I. Einführung
Die irakische Invasion, Okkupation und versuchte Annexion des kleinen Scheichtums Kuwait hat einen internationalen Aufschrei provoziert, wie ihn die Welt seit den Eroberungen Nazi-Deutschlands in dieser Einstimmigkeit nicht mehr erlebt hat. Nicht nur vor dem Hintergrund der Entwicklung in Europa, sondern auch angesichts der Entschärfung zahlreicher regionaler Konflikte unter wesentlicher Mitwirkung der USA und der UdSSR erscheint dabei sogar der inflationäre Gebrauch von Superlativen gerechtfertigt. Seit dem Bestehen der Vereinten Nationen (UN) hat es keinen Fall gegeben, in dem ein Mitgliedsstaat in vergleichbarer Weise den Versuch unternommen hat, ein anderes UN-Mitglied derart brutal und in eklatanter Mißachtung sämtlicher Normen des zwischenstaatlichen Umgangs auszulöschen 2). Dieser Versuch der Auslöschung eines ganzen Staates ist so außergewöhnlich, daß wir, wie kürzlich angemerkt wurde, noch nicht einmal über einen passenden Begriff verfügen, um diesen Vorgang zu beschreiben 3).
Bereits heute steht fest, daß die Kuwait-Krise einen bedeutsamen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte darstellt. Vor dem geschichtlichen Hintergrund der vergangenen vier Jahrzehnte sind dabei vor allem zwei Veränderungen bemerkenswert, die weitreichende Folgen haben werden. Diese Veränderungen betreffen 1. die in diesem Ausmaß völlig unerwartete Bereitschaft und Fähig
Bereits heute steht fest, daß die Kuwait-Krise einen bedeutsamen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte darstellt. Vor dem geschichtlichen Hintergrund der vergangenen vier Jahrzehnte sind dabei vor allem zwei Veränderungen bemerkenswert, die weitreichende Folgen haben werden. Diese Veränderungen betreffen 1. die in diesem Ausmaß völlig unerwartete Bereitschaft und Fähigkeit der beiden ehemaligen Kontrahenten USA und UdSSR, zusammenzuarbeiten, und 2. die Tatsache, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor allem dank der Kooperationsbereitschaft aller ständigen Mitglieder in dieser Form erstmals in seiner Geschichte als Instrument kollektiven Krisenmanagements zur Geltung kam.
In diesem Beitrag soll ein erster Versuch unternommen werden, kurz jene Aspekte der Kuwait-Krise zu skizzieren, die in weltpolitischer Perspektive nicht nur ungewohnt anmuten, sondern mittel-und langfristig besonders bedeutsam sein könnten. Zu diesem Zweck soll es hier weniger darum gehen, einen chronologischen Überblick über das Verhalten der Akteure (USA, UdSSR oder UN) zu geben, als vielmehr darum, durch eine detailliertere Analyse von entscheidenden Wendepunkten in der Kuwait-Krise darzulegen, was sich am Verhalten der beiden Weltmächte und der Vereinten Nationen geändert hat und worin möglicherweise die Implikationen für die zukünftige Weltordnung bestehen.
II. Die Kuwait-Krise, die Weltmächte und die Vereinten Nationen
1. Beschwichtigung statt Abschreckung Worin die tieferen Ursachen und die unmittelbaren Anlässe für die irakische Invasion am 2. August 1990 gelegen haben könnten, wird die Politikwissenschaft ohne Zweifel noch eine Weile beschäftigen und soll hier auch nicht im Detail untersucht werden. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist allerdings ein Aspekt der Kuwait-Krise von besonderer Bedeutung, weil sich darin möglicherweise eines der zentralen Probleme regionaler Sicherheit in den neunziger Jahren andeutet: Das Versagen der betroffenen Regionalorganisation, der Arabischen Liga, den Konflikt zwischen Kuwait und dem Irak auf diplomatischem Wege beizulegen sowie entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um für eine gewaltsame Aktion seitens des Irak gerüstet zu sein.
Richtig ist gewiß, daß es eine unzulässige Verkürzung darstellen würde, die irakische Invasion in Anlehnung an Clausewitz einzig und allein als „Resultat zweckrationaler Entscheidungen“ Saddam Husseins zu charakterisieren, denen sein Streben nach „kuwaitischem Öl“ zugrunde liege Es hieße allerdings, die erfahrungswissenschaftliche Beschäftigung mit Kriegsursachen ad absurdum zu führen, wenn wir uns mit einer Erklärung „in der Denkweise Tolstois“ zufrieden geben würden, die auf die Kuwait-Krise übertragen angeblich darin bestünde, daß die Besetzung Kuwaits durch die Iraker nur als „ein einzelnes, zwar unrechtmäßiges, für sich genommen aber nicht sonderlich bedeutsames Glied in einer Kette von internationalen und trans-nationalen Handlungen“ zu charakterisieren wäre, die eigentliche Bedeutung der irakischen Aggression aber darin liege, daß sie „das Scheitern der internationalen Politik in dieser Region an den Anforderungen des Friedens hat unerträglich deutlich werden lassen“ -
Was wir aufgrund unseres heutigen (gewiß begrenzten) Erkenntnisstandes über Ursachen und Anlässe der irakischen Invasion in Kuwait aussagen können, ist bedeutend mehr, als hier suggeriert wird. Nach heutigem Erkenntnisstand scheint sicher, daß der Entscheidung zur Invasion in der Tat eine gewisse „Zweckrationalität“ zugrunde lag. Die territorialen Ansprüche des Irak gegenüber Kuwait waren seit Jahrzehnten bekannt. Nach der Invasion haben sich auch die Hinweise verdichtet, daß Saddam Hussein die Annexion Kuwaits (und aller Wahrscheinlichkeit nach auch eines Teils Saudi-Arabiens) schon seit mehreren Jahren ins Auge gefaßt und nicht nur seine Armee gezielt darauf vorbereitet hatte, sondern auch bereits Absprachen mit verbündeten arabischen Staaten getroffen waren, wie die Beute aufzuteilen sei. Arabische und amerikanische Geheimdienstexperten behaupten, daß sie über „zwingende Beweise“ verfügen, daß Saddam Hussein die Besetzung Kuwaits sowie die anschließende Eroberung der Ölfelder im Osten Saudi-Arabiens seit mindestens zwei, möglicherweise aber auch seit fünf Jahren geplant und mehrere Male in Manövern geübt hat
Daß Saddam Hussein seine Pläne erst im Sommer 1990 zu verwirklichen versuchte, hatte mehrere Gründe. Das regionale Gleichgewicht der Kräfte, das sich seit dem Ende des Iran-Irak-Krieges zügunsten des Irak verschoben hatte, schien sich nach dem für Saddam nur scheinbar erfolgreichen arabischen Gipfeltreffen in Bagdad im Mai 1990 zu Lasten des Irak zu verändern Ägypten und Syrien waren bemüht, alte Differenzen beizulegen. Iran und Kuwait signalisierten erstmals seit der Konfrontation in der Endphase des Golf-Krieges, daß ihnen an einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen gelegen war, Saudi-Arabien unternahm größere Anstrengungen, sein Waffenarsenal aus amerikanischen Beständen aufzustocken, und die im Golfkooperationsrat zusammengeschlossenen Staaten waren stärker denn je bemüht, die militärische Zusammenarbeit zu intensivieren. Kurzum, die Einschätzung, daß Bagdad die Golfanrainerstaaten „allmählich dem eisernen Griff entgleiten“ die alten Rivalen innerhalb der arabischen Welt sich einander annähem, und sich selbst angesichts der finanziellen Belastungen infolge des Krieges mit dem Iran immer weniger in der Lage sah, mit den reicheren Nachbarstaaten im Rüstungswettlauf mitzuhalten, ist durchaus plausibel. Trotz dieser Konstellation kam die Zuspitzung des Konflikts zwischen Kuwait und Irak Mitte Juli für die meisten Beobachter unerwartet. Sie begann mit der Forderung der irakischen Führung, daß die Kuwaitis nicht nur ihre umfangreichen finanziellen Forderungen an den Irak aus der Zeit des Iran-Irak-Krieges gleichsam als Schutzgebühr abschreiben, sondern darüber hinaus auch Ersatz für die angeblich durch kuwaitische Überproduktion verursachten Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe sowie für „gestohlenes Öl“ aus dem im irakisch-kuwaitischen Grenzgebiet gelegenen Ölfeld Rumailah leisten müßten. Das kuwaitische Verhalten, so die massivste Anschuldigung, gleiche einer „militärischen Aggression“ gegen den Irak Diese unverhüllte Drohung wurde durch einen massiven Aufmarsch von irakischen Truppen an der Grenze zu Kuwait untermauert Da diese Truppen jedoch bis Ende Juli laicht über die für eine Invasion notwendige logistische Unterstützung verfügten sahen die meisten Nachrichtendienste und nahezu sämtliche andere Experten im irakischen Aufmarsch lediglich eine Drohgebärde, die primär dem Ziel diene, den Preis, den die kuwaitische Führung zu entrichten hätte, in die Höhe zu treiben. Im schlimmsten Fall, so die weit verbreitete Einschätzung, würde Saddam Hussein ein kleines Stück kuwaitischen Territoriums besetzen
In dieser angespannten Situation kam aus Saddams Sicht begünstigend hinzu, daß nicht nur die wichtigsten arabischen Staaten (d. h. vor allem Ägypten und Saudi-Arabien, aber auch der Gegner Kuwait selbst), sondern auch die USA bereit waren, seine Definition des Konflikts als einer innerarabischen „Familienangelegenheit“ zu übernehmen. Saudi-Arabien, Ägypten und Kuwait wollten wie Saddam selbst bis zuletzt jegliche Einmischung nicht-arabischer Akteure verhindern Da sie davon ausgingen, daß sich auch diese Krise durch Gespräche, kuwaitische Dinare und Appelle an die pan-arabische Solidarität beilegen lassen würde, wurde eine Beschwichtigungsstrategie als letztlich aussichtsreicher eingeschätzt als eine Strategie der Abschrekkung — dies vor allem deshalb, weil allein der Patron des zionistischen Erbfeindes Israel, die USA, die Rolle der Garantiemacht in diesem innerarabischen Konflikt übernehmen konnte Die kuwaitische Herrscherfamilie Sabah, die es mit ihrer geschickt angelegten „Dinar-Diplomatie“ in den vorausgegangenen Jahrzehnten immer wieder verstanden hatte, sich entweder „mehr Freunde oder bessere Abschreckung“ zu kaufen wurde in diesem Fall zum Opfer ihrer eigenen Überheblichkeit.
Die Appelle zur Zurückhaltung fanden bei den wichtigsten Entscheidungsträgern der Bush-Administration fast bis zuletzt Unterstützung. Zwar waren jene Stimmen nie ganz verstummt, die vor dem unberechenbaren Diktator Saddam Hussein warnten, aber sie blieben im Entscheidungsprozeß zumeist außen vor. Die Irak-Perzeption der Administration folgte weitgehend der Einschätzung jener Experten, die Saddam Husseins Außenpolitik nach dem teuren Golfkrieg auf lange Sicht durch „Mäßigung und Pragmatismus“ geprägt sahen Als sich der Konflikt zwischen Irak und Kuwait im Juli zuspitzte, beschränkte sich die US-Regierung — ähnlich wie die Sowjetunion — vor allem auf Appelle, den Konflikt durch Verhandlungen beizulegen. Die Signale, die die Bush-Administration zwischen Mitte Juli und Anfang August an Saddam Hussein sandte, waren zwar insgesamt weder einheitlich auf Beschwichtigung angelegt noch in allen Nuancen stimmig aber die wahrscheinlich entscheidenden Botschaften mußten doch den Eindruck vermitteln, daß die USA nicht zugunsten Kuwaits militärisch intervenieren würden. Besonders bedeutsam war in diesem Zusammenhang ein kurzfristig arrangiertes Treffen zwischen der US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, und Saddam Hussein am 25. Juli. Dabei machte Saddam Hussein nicht nur deutlich, daß er alle Mittel einsetzen würde, um der „kuwaitischen Aggression“ zu begegnen, er warnte die USA darüber hinaus auch unverblümt, sich nicht einzumischen, weil die USA „ 10 000 Tote in einer Schlacht“ nicht verkraften würden und ein leichtes Ziel für terroristische Angriffe wären. Statt diese Drohung zurückzuweisen betonte die US-Botschafterin, daß die US-Regierung zum irakisch-kuwaitischen Konflikt „keine Meinung“ habe, daß Präsident Bush die Beziehungen mit dem Irak verbessern wolle und seine Administration nicht (wie vom Kongreß gefordert) beab-sichtige, Sanktionen gegen den Irak zu verhängen
Als sich ab dem 29. Juli die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse verdichteten, daß die irakische Mobilisierung nicht mehr nur als bloße Drohgebärde abgetan werden konnte war es bereits zu spät. Zwar wurde noch am 1. August der ins Außenministerium zitierte irakische Botschafter gewarnt, daß der Konflikt „friedlich geregelt werden muß“ diese Warnung konnte die Invasion allerdings nicht mehr aufhalten. 2. Die Formierung und Festigung der Anti-Saddam-Koalition Mit dem Einmarsch seiner Truppen in Kuwait in den frühen Morgenstunden des 2. August war Saddam ein Coup gelungen, der sogar den vielfach gerühmten Überraschungseffekt übertraf, den die ägyptisch-syrische Allianz mit ihrem Angriff auf Israel zu Beginn des Oktober-Krieges 1973 erzielt hatte. Dank der eindeutigen Überlegenheit seiner Streitkräfte gelang ihm auch, was den Arabern im Oktober-Krieg und ihm selbst im September 1980 nach seinem Einfall im Iran mißlungen war: seine potentiellen Gegner innerhalb weniger Stunden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wie immer in einer Situation, in der die Abschreckung versagt hatte (oder, was in diesem Fall zutreffender ist: in der sie erst gar nicht ernsthaft als Strategie erwogen wurde), hatte sich der Aggressor die beste aller Ausgangssituationen gesichert. Die Last der Entscheidung oblag nunmehr den Opfern: sollten sie die neue Lage akzeptieren oder ernsthaft versuchen, den Status quo ante wiederherzustellen, d. h.den Konflikt ihrerseits politisch-militärisch zu eskalieren?
Die arabischen Gegner des Irak und die Bush-Administration entschieden sich für die Eskalation. Diese Grundsatzentscheidung war zu Beginn zwar insofern vor allem defensiv motiviert, als das befürchtete weitere Vordringen der irakischen Armee nach Saudi-Arabien verhindert werden sollte. Sie beinhaltete aber auch schon in dieser Anfangsphase die Keimzelle ihrer späteren Ausweitung im Sinne einer offensiven Zielsetzung.
Bereits in den frühen Morgenstunden des 2. August, d. h. nur etwa zehn Stunden nach dem Einfall der irakischen Truppen, trat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf kuwaitischen und amerikanischen Antrag zu einer Sondersitzung zusammen. Dabei stellte er unter Bezugnahme auf Kapitel VII der UN-Charta einstimmig und für alle UN-Mitglieder völkerrechtlich verbindlich fest, daß die irakische Invasion „einen Bruch des internationalen Friedens und der Sicherheit“ darstelle. Er verurteilte die Invasion, bestand darauf, daß der Irak alle seine Truppen „umgehend und bedingungslos“ aus Kuwait zurückziehe, forderte Kuwait und Irak auf, die bestehenden Differenzen durch die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen beizulegen und entschied, „weitere Schritte“ ins Auge zu fassen, um die Durchführung dieser Resolution zu erreichen Nie zuvor in der Geschichte der Vereinten Nationen waren die Mitglieder des Sicherheitsrates derart schnell übereingekommen, solch weitreichende Entscheidungen zu treffen
Der Tag der irakischen Invasion Kuwaits war zufälligerweise auch der letzte Tag bilateraler Gespräche zwischen den Außenministern der USA und der UdSSR im sibirischen Irkutsk. Äußerungen Schewardnadses zufolge waren beide Seiten vor dem Bekanntwerden des irakischen Einmarsches nur kurz auf die Situation an der Grenze zwischen Irak und Kuwait eingegangen. Baker sei angesichts der irakischen Truppenkonzentrationen sehr besorgt gewesen, während Schewardnadse zu diesem Zeitpunkt — nach eigenen Angaben — eine weitere Verschlechterung der Lage „nahezu ausgeschlossen“ habe Als beide Außenminister kurz vor Beendigung ihrer offiziellen Gespräche gegen 11. 10 Uhr Ortszeit eine erste Nachricht über den irakischen Einmarsch erreichte, verschob Baker seinen Abflug in die Mongolei um etwa 40 Minuten, um mit seinem Amtskollegen die neue Situation zu besprechen. Dabei soll Baker darauf gedrungen haben, daß die Sowjetunion ihre Waffenlieferungen an den Irak einstelle. Aufgrund der unsicheren Informationslage zu diesem Zeitpunkt kamen beide Seiten jedoch lediglich überein, sich möglicherweise kurzfristig ein zweites Mal zu treffen, falls sich die Situation verschlechtere
Nachdem das ganze Ausmaß der irakischen Invasion in Kuwait offenbar geworden war, trafen beide Staaten zusätzlich zur Verurteilung durch die Vereinten Nationen eine Reihe von unilateralen Sanktionsmaßnahmen gegen den Irak. Das sowjetische Außenministerium ließ bereits am Nachmittag des 2. August verkünden, daß die Sowjetunion sämtliche Waffenlieferungen an den Irak eingestellt habe Im Verlauf des Tages kamen die USA und die Sowjetunion überein, daß Außenminister Baker seinen Besuch in der Mongolei abkürzen und auf dem Rückflug eine kurze Zwischenlandung in Moskau einlegen würde, um mit Schewardnadse das weitere Vorgehen in der Kuwait-Krise zu koordinieren Auf amerikanischen Vorschlag verabschiedeten beide Seiten bei diesem Treffen eine gemeinsame Erklärung, in der sie „den ungewöhnlichen Schritt“ bekannt gaben, „gemeinsam den Rest der internationalen Staatengemeinschaft aufzufordern, zusammen mit uns sämtliche Waffenlieferungen an den Irak einzustellen“. Es reiche nicht aus, so die beiden Außenminister, die irakische Aggression zu verurteilen. Vielmehr müßten die UN-Resolution 660 „vollständig und umgehend implementiert“ und darüber hinaus „praktische Schritte“ unternommen werden, um „diese ekla-tante Verletzung der grundlegenden Normen zivilisierten Verhaltens“ rückgängig zu machen Ähnlich wie im Falle der schnellen Verständigung über die UN-Resolution stellte auch diese gemeinsame amerikanisch-sowjetische Erklärung ein Novum dar. Dies wurde von beiden Seiten mehrfach hervorgehoben. Besonders bemerkenswert war die Tatsache, daß die Sowjetunion dem harschen Wortlaut der Erklärung zustimmte und ein völliges Waffenembargo über jenen Irak verhängte, dem gegenüber sie durch einen weiterhin gültigen Vertrag zu „unverbrüchlicher Freundschaft“ und „umfassender Zusammenarbeit“ (gerade auch im Verteidigungssektor) verpflichtet war; einem Vertrag, in dem beide Seiten einander zugesichert hatten, sich nicht an „Aktionen oder Maßnahmen“ zu beteiligen, die gegen die andere Vertragspartei gerichtet sind Gerade diese vertraglichen Verpflichtungen hatten es der sowjetischen Führung nicht leicht gemacht, ein Waffenembargo zu verhängen. Ganz im Gegenteil, angesichts langjähriger Beziehungen sei dies, so Schewardnadse vor der Presse, „eine recht schwierige Entscheidung“ gewesen. Die Sowjetunion habe sich jedoch „gezwungen“ gesehen, diese Maßnahmen zu ergreifen, weil „diese Aggression weder mit den Prinzipien des neuen politischen Denkens noch mit den Prinzipien des zivilisierten Umgangs zwischen Nationen vereinbar ist“ Befragt, ob Schewardnadse und Baker auch über eine mögliche „militärische Intervention“ gesprochen hätten, antwortete der sowjetische Außenminister, daß die Sowjetunion „über keinerlei Pläne dieser Art“ verfüge und auch die USA nach seinem Verständnis „zum jetzigen Zeitpunkt keine derartigen Pläne“ haben
Präsident Bush hatte in der Tat am 2. August zuerst angedeutet, daß er eine militärische Reaktion nicht in Betracht ziehen würde, schon am darauffolgenden Tag aber mehrere Male hervorgehoben, daß seine Administration keine Option ausschließe Bereits am 4. August, also unmittelbar nach Bakers Rückkehr, entschied er nach Rücksprache mit seinen engsten Beratern und trotz starker Bedenken der militärischen Führung, daß das Pentagon alle Vorbereitungen für die Entsendung von US-Truppen nach Saudi-Arabien treffen solle. Die entsprechenden Befehle wurden in der Nacht zum Montag nach zahlreichen persönlichen Telephongesprächen Bushs mit verbündeten Regierungschefs vorbereitet und am Montag ausgegeben. Am Dienstag wurden die ersten Truppen nach Saudi Arabien entsandt Parallel zur Entsendung der amerikanischen Truppen verabschiedete der Sicherheitsrat eine zweite Resolution, in der ein für alle Staaten verbindliches Embargo über den Irak und das besetzte Kuwait verhängt wurde
Mit der Entsendung amerikanischer Truppen und mit der zweiten weitreichenden Resolution des Weltsicherheitsrates waren innerhalb einer Woche nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait die entscheidenden Parameter gesetzt. Durch die Verabschiedung dieser Resolutionen hatten sich die Vereinten Nationen allerdings auch unter beträchtlichen Erfolgszwang gesetzt, denn anders als in den unzähligen internationalen Krisensituationen in den vorangegangenen Jahrzehnten hatten sich die Mitglieder des Sicherheitsrates nicht auf unverbindliche Empfehlungen, sondern auf einen völkerrechtlich verbindlichen Forderungskatalog und entsprechende Zwangsmaßnahmen festgelegt. Wenn diese Krise, so die von zahlreichen Diplomaten vertretene Auffassung, ein neues Zeitalter einläuten sollten, in dem die Vereinten Nationen die ihr ursprünglich zugedachte friedenserhaltende Führungsrolle in der internationalen Politik ausübten, dann dürfe der sich in den UN-Resolutionen manifestierende politische Wille der internationalen Staatengemeinschaft nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, daß der Sicherheitsrat nicht durch begleitende Maßnahmen sicherstellt, daß seine Entscheidungen auch tatsächlich durchgesetzt werden würden.
In dieser Entscheidungssituation kam den Vereinigten Staaten eine herausragende Bedeutung zu. Die Bush-Administration hatte durch die Entsendung von Truppen und durch öffentliche Erklärungen frühzeitig deutlich gemacht, daß sie den Druck auf Saddam Hussein soweit erhöhen wollte, daß dieser sich aus Kuwait zurückzieht. Schon wenige Tage nach Verhängung der Sanktionen durch den Sicherheitsrat verkündete der US-Außenminister, daß die USA einer formellen Bitte der kuwaitischen Regierung entsprechen werde und alle Schiffe, die unter dem Verdacht stünden, die UN-Sanktionen zu unterlaufen, „mit den notwendigen und angemessenen Mitteln“ stoppen würde Obgleich dies unter Berufung auf das Recht zur „individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“ nach Artikel 51 der UN-Charta zulässig war, hatte die Bush-Administration mit der Ankündigung dieser unilateralen Maßnahme ein unübersehbares Zeichen gesetzt, daß sie im Ernstfall nicht bereit sein würde, die Implementierung der aus ihrer Sicht gebotenen Strategie den Erfordernissen einer multilateralen Abstimmung im Weltsicherheitsrat unterzuordnen
Die heftigen Proteste der engsten Verbündeten und der Sowjetunion, daß der von den USA eingeschlagene Weg den gerade erst neu begründeten Konsens der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen der Vereinten Nationen aufs Spiel setzen würde führte jedoch schon wenige Tage später zu einer Korrektur der amerikanischen Politik. Zwar ließ die Bush-Administration nicht von ihrem Ziel ab, die Sanktionsmaßnahmen notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen, aber sie erklärte sich nunmehr zumindest bereit, durch Sondierungen im Weltsicherheitsrat zu prüfen, inwieweit diese Vorgehensweise durch die Vereinten Nationen legitimiert werden könnte Der Bush-Administration war dabei vor allem daran gelegen, daß die sowjetische Führung diesem Kurs explizit zustimmte, da dies einerjeden Resolution ein Höchstmaß an internationaler Legitimation verleihen würde. Ähnlich wie Anfang August erwies sich auch in dieser Situation das „neue Verhältnis“ zwischen beiden Weltmächten als wichtigster Hebel im Machtkalkül der Bush-Administration Obgleich die sowjetische Führung (wie zahlreiche andere Mitglieder des Sicherheitsrates) zuerst abwarten wollte, ob die Sanktionen tatsächlich in einem Maße unterlaufen werden würden, daß militärische Mittel gerechtfertigt wären, stimmte sie einer abgemilderten Version der Resolution nach intensiver „Telephon-Diplomatie“ zwischen den Außenministern Baker und Schewardnadse und weiteren ergebnislosen Gesprächen und Notenwechseln mit der irakischen Führung zu.
Die Resolution 665 des Sicherheitsrates ist ein Meilenstein in der 45jährigen Geschichte der Vereinten Nationen Erstmals wurde der Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung von Sanktionen autorisiert, allerdings ohne daß die Vereinten Nationen selbst die Zwangsmaßnahmen unter ihrer Flagge bzw. unter ihrem Kommando vollstreckten. Obwohl die Resolution in dieser Hinsicht eindeutig war, ließ sie doch genügend Interpretationsspielraum für jene Staaten, die sich nicht allzu deutlich mit der Anwendung von Gewalt identifizieren wollten. Zwar wurden jene Staaten der Anti-Saddam-Koalition, die im Persischen Golf Seestreitkräfte disloziert hatten (in erster Linie also die USA), ermächtigt, „angemessene“ Maßnahmen zu ergreifen, um die Sanktionsbeschlüsse durchzusetzen, andererseits wurde aber auch die Notwendigkeit hervorgehoben, daß die vorangegangenen UN-Resolutionen „mit einem maximalen Einsatz von politischen und diplomatischen Mitteln“ durchgesetzt und die zentrale Kontrollfunktion des Sicherheitsrates durch die Reaktivierung des Militärischen Stabskomitees gestärkt werden sollte
Die politische Dimension der Resolution wurde durch eine Vermittlungsinitiative von UN-Generalsekretär Perez de Cuellar akzentuiert, die am Tage nach der Verabschiedung der Resolution veröffentlicht wurde Da die Bemühungen des höchsten UN-Repräsentanten jedoch ergebnislos verliefen, galt auch in den folgenden Wochen das Hauptinteresse der internationalen Öffentlichkeit den beiden Weltmächten. Als weitere symbolische Geste zur Unterstreichung der neuen Qualität der bilateralen Beziehungen vereinbarten die Präsidenten Bush und Gorbatschow, kurzfristig zu einem Gipfeltreffen zusammenzutreffen, bei dem die irakische Aggression zentraler Tagesordnungspunkt sein sollte. Im Vorfeld des Treffens wurde bekannt, daß die Bush-Administration der sowjetischen Führung weitreichende Wirtschaftshilfe für den Fall angeboten hatte, daß sie ihre noch im Irak verbliebenen Militärs abziehen und sich mit einem eigenen Truppenkontingent an der multilateralen Streitmacht im Golf beteiligen würde Beim Gipfeltreffen zwischen Bush und Gorbatschow am 9. September in Helsinki wollte die sowjetische Führung diesen beiden Anliegen zwar nicht entsprechen, aber Gorbatschow erklärte sich bereit, in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten notfalls weitere Zwangsmaßnahmen im Einklang mit der UN-Charta zu ergreifen, wenn die bereits verabschiedeten Resolutionen nicht vollständig implementiert würden Die Tatsache, daß Gorbatschow in seinen Unterredungen mit Bush nicht darauf bestanden hatte, eine militärische Option explizit auszuschließen, wurde von US-Außenminister Baker als Signal gewertet, daß die Sowjetunion am Ende auch bereit sein würde, dieses letzte Mittel zu unterstützen, wenn die Sanktionen und diplomatischen Initiativen nicht zum Ziel führen würden
Für Gorbatschow und seinen Außenminister stellten die im Gemeinsamen Kommunique enthaltenen Forderungen weitreichende Zugeständnisse an die US-Position dar. Vor dem Hintergrund zunehmender Differenzen zwischen Gorbatschow, Schewardnadse und einigen wenigen Reformern auf der einen und dem Apparat des sowjetischen Außenministeriums sowie weiter Teile der sowjetischen Streitkräfte auf der anderen Seite waren diese Zugeständnisse umso bemerkenswerter. Auf der Haben-Seite konnten die Sowjets jedoch auch auf einige Zugeständnisse der US-Administration verweisen, denn nach Jahrzehnten heftigster Rivalität im Nahen und Mittleren Osten gestand ein US-Präsident der Sowjetunion nicht nur erstmals ein Mitspracherecht in allen die Region betreffenden Fragen zu. Bush willigte darüber hinaus auch in die Forderung Gorbatschows ein. daß nach der ständigen Erhöhung des politischen Drucks auf die irakische Führung in den vorangegangenen Wochen nunmehr eine Pause eingelegt und intensiv nach diplomatischen Lösungen gesucht werden müßte
Die beiden Monate zwischen dem Helsinki-Gipfel und der Entscheidung der Bush-Administration Anfang November, von einer defensiven zu einer offensiven Strategie überzugehen, brachten die Krise um Kuwait einer Lösung nicht näher, obgleich (oder: gerade weil) sich zahlreiche Vermittler aus den verschiedensten Staaten auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung nach Bagdad begaben. Wiederholte Meldungen, daß Saddam Hussein bereit sei, Zugeständnisse zu machen, wurden häufig schon nach wenigen Stunden von irakischer Seite dementiert. Diese Art der öffentlichen Brüskierung mußte sich auch die Sowjetunion gefallen lassen, als sie Mitte und Ende Oktober einen engen Berater Gorbatschows nach mehrtägigen Vermittlungsbemühungen in Bagdad zweimal mit leeren Händen nach Moskau zurückkehren sah Der sich verstärkende Eindruck, daß Saddam Hussein diese Vermittlungsversuche als ein Zeichen der Schwäche auslegte, und neue Geheimdienstinformationen, daß die irakische Führung gezielt versuchte, den (falschen) Eindruck zu erzeugen, daß die Sanktionsmaßnahmen zu wirken begannen, um dadurch einen Angriff der Anti-Saddam-Koalition hinauszuzögern ließen ab Mitte Oktober innerhalb der Bush-Administration die Bereitschaft wachsen, den militärischen Druck durch die Entsendung zusätzlicher Soldaten weiter zu erhöhen. Am 8. November teilte Präsident Bush auf einer Pressekonferenz mit, daß er angeordnet habe, die Stärke der US-Streitkräfte so weit zu erhöhen, daß die Anti-Saddam-Koalition über „eine angemessene Offensivoption verfügt, falls dies notwendig werden sollte, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen“ Im Unterschied zum Alleingang der US-Administration Mitte August waren dieser Entscheidung langwierige Konsultationen mit den engsten Verbündeten und der Sowjetunion vorausgegangen. In seiner Pressekonferenz betonte Bush zwar, daß der Artikel 51 der UN-Charta nach Auffassung seiner Administration nach wie vor eine hinreichende rechtliche Grundlage zum Einsatz militärischer Mittel biete und daß eine weitere UN-Resolution nicht unbedingt notwendig sei aber in ihren diplomatischen Aktivitäten hatte die US-Regierung schon seit Anfang Oktober durchklingen lassen, daß sie alles unternehmen wollte, um eine solche Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Auf einer Rundreise durch den Nahen Osten und Europa Anfang November drängte US-Außenminister Baker die Verbündeten in der Anti-Saddam-Koalition einschließlich der Sowjetunion, einer Autorisierung militärischer Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat zuzustimmen Es ist daher gewiß kein Zufall, daß der amerikanische Präsident mit der Verkündigung seiner Entscheidüng zur Entsendung weiterer Truppen in den Golf wartete, bis sein Außenminister seine Gespräche in Moskau beendet hatte. In diesen Gesprächen wurde deutlich, daß die sowjetische Führung zwar nicht mehr ausschließen wollte, daß „eine Situation entstehen könnte, in der (die Anwendung von Gewalt) notwendig würde“ aber Schewardnadse und Gorbatschow unterstrichen wiederum, daß sie diplomatische Initiativen nach wie vor vorzögen und jegliche Entscheidung über die Anwendung von Gewalt im Rahmen der Vereinten Nationen getroffen werden müsse
Der nochmaligen Erhöhung des Drucks durch diese Entscheidung der Bush-Administration folgten weitere drei Wochen intensiver diplomatischer Bemühungen, die auf irakischer Seite wiederum keinerlei Einlenken erkennen ließen. Dem Versuch seitens des marokkanischen Königs, durch die Einberufung einer arabischen Gipfelkonferenz einer „arabischen Lösung“ den Weg zu ebnen war (wie von Kennern der Region schon vorher vorausgesagt genausowenig Erfolg beschieden, wie allen anderen Vermittlungsinitiativen zuvor. Aus der Sicht der Bush-Administration wurde die Kuwait-Krise daher immer stärker zu einem Wettlauf mit der Zeit: jene selbst nach optimistischen Schätzungen mindestens ein bis zwei Jahre, die es erfordern würde, um den Sanktionen zum Erfolg zu verhelfen waren mit jedem Tag weniger akzeptabel — nicht nur weil mit schwindender Zeit der Zusammenhalt der Koalition zunehmend in Frage gestellt war und die Moral der alliierten Truppen an der Grenze zu Kuwait untergraben zu werden drohte, sondern auch, weil die USA befürchteten, daß die irakische Führung im Falle einer militärischen Konfrontation zu einem späteren Zeitpunkt über ein noch größeres Arsenal an zerstörerischen Waffen (vielleicht sogar über Nuklearwaffen) verfügen könnte
Unter dem Vorsitz der USA begannen daher die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates am 19. November mit den Beratungen über die 12. UN-Resolution im Zusammenhang mit der Kuwait-Krise, die den Einsatz von Gewalt zur Befreiung Kuwaits legitimieren sollte Während sich US-Präsident Bush bereits am 23. November nach Gesprächen mit Ägyptens Präsident Mubarak im November optimistisch äußerte, daß der Sicherheitsrat kurz vor einer Entscheidung über den Einsatz von Gewalt stünde richteten die beiden Außenminister Chinas und der Sowjetunion am selben Tag einen letzten eindringlichen Appell an die Adresse des Irak, den UN-Resolutionen Folge zu leisten
Nachdem auch dieser Appell und eine weitere Warnung des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow keine Änderung der irakischen Haltung bewirkte, verabschiedete der Sicherheitsrat am 29. November die bislang weitreichendste Resolution in seiner Geschichte: „feststellend, daß der Irak sich trotz aller Bemühungen der Vereinten Nationen weigert, seiner Verpflichtung nachzukommen, die Resolution 660 (vom 2. August) und die darauffolgenden . . . relevanten Resolutionen zu erfüllen“, beschloß der Rat, „dem Irak eine Gnadenfrist einzuräumen, um ihm eine letzte Gelegenheit zu geben, dies zu tun“. Des weiteren bevollmächtigte der Sicherheitsrat „seine Mitgliedsstaaten, die mit der Regierung von Kuwait zusammenarbeiten, alle notwendigen Mitteleinzusetzen, um die . . . Resolutionen umzusetzen und zu verwirklichen, um den Frieden und die internationale Sicherheit in der Region wiederherzustellen, wenn der Irak nicht bis zum 15. Januar 1991 die (entsprechenden) Resolutionen . . . voll angewendet hat“
Anders als bei der einzigen anderen vom Sicherheitsrat autorisierten Militäraktion hatte der Rat damit darauf verzichtet, ein UN-Kommando zu errichten oder spezifische Regeln zu erlassen, die eine direkte Überwachung möglicher Militäraktionen durch die Vereinten Nationen gewährleisten würden. Vielmehr wurde es den USA und ihren Verbündeten überlassen, selbst zu entscheiden, welche Mittel sie für notwendig erachteten Das nur einen Tag nach der Verabschiedung der Resolution veröffentlichte Angebot Bushs, „um des Friedens willen eine extra Meile zu gehen“ und in die bislang strikt abgelehnten direkten Gespräche mit dem Irak einzuwilligen deuteten jedoch an, daß die Bush-Administration auch nach der UN-Zustimmung zur Gewaltanwendung daran interessiert war, alles zu unternehmen, um jenen keinen Anlaß zur Kritik zu geben, die ihr vorwarfen, sie würde nicht genügend unternehmen, um eine diplomatische Lösung zu erzielen.
In den eineinhalb Monaten zwischen der Verabschiedung der Resolution 678 des UN-Sicherheitsrats und dem Ablauf des UN-Ultimatums Mitte Januar wurden die diplomatischen Aktivitäten nochmals intensiviert. Mit jedem Tag, mit dem der 15. Januar näher rückte, wurde jedoch deutlich, wie wenig Spielraum der Diplomatie eigentlich verblieben war. Besonders drastisch zeigte sich dies bei dem amerikanisch-irakischen Gerangel um Termine und Tagesordnungen für die beiden ursprünglich ins Auge gefaßten direkten Gespräche in Washington und Bagdad. Die Anti-Saddam-Koalition beharrte — vor allem unter dem Druck der angelsächsischen Achse — darauf, daß von den UN-Resolutionen keinerlei Abstriche gemacht würden und insbesondere der von der irakischen Führung geforderte direkte Zusammenhang zwischen der Palästina-Frage und der Besetzung Kuwaits nicht hergestellt werden könne Saddam Hussein machte sich seinerseits mit Analogien zur amerikanischen Vietnam-Erfahrung Mut, daß die USA.selbst wenn sie angreifen würden, den Krieg nicht solange durchhalten könnten, um ihn nicht nur militärisch zugewinnen, sondern auch politisch in ihrem Sinne zu entscheiden. Angesichts dieser Konstellation sah UN-Generalsekretär Perez de Cuellar nach einem letzten verzweifelten Vermittlungsversuch in Bagdad „keinen Grund (mehr), optimistisch zu sein“ Auf Anweisung von Präsident Bush unter-zeichnete der amerikanische Verteidigungsminister Cheney daher bereits neun Stunden vor Ablauf des UN-Ultimatums am 15. Januar den Angriffsbefehl für die „Operation Wüstensturm“ 33 Stunden später begannen die Luftangriffe der alliierten Streitkräfte.
III. Die Kuwait-Krise und die Weltordnung der neunziger Jahre
Obgleich der Krieg um Kuwait am 17. Januar 1991 eskalierte und damit die diplomatischen Bemühungen der Anti-Saddam-Koalition gescheitert waren, stellt der von niemandem erwartete Zusammenhalt dieser Koalition über eine Periode von fünfeinhalb Monaten einen beispiellosen Erfolg multilateraler Diplomatie in der Nachkriegsgeschichte dar. Dieser Erfolg wurde gewiß durch eine Reihe von Faktoren begünstigt, die nicht unmittelbar mit dem neuen Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion oder der neuen Effektivität der Vereinten Nationen Zusammenhängen. Dazu zählen u. a. die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges präzedenzlose Brutalität des irakischen Vorgehens: keinem Mitglied-staat der UN konnte daran gelegen sein, auch nur durch die Duldung dieser Aktion eine Legitimationsbasis für ähnliche Handlungen in der Zukunft zu schaffen. Des weiteren ist zu diesen Faktoren zu rechnen, daß es sich zwei der primär betroffenen Konfliktparteien. Kuwait und Saudi-Arabien, leisten konnten, sowohl den Truppenaufmarsch am Golf zu finanzieren als auch durch Kompensationsleistungen für jene Staaten, die von den Folgen der Sanktionen gegen den Irak am meisten betroffen waren, die Voraussetzungen zu schaffen, daß die Koalition zusammenhielt. Saudi-Arabien konnte durch die krisenbedingte Schwächung der OPEC und die Erhöhung des Ölpreises sogar beträchtliche Einnahmesteigerungen verzeichnen.
Ein weiterer Grund für den Erfolg hat mit den geopolitischen und logistischen Gegebenheiten der Region zu tun. Von den fünf Nachbarn des Irak haben sich drei (Saudi-Arabien, Syrien, Türkei) aktiv in die Anti-Saddam-Koalition eingereiht, einer (Iran) hat zumindest seine passive Unterstützung für die Wiederherstellung der staatlichen Integrität Kuwaits zugesichert. Nur der vergleichsweise schwächste Nachbar des Irak (Jordanien) machte aus seiner Unterstützung für Hussein keinen Hehl. Dank der weitgehenden Kooperation der vier erstgenannten Staaten mit den Vereinten Nationen und aufgrund der funktionierenden Seeblockade, die die Bedeutung Jordaniens als Transit für den Handel Iraks beträchtlich minderte, konnte daher weitgehend sichergestellt werden, daß die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen nicht unterlaufen wurden.
Obgleich also eine Reihe von wirtschaftlichen, geopolitischen und logistischen Faktoren den Erfolg der Anti-Saddam-Koalition begünstigten, ist nicht zu übersehen, daß die Koalition zum einen erst gar nicht zustande gekommen wäre und zum zweiten nicht zusammengehalten hätte, wenn nicht mindestens drei weitere Faktoren hinzugekommen wären. Der erste und wahrscheinlich wichtigste bestand in der Bereitschaft der Vereinigten Staaten, die Unfähigkeit und Ohnmacht der Arabischen Liga durch entschlossenes Handeln wettzumachen und in einem ersten Schritt eine glaubwürdige Abschreckung gegen ein weiteres irakisches Vordringen nach Saudi-Arabien zu etablieren. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat es die Bush-Administration sodann in der zweiten Phase verstanden, den Verführungen des Unilateralismus zu widerstehen und in zäher diplomatischer Kleinarbeit jene Kompromisse zustande zu bringen, die jeweils von einer überwältigenden Mehrheit der Mitglieder im UN-Sicherheitsrat mitgetragen wurden.
Obgleich der relative Machtverlust der Vereinigten Staaten heute von niemandem mehr ernsthaft bestritten wird, hat die Kuwait-Krise erneut gezeigt, daß die USA weiterhin und gerade vor dem Hintergrund der Rolle der UdSSR die stärkste Macht des internationalen Staatensystems darstellen. Nur sie verfügen über hinreichend große Ressourcen, nur sie sind (noch) in der Lage, einen diesem Machtpotential entsprechenden Willen zur Übernahme einer Führungsrolle in der Weltpolitik aufzubringen; und nur sie sind — was häufig übersehen wird — trotz vielfältiger Vorbehalte im Ernstfall als Schutzmacht selbst für jene akzeptabel, die sich — wie etwa Kuwait — lange Jahre gegen den „amerikanischen Imperialismus“ abzugrenzen suchten.
Mehr noch, die Bush-Administration hat in der Kuwait-Krise eine Bestätigung für die These von Joseph S. Nye geliefert, daß die USA zur Beibehaltung ihrer Führungsrolle in der Weltpolitik nicht nur gezwungen, sondern auch aufgerufen sind weil derzeit kein anderer Staat in Sicht ist, der in ähnlicher Weise zum „Management der komplexen Interdependenz“ der neunziger Jahre in der Lage wäre.
Die vor allem in den US-Medien hervorgehobene Überlegenheit der USA hat allerdings etwas in den Hintergrund gedrängt, was für den Erfolg der Anti-Saddam-Koalition nicht nur unabdingbar, sondern auch alles andere als selbstverständlich war: die Bereitschaft der reformorientierten politisehen Elite innerhalb der sowjetischen Führung, diesen Macht-und Prestigeverlust hinzunehmen und — ähnlich wie bereits bei der widerstandslosen Entlassung der osteuropäischen Staaten aus dem Griff der Alt-Stalinisten — durch eine konsequente Umsetzung des „neuen Denkens“ in der Praxis, bedeutenden Beitrag zur Schaffung eines neuen Vertrauensverhältnisses mit dem ehemaligen Rivalen USA zu leisten. Die Konzession der Weltführerschaft an die USA und die noch darüber hinausgehende Unterstützung der USA in dieser Rolle sind wahrscheinlich der dramatischste Beleg für die These, daß die derzeitige sowjetische Führung ein kooperatives Verhältnis mit der westlichen Führungsmacht sucht, das weit über jene „kooperative Rivalität“ hinausgeht, die von Kennern der Sowjetunion noch vor wenigen Monaten als realistischstes Szenario für die zukünftige Entwicklung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten angesehen wurde
Die weitreichende Zusammenarbeit der sowjetischen Führung mit dem vormaligen Erzrivalen ist umso erstaunlicher als durchaus auch weit weniger entgegenkommende Verhaltensweisen seitens der Sowjetunion vorstellbar waren, die immer noch als kooperatives Verhalten hätten interpretiert werden können. Die Lieferung von Informationen über die Ausbildung und Ausrüstung der irakischen Armee an die Beamten des Pentagons; die engen, nahezu tagtäglichen Konsultationen zwischen Moskau und Washington auf höchster politischer Ebene; die gemeinsame Erarbeitung und Einbringung von Resolutionsentwürfen im UN-Sicherheitsrat; die Abstimmung von Vermittlungsbemühungen — all dies war weit mehr als jene unilaterale wechselseitige Anpassung des Verhaltens zweier Akteure („Partisan mutual adjustment“), die in der neueren Kooperationstheorie als Minimalvoraussetzung ange-sehen wird, um von Kooperation zwischen zwei Akteuren zu sprechen
Doch selbst diese beiden Faktoren (Führungsrolle der USA sowie Akzeptanz dieser Führungsrolle und Kooperationsbereitschaft seitens der Sowjetunion) hätten nicht ausgereicht, die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft zu gewährleisten. Erst die Reaktivierung des brachliegenden Instrumentariums der Vereinten Nationen vermochte jene völkerrechtlich abgesicherte Legitimationsbasis zu schaffen, deren es bedurfte, um die internationale Staatengemeinschaft auf eine gemeinsame Vorgehensweise zu verpflichten. Beide Weltmächte haben wesentlich dazu beigetragen, das dies möglich würde: die Sowjetunion, weil sie aus wohlverstandenem Eigeninteresse (und früher als die USA) erkannt hatte, daß das Instrumentarium der Vereinten Nationen konsequent fortentwickelt und entschlossener eingesetzt werden muß die USA, weil sie unter Bush mit dem wenig rühmlichen Vermächtnis Reaganscher UN-Politik gebrochen und den tiefsitzenden Neigungen der USA zum Unilateralismus widerstanden haben.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß durch die Kooperation zwischen den beiden Weltmächten im Rahmen der Vereinten Nationen (zumindest in der Konfliktformation des Ost-West-Konflikts bedeutsame Stabilitätsgewinne zu verzeichnen sind. Ob diese Gewinne angesichts der militärischen Eskalation in der Kuwait-Krise durch möglicherweise weitreichendere Stabilitätsverluste letztlich aufgewogen werden, hängt von einer Reihe von zum Teil schwer kalkulierbaren und einander wechselseitig beeinflußenden Faktoren ab. Zu den wichtigsten zählen dabei 1.der weitere Verlauf und der Ausgang des Krieges um Kuwait, 2. die zukünftige Entwicklung amerikanischer und sowjetischer Außenpolitik vor allem im Hinblick auf die Kooperations-und Interventionsbereitschaft beider Staaten im Rahmen der Vereinten Nationen, 3. die Fortschreibung, Anpassung und weitere systematische Anwendung des UN-Instrumentariums im internationalen Krisenmanagement und 4. die sicherheitspolitische Entwicklung in einigen krisenbedrohten Weltregionen.
Der Ausgang des Krieges um Kuwait ist mit sovielen Unwägbarkeiten behaftet, daß die langfristigen Konsequenzen für die Weltpolitik im allgemeinen und die Region des Nahen und Mittleren Ostens im besonderen zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum angemessen eingeschätzt werden können. Die meisten Experten gehen derzeit davon aus, daß die Anti-Saddam-Koalition aller Wahrscheinlichkeit den Krieg militärisch gewinnen wird. Ob dies, falls es tatsächlich dazu kommt, jedoch auch bedeuten würde daß am Ende des Krieges die politischen Voraussetzungen vorhanden sein würden, um die Region langfristig zu stabilisieren, ist höchst ungewiß. Ein zweiter wichtiger Faktor betrifft die zukünftige Entwicklung der amerikanischen und sowjetischen Außenpolitik. In beiden Fällen (vor allem aber im Falle der USA) werden mögliche Veränderungen sehr stark vom Ausgang des Krieges abhängen. Vereinfacht ausgedrückt könnte die Einschätzung so zusammengefaßt werden: Die Bereitschaft beider Staaten, in zukünftigen Krisen sowohl auf bilateraler Ebene als auch im Rahmen der Vereinten Nationen ähnlich konstruktiv zusammenzuarbeiten, wird im wesentlichen davon abhängen, welche Kosten-Nutzen-Bilanz die Entscheidungsträger auf beiden Seiten über diese Kooperation erstellen. Dies mag auf den ersten Blick wie ein Gemeinplatz anmuten, hat aber bei näherer Betrachtung durchaus eine gewisse prognostische Aussagekraft: soweit dies zum derzeitigen Zeitpunkt zu übersehen ist, tendieren sowohl die noch verbliebenen reform-orientierten Kräfte in der UdSSR als auch weite Teile der Bush-Administration zu einer positiven Kooperationsbilanz. Wenn sich diese Bilanz im weiteren Verlauf des Krieges nicht wesentlich verschlechtert. könnte dies auf beiden Seiten „Lernfortschritte“ über die zukünftige Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen zur Folge haben, die weltpolitisch den vielleicht bedeutsamsten Gewinn dieser Krise darstellen Wie das gewaltsame Vorgehen der sowjetischen Sicherheitskräfte im Baltikum jedoch seit Anfang Januar gezeigt hat, wird sich das amerikanisch-sowjetische Verhältnis durch Kooperation in der Kuwait-Krise allein nicht langfristig stabilisieren lassen. Viel wird daher davon abhängen, ob sich die innenpolitischen Umwälzungen in der Sowjetunion in einem aus westlicher Sicht auch weiterhin tolerierbaren Maße vollziehen, d. h. die Beziehungen zwischen dem Westen und der sowjetischen Führung in einem Kernbereich nicht über Gebühr strapaziert werden.
Der dritte wichtige Einflußfaktor ist in der weiteren Entwicklung der Vereinten Nationen zu sehen, die vor zahlreichen neuen Aufgaben und „mitunter präzendenzlose(n) Herausforderungen“ stehen. Wenn sie in Zukunft nicht mehr nur Friedenssicherungs-(„peace-keeping“), sondern — ihrem ursprünglichen Auftrag entsprechend — auch vermehrt Friedensstiftungsaufgaben („peace-making“) wahrnehmen sollen, müssen neue Mechanismen geschaffen bzw. bestehende fortgeschrieben werden, um diesen neuen Anforderungen an das Management internationaler Sicherheit entsprechen zu können. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat in seinem letzten Jahresbericht hervorgehoben, daß (vor allem zum Zwecke der frühzeitigen Konfliktverhütung) die Arbeitsweise des Sicherheitsrates verändert, die Kompetenzen des Generalsekretärs ausgeweitet, die friedenssichernden Operationen auf eine solidere Grundlage gestellt und die diplomatischen Mittel zur gewaltlosen Konfliktbeilegung voll ausgeschöpft werden sollten, bevor auf Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zurückgegriffen wird Darüber hinaus bedarf es eines grundlegenden Umdenkungsprozesses zahlreicher Mitgliedsstaaten (allen voran den USA), um das seit Jahren ungelöste Finanzierungsproblem der Vereinten Nationen in den Griff zu bekommen. Nur wenn es gelingt, diese Reformen durchzusetzen, werden die Vereinten Nationen zukünftig in der Lage sein, den regionalen und globalen Bedrohungen des Friedens wirksam entgegenzutreten. Denn bei aller Euphorie über die neue Effektivität der Weltorganisation im Zusammenhang mit der Kuwait-Krise sollte nicht übersehen werden, daß zahlreiche, die multilaterale Vorgehensweise in diesem Fall begünstigenden Umstände in zukünftigen Krisen nur in Ausnahmefällen vorhanden sein werden.
Der letzte Faktor schließlich, der für den Weltfrieden von Bedeutung sein wird, betrifft die Machtbalance und die Qualität perzipierter Sicherheit in mehreren krisenträchtigen Regionen. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten virulente Angst vor einem „nuklearen Sarajewo“ (d. h. einem Szenario, bei dem ein regionaler Konflikt zwischen Klienten beider Supermächte zu einem nuklearen Weltkrieg eskaliert scheint der Welt durch die Annäherung der USA und der Sowjetunion zwar genommen. Diese Bedrohungsvorstellung ist jedoch in jüngster Zeit durch einen sich abzeichnenden Trend der Herausbildung regionaler Hegemonie ersetzt worden. Die „relative Autonomisierung“ oder „Regionalisierung“ von Konflikten, die mit dem Disengagement der beiden Weltmächte einhergeht, und die „Herausbildung einer Art von »ChaosMacht«“ in vielen Staaten der Dritten Welt, die dieses Disengagement beschleunigt hat (und vor dem Hintergrund wachsender innenpolitischer Schwierigkeiten sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion auch in Zukunft weiter beschleunigen wird), wird neue Konfliktregulierungsmechanismen erfordern, die gerade angesichts der besorgniserregenden Rüstungswettläufe in mehreren Krisen-regionen zur „Einhegung“ regionalisierter Konflikte notwendig sind „Aggressoren gedeihen auf dem Boden der Beschwichtigung.“ Dieser vom stellvertretenden irakischen Außenminister Nazir Hamdun in einem anderen Kontext geäußerte „Lehrsatz“ über die internationalen Beziehungen ist in der Kuwait-Krise auf tragische Weise erneut bestätigt worden Ähnliches gilt auch für ein von Saddam Hussein kurz vor dem Einmarsch seiner Truppen in Kuwait bemühtes „Sprichwort“: „Es ist besser, jemandem das Genick zu brechen, als ihm den Nachschub zu kappen.“ Dieses Verständnis vom relativen Nutzen alternativer Konfliktstrategien lag seiner Invasion in Kuwait zugrunde.
Spätestens fünfeinhalb Monate nach der irakischen Invasion wurde offensichtlich, daß auch die zentralen Akteure der Anti-Saddam-Koalition keinen anderen Ausweg sahen, als sich dieser Logik zu ergeben. Daß die Diplomatie versagt hat, wenn es zum Krieg kommt, ist sicherlich eine zutreffende Feststellung, und zwar sowohl für die Invasion Anfang August, als auch für den Ausbruch des Krieges Mitte Januar 1991. Zur Erklärung eines eskalierenden Konfliktes, der der Regulierung mit diplomatischen Mitteln entglitten ist, greift sie jedoch zu kurz, denn sie läßt die entscheidende Frage unbeantwortet, warum die Diplomatie versagt hat. Ein Grund scheint darin gelegen zu haben, daß die „Rationalitäten“ der Anti-Saddam-Koalition auf der einen und der irakischen Führung auf der anderen Seite nicht kompatibel waren. Beide Konfliktparteien scheinen davon ausgegangen zu sein, daß der Gegner die Kosten einer weiteren militärischen Eskalation früher oder später als zu hoch einstufen und daher nachgeben würde. Zusammen mit anderen Faktoren führte dies letztlich dazu, daß beide in zunehmendem Maße zu Gefangenen ihrer ursprünglichen Ziele wurden: die bereits getätigten „Investitionen“ (Truppendislozierungen, politische Deklarationen etc.) mußten durch immer neue „Investitionen“ gerechtfertigt werden, und dies verstrickte die Akteure immer tiefer in eine scheinbar ausweglose Situation
Aus weltpolitischer Perspektive besteht die eigentliche Tragik dieses Krieges darin, daß die Institution der Vereinten Nationen — gemessen an ihrem friedensstiftenden Auftrag — just zu jenem Zeitpunkt verhängnisvoll scheiterte, als sie als handlungsfähiger Akteur Profil zu gewinnen begann.
Einseitige Schuldzuweisungen an die Adresse der USA sind in diesem Zusammenhang jedoch genauso kurzsichtig wie nutzlos, denn die US-Admi-nistration ist gerade für die ungleichgewichtige Beteiligung verschiedener Staaten an kollektiven Sicherheitsmaßnahmen nicht verantwortlich zu machen. Im Gegenteil, die USA haben sich über Monate hinweg vergebens darum bemüht, ein breiteres Spektrum von Staaten zur aktiven Teilnahme an Zwangsmaßnahmen gegen den Aggressor zu bewegen. Wenn daher das Instrumentarium der kollektiven Sicherheit trotz aller Fortschritte letztlich versagt hat, dann vor allem deshalb, „weil maßgebliche Staaten ihren im Rahmen der UN eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkamen“
In der Geschichte des Staatensystems ist der Krieg um Kuwait präzedenzlos. Auch wenn aus ihm im Vergleich zu den beiden anderen großen Kriegen dieses Jahrhunderts kein „Weltkrieg“ wird, so wird er doch zweifelsohne Konsequenzen haben, die über die unmittelbar betroffene Region des Nahen und Mittleren Ostens weit hinausreichen. Ob diese Auswirkungen hinreichend „katalytisch“ sein werden, um eine qualitativ „neue“ Weltordnung zu schaffen, „in der die Sprache des Rechts das Gesetz des Dschungels ersetzt, ... die Nationen die gemeinsame Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit erkennen . . . (und) die Starken die Rechte der Schwachen achten“ wird ganz wesentlich von den politischen Schlußfolgerungen abhängen, die die Weltöffentlichkeit und die internationale Staatengemeinschaft am Ende ziehen werden.