Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird die Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt heftig diskutiert. Während in den siebziger Jahren die Führungsrolle Saudi-Arabiens im wesentlichen von den arabischen Linken in Frage gestellt wurde überwogen Anfang der achtziger Jahre Zweifel, ob Saudi-Arabien aus vielfältigen Gründen in der Lage und gewillt ist, eine solche Rolle zu übernehmen. Die Kritiker bemängeln vor allem die strukturellen demographischen Schwächen Saudi-Arabiens, die Rückständigkeit der saudischen Gesellschaft, das starre politische System und vor allem das defizitäre Verteidigungspotential. Wenn Saudi-Arabien diese Defizite in den siebziger Jahren durch sein Bündnis mit Ägypten noch verbergen konnte, so stellte die Isolierung Ägyptens in der arabischen Welt nach dem Camp-David-Abkommen von 1977 Saudi-Arabien vor mehrere Probleme, die durch „PetroDollar-Scheckdiplomatie“ nicht zu lösen waren. Zum einen wurde der Irak nach dem Sturz des Schahs zu einem dominierenden Akteur in der Golfregion, der alleine über die Machtinstrumentarien zur Eindämmung des iranischen Versuchs, sein Revolutionsmodell zu „exportieren“, verfügte. Zum anderen war keine Kompatibilität zwischen den politischen und ideologischen Vorstellungen des von der sozialistischen Baath-Partei regierten Irak und der konservativen, traditionellen saudischen Herrschaft vorhanden, die dem während des Golfkriegs geschlossenen Zweckbündnis langfristige Stabilität hätte verleihen können. Zudem bereiteten die Hegemoniebestrebungen Iraks den Saudis und den anderen Golfstaaten seit den früheren siebziger Jahren begründete Sorgen. Dies war die Ursache für das gegenseitige Mißtrauen, auch nach dem Ende des Krieges zwischen dem Irak und Iran.
Aus diesem Dilemma heraus versuchte Saudi-Arabien nach dem Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges durch die Gründung des Golf-Kooperationsrates Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß nach dem Krieg die Siegermacht die Golfstaaten nicht in Bedrängnis bringen würde. Die prekäre Situation, in der sich Saudi-Arabien nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg befand, ergab sich aus dem Umstand, daß die Entwicklung des regionalen Systems nach dem Camp-David-Abkommen ihre vermeintliche Rolle als eine Stabilitätsmacht als Fiktion entlarvte. Dies kam deutlich zum Ausdruck, als der Irak nach dem Waffenstillstand seine Militärkraft als Vehikel zur Durchsetzung seiner Hegemoniebestrebung benutzte. Was in den letzten zwei Jahren in der Golfregion geschah, ist bemerkenswert: Saudi-Arabiens Versuche, sich mit dem Irak zu arrangieren und dadurch der Verschärfung von Konflikten vorzubeugen, wirkte kontraproduktiv. Denn der Irak ging davon aus, daß Saudi-Arabien ihm in der Golfregion freie Hand läßt. Insofern wurde der gegenwärtige Golfkonflikt durch Saudi-Arabien mit verursacht.
I. Die strukturelle Schwäche der „Stabilitätsmacht“ Saudi-Arabien
Seit geraumer Zeit verweisen die Kritiker der vermeintlichen Stabilitätsmacht Saudi-Arabien auf die strukturellen Schwächen, die dieses Land durch die anderen regionalen Akteure erpreßbar machen. Vor allem in der Sicherheitsfrage zeigt sich die Verwundbarkeit des Königreichs, das — wie sich während der neuen Krise zeigte — nur durch massive externe Hilfestellung vor einer ernsthaften Bedrohung gerettet werden konnte. William Quandt machte mit der folgenden Beschreibung die in mehr als einer Hinsicht widersprüchlichen Elemente dieses Staates deutlich: „Es ist eine Monarchie, aber der König ist nur einer der vielen Personen, die bei den wichtigen Entscheidungen beteiligt sind. Es ist ein Familienunternehmen, die Familie ist aber uneinig. Es ist ein islamischer Staat, aber die säkularen Einflüsse sind überall bemerkbar. Er ist ein autoritärer Staat, aber der Zugang zu den Herrschern ist vergleichsweise leicht und die Bürgergesuche für individuelle Beschwerden können vorgetragen werden. Es ist eine Gesellschaft, die die Annehmlichkeiten der modernen Welt anstrebt, aber traditio-nelle Elemente wie die Stämme haben noch Einfluß."
Die Widersprüche ergeben sich aus der Tatsache, daß die Transformation des Staates saudischen von traditionellen Herrschaftsformen in einen modernen Staat unvollständig blieb. Zwar gelang es dem Gründer des saudischen Staates, Ibn Saud, bis 1932 die beiden Hauptregionen Najd und Hijaz unter seine Herrschaft zu bringen, der Aufbau moderner staatlicher Institutionen wurde aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Angriff genommen. Die Legitimation der Herrschaft beruht seit der Allianz der saudischen Dynastie 1744 mit dem islamischen Reformer Muhammad bin Abd al-Wahab auf einer Symbiose zwischen tribaler Herrschaft und den Lehren des Wahabismus. Diese religiöse Lehre erwies sich in den ersten Jahren der Staatsgründung als Quelle der Legitimation, aber auch als Hindernis für die von Ibn Saud als notwendig erachteten Modernisierungen. Der vernichtende Schlag Ibn Sauds 1929 gegen die radikalen Wahabiten, die Ikhwan (Bruderschaft), die sich gegen jegliche Modernisierungsversuche stellten 3), ermöglichte es ihm, die Vertreter der religiösen wahabitischen Institution, die Ulama, „an den Staat anzugliedern“ 4).
Nach dem Tode Ibn Sauds 1953 bauten seine Nachfolger die staatlichen Institutionen aus. Dennoch weigerten sich die Herrscher,
Nach dem Tode Ibn Sauds 1953 bauten seine Nachfolger die staatlichen Institutionen aus. Dennoch weigerten sich die Herrscher, der Partizipation der Bevölkerung im politischen Prozeß mittels moderner Institutionen zuzustimmen. Gleichwohl begannen sie nach der Machtübernahme von König Faisal, den Staat und die Wirtschaft umfassend zu modernisieren. Der Hauptwiderspruch liegt eben zwischen dieser Modernisierung und der begrenzten Partizipation der Bevölkerung im politischen System.
Die Verkündung einer Verfassung, die König Faisal nach seiner Krönung 1964 versprach, und die Debatte über die mögliche Wahl einer legislativen Versammlung wurden kurz danach aufgegeben Nach der Niederschlagung des Aufstands der puritanischen Neo-Ikhwan (Bruderschaft), die 1979 die Großmoschee von Mekka besetzten, wurde erneut die Möglichkeit der Gründung eines Konsultativen Rates (Majlis al-Shura) erörtert, allerdings ohne ihn in die Tat umzusetzen -Die Debatte über die Partizipation der Bevölkerung im politischen System kam nach der irakischen Invasion in Kuwait erneut zur Sprache. König Fahd versprach im November 1990 die Reform der Verwaltung und stellte die Gründung eines Konsultativrats in Aussicht
Die bisherige Erfahrung zeigt aber, daß die saudischen Herrscher eine Öffnung des Systems nur dann zur Sprache bringen, wenn der Staat sich in einer Konfliktsituation befindet. Obwohl die Herrschaftsform in Saudi-Arabien mit denen der autoritären arabischen Staaten, etwa Syrien, Irak und Libyen, nicht vergleichbar ist, unterdrückt auch hier der Staat jede Form der politischen Organisation. Aufgrund eines Dekrets von 1961 wird die Propagierung einer anderen Ideologie als der islamischen und die Formierung von politischen Parteien und von Gewerkschaften, welche Orientierung sie auch immer haben mögen, verboten
Zweifellos hatte die Bewegung der Neo-Ikhwan keine genauen sozialen und politischen Vorstellungen. Darüber hinaus war der messianische Aspekt der mobilisierende Faktor der Gruppe. Dennoch war die Bewegung allein deswegen bedeutsam, weil sie durch ihre Entstehung die Widersprüchlichkeit des saudischen Staates aufdeckte. Al-Yassini macht auf drei Konfliktfelder aufmerksam, die durch die von Neo-Ikhwan organisierte Besetzung der Groß-moschee in Mekka offenbar wurden: „ 1) Wie kann der rasch entstandene Reichtum und die rapide Modernisierung mit dem im 18. Jh. entstandenen Wahabismus vereinbart werden? 2) Die Tatsache, daß die Monarchie nicht immer mit dem islamischen Fundamentalismus vereinbar ist. 3) Die Infragestellung der herrschenden Dynastie sowohl durch die Fundamentalisten als durch die säkularistischen Elemente.“
Auch wenn die Bewegung der Neo-Ikhwan gewaltsam unterdrückt wurde, zeigte sie deutliche Risse in der inneren Sicherheit Saudi-Arabiens auf und stellte die islamische Legitimation der saudischen Herrschaft in Frage.
Die königliche Familie nimmt die wichtigsten Posten im Ministerrat (Außen, Innen und Verteidigung) sowie die Provinzregierungen selbst in An-Spruch. Die Differenzen innerhalb der königlichen Familie, die sich Anfang der sechziger Jahre in Form organisierter Opposition manifestierten, haben sich zwar in den siebziger und achtziger Jahren nicht wiederholt, die machtvolle Rolle des Königs hat sich jedoch nach dem Tode Faisals 1975 zugunsten einer kollektiven Entscheidungsfindung relativiert. Der König muß darüber hinaus die Interessen der verschiedenen Richtungen in der königlichen Familie berücksichtigen
Der Zugang zu den Herrschern ist leicht; er ist aber in einem „Korporationssystem“ fast institutionalisiert. Stämme, Vertreter der wahabitischen religiösen Institutionen und die städtische Großhändlerschicht stehen in einer festen Interessengemeinschaft mit der herrschenden Dynastie. Neue soziale Gruppen, Arbeiter und Angestellte, bleiben außerhalb dieses Korporationssystems. Der wohl sensibelste Bereich, in dem sich die Schwäche des saudischen Staates offenbart, Hegt im Unvermögen des Königreiches, seine Sicherheit zu gewährleisten.
Die bisherige Diskussion über die Ursachen der Defizite in der saudischen Verteidigungspolitik zieht die Haltung der saudischen Dynastie zur modernen Militärorganisation nicht genügend in Betracht. Obwohl die saudische Armee seit Anfang der dreißiger Jahre existiert, unternahmen die Saudis auch in den fünfziger Jahren nach der Zunahme der Erdöleinnahmen keine Anstrengungen, die Armee zu modernisieren. Erst der Ausbruch des Jemen-Krieges 1962, in dem die Unfähigkeit der saudischen Armee, den ägyptischen Truppen in Jemen entgegenzutreten, offenbar wurde, veranlaßte die Saudis, ihre Armee zu modernisieren. Sie waren gezwungen, ihre bisherige Haltung zu revidieren, die aus der Erkenntnis resultierte, daß die Armee im arabischen Raum Hauptfaktor der Instabilität im Staate ist. Die rigorosen Verteidigungsprogramme, die seit den siebziger Jahren einen beacht-liehen Teil des Staatshaushalts verschlingen konnten (wie bei der neuen Golfkrise erneut unter Beweis gestellt wurde) ihre Ziele nicht erreichen. Nach ihrer durch die proisraelische Lobby erzwungene Zurückhaltung in den siebziger Jahren wurden die USA in den achtziger Jahren zu dem wichtigsten Waffenlieferant der Saudis Aber auch Großbritannien, das seit 1987 Waffen im Wert von drei bis fünf Mrd. US-Dollar jährlich liefert, und Frankreich gehören zu den wichtigsten Lieferanten des saudischen Waffenarsenals Die Tatsache, daß die Saudis, abgesehen von der für die innere Sicherheit zuständigen Nationalgarde mit Beginn der Kuwait-Krise im Juli 1990 lediglich 50 000 Soldaten mobilisierten, zeigt die Grenzen der Verteidigungsfähigkeit von Saudi-Arabien
Die Größe des Landes, die Absorbierung der für die Armee geeigneten Kräfte durch die attraktiveren zivilen Berufe sowie die demographische Schwäche stellt die Saudis im Zusammenhang mit der Verteidigungsfrage vor fast unüberwindbare Schwierigkeiten. Die Rekrutierung pakistanischer und jordanischer Soldaten kann zwar die demographischen Schwächen vorübergehend kompensieren ihre Loyalität kann aber, wie im Fall der jordanischen Soldaten nach der Kuwait-Krise, nicht garantiert werden. Cordesman kommt im Rahmen seiner 1987 verfaßten Studie zu einem vernichtenden Urteil, wenn er konstatiert, daß Saudi-Arabien sich militärisch nicht verteidigen kann und es erst in den neunziger Jahren die gelieferten Waffen einigermaßen effizient wird einsetzen können
II. Saudi-Arabien im nahöstlichen regionalen System
Trotz der vielen Veränderungen in der arabischen regionalen Politik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb das Grundkonzept der saudischen Regionalpolitik bestehen: ihre regionale Hegemonie auf der arabischen Halbinsel zu behaupten und durch ein flexibles Netzwerk von innerarabischen Allianzen zu verhindern, daß ein Akteur oder Lager zu mächtig wird. Dieses Konzept kam am deutlichsten zur Geltung, als Saudi-Arabien in den fünfziger Jahren im Rahmen des „Struggle for Syria“ durch ein Bündnis mit Nassers Ägypten erfolgreich die Bestrebungen des haschemitischen Irak, Syrien unter seinen Einfluß zu bringen, zum Scheitern brachte. Der Ausbruch des sogenannten „Arab Cold War“ nach der militärischen Intervention Ägyptens im Jemen an der Seite der Republik und der Unterstützung der Royalisten durch Saudi-Arabien spaltete die arabische Welt in zwei Lager.
Die arabische Niederlage im Krieg von 1967 stellte die Weichen für eine Entspannung in den innerarabischen Beziehungen. Vor allem aber mußte das stark angeschlagene nasseristische Ägypten die führende Rolle Saudi-Arabiens akzeptieren. Nasser war gezwungen, seine Truppen aus dem Jemen zurückzuziehen und, nachdem er auf dem arabischen Gipfeltreffen in Khartum 1968 einen neuen modus vivendi mit König Faisal gefunden hatte, seine revolutionäre Rhetorik und seine Versuche, das in Ägypten praktizierte Sozialmodell zu exportieren, aufzugeben Spätestens seit dem Khartum-Gipfeltreffen ging die Führungsrolle in der arabischen Regionalpolitik, wie Bassam Tibi es formuliert, vom „Zentrum der Revolution“ zum „Zentrum des Petro-Dollars“ über 22). Das Arrangement mit Ägypten bildete bis zum Separatfrieden Sadats mit Israel 1979 die Hauptachse in der Regionalpolitik. Eine für die bilaterale und für die Regionalpolitik wichtige Entwicklung war die Entscheidung Sadats von 1972, die sowjetischen Berater auszuweisen. Das Kernproblem für die Regionalachse Ägypten — Saudi-Arabien blieb der arabisch-israelische Konflikt. Während sich Sadat und Syriens Staats-präsident Assad bereits vor 1973 für einen Krieg, verbunden mit einem Erdölembargo, entschieden hatten, fürchtete Saudi-Arabien eine Radikalisierung gegen die konservativen, pro-westlichen Regime, falls die arabischen Armeen erneut eine Niederlage erleiden sollten 23). Saudi-Arabien konnte aus legitimatorischen Gründen keine andere Entscheidung treffen, als einem Erdölembargo nach dem Krieg von 1973 zuzustimmen 24).
Wenn die von dem ehemaligen Chefredakteur der halbamtlichen ägyptischen Zeitung al-Ahram, Mohamed Hasana Saudi-Arabien konnte aus legitimatorischen Gründen keine andere Entscheidung treffen, als einem Erdölembargo nach dem Krieg von 1973 zuzustimmen
Wenn die von dem ehemaligen Chefredakteur der halbamtlichen ägyptischen Zeitung al-Ahram, Mohamed Hasanain Heikal, geprägte Bezeichnung „Saudi era“ als Beschreibung der Dominanz Saudi-Arabiens in der postnasseristischen Phase zutrifft, dann in der Phase zwischen dem Krieg von 1973 und dem Separatfrieden Sadats mit Israel. Die „Petro-Dollar-Scheckdiplomatie“ Saudi-Arabiens kam in vollem Umfang zur Geltung und damit ihr Einfluß in der arabischen Welt Der Umstand, daß die Erdöleinnahmen Saudi-Arabiens von 2, 745 Mrd. US-Dollar (1972) auf 22, 574 Mrd. nach dem Embargo von 1974 angestiegen waren, gab den Saudis die Möglichkeit, durch Abgabe eines Bruchteils der Erdöleinnahmen an die ärmeren arabischen Staaten den regionalen Status quo aufrechtzuerhalten Die „Saudi era“ läßt sich aber nicht auf die bloße Verteilung eines Teils der Erdöleinnahmen reduzieren. Sicherlich blieb der Petro-Dollar auch in den folgenden Phasen das eigentliche Instrument der saudischen Außenpolitik. Der Eckpfeiler, aufgrund dessen die „Saudi era“ -These entstanden war, nämlich die saudisch-ägyptische Achse, war nach dem Ausschluß Ägyptens aus der arabischen Liga 1979 zur Makulatur geworden. Der Irak trat nach dem Gipfeltreffen verstärkt als machtvoller regionaler Akteur auf, der von Saudi-Arabien nach der iranischen Revolution voll akzeptiert wurde. Ebenso darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die iranische Revolution und der irakisch-iranische Krieg eine zusätzliche Rolle bei der Unterminierung des saudischen regionalen Führungsanspruchs spielten.
Die iranische Revolution und der Khomeinismus waren ein tiefer Schock für die Saudis. Die „subversive“ Ideologie war dieses Mal keine säkular-arabisch-nationalistische oder linksmarxistische. Sie war eine islamische, die im Namen des Islam die Legitimation des politischen Systems in Saudi-Ara-bien, das ebenfalls den Anspruch erhebt, islamisch zu sein, in Frage stellte
Die durch den Ausfall Ägyptens und durch die iranische Revolution verunsicherten Saudis hatten kein klares Konzept für ihre Regionalpolitik; sie versuchten, durch Improvisation die regionalen Widersprüche und Konflikte zu umgehen Als Paradebeispiel nennt Safran die saudische Politik gegenüber Syrien seit dem Gipfeltreffen der arabischen Staaten von Amman im November 1980 Syrien boykottierte den Gipfel, weil von vornherein evident war, daß der Golfkrieg das Hauptthema der Versammlung sein mußte und seine antiirakische Position keine Erfolgsaussichten hatte. Während die arabischen Staatsoberhäupter in Amman tagten, konzentrierte die syrische Regierung ihre Truppen an der jordanischen Grenze mit der Begründung, Jordanien unterstütze die bewaffneten Aktionen der syrischen „Muslimbrüder“. Der eigentliche Grund lag aber darin, daß Syrien Jordanien, den Verbündeten Iraks, von der Entsendung von Truppen zur Unterstützung des Irak abhalten und den Saudis seine Macht demonstrieren wollte. Die saudische Vermittlung unmittelbar nach dem Gipfeltreffen zwischen Syrien und Jordanien zeigte, daß die Saudis nicht in der Lage waren, ihren Standpunkt im Golfkonflikt mit allen Konsequenzen durchzusetzen. Ein anderes Beispiel für die Improvisation der saudischen Regionalpolitik und ihr Unvermögen, ihre Vorstellungen zu realisieren, ergab sich bei dem Versuch Saudi-Arabiens, durch eigene Vorschläge eine Lösung des arabisch-israelischen Konflikts voranzubringen. Diese Vorschläge, die der Kronprinz Fahd im April 1981 bekanntgab, sahen den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten, die Gründung eines palästinensischen Staates aus West-Bank und Gazastreifen mit Ostjerusalem als Hauptstadt und Sicherheitsgarantien für alle Staaten des Nahen Ostens vor Nachdem die Saudis auf dem Gipfeltreffen von Fez im November 1981 keine Zustimmung für ihren Plan fanden, zogen sie ihn zurück. Die Suche nach einem Konsens zeigt die „Grenzen der Fähigkeit der Saudis, eine führende Rolle bei der Gestaltung der arabischen Angelegenheiten zu übernehmen“
Die Konzeptionslosigkeit der saudischen Politik läßt sich auch an ihrer Politik gegenüber dem Irak nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg von 1988 demonstrieren. Es wurde offenkundig, daß die saudisch-irakischen Vorstellungen über die Zukunft der Golfregion keine Gemeinsamkeiten aufweisen: Während Saudi-Arabien mit Syrien nach einer politischen Lösung für das Libanon-Problem suchte, unterstützte die irakische Regierung den „Befreiungskrieg“ von General Aoun gegen die syrische Präsenz durch Waffenlieferungen und durch politische Unterstützung. Der Irak gehörte zu den radikalsten Opponenten gegen das durch die saudische Vermittlung zustandegekommene Taif-Abkommen der libanesischen Parlamentarier
Der amerikanisch-palästinensische Dialog wurde von Anfang an von Saudi-Arabien unterstützt, während der Irak von Anbeginn an die Bedeutung dieses Dialogs in Frage stellte Die Wiederbelebung der territorialen Ansprüche Iraks gegen Kuwait 1988 wurde von Saudi-Arabien hingenommen, da man es nicht zu einem Bruch mit dem Irak kommen lassen wollte.
III. Die Beziehungen Saudi-Arabiens zum Irak
Nach einer siebenjährigen Spannungsphase kam es Mitte der siebziger Jahre zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen dem Irak und Saudi-Arabien. Das Ergebnis dieser Annäherung war die Unterzeichnung eines Grenzvertrags im Juli 1975.der die Aufteilung der neutralen Zone zwischen den beiden Ländern vorsah
Eine umfassende Wende in den irakisch-saudischen Beziehungen ergab sich jedoch durch drei Veränderungen in der nahöstlichen Region Ende der siebziger Jahre: — Der Separatfrieden Ägyptens mit Israel setzte der regionalen Achse Ägypten — Saudi-Arabien vorläufig ein Ende. Der Irak beanspruchte nun die Führungsrolle im arabischen Raum. Saudi-Arabien hatte keine andere Wahl, als sich mit seinem machtvollen Nachbar zu arrangieren. — Der Irak hatte schon seit der Unterzeichnung des Algier-Vertrages mit dem Schah im Zeichen seiner neuen wirtschaftlichen und außenpolitischen Orientierung begonnen, die sowjetische Politik, insbesondere den sowjetischen Einfluß in Afghanistan, Äthiopien und im Südjemen, zu kritisieren. Im Zusammenhang mit den Spannungen Saudi-Arabiens mit dem Südjemen setzte Saddam Hussein deutliche Signale für eine neue irakische Außenpolitik. „Der Sowjetunion“, verkündete er im Oktober 1979, „darf nicht erlaubt werden, auch nur einen Fußbreit saudischen Territoriums zu besetzen, denn Saudi-Arabien ist ein befreundeter Staat und Teil des arabischen Vaterlandes.“ — Das neue Regime im Iran bedrohte offen sowohl den Irak als auch Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten. Saudi-Arabien versuchte parallel zum Bündnis mit dem Irak, die Zusammenarbeit unter den arabischen Golfstaaten anzuregen.
Ein zentraler Aspekt bei dem Versuch Saudi-Arabiens eine Golfstaatengemeinschaft zu gründen, war die befürchtete negative Reaktion Irans und Iraks. Während die negative Reaktion Irans von vornherein vorausgesetzt worden war, mußten neue Spannungen mit dem Irak vermieden werden. Der Irak wurde zwar zur Außenministerkonferenz der Golfstaaten in Taif im Oktober 1979 nicht eingeladen. Saudi-Arabien beabsichtigte aber, mit der Unterzeichnung eines Abkommens mit dem Irak über die Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane beider Länder und mit informellen Konsultationen der saudischen und irakischen Streitkräfte den Irak zu beruhigen
Dem Irak seinerseits war im Zeichen der Konfrontation mit dem Iran nicht daran gelegen, die sich anbahnende Zusammenarbeit der Golfstaaten durch eine heftige Reaktion zu desavouieren oder gar seine Beteiligung als eine Conditio sine qua non für die regionale Kooperation der Golfstaaten zu machen. Dennoch versuchte er, im Zusammenhang mit der regionalen Zusammenarbeit der Golfstaaten initiativ zu werden. Im Februar 1980 verkündete der neue irakische Präsident Saddam Hussein die von den irakischen Massenmedien hochstilisierte sogenannte „Saddam-Deklaration“, die eine Grundlage für die innerarabische Zusammenarbeit sein sollte
Vor allem der zweite Punkt der Deklaration dürfte für die dem Irak gegenüber skeptischen Golfstaaten von Interesse gewesen sein: „Die Einsetzung der Streitkräfte irgendeines arabischen Staates gegen einen anderen soll verboten werden; die Streitfälle zwischen den arabischen Staaten sollen im Einklang mit den Prinzipien der gemeinsamen arabischen Zusammenarbeit und mit den höheren arabischen Interessen friedlich beigelegt werden.“
Die im Punkt vier der Deklaration enthaltene Verpflichtung der arabischen Staaten, auf die Agression einer fremden Macht gegen einen arabischen Staat mit allen „Mitteln einschließlich militärischer Aktionen“ zu reagieren, dürfte nicht der einzige Grund dafür gewesen sein, daß die Deklaration in Saudi-Arabien totgeschwiegen wurde Der Besuch Saddam Husseins in Saudi-Arabien im August 1980 hatte zwar zur Übereinstimmung der Position der beiden Staaten hinsichtlich der Ablehnung des israelisch-ägyptischen Rahmenabkommens von Camp David, der sowjetischen Intervention in Afghanistan und der Übergabe von Militärstützpunkten in der Golfregion geführt, für die Golfzusammenarbeit kamen sie aber zu keinen greifbaren Ergebnissen.
Sieben Monate nach dem Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges im April 1981 unterzeichneten die Staatsoberhäupter der sechs Golfstaaten Saudi-Arabien, Kuwait, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Katar und Bahrain in Abu Dhabi den Vertrag über die Gründung des Golf-Kooperationsrates („The Cooperation Council for the Arab States of the Gulf“). Saddam Hussein, der selbst in seiner Deklaration von 1980 eine enge arabische Zusammenarbeit gefordert hatte, kritisierte die Golfstaaten, die sich „unter Ausschluß des Irak zu einem Zeitpunkt trafen, zu dem die irakischen Truppen für das Wohl des Irak und der Golfstaaten kämpften.“
Daß die Mitgliedschaft des Irak die sozialen und politischen Strukturen des Golfrates gänzlich verändert hätte, scheint ein Teil der Erwägungen der Gründerstaaten gewesen zu sein. Aus demselben Grund wurde die Mitgliedschaft des Nordjemen nicht in Betracht gezogen. Die Mitgliedschaft Iraks hätte auch zu negativen regionalen Komplikationen insbesondere im Zusammenhang mit den saudischsyrischen Beziehungen geführt.
Darüber hinaus scheint die These nicht abwegig zu sein, daß die Staaten des Golfrats, die nach einem Modus vivendi mit dem Iran suchten, zu einem dritten Faktor im Golf werden wollten. Die Unter-Zeichnung eines Vertrags über die Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane der Golfstaaten, die Gründung einer „Rapid Deployment Force“ (schnellen Eingreiftruppe) der Golfstaaten und die Abhaltung von gemeinsamen militärischen Manövem seit 1983 waren Anzeichen dafür, daß die Golfstaaten auf dem Wege waren, selbständige Strukturen zu entwickeln und sich als kohärente Teilregion von dem regionalen System der arabischen Welt mittelfristig abzukoppeln.
Mit der Eskalation des Krieges mußten Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten ihre finanzielle und logistische Unterstützung intensivieren. Saudi-Arabien ermöglichte dem Irak seit 1985, sein Erdöl sicher über die durch Saudi-Arabien verlegte Pipeline auszuführen. Nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg 1988 versuchten Saudi-Arabien und die Golfstaaten, eine deutliche Distanz zum Irak zu gewinnen. Saudi-Arabien hat zwar im April 1988 die diplomatischen Beziehungen zum Iran als Reaktion gegen die von Teheran gelenkten Unruhen durch iranische Pilger in Mekka abgebrochen; König Fahd versuchte aber Ende 1988 durch die Einstellung der Pressekampagnen gegen den Iran eine Dialogbereitschaft zu signalisieren Es scheint, daß die gemäßigte Fraktion in der iranischen Regierung diese Geste wahrgenommen hatte
Die Golfstaaten konzentrierten nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg ihre Anstrengungen auf den Ausbau des Golfrates. Das Gipfeltreffen von Manama im Dezember 1988 sah die Ausweitung der gemeinsamen Struktur in der Verteidigungs-und Erdölpolitik vor sowie den Aufbau von gemeinsamen Industrieprojekten mit dem Ziel, einen gemeinsamen Markt zu schaffen Die Hoffnungen des Irak auf eine Beteiligung der Golfstaaten am Wiederaufbau der irakischen Wirtschaft blieben trotz Investitionserleichterungen seitens der irakischen Führung erfolglos.
Der Irak reagierte auf die Ignoranz der Golfstaaten in bezug auf seine Rolle als „Wächter der östlichen Pforte der arabischen Welt“ im Golfkrieg (wie die irakische Propagandamaschine die Rolle des Irak während des Krieges definierte) und die unerwünschte Partizipation des Irak in den Golfangelegenheiten mit einer stärkeren Annäherung an Ägypten, Jordanien und Nordjemen. Diese drei Staaten hatten den Irak während des Golfkrieges aktiv unterstützt, sie waren wie er ökonomisch angeschlagen und hatten den Sonderweg der reichen Golfstaaten mißtrauisch beobachtet. Die Gründung des „Arabischen Kooperationsrates“ nach einem Treffen Saddam Husseins mit den Staatsoberhäuptern der erwähnten drei Staaten in Bagdad am 16. Februar 1989 hatte signifikante Auswirkungen auf die Golfregion Es bestanden Zweifel, ob Saddam Husseins Ziel primär ökonomisch war. Eine wirtschaftliche Integration, wie es der Vertrag des Rates vorsah, könnte angesichts der wirtschaftlichen Situation im Irak, Ägypten und Jordanien nur langfristig spürbare Fortschritte bringen.
Wenn die Wirtschaft eine periphere Bedeutung für den Rat hatte, welche Ziele verfolgte dann Saddam Hussein mit der Gründung des Rates? Zweifellos war die Gründung des Rates ein Versuch des Irak, einer Isolation in der arabischen Welt zu entgehen. Der wichtigste Aspekt war aber die Verfügbarkeit über ein wirksames Instrument im Rahmen seiner Regionalpolitik. Die strategische Konsequenz des Arabischen Kooperationsrats war praktisch die Einkreisung Saudi-Arabiens Es ist zu vermuten, daß Ägypten, welches während des Golfkrieges die Beziehungen mit dem Irak intensivierte, sich durch die Beteiligung am Kooperationsrat ökonomische Vorteile erhoffte und keine gegen die Golfstaaten gerichtete politische Blockbildung verfolgte.
Die Normalisierung der Beziehungen der Golfstaaten mit dem Iran vor einem irakisch-iranischen Friedensvertrag stellte für den Irak eine sehr ernste Entwicklung dar. Der Irak befürchtete nicht ohne Grund, in der Golfregion isoliert zu werden. In einem Artikel in der Zeitung der herrschenden irakischen Baath-Partei unter dem Titel „Auffallende Aktionen im arabischen Golf“ wurde konstatiert: „Es kann zu einem verdächtigen Pakt mit dem Iran kommen, aber zu keiner Freundschaft, weil die arabischen Regime, die das arabische Volk herausfordern und bevormunden wollen, nicht weiter existieren werden.“ Diese unmißverständliche Warnung war vor allem an die Regierungen des Oman und der VAE gerichtet, die vor der Abhaltung des zehnten Gipfeltreffens der Golfratsstaaten geheime Sondierungen mit der iranischen Regierung über die Normalisierung der Beziehungen führten.
IV. Die saudische Reaktion auf die Kuwait-Krise
Das Verhaltensmuster der saudischen Führung in der Golfpolitik 1988— 1990 entsprach dem Charakteristikum, das Quandt in der saudischen Außenpolitik sah Er geht davon aus, daß der Stil der saudischen Politik ihre Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Saudis versuchen, die außenpolitischen Konflikte zu umgehen und sie auszusitzen, geraten aber in Panik, wenn die Probleme akut werden. Dieses Verhaltensmuster kam in den zwei Wochen zwischen den irakischen Beschuldigungen gegen Kuwait und die VAE und der Invasion deutlich zum Ausdruck. Anstatt von Anbeginn an deutlich zu reagieren, nahm die saudische Diplomatie eine äußerst zurückhaltende und ambivalente Haltung ein, die sie auch nicht aufgab, als der Irak seine Truppen an der kuwaitischen Grenze konzentrierte und der Ton der irakischen Massenmedien immer aggressiver wurde.
Saudi-Arabien hatte trotz des Nichtangriffspakts mit dem Irak von 1989 allen Grund, sich als unmittelbaren Adressaten irakischer Beschuldigungen zu sehen. Schließlich war Saudi-Arabien derjenige OPEC-Staat, der seit der ersten Energiekrise 1973 mäßigend auf die Entwicklung der Erdölpreise einwirkte. Der Irak mußte angesichts der Tatsache, daß Saudi-Arabien und die anderen arabischen Golfstaaten die irakischen Erdölkunden mit ihrem eigenen Erdöl belieferten, den Preisverfall, der u. a. durch die Überschwemmung des Marktes durch die saudische Produktionserhöhung verursacht wurde, hinnehmen. Nach dem Waffenstillstand plädierte der Irak, dessen Förderungskapazität bei 2, 5 Mio. Barrel pro Tag lag für eine strikte Einhaltung der von der OPEC festgelegten Mengen. Die von der OPEC Ende Dezember 1987 festgelegte Gesamtquote von 15, 06 Mio. Barrel pro Tag wurde schon vor dem Waffenstillstand überschritten. Für den Verfall der Erdölpreise wurde bei der OPEC-Versammlung im Juni 1989 vor allem die Überschreitung der auf 18, 5 Mio. festgelegten Gesamtquote durch Kuwait und die VAE, aber auch durch den Iran, verantwortlich gemacht Nach dem Juni-Treffen der OPEC 1989 erhöhte Saudi-Arabien seine Produktion und beharrte auf seinem Anteil von 25 Prozent der gesamten OPEC-Fördermenge mit dem Argument, daß der Markt eine größere Erdölmenge verkraften könne Das Vorhaben Saudi-Arabiens, seine Erdölproduktion, die von 1989 bis August 1990 bei ca. 5, 5 Mio. Barrel pro Tag lag, auf 8, 5 Mio. zu erhöhen, dürfte für den hochverschuldeten Irak eine akute Gefahr dargestellt haben. Die Äußerungen des kuwaitischen Erdölministers Scheich Ali al-Khalifa al-Sabah und des Erdölministers der VAE, Mani al-Utaiba, daß ihre Länder die Quote für unpraktikabel halten und die Produktion gesteigert werden müsse, wenn die Preise die Marke von 18 US-Dollar pro Barrel überschreiten, stand im krassen Widerspruch zur erklärten irakischen Politik, die für die Beibehaltung der Quotenregelung und Erhöhung der Preise eintrat Vor allem die Äußerung al-Sabahs Anfang Februar 1990, daß Kuwait seine Quote, die bei 1, 5 Mio. Barrel pro Tag lag, nicht einhalte und statt dessen 2, 5 Mio. fördere, konterkarierte die Bemühungen des Irak, seine eigene Quote zu erhöhen und die anderen arabischen Staaten zur Zurückhaltung zu bewegen.
Trotz der unterschiedlichen Positionen zur Erdöl-politik überraschte das irakische Memorandum vom 15. Juli 1990 Saudi-Arabien und die Golfstaaten. Das Memorandum war zwar an Kuwait und an die VAE gerichtet; es war aber nicht zu übersehen, daß sich die offenen Drohungen an zwei Mitglieder des Golfrats richteten, mit denen Saudi-Arabien in einem Verteidigungsbündnis steht, und somit die Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens unmittelbar berührten. Ferner waren die saudische Erdölpolitik und die saudischen Produktionserweiterungspläne das sekundäre Ziel der irakischen Vorwürfe und Beschuldigungen.
Die irakischen Drohungen nahmen keine Rücksicht auf die Position Saudi-Arabiens als Hauptmacht innerhalb des Golfrates. Diese Herausforderung war vielmehr eine Konsequenz der militärischen Stärke Iraks und der saudischen Bereitschaft, sie als Fait accompli hinzunehmen, solange die irakische Militärmaschinerie nicht gegen sie gerichtet war.
Als auch durch die Einigung der OPEC-Staaten im Juli 1990 auf einen Referenzpreis von 20 US-Dollar je Faß die Spannungen zwischen Irak und den beiden bedrohten Golfstaaten Kuwait und VAE nicht geringer wurden und die auf Vermittlung der Saudis am 31. Juli 1990 in Jiddah geführten Verhandlungen scheiterten, mußte Saudi-Arabien eine irakische Invasion in Kuwait befürchten. Die Saudis standen in einer äußerst prekären Situation. Das Übereinkommen in der Frage der Erdölpreise und die prinzipielle Bereitschaft Kuwaits, irakische Schulden zu erlassen, reichten nicht aus, um Saddam Hussein durch eine „Petro-Dollar-Scheckdiplomatie“ beschwichtigen zu können. Zudem hätte die Zustimmung Saudi-Arabiens für einen Ausgleich mit dem Irak, in dem die kuwaitische Regierung die Ansprüche und Forderungen Iraks erfüllt hätte, den Saudis den Rest ihrer Glaubwürdigkeit als „Schutzmacht“ der kleinen Golfstaaten gekostet. Saudi-Arabien und die Staaten des Golfrates wären im engeren Sinne des Wortes irakische Vasallen geworden. Der Versuch der irakischen Führung, Saudi-Arabien zur Neutralität zu bewegen, hatte keinen Erfolg. Die saudische Entscheidung, die amerikanische Regierung um Entsendung von Truppen zu bitten, entsprang nach Einschätzung der Saudis einer akuten Notwendigkeit
Die Verurteilung der irakischen Invasion in Kuwait durch Ägypten und Syrien und die Entscheidung beider Staaten zum Schutz Saudi-Arabiens Truppen zu entsenden, konnte angesichts der Übermacht des Irak kein glaubwürdiges militärisches Gegengewicht herstellen. Das saudische Hilfeersuchen an die USA war insofern essentiell für die Sicherheit des Königtums, auch wenn aus politischen Gründen ein solcher Entschluß ansonsten nicht erfolgt wäre. Aus Rücksicht auf die heftige Reaktion der radikalen arabischen Staaten hatte sich Saudi-Arabien seit 1962 stets geweigert, den USA militärische Luftbasen zur Verfügung zu stellen. In Übereinstimmung mit dem Irak stand Saudi-Arabien gegen die Präsenz ausländischer Streitkräfte in der Golfregion Sowohl der Nixon-Doktrin, die dem Iran und Saudi-Arabien die Hauptrolle in der regionalen Sicherheit gab. als auch der Carter-Doktrin, die eine amerikanische militärische Intervention bei einer Golfgefährdung vorsah. stand Saudi-Arabien ablehnend gegenüber Dem widersprach nicht die enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten im Rüstungsbereich. Es ging vielmehr um die Befürchtung, daß die Präsenz einer Supermacht — etwa durch Einräumung von militärischen Basen — die Präsenz der anderen Supermacht herbeiführen werde.
Die Invasion und Annexion Kuwaits — sowie das klägliche Scheitern der Arabischen Liga auf ihrer Tagung in Kairo am 10. August, die Krise zu lösen — machte das saudische Hilfeersuchen unvermeidlich, zumal die Saudis nach der irakischen Invasion in Kuwait weder dem Nichtangriffspakt mit dem Irak noch den irakischen Zusicherungen, Saudi-Arabien nicht zu bedrohen, Glauben schenken konnten Schließlich stellte Saddam Hussein durch die Invasion seine eigene Deklaration von 1980, die eine militärische Intervention bei innerarabischen Konflikten ablehnte, und seinen Vorschlag beim Gipfeltreffen der Staaten des „Arabischen Kooperationsrates“ in Alexandria im April 1989 in Frage.
V. Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien: Eine neue regionale Achse?
Die irakische Invasion und Annexion Kuwaits führte zu mehreren regionalen Entwicklungen. Deren Hauptergebnis ist eine tiefe Spaltung im arabischen regionalen System, in dem seit zwei Jahrzehnten kein Konsens über regionale und internationale Fragen herrscht Die Herstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen Syrien und Ägypten vor der irakischen Invasion in Kuwait und die kontinuierliche Normalisierung in den saudischsyrischen Beziehungen, die letztendlich zum Vertrag von Taif 1989 zwischen verschiedenen libanesisehen Bürgerkriegsparteien führte, schuf günstige Bedingungen für eine gemeinsame Politik der drei Staaten gegenüber dem Irak nach der Invasion.
Obwohl eine neue regionale Ordnung, auch wenn man von der gegenwärtigen Blockbildung ausgeht, vom weiteren Verlauf des Krieges abhängig ist, scheint die neue syrisch-ägyptisch-saudische Achse nicht von vorübergehender Dauer zu sein: Ägypten tendierte auch nach der Gründung des „Arabischen Kooperationsrats“ regionalpolitisch eher zu Saudi-Arabien als zum Irak. Auf dem arabischen Gipfeltreffen in Bagdad 1990 herrschte eine große Übereinstimmung in den saudischen und ägyptischen Positionen. Beide Staaten lehnten die radikalen Forderungen Saddam Husseins nach Rückzug der arabischen Gelder und einen Erdölboykott gegenüber jenen Ländern, die die „aggressive und expansionistische Politik“ Israel unterstützen, ab Ägypten, das seit 1979 mit Israel um die Rolle eines „strategischen Aktivpostens“ (Strategie asset) der amerikanischen Nahost-Politik konkurriert konnte den irakischen Radikalkurs nicht unterstützen. Vor und nach der irakischen Invasion scheiterten alle irakischen Bemühungen, Ägypten zu einer proirakischen oder einer neutralen Position zu bewegen. Eine solche Haltung hätte nicht nur zu internationalen Komplikationen, vor allem in den ägyptisch-amerikanischen Beziehungen, geführt, sondern die ökonomischen und politischen Beziehungen mit Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten beeinträchtigt. Der Schuldenerlaß durch Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten könnte der Beginn für einen finanziellen Plan zur Sanierung der ägyptischen Wirtschaft sein.
Für Syrien, das seit 1989 seine Beziehungen zu den arabischen Staaten normalisieren wollte, bot die Golfkrise eine seltene Gelegenheit, um sein Vorhaben zu forcieren. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Ägypten und die regelmäßige Zusammenkunft der Regierungsvertreter der beiden Staaten war das Grundelement der neuen syrischen Orientierung. Die Unterzeichnung eines umfassenden ökonomischen und kulturellen Vertrages mit Ägypten am 12. Dezember 1990 ließ beide Länder eng zusammenrücken -Im Zusammenhang mit der syrischen Position zur irakischen Invasion in Kuwait war die syrische Verurteilung und die Entsendung von Truppen nicht überraschend. Die lange Geschichte des Konflikts zwischen den beiden von der Baath-Partei regierten Staaten ließ keine anderen Schlußfolgerungen zu. Die saudische finanzielle Unterstützung für Syrien hat aber, angesichts der vielfältigen regionalen und internationalen Ziele, die Syrien durch die Krise für sich entscheiden will, nur sekundäre Bedeutung.
Syrien konnte im Schatten der Golfkrise den vom Irak unterstützten General Michel Aoun entmachten und somit die Autorität des libanesischen Präsidenten Elias Hrawi durchsetzen.
Die Begegnung Präsident Assads mit dem amerikanischen Präsidenten Bush am 23. September 1990 in Genf hatte ihre Bedeutung nicht nur im Zusammenhang mit der Übereinstimmung der Positionen der beiden Staaten zur Golfkrise und zur Situation im Libanon; von Syrien wurde die Begegnung auch als Anerkennung der syrischen Rolle als einer der Hauptakteure in der nahöstlichen Politik gewertet
Die intensiven politischen Konsultationen zwischen Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien seit der neuen Golfkrise und zumal seit dem Beginn des Krieges, ferner der Koordinationsausschuß, der die drei Außenminister dieser Staaten umfaßt und in regelmäßigen Abständen tagt, sowie die im Rahmen des ägyptisch-syrischen Vertrages vom Dezember 1990 vorgesehenen Treffen der Ministerpräsidenten beider Länder liefern den Grund für die Annahme, daß die drei Staaten die Notwendigkeit einer neuen regionalen Zusammenarbeit ähnlich einschätzen. Dabei geht Saudi-Arabien davon aus, daß sich in den achtziger Jahren entstandene regionale Zusammenschlüsse wie der Golfkooperationsrat und der Arabische Kooperationsrat hinsichtlich der Sicherheit der arabischen Staaten nicht bewährt haben
Obwohl die saudische Auffassung nicht von der Hand zu weisen ist, ignoriert sie die Tatsache, daß die Ziele, auch die Sicherheitsziele, dieser regionalen Gruppierungen partikularistisch waren. Die arabische Sicherheit wurde keineswegs als eine Ganzheit konzipiert. Im Fall des Golfkooperationsrates war — wie die neue Golfkrise zeigte — der Versuch der reichen Ölstaaten, sich von den Konflikten der arabischen Welt abzukoppeln, unrealistisch. Der Arabische Kooperationsrat entstand als Reaktion auf den Golfrat und dient primär den regionalen Hegemoniebestrebungen des Irak. Der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak bezeichnete ihn im nachhinein als „Arabischen Konspirationsrat“
Das elfte Gipfeltreffen der Staaten des Golfrates Ende Dezember 1990 räumte der Zusammenarbeit mit Ägypten und Syrien in der Sicherheitsfrage eine besondere Bedeutung ein. Die saudische, ägyptische und syrische Sicherheitskooperation soll die Verteidigungsanstrengungen des Golfrats ergänzen. Die Sicherheitspolitik soll nach Beschlüssen des Golfrats durch ein umfassendes Entwicklungsprogramm für die wirtschaftlich schwachen arabischen Staaten flankiert werden Eine ständige Wirtschaftskommission soll die Kooperation Ägyptens mit den Golfstaaten voranbringen.
Mit diesen Beschlüssen rückt der Golfrat von seiner bisherigen Sicherheitspolitik ab, die nur die Golfregion umfaßte. Die Kuwait-Krise machte unmißverständlich deutlich, daß die Golfsicherheit von einem neuen arabischen Sicherheitskonzept abhängig ist. Dieses Sicherheitskonzept kann, worauf der ehemalige ägyptische Verteidigungsminister und der jetzige Sicherheitsberater Mubaraks, Muham-telfristig realisiert werden Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien hatten vor Ausbruch des Krieges am 16. Januar 1991 alles versucht, Saddam Hussein für eine friedliche Lösung durch den Abzug seiner Truppen aus Kuwait zu gewinnen. Sollte dies nicht gelingen, hielten sie einen Waffengang für unvermeidbar Die Erklärung der Außenminister der drei Staaten auf ihrem vierten Treffen nach Ausbruch der Krise am 6. Januar 1991 in Riyad bestand auf dem bedingungslosen und vollständigen Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait Vor allem für Saudi-Arabien hätte der Abzug aus Kuwait aber keine Abwendung der irakischen Bedrohung bedeutet. Eine glaubwürdige Sicherheit wäre nur durch eine Präsenz amerikanischer Truppen in einer angemessenen Stärke oder der Stationierung ägyptischer und möglicherweise syrischer Truppen denkbar. Beide Möglichkeiten sind mit Mängeln behaftet.
Die Abhängigkeit Saudi-Arabiens von amerikanischen Truppen könnte die Legitimation des saudischen Systems in Frage stellen Aus diesem Grunde schlossen sowohl die amerikanische als auch die saudische Regierung eine längere Präsenz der amerikanischen Truppen in Saudi-Arabien aus
Die Stationierung ägyptischer Truppen zusammen mit Verteidigungsanstrengungen der Golfstaaten könnte erst nach Beendigung des Krieges in die Tat umgesetzt werden. Es ist allerdings kaum vorstellbar, daß der Irak, im Falle eines Truppenrückzugs, ein gegen ihn gerichtetes Sicherheitssystem akzeptiert hätte.
Auch wenn Saudi-Arabien und seine arabischen Verbündeten die militärische Option für sehr wahrscheinlich hielten, barg der Krieg von Anfang an kaum kalkulierbare Gefahren. Schon zwei Tage nach Ausbruch des Krieges versuchte Saddam Hussein durch die Raketenangriffe auf Israel, einen Gegenangriff zu provozieren, um den Konflikt auszuweiten und die Allianz zu spalten -Diese Befürchtung ist, trotz der von der amerikanischen Regierung veranlaßten Zurückhaltung Israels, nicht völlig abgewendet. Saddam Husseins Versuch der Mobilisierung der arabischen Bevölkerung zeigte in Syrien und Ägypten bislang keine systemgefährdende Wirkung. In Ägypten stellten sich neben den fundamentalistischen Untergrundorganisationen lediglich die neofundamentalistische „Sozialistische Arbeitspartei“ bedingungslos an die Seite Saddam Husseins.
Die Formierung einer proirakischen Bewegung in Syrien ist dagegen unvorstellbar. Vor dem Hintergrund des syrisch-irakischen Konflikts würde eine solche Bewegung die Legitimation des syrischen Staates in Frage stellen. Die Auffassung der syrischen Regierung, daß sie nicht bereit sei, an einem Krieg gegen Israel teilzunehmen, an dessen Vorbereitung sie nicht beteiligt sei, zeugt von einer realistischen Beurteilung der militärischen Lage. Zudem riskiert Syrien, im Falle eines Frontenwechsels, seine aufgrund der Krise gewachsene Machtposition in der Region. Unabhängig von der weiteren Entwicklung des gegenwärtigen Konfliktes muß davon ausgegangen werden, daß das Bündnis zwischen Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien in der Nachkriegszeit aus sicherheitspolitischen und ökonomischen Gründen gefestigt wird.