I. Das Neue Denken in der UdSSR und die Chancen britischer Politik im südlichen Afrika
Anfang der achtziger Jahre erschien eine Ausgabe des liberalen Johannesburger Nachrichten-Magazins „Frontline" mit einer Titelblatt-Photomontage. Sie zeigte die ausgebrannte Ruine des damals erst wenige Jahre alten Johannesburger Luxushotels Carlton Centre. Darunter fand sich der Satz „A Future that Must Not Be“. Der zugehörige Artikel trug den Titel „Can it Come to This?“. Sein Verfasser, Denis Beckett, antwortete, daß die Zerstörung der Kap-Republik der wahrscheinlichste Ausgang des Ringens um ihre Zukunft sein werde -Innerhalb und außerhalb Südafrikas war die Sorge verbreitet, daß es für eine friedliche Lösung seiner wirtschaftlichen und politischen Probleme zu spät sei. Diese Einschätzung verfestigte sich mit Provokationen, wie sie etwa der südafrikanische UN-Botschafter Les Manley den Kritikern seines Landes Anfang 1988 in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates bot: „We will not bow to your threats . . . and invite you to do your damnedest.“ Kein Geringerer als der von vielen als offen eingestufte Außenminister Roelof Botha hatte diesen Satz in Manleys Redemanuskript hineingeschrieben.
Tatsächlich war aber schon um die Jahreswende 1987/88 eine Entwicklung eingeleitet worden, die dank gemeinsamer Geheimdiplomatie der USA, der UdSSR und — von der Außenwelt übersehen — Großbritanniens kurze Zeit später zum Abzug erst der südafrikanischen Truppen (August 1988), dann des kubanischen Expeditionscorps aus Angola (ab Januar 1989), zur Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit (März 1990) sowie zur Aufnahme von Verhandlungen (Mai 1990) der Regierung der weißen Afrikaner mit dem ANC, der mit Abstand gefolgschaftsstärksten Befreiungsbewegung Südafrikas, führte.
Die Anstöße zu alledem kamen aus der Sowjetunion. Ende 1987 hatten Generalsekretär Michail S. Gorbatschow und sein Außenminister Eduard Schewardnadse mit dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in Moskau intensiv über die Lage im südlichen Afrika gesprochen. Sie hatten Strauß ausgewählt, Pretoria wissen zu lassen, daß sie jetzt nicht mehr einer militärisch-revolutionären, sondern einer politischen Lösung des Südafrika-Konflikts das Wort redeten Zu Recht gingen sie davon aus, daß er mehr als jeder andere ausländische Politiker geeignet sei, die weißen Afrikaner, und hier insbesondere das „Afrikanerdom“, von der Aufrichtigkeit der neuen Haltung Moskaus gegenüber den Problemen Südafrikas zu überzeugen. Strauß wird bei seinem anschließenden Besuch in Südafrika (Januar 1988) das Neue Denken der sowjetischen Führung ähnlich referiert haben, wie der britische Außenminister Sir Geoffrey Howe im Mai 1988 in London in einer Grundsatzrede in der er Boris Asoyan, den führenden Südafrika-Spezialisten der sowjetischen Diplomatie, zitierte, der von Südafrikas „vielfältiger, dynamischer, außerordentlich komplexer und verwirrender Realität" gesprochen hatte.
Die neue sowjetische Politik befähigten das im südlichen Afrika stark engagierte Großbritannien und die seit 1981 eng mit London zusammenarbeitenden USA, Druck auf Pretoria auszuüben, unhaltbar gewordene Positionen in einigen Anrainerstaaten wie auch in Südafrika selbst aufzugeben. Denn London und Washington waren jetzt frei von der Sorge, die Sowjets könnten das vom Westen erzwungene Zurückweichen Pretorias zur Etablierung von Satellitenregimen, ähnlich denen in Angola und Mosambik, in Windhuk und Pretoria mißbrauchen. Würde ein solches Regime in Südafrika an die Macht kommen, so würde das britischen Interessen zuwider-laufen. Immerhin ist die Hälfte des in der Kap-Republik investierten ausländischen Kapitals britischer Provenienz. Schwerwiegender noch als dessen Verlust wäre für Großbritannien die Rückkehr von bis zu einer Million britisch-stämmigen Südafrikanern bzw.seit Generationen in Südafrika lebenden Briten. Diese wären nämlich im Vereinigten Königreich nur mit großen Schwierigkeiten zu integrieren. da sehr viele von ihnen politisch weit rechts von der britischen konservativen Partei stehen.
Strauß vermochte im Januar 1988 den sonst durch niemanden mehr ansprechbaren Staatspräsidenten P. W. Botha zu bewegen, die Gunst der Stunde zu nutzen und, unter Vermittlung der USA, der UdSSR und Großbritanniens, mit Angola und Kuba über die Beilegung von Konflikten in Angola und Namibia zu verhandeln. Erst dann konnten im Mai 1988 in London Verhandlungen aufgenommen werden, die im Dezember 1988 mit dem Abschluß des südafrikanisch-angolanisch-kubanischen Vertrages von New York beendet wurden. Sie führten Anfang 1990 zur Unabhängigkeit Namibias und im Mai 1990 zu der ersten Verhandlungsrunde zwischen dem ANC und der südafrikanischen Regierung über das Post-Apartheid-Südafrika.
II. Deutsche Südafrika-Positionen
Aus deutscher Sicht ist bemerkenswert, daß die westdeutsche Regierung vor gut zehn Jahren von den Verhandlungsprozessen weitgehend ausgeschlossen wurde Das wurde nicht erst 1988 deutlich, als Strauß bei seiner Südafrika-Mission das Bonner Auswärtige Amt demonstrativ überging. Um diesen inner-westdeutschen Konflikt zu verstehen, sei in Erinnerung gerufen, daß der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt große Teile der westdeutschen Außen-und Sicherheitspolitik selbst geprägt hatte. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hatte sich daher Mitte der siebziger Jahre ganz auf das Bemühen konzentriert, die Konflikte in Namibia und Südafrika zu lösen. Leitsatz seiner Politik war damals und ist auch heute noch, daß die Konflikte in dem Vielvölkerstaat Südafrika ebenso zu lösen seien wie diejenigen in der Siedlerkolonie Namibia; d. h. letztlich durch Machtumkehr zugunsten von ANC bzw. Swapo. Das Engagement Genschers stellte den Apex der von Helmut Schmidt nicht ohne Skepsis verfolgten westdeutschen Afrikapolitik dar. Helmut Schmidt neigte der Auffassung von Egon Bahr zu, wonach der Südafrika-Konflikt nicht durch Machtumkehr („one man one vote in einem Staat“) zu lösen, sondern für Südafrika „nach einem bislang unbekannten Modell des gleichberechtigten Miteinanders mit besonderem Schutz für Minderheiten“ zu suchen sei.
Mit dem damaligen amerikanischen UN-Botschafter Andrew Young hatte Genscher Anfang 1977 die Namibia-Initiative der sogenannten westlichen Kontaktgruppe (USA, Großbritannien. Frankreich, Deutschland und Kanada) aus der Taufe gehoben. Deren Aufgabe war in den Augen ihrer Initiatoren zunächst, Namibia binnen kurzem in die international anerkannte staatliche Unabhängigkeit zu führen. Anschließend sollte sich die Kontakt-gruppe der Überwindung der Apartheid in Südafrika selbst und der Schaffung eines demokratischen, nichtrassischen Post-Apartheid-Südafrika widmen. Sie führte nach eineinhalb Jahren intensiver Diplomatie zur Verabschiedung der Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates; diese enthielt den völkerrechtlich verbindlichen Plan zur Abhaltung international überwachter freier Wahlen in Namibia und dessen anschließende Entlassung in die Unabhängigkeit. Resolution 435 konnte dann aber erst über zehn Jahre später, im April 1989, und dies ohne jede deutsche Einflußnahme, in die Tat umgesetzt werden.
Ein anderer Kritiker der westdeutschen Südafrika-Politik. Otto Graf Lambsdorff, brachte zwei Thesen in die Diskussion, die er mit dem führenden liberalen weißafrikanischen Dissidenten, Van Zyl Slabbert, erarbeitet hatte Zum einen werde es ohne die Befreiung der schwarzen Südafrikaner vom Joch der Apartheid Sicherheit für die weißen Südafrikaner nicht geben. Und zum andern gelte nach wie vor, daß die machtpolitische Absicherung des Existenzrechts der weißen Südafrikaner der Schlüssel für die Befreiung des schwarzen Südafrika sei Seit Anfang der achtziger Jahre vertraten auch die USA eine ähnliche Position. Die meisten EG-Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, vollzogen diese Neuorientierung amerikanischer Südafrika-Politik allerdings nicht mit. So bleibt abzuwarten, ob etwa nach den Bundestagswahlen 1990 die deutsche Regierung ihre Position überdenken wird.
Dafür spricht die überaus deutliche Kritik des afrikapolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volkmar Köhler. Er ist besorgt, daß die Beziehungen Deutschlands zum Post-Apartheid-Südafrika ähnlich unbefriedigend sein werden wie jene, die sich seit März 1990 zwischen Deutschland und dem Post-Apartheid-Namibia entwickelt haben. In einem Zeitungsbeitrag wies Köhler kürzlich daraufhin, daß Windhuk und Bonn bislang keine normalen, geschweige denn die von deutscher Seite gewünschten privilegierten Beziehungen unterhielten. Den Bonner Wunsch, in Anknüpfung an die historischen Kontakte, den deutschen Botschafter in Namibia zum (ersten) Doyen des diplomatischen Corps zu machen, habe Windhuk zurückgewiesen. Die namibische Regierung habe die Eröffnung von Auslandsvertretungen in Großbritannien, in der UdSSR, in den USA (Washington und New York), in Schweden, am Sitz der EG in Brüssel und in einigen afrikanischen Staaten beschlossen; in Deutschland wolle sie jedoch eine diplomatische Vertretung fürs erste nicht einrichten. Schließlich habe Namibia das zuletzt von Bundesminister Jürgen Warnke persönlich unterbreitete entwicklungspolitische Angebot Deutschlands als unbefriedigend zurückgewiesen. Köhler ist die hinter vorgehaltener Hand oft scharfe Kritik der namibischen Regierungspartei Swapo an der Politik Bonns nur zu gut bekannt: Die (west) deutsche Namibia-Politik sei all die Jahre hindurch vor allem an innenpolitischen Kriterien orientiert gewesen und habe daher seit Ende 1978 nur sehr wenig zur Befreiung des Landes von südafrikanischer Kolonialherrschaft beigetragen. Schon mit früheren Äußerungen haben Volkmar Köhler wie Bahr und Lambsdorff klargemacht, daß die deutsche Regierung erst dann Einfluß auf die Entwicklungen in Südafrika nehmen wird, wenn sie für die Kap-Republik nach einer neuen politischen Ordnung sucht, die die extreme kulturelle Heterogenität der Bevölkerung Südafrikas in Rechnung stellt
III. Die Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit als vertrauensbildende Maßnahme zur Lösung des Südafrika-Konflikts
Pretoria hatte wohl schon Anfang 1988 erkannt, daß es seine Positionen in Namibia (wie auch die Truppenpräsenz in Angola) auf lange Sicht nicht würde halten können. Dazu hatten vor allem zwei Entwicklungen beigetragen: Durch die Lieferung von hochwertigen sowjetischen Rüstungsgütern und den Aufbau eines modernen Luftabwehrsy-stems im Süden Angolas hatte sich die sicherheitspolitische Lage Angolas und Kubas auf Kosten Südafrikas einschneidend verbessert. Auch sah sich Pretoria nicht länger in der Lage, die teurer gewordenen Kriege im Südwesten Afrikas zu finanzieren. Ein weiterer Faktor wurde in der Öffentlichkeit bislang kaum beachtet: Die Mittlerstaaten konnten Pretoria 1988 davon überzeugen, daß sie die weißen Afrikaner im Anschluß an deren Kapitulation in Namibia und Angola nicht auffordern würden, nun auch in Südafrika zu kapitulieren. Ebenso wie dem amerikanischen Chefunterhändler Chester A. Crocker war dem hier engagierten britischen Botschafter in Südafrika, Sir Robin Renwick, die große Bedeutung eines solchen Signals bekannt. Renwick, ein Kenner des südlichen Afrika, hatte in den späten siebziger Jahren die Anfangserfolge und das anschließende Dahinsiechen der westlichen Namibia-Initiative erlebt. Ihm und Crocker war klar, daß die diplomatischen Bemühungen von 1977 und 1978 (vielleicht) vor allem daran gescheitert waren, daß seinerzeit die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Kanada im Widerspruch zu den afrikaerfahrenen Briten und Franzosen die These vertreten hatten, die für Namibia gefundene Lösung habe Modellcharakter für Südafrika. Daraufhin verweigerte Pretoria, das in den Verhandlungen nichts mehr zu gewinnen hatte, jede Zusammenarbeit. Renwick war um die Jahreswende 1979/80 der Architekt des Lancaster House-Abkommens, das den Süd-Rhodesien/Simbabwe-Konflikt beendete. Anfang der achtziger Jahre war er dann als britischer Gesandter in Washington ein häufiger Gesprächspartner des neu in sein Amt im State Department berufenen Chester A. Crocker. Aus dieser Zeit rühren die Anfänge der ab 1987/88 auch von den Sowjets mitgestalteten Geheimdiplomatie der späten achtziger Jahre.
London, Washington und Moskau versicherten Pretoria ihrer Unterstützung bei den Verhandlungen mit den südafrikanischen Befreiungsbewegungen für den Fall, daß es sich zuvor aus Angola und Namibia zurückziehe. Alle folgenden Schritte waren dann weitgehend nur noch eine Frage der Zeit: Der Abschluß des Vertrages von New York im Dezember 1988, der Beginn der Implementierung von Resolution 435 am 1. April 1989, die Abhaltung freier Wahlen in Namibia im November 1989 und schließlich im März 1990 die Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit.
Das alles erlaubte es Staatspräsident F. W.de Klerk und anderen hohen Verantwortlichen aus Pretoria, die Windhuker Unabhängigkeitsfeierlichkeiten vom 21. März 1990 zu einer Fülle von Gesprächen mit Vertretern von Staaten zu nutzen, deren politische Führer zuvor zumindest jeden offenen Kontakt mit Vertretern des „Rassistenregimes“ strikt abgelehnt hatten. De Klerk dürfte an diesem Tag mit mehr führenden Repräsentanten schwarz-afrikanischer Staaten konferiert haben als seine drei direkten Vorgänger Pieter W. Botha, Johannes B. Vorster und Hendrik F. Verwoerd zusammen in den 30 Jahren seit dem „Afrika-Jahr“ (1960). An diesem Tag überwand Pretoria seinen Pariastatus. In diesem Zusammenhang muß allerdings erwähnt werden, daß die Regierung de Klerk Anfang Februar 1990 die Entbannung der südafrikanischen Befreiungsbewegungen African National Congress (ANC) und Pan Africanist Congress of Azania (PAC) wie auch ihnen nahestehender Organisationen, darunter nicht zuletzt die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP), und auch die Freilassung Nelson Mandelas, des Symbols des schwarzen Freiheitskampfes schlechthin, verfügt hatte.
IV. Die Rolle Großbritanniens bei der Vorbereitung von „Groote Schuur“
Außer britischen Emissären bemühten sich in den achtziger Jahren vor allem Chester A. Crocker und Franz Josef Strauß darum, den bis September 1989 amtierenden Staatspräsidenten P. W. Botha von der Notwendigkeit zu überzeugen, seine durchaus bedeutsamen Reformen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich durch eine neue Verfassung zu ergänzen. Crocker und Strauß stimmten darin überein, daß eine solche neue Ordnung das Ergebnis von Verhandlungen Pretorias mit dem schwarzen Südafrika sein müsse. Crocker hat das Erfordernis gesehen, in diese Verhandlungen den ANC einzubeziehen. Strauß hingegen maß dem ANC, zu Unrecht, nur eine marginale Rolle zu und sah in den Führern der schwarzen „homelands" die Partner Pretorias. Letztlich scheiterte aber Strauß genauso wie Crocker. Denn Botha hatte keine Antwort auf die politischen Forderungen der schwarzen Südafrikaner, mochten sie nun moderat oder militant sein.
Andererseits ließ Botha in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre mehrere seiner Minister mit Mandela in dessen Gefängniszelle konferieren. Er selbst empfing den damals noch inhaftierten Mandela im Juli 1989 im Tuynhuys, seinem Kapstädter Amtssitz. Erst F. W.de Klerk hatte den Mut, im Februar 1990 Mandela nach über 27jähriger Haft freizulassen und mit ihm über das Post-Apartheid-Südafrika zu verhandeln.
Nichts spricht dafür, daß der durch und durch konservative de Klerk dazu von sich aus fähig war. Die britische Regierung, hier insbesondere deren „Pro15 konsul" in Südafrika, Renwick, verstand es, den damals gerade ins Amt gewählten neuen Vorsitzenden der regierenden Nasionale Party (NP) van Suid Afrika, de Klerk, bei dessen Besuch im Juni 1989 in London vor den katastrophalen Folgen einer Fortsetzung der Politik Bothas zu warnen. Wahrscheinlich begriff de Klerk schon damals, daß London sich dem Druck seiner EG-und Commonwealth-Partner, harte Sanktionen gegen Südafrika zu verhängen, ohne grundlegende politische Kurskorrekturen Pretorias nicht länger würde widersetzen können. Es bedurfte dann aber noch des Einflusses seines älteren Bruders Willem de Klerk und anderer führender Mitglieder des Broederbondes der afrikaansen Eliten, um F. W.de Klerk den Weg nach Groote Schuur gehen zu lassen.
V. Die Verhandlungen über das Post-Apartheid-Südafrika
Im Mai 1990 trafen sich in Groote Schuur/Kapstadt und drei Monate später in Pretoria Delegationen Pretorias und des ANC unter Führung von Staats-präsident de Klerk bzw.des kurz zuvor in das Amt des ANC-Vizepräsidenten gewählten Nelson Mandela mit dem Ziel, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen Das gelang überraschend schnell. Offenbar hatten beide politischen Lager begriffen, daß die Zeit gegen sie und für ihre jeweiligen politischen Gegner, die (weiße) Konserwatiewe Party (KP) und der PAC, arbeitet und sie von daher zum Erfolg verurteilt sind. Es bleibt abzuwarten, ob die Zuversicht, die Regierungsvertreter und solche des ANC immer wieder in Südafrika und auch bei Reisen in Westeuropa und Nordamerika bekundeten, von Dauer sein wird. Das erscheint sehr zweifelhaft. Denn nach wie vor sind die Vorstellungen Pretorias und die des ANC über das Post-Apartheid-Südafrika nicht kompatibel. Um so bemerkenswerter ist, daß beide Seiten sich über eine Anzahl von wichtigen Vorbedingungen der einen oder anderen Seite schnell zu einigen vermochten. Zu nennen sind hier — von Seiten des ANC — die Forderung nach freier politischer Arbeit der Befreiungsbewegungen und ihrer Verbündeten, die Aufhebung des Notstandsregimes in jetzt allen Provinzen des Landes, die Aussetzung von Strafverfahren und Hinrichtungen wegen politisch motivierter Delikte, die straffreie Rückkehr vieler exilierter Südafrikaner, darunter Tausender von Angehörigen der Guerillaarmeen Umkhonto we Sizwe (ANC) und Azanian People’s Liberation Army (PAC) nach Südafrika sowie — von Regierungsseite — die Suspendierung des bewaffneten Kampfes durch den ANC. Die Verwirklichung der entsprechenden Vereinbarungen stieß im Spätsommer und Herbst 1990 auf nicht wenige Hindernisse und ließ eine im In-und Ausland verbreitete naive Euphorie schnell vorübergehen. Voraussichtlich werden die Verhandlungen über die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Post-Apartheid-Südafrika Anfang 1991 aufgenommen werden. Sie können aber nur dann zu einer dauerhaften Lösung der Probleme der Kap-Republik führen, wenn an ihnen außer der Regierung und dem ANC auch die KP, der PAC, die eher kleine und dennoch wichtige Azanian People’s Organization (Azapo) und die unter zulusprachigen Schwarzen im ländlichen Raum nach wie vor gefolgschaftsstarke Inkatha-Bewegung Buthelezis teilnehmen.
Die KP ist derzeit bemüht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und zur orthodoxen Apartheid der Ära Verwoerd/Vorster zurückzukehren. Sie findet daher unter englisch-und noch viel mehr unter afrikaanssprachigen Weißen sehr viele Anhänger, So hätte sie heute eine sehr gute Chance, jede Wahl, insbesondere die von den Befreiungsbewegungen geforderte Wahl zu einer verfassunggebenden Versammlung, unter den weißen Südafrikanern zu gewinnen. Eher beiläufig sei an dieser Stelle an ANC/SACP. an PAC und Azapo die Frage gerichtet, was für sie nach einer solchen Wahl gewonnen wäre, wenn sie doch mit großer Sicherheit dazu führen würde, daß die Mehrheit der weißen Mitglieder dieser Versammlung nicht bereit sein würde, mit ihnen zu verhandeln. Schon vor gut zehn Jahren hat der Realist Buthelezi in einer Ansprache in New York gewarnt, sehr viele Weiße seien bereit, „to scorch the earth in the eleventh hour and die in defense of the indefensible" Wer in vom PAC dominierten Ghettos, weniger allerdings in solchen, die vom ANC kontrolliert werden, die Graffiti „one settler one bullet“ gesehen hat, der wird verstehen, daß nicht nur reaktionäre weiße Südafrikaner manch einer Forderung der Befreiungsbewegungen in nackter Angst begegnen.
PAC und ebenso Azapo haben de Klerks Angebot, auch mit ihnen über das neue Südafrika zu verhandeln, bislang zurückgewiesen. Ihre stereotype Antwort war im Herbst 1990, daß sie erst dann zu Verhandlungen bereit sein werden, wenn in Südafrika eine verfassunggebende Versammlung gewählt worden und die heutige Regierung durch eine Interimsregierung. an der die Befreiungsbewegungen maßgeblich beteiligt sein müssen, abgelöst worden sein wird. In PAC-und Azapo-Kreisen mag bis auf den heutigen Tag die Auffassung verbreitet sein, die Regierung in Pretoria sei ähnlich schwach wie die 1989 gestürzten Regime in Osteuropa. Von daher fordern sie die Kapitulation Pretorias. Schon jetzt deutet es sich aber an, daß PAC und Azapo hier einlenken und, ebenso wie der ANC, ab Anfang 1991 mit der Regierung verhandeln werden.
Eine andere Frage ist, ob der ANC zulassen wird, daß auch Inkatha am Verhandlungstisch Platz nimmt. Deren Gründer, Buthelezi, ist aus der Jugendliga des ANC hervorgegangen. Mit dessen Zustimmung übernahm er Anfang der siebziger Jahre das ihm von Pretoria angetragene Amt des Regierungschefs in KwaZulu. Das offizielle Organ des ANC, Sechaba, nannte ihn damals „an African Patriot, a man of the people" Der ANC bekämpfte aber die Gründung der Inkatha-Bewegung, die in den siebziger Jahren erfolgte, seitdem sich Inkatha bei einem Treffen mit dem ANC in London dem Führungsanspruch des letzteren nicht beugte.
Wohl erstmals bei dem Treffen afrikaanser Dissidenten mit dem ANC im Juli 1987 in Dakar bekannte sich dieser zwar zum politischen Pluralismus, nahm für sich selbst jedoch die Rolle eines „umbrella leader“ in Anspruch. Dementsprechend findet sein Bekenntnis zum Mehrparteiensystem seine Schranken in den Grenzen der „Intoleranz des Befreiungskampfes“ („liberatory intolerance“) So gelangt der ANC zu der Auffassung, daß Inkatha kein Recht habe, an den Verhandlungen mit der Regierung teilzunehmen. Dagegen lehnte sich Inkatha auf, und so kam es in der zweiten Jahreshälfte 1990 erstmals auch im Transvaal zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Inkatha-und ANC-Gruppen, die nahezu tausend Menschen das Leben kosteten. Kämpfe um die Vorherrschaft in schwarzen Ghettos hatte es Mitte der achtziger Jahre auch zwischen Anhängern von ANC einerseits und PAC/Azapo andererseits im östlichen Kap gegeben. Diese sind bislang noch nicht wieder aufgeflammt.
KP, PAC, Inkatha und auch die SACP sind keine westlich-demokratisch orientierten Parteien. Den gegenteiligen Bekundungen seiner Führung zum Trotz dürfte das aber auch für den ANC gelten. Allen diesen politischen Kräften fehlt es an der Fähigkeit zum Kompromiß und zur Toleranz gegenüber dem politischen Rivalen. In jüngerer Zeit hat der ANC häufig geäußert, die KP und ihr nahestehende Kreise in der NP wie auch der südafrikanischen Regierung hätten eine „third force“ geschaffen. Sie rekrutiere sich aus sogenannten vigilantes, aus Teilen von Inkatha, aus Todesschwadronen und anderen konterrevolutionären Elementen. Ihre wichtigste Aufgabe sei die Entzweiung des Widerstandes gegen Apartheid und damit das Bemühen, eine Abkehr Pretorias von seiner bisherigen Politik der Rassentrennung zu verhindern Diese Vorwürfe des ANC können sehr wohl berechtigt sein. Aber es ist doch zu bedenken, daß ANC/SACP. Inkatha und auch PAC/Azapo seit Jahren bewiesen haben, daß es einer dritten Kraft nicht bedarf, um sie einander mit Waffengewalt bekämpfen zu lassen. 1. Die Verhandlungspositionen des ANC Nach wie vor redet der ANC einem „demokratischen, nicht-rassischen Post-Apartheid-Südafrika“ („ein Mensch eine Stimme in einem Staat“) das Wort. Dessen Wirtschaft soll sozialistischer, nach jüngeren Verlautbarungen eher sozialdemokratischer Natur sein. Einschlägig sind hier die oben bereits erwähnten, mit Unterstützung Schwedens erstellten und im August 1988 offiziell vorgestellten „Constitutional Guidelines for a Democratic South Africa.“
Seit etwa zwei Jahren ist der ANC bemüht, zunächst die Vollversammlung und dann auch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu veranlassen, einen völkerrechtlich verbindlichen Rahmen für die Lösung des Südafrika-Konflikts zu beschließen. Vorbild ist hier die Resolution 435 (1978) des UN-Sicherheitsrates für Namibia. Natürlich will der ANC in eine solche Entschließung der UN-Organe ein Maximum seiner eigenen Vorstellungen von dem Post-Apartheid-Südafrika einfließen lassen. Im vorigen Jahr konnte er hier bedeutende An-fangserfolge erzielen; sie werden vor allem dann wichtig werden, sollte — was nicht unwahrscheinlich ist — der Verhandlungsprozeß von Groote Schuur scheitern. Im September 1989 machte sich das „OAU (d. h. Organisation für afrikanische Einheit) Committee on Southern Africa" die Vorstellung des ANC zu eigen („Deklaration von Harare“). Ihm folgten im September 1989 die Blockfreien bei ihrem Gipfel in Belgrad und einen Monat später, in Kuala Lumpur, die übergroße Zahl der 49 Commonwealth-Staaten. Sehr wichtig war, daß auch die 16. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1989 die Sicht der Befreiungsbewegungen von einem künftigen Südafrika einstimmig übernahm 2. Die Verhandlungspositionen Pretorias In einem Mitte 1989 verabschiedeten „five year action plan“ gab die nach wie vor in Pretoria allein regierende NP das System der Apartheid zugunsten eines solchen auf. in dem „all population groups participate in decision-making on a basis of Consensus“ Dieses im Grunde wenig durchdachte, kaum aussagekräftige und eher konfuse Papier suchte de Klerk kurze Zeit später den Regierungen in Bonn, Lissabon, Rom, Maputo, Kinshasa, Lusaka und vor allem in London zu erläutern. Es dürfte ihm kaum gelungen sein, auch nur einen seiner Gesprächspartner zu überzeugen. Selbst heute, wenige Monate vor Beginn der Verhandlungen mit zumindest dem ANC, erscheinen die Ausführungen verantwortlicher Politiker in Pretoria oft konfus. Es rächt sich jetzt, daß die so sehr verbreitete Selbst-gerechtigkeit des Afrikanerdoms selbst dessen führende Vertreter über Jahrzehnte gehindert hat, über Alternativen zur Apartheid zumindest nachzudenken. Folglich kommt es nicht selten im In-und Ausland zu erstaunlich anmutenden Fehlinterpretationen der Absichten Pretorias.
Das Afrikanerdom — und letztlich auch die englischsprachigen Weißen — werden darauf bestehen, daß die neue Verfassung ihr Existenzrecht machtpolitisch absichert; dies schon deshalb, weil im Grunde alle inländischen Akteure des Ringens um das künftige Südafrika keine Demokraten westlicher Prägung sind, und auch unabhängig davon, ob die Weißen sich in der liberalen Democratic Party, der jetzt nur noch gemäßigt konservativen NP, der reaktionären KP oder in der faschistischen Afrikaner Weerstandsbeweging (AWP) repräsentiert sehen.
Das Jahr 1990 war nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet, daß Pretoria rassistischen Ballast wie den „Separate Amenities Act“ ersatzlos über Bord warf, bei weit wichtigeren Gesetzen wie dem „Land Act“ und dem „Group Areas Act“ jedoch nur weitgehende Änderungen im Sinne einer Liberalisierung ankündigte. Am „Population Registration Act“, dem wichtigsten Apartheid-Gesetz überhaupt, da es die Bevölkerung in rassisch definierte Gruppen aufteilt, wird bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung überhaupt nichts geändert werden.
Die Gefahr ist groß, daß mit zunehmender Polarisierung noch mehr weiße Afrikaner von der NP zur KP überwechseln werden. Auch deshalb werden die Unterhändler Pretorias in den kommenden Verhandlungen nicht nur auf der Verankerung von Volksgruppenrechten in der neuen Verfassung der Kap-Republik bestehen. Sie werden darüber hinaus für eine unbestimmte Zeit die fortwährende Kontrolle von Schlüsselressorts wie Finanzen, Polizei und Streitkräfte für sich fordern. Auch wenn unstreitig die Unterhändler des ANC, insbesondere Nelson Mandela persönlich oft ein sehr hohes Maß an Verständnis für die nicht unberechtigte Furcht der Weißen vor dem Post-Apartheid-Südafrika bekunden, so können sie sich dennoch nicht auf derartige Vorstellungen der anderen Seite einlassen. Andernfalls verlöre der ANC auf der Stelle sehr viel Boden an den PAC.
VI. Ausblick
Die gegenwärtige Problemlage verführt nicht zu der Feststellung, daß der Südafrika-Konflikt unlösbar sei. Dann würde die Kap-Republik noch in diesem Jahrhundert in Chaos und Anarchie versinken. Vorstellbar ist aber auch eine Teillösung, wie sie — auf die entsprechenden Fragen hin — Willem de Klerk Anfang des Jahres kurz angesprochen hat „I don’t think partition is a viable alternative in the present climate . . . But, who knows, as negotiations drag on and stalemates develop . . . it might just become something to look at in the future.“
De Klerk hat hier, ähnlich wie Slabbert kurze Zeit später eine „gerechte“ Teilung des Landes als die letzte Rückfallposition der weißen Südafrikaner vor Augen gehabt, eine Teilung Südafrikas auf Kosten der Weißen, oder, in Slabberts Worten, eine „sacrificial partition instead of a greedy partition“. Schon vor fast 20 Jahren hatte Slabbert in seinem Haus Südafrikaner. Deutsche und Niederländer die Frage diskutieren lassen, ob die Bereitschaft des Afrikanerdoms zur Aufgabe von Apartheid sich dadurch erreichen lasse, daß in der weitgehend ariden Kap-Provinz ein „Afrikaaner-Israel“. also eine Fluchtburg für jene weißen Afrikaner geschaffen wird, die für sich und ihre Kinder eine Zukunft in dem vom ANC regierten übrigen Südafrika nicht sehen. Jahre später hat Slabbert den heutigen Bundesvorsitzenden der FDP. Lambsdorff, dafür, gewinnen können, sich diese Vorstellung zu eigen zu machen
Heute ist nicht mehr ausgeschlossen, daß der ANC zu diesem Zugeständnis bereit ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, daß Nelson Mandela bei Veranstaltungen im Erich-Ollenhauer-Haus (SPD-Parteizentrale) und bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Juni 1990 in Bonn die Gespräche führender ANC-Vertreter mit Carel Boshoff erwähnte. Boshoff, ein KP-Dissident, ist der führende Vertreterjenes Teils des Afrikanerdoms, das in einer Teilung des Landes auf Kosten der weißen Afrikaner die einzig denkbare Konfliktlösung sieht Allen an diesen Diskussionen beteiligten Südafrikanern und Ausländern ist wohlbekannt, daß die für die Schaffung eines Afrikaner-Israels erforderliche Infrastruktur vor Jahrzehnten schon entlang den Ufern des Oranje-Flusses angelegt wurde. Vieles spricht dafür, daß die britisch-amerikanisch-sowjetische Geheimdiplomatie trotz vor allem wirtschaftlicher Bedenken, eine solche Lösung dann stützen wird, wenn sich so der Widerstand der KP zumindest weitgehend überwinden läßt. Bis dahin wird jedoch noch ein weiter Weg zurückzulegen sein.
Noch schwerer wird es sein. ANC/SACP. Inkatha. PAC und Azapo zur Koexistenz und darüber hinaus zum gemeinsamen Regieren des neuen Südafrika zu befähigen. Denn seit Jahrzehnten schon ist die OAU vergebens bemüht. ANC und PAC auszusöhnen. Es scheiterten hier auch Bundesaußenminister Genscher und der dem ANC zumindest nahestehende südafrikanische Pastor Allen Boesak. Die sogenannte Genscher/Boesak-Initiative von 1987 verfolgte den Plan, die Parteien des südafrikanischen Widerstandes während der deutschen EG-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1988 zusammenzuführen. Diese Konferenz kam jedoch nie zustande. da sich der ANC und die ihm nahestehenden Organisationen weigerten. Inkatha an ihr teilnehmen zu lassen. Im Dezember 1989 wurde von den Veranstaltern der „Conference on a Democratic Future“ in Johannesburg der bislang letzte Versuch unternommen. Antagonismen im Widerstand abzubauen. Zwar nahmen an dieser Konferenz alle dem damals noch gebannten ANC verbundenen Organisationen und auch Azapo teil. Die Gruppen, die sich dem damals gleichfalls noch illegalen PAC zugehörig fühlten, boykottierten die Konferenz jedoch. Sie befürchteten, sich andernfalls den Vorstellungen des derzeit (noch?) deutlich gefolgschaftsstärkeren ANC unterordnen zu müssen. Inkatha war schließlich nie zur Teilnahme an dieser Veranstaltung aufgefordert worden. Im Dezember 1989 zeigte sich also einmal mehr, daß die seit Mitte der achtziger Jahre von Geistlichen um den katho-lischen Erzbischof von Durban, Denis Hurley, unternommenen Versuche, Brücken zwischen ANC und Inkatha zu schlagen, vergebens gewesen waren. Es steht zu befürchten, daß Machtkämpfe zwischen ANC/SACP, Inkatha, PAC und Azapo dazu führen werden, die von Denis Beckett aufgestellte Prognose vom Untergang Südafrikas Wirklichkeit werden zu lassen. Vielleicht wird sich eine solche Entwicklung nur dann verhindern lassen, wenn die maßgeblichen Führer des Widerstandes sich an die Vereinten Nationen oder des Commonwealth mit dem Antrag wenden, auf sehr lange Zeit im Post-Apartheid-Südafrika eine Friedenstruppe zu stationieren. Vielleicht werden so die Parteien des Widerstandes befähigt werden, in einem gemeinsamen Staatswesen zu koexistieren.