierende ökologische und auch ökonomische Nachteile aufweist.
II. Defensive und offensive Optionen des Umweltschutzes
1. Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Umweltqualität Die möglichen ökonomischen und politischen Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Umweltqualität liegen in einem weiten Spektrum, das von Reparaturmaßnahmen im Zusammenhang mit nicht verhinderten Umweltschäden bis hin zu politischen Entscheidungen für einen ökologischen Umbau kompletter volkswirtschaftlicher Leistungsbereiche wie Verkehr, Landwirtschaft und Energiewesen reicht. Beginnt man die Palette möglicher Maßnahmearten am negativen Ende einer reinen Symptom-korrektur, so lassen sich folgende Optionen in auf-aufsteigenderReihenfolge bis hin zu langfristigen vorsorgeorientierten Weichenstellungen der Politik unterscheiden a) Reparatur/Behandlung/Kompensation: Reparatur von Gebäude-und Materialschäden, die durch Luftverschmutzung verursacht sind; Behandlung umweltbedingter Krankheiten; Kalkung von Wald-böden zur Kompensation der verstärkten Bodenversauerung durch sauren Regen.
b) Sanierung: Sanierung von Altlasten; Sanierung von Asbestschäden; Aufbereitung von verschmutztem Grund-und Oberflächenwasser durch Wasser-werke zur „Produktion“ von Trinkwasser.
c) Entsorgung: Sammlung, Verbrennung und Deponierung von Haus-und Industrieabfällen sowie von Rückständen von Umweltschutzanlagen (Filterrückstände, Klärschlamm u. a.). d) Klassischer Umweltschutz, der zur Verminderung der Abgabe von Schadstoffen an die Umwelt führt: Einbau nachgeschalteter Technik wie Filter, Entschwefelungs-und Entstickungsanlagen, Kläranlagen, Katalysatoren. e) Integrierte Produktionstechnologien, d. h. Technologien, die es erlauben, die Produktionsziele durch die explizite Berücksichtigung von Umweltschutzgesichtspunkten von vornherein mit geringeren Umweltbelastungen zu erreichen: integrierte Wasserkreisläufe; Technologien, die den Anfall von nicht mehr verwendbaren Produktionsrückständen reduzieren; Realisierung erhöhter Recyclingquoten aus eigenen Abfällen.
f) Produktsubstitution: Ersatz schwefelhaltigen schweren Heizöls durch weniger schwefelhaltiges Öl; Substitution verbleiten durch bleifreies Benzin.
g) Autonomer Strukturwandel der Wirtschaft: Der endogene Strukturwandel der Wirtschaft geht in Richtung einer relativen Schwächung traditionell stark umweltbelastender Schwerindustrien und einer relativen Stärkung des gesamten Dienstleistungssektors. h) Umweltpolitisch gesteuerter Strukturwandel: Kommt es zu verbesserten umweltpolitischen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens und damit auch, zu einer verstärkten Internalisierung bisher auf Dritte und die Gesamtgesellschaft abgewälzter externer Kosten der Wirtschaft, könnte sich der ökonomische Strukturwandel in Richtung aufeine langfristig umweltverträgliche Wirtschaftsstruktur beschleunigen. i) Ökologischer Umbau von Leistungsbereichen der Industriegesellschaft: politische Initiativen für die Entwicklung und Umsetzung von Konzepten neuer Strukturen der Leistungserstellung, bei denen die erwünschten Produktions-und Dienstleistungsergebnisse mit drastisch verringerten Umweltbelastungen und Schadstofffrachten sichergestellt werden. Oft genannte Kandidaten für derartige Umbauvorstellungen sind das Verkehrs-und Energie-system, die Landwirtschaft und die chemische Industrie. 2. Die ökologischen Nachteile des kurativen Umweltschutzes In unserer Umweltpolitik sind bis heute die Strategievarianten c und d dominant, gekoppelt mit den Maßnahmearten a und b. Einerseits werden Umweltschutzgesetze, die Entsorgungs-und Umwelt-schutzmaßnahmen zur Folge haben, in der Regel erst dann verabschiedet, wenn die Dringlichkeit aufgrund unabweisbarer Schädigungen und Risiken nicht mehr bestritten werden kann. Dann sind schon Belastungskonzentrationen in den Umwelt-medien zu konstatieren, die im Schadensfall irgendwann zu Reparatur-und Sanierungsmaßnahmen führen müssen. Andererseits unterbinden die typischerweise mit der Festlegung von Grenzwerten arbeitenden Umweltschutzgesetze nicht jede Verbreitung von Schad-und Abfallstoffen in die Umwelt. Die Fixierung von Grenzwerten impliziert ja gerade die Zulassung der Umweltverschmutzung bis zu der durch den Grenzwert festgelegten Höhe. Demgemäß haben auch diese erlaubten Schadstoff-frachten in der Zukunft Schadenswirkungen, die dann wieder durch die Maßnahmearten a und b kompensiert werden müssen.
Die Tatsache, daß die Schadstoffe, die durch die nachgeschalteten Umweltschutztechnologien vor dem Eintritt in die Umweltmedien zurückgehalten werden, nicht aus der Welt sind, zeigt, daß der Typus des traditionellen Umweltschutzes ein weiteres ökologisches Leck hat. Die zurückgehaltenen Giftstoffe sind weiterhin vorhanden, etwa in den Filterstäuben, im Klärschlamm oder im Sonder-müll. Diese müssen wiederum deponiert werden, wobei absolute Sicherheit für alle Zukunft niemals garantiert werden kann. Auch hier können also Rettungsmaßnahmen vom Typus a und b nie ganz ausgeschlossen werden. 3. Ökologische Vorteile von Vermeidungs-Strategien Sind die Optionen a und b extrem defensiv und rettend rückwärtsgewandt, und handelt es sich bei den klassischen Umweltschutzmaßnahmen um abgeschwächt defensive Aktivitäten, die die ursprüngliche Umweltschädlichkeit der überkommenen Produktionstechnik abmildern, so beginnen die offensiven Optionen der Schaffung technologischer und organisatorischer Produktionsgrundlagen, die von vornherein den Eintritt von Umweltbelastungen vermeiden oder zumindest deutlich vermindern, bei den Maßnahmearten e und f. Was läßt nun diese offensiven Optionen der vorsorglichen Reduzierung (bis hin zur gänzlichen Vermeidung) von Umweltbelastungen gegenüber den dominierenden defensiven Strategievarianten so vorteilhaft erscheinen Als Beispiel einer Maßnahme des klassischen Umweltschutzes kann der Bau und Betrieb einer Entschwefelungsanlage in einem Kohlekraftwerk betrachtet werden. Es handelt sich hier typischerweise um eine sog. nachgeschaltete Anlage. Sie wird an den unverändert umweltbelastenden Produktionsapparat „angehängt“, um ihn ökologisch zu entschärfen. Im Ergebnis ist der Produktionsprozeß um eine Stufe verlängert worden. Insgesamt wird nunmehr zur Erstellung des gewünschten Produkts (hier: Strom) mehr Energie und Materie verbraucht als zuvor. Dies ergibt sich aus dem Materie-und Energiebedarf des Baus und der Installation der Entschwefelungsanlage sowie des anschließend nötig werdenden Dauerbetriebs dieser Anlage.
Der ökologische Vorteil der Umweltschutzanlage wird also mit einem klaren ökologischen Nachteil erkauft. Denn die durch den traditionellen Umweltschutz zusätzlich erforderlich werdende Transformation von Energie und Materie ist naturnotwendig mit weiteren Umweltbelastungen verbunden, die wiederum durch zusätzliche Maßnahmen bewältigt werden müssen. Der ökologische Imperativ, dem dagegen die Vermeidungsstrategie folgt, lautet: Realisiere deine (hoffentlich gut überlegten) ökonomischen Ziele mit einem Minimum an erschöpflichen Energiequellen und mineralischen Rohstoffen. Was heute an nichtregenerierbaren Energiequellen und Rohstoffen verbraucht wird, steht morgen und für die künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung. Daneben ist die Umwandlung von (fossilen und nuklearen) Energieträgern und Rohstoffen immer mit Umweltbelastungen verbunden, die unsere lebenswichtigen Ökosysteme irreversibel schädigen. Jede Energie-bzw. Rohstoffeinheit, die durch intelligente Spartechnologien und Um-baumaßnahmen nicht verbraucht worden ist, kann die Umwelt auch nicht schädigen. 4. Kurativer Umweltschutz: Tendenz zur Problem-verlagerung Die Umweltprobleme werden im Zuge des Einbaus nachgeschalteter Reinigungs-und Entsorgungstechniken nicht ursachenadäquat durch Aktionen an der Quelle des Problems bewältigt. Diese Art der Problemlösung schafft an anderer Stelle neue Probleme. Dies war in der ersten Phase der Umweltpolitik besonders eklatant bei der Hochschorn-Steinpolitik der Kraftwerke. Die Immissionssituation vor Ort verbesserte sich, und die Erreichung der lokalen Grenzwerte wurde als Erfolg verbucht. Die ökologischen Schadwirkungen der weiträumigen Feinverteilung der unverändert in die Umwelt abgegebenen Schadstoffe konnten einige Zeit verdrängt werden, bis die ersten Zeichen des Waldsterbens die Scheinlösung der räumlichen Problemverlagerung ans Licht brachten.
Aber auch dort, wo konkrete Probleme gelöst werden, wie bei der Entschwefelung des Rauchgases von Kraftwerken, gibt es die Tendenz zur Problem-verlagerung, in diesem Fall die Verlagerung zu einem anderen Umweltmedium. Denn die Kehrseite dieses umweltpolitischen Erfolgs ist die Verursachung neuer Probleme für die Gewässerreinhaltung und die Abfallentsorgung. Es entstehen vermehrt giftige Abwasserfrachten, die gereinigt werden müssen, sowie Filterstäube, Schlacke und nicht weiter verwertbare Reststoffe, die von der Abfallwirtschaft entsorgt werden müssen.
Da alle Umweltmedien wechselseitig miteinander verknüpft sind, bedeuten oft besondere Erfolge in einem Sektor neue gravierende Probleme im benachbarten Bereich. Je erfolgreicher die Politik der Luftreinhaltung und der Abwasserbeseitigung ist, um so kritischer wird die Situation der Abfallentsorgung In der Abfallwirtschaft landen nämlich letztlich alle gefährlichen Reststoffe, die durch die Luftreinhalte-und Abwasserreinigungsanlagen zurückgehalten worden sind. Wurde der Klärschlamm früher überwiegend als Dünger in der Landwirtschaft verwendet, so wird er mit den wachsenden Erfolgen der Abwasserreinigung immer häufiger zum Sondermüll. Der Klärschlamm enthält oft hohe Konzentrationen von Schwermetallen und organischen Verbindungen, was einerseits ein sicheres Zeichen der besseren Reinigungsleistung der modernen Klärwerke ist, ihn jedoch andererseits als Dünger ungeeignet macht. Die Krise der Abfallentsorgung, die im drohenden Abfallinfarkt unserer Wirtschafts-und Konsumgesellschaft zum Ausdruck kommt, ist damit ein gültiger Indikator der letztlichen Fehlorientierung der klassischen Umweltpolitik. Diese hat es Wirtschaft und Gesellschaft ermöglicht, der eigentlichen Herausforderung der Umweltkrise für unseren Produktions-und Konsumstil — nämlich Produktions-und Konsum-technologien zu entwickeln, die von vornherein weniger Umweltbelastungen, weniger Abfall, Sonder-müll und Verpackungsaufwand verursachen, und Produktions-und Konsumweisen zu entwickeln, die von vornherein weniger energie-, rohstoff-und umweltaufwendig sind — noch eine Zeit lang auszuweichen. 5. Akkumulation von Restschadstoffen in den Umweltmedien Ein weiteres Problem der traditionellen Umweltschutz-und Entsorgungsstrategie liegt in der Grenz-Wertorientierung Seit dem Beginn der Umweltschutzgesetzgebung Anfang der siebziger Jahre bedeutet diese zweierlei: — Es hat immer problematische Stoffe, die in die Umwelt emittiert werden, gegeben, für die überhaupt keine Grenzwerte festgelegt worden sind. Diese konnten also ungemindert an die Umwelt abgegeben werden, wie sich anhand der verschiedenen Umweltschutzgesetze für Luft, Wasser und Abfall und deren diversen Novellierungen zeigen läßt. Diese Gesetzesnovellierungen dienten nicht nur dazu, Grenzwerte zu verschärfen, sondern auch der erstmaligen Festlegung von Grenzwerten für zusätzliche Stoffe.
— Bis zur Höhe der Grenzwerte ist die Abgabe der Schadstoffe an die Umwelt kostenfrei erlaubt.
Welche Folgen hat nun eine derartige „Löchrigkeit“ der umweltpolitischen Regulierung im Falle der persistenten, oft nur in ganz großen Zeiträumen abbaubaren Stoffe und Umwandlungsprodukte wie Schwermetalle und chemische Verbindungen? Es kommt zu Akkumulationsprozessen der Stoffe in den Umweltmedien, in Luft, Gewässern und im Boden, in Flora und Fauna und schließlich im Menschen. Selbst wenn die Einzelabgaben Tag für Tag und Jahr für Jahr unterhalb der Grenzwerte liegen, kommt es nach Überschreiten von absoluten Schwellenwerten zu schwerwiegenden Schädigungen, wie sie an vielen Stellen zu beobachten sind. Als Konsequenz der Akkumulationsprozesse lassen sich die Katastrophe in der Nordsee und in der Adria, die Verstümmelungen und der Rückgang der Fischpopulationen in den besonders belasteten Meeresregionen sowie die schleichende Vergiftung durch persistente chlorierte Kohlenwasserstoffe konstatieren, ganz zu schweigen von zwei Hauptgefahren der Zukunft, der Auflösung der Ozonschicht und der Aufheizung der Erdatmosphäre.
Hierbei handelt es sich oft um irreversible Schadensprozesse. Dies gilt nicht nur für die Anreicherung von Schadstoffen in der Umwelt, die sich in vielen Fällen durch chemische Umwandlungsprozesse und den Zusammenwirken mit anderen Stoffen in ihrer Schadenswirkung potenzieren. Es gilt auch für die Zerstörung einzigartiger Landschaften, wie z. B. einer Auenlandschaft an der Donau, die dem Bau eines Wasserkraftwerkes geopfert wird, oder für das Aussterben von Arten im Gefolge von massiven Eingriffen des Menschen in die Lebens-und Reproduktionsräume dieser Arten.
III. Ansätze einer ökologischen Kostenrechnung
1. Notwendigkeit einer umfassenden ökologischen Kostenrechnung Strategien der vorsorglichen Vermeidung von Umweltbelastungen waren in der Vergangenheit auch dadurch benachteiligt, daß ihre mittel-und langfristigen Vorteile in den üblichen Systemen der ökonomischen Rechnungslegung und Erfolgsbilanzierung nicht sichtbar werden. Ein echter Vergleich der ökologischen und ökonomischen Vor-und Nachteile zwischen den eher defensiven gegenüber den eher offensiven Varianten der Umweltpolitik erfordert eine Ergänzung der traditionellen ökonomischen Berichterstattung um ein System der Umwelt-und Ressourcenberichterstattung sowie um eine Rechnung der ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftens.
Grundlage einer Öko-Berichterstattung muß immer ein System physischer Daten sein, das beispielsweise Auskunft über den Zustand und die Veränderungen der Umwelt, Emissionen und Im-missionen der wichtigsten Schadstoffe, den Ressourcenverbrauch und Veränderungen im Bestand von Rohstoffen und Energieträgern, den Flächen-verbrauch und Veränderungen des Artenbestands geben kann. An einem derartigen ökologischen Berichtssystem wird gegenwärtig mit unterschiedlichen Konzepten an vielen Stellen der Welt gearbeitet Das Statistische Bundesamt hat im Sommer letzten Jahres hierzu ein Konzept für die Bundesrepublik vorgelegt
Darauf aufbauend müßte ein Konzept für eine gesellschaftliche Öko-Kostenrechnung entwickelt werden. Für eine Bestandsaufnahme der Folgekosten der umweltdegradierenden Wirtschaftsentwicklung muß man sowohl Umweltschadenskosten als auch Kosten des Umweltschutzes, mit denen sonst auftretende Umweltbelastungen vermieden werden, berücksichtigen. Bekanntgeworden ist eine Klassifikation der Kategorien ökologischer Folgekosten, die schon Anfang der siebziger Jahre von dem amerikanischen Council on Environmen-tal Quality vorgeschlagen worden ist a) Kosten zur Verminderung von Umweltbelastungen (Umweltschutzkosten), b) Schadenskosten, c) Ausweichkosten sowie d) Planungs-und Überwachungs-(Regulierungs-) Kosten.
Der Autor dieses Aufsatzes hat für seine Folgekostenuntersuchungen mit einer anderen Klassifikation gearbeitet, die direkt auf das Untersuchungsziel der Aufdeckung der Wachstumsillusion zugeschnitten war a) defensive oder kompensatorische Kosten, b) Produktions-und Einkommensverluste, c) Vermögensverluste, d) Naturverluste sowie e) Wohlfahrtsverluste.
Die Klassifikation des Council on Environmental Quality läßt sich problemlos in die obige, im folgenden verwendete Systematik überführen. So fallen unter die defensiven Ausgaben die gesamten Kosten zur Verminderung von Umweltbelastungen (Umweltschutz-und Entsorgungskosten), die staatlichen Regulierungskosten, die Ausweichkosten, sowie der Teil der Schadenskosten, der sich in einem zusätzlichen ökonomischen Aufwand der betroffenen Akteure niederschlägt. Die umweltbedingten Produktions-und Einkommensverluste sowie die Vermögens-, Natur-und Wohlfahrtsverluste bilden die restlichen Kategorien der Schadens-kosten. 2. Defensive Ausgaben: Umweltschutz-und Entsorgungskosten Die extrem und abgeschwächt defensiven Maßnahmearten der Umweltpolitik a) bis d) führen zu einem starken Anstieg der defensiven Ausgaben sowie gleichzeitig und insbesondere in der Zukunft zu einem Anstieg der restlichen vier Kategorien der Schadenskosten. Das dokumentieren die Erfahrungen mit 20 Jahren klassischer Umweltschutz-und Entsorgungspolitik und ihren (zeitlich späteren) Zwillingsschwestern „Sanierung und Reparatur von Umweltschäden“.
Insbesondere seit Mitte der achtziger Jahre sind die Umweltschutzaufwendungen der Industrie und des Staates stark angestiegen (vgl. die Tabelle). Dies ist zweifellos auch eine Reaktion auf die negativen ökologischen Trends, die in den achtziger Jahren — entgegen den Erwartungen — als Folge der unzureichenden Umweltpolitik der siebziger Jahre auftraten, sowie des ständig verbesserten Wissens über die sich in vielen Bereichen dramatisch verschlechternde Umweltsituation und der daraus resultierenden Ansprüche an die Umweltpolitik. Die Entwicklung seit Mitte der achtziger Jahre zeigt, daß eine Umweltpolitik, die den traditionellen Pfaden folgt, gleichzeitig in allen Bereichen aber striktere Grenzwerte und darüberhinaus deutlich bessere Werte der Umweltqualität erreichen will, enorm kostenaufwendig ist.
Dies ist bereits in der Luftreinhaltepolitik sichtbar, wo die Großfeuerungsanlagenverordnung von 1983 in der Energiewirtschaft der alten Bundesländer zu einem Investitionsaufwand für Entschwefelungsund Entstickungsanlagen von ca. 25 Mrd. DM geführt hat und in Zukunft die Unternehmen mit stark gestiegenen Kosten zum Betrieb dieser Anlagen belastet. Schätzungen des Bundesumweltministeriums zufolge liegt die Größenordnung der notwendigen Luftreinhaltungsinvestitionen in Vollzug der neuen Technischen Anleitung (TA) Luft bei mindestens 27— 28 Mrd. DM Der Schock über die Nordseekatastrophe im Jahre 1988 sowie die Besorgnis über die verheerenden Schäden der Ostsee und der Adria haben die Dringlichkeit einer raschen Erneuerung und Modernisierung der öffentlichen Kanalisation und Abwasserbeseitigung bewußt gemacht. Nach Expertenschätzungen sind hier in den nächsten zehn Jahren Investitionen von 130-280 Mrd. DM erforderlich
Besonders dramatisch ist die Situation im Bereich der Abfallentsorgung, in dem sich die ungelösten ökologischen Probleme unserer Industriegesellschaft wie in einem Brennglas bündeln. Einerseits wächst der Abfallberg immer noch, andererseits sind nunmehr alle billigen Auswege, sich des Abfalls zu entledigen, versperrt. Die Deponierung auf wilden Kippen ist nicht mehr möglich, die Verbrennung giftiger Abfälle auf hoher See ist verboten, das Exportventil ins Ausland, sei es in die ehemalige DDR, nach Osteuropa oder in die Dritte Welt, ist ganz oder (hoffentlich) bald verschlossen. Die Kostenträchtigkeit einer Entsorgungsinfrastruktur mit vorgelagerten Sammlungs-, Sortierungs-und Verwertungseinrichtungen sowie ökologisch bestmöglichen Verbrennungsanlagen und Deponierungskapazitäten liegt auf der Hand. Abgesehen davon, daß der Aufbau einer derartigen großangelegten Entsorgungsinfrastruktur eindeutig nur die zweitbeste Lösung darstellt, wovon die starke Opposition gegen den Bau neuer Verbrennungsanlagen Zeugnis ablegt, sind auch die enormen Kostenfolgen für den bisher nur schleppenden Aufbau einer solchen Entsorgungswirtschaft verantwortlich.
Die entsprechenden Kostenschätzungen für die neunziger Jahre müssen selbstverständlich für alle Bereiche nach der Vereinigung Deutschlands deutlich nach oben angepaßt werden. Angesichts der ungleich dramatischeren Umweltsituation in den neuen Bundesländern ist davon auszugehen, daß dort ökologisch vorrangige Maßnahmen zu einer Verlangsamung der Durchführung von Umweltschutz-, Entsorgungs-und Sanierungsmaßnahmen in den alten Bundesländern führen werden. 3. Defensive Ausgaben: Reparatur und Sanierung von Umweltschäden Eine umfassende ökologische Kostenrechnung der Umweltschutzpolitik der vergangenen 20 Jahre ist mit einer Abschätzung der direkten Kosten des Umweltschutzes in den verschiedenen Bereichen natürlich noch nicht vorhanden. Die zweite Seite der Kostenmedaille ist die Folge von Umweltbelastungen. die durch die Maßnahmen des klassischen Umweltschutzes nicht verhindert worden sind, und ihrer sich über die Jahre vollziehenden Akkumulierung in den Umweltmedien. Ein gewisser (geringer) Teil der Schadenskosten ist in der gesamten Kostengröße der umweltbezogenen Defensivausgaben enthalten (vgl. die Tabelle). Dieser Wert, der sich im Jahre 1988 auf knapp 20 Mrd. DM belief, ist auf keinen Fall repräsentativ für das gesamte Ausmaß der ökologischen Schadensfolgen. In vielen Fällen sind diese defensiven Schadenskosten ein Spätindikator der in Gang befindlichen Schadensprozesse; man denke etwa an die Mehraufwendungen in der Forstwirtschaft aufgrund des Waldsterbens (z. B. für zusätzliche Maßnahmen zur Kalkung der Wald-böden) in Höhe von 0, 5 Mrd. DM (vgl. die Tabelle). Diese stehen in keinem Verhältnis zum Ausmaß der bereits zu beklagenden Verluste am Wald-vermögen und den Ertragseinbußen, die die Folge langandauernder Belastungen des Waldes durch sauren Regen und andere Schadstoffe sind. Da diese Ertrags-und Vermögensverluste schwieriger als der zusätzliche Kostenaufwand oder überhaupt nicht näherungsweise abzuschätzen sind, besteht die Gefahr, daß die Spitze des Eisbergs — die defensiven Schadenskosten — für den ganzen Eisberg der ökologischen Schadensfolgen gehalten wird. Dieser Gefahr des pars pro toto gilt es. durch ein möglichst komplettes Raster einer ökologischen Kostenrechnung und seine bestmögliche Ausfüllung zu begegnen.
In anderen Fällen spiegeln die Werte der defensiven Schadenskosten die geringe Priorität des zu lösenden Problems in der Einschätzung der politischen Instanzen, der Wirtschaft oder der einzelnen Bürger wider. Sie sind keine Indikatoren des eigentlichen Kostenbedarfs, sondern dessen, was die Gesellschaft gegenwärtig bereit ist, für die Sanierung, Behandlung und Reparatur von Schäden auf-zuwenden.In der Tabelle werden die aufgewendeten Kosten der Altlastensanierung für das Jahr 1988 mit ca. zwei Mrd. DM angegeben. Vergleicht man diesen eher zu hoch angesetzten Schätzwert mit den diversen Schätzungen, die über den Kostenbedarf zur Sanierung nur der dringlichsten Altlastfälle angestellt worden sind dann wird abermals deutlich, daß eine ökologische Kostenrechnung nicht bei der Kalkulierung der tatsächlich geleisteten defensiven Aufwendungen zur Sanierung von Umweltschäden stehen bleiben darf. 4. Einkommens-, Vermögens-, Natur-und Wohlfahrtsverluste In diesen Bereichen bestehen die größten Informationslücken. Es liegt zwar eine Fülle von einzelnen Untersuchungsergebnissen zu den verschiedenen Kategorien vor. So gibt es grobe Abschätzungen zu den Ertrags-und Einkommensverlusten in verschiedenen Bereichen aufgrund von Umweltbelastungen. Zu nennen sind Angaben zu Ertragsverlusten in der Forst-, Land-und Fischereiwirtschaft sowie zu Einkommenseinbußen im Fremdenverkehrsgewerbe, etwa in vom Waldsterben besonders betroffenen Regionen oder in norddeutschen Küstengebieten. Es gibt Hinweise und auch überschlägige Kalkulationen von ökonomischen Vermögens-verlusten, etwa hinsichtlich der immissionsbedingten Schädigungen des Wald-und Gebäudevermögens oder des Rückgangs der Fischbestände in Seen, Flüssen und Meeren. Es gibt eine Unmenge von Daten, Analysen sowie Trend-und Risikoabschätzungen zu den faktischen und zukünftig drohenden Naturverlusten, von einer Bilanz des Artensterbens über eine Abschätzung des Trends der Erosionsausdehnung bis hin zu Szenarien möglicher Verläufe des Treibhauseffektes. Und schließlich liegt eine Fülle von Angaben zu den Wohlfahrtsverlusten der Menschen vor, nicht zuletzt aufgrund ausgiebiger Befragungsforschung zur individuellen Wahrnehmung des Umweltproblems und zur Entwicklung des Umweltbewußtseins. 5. Versuche einer Gesamtabschätzung der volkswirtschaftlichen Kosten Aber es gibt nur wenige Versuche einer Gesamtabschätzung der ökologischen Folgekosten des Wirtschaftens. Der erste ist 1986 von Wicke vorgelegt worden. Nach seinen Berechnungen lagen die „rechenbaren“ Schäden bei jährlich ca. 104 Mrd. DM Die Einschränkung „rechenbar“ verweist schon auf die gewaltigen theoretischen, methodischen und datenmäßigen Probleme, denen jede umfassende ökologische Schadensbilanz, die mit ökonomischen Kategorien arbeitet, ausgesetzt ist. Die beiden wichtigsten Posten bei Wicke, die knapp acht Zehntel der Gesamtsumme ausmachen, sind Berechnungsansätze zu den Kosten der Luftverschmutzung (ca. 48 Mrd. DM) und zu den Wohnwertverlusten durch Lärm (ca. 30 Mrd. DM) Die Abschätzung der ökonomischen Kosten der Luftverschmutzung beruht auf einer sog. Zahlungsbereitschaftsanalyse, in der die Bürger danach befragt werden, wieviel sie — gemessen an einer vorgegebenen Skala von monatlichen Beträgen — bereit sind, für die Erlangung einer besseren Luftqualität zu bezahlen Die mit einer derartigen Analysemethode erzielten Ergebnisse sind sicherlich angreifbar Aber diese Problematik teilen sie mehr oder minder mit allen Ansätzen, die auf eine direkte monetäre Bewertung der Natur-und Wohlfahrtsverluste aus der Sicht der betroffenen Menschen abzielen. So erscheinen einerseits ökonomische Bewertungen gewisser ökologischer Negativ-entwicklungen, wie z. B.des Aussterbens von Arten, prinzipiell problematisch. Andererseits ist der Grad des Unwissens über das Ausmaß der ökologischen Zerstörung, etwa hinsichtlich der Ausrottung noch nicht einmal „entdeckter“ Arten durch die Zerstörung des tropischen Regenwaldes oder der Vernichtung hochkomplexer Regenwald-Ökosysteme, und über die ökologischen Folgen von Schadensprozessen angesichts vielfältiger Wechselwirkungszusammenhänge mit anderen Elementen des lokalen, regionalen, kontinentalen und globalen Ökosystems oft so groß, daß überhaupt nicht an eine vernünftige ökonomische Bewertung gedacht werden kann, wenn keine einigermaßen solide naturwissenschaftlich-ökologische Abschätzung vorliegt. Nach einer kürzlich vom Umwelt-und Prognose-Institut Heidelberg publizierten Studie zu den Kosten der Umweltverschmutzung in der Bundesrepublik müssen die von Wicke errechneten Zahlen dramatisch nach oben revidiert werden. Die ÖkoKosten werden jetzt bei knapp 500 Mrd. DM angesiedelt. Es spricht vieles (vor allem die intuitive Gesamtschau von der insgesamt dramatisch verschlechterten Umweltsituation) dafür, daß die aktuelle Berechnung ein besseres ökonomisches Abbild der ökologischen Schadenssituation in der Bundesrepublik vermittelt. Dennoch können diese Studien den Eindruck eines hohen Maßes an Willkür, der der Auswahl der bewerteten Gegenstände, den theoretischen und methodischen Annahmen und den gewählten Berechnungsverfahren innewohnt, nicht verwischen. Diese der komplizierten Erkenntnis-und Bewertungsmaterie inhärente und damit nicht hintergehbare „Willkür“ impliziert auch, daß es gute Gründe gibt, mit einer Variation der bisher gewählten Bewertungsgegenstände, der theoretischen und methodischen Annahmen und der Berechnungsverfahren zu Bewertungsergebnissen der totalen ökonomischen Kosten der Umweltschädigung zu kommen, die bei 600 oder 1 000 Mrd. DM oder sogar noch mehr liegen.
Der wesentliche Stellenwert derartiger umfassender, auf Verdichtung von komplexen Sachverhalten abzielender Berechnungen ist politischer Art. Sie können ein hohes Maß an Aufmerksamkeit mit Aufforderungscharakter zur raschen und verstärkten Aktion in der Politik und der medialen Öffentlichkeit auf sich ziehen. In einer griffigen Zahl kann jetzt das ganze Ausmaß der Umweltkrise zusammengefaßt werden, und das in einer Sprache, die von allen in einer Wirtschafts-und Konsumgesellschaft am besten verstanden wird, und die Vergleiche mit der dominierenden Größe in Politik und Öffentlichkeit überhaupt, dem BSP, erlaubt.
IV. Ökologische Umorientierung der Wirtschaftspolitik als Zukunftsaufgabe
Die bisherigen Ausführungen zeigen, daß das System einer umfassenden ökologischen Kostenrechnung noch ganz am Anfang steht. Fortschritte auf diesem Feld setzen eine Intensivierung der einschlägigen Arbeiten in der Wissenschaft und in verschiedenen Bereichen der politischen Verwaltung voraus. Beschleunigt werden könnte dieser Prozeß durch eine neue Prioritätensetzung seitens der Politik. Diese ist jedoch fraglich, solange die Regierungen unverändert an der zentralen Stellung der traditionellen Wachstumspolitik in ihrem Politikkonzept festhalten. Die ökologischen und ökonomischen Nachteile der dominanten Umweltschutz-und Entsorgungspolitik werden nur dann systema-tisch Sichtbarwerden, wenn eine differenzierte ökologische Kostenrechnung aufgebaut und kontinuierlich aktualisiert wird. Vor einem derart erweiterten Hintergrund sowohl ökonomischer als auch ökologischer Transparenz zeigt sich die eklatante Überlegenheit einer vorsorgeorientierten Umweltpolitik, die auf Technologien, Produktions-und Konsumweisen sowie auf eine Wirtschaftsstruktur setzt, mit denen Umweltbelastungen schon an der Problemquelle vermieden oder doch zumindest drastisch reduziert werden können. Der Aufbau energie-und rohstoffsparender Produktions-und Konsumstrukturen ist geeignet, die negativen Folgewirkungen, die von der Auferlegung von Umweltschutzmaßnahmen bis hin zum Eintritt von Natur-und Wohlfahrtsverlusten reichen, zu vermeiden. Umweltvorsorge und Vermeidungsstrategien werden jedoch gesellschaftlich vermutlich erst dann Erfolg haben, wenn der Paradigmenwandel in der Wirtschaftspolitik und in der Wirtschaftsberichterstattung zumindest im Ansatz erfolgt ist. In den kommenden Jahren steht eine integrale Verknüpfung von Wirtschafts-und Umweltpolitik an, mit der Folge, eine Art Umweltverträglichkeitsprüfung aller wirtschaftspolitischen Gesetze und Maßnahmen durchzuführen, um Wirtschaftsformen zu fördern, die umweltverträglich sind und den Vorsorge-gedanken verkörpern.
Darüber hinaus gilt es jedoch auch, die Wachstumspolitik und die Wachstumsberichterstattung um eine ökologische Komponente zu erweitern. Der zukünftige politische Leitbegriff sollte der einer ökologisch nachhaltigen Produktion und eines ökologisch nachhaltigen Wachstums sein. Die heute allgemein beachtete Wachstumsgröße ist faktisch überhöht um das Ausmaß der in Kauf genommenen Umweltbelastungen, Umweltschäden und Natur-verluste. In Zukunft gilt es, das ökonomisch unerläßliche Leistungspotential der Natur als ökonomische Vermögensgröße in gleicher Weise wie heute den Bestand an Produktionsmitteln im Untemehmenssektor und an Infrastruktureinrichtungen im Staatssektor zu behandeln. Daraus ergibt sich ein ökologisch nachhaltiges Nettosozialprodukt („Ökosozialprodukt“), entgegen der heutigen Praxis der Feststellung des Nettosozialprodukts (NSP), wo lediglich die Ersatzinvestitionen, mit denen der produktionsbedingte Verschleiß des Produktivkapitals ausgeglichen wird, vom BSP abgezogen werden.
Zusätzlich müssen die „Ersatzinvestitionen“ in den Erhalt des produktiven und konsumtiven Naturvermögens abgezogen werden. Als solche können die defensiven Umweltschutz-, Entsorgungs-und Schadenskosten interpretiert werden, da mit ihnen ja lediglich Schäden und Verschlechterungen der Umweltbedingungen beseitigt, kompensiert und vorbeugend vermieden werden, die durch Negativwirkungen des Wachstumsprozesses eingetreten sind (oder andernfalls eingetreten wären).
Wenn trotz bestimmter Ersatzinvestitionen in den Erhalt und die Wiederherstellung des Naturvermögens dennoch echte Nettoverluste an dessen quantitativen und qualitativen Bestand eingetreten sind, müßten zusätzlich in entsprechender Höhe „Abschreibungen“ auf die Schädigung/Minderung des Naturvermögens geschätzt und vom NSP ebenfalls abgezogen werden. Dann erst wäre eine Größe der ökologisch nachhaltigen Nettoproduktion und des Volkseinkommens erreicht. So schwer ein derartiges Öko-Sozialprodukt operationalisiert und theoretisch, methodisch und datenmäßig umgesetzt werden kann, es ist jene makroökonomische Ziel-größe, an der sich eine ökologische Wirtschaftspolitik in Zukunft orientieren müßte.
Christian Leipert, Dr. rer. pol., geb. 1944; Umweltökonom am Forschungsschwerpunkt Technik, Arbeit, Umwelt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Veröffentlichungen u. a.: Grundfragen einer ökologisch ausgerichteten Wirtschafts-und Umweltpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/88; Die heimlichen Kosten des Fortschritts, Frankfurt am Main 1989; Ökologische Ökonomie, in: Umbrüche in der Industriegesellschaft. Herausforderungen für die politische Bildung (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 284), Bonn 1990.
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