Die geopolitischen Umwälzungen, die sich in der letzten Zeit in Osteuropa vollzogen haben, haben die Struktur der Internationalen Kommunistischen Bewegung tiefgreifend verändert und sich auf die Treue-oder Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den einzelnen nationalen Kommunistischen Parteien ausgewirkt, wie sie sich seit 1917 und insbesondere seit 1945 herausgebildet hatten. Trotz des Niedergangs der SED in der DDR und der vielgestaltigen Krise der kommunistischen Organisationen in der Bundesrepublik erscheinen die (Wieder-) Geburt der PDS und die Wiederaufbauversuche der Erneuerer innerhalb der DKP uns als beispielhaft für Willen den und die Fähigkeit des Kommunismus zur Anpassung und zum Überleben in einem höchst feindselig eingestellten sozialen, politischen und intellektuellen Umfeld.
Um diese neueren Erscheinungen zu verstehen, müssen wir kurz auf die jüngste Vergangenheit zurückgreifen. Die Internationale Kommunistische Bewegung (orthodox, weil moskautreu) hatte bis zum Aufstieg Gorbatschows eine monozentrischhierarchische Kommandostruktur feudalistischer und stalinistischer Art. Die KPdSU und ihre internationalen Ableger bestimmten die Strategien der kommunistischen Parteien, auch wenn sie gleichzeitig versuchten, den nationalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Die engagierte, aber zugleich propagandistisch motivierte Teilnahme an Aktionen der Friedensbewegung kennzeichneten die Höhepunkte dieser Einheitsstrategie. Ab 1987 entwikkelte sich dieses System zu einer bipolaren Struktur: zum einen die SED, die — gemäß ihrem Anspruch — kommunistische Legitimität und Orthodoxie repräsentierte, im Gegensatz zu einem „Gorbatschowismus“ andererseits, der offen als revisionistisch bezeichnet wurde -Die unterschiedlichen Führungsprinzipien orientierten sich an der SED und dem althergebrachten Apparat der DKP einerseits sowie an den Erneuerern und der KPdSU andererseits
Als sich ab Oktober und stärker noch ab Dezember 1989 der Wandel der SED zur SED-PDS vollzog, veränderte sich dieses Beziehungsnetz aufs neue und führte zur Ausbildung eines multi-polaren und von Konkurrenz und Wettbewerb bestimmten Systems von Parteiströmungen in der Bundesrepublik und in der DDR sowie zur Entkopplung der Entwicklungen im Osten und im Westen
Der letzte Abschnitt in dieser Abfolge der Veränderungen war, seit den Wahlen in der DDR im März 1990, die Suche der kommunistischen Parteien und Gruppierungen in Ost und West nach neuen Wegen der Zusammenarbeit, die es ihnen noch vor der Wiedervereinigung erlauben sollten, aktiv in die Ereignisse einzugreifen und als anerkannte politische Akteure auf dem Gebiet des neuen Deutschlands zu agieren. Diese Ausdehnungsstrategie von Ost nach West und von West nach Ost verlangte von den jeweils in der Bewegung engagierten Gruppierungen ein intensives und vielschichtiges Nachdenken über das Wesen der kommunistischen Organisationen und des Leninismus sowie über die Etappen einer notwendigen Modernisierung der gemeinsamen theoretischen Grundlagen. Unser Ansatz versteht sich daher als vergleichende Analyse und beschäftigt sich insbesondere mit diesem neuen ideologischen und organisatorischen Gefüge in den zwei deutschen Staaten auf dem Weg zur Vereinigung.
I. Die Oststrategien
Wie die Ergebnisse der Wahlen in der DDR zeigen ist der Hauptakteur der kommunistischen „Wiedergeburt“ die „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), angeführt von der charismatischen Führungspersönlichkeit Gregor Gysi, der es verstand, sich auf den althergebrachten, von der SED ererbten Parteiapparat zu stützen und gleichzeitig eine neue intellektuelle Elite für sein Projekt der Erneuerung zu gewinnen. Die Komplexität des Entstehungsprozesses der SED-PDS und in der Folge der PDS erlaubt es nicht, auf Einzelaspekte der Parteienentwicklung einzugehen, sondern zwingt dazu, sich auf bestimmte organisatorische Fragen zu beschränken 1. Die PDS und die kommunistische Plattform Die PDS bezeichnet sich selbst als eine marxistische Massenpartei, deren Satzung die Bildung von Diskussionszirkeln erlaubt, die aber die Entstehung von eigenständigen Fraktionen nicht zuläßt. Innerhalb der SED-PDS (als einer Art Übergangsorganisation zwischen der SED unter Honecker und der PDS) entwickelten sich drei Hauptströmungen: der „sozialdemokratische“ Flügel, der dann als Folge der Gründung der Ost-SPD verschwand, die mit Abstand einflußreichste Strömung des „Demokratischen Sozialismus“ mit Gregor Gysi und dessen Führungsmannschaft an der Spitze und schließlich die kommunistische Plattform. Angesichts vielfältiger organisatorischer Verwerfungen und unter dem Druck der anstehenden Wahltermine einigten sich ab März 1990 alle mehrheitsfähigen und minoritären Tendenzen auf folgendes Selbstverständnis: „Die Partei schöpft ihr politisches Selbstverständnis aus den Strömungen der deutschen und internationalen Arbeitsbewegung, aus den revolutionären und demokratischen Traditionen des deutschen Volkes und aus dem Antifaschismus. Die PDS ist sich vieler Berührungen zu pazifistischen und religiös begründeten humanistischen Standpunkten bewußt und nimmt sie in sich auf. Wir schöpfen aus der Geschichte des humanistischen Denkens, insbesondere aus den dialektischen und materialistischen Auffassungen von Karl Marx und Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, W. I. Lenin und Antonio Gramsci und ihrer nachfolgenden vielfältigen Weiterentwicklung. Die Partei nimmt all diese Ideen kritisch auf.“
Je nach Strömung orientiert sich die ideologische Identifizierung mehr oder weniger ausgeprägt an den einzelnen „Vorfahren“ und Wegbereitern, wobei die Kommunisten Luxemburg und Lenin eine herausragende Stellung einnehmen.
Die Soziologie der Anhängerschaft ist ebenfalls sehr schwer zu erfassen: 60— 70 Prozent der 325 000 Mitglieder der PDS sind ehemalige SED-Mitglieder (vor allem Angestellte des Staatsapparats und Arbeiter), 30— 40 Prozent sind neu eingetretene Mitglieder (hauptsächlich Jugendliche, Arbeiter aus vom Untergang bedrohten Industriezweigen sowie Frauen, die den Verlust sozialer Errungenschaften der DDR befürchten). In beiden Blökken finden sich insgesamt ca. 20 Prozent Intellektuelle und Vertreter der pädagogischen und literarischen Elite der DDR, die als die tragenden Kräfte der Wiedergeburt der PDS angesehen werden können Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der SED; ihre Anhänger stammen entweder aus dem politisch-wissenschaftlichen Apparat oder sie gehörten unter Honecker zur Masse der regionalen SED-Funktionäre auf mittlerer Ebene Die beiden innerhalb der PDS weiter bestehenden Strömungen agieren selbstverständlich mit der Unterstützung aller drei Gruppen von Anhängern: die „Kommunisten“ vor allem in der Gefolgschaft des SED-Erbes und die anderen eher unter den Intellektuellen und den neuen Mitgliedern, wobei sie natürlich ebenfalls über erheblichen Rückhalt bei den ehemaligen SED-Mitgliedern verfügen.
Vor diesem Hintergrund stellt Gregor Gysi für die überragende Mehrheit der Anhänger die große Integrationsfigur dar und braucht deswegen heute nicht mehr die explizite Unterstützung einer Plattform oder Initiativegruppe, um die PDS zu führen. Nachdem es ihm gelungen ist, alle störenden „Kommunisten“ nachhaltig auszuschalten, kann er sich wahrscheinlich auf einen Apparat aus zuverlässigen Anhängern und Mitarbeitern auf allen Ebenen stützen. „Kommunisten“ und „Erneuerer“ sahen sich einer dreifachen strategischen Notwendigkeit gegenüber:, den Prozeß der politischen und verfassungsmäßigen Wiedervereinigung zu verlangsamen, indem man alle vorhandenen Spannungen zwischen den demokratischen Kräften auszuspielen suchte; das soziale und politische Gewicht der PDS zu verstärken, indem man mit allen politischen, sozialen und kulturellen Kräften zusammenarbeitete oder alle die vereinnahmte, die der Wiedervereinigung ablehnend gegenüberstehen bzw. durch sie möglicherweise enttäuscht werden; und schließlich bis zur Wiedervereinigung auch im Westen eine politische Struktur aufzubauen, die es der PDS ermöglicht, sich landesweit als „linke Kraft“ zu etablieren, die ideologisch gesehen genau zwischen dem linken SPD-Flügel und den Fundamentalisten der GRÜNEN angesiedelt ist.
Um diese strategischen Überlegungen und Mechanismen anschaulich zu belegen, analysieren wir den Aufbau und die Arbeisweise der „Kommunistischen Plattform“ der PDS zuerst innerhalb der eigenen Partei, dann bei der Zusammenarbeit mit anderen K-Gruppen und schließlich in den Beziehungen zum Westen
Der „Kommunistischen Plattform“ (KPF) ist es in den wenigen Monaten ihres Bestehens gelungen, in der PDS nicht nur auf regionaler Ebene, sondern auch DDR-weit und auf Länderebene Fuß zu fassen Sie behauptet, über mehr als 25 000 Mitglieder zu verfügen, insbesondere im Norden und Osten der DDR, mit Schwerpunkt in Berlin. Die Unterlagen, die wir einsehen konnten, sowie die geführten Interviews zeigen, daß diese kommunistische Strömung nichts von ihren traditionellen organisatorischen Praktiken eingebüßt hat. Die KPF machte sich zum Grundprinzip, jede wichtige Kommission der PDS durch eine autonome Struktur zu doppeln, und die Führungskräfte der KPF üben, wenn möglich, eine Doppelfunktion auf der Ebene der organisatorischen Einheiten aus. In den fünf wichtigsten Kommissionen der PDS (Parteileben, Wirtschafts-, Gesellschafts-und Gewerkschaftspolitik, Internationale Politik, Politisches System, Umwelt), sind kommunistische Zellen eingesetzt, um „das sozial-demokratische Wesen der PDS abzumildern“ und um zu versuchen, bei den ständigen Verhandlungen zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen eine zumindest traditionelle Haltung durchzusetzen. Diese Fraktion strebt ganz offen einem Bruch mit der PDS entgegen und bereitet sich darauf auch organisatorisch vor. Sie versucht, sich eine unabhängige Finanzierung zu sichern, eigene Führungskräfte auszubilden, im FDGB wieder Fuß zu fassen, und unterstützt offen die im Umkreis der FDJ-Überreste entstandenen marxistisch-leninistischen Jugendorganisationen. Seit der Ankündigung, in der DDR wieder Länder zu gründen, und der damit verbundenen Bildung von regionalen Niederlassungen der PDS zog die KPF am 14. Juli mit der Gründung der ersten regionalen kommunistischen Vertretung in Dresden nach.
Außerhalb der PDS unterstützt die „Kommunistische Plattform“ auf dem Gebiet der DDR die „Nelken“, eine kommunistische Splittergruppe, finanziell und arbeitet, nach anfänglichen Spannungen, mit der noch viel kleineren KPD zusammen. Diese zwar unauffällige, aber wirkungsvolle Zusammenarbeit mit den (oder Bevormundung der) K-Gruppen hat sich nach deren Wahlniederlage im März fast zwangsläufig verstärkt. Ziel der KPF ist es, diese Mini-Gruppierungen am Leben zu erhalten, ja sie regional zu unterstützen, um sie im Falle eines Bruchs mit der PDS für die Gründung einer klassischen kommunistischen Partei auf deutschem Boden zu benützen.
Im deutsch-deutschen Rahmen machten die Verantwortlichen der KPF keinen Hehl aus ihren Sympathien für eine von ihren Erneuerern „gereinigte“ DKP, aber auch für ex-maoistische Gruppierungen, die im Westen aktiv sind.
Bestimmt man abschließend die politischen Prioritäten der PDS als Ganzes und die des kommunistischen Flügels im besonderen, so scheint der Konflikt sowohl für die Wochen der Vorbereitung auf gesamtdeutsche Wahlen als auch für die Zeit danach unabwendbar. Die PDS mußte sich, um zu überleben, organisatorisch und wahlstrategisch auf Westdeutschland ausdehnen. Auf der Grundlage marxistischen und antikapitalistischen Gedanken-guts, das stark durchsetzt ist von berechneter Spontanität und ökologisch orientierter Politik, versucht sie nun, ihr modernistisches und antistalinistisches Image zu popularisieren. Die PDS kann die gesamtdeutsche Wahlentscheidung nur überleben (d. h. die Fünf-Prozent-Schranke überwinden), wenn sie zum Motor einer äußerst heterogenen linken Sammlungsbewegung wird, die von den Trotzkisten in der SPD (Gruppe „Voran“) über die Reste linker Splittergruppen und „grünen“ Fundamentalisten bis hin zu den Erneuerern aus den Reihen der DKP reicht. Der Preis, den die PDS dafür bezahlen muß, ist ein verstärkter ideologischer Pragmatismus, eine weitere Umwandlung ihrer Parteistruktur und die Ausschaltung persönlicher oder ideologischer Überreste aus der SED-Epoche.
Der „Kommunistischen Plattform“, die sich zum Ziel gesetzt hat, die „noch gültigen proletarischen Organisationsprinzipien“ trotz der stalinistischen Pervertierung „zu erneuern und zu neuem Leben zu erwecken“ wird es vermutlich nicht gelingen, sich der neuen Lage anzupassen. Im Falle eines Scheiterns der PDS bei den Dezemberwahlen wird dieser Flügel sich vermutlich mit den fundamentalistischen und der PDS skeptisch gegenüberstehenden Strömungen in der DKP und sicherlich auch mit bestimmten Maoisten zusammenschließen, um eine eigenständige Partei zu gründen oder besser gesagt eine ultraorthodoxe Sekte, die auf „die ruhmvolle Vergangenheit der internationalen kommunistischen Bewegung“ eingeschworen sein wird. 2. Die K-Gruppen in der DDR Die detaillierte Analyse der Beziehungen zwischen PDS und kommunistischer Plattform erlaubt es, sich bei der Beschreibung der K-Gruppen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die wichtigste dieser Gruppen, die von Michael Czollek angeführten „Nelken“ sind nicht mehr als eine Splittergruppe, die Ende März 1990 nur noch 550 Mitglieder zählte. Der Parteiapparat ist mit drei bis vier Mitarbeitern in Berlin und mehreren Dutzend Freiwilligen in den Bezirken der DDR sehr schwach besetzt. Das Gesetz über die Wahlkampfkosten-Rückerstattung hat der Kasse der „Nelken“ zwar ca. 500 000 Ostmark beschert, die es ermöglichten, wenigstens das Nötigste an Arbeitsmitteln anzuschaffen, die aber nicht ausreichten, um eine Wahl-kampagne für die am 6. Mai stattfindenden Kommunalwahlen zu finanzieren. Diese organisatorische Schwäche hatte die Nelken schon während des Wahlgangs im März 1990 gezwungen, ein Bündnis mit der Vereinigten Linken einzugehen. Der als Vertreter dieser Koalition in die neue Abgeordnetenkammer gewählte Thomas Klein ist übrigens ein klassischer Marxist, der den „Nelken“ ideologisch sehr nahe steht und sich in mehreren Stellungnahmen für eine kommunistische Plattform ausgesprochen hat, nicht aber für die KPF, die er mit Nachdruck als stalinistisch bezeichnet
Die Vereinigte Linke ist ihrerseits eine Vereinigung aus etwa einem halben Dutzend von Gruppen und Strömungen, die von den Anarcho-Syndikalisten bis zu den „kritischen Marxisten“ reicht. Die ausgeprägte Heterogenität der in dieser „radikalen und sozialistischen Koalition“ zusammengefaßten Kräfte ist zugleich die Ursache für deren Lähmung. Nichtsdestoweniger gelingt es den traditionsgebundenen Marxisten um Klein (der von den „Nelken“ und einem von PDS-nahen Mitgliedern angeregten antifaschistischen Bund unterstützt wird) sogar nach der Enttäuschung der Wahlniederlage im Mai noch immer, die Anhängerschaft mehr oder weniger fest „im Griff“ zu haben. Die KPD, die weniger als 200 Mitglieder zählt und über keinen Parteiapparat mehr verfügt, überlebt am äußersten Rand der kommunistischen Splitter-gruppen nur dank des massiven Einsatzes der verbleibenden Anhänger und dank der sporadischen Unterstützung durch die kommunistische Plattform.
Alle diese Gruppierungen sind, insbesondere seit Gysis persönlichem Sieg und ihrer eigenen Wahl-niederlage, einerseits von dieser neuen Führungspersönlichkeit fasziniert, wehren sich aber andererseits immer energischer gegen die überragende Rolle, die die PDS unter den Linken der DDR (und nun auch der gesamten Bundesrepublik) spielen will. Taktisch gesehen blieb diesen Gruppierungen keine andere Wahl, als jedem Slogan und allen politischen Offensiven der PDS zu folgen, die darauf abzielten, den Prozeß der Wiedervereinigung zu verzögern.
Nach der vorläufigen Einführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel und der Zulassung von Listenverbindungen im mittlerweile revidierten Wahlgesetz sahen die K-Gruppen keine andere Möglichkeit, als auf den Landeslisten der PDS mit zu kandidieren, wollten sie nicht völlig von der politischen Szene verschwinden. Obwohl die endgültige Zusammensetzung der PDS-Listen in der DDR bis dato noch gar nicht bekannt war, galt schon als sicher, daß die Vereinigte Linke offiziell darauf vertreten sein würde. Zunächst zum Abwarten verurteilt, haben sich alle kommunistischen Bewegungen bereits eine Alternativ-Strategie zurechtgelegt. Im Falle eines Scheiterns der PDS könnte die „Kommunistische Plattform“ sich relativ schnell von der PDS trennen, sich mit der KPD und einem Teil der „Nelken“ zusammenschließen und sich letztendlich mit den Resten der bundesdeutschen DKP vereinen.
Diese Entwicklung ist aber für Klein nicht sehr wahrscheinlich, weil er den „Orthodoxen in der PDS“, der KPF, mißtraut und sich eher zu den Gysi gegenüber ablehnend eingestellten GRÜNEN-Fundamentalisten hingezogen fühlt.
II. Die Weststrategien
„Der Niedergang der Linken in der Bundesrepublik und ihr organisatorischer Zerfall in unzählige Kleinstgrüppchen verurteilt uns praktisch zur Handlungsunfähigkeit. Es stellt sich auf längere Sicht die Frage nach unserem Überleben, und das hängt, nach dem Sieg der Konservativen in der Bundesrepublik davon ab, ob wir es schaffen, uns im gesamtdeutschen Raum neu zu organisieren und uns dem neuen Kräftegleichgewicht, das von der PDS mit 16 Prozent der Stimmen dargestellt wird, anzupassen.“
Diese bittere Feststellung eines Erneuerers spiegelt gleichzeitig die Gemütslage und die Hauptsorge der Betroffenen wider: erst das nackte Überleben, danach die Wiedergeburt einer linken Strömung im neuen politischen Spektrum eines wiedervereinigten Deutschlands. Ähnlich wie schon am Beispiel der DDR untersucht, wenden wir uns nun dem „Überlebenskampf“ der drei Hauptrichtungen der kommunistischen Bewegung im Westen (der DKP, den Erneuerern und der SEW) zu und werden versuchen, auf die Verbindungslinien der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR einzugehen. 1. Die DKP Ellen Weber, Vize-Vorsitzende der DKP (und früher Honeckers treuergebene Aufpasserin in ihrer Partei), hat in ihrer Eröffnungsrede des 10. Parteitages ihr Ohnmachtsgefühl folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Genossinnen und Genossen, wer das letzte Jahr vor Augen hat, weiß, daß wir alle von raschen, sich stürmisch entwickelnden Ereignissen mehrfach überholt — oder besser überrollt — worden sind. . . Ein Zeitalter geht zu Ende, ohne daß die Konturen des zukünftigen Weges der linken und Fortschrittskräfte schon deutlich sichtbar sind. . . Die Erschütterungen über unsere Fehler sind groß.“ Die Führung der Partei äußerte sich ebenfalls in diesem Sinne und erklärte: „Zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte befand sich die DKP in einer so tiefen Identitäts-und Existenzkrise wie gegenwärtig. Es handelt sich um eine politische, ideologisch-theoretische und organisatorische Krise, die zugleich Teil und Ausdruck tiefer Krisen-prozesse in der internationalen kommunistischen Bewegung ist. Große Mitgliederverluste, ein fast völliger Verlust der politischen Handlungsfähigkeit, Zerfall und Auflösung ganzer Parteiorganisationen und Vorstände, Rück-und Austritte von Vorstandsmitgliedern und Mandatsträgern, Verlust des Vertrauens vieler Mitglieder in die Fähigkeit und Glaubwürdigkeit von Vorständen, insbesondere des Parteivorstandes und seines Präsidiums und Sekretariats sowie ein verbreitetes Gefühl der politischen und theoretischen Orientierungslosigkeit und starke Zweifel am Sinn des Kampfes kennzeichnen die innerparteiliche Lage. Die Finanzkrise der Partei erzwang die abrupte Auflösung des bisherigen hauptamtlichen Apparats. Die UZ mußte als Tageszeitung eingestellt werden, ihre Weiterführung als Wochenzeitung ist noch zu erkämpfen. Die Existenzkrise des Sozialismus, seine in Massen-aktionen unzufriedener Menschen sichtbar werdende politische Instabilität, die Deformationen der sozialistischen Demokratie sowie die im Zusammenhang damit aufgedeckten moralischen Verfalls-erscheinungen haben zu einer tiefen Erschütterung, Verunsicherung und Verbitterung vieler Parteimitglieder geführt.“ Diese Hellsichtigkeit, die mit einem Aufruf zu „einer tiefgreifenden Erneuerung“ der DKP einherging, könnte den Eindruck vermitteln, die Partei habe aus der erlebten Erneuerungskrise und den Ereignissen in der DDR gelernt.
In Wirklichkeit aber war dieser Parteitag nur ein Unternehmen, um die übriggebliebenen Mitglieder abzuschotten und auf die Linie des traditionalistischen Parteiapparats einzuschwören. Die 311 anwesenden Delegierten repräsentierten, nach Angaben der alten Parteiführung, mehr als 20 000 Mitglieder Die wenigen noch unter den Delegierten verbliebenen Oppositionellen dagegen erwähnten viel niedrigere Zahlen; sie sprachen von ca. 10 000 Mitgliedern, davon nicht mehr als 7 000 Beitragszahlenden
Der Parteitag befaßte sich mit fünf Hauptthemen, die für die Analyse der wechselseitigen Beziehungen mehr oder weniger wichtig sind: die Deutsche Frage die Finanzkrise der Partei die neue Parteisatzung Personalfragen das weitere Vorgehen, insbesondere im Falle einer Auflösung der DKP und ihrer Umwandlung zur PDS
Die Wahl der neuen DKP-Führung verlief ohne sonderliche Überraschungen, da die Namen der zukünftigen Gewählten bereits seit Februar in der Partei im Umlauf waren. Der kranke Herbert Mies verschwand ebenso von der politischen Bühne wie, dem Anschein nach, alle anderen früheren Partei-verantwortlichen (mit Ausnahme von Ellen Weber). Letztere wurden zwar, auf dem Papier, von Mitgliedern des innersten Kreises ersetzt, sie behielten aber, als graue Eminenzen im Hintergrund, all ihre früheren Machtbefugnisse. Die einzige Neuerung war die Wahl von vier Parteispreehern anstelle eines einzigen Vorsitzenden: Heinz Stehr, Anne Frohnweiler (eine Verlegenheits-oder Alibilösung, da Ellen Weber dieses Amt nicht bekleiden konnte und keine andere Frau sich dieser Aufgabe stellte), Helga Rosenberg und Rolf Priemer — ihre Lebensläufe lassen keinen Zweifel über ihre Treue zum Fundamentalistischen Parteiflügel zu
Die Parteiführung wurde auf 46 Mitglieder, darunter 50 Prozent Frauen, reduziert und besteht wie die Revisionskommission und die Schiedskommission aus altgedienten Parteifunktionären, die sich in den vergangenen Jahren im „gegenreformatorischen“ Kampf bewährt hatten. Um eine sofortige Abspaltung der „gemäßigten“ Richtung zu verhindern, wurden zwar zwei Vertreter aus deren Reihen gewählt, sie sind aber in einer streng orthodoxen Führungsmannschaft zur Ohnmacht verurteilt. Das Ausmaß der sich zunehmend versteifenden Haltung verraten einzelne Passagen der neuen DKP-Satzung Um ihren angeblich „erneuerten“ Ansprüchen gerecht zu werden, erlaubt die DKP ihren Mitgliedern, in den Basisgruppen (Stadtteil-, Betriebs-, Hochschulgruppen) die Entscheidungen der Partei oder der Verantwortlichen intern zu kritisieren.
Jede „öffentlich“ geäußerte Kritik ist laut Satzung ausdrücklich verboten. Im Falle von abweichenden Meinungen zu den auf einzelnen Partei-ebenen getroffenen Entscheidungen haben die Anhänger der jeweiligen Meinung das Recht, sich zur Beratung zu treffen — aber nur unter der Bedingung, daß sie dabei keine Fraktion bilden, d. h. keine Gruppe mit eigenen Ordnungsprinzipien, eigenen Strukturen und politischen Diskussionsplattformen. Somit behielt sich die DKP alle Möglichkeiten offen, um im Falle des Entstehens einer neuen parteiinternen Opposition die Abweichler bequem und rechtlich einwandfrei auszuschalten. Das Fehlen einer derartigen in der Satzung verankerten Möglichkeit, die bisher nicht zu den Organisationsgrundsätzen der Partei gehört hatte, hatte sich während des Kampfes gegen die Erneuerer als schwerwiegender Mangel erwiesen.
Diese Verschärfung in der Satzung stand in logischer Verbindung zu der von der neuen Führung beschlossenen orthodoxen Strategie. Diese sah sich mit dem Vorschlag eines Fundamentalisten konfrontiert, der nicht mehr an die Stabilisierung der eigenen Mitgliederzahlen glaubte (Peter Oherhaus, ehemaliger Organisationssekretär des Bezirkes Westfalen-Ruhr), und daher die Delegierten dazu aufrief, die DKP aufzulösen und sie in eine West-PDS umzuwandeln. Da eine solche Entscheidung aber kurz-wie mittelfristig für die PDS äußerst gefährlich hätte werden können, versuchte diese, mit der alten und der neuen Führung der DKP eine Vereinbarung zu erzielen, um eine derartige Option abzublocken. Daraufhin wurde eine Art von Rahmenabkommen getroffen, das zweifellos den endgültigen Bruch der organisatorischen Beziehungen zwischen der PDS und der DKP darstellt. Gregor Gysi verfaßte eine an die Delegierten gerichtete Botschaft, in der er sich für die „vergangenen Fehler der SED“ entschuldigte, die zum Niedergang der DKP führten. Was die Delegierten aber nicht wissen konnten, war, daß bereits im Februar die PDS an die DKP „Schadensersatz“ gezahlt hatte.
Ost-Berlin hatte in der Tat einen Betrag von 6 Mio. DM überwiesen, um die „sozialen Kosten“ der im Dezember entlassenen hauptamtlichen Mitarbeiter zu decken
Unter dem wachsamen Auge einer starken PDS-Delegation schaffte Heinz Stehr eine beachtliche Koordinationsleistung aller im Saal Anwesenden. Er zeigte auf, daß die PDS keine kommunistische Partei sei, sondern eine Ansammlung von sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Strömungen und Traditionen. Aus diesem Grunde sei die PDS als Partei keine Avantgarde der Arbeiterklasse und könne so mit dem Zwangsprinzip des Marxismus-Leninismus brechen. Er beschrieb die PDS als einen politischen Verband, dessen Wesens-art und Zweckbestimmtheit typisch ostdeutsch sei. Die DKP dagegen bleibe eine „orthodoxe kommunistische Partei marxistisch-leninistischer Prägung“ mit einer gesamtdeutschen Berufung. Da sie die Interessen der Arbeiterklasse vertrete, könne ihr Wirkungsbereich selbstverständlich nicht auf Westdeutschland beschränkt bleiben. Die DKP unterstrich damit indirekt ihren Willen, gegebenenfalls als Konkurrenzpartei zur PDS aufzutreten. Aus organisatorischen Gründen verkündete die DKP ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit den ehemaligen maoistischen Gruppierungen.
Die Deutschlandpolitik von DKP und SED wurde bei dieser Gelegenheit in einer Art neubewertet, die eine beträchtliche Anzahl von Delegierten sichtlich entrüstete. Helga Rosenberg eröffnete den Anwesenden, daß die Kommunisten „seit jeher, geschichtlich betrachtet, Befürworter der deutschen Einheit“ gewesen seien und daß gerade Stalin als ein großer Verfechter dieses Gedankens gelte. Nach ihrer Einschätzung sei die Einheit Deutschlands längst beschlossen, und selbst wenn es gelänge, den Prozeß der Vereinigung zu verlangsa-men, um einzelne soziale Errungenschaften des Ostblocks zu retten, würde die DDR als Bezugs-und Vergleichspunkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Deutsche Kommunistische Partei stehe daher einer neuen Herausforderung und einer neuen geschichtlichen Aufgabe gegenüber: den Sozialismus vom Rhein bis zur polnischen Grenze aufzubauen!
Diese Erklärungen kamen der PDS sehr entgegen, weil sie die Gefahr eines als lästig empfundenen Anschlusses der „Berufsrevolutionäre“ der DKP bannten. Natürlich wissen Gysi und seine Berater, daß die DKP immer offener ihren „Reformismus“ kritisieren wird, aber für sie überwiegen die Vorteile. Einerseits kann die PDS zu gegebener Zeit die Enttäuschten der „erneuerten DKP“ aufnehmen, ohne die besonders unangenehmen Stalinisten alter Schule ebenfalls eingliedern zu müssen. Schließlich kann sie, wahlstrategisch gesehen, immer auf ihren demokratischen Charakter (im Sinne des deutschen Grundgesetzes) pochen, wenn sie distanzierend auf die Existenz eines orthodox-stalinistischen Klüngels hinweisen kann. Wie Ellen Weber zutreffend formulierte, endet damit die Epoche der Abhängigkeit des westdeutschen Kommunismus von Ost-Berlin.
Von März bis August 1990 versuchte die DKP die auf dem Parteitag festgelegte Linie fortzuführen, und gleichzeitig die Ungeduld und Unruhe an der Basis zu beschwichtigen. Die Beschleunigung des Wiedervereinigungsprozesses und die Öffnungsstrategie der PDS zur Linken brachte die DKP in eine sehr schwierige Lage
Die von Stehr verkörperte, streng orthodoxe Richtung intensivierte ihre Annäherungsversuche an die Maoisten und an andere in der Bundesrepublik noch aktive K-Gruppen sowie an die „Kommunisten“ der DDR. Höhepunkt dieser Bemühungen war ein Treffen, das am 23. /24. Juni in Leverkusen stattfand und am 4. und 5. August fortgeführt wurde. Die K-Gruppen und die DKP waren sich über die Notwendigkeit der zukünftigen Existenz einer „revolutionären Partei“ auf gesamtdeutschem Boden einig. In dieser Situation wurde das Wahlbündnis mit der PDS als taktische Notwendigkeit befürwortet. Die DKP und die K-Gruppen verlangten eine deutlichere Betonung des antikapitalistischen und antiimperialistischen Wesens dieser Linksvereinigung. Die mehr als reservierte Haltung der PDS unter Gysi bestätigte sich bei vier Kontakt-treffenin Bochum, Münster, Essen und Düsseldorf, an denen Heinz Stehr und Bernd Meyer (Präsidiumsmitglied und Geschäftsführer der Volkskammerfraktion der PDS) teilnahmen. Meyer erteilte erneut jeder Perspektive eines möglichen Aufgehens der DKP in der PDS eine deutliche Absage und bestätigte die vorhandenen grundsätzlichen ideologischen Differenzen zwischen den beiden Parteien.
Nachdem auf dem Ende Juli in Köln-Kalk veranstalteten Parteitag eine Wahlpartei mit dem Namen „Linke Liste — PDS“ ins Leben gerufen wurde, ohne'daß dabei die Kommunisten der DKP eine organisatorische Rolle spielen durften, schlug die DKP eine Strategie des Abwartens ein. Im Rahmen des Linksbündnisses forderte sie von der PDS die Möglichkeit, auf den regionalen Wahllisten der PDS Kandidaten unter dem Namen der DKP aufstellen zu können. Im Falle einer Absage der PDS wollte die DKP ihren Mitgliedern allerdings erlauben, sich in die Wahlstrukturen der PDS im Westen einzufügen, um eine neue Spaltung der Partei zum jetzigen Zeitpunkt zu verhindern.
Am 11. August dieses Jahres fand in Essen eine außerordentliche Sitzung des Parteivorstandes statt, bei der der stellvertretende Leiter der zentralen Wahlkommission beim Parteivorstand der PDS, Erxleben, anwesend war. Dabei zeichneten sich drei Richtungen ab: Die Mehrheit (darunter Helga Rosenberg und Friedhelm Kröll) willigte ein. die PDS in ihrem Wahlkampf im Westen praktisch ohne Gegenleistung zu unterstützen und somit die Bildung einer gesamtdeutschen PDS zu begünstigen; der traditionalistische Flügel (mit Fritz Noll und Ellen Weber), der dem ehemaligen DKP-Parteiapparat entstammte, unterstützte das Unternehmen PDS widerwillig, nur um ein frühzeitiges Auseinanderbrechen der DKP zu verhindern; der „antirevisonistische“ Flügel mit Rainer Eckert wollte sich sofort auf das Gebiet der jetzigen DDR ausbreiten und die PDS bekämpfen.
Dieses Doppelspiel mit einer beträchtlichen Zahl ehemaliger DKP-Funktionäre aus der SED-Zeit erschien den Verantwortlichen gerechtfertigt, da diese Gruppe nicht an einen Erfolg der PDS glaubt und auf ihren Niedergang spekuliert. Die „Orthodoxen“ erwarten das Scheitern der „Reformer“, um dann mit dem Wiederaufbau einer revolutionären Partei zu beginnen deren Entwicklungsmöglichkeiten aber — selbst im Falle einer Fusion mit den K-Gruppen des Ostens und Westens — gleich Null zu sein scheinen. 2. Die Reformströmung Die Geschichte der Erneuerungsbewegung in der DKP zwischen 1987 und 1990 ist die Geschichte eines Mißerfolgs — ähnlich all jenen vergleichbaren Versuchen, die innerhalb der stalinistischen kommunistischen Parteien, z. B. Frankreichs oder Portugals, stattfanden.
Um die Ursachen dieses Scheiterns zu verstehen, muß man zwischen drei zeitlichen Abschnitten unterscheiden. In der ersten Phase, von 1987 bis November 1989, bildete sich in der DKP eine Opposition, die praktisch alle Parteiintellektuellen erfaßte und zudem ein Drittel der Parteiführung auf Bundesebene, ein Viertel der hauptamtlichen Mitarbeiter in den Bezirken, ein Sechstel der Mitglieder, die Jugendorganisation SDAJ und die Studentenorganisation MSB Spartakus. Das Problem dieser Opposition bestand darin, daß sie sich nicht geschlossen mobilisieren ließ. Je mehr die Krise der Partei zu Tage trat, um so stärker kam ihre ideologische und organisatorische Misere auf allen Ebenen des Parteiapparats und der Mitgliederschaft zum Vorschein. Zwar vermehrte sich die Reform-„Fraktion“ von Tag zu Tag, aber gleichzeitig verließen bedeutende Oppositionelle der ersten Stunde — der zähen innerparteilichen Machtkämpfe überdrüssig — die Partei. Gewiß, die „Erneuerer“ verfügten über gewichtige Bastionen (die drei Bezirke Rheinland-Pfalz, Hamburg und Bremen, die großen Kreise der DKP in Köln, Duisburg, Marburg und — zu einem geringeren Grad — München, sowie die SDAJ, der MSB und das IMSF); der Großteil der Parteifunktionäre und die Zentrale in Düsseldorf (und damit die Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel, die technische Infrastruktur, die Abteilungen für besondere Aufgaben, die Verlagshäuser, der Ordnerdienst, die Tageszeitung UZ) standen jedoch — aus finanziellen Gründen und aufgrund der Identifizierung mit der SED — loyal zu beharrenden Kräften und zur Achse Honecker-Mies-Weber.
Das Machtverhältnis zwischen Erneuerern und Traditionalisten hätte sich zugunsten der erstgenannten verändern können, hätte der Masse der DKP-Mitglieder glaubhaft vermittelt werden können, es gehe um die Wiederherstellung kommunistischer Identität. Statt dessen waren die geistigen Köpfe der Reformströmung (Werner Stürmann, Leiter der Abteilung Wissenschaft, Technik und Ökologie der DKP; die Vorsitzenden der DKP-Bezirke Rheinland-Pfalz, Bremen und Hamburg, Dieter Dörflinger, Dieter Gauthier und Wolfgang Gehrcke; Brigit Radow, Vorsitzende der SDAJ; Thomas Riecke, Vorsitzender des MSB Spartakus; Stephen Lehndorff, Vorsitzender des Kölner Kreises) in der Zeit von 1987 bis Mitte 1989 nicht in der Lage, ihrer Vergangenheit völlig zu entfliehen. Beinahe alle in der DDR oder der Sowjetunion über lange Jahre geschult, fügten sie sich den Spielregeln des Apparats. Wie die Mitglieder eines Ordens beachteten sie die Statuten mit einer im Hinblick auf ihr Bildungsniveau und ihre Erfahrung mit kommunistischen Praktiken erstaunlichen Gutgläubigkeit. In ihrer Unfähigkeit, sich im Laufe von zwei Jahren auf eine gemeinsame Taktik zu verständigen, erlitten die Reformgruppen sowohl in den Bezirken als auch in den Nebenorganisationen Niederlage auf Niederlage, zumal sich der konservative Apparat der rückhaltlosen Unterstützung durch die SED erfreute.
Die mangelhafte Organisation wuchs sich zu einer Identitätskrise der Erneuerer aus. Schließlich war die Strömung in den Jahren 1987/88 wesentlich aus der Ablehnung gegenüber den Führungsmethoden der seit den fünfziger Jahren dominierenden KPD/FDJ-Generation entstanden. Dahinter stand der Wunsch, der gut funktionierende, technisch und finanziell hervorragend ausgestattete Parteiapparat möge einer neuen Generation (derjenigen von 1968) übergeben werden. Die Revolte der soge-nannten „Jungtürken“ hätte ohne die engen Bindungen zwischen dem Duo Mies-Weber und Honecker Erfolg haben können. Honecker fürchtete aber, ihm werde eines Tages Gleiches widerfahren, und war daher darauf bedacht, zum einen die Gruppe seiner Getreuen (in der DDR wie in der Bundesrepublik) zu stärken sowie zum anderen jeder oppositionellen Bewegung entgegenzutreten.
In dieser ersten Phase war die Popularität der Er-neuerer an der Parteibasis relativ schwach, teils weil sich zunächst vieles hinter den Kulissen abspielte, teils weil die mittleren Kader und andere hauptamtlichen Mitarbeiter erst den Ausgang der Auseinandersetzung abwarten wollten. Die Reformer begannen nun, sich mit neuen ideologischen Attributen (z. B. antistalinistisch) zu schmücken. Den Prozeß theoretischer Umorientierung rechtfertigten sie mit der mehr und mehr sichtbar werdenden politischen Ohnmacht der DKP, die sich wahltaktisch und organisatorisch unfähig gezeigt hatte, vom beträchtlichen Schwung der „Friedensbewegung“ zu profitieren. Mangels dauerhaften Kontaktes mit den „Massen“ hatte sich die Partei dazu drängen lassen, ihren Funktionärsstamm immer stärker auszuweiten, um durch technische Perfektion, Publikationen und weitere Millionen dem immer offenkundigeren Bedeutungsverlust mehr schlecht als recht entgegenzuwirken. Das angebliche Wundermittel — tatsächlich aber eine organisatorische und dialektische Falle — nahte in der Gestalt Gorbatschows und dessen „Glasnost“. Ohne wirklich zu verstehen, was in der UdSSR geschah, wählten die Erneuerer das „Licht“ und appellierten an die Parteibasis, auf allen Ebenen mehr Transparenz zu fordern und zu praktizieren. Als Feinde wurden der demokratische Zentralismus und das ideologische Primat der SED „erkoren“. Die Erneuerer setzten sich darüber hinaus für eine strategische Öffnung gegenüber der ökologischen Linken ein. Da sie sich von einer Wahlteilnahme der DKP auf Bundes-oder Landes-ebene nichts mehr erwarten, richten sich ihre Hoffnungen auf eine rot-grüne Allianz. Den Mißerfolg des DKP-Engagements in der Friedensbewegung vor Augen (die 5 000 neugewonnenen Mitglieder verließen die Partei nach weniger als zwei Jahren wieder), beunruhigt durch die Abschwächung der Kadermoral an der Parteibasis, verunsichert auch durch die Gleichgültigkeit der Jugend, trat man für eine Rolle innerparteilicher, organisatorischer und ideologischer Reformen ein, u. a. für eine Einengung des demokratischen Zentralismus, für eine Verjüngung der Kader, für das Recht auf Bildung innerparteilicher Zirkel, für eine Besetzung der Vorstände mit 50 Prozent weiblichen Mitgliedern sowie für die Öffnung nach „links“ und die Aufgabe des von der DDR auferlegten Opponierens gegen die Politik Gorbatschows.
Honecker wußte, daß Gorbatschow seinen Sturz wünschte, und mußte daher handeln. Er gab der Führungsgruppe um Mies den Befehl, die innerparteiliche Opposition um jeden Preis zu unterdrükken. 1989 riegelten die Traditionalisten den zentralen Parteiapparat ab und schürten, um Zeit zu gewinnen, mit Hilfe einer Gruppe von SED-Spezialisten Rivalitäten zwischen den Reformgruppen. Wie inzwischen bekannt geworden, zielte das Kalkül Ostberlins auf die Nachgiebigkeit der Parteibasis und auf eine Austrittswelle der Unzufriedenen. Im Verlaufe dieses Prozesses sollte die „Fraktion“ der Erneuerer isoliert, von finanziellen Quellen abgeschnitten und nach und nach mit sanftem Druck aus der Partei gedrängt werden.
Die Reformer begingen einen weiteren schweren Fehler, indem sie den eigenen Rückhalt in der Partei überschätzten. Statt offen gegen die Parteiführung aufzutreten und sich eigenständig zu organisieren — wie es von der Sowjetunion, allerdings ohne finanzielle Zusagen gewünscht wurde —, setzten sie auf dem Gipfel ihres organisatorischen Einflusses auf den Verbleib in der Partei und verbanden damit eine Doppelstrategie: Als Demonstration der eigenen Stärke sollte ein oppositioneller Parteitag veranstaltet und mit dem davon ausgehenden Elan ein außerordentlicher Kongreß der DKP einberufen werden, um dort den „neuen Kurs“ auf allen Ebenen der Partei durchzusetzen.
Der Frankfurter Erneuerer-Kongreß vom 20. bis 22. Oktober 1989 war nur scheinbar ein Erfolg. Zwar versammelten sich dort mehr als 2 000 Kommunisten, deren politisches Spektrum von den grünen Fundamentalisten um Thomas Ebermann über Trotzkisten aller Schattierungen und Angehörigen von K-Gruppen bis hin zu Sozialdemokraten des linken SPD-Flügels reichte, und auch in der programmatischen Arbeit wurden mit Ausführungen über die Krise des Marxismus, den Stalinismus und seine Verbrechen und über die Ökologiepolitik Fortschritte erzielt. Andererseits bot der Parteitag keine organisatorische Alternative zur DKP. Er zeigte im Gegenteil die Instabilität der Reform-strömung, indem er Abspaltungsgefahren innerhalb der Erneuerungsbewegung offenlegte: nach rechts durch die Anhänger einer Linksentwicklung in der Sozialdemokratie und nach links (Gruppe „Stürmann“) durch den Übertritt von Kadern und Intellektuellen der DKP zu den GRÜNEN. Ende Oktober 1989 schien alles durch das Warten auf den für Februar 1990 vorgesehenen Parteitag der DKP blockiert zu sein. In dieser Situation ereignete sich der für Reformer wie Traditionalisten völlig überraschende Zusammenbruch des SED-Regimes. Die Monate November und Dezember 1989 bildeten die zweite Phase in der Geschichte der DKP-Erneuerer, die mit dem Ende ihrer Existenz innerhalb der DKP ihren Abschluß finden sollte. Zwei eng miteinander verflochtene Mechanismen können als Ursache hierfür genannt werden: einerseits eine in vielerlei Formen zum Ausdruck gekommene Identitätskrise bei den einfachen Mitgliedern der DKP, die nun entdeckten, was vielen in der Parteiführung schon bekannt war, nämlich die Degeneration, Korruption und die Verbrechen des SED-Staates; andererseits der Zusammenbruch des DKP-Apparats aufgrund des Versiegens der bis dahin unablässig fließenden DDR-Finanzquellen. Es mag als eine Ironie der Geschichte erscheinen, daß die Erneuerer viel härter vom Zusammenbruch des Apparats getroffen wurden als die Traditionalisten, in deren Hand sich die Parteizentrale, Immo-bilien und die Druckerei befanden, die über Kontakte zu ostdeutschen Firmen und vor allem über die 15 Mio. DM in der Parteikasse verfügten Die Erneuerer hingegen verloren alles: ihren Arbeitsplatz als Funktionäre, ihre Arbeitsräume, ihre finanziellen Ressourcen und damit die materielle Absicherung, um sich ganz dem politischen Kampf zu widmen. Am 31. Dezember 1989 hatten 95 Prozent der Erneuerer die Partei verlassen; sie kehrten in ihrer Mehrzahl der aktiven Politik den Rükken
Von Januar bis April 1990, der dritten Etappe in der Geschichte der Erneuererbewegung, versuchten die ehemaligen DKP-Oppositionellen ihre im ganzen Bundesgebiet in vielen kleinen Zirkeln zerstreute Anhängerschaft in einer föderativen Struktur zu organisieren Ausgehend von einem Büro in Köln um die Gruppen Lehndorff, Dörflinger und Gehrke konnte ein lockeres Beziehungs-und Austauschgeflecht zwischen den ca. 1 500 politisch noch mobilisierbaren Ehemaligen der DKP. aufgebaut werden. Die Verbindungen zu Gysis PDS entwickelten sich in dieser Zeit immer besser, da es um deren Beziehungen zur DKP-Zentrale ebenfalls nicht mehr zum Besten stand. Nach einer Reihe von geheimen Treffen in Berlin entschied sich die PDS für die Er-neuerer. Ihnen wurde eine doppelte Aufgabe zugewiesen: Einerseits sollte in Westdeutschland eine offene Auffangstruktur gebildet werden, die als Keimzelle einer sich auf das Bundesgebiet ausdehnenden PDS genutzt werden könnte, andererseits sollte die Gründung von „wilden PDS-Niederlassungen" im Westen unterbunden werden
Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung veranstalteten die Erneuerer vom 30. März bis 1. April 1990 ein Treffen in Köln Anwesend waren ca. 500 Teilnehmer aus der DDR, die alle Schattierungen der ostdeutschen Linken vertraten („Nelken“, KPD, Vereinigte Linke, Neues Forum, Ost-GRÜNEN etc.), vor allem aber auch zwei Mitglieder des Präsidiums der PDS, der Leiter ihrer Westabteilung und mindestens zehn ihrer Führungskräfte, die extra wegen dieses Treffens aus Berlin und Ostdeutschland angereist waren. Den Erneuerern gelang es, wenn auch unter bedenklichen Schwierigkeiten, die gesteckten Ziele durchzusetzen
Im Glauben, daß dieser „Strategie-Kongreß“ den Beginn einer gesamtdeutschen Zusammenarbeit aller Linken markiere, waren deren Anhänger zahlreich in Köln erschienen und erwarteten Beschlüsse über konkrete Strategien und Maßnahmen, die jedoch weder von der PDS noch von den Erneuerern beabsichtigt waren. Mit den altbewährten Methoden der Einflußnahme auf die Arbeitsgruppen gelang es den Erneuerern, ihre organisatorischen und ideologischen Vorstellungen in einer eiskalten Stimmungslage und einer Situation wachsenden Unverständnisses zwischen den Anhängern aus der DDR und den anderen Teilnehmern durchzusetzen. In einer „Übergangs“ -Phase schufen die Erneuerer eine neue Struktur, die sie „Sozialistisches Forum“ nannten und die von einem 22köpfigen Kollektiv geleitet wurde. Die großen Persönlichkeiten der Vergangenheit (Lehndorff und Gehrke) waren nicht vertreten, weil das Übergewicht der ehemaligen DKP-Anhänger nicht zu augenscheinlich wirken sollte und diese als erfahrene Taktiker freie Hand für die Zusammenarbeit mit der PDS behalten sollten Die Erneuererbasis, die am Anfang mehrheitlich für eine sofortige Gründung der PDS eintrat, konnte dazu überredet werden, sich vorerst dem „Sozialistischen Forum“ anzuschließen und die kommende Entstehung einer West-PDS abzuwarten. Von Anfang April bis Ende Juli vollzog sich im Kreis der Erneuerer eine Art Klärungs-und Reinigungsprozeß. Die sehr heterogene Gruppe brach endgültig Ende Juni am Ende eines Geheimseminars auseinander, das in Ostberlin in Anwesenheit von Andre Brie stattfand. Mehrere führende Persönlichkeiten (Steffen Lehndorff, Bernd Hartmann u. a.) erklärten der PDS, daß sie nicht an die Chancen einer Ausbreitung im Westen glaubten Wolfgang Gehrke dagegen brachte eine entgegengesetzte, organisatorisch und geopolitisch ausgerichtete Analyse vor: Da die PDS noch über beträchtliche finanzielle Mittel verfüge, sich im Osten feste regionale Stützpunkte bewahrt habe und die charismatische Ausstrahlung Gysis für sie spreche, sei die Möglichkeit gegeben, innerhalb des westdeutschen linken Spektrums in Abgrenzung zur SPD und stärker noch gegenüber den GRÜNEN an Profil zu gewinnen. Die Abspaltung der sogenannten „Radikalen Linken“ sei nur eine Zwischenstation im Zerfall der Ökologiebewegung und im Entstehungsprozeß einerneuen, breiten antikapitalistischen Front. Diese neue Bewegung habe keine Mittel zur Verfügung, stehe durch ihre politische Unfähigkeit dem Prozeß der Wiedervereinigung hilflos gegenüber und würde deswegen den Loreley-Klängen der PDS folgen, wenn diese im Hinblick auf ihre westdeutschen Wähler nur ihre sozialen, ökologischen und humanistischen Ansätze deutlich genug herausstellen würde.
Diese unterschiedliche Lageeinschätzung durch die als zuverlässig geltenden westlichen Führungskräfte ließ die PDS etwa zwei Wochen lang zögern. Die Beschleunigung der Wiedervereinigung, die drohende Beschlagnahmung des ehemaligen SED-Vermögens sowie die Entschiedenheit von Brie und Gysi gaben den endgültigen Ausschlag. Ab der ersten Juli-Woche begann die PDS, im Westen Fuß zu fassen und eröffnete vier Regionalbüros mit festangestellten Kräften und modernen EDV-und Kommunikationsmitteln Der Verantwortliche dieser Logistik war und bleibt Wolfgang Gehrke, der von einem praktisch nur aus Erneuerern zusammengesetzten Team unterstützt wird. Für die Presse veranstaltete die West-PDS einen Gründungs-Parteitag am 28729. Juli 1990 in Köln. Einige bekannte Neumitglieder wie Ulla Jelpke, ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete der GAL, und Michael Stamm, Theoretiker der Öko-Linken, gaben der PDS den dringend benötigten Anschein einer ökologischen Sammlungs-bzw. Einigungsbewegung Als weiterer Trumpf galt die Unterstützung durch Ibrahim Böhme, den ehemaligen Parteivorsitzenden der Ost-SPD, der seine Vorbehalte gegenüber Gysi abgebaut hatte.
Um sich schließlich bei den Wählern nicht dem Vorwurf aussetzen zu müssen, es würden nur ehemalige DKP-Anhänger aufgestellt werden, beschloß die PDS, diese nicht auf den vorderen Plätzen der Landeslisten zu plazieren
Die Ereignisse dieser Wochen zeigen also ganz deutlich, daß es einem Teil der Erneuerer gelungen ist, ihr politisches Überleben durch die Anbindung an die PDS zu sichern — der Niedergang der DDR hat damit sein organisatorisches Erbe gefunden. Die PDS mußte sich angesichts beschränkter taktischer Möglichkeiten in Westdeutschland zwischen der DKP und den Erneuerern entscheiden. Letztere scheinen im Hinblick auf eine Öffnung zur politischen Linken tatsächlich nützlicher zu sein als die Fundamentalisten der DKP. Für die Strategen der PDS scheint es in der Kürze der Zeit sinnvoller, sich auf die Strukturen und die Anhängerschaft der Er-neuerer zu stützen und zugleich deren wirkliche Rolle im Parteiapparat der West-PDS hinter Mittelsmännern zu verbergen.
Die Zusammenstellung der Linken Liste/PDS war bereits abgeschlossen, als das Wahlgesetz, das bloße Listenbündnisse erlaubte, als verfassungswidrigerklärt wurde. Damit wurde wieder einmal die Strategie der PDS durcheinandergebracht. Die PDS beschloß daraufhin die Gründung von Landes-verbänden im Westteil Deutschlands, deren Führung aus ehemaligen Mitgliedern der GRÜNEN und DKP-Erneueren bestehen. Diese Entscheidung besiegelte den endgültigen Bruch zwischen der PDS und der DKP, die keine andere Wahl hat, als ihre verbliebene Anhängerschaft gegen die „Revisionisten der PDS“ in den Kampf zu schicken. 3. Die Sozialistische Einheitspartei West-Berlins (SEW)
Der Zusammenbruch der feudalistisch-stalinistischen Kommandostruktur der SED traf die SEW mit voller Wucht. Geographisch und organisatorisch umschlossen vom Gebiet und dem System des „real existierenden Sozialismus“, war diese Partei der ständigen und direkten Kontrolle des SED-Apparats unterworfen. Die Führungskräfte der SEW gingen deswegen praktisch jeden Tag über die Grenze und stimmten jegliche Parteiaktivität in West-Berlin mit den taktischen und ideologischen Vorgaben der SED ab. Diese Koordinationspflicht belastete auf die Dauer die SEW so stark, daß sie — im Gegensatz zur DKP — am Ende der siebziger Jahre die Entstehung einer eurokommunistisch ausgerichteten Strömung in den eigenen Reihen erlebte und in den Jahren 1979/80 das Aufbegehren einer (allerdings rasch ausgeschalteten) Fraktion im Umfeld der Zeitschrift „Klarheit“ bewältigen mußte Trotz eines ständigen Mitglieder-schwunds gelang es der SEW in den Jähren 1980 bis 1987, die bestehenden Strukturen zu stabilisieren und den vorhandenen Apparat mit Unterstützung der SED weiter auszubauen
Analog zur Entwicklung innerhalb der DKP, aber ohne dauerhafte Verbindungen zu den Erneuerern im Bundesgebiet, formierte sich in den Jahren 1987 bis 1988 eine kritische Strömung. Das Sekretariat des Parteivorstandes als Sprachrohr der Kritiker der SEW veröffentlichte im Jahre 1987 und insbesondere im Jahre 1988 eine Reihe von programmatischen Texten, die belegen sollten, daß die SEW ihren Berlin-Status als politische Partei — die zwar im politischen Leben der Stadt eine marginale Rolle spielte, aber nichtsdestotrotz eine klare kommunistische Alternative auf kommunaler Ebene darstellte — dazu hergegeben hatte, lediglich als lokale Interessengruppe auf den Berliner Senat einzuwirken mit dem Ziel, durch gezielten Druck auf die westliche Stadtverwaltung eine Finanzierung kommunaler Projekte zu bewirken, die zu bezahlen die SED nicht mehr im Stande war Zudem war dem Führungsapparat ebenso wie der Basis bewußt, daß bei den Wahlen im Januar 1989, wie schon bei vorhergegangenen Wahlgängen eine eindeutige Niederlage bevorstand. Die Strategie der Abgrenzung gegenüber SPD und GRÜNEN, auch wenn diese Parteien — wie auf landes-und kommunaler Ebene geschehen — eine linke Mehrheit ermöglichen könnten, resultierte aus den Vorgaben der SED, die eine bürgerlich-konservative Koalition für berechenbarer hielt.
Der Sieg der Sozialdemokraten und der ökologisch ausgerichteten Alternativen Liste bewies vielen SEW-Anhängem, was für Beobachter schon lange offensichtlich war: Eine ganz auf das Vorbild der SED ausgerichtete kommunistische Bewegung war nicht nur zu einem Fremdkörper in der Gesellschaft und der Parteienlandschaft West-Berlins geworden, sondern wurde von dieser offen abgelehnt. Den besten Beleg dafür lieferte die Affäre um die Führung der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), die noch in den siebziger Jahren eine Hochburg intellektueller Linker war. Im Sommer 1988 wählte eine Delegiertenkonferenz der GEW eine Vorsitzende, deren Mitgliedschaft in der SEW allgemein bekannt war. Unmittelbar nach dieser Wahl begann in der Gewerkschaft eine heftige Auseinandersetzung, die im Austritt mehrerer bekannter Mitglieder, insbesondere sozialdemokratischer Pädagogen, gipfelte. Die Organisatoren der Anti-SEW-Kampagne bei der GEW brachten ein Manifest in Umlauf, das der neuen Vorsitzenden ihr Schweigen zu den Menschenrechtsverletzungen im Osten und zu der unterdrückenden Alleinherrschaft des FDGB in Ostdeutschland vorwarf. Trotz einer öffentlichkeitswirksamen Verurteilung dieses „beispiellosen antikommunistischen Feldzuges“ gegen die Erzieher aus den Reihen der SEW schaffte es die Partei nicht, einen Umschwung der Stimmungslage zu erreichen und konnte den Rücktritt der Vorsitzenden nicht verhindern. Unter den hauptamtlichen Mitgliedern und Betriebsratsfunktionären entwickelte sich ein kritischer Ansatz, der zwar noch nicht die Grundlagen der Partei (Marxismus-Leninismus und demokratischer Zentralismus) in Frage stellte, aber für eine Aufarbeitung folgender vier Themen eintrat: — das Fehlen einer Auseinandersetzung um den stalinistischen Einfluß auf die KPD/SED in den Jahren 1945 bis 1952, — die fehlende kritische Analyse der Geschichte der SEW seit ihrer Gründung am 21. Mai 1966, — das Tabu, das bezüglich der Liquidierung der Fraktion „Klarheit“ verhängt wurde, — die Möglichkeiten der Modernisierung einer kommunistischen Partei (unter dem Einfluß des „Aufrufs zur Abhaltung eines nationalen Kongresses der Erneuerung“, der von den Oppositionellen der DKP im April/Mai 1989 veröffentlicht wurde
Die Führung der SEW hatte, trotz tatkräftiger und gezielter Unterstützung durch die Zentrale der SED, beträchtliche Schwierigkeiten, sich in der neuen politischen Landschaft West-Berlins zurechtzufinden, die gleichermaßen geprägt wurde durch die Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition und durch das Aufkommen einer besonders aktiven, proletarisch gefärbten rechtsradikalen Partei — den Republikanern. Ein doppeltes ideologisches und strategisches Defizit kam dabei mit all seiner Wucht zum Tragen: einerseits das Scheitern im traditionellen antifaschistischen Kampf und andererseits die Unfähigkeit der Kommunisten, die ökologische Komponente zu erfassen (die ja von der SED in ihrer Industrialisierungspolitik der DDR vollkommen ignoriert wurde). Die Reaktion des Führungsapparates der SEW auf diese Entwicklung war traditionell-hausbacken: Es galt, Zeit zu gewinnen, um die kritischen Elemente zu isolieren und neue Gelder für die Partei zu beschaffen, die dazu dienen sollten, neue hauptamtliche Mitarbeiter einzustellen (und ein neues Netz von Abhängigkeiten aufzubauen) sowie das öffentliche Erscheinungsbild der SEW neu zu gestalten.
Die Parteizeitung, die Tageszeitung „Die Wahrheit“, verjüngte in dieser Zeit ihre Redaktionsbelegschaft und modernisierte ihr Layout. Auf ideologischem Gebiet rief die Führungsspitze die Partei zu einer Auseinandersetzung auf allen Ebenen auf. Um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten, richtete sie eine Anlaufstelle unter dem Namen „Kommission BERLIN und das Jahr 2000“ ein.deren erklärtes Ziel es war, das „Gesamtwissen der Partei“ in sich zu vereinen. Dieses Vorgehen sollte aber nach den Vorstellungen des Sekretariats der SEW keinesfalls neue ideologische Richtungen in die Welt setzen, sondern nur Überlegungen anregen, die dann von der zum 9. Parteitag eingesetzten Programmkommission „verarbeitet“ werden sollten. Die Themen, die den Mitgliedern als Denkanstöße dienen sollten, bezogen sich alle auf traditionelle Grundbegriffe und Wesensmerkmale kommunistischer Parteien: Klassenstrukturen, alternative Wirtschafts-und Sozialpolitik, real existierender Sozialismus und Wesen der Partei, Konzeption für eine „anti-bürgerliche“ Geschichte der SEW. Der einzige Punkt, bei dem die Partei über ihren ideologischen Schatten sprang, war die Frauenfrage und die Einstellung zur entsprechenden Quotierung.
Die Diskussionen in den Arbeitsgruppen dieser Kommission wichen aber, trotz des Eingreifens der Traditionalisten, von der vorprogrammierten Linie ab und konzentrierten sich auf das Problem des demokratischen Charakters des real existierenden Sozialismus, der offensichtlich von einem immer größeren Teil der DDR-Bevölkerung in Frage gestellt wurde, aber auch auf die Fluchtbewegung ostdeutscher Bürger in die Bundesrepublik. Die bedingungslose Unterstützung der chinesischen Führung durch die SED während des Pekinger Aufstandes und die berühmt-berüchtigte Rede von Egon Krenz über die Notwendigkeit der Niederschlagung der Konterrevolutionäre bewog die Mehrheit der SEW-Anhänger, sich dem Lager der Erneuerer anzuschließen, ohne jedoch in der Parteiführung die Macht übernehmen zu können.
Die SEW-Führung bereitete sich gerade auf eine Säuberung in ihren eigenen Reihen vor, als sie vom Zusammenbruch der SED im Oktober/November 1989 überrascht wurde. Die Berliner Partei und ihre Nebenorganisationen verloren dabei ca. 3 000 Mitglieder, d. h. ungefähr 40 Prozent ihres Bestandes. Die drastische Kürzung der finanziellen Unterstützung des SEW-Apparats führte zum Verschwinden aller an die Partei gebundenen oder unter ihrem Einfluß stehenden Gruppierungen. Im November 1989 beschloß die SED, die SEW aufzulösen um deren Umschwenken in das Lager der Erneuerer zu verhindern. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, da die Auseinandersetzung zwischen den Traditionalisten um Egon Krenz und den Reformisten um Gregor Gysi noch heftig tobte. Nach dem Sieg der letzteren im Dezember beschloß die SED-PDS, die Reste der SEW, die die stalinistische Garde zum Großteil bereits verlassen hatte, zu stabilisieren. Unter dem doppelten Druck Ostberlins und der Erneuererbasis traten die übrig gebliebenen Führungsmitglieder der SEW zurück und wurden durch eine sogenannte „Führungskommission“ aus 24 Mitgliedern ersetzt, deren Aufgabe darin bestand, einen außerordentlichen Parteitag zu organisieren, der über eine legale Auflösung oder ein Fortbestehen der Partei entscheiden sollte. Zu diesem Parteitag kamen am 17. /18. Februar mehr als 800 Delegierte, die die noch vorhandenen 2 700 Mitglieder repräsentierten. Diese waren sich in der Beurteilung der Parteikrise weitgehend einig: Die Handlungsunfähigkeit der SEW resultierte aus ihrer totalen politischen und finanziellen Abhängigkeit von der SED Die totale Fixierung auf das System der „Staatspartei“ als einzigem Machtzentrum und als Richtschnur für den Aufbau des realen Sozialismus führte zu einer ideologischen Passivität. die dem Berliner Umfeld vollkommen unangemessen war. Letztendlich hatte der demokratische Sozialismus jegliche Regung eines kritischen Bewußtseins in der Partei erstickt und sie damit von den Massen und der restlichen Linken abgeschnitten. Über diese illusionslosen Feststellungen hinaus gingen die Meinungen über die Wege aus der Krise (Auflösung oder Fortbestehen) jedoch auseinander. Unter dem Einfluß der PDS, die eine teilweise Wiederaufnahme der finanziellen Zahlungen andeutete, schlugen die Erneuerer vor, eine kritische Analyse der Geschichte der SEW zu schreiben und dabei die spezifische Rolle der „kommunistischen Politik“ zu beleuchten. Diese Überlegungen sollten zwar im Namen der Partei angestellt werden, die Mitwirkung sollte aber allen marxistischen, antiimperialistischen und antipatriarchalen Kräften offen-stehen. Ein Fortbestehen der SEW wurde als unerläßlich erachtet, um ein Auseinanderbrechen der marxistischen Bewegung und eine endgültige Zersplitterung der Anhänger zu verhindern. Allerdings verfügten die Reformatoren über kein praktikables Organisationskonzept, um ihren Thesen Nachdruck zu verleihen, da sich die PDS angesichts des Kräftemessens der unterschiedlichen Tendenzen noch abwartend verhielt. Diejenigen, die — weil sie überzeugte Traditionalisten waren oder einfach mit ihrer Vergangenheit brechen wollten — für eine Parteiauflösung eintraten, sahen keine Zukunft für eine erneuerte kommunistische Partei auf theoretischen Grundlagen, die bereits seit zehn Jahren von der Ökologiebewegung vereinnahmt waren.
In einer überaus gereizten Stimmung bekam der Antrag „Der Parteitag der SEW soll sich für die Auflösung der gesamten Partei aussprechen“ 365 Stimmen der 697 Delegierten, d. h. umgerechnet 52 Prozent. Eine erste Gruppe von 70 Delegierten verließ daraufhin den Saal. In der Nacht von Samstag auf Sonntag bereitete eine kleine Gruppe von Erneuerern einen neuen Antrag vor, der die Mitglieder der SEW dazu aufrief, die Einrichtung einer Übergangsorganisation zu unterstützen, die in Verbindung mit anderen Linksgruppierungen die Möglichkeiten zur Gründung einer neuen marxistischen Gruppierung prüfen sollte. Dieser Vorschlag blieb, obwohl er 393 Stimmen (62, 7 Prozent) erhielt, genauso wirkungslos wie der erste Antrag, da eine Änderung der Parteisatzung und, wichtiger noch, eine Parteiauflösung nur durch eine Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden konnte. In dieser Patt-Situation verließen 50 Prozent der Delegierten den Tagungssaal. Formell bestand also die SEW fort. Ein Kern von 250 Delegierten wählte schließlich unter ziemlich chaotischen Umständen ein 17köpfiges Führungsgremium (bestehend aus sechs Frauen und elf Männern), das gleichzeitig die laufenden Geschäfte der Partei erledigen und die Einberufung eines neuen außerordentlichen Parteitages vorbereiten sollte.
Dieser zweite Parteitag wurde am 28. 729. April abgehalten und besiegelte das Ende der Geschichte der SEW. Unter der Führung von Ernst Welters, der aus seiner Sympathie für Gregor Gysi keinen Hehl machte, aber auch unter dem Druck der PDS, die unbedingt die voreilige Gründung eines Ablegers in West-Berlin verhindern wollte, beschlossen die ca. 250 gewählten oder selbsternannten Delegierten — als Vertreter von theoretisch verbliebenen 1 600 Mitgliedern, davon weniger als 1 000 Beitragszahler — die Umwandlung der Partei in eine „Sozialistische Initiative“ (SI). In deren theoretischem Manifest fand sich, Wort für Wort, die ideologische Grundsatzerklärung der PDS mit der Aufzählung der „großen Vorfahren“ wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Antonio Gramsci wieder. Im Juni und Juli 1990 bemühte sich die SI intensiv um Kontaktaufnahme mit der Alternativen Liste. Ziel dabei war nicht, ein Abkommen mit den „Realos“ der AL zu erreichen, sondern diejenige Randgruppe ihrer Anhängerschaft anzusprechen, die den mit den Sozialdemokraten geschlossenen Kompromissen ablehnend gegenüberstehen. Die PDS wartete die Änderung des Status von Berlin und die Gründung von „Unterstützungsli52 sten der PDS“ ab, um die SI vorsichtig abzuschaffen und danach offiziell in Westberlin Fuß zu fassen.
Im Juli verbuchte die SI einen ersten Erfolg, als eine aktive Gruppe die AL verließ und sich, unabhängig vom Appell Klaus Croissants für eine Zusammenarbeit mit der SI und für eine möglichen West-PDS aussprach. Die PDS wartete die Änderung des Status von Berlin und die Gründung von „Unterstützungslisten der PDS“ ab, um die SI vorsichtig abzuschaffen und danach offiziell in Westberlin Fuß zu fassen. Aber in Berlin veränderte sich die Lage nach dem gleichen Muster wie in der Bundesrepublik. Ende September bildeten sich Bündnisvereinigungen SI/LINKE LISTE/PDS, die sich aber wieder bereits Mitte Oktober auflösten. Die PDS nahm ab diesem Zeitpunkt den beschleunigten Aufbau ihrer Strukturen im ehemaligen Westteil Berlins in Angriff, um damit über eine wirkungsvolle Basisorganisation für die Bundestagswahlen zu verfügen, die nicht zu Unrecht von Gregor Gysi als entscheidend für die Zukunft seiner Partei bezeichnet wurde.
Das durch vielfältigen (Verdrängungs-) Wettbewerb geprägte System kommunistischer Gruppierungen im vereinigten Deutschland ist durchaus instabil und kann sich unter dem Druck der Ereignisse rasch verändern. Die kommunistischen Fundamentalisten der DKP und die kommunistische Plattform werden wahrscheinlich zu aktiven Trägern einer traditionalistischen Abspaltung werden. Längerfristig erscheinen die Chancen der PDS im Westen eher gering, auch wenn sie bis zur Besserung der wirtschaftlichen Lage auf dem Gebiet der DDR das Sprachrohr der Bürger bleiben wird, die den Anschluß an das zukünftige gesamtdeutsche Wirtschaftswunder verpaßt haben.
Im Westen hat die PDS nur sehr wenig Chancen, eine Verbindung mit der Ökologiebewegung oder mit sozialdemokratischen Kreisen einzugehen. Da sie gezwungen ist, ihre Organisation auf der Grundlage von reformistischen Kreisen und teilweise gegen die Fundamentalisten der DKP aufzubauen, wird die PDS, unter dem Banner des Antistalinismus und des sozialistischen Humanismus sowie dank der Persönlichkeit ihres Vorsitzenden Gysi, zeitweilige Prestigeerfolge für sich verbuchen können, die sich aber nicht in Wahlerfolgen niederschlagen werden. Einzige Unbekannte in dieser Gleichung ist die zukünftige Haltung der KPdSU und Michail Gorbatschows, die — im Dienste der Beziehungen zwischen der UdSSR und dem wiedervereinigten Deutschland sowie im Rahmen ihrer Strategie der Öffnung gegenüber den sozialdemokratischen Parteien Europas — Interesse an einer nicht allzu schwachen und bedeutungslosen, sondern wirkungsvoll im politischen System Deutschlands agierenden PDS haben könnten.