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Konflikttransformation in Südafrika: Friedlicher Wandel durch Verhandlungen? | APuZ 50/1990 | bpb.de

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APuZ 50/1990 Konflikttransformation in Südafrika: Friedlicher Wandel durch Verhandlungen? Südafrika auf dem Weg zur Demokratie? Internationale und innenpolitische Aspekte Zum Verhältnis von Stabilität und Kompromißbereitschaft in Südafrika Südafrikas Außenpolitik: Gibt es einen Weg aus der Isolation?

Konflikttransformation in Südafrika: Friedlicher Wandel durch Verhandlungen?

Theodor Hanf

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Südafrika ist ein asymmetrisches Patt entstanden: Weder ein Umsturz noch repressive Wiederherstellung des Status quo ante gelang. Die Regierung fand sich aus wirtschaftlichen Gründen, der ANC aufgrund der Veränderungen in Osteuropa zu einem Versuch friedlicher Konfliktregelung bereit. In der Vorverhandlungsphase entstand Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der gegenseitigen Intentionen. Die politische Landschaft änderte sich grundlegend: Die Konfrontation von Kräften der Revolution und der Repression wurde abgelöst von der Auseinandersetzung zwischen Verhandlungswilligen und Verhandlungsgegnern. Eine allseits akzeptable Verfassungs-und Wirtschaftsordnung ist am ehesten von einer parlamentarisch-demokratischen Verhandlungsprozedur unter Teilnahme aller politischen Kräfte zu erwarten.

Für wenige Länder ist so lange und so häufig ein kurz bevorstehender gewaltsamer Wandel vorausgesagt worden wie für Südafrika. Selbst die Minderheit derer, die friedlichen Wandel nicht als unmöglich ansahen, hielten ihn nicht für sonderlich wahrscheinlich. Für wahrscheinlich gehalten wurden hingegen ständig schneller aufeinanderfolgende Aufstände der Bevölkerungsmehrheit und deren Repression durch die herrschende Minderheit — Zyklen, die allmählich in einen langdauernden blutigen Bürgerkrieg übergehen würden.

Hierfür sprach in der Tat vieles, vor allem die langjährige Kompromißlosigkeit der wichtigsten politisehen Kräfte sowohl der Minderheit als auch der Mehrheit. Die Nationale Partei und die von ihr getragene Regierung änderte zwar mehrfach ihre Politik bzw.deren semantische Präsentation, von kruder Herrschaft (baaskap) über eine Schein-Teilung des Landes (Apartheid, getrennte Entwicklung), eine Schein-Teilung der Macht mit anderen Minderheiten (Dreikammerverfassung) bis zu Schein-Verhandlungen mit von ihr selbst gewählten Partnern aus der Mehrheit unter Ausschluß der bedeutendsten schwarzen Organisationen in der späten Botha-Zeit. Im Kem blieb ihr politisches Ziel aber unverändert: Aufrechterhaltung der ausschließlichen Kontrolle des größten Teils Südafrikas durch die Weißen, genauer durch die (burischen) „Afrikaaner".

Demgegenüber hielt der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) an seinem Ziel des ungeteilten, nichtrassischen Südafrika fest. Seit seinem Verbot zu Beginn der sechziger Jahre versuchte er, dieses Ziel durch bewaffneten Kampf zu erreichen. Dem ethnischen Nationalismus der Afrikaaner stand der umfassende, voluntaristische Nationalismus des ANC gegenüber, und beide Seiten schienen nun I entschlossen, ihre Vorstellungen mit Waffengewalt zu behaupten bzw. durchzusetzen. Verhandeln wollten beide Seiten nur zu ihren eigenen Bedingungen: die Regierung nur mit einem ANC, der der Gewalt abschwören würde, der ANC nur über eine Machtübergabe.

Ende 1990 bietet der Konflikt ein völlig anderes Bild. Regierung und ANC-Führung sind zweimal zu Vorverhandlungen zusammengetreten. Die Regierung hat sich zum Ziel eines ungeteilten und nicht rassischen Südafrika mit gleichen Rechten für alle seine Bürger bekannt; der ANC hat den bewaffneten Kampf suspendiert. Die historischen Führer des ANC, vor allem Nelson Mandela, befinden sich wieder in Freiheit, das Verbot des ANC, anderer schwarzer Organisationen und der Kommunistischen Partei ist aufgehoben. Ein Teil der exilierten Politiker ist zurückgekehrt. Zum ersten Mal seit dreißig Jahren können sich alle politischen Kräfte Südafrikas frei organisieren und für ihre Programme werben. Aber die Regierung ist weiterhin an der Macht; sie allein kontrolliert Polizei und Armee, und die schwarze Bevölkerungsmehrheit besitzt weiterhin kein Stimmrecht.

Ein Machtwechsel hat nicht stattgefunden. Der zentrale Konflikt besteht weiter: Wie und durch wen soll in Zukunft Macht ausgeübt werden? Aber die Austragung des Konflikts ist bereits grundlegend transformiert. Regierung wie ANC haben sich dazu verpflichtet, ihn durch Verhandlungen, nicht durch Repression oder Revolution zu regeln.

Eine solche Transformation ist ungewöhnlich. Gewiß hat es ähnliche Verhandlungsprozesse am Ende von Entkolonisierungsprozessen gegeben, etwa in Simbabwe und Namibia. In diesen Fällen aber waren Verhandlungen wenig mehr als zivilisierte Formen der Kapitulation einer kleinen Minderheit oder des Rückzugs ihres auswärtigen Protektors unter dem Vorsitz und mit Nachhilfe internationaler Schiedsrichter. Beides ist in Südafrika nicht der Fall. Gewiß gab es zahlreiche Fälle einer Machtübergabe zuvor herrschender Minderheiten an die Mehrheit, wenn Regierungen der Loyalität ihrer bewaffneten Kräfte nicht mehr sicher waren und Erfolg einer Revolution damit möglich wurde. Auch dies ist aber in Südafrika nicht der Fall: Die Sicherheitskräfte sind in ihrem Kern aus der herrschenden Minderheit rekrutiert und dieser völlig loyal. Schließlich gibt es den klassischen Fall der friedlichen Aufgabe einer Minderheitenherrschaft durch schrittweise Ausweitung des Stimmrechts auf die gesamte Bevölkerung: Großbritannien. Dieser Prozeß erstreckte sich aber über eine sehr lange Zeit, und er erfolgte innerhalb einer homogenen Gesellschaft.

In den meisten Fällen, in denen Macht und wirtschaftliches Privileg in den Händen einer ethniB sehen Minderheit lagen, und in denen diese Minderheit das Monopol physischer Macht besaß, dachte diese nicht daran, ihre Stellung in Verhandlungen zur Disposition zu stellen, wenn sie nicht dazu gezwungen war, d. h. die Macht bereits verloren hatte. Im Falle Südafrikas war dies nicht der Fall — oder zumindest noch nicht. Was hier geschieht, ist bemerkenswert: Ein Konfliktverschärfung vorbeugendes Verhandeln, eingeleitet durch die herrschende Minderheit zu einem Zeitpunkt, an dem sie die Kontrolle noch nicht verloren hat — ein Versuch preemptiver Konflikttransformation.

I. Ein asymmetrisches Patt: Die Ausgangslage der Verhandlungen

Der Unterdrückung der schwarzen Emanzipationsbewegung zu Beginn der sechziger Jahre folgten eineinhalb Jahrzehnte erzwungener Apathie der Bevölkerungsmehrheit. Nach der Niederwerfung der Soweto-Aufstände 1976/77 dauerte es nur halb so lange, bis sich die schwarze Bevölkerung erneut erhob. Die Aufstände der achtziger Jahre waren kraftvoller und dauerten länger als die Vorgänger-bewegungen. Ihre soziale Basis war weitaus breiter als zuvor: Nicht nur politisch Organisierte wie 1960, hauptsächlich Jugendliche wie 1977, sondern Hunderte von Mieter-, Bürger-, Berufsorganisationen und Gewerkschaften (Congress of South African Trade Unions/COSATU) sowie zehntausende nichtorganisierter Bürger nahmen an Miet-und Kaufboykotten, an Protestmärschen und Massendemonstrationen teil. Unzufriedenheit über zahlreiche konkrete Mißstände — exorbitante Mieterhöhungen, Wohn-und Transportbedingungen, mangelnde Bildungsmöglichkeiten und anderes mehr — verbanden sich mit dem landesweiten Protest gegen die neue Dreikammerverfassung, die den Ausschluß der schwarzen Bevölkerung von jeder politischen Partizipation besiegeln sollte, zu einer Protestmotivation bislang unbekannter Stärke.

Die Repression setzte zunächst zögerlich ein, da die Regierung noch um die Zustimmung der Bevölkerung gemischter und indischer Herkunft zu dieser Verfassung warb — im übrigen vergeblich. Sie erwies sich sodann als schwieriger, da die neue Organisationsform der Protestbewegung, der United Democratic Front (UDF), äußerst dezentral angelegt war und daher in der Lage, verhaftete Führer und Sprecher ständig durch neue zu ersetzen. Da die Aufstände sich auf das ganze Land erstreckten, erforderten sie einen weitaus größeren Personaleinsatz als die Niederwerfung früherer Unruhen — zum ersten Mal war die Regierung gezwungen, die Armee einzusetzen.

Nichtsdestoweniger gelang es der Regierung schließlich, die Protestwelle zu ersticken und die sie tragenden Organisationen zu lähmen. Nach einiger Zeit griff der Ausnahmezustand, der Protest flaute ab. Die Grenzen der Möglichkeiten eines unbewaffneten Aufstandes waren einmal mehr deutlich geworden: Die lokale Verwaltung in den schwarzen Wohngebieten war zwar weitgehend zusammengebrochen, es gab jedoch keine „befreiten Gebiete“, in die Polizei oder Armee nicht einmarschieren konnten, wenn sie dies für nützlich hielten; die Weißen mochten Angst haben, es gab jedoch keine Guerillas, die ihre Wohngebiete angreifen konnten. Man mochte von Bürgerkrieg reden; wenn aber eine Seite nur über Steine und Molotow-Cocktails verfügt, die andere aber über Schußwaffen und Panzer, dann ist dies kein Bürgerkrieg, sondern Repression.

Kurz: Die Regierung hatte sich ein weiteres Mal mittels ihres Monopols der bewaffneten Gewalt durchsetzen können. Aber sie verlor den psychologischen Krieg — denn einen solchen stellte der Aufstand durchaus dar. Die Wirtschaft wurde schwer angeschlagen, nicht nur durch Produktionsausfälle, sondern auch durch eine Verschärfung des internationalen „Marktboykotts“, der stärkere Auswirkungen hatte als staatliche Sanktionen: Investoren wurden vom Klima der Unsicherheit nachhaltig abgeschreckt. Die schwarze Bevölkerung litt darunter zwar am meisten, aber auch vielen Weißen begann es schlechter zu gehen. Vor allem aber führte die Unterdrückung nicht — wie nach 1960 für eine lange und 1976 zumindest für eine kürzere Zeit — zu einer politischen Entmobilisierung der schwarzen Bevölkerung. Im Gegenteil: Die Politisierung setzte sich beschleunigt fort. Der verbotene ANC und sein politisches Programm erlebten nach einem Vierteljahrhundert eine rapide Renaissance. Auch mit rudimentärer, da immer wieder durch Verbote und Verhaftungen behinderter Organisation verschmolzen UDF und ANC im Bewußtsein der Bevölkerung zum „Democratic Mass Movement". Anfang 1988 glich die Lage in Südafrika stark der in Polen nach dem Ausnahmezustand 1981: Eine Minderheitsregierung behielt durch Militäreinsatz die Kontrolle, die unterdrückte Bevölkerungsmehrheit aber fiel nicht in passive Hinnahme der Herrschaft zurück. Ein asymmetrisches Patt zwischen Macht und Massenmobilisierung entstand, Legalität und Legitimität klafften weiter auseinander als je zuvor.

II. Machen Männer Geschichte? Politische und personale Bedingungsfaktoren für Konflikttransformation

Weder in Polen noch in Südafrika führte allein die Ausgangslage eines asymmetrischen Patts die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch. Pattsituationen können bisweilen lange andauern. In Polen zwang schließlich eine katastrophale Wirtschaftslage zum Verhandeln, und zwei bedeutende Männer, deren einer das Vertrauen der Mehrheit besaß, während der andere den Machtapparat kontrollierte, machten Kompromisse beider Konfliktparteien möglich. Auch in Südafrika bahnten gewichtige „objektive“, ökonomische und international politische Entwicklungen den Weg zu Verhandlungen, und auch hier entschlossen sich zwei bedeutende Männer, ihn zu beschreiten.

Seit es in Südafrika Apartheid gibt, leben die Süd-afrikaner in erzwungener gesellschaftlicher Trennung, aber in einem gemeinsamen Wirtschaftssystem. Die sogenannte Kleine Apartheid stellte die gesellschaftliche Trennung her; sie war lange Zeit in erschreckendem Maße „erfolgreich“. Die soge-nannte Große Apartheid sollte die politische Trennung herstellen. Um dies zu erreichen, zielte sie auch auf eine wirtschaftliche Trennung ab; dieser Versuch scheiterte völlig. Israel kann wirtschaftlich notfalls ohne die Palästinenser in seinem Herrschaftsgebiet existieren, Südafrika aber nicht ohne die Schwarzen. Die „border Industries“ erwiesen sich als Fehlschlag; die „homelands" wurden zu Gebieten, in die man überschüssige Arbeitskräfte abschob, aber die Anzahl der Schwarzen, die von der Wirtschaft in sogenannten weißen Gebieten benötigt wurde, hörte nicht auf zu steigen. Aus wirtschaftlichen Gründen brach zunächst die Job Reservation zusammen. Um ein Minimum an Arbeitsfrieden zu gewährleisten, mußten schwarze Gewerkschaften zugelassen werden. Die „influx control" wurde erst für unmittelbar benötigte Arbeitskräfte, dann überhaupt aufgegeben.

Die Anpassung der Rassengesetzgebung an die Bedürfnisse der Wirtschaft, genauer: ihre schrittweise Abschaffung, begann bereits unter der Präsidentschaft P. W. Bothas. Er erkannte den Primat der Wirtschaft für die südafrikanische Politik, und zwar in erster Linie aus der Perspektive des Interesses der Weißen. Nach dem Abbau der wirtschaftlichen betrieb er auch den Abbau der sozialen Apartheid. Er hob das Verbot der Geschlechtsbeziehungen und der Eheschließung zwischen Angehörigen unterschiedlicher „Rassengruppen“ auf. Diese Maßnahme beeindruckt zwar die schwarze Bevölkerung nur wenig, solange die Trennung von Wohngebieten und Schulen weiterbesteht, ebenso wie die „Rassenklassifizierungen“, die Kinder aus Mischehen weiterhin zu „Coloureds" machen. Für die weiße Bevölkerung und vor allem für die Buren bedeutete sie das Verschwinden des ideologischen Kernstücks der Apartheid, der Aufrechterhaltung „rassischer“ Unterschiedlichkeit, mit welcher politische und wirtschaftliche Privilegierung jahrzehntelang begründet worden war. Das zentrale Dogma wurde wirtschaftlicher Opportunität geopfert.

Daß P. W. Botha schließlich auch erklärte, er akzeptiere Südafrika als ein Land, wunderte kaum noch jemanden. In der Retrospektive erst wird deutlich, in welchem Umfang in der Amtszeit dieses Präsidenten Apartheid stückweise aufgegeben wurde. Wahrscheinlich hat er dies nie systematisch beabsichtigt, sondern lediglich Schritt für Schritt ökonomischen Notwendigkeiten nachgegeben: Er pflegte vom Abbau „nicht notwendiger“ Diskriminierung zu sprechen. Bis zum Ende seiner Amtszeit — und nachher noch mehr — wehrte er sich hingegen gegen die Einsicht, daß auch die von ihm letztlich für „notwendig“ erachtete Diskriminierung, nämlich der Ausschluß der Bevölkerungsmehrheit von Teilnahme an der Macht, nicht aufrechterhalten werden kann, wenn die südafrikanische Prosperität, in seinem Verständnis zentrales Interesse der Weißen, aufrechterhalten werden soll. Dieser Einsicht öffnete sich erst sein Nachfolger. Daß ein Mann wie Botha, den nichts in Herkunft, Karriere und Überzeugungen dazu prädestinierte, zum großen Desegregator wurde, und noch mehr die Tatsache, daß die Mehrheit der Weißen ihm dabei folgte, zeigt jedoch deutlich, wie sehr wirtschaftliches Interesse geeignet ist, ideologische Positionen zu untergraben. Es war in erster Linie dieses Interesse, welches die Weißen schließlich auch Verhandlungen über die Macht akzeptieren ließ.

Auch für die Verhandlungsbereitschaft des ANC spielten ökonomische Gründe eine Rolle. Die Erfahrungen Angolas und Mosambiks zeigten seinen Führern, daß es nicht sonderlich angenehm ist, die Macht in einem vom Bürgerkrieg ruinierten Land zu übernehmen. Seinen bewaffneten Kampf hatte der ANC stets in einer kontrollierten und disziplinierten Weise betrieben: durch wohlgeplante und gezielte Kommandoaktionen auf Polizei, Militär und wirtschaftliche Symbole des Regimes wie Kohlehydrieranlagen und Atomkraftwerke. „Unkontrollierte Gewalt“ war dem ANC stets ein Greuel, als ein politisch nicht zu steuerndes Phänomen. Der kontrollierte bewaffnete Kampf als politisches Instrument aber war dem ANC nur solange möglich. wie er die dafür erforderliche Finanz-, Ausbildungsund Waffenhilfe erhielt — und er erhielt sie nur von der Sowjetunion und deren Verbündeten.

Seit etwa drei Jahren aber mehrten sich in der Sowjetunion — zunächst unter Afrikaspezialisten, dann aber auch in der politischen Führung — die Zweifel an Sinn und Zweckmäßigkeit der Unterstützung einer gewaltsamen Veränderung in Südafrika — einer Unterstützung, die nicht nur die Gefahr eines Konfliktes mit den Vereinigten Staaten in einer weit entfernten Region in sich barg, sondern zunehmend auch als finanzielle Last empfunden wurde. Der Gedanke, in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten regionale Konflikte in der Dritten Welt zu dämpfen und zu regeln, gewann an Attraktivität. In Angola und Namibia wurde er erfolgreich verwirklicht, der ANC bedrängt, in Südafrika nach einer politischen Lösung zu suchen. Die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP), seit den fünfziger Jahren enger Verbündeter des ANC und in langen Exiljahren aufgrund ihrer Schlüsselrolle als Verbindungsorganisation zur Sowjetunion im ANC einflußreich geworden, versuchte vergebens, sich gegen die neue sowjetische Südafrikapolitik zu sträuben. Im Zeichen sich beschleunigender Perestroika und wachsender sowjetischer Abneigung gegen als sinnlos angesehene Ausgaben, lief die SACP und mit ihr der ANC zunehmend Gefahr, „zu spät zu kommen“ und daher „vom Leben bestraft“ zu werden. Der Zusammenbruch der DDR, die sich bis kurz vor ihrem Ende gegen die Perestroika wehrte und ebenso lange die hergebrachte SACP-Politik des bewaffneten Kampfes nachhaltig förderte, tat ein übriges: Die logistischen Voraussetzungen dieser Politik schwanden schnell. Außerdem war sie nicht übermäßig erfolgreich gewesen. Es war nicht der bewaffnete Kampf, der zur Krise der südafrikanischen Wirtschaft geführt hatte, sondern weitaus mehr die internen Aufstände — und die kluge und überaus erfolgreiche politische Arbeit des ANC in der westlichen wie in der Dritten Welt, die viel dazu beigetragen hatte, Südafrika international zu isolieren und damit wirtschaftlich zusätzlich zu schwächen.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die wichtigsten Akteure im Südafrikakonflikt von unterschiedlichen, aber in durchaus vergleichbarem Maße wirksamen Entwicklungen dazu gedrängt wurden, eine politische Konfliktregelung durch Verhandlungen in Erwägung zu ziehen. Das Vorhandensein „objektiver Bedingungen“ allein garantiert freilich noch keineswegs, daß die politischen Akteure aus ihnen auch Konsequenzen ziehen. Wie aufgezeigt, war P. W. Botha bis an den Rubikon politischer Verhandlungen gegangen, hatte oft laut darüber nachgedacht, ihn zu überschreiten, war letztlich aber davor zurückgeschreckt. Auf der anderen Seite suchten die „Diplomaten“, d. h.der politische Flügel der ANC-Führung, bereits seit drei Jahren durch Kontakte mit liberalen, oppositionellen Weißen, die Anti-Apartheid-Front zu verbreitern; auf deren Aufforderung, auf den wenig erfolgreichen, für einen friedlichen Wandel durch Verhandlungen kontraproduktiven Kampf zu verzichten, konnten sie freilich mit Rücksicht auf die ANC-Militärs und sonstige Hardliner nicht eingehen. Im Frühjahr 1989 mochten zwar die „objektiven“ notwendigen Bedingungen für Verhandlungen vorhanden sein, die „subjektiven“ aber schienen noch zu fehlen: Persönlichkeiten, die bereit waren, den Rubikon zu überschreiten.

Wenig später aber stellte sich heraus, daß es sie gab. Nelson Mandela, seit 27 Jahren im Gefängnis, begann — noch als Gefangener — mit Ministern der Regierung Botha Gespräche zu führen und löste damit einige Panik in der Führung des Exil-ANC aus, bis diese erleichtert feststellen konnte, daß er sich strikt an die offizielle politische Linie des ANC hielt. Aber er hatte den Präzedenzfall des Gesprächs mit dem Gegner geschaffen. Eine vergleichbare Panik in Teilen der Führung der Nationalen Partei löste Botha aus, als er Mandela zum „Tee“ in seinen Amtssitz einlud. Damit war zwar Bothas Konzessions-und Verhandlungsbereitschaft an ihr Ende gelangt. Aber auch er hatte ein Tabu gebrochen und auf Seiten seiner Konfliktpartei die Voraussetzungen für etwas geschaffen, das er selbst ablehnte. Als sein designierter Nachfolger de Klerk sich in einer weit weniger gewichtigen Frage — einem Besuch in Sambia — widersetzte, trat Botha zurück.

Nur wenige Beobachter der südafrikanischen Politik erwarteten von de Klerk besonders schnelle und mutige Schritte; als Innenminister hatte er ein eher konservatives Profil gezeigt und sich mit grundsätzlichen Stellungnahmen zurückgehalten. Zu den der NP-Parteilinie weit vorauseilenden Überlegungen seines Bruders, eines unter Afrikaaner-Intellektuellen einflußreichen Wissenschaftlers und Publizisten, hatte er stets vorsichtige Distanz gehalten, wenn er sie auch nicht zurückwies.

Die Brüder de Klerk gehören der kleinsten der Afrikaanerkirchen, der Gereformeerde Kerk, an. In dieser Kirche hatte, weithin unbeachtet, bereits in den siebziger Jahren eine Fundamentalkritik an der Apartheidpolitik eingesetzt: Getrennte Entwicklung von Völkern sei zwar im Prinzip aus religiösen Gründen weder geboten noch verboten; diese Politik unterliege aber dem Gebot der Gerechtigkeit, und unter den Bedingungen Südafrikas sei eine gerechte Politik der Trennung praktisch nicht möglich. Es liegt nahe anzunehmen, daß diese Diskussion am heutigen Präsidenten nicht spurlos vorbeigegangen ist. Auf jeden Fall standen seine religiösen Überzeugungen dem, was er aus pragmatisch-politischen Gründen für erforderlich hielt, nicht im Wege. De Klerk ist der Mann der südafrikanischen Perestroika geworden. In einem halben Jahr nach seinem Amtsantritt unternahm er die entscheidenden Schritte: Unmittelbar nach seinem Sieg in den Wahlen zum weißen Parlament baute er die „Sekurokratie“, die von Botha errichtete quasi-Nebenregierung militärischer Berater unspektakulär ab; er entließ Mandela aus der Haft, hob das Verbot des ANC, der SACP und anderer Organisationen auf und erklärte Anfang Februar 1990 seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit dem ANC und allen anderen politischen Kräften über ein neues Südafrika.

Mandela und de Klerk haben Hochachtung voreinander und offensichtlich auch gegenseitige persönliche Sympathie gefunden. Wieweit auch ihre konkreten Vorstellungen über das zukünftige Südafrika auseinandergehen mögen: Die Tatsache, daß de Klerk kein Zauderer wie sein Vorgänger ist, daß Mandela nach langen Gefängnisjahren weder gebrochen noch verbittert und in seinen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt ist, daß beide in ihren jeweiligen Konfliktparteien Schlüsselpositionen einnehmen und sich gegenseitig Glaubwürdigkeit bescheinigen, hat neben den notwendigen auch die hinreichenden Bedingungen für den Beginn von Verhandlungen geschaffen. Ob sie Geschichte erfolgreich gestalten werden, ist noch unsicher.

III. Von Formelkompromissen zur Vertrauensbildung: die Vorverhandlungen

Ende April und Anfang August 1990 fanden die ersten beiden Vorverhandlungsrunden statt, „talks about talks“. Dabei kamen noch keine präzisen Absprachen über das Wie und Wann der „eigentlichen“ Verhandlungen zustande. Man einigte sich, nach einer Denkpause weiter vor-zuverhandeln — wobei dann die Übergänge zum „Eigentlichen“ fließend werden dürften. Wichtiger als diese Absprachen war aber das Entstehen eines gewissen Grades an gegenseitigem Vertrauen — Vertrauen auf die Ernsthaftigkeit des Versuchs, eine friedliche Regelung zu finden.

Angesichts der Ungleichheit der Ausgangsbedingungen war dieses Ergebnis keineswegs selbstverständlich. Die Regierung ging mit beträchtlichen Vorteilen in die Vorverhandlungen. Sie hatte die Initiative ergriffen, sie hatte sich lange und gründlich vorbereiten können. Ein gutgeschulter Beamtenapparat stand ihr auf Abruf für Rückfragen zur Verfügung. Wichtiger: Sie konnte aus einer Position der militärischen Stärke verhandeln; sie war politisch geschlossen; sie hatte — nach kürzlich gewonnenen Wahlen — auf ihre konservative Opposition keine besondere Rücksicht zu nehmen.

Der ANC hingegen war von de Klerks Verhandlungsangebot überrascht worden. Da er mit einer langen Dauer des gewaltsamen Konflikts gerechnet hatte, waren seine Mitarbeiter zwar gut auf Fortführung des Kampfes und auf dessen diplomatisch-politische Unterstützung vorbereitet, weit weniger hingegen auf Verhandlungen. Seit Jahren kannten die Exilführer das Land nur aus Berichten, nicht aus eigener Anschauung. Ihre Meinungen über Verhandlungen waren geteilt: Eine gewichtige Minderheit hielt mittelfristig einen klaren Sieg für möglich und lehnte daher Verhandlungen ab. Die Zusammensetzung der ANC-Delegation war nicht unumstritten; die interne Anhängerschaft in UDF und Gewerkschaften wollte vertreten sein. Mandelas Votum gab schließlich den Ausschlag sowohl für die Entscheidung, auf das Verhandlungsangebot der Regierung einzugehen, als auch für die Benennung der Unterhändler. Überspielt wurden die Unstimmigkeiten und Unzufriedenheiten schließlich durch die Begeisterung der schwarzen Bevölkerung, die zum erstenmal ihre Führer der Regierung gleichberechtigt gegenübersitzen sah.

Bereits die erste Gesprächsrunde in Groote Schuur führte zu einem eindeutigen psychologischen Durchbruch, wenn auch die konkreten Ergebnisse, den Ausgangsumständen entsprechend, mager blieben. Es gab eine Annäherung der Standpunkte in der Frage der Rückkehr von ANC-Anhängern aus dem Exil und in der Freilassung politischer Gefangener. Der ANC hatte eine globale Rückkehr-und Freilassungsentscheidung angestrebt, während die Regierung eine Einzelfallprüfung forderte; man einigte sich darauf, zunächst die „einfachen“, d. h. klar politischen Fälle zu klären und sich in weiteren Gesprächen dann der schwierigeren, d. h. vor allem derer der ANC-Guerillas, anzunehmen. Angesichts der Opposition in den eigenen Reihen konnte sich die ANC-Delegation nicht dazu durchringen, die Einstellung des bewaffneten Kampfes zu erklären. Ein Formelkompromiß wurde gefunden: ein ge7 meinsames Bekenntnis zum Prinzip des friedlichen und demokratischen Wandels.

Wichtiger als diese vorläufigen Ergebnisse war das Zustandekommen einer Verhandlungsatmosphäre und das Herausbilden einer Gesprächsroutine. Beide Delegationen berichteten über ein gutes, fast herzliches Klima von Beginn an. Meist wurde Englisch gesprochen; die ANC-Delegierten gaben sich jedoch Mühe, so häufig wie möglich Afrikaans zu sprechen — eine Geste, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Die Regierungsseite befleißigte sich ausgesuchter Höflichkeit auch gegenüber denjenigen ANC-Delegierten, die sie am liebsten nicht am Tisch gesehen hätte — wie den SACP-Chef Joe Slovo. Häufig zogen sich die beiden Delegationen zu internen Gesprächen oder zu Konsultationen mit ihren Beratern zurück. Vor allem der ANC legte Wert darauf, daß jede seiner Stellungnahmen und Vorschläge von der gesamten Delegation mitgetragen wurde; häufig las ihr Sprecher vorbereitete Texte ab. In zahlreichen Pausen aber kam es zu spontanerer, informellerer Kommunikation. Bei kritischen Meinungsverschiedenheiten explorierten de Klerk und Mandela unter vier Augen Kompromißmöglichkeiten.

Die zweite Gesprächsrunde in Pretoria brachte ein substantielles Ergebnis. Nachdem die Regierung bereits zuvor ihren entscheidenden Schritt getan hatte — ihre Zustimmung zu einem neuen Südafrika mit gleichen Rechten für alle —, tat nunmehr der ANC den seinen: die Suspendierung des bewaffneten Kampfes für die Zeit der Verhandlungen. Der ANC schlug vor, weitere Vorverhandlungen für einige Zeit auszusetzen; er brauche Zeit, um sich als nunmehr legale Partei im Lande zu organisieren und damit die Voraussetzungen für die notwendige Information und Konsultation seiner An-* hängerschaft zu schaffen, aber auch, um die ungeduldigeren Teile der schwarzen Bevölkerung, nicht zuletzt die Jugend, vom Sinn der Verhandlungen zu überzeugen.

Zwischen den beiden Gesprächsrunden war deutlich geworden, daß sowohl der ANC wie die Regierung in ihren jeweiligen Lagern mit Widerspruch zu rechnen hatten. Chris Hani, der Befehlshaber der ANC-Guerillatruppe, erklärte in einer Rede in der Transkei, die Vorverhandlungen seien nur ein Teil des Kampfes, der auch in seiner bewaffneten Form weitergehe. Die südafrikanische Polizei deckte auf, daß eine Fraktion des ANC Waffen ins Land gebracht und militärische Aktionen vorbereitet hatte. Das ANC-Exekutivratsmitglied McMaharaj, an der Planung dieser Aktion führend beteiligt, wurde verhaftet. Die Mehrheit der ANC-Führer war von den Plänen dieser Fraktion nicht unterrichtet.

Bald nach dem Pretoriatreffen stellte sich ebenfalls heraus, daß auch die Regierungsseite seitens des weißen Lagers mit Sabotageversuchen am Verhandlungsprozeß rechnen mußte. An vielen Orten in der Region Witwatersrand brachen heftige Kämpfe zwischen Anhängern der Inkatha-Partei des Zuluführers Buthelezi und ANC/UDF-Anhängern aus. Mancherorts gerieten sie zu ethnischen Gegensätzen zwischen Zulu und Xhosa — es war nicht zu übersehen, daß dabei eine „Dritte Kraft“ die Hand im Spiel hatte. Der ANC machte Rechtsradikale in Polizei und Armee dafür verantwortlich. Offensichtlich waren weder ANC noch Regierung in der Lage, verhandlungsfeindliche Elemente in ihren jeweiligen Lagern zu kontrollieren. Und beide Seiten gaben dies indirekt zu. Der ANC forderte nicht die Freilassung McMaharajs, sondern die schnelle Eröffnung eines Gerichtsverfahrens zur Klärung der Vorwürfe. De Klerk ernannte eine unabhängige Kommission unter Vorsitz eines Richters, um die Machenschaften der „Dritten Kraft“ zu untersuchen. An der Weiterführung des Vorverhandlungsprozesses aber hielten beide Seiten fest.

IV. Neue Fronten und Allianzen: Veränderungen des politischen Spektrums in der Vorverhandlungsphase

Zu den zahlreichen bereits vorhandenen Konflikten in Südafrika ist ein neuer hinzugetreten: Zustimmung zu oder Ablehnung von Verhandlungen. Diese neue Kontroverse hat alte Allianzen und auch Gegnerschaften erschüttert, neue zeichnen sich ab, ohne bereits feste Formen angenommen zu haben.

Regierung und ANC lassen sich auf Verhandlungen ein und sind damit, ob sie dies nun beabsichtigen oder nur als unvermeidlich hinnehmen, zu einem Bündnis für friedliche Konfliktregelung geworden. Beide sind hingegen mit bisherigen Alliierten und Anhängern in neue Konflikte geraten und werden Zerreißproben ausgesetzt.

Für die Regierung geht es hauptsächlich darum, ob sie weiterhin von der Mehrheit der weißen Bevölkerung unterstützt werden wird. Institutionell besitzt sie eine zuverlässige Basis: Die Nationale Partei steht geschlossen hinter der Regierung, die staatliche Verwaltung ist überwiegend loyal. Die heutigen Verhandlungsgegner im weißen Lager waren bereits zu Bothas Zeiten aus der NP (Nationale Partei) ausgeschieden und hatten sich damit der Möglichkeit beraubt, unmittelbar auf die, Politik der Partei und der von ihr getragenen Regierung Einfluß zu nehmen: Es war gerade die Gründung der Konservativen Partei (KP) durch NP-Dissidenten, welche die Voraussetzung für die spätere Kursänderung von NP und Regierung geschaffen hat. Ziel der KP war es, eine Mehrheit im weißen Parlament zu erringen. Die seit Anfang 1990 mit durchaus beabsichtigter Eile von de Klerk eingeleitete Verhandlungspolitik beraubt aber die KP dieser Perspektive: Wahrscheinlich wird es keine weißen Wahlen mehr geben.

Die weiße Rechte zeigt daher zunehmend Zeichen von Panik. Wenn es keinen parlamentarischen Weg zurück zum Status quo ante mehr gibt, dann bleibt ihr nur noch die Wahl, sich der neuen Entwicklung mit Gewalt zu widersetzen, oder aber zu versuchen, sich an den Verhandlungen mit einer eigenen Politik und anderer Zielsetzung als die NP zu beteiligen. Mit der ersten dieser Optionen droht offen der rechtsradikale AWB (Afrikanische Widerstandsbewegung) ein versteckter Teil der KP. Andere Konservative propagieren hingegen eine einvernehmliche Teilung Südafrikas. Den Weißen solle ein Territorium zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts verbleiben — und sei es auch ein sehr kleines Territorium. Die Mehrzahl der Weißen, selbst der gegenüber de Klerks Politik skeptisch eingestellten, vermag sich für diesen Gedanken kaum zu erwärmen. Aus diesem Grunde mag zwar de Klerk Anhänger verlieren; es ist jedoch wenig wahrscheinlich, daß sich eine Mehrheit für ein anderes Konzept findet, ob nun noch einmal „weiß“ gewählt wird oder nicht.

Die eigentliche Gefahr für die Regierung besteht daher in einer zunehmenden diffusen Mißstimmung, die sich in Versuchen konservativer Elemente in Polizei und Armee, den Verhandlungsprozeß durch Zwischenfälle zu sabotieren, äußern könnte. Die Erfolgschancen solcher Versuche sind nicht übermäßig groß. So mag de Klerk zwar Anhänger verlieren und mit Gewalttaten von Desperados rechnen müssen: An seiner unbestrittenen Kontrolle der zentralen Institutionen dürfte dies nichts ändern. Die liberale weiße Opposition hat kaum noch Gründe, sich von seiner Politik zu distanzieren. Sie wird ihn letztlich unterstützen müssen, ohne daß er sich um sie zu bemühen hätte. Schließlich ist bereits abzusehen, daß sich die Nationale Partei allen Bevölkerungsgruppen öffnen wird mit dem Ziel, auch im politischen System des neuen Südafrika eine kraftvolle Rolle spielen zu können.

Der ANC hat Probleme, die denen seines Verhandlungspartners durchaus vergleichbar sind, aber auch noch zusätzliche. Was für NP und Regierung die Konservative Partei und die rechtsradikalen Organisationen bedeuten, ist für den ANC die — zumindest bis auf weiteres — verhandlungsfeindliche Opposition des Pan Africanist Congress of Azania (PAC) und der Azanian People’s Organization (AZAPO). Beide Organisationen wenden sich zunächst gegen das Bündnis des ANC mit progressiven Weißen.

Weiße seien viel zu reich und zu privilegiert, so meinen sie, um geeignete Verbündete sein zu können, wie immer auch ihre politische Einstellung sei: Die Befreiung müsse zunächst einmal ohne sie erfolgen. Von Verhandlungen halten sie nichts, fordern vielmehr, die Regierung solle die Macht an die Mehrheit übergeben. PAC wie AZAPO sind kleinere Organisationen, mit der Massenanhängerschaft des ANC nicht zu vergleichen. Ihre Ideen sind jedoch vor allem unter schwarzen Journalisten und Intellektuellen weit verbreitet — und selbst für nicht wenige ANC-Anhänger attraktiv. Beide Organisationen setzen darauf, daß der ANC im Laufe von Verhandlungen Konzessionen machen muß, die dann ihnen neue Anhänger erbringen würden. Vor allem setzen sie auf die Ungeduld der Jugend in den schwarzen Wohngebieten, die schnelle Veränderungen sehen will, welche von Verhandlungen aber nur in begrenztem Maße zu erwarten sind.

Ein völlig anderes Problem für den ANC stellt die Inkatha-Partei unter Führung Gatsha Buthelezis dar. Inkatha tritt für Verhandlungen ein, will an ihnen teilnehmen und den ANC zwingen, sie als gleichwertigen Partner anzuerkennen. Inkatha war in den siebziger Jahren auf Betreiben und mit Zustimmung des ANC als legale Protestbewegung gegründet worden. Eine geschickte Mischung traditionell-ethnischer und modem-politischer Mobilisierungsstrategien, vor allem aber die ungewöhnliche Persönlichkeit Buthelezis, resultierten in der Schaffung einer Massenorganisation und außerordentlicher Popularität Buthelezi weit über seine Zulu-Hausmacht hinaus. Bereits wenige Jahre später aber waren die Beziehungen zwischen ANC und Buthelezi gespannt. ANC-und UDF-Anhänger im Lande lehnten Buthelezis Protest „innerhalb des Systems“ rigoros ab.der Exil-ANC war zunehmend besorgt darüber, daß Inkatha zu einer von ihm unabhängigen politischen Kraft werden würde. Buthelezi fühlte sich zu Unrecht angegriffen, reagierte mit Empfindlichkeit und Arroganz, distanzierte sich schließlich vom ANC. Außerhalb des Zulugebietes sank seine Popularität dramatisch, innerhalb büßte er vor allem bei der Jugend und den Gebildeten an Sympathie ein. In Natal begann ein regelrechter Bürgerkrieg, indem Inkatha einerseits und UDF/COSATU/ANC andererseits um die Kontrolle schwarzer Wohngebiete rangen. Er wurde mit außerordentlicher Brutalität geführt. Obwohl Inkatha die offensichtliche Unterstützung der Polizei des „Homelands“ Kwa-Zulu und — weniger offen — die der südafrikanischen Polizei genießt, gelang es ihr nicht, sich überall in Natal durchzusetzen. In der zweiten Jahreshälfte 1990 wurde der Konflikt auch in die schwarzen Gebiete des Witwatersrand getragen, wobei sich Inkatha der Zulu-Wanderarbeiter bedient, die quasi-kaserniert in Wohnheimen hausen und schon seit jeher in einem gespannten Verhältnis zu den Stadtbewohnern leben. Politische, ethnische und soziale Gegensätze entluden sich in blutigen Zwischenfällen, offensichtlich nicht ohne aktive Unterstützung verhandlungsfeindlicher weißer Gruppen. Sämtliche Vermittlungsversuche scheiterten. Mandela hatte nach seiner Freilassung angekündigt, er wolle Buthelezi treffen, wurde aber von seiner eigenen Anhängerschaft daran gehindert. Der ANC versucht weiterhin, Buthelezi auf eine Ebene mit den anderen Homeland-Chefs zu stellen; Buthelezi will als unabhängiger und gleichberechtigter Führer einer politischen Partei anerkannt werden — solange er das nicht erreicht hat, hat er kein Interesse daran, seine Anhänger vom Bürgerkrieg abzuhalten. Seine politische Schwäche kompensiert er, bislang nicht ohne Erfolg, durch eine Politik der Gewalt, und seine Gegner stehen ihm darin nicht nach. Der Ausgang dieses Konflikts ist noch nicht entschieden.

Der ANC steht also unter Druck nicht nur seitens derjenigen, die keine Verhandlungen wollen, sondern auch derer, die ihm das Verhandlungsmonopol streitig machen. Doch damit nicht genug. Er hat schwierige interne Probleme zu lösen. An erster Stelle ist der Übergang von einer bewaffneten Befreiungsorganisation zu einer legalen politischen Partei zu nennen. Nach dreißig Jahren Untergrund-arbeit müssen nunmehr Orts-, Regional-und Nationalverbände sowie eine Infrastruktur geschaffen werden, um die aktive Anhängerschaft effektiv an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zu beteiligen. Exilführung, interne Kader aus der Widerstandszeit und die aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Militärs müssen versuchen, miteinander auszukommen. Die straffe Disziplin und zentralistische Befehlsordnung der externen Befreiungsbewegung reibt sich mit dem basisdemokratischen Stil der landesintemen Massenbewegung, in der jede politische Maßnahme diskutiert und eine ständige Rückmeldung an die Basis gefordert wird.

Neu zu bestimmen hat der ANC auch seine historische Allianz mit der SACP. Ein erheblicher Teil der ANC-Führer sind gleichzeitig Mitglieder der SACP. Werden sie aus dem ANC ausscheiden, wenn sich nunmehr auch die SACP als selbständige, legale politische Partei etabliert oder werden sie eine Doppelstrategie verfolgen? Die SACP befindet sich überdies in einer traumatischen Debatte über ihre zukünftige Richtung nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus. Befürwortern der Perestroika stehen unerschütterliche Stalinisten gegenüber, die trotz der Ereignisse der letzten Monate überzeugt sind, in Südafrika könne nunmehr der wahre Sozialismus verwirklicht werden. Es ist noch nicht ausgemacht, wie sich die SACP verhalten wird, und noch weniger, in welchem Maße ihre Mitglieder im zukünftigen ANC tonangebend sein werden.

Schließlich steht der ANC auch vor höchst schwierigen finanziellen Problemen. Die Finanzquellen des Ostblocks sind weitgehend versiegt. Daß Mandela, der gegenwärtig im Lande selbst täglich gebraucht wird, ständig Reisen durch westliche Staaten und Länder der Dritten Welt unternimmt, ist nicht nur, aber doch ganz wesentlich auf die Notwendigkeit einer Erschließung neuer Finanzquellen für die Parteifinanzierung zurückzuführen. Es ist nicht auszuschließen, daß das Ende der einseitigen finanziellen Abhängigkeit des ANC auch Auswirkungen auf seine internen Entscheidungsprozesse haben wird. Vorerst hat der ANC seinen für Herbst 1990 geplanten Kongreß verschoben — und entsprechend die Regierung gebeten, auch den Beginn weiterer Verhandlungen zu verschieben. Erst nach dem Kongreß wird feststehen, wie der zukünftige ANC aussehen wird.

Bereits jetzt läßt sich jedoch festhalten, daß innerhalb eines Jahres die politische Landschaft Südafrikas grundlegend verändert worden ist. Die Hauptkonfliktlinie verläuft nicht mehr zwischen den Kräften der Revolution und der Repression. Nunmehr gibt es neue Konfliktlinien. Sie trennen diejenigen, die ein einiges und nicht-rassisches Südafrika auf friedlichem Wege erreichen wollen, einerseits von denen, die ein einiges und nicht-rassisches Land ablehnen, und andererseits von denen, die zwar dieses Ziel bejahen, es jedoch nicht durch Verhandlungen und Kompromisse, sondern durch die Kapitulation einer Seite erreichen wollen. Der Abschied von der alten Konfliktformation ist irreversibel. Ob die Option für friedlichen Wandel sich durchsetzen kann, ist freilich noch nicht sicher.

V. Vermutungen über Verhandlungen

Unsicher ist zunächst, ob die zu friedlichem Wandel entschlossenen Kräfte sich in entscheidenden Sachfragen einigen können. Die Ausgangspositionen zur Verfassungs-und Wirtschaftsordnung hegen weit auseinander. Es zeichnet sich ab, daß Regierung und Nationale Partei bereit sind, von ihren früheren Vorstellungen eines politischen Systems, in dem ethnische Gruppen eine zentrale Stellung einnehmen und mit gegenseitigem Vetorecht ausgestattet sein sollen, abzugehen. Sie halten aber fest an einer Dezentralisierung der Macht und an der Schaffung institutionalisierter Gewichte und Gegengewichte, durch die einfache Mehrheitsentscheidungen auf allen Ebenen unmöglich gemacht und Konsensbeschlüsse erzwungen werden. Der ANC hingegen wünscht einen Zentralstaat mit klarer Mehrheitsdemokratie und ist zu Kompromissen in diesem Punkt allenfalls für eine Übergangszeit bereit. Nicht weniger groß sind die Meinungsunterschiede zur künftigen Wirtschaftsordnung. Die Regierung will am „freien Markt“ festhalten, worunter sie das heute bestehende System versteht, welches jedoch dem Idealtypus der Marktwirtschaft nur begrenzt und dem der sozialen Marktwirtschaft in keiner Weise entspricht. Der ANC fordert eine „gemischte Wirtschaft“; von Verstaatlichungsforderungen ist er im Laufe der Vorverhandlungen weitgehend abgegangen, denkt aber über Modelle der Umverteilung durch Investitionslenkung nach. Daß eine Umverteilung politischer wie wirtschaftlicher Macht unumgänglich ist, ist beiden Seiten bewußt. Wie einschneidend die Umverteilung sein soll, ist hingegen sehr umstritten. Die Regierung steht in diesen Fragen unter dem öffentlichen Druck, möglichst wenig zu tun; der ANC wird dagegen von seinen Anhängern gedrängt, möglichst viel zu erreichen. Beide Seiten stehen ferner unter dem Druck derjenigen politischen Kräfte, die Verhandlungen ablehnen und nur zu bereit sind, jede Konzession als Ausverkauf abzuqualifizieren.

Eine weitere Unsicherheit des Verhandlungsprozesses ist darin zu sehen, daß in ihm zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten eine zentrale Rolle spielen. Sollte de Klerk oder Mandela — aus welchen Gründen auch immer — vorzeitig ausfallen, so würden die Verhandlungen weitaus schwieriger. Dem Personenschutz fällt gegenwärtig eine größere Bedeutung zu als jemals zuvor in der südafrikanischen Geschichte.

Ungeklärt sind die Modalitäten der eigentlichen Verhandlungen, insbesondere die Frage der Einbeziehung der gegen sie opponierenden Kräfte. Kommt es zu exklusiven Verhandlungen zwischen Regierung und ANC, so ist mit Intensivierung des Widerstandes der Nichtbeteiligten zu rechnen. Dieses wiederum könnte Regierung und ANC im gegenseitigen Einverständnis dazu veranlassen, zu repressiven Maßnahmen gegen die jeweilige Opposition zu greifen; die Vorgeschichte beider Parteien ist nicht dazu angetan, eine solche „Lösung“ auszuschließen. Sie könnte durchaus erfolgreich sein, aber kaum demokratisch.

Gewaltsame Aktionen wären nur zu vermeiden, wenn die derzeitigen oppositionellen Gruppen in den Verhandlungsprozeß einbezogen werden. Möglich ist dies nur im Rahmen demokratischer Prozeduren, d. h. einer verfassunggebenden Versammlung. Sollten Regierung und ANC zu einer Übereinstimmung in Grundfragen gelangen, und diese dann einer solchen Versammlung zur Beratung und Entscheidung vorlegen, so dürften sich die oppositionellen Gruppen einer Teilnahme kaum entziehen können.

Wichtiger als die Einzelaspekte der zukünftigen Verfassung und Wirtschaftsordnung dürfte sein, wie diese zur Anwendung kommen. Je demokratischer und parlamentarischer der Verhandlungsprozeß verläuft, um so größer ist die Chance für ein politisches System, das eine Transformation gewaltsamer zu friedlicher Konfliktregelung ermöglicht. Eine funktionierende Demokratie stellt — mehr als Verfassungsartikel — eine dauerhafte Garantie für die Wahrung der Rechte aller Beteiligten dar.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Theodor Hanf, Dr. phil., geb. 1936; o. Professor der Soziologie am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung. Frankfurt am Main; Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts, Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit H. Weiland und G. Vierdag) Südafrika: Friedlicher Wandel?, Mainz-München 1978; (Hrsg. zus. mit A. Messarra) La socit de concordance, Beyrouth 1986; (Hrsg. zus. mit D. Oberndorfer) Entwicklungspolitik, Stuttgart 1986; Koexistenz im Krieg. Staatszerfall und Entstehen einer Nation im Libanon, Baden-Baden 1990.