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Kokainhandel in Lateinamerika | APuZ 42/1990 | bpb.de

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APuZ 42/1990 Artikel 1 Kokainhandel in Lateinamerika Drogenabhängige: Spielball der Gesundheitspolitik? Die Drogenpolitik der Bush-Administration und Entwicklung des Drogenproblems in den USA

Kokainhandel in Lateinamerika

Gernot Volger

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Peru, Bolivien und Kolumbien sind in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die wichtigsten am Kokain-geschäft beteiligten lateinamerikanischen Länder. Vor allem in Bolivien und Kolumbien gab und gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Militär und den Drogenhändlern, in deutlich geringerem Maße auch in Peru. Für einige Zeit gab es in Peru und Kolumbien Formen der Zusammenarbeit zwischen Kokainhändlern und Guerrillagruppen, heute sind diese Beziehungen durch gewaltsame Auseinandersetzungen geprägt. In Bolivien und Kolumbien lassen sich enge Verbindungen zwischen Drogengeschäft und Politik nachweisen, wobei die Drogenhändler deutlich zur politischen Rechten tendieren. Aufgrund einer Politik des blutigen Tenors hat die kolumbianische Kokainmafia die Justiz ihres Landes kaum zu fürchten. Im Mittelamerika-Konflikt arbeiteten die Kokainhändler sowohl mit den Contra-Rebellen und ihren US-amerikanischen Förderern wie auch mit den Sandinisten in Nicaragua zusammen. Auch Cuba fungierte als Transitland für den Kokainhandel zwischen Kolumbien und den Vereinigten Staaten. Immer wieder treffen hier wirtschaftliche und politische Aspekte zusammen. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Lateinamerikas die wesentlichen Voraussetzungen für ein blühendes Kokaingeschäft bilden, hat die Regierung der Vereinigten Staaten bisher dem Einsatz militärischer Mittel bei der Bekämpfung des Kokainhandels den Vorzug gegeben und auf mögliche soziale und wirtschaftliche Strategien weitgehend verzichtet.

I. Einleitung

e internationale Drogenindustrie ist die größte d dynamischste Wachstumsbranche der Welt, e Umsätze werden auf über 500 Mrd. US-Dollar ) Jahr geschätzt — das ist dreimal so viel wie die samte im Umlauf befindliche Dollarmenge, das mehr als das Bruttosozialprodukt der meisten nder mit Ausnahme einer Handvoll industrialirter Staaten. Es wird weltweit mehr Geld für illee Drogen ausgegeben als für Lebensmittel. Die balen Kokainumsätze werden auf etwa 150 Mrd. . -Dollar jährlich geschätzt.

hezu das gesamte illegal hergestellte Kokain nmt aus Lateinamerika. Der größte Teri — 90 Prozent — der Kokainexporte des Halbkonents geht in die Vereinigten Staaten, doch in gster Zeit gibt es vermehrt Versuche, auch den opäischen Markt zu erschließen. Die Zahl der kainkonsumenten in den Vereinigten Staaten in nur sehr grob veranschlagt werden. Anfang achtziger Jahre schätzte das National Narcotics zlligence Consumers Committee, eine private schungsstelle über den Drogenkonsum, in den A etwa 18 Mio. Konsumenten, einschließlich elegenheitskoksern“. Das mag großzügig geätzt sein, doch mit Sicherheit gibt es ca.sechs . Kokainkonsumenten in den Vereinigten Staa. Kokain ist in den USA nach Alkohol, Psychoirmaka und Marihuana die vierthäufigste oge.

Prozent des Kokainkonsums geht — schon wedes hohen Preises — auf das Konto der „Gutuchten“; in den amerikanischen Mittel-und erschichten ist Kokain ein Statussymbol wie der uar oder der Nerz der Ehefrau. Ärzte, Bankiers, wälte, Makler, Werbeleute und Professoren benen sich dieser Droge — nicht im Geheimen, dem ostentativ, z. B. auf ihren Parties. Mit Recht weisen viele Lateinamerikaner — auch solche, die nicht am Drogengeschäft teilhaben — darauf hin, daß ohne den gewaltigen US-amerikanischen Markt die Drogenindustrie niemals solche Ausmaße erreicht hätte. Dabei ist die Illegalisierung dieser Droge ein wesentlicher Faktor für die Höhe der gigantischen Gewinne. Die Kokainunternehmer verhalten sich jedoch — den Spielregeln des kapitalistischen Marktes gemäß — völlig systemkonform. (Es drängt sich die Parallele zur Prohibition auf, dem Verbot alkoholischer Getränke in den USA zwischen 1920 und 1933: der Alkoholkonsum wurde nicht zurückgedrängt, sondern nur in illegale Bahnen gelenkt, mit der Konsequenz, daß die Schwarzbrenner und -schankstätten riesige Gewinne erzielten und die Korruption und Kriminalität zunahmen.)

In Lateinamerika, dessen Volkswirtschaften von chronischen Krisen geschüttelt werden, ist die Drogenindustrie seit den siebziger Jahren die einzig wirklich florierende Wachstumsindustrie. Alle Länder der Region nehmen am Drogengeschäft teil, sei es als Hersteller, als Transporteure, als Umladestation oder indem die im Drogengeschäft erwirtschafteten Gelder „gewaschen“, d. h. in den normalen Geldkreislauf eingeschleust werden. Die wichtigsten Länder im Kokaingeschäft sind Kolumbien. Bolivien, Peru und Mexico (letzteres vorwiegend als Transitland). Während der siebziger Jahre war das in die Vereinigten Staaten exportierte Marihuana das große Geschäft, es wurde in den achtziger Jahren von den Umsätzen im Kokaingeschäft übertroffen: der Jahresumsatz an Kokain innerhalb Lateinamerikas wird auf ungefähr 50 Mrd. US-Dollar geschätzt; diese Zahl entspricht etwa dem jährlichen Schuldendienst der lateinamerikanischen Länder.

II. Das Drogenland Peru

casträucher werden vor allem in Peru und Bolin angebaut, das hat in diesen Ländern eine lange idition. Ursprünglich war Coca eine Droge, die i Priestern des Inkastaats für rituelle Zwecke behalten war; später, nachdem die Spanier die ios in den Silberminen und in der Landwirtaft einer rücksichtslosen Ausbeutung unterwar, kauten diese Cocablätter, um ihren Hunger zu dämpfen. Der Cocastrauch ist eine anspruchslose Pflanze, er hat eine Lebensdauer von 25— 30 Jahren und wirft drei Ernten im Jahr ab.

Die in den Ländern Bolivien und Peru aus den Cocablättern hergestellte Cocapaste gelangt auf vielerlei Wegen, vorwiegend jedoch auf dem Luftweg, nach Kolumbien. Dort befinden sich die Ko-B kainfabriken, in denen die Paste weiterverarbeitet wird; die dafür nötigen Chemikalien — vor allem Äther und Azeton — werden großenteils aus Venezuela und Brasilien eingeführt. Nach einem Bericht des Präsidenten der kolumbianischen Bankenvereinigung werden in Kolumbien jährlich rund 310 Tonnen Kokain hergestellt, wovon etwa 270 Tonnen in die USA und 40 Tonnen nach Europa exportiert werden.

In Peru werden ca. 60 Prozent der für die Cocagewinnung benötigten Sträucher angebaut. Aufgrund der hohen Wachstumsraten des Kokaingeschäfts und der stagnierenden peruanischen Volkswirtschaft darf vermutet werden, daß heute die Kokain-exporte nahezu in der gleichen Größenordnung liegen — etwa 3, 5 Mrd. US-Dollar — wie die gesamten restlichen Exporte des Landes. Der Rückfluß der Drogengewinne wird auf etwa 800 Mio. US-Dollar jährlich geschätzt. Rund 1, 2 der insgesamt 21 Mio. Peruaner leben heute nach Expertenschätzungen direkt oder indirekt von der Drogenindustrie. Hunderttausende wilder Siedler brennen am Ost-hang der Anden den Dschungel nieder, um dort Cocasträucher anzupflanzen. Regenfälle schwemmen das Erdreich fort, der Boden erodiert. Für die anspruchslosen Cocasträucher ist das allemal noch ausreichend, während andere Pflanzen auf dem ausgewaschenen Boden nicht mehr gedeihen. Nach Expertenschätzungen sind zwischen 1984 und 1988 allein im höher gelegenen Urwald Perus etwa 800 000 Hektar Dschungel auf diese Art vernichtet worden (noch ist die Hälfte Perus von Dschungel bedeckt). Ein Bauer, der fünf Hektar Dschungel niederbrennt und darauf Cocasträucher anpflanzt, kann damit etwa 15 000 US-Dollar pro Jahr verdienen — der gesetzliche Mindestlohn beträgt in Peru etwa 30 US-Dollar pro Monat. Da jeder zweite arbeitsfähige Peruaner arbeitslos oder unterbeschäftigt ist, hat der Cocaanbau vielen indianischen Bauern Wohlstand gebracht.

Eine größere Schicht von Kokainhändlem hat sich in Peru — im Unterschied zu Bolivien oder Kolumbien — bisher nicht herausgebildet. Die Beziehungen zwischen den Kokainhändlern und den Guerril-Ieros des Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) sind ambivalent. Einerseits übernehmen die Guerrilleros „Schutzaufgaben“ für Flugzeuge und Pisten gegen „Schutzgebühren“, und sie „besteuern“ die Erträge der Cocabauern. Mit diesen Geldern kaufen sie Waffen und Ausrüstung — häufig von korrupten Militärs. Andererseits dürfte die Zusammenarbeit der Drogenhändler mit der Guerrilla-Organisation nicht ganz freiwillig sein, so daß die Drogenhändler bestrebt sind, die Kosten für solche „Schutzaufgaben“ zu senken. Tatsächlich gibt es in einigen Landesteilen schon seit Jahren erbitterte Kämpfe zwischen Drogenhändlern und Guerrilleros, in denen beide Seiten versuchen, Territorien unter eigene Kontrolle zu bekommen.

III. Das Drogenland Bolivien

Erheblich größere Bedeutung hat die Drogenindustrie im benachbarten Bolivien. Traditionell baute man in einigen Gegenden des Landes auf Plantagen Baumwolle an, doch Mitte der siebziger Jahre wurde vielen Plantagenbesitzern klar, daß weit größere Gewinne durch den Cocaexport zu erzielen sein würden. Zwar hatte es schon ab 1955 eine Ausweitung des Cocaanbaus gegeben, doch in den siebziger Jahren trat der Umschwung zur Drogenwirtschaft großen Stils ein. In Bolivien werden heute knapp 30 Prozent der Cocasträucher Lateinamerikas angebaut.

Das Drogengeschäft bestimmt die bolivianische Wirtschaft weit mehr als das für andere Länder Lateinamerikas zutrifft. Schon für die frühen achtziger Jahre beliefen sich die Schätzungen der Coca-exporte — zumeist in Form der Cocapaste, dem Zwischenprodukt — auf ein bis zwei Mrd. US-Dollar jährlich, während die statistisch erfaßten Exporte des Landes gerade eine Mrd. US-Dollar pro Jahr erreichten. Seit Mitte der achtziger Jahre erzielt die Drogenindustrie in Bolivien eine Wert-schöpfung, die mindestens so groß ist wie das gesamte übrige statistisch erfaßte Sozialprodukt des Landes, das ca. drei Mrd. US-Dollar beträgt. Das derzeitige Bruttoprodukt der Kokainwertschöpfung beläuft sich auf ca. vier Mrd. US-Dollar jährlich.

Von dieser Summe fließen nur rund 600 Mio. US-Dollar ins Land zurück bzw. verbleiben im Land, wobei ca. 100 Mio. US-Dollar an die Beschäftigten der Kokainindustrie (Chemiker, Spezialisten für den Geldtransfer, Cocabauern, Cocastampfer, Spediteure, „Sicherheitskräfte“ und andere qualifizierte 1 Fachkräfte) gehen. Fast ein Viertel der arbeitsfähigen Bolivianer lebt direkt oder indirekt vom Drogengeschäft, also etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Großteil der Gewinne in Höhe von ca. 500 Mio. US-Dollar verbleibt in den Händen der zehn oder fünfzehn Familien, die das Kokaingeschäft kontrollieren. Teilweise werden die Kokaingewinne durch den Schmuggel von Luxuswaren ins Land „gewaschen“. Der weitaus größere Teil der Kokainerlöse, nämlich 75 Prozent, wird auf den Finanzmärkten der Karibik, der USA und Europas angelegt.

Nirgendwo ist die Verbindung von Militär und Kokainmafia so eng wie in Bolivien, wo das Militär seit Jahren aktiv in den Drogenhandel verstrickt ist. Zwischen 1980 und 1982 stellten die Kokainmilitärs sogar die Regierung, nachdem sich der General Luis Garcia Meza an die Macht geputscht und den Oberst Luis Arce Gomez zum Innenminister gemacht hatte. Arce Gomez holte argentinische Militärberater — es war die Zeit der argentinischen Militärdiktatur — ins Land, und unter seiner Führung traf die Armee Vereinbarungen mit den Drogenhändlern: diese mußten eine „Steuer“ zahlen (die natürlich nicht in den Staatshaushalt floß), dafür wurden sie dann nicht durch Razzien und andere staatliche Verfolgungsmaßnahmen behelligt. Im Jahre 1981 brachte die Frau des Präsidenten Garci'a Meza in einem Koffer 40 Mio. US-Dollar in die Schweiz; sie mußte bei der Einreise in die Schweiz die Koffer öffnen, doch ist der „Import“ von Geld nicht strafbar. Das Vermögen eines Amtsvorgängers von Garca Meza, des ehemaligen Generals Hugo Banzer, wird heute auf 700 Mio. US-Dollar geschätzt; Banzers Bruder Willy wird von der amerikanischen Drogenbehörde als einer der wichtigsten Drogenhändler der Welt bezeichnet.

Im Sommer 1986 wurden mehrere hundert amerikanische Soldaten nach Bolivien entsandt, um dort die Drogenfahnder bei ihrem Kampf gegen die Kokainfabriken im Dschungel — häufig auf Schiffen eingerichtet — zu unterstützen. Die Aktion stellte sich jedoch als Fehlschlag heraus, denn immer wenn die US-Militärs eintrafen, fanden sie allenfalls noch einige Anlagen vor, die Betreiber waren stets rechtzeitig gewarnt worden. Doch gibt es auch Behauptungen, die von einer Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Geheimdienst CIA und den Drogenhändlern sprechen. So trat im September 1988 in der Aula der Universität von Santa Cruz de la Sierra, der zweitgrößten Stadt Boliviens, der mit Haftbefehl gesuchte Drogenhändler Roberto Surez Levy vor die Presse und behauptete, im Februar des Vorjahres sei sein Vater von zwei hochrangigen CIA-Angehörigen aufgesucht worden, die ihm freie Hand für den Kokainschmuggel nach Panama und in die USA angeboten hätten, sofern er einen Teil seiner Gewinne für die nicaraguanischen Contra-Rebellen abzweige. Nun mag ein Drogenhändler nicht unbedingt die verläßlichste Quelle sein, doch erstens gab es weitere solche Fälle er Mittelbeschaffung für die Contra-Rebellen durch das CIA im Tausch gegen die „Erlaubnis“ zum Drogenhandel, zum anderen unterstützte der Vizerektor der Universität von Santa Cruz, Francisco Kempff, diese Argumentation. Er berichtete von einem Nationalpark, in dessen Dschungel seit über zwei Jahren unter dem Schutz des CIA das größte Kokain-labor der Welt betrieben werde — ebenfalls, um Geld für die Contra-Rebellen zu beschaffen. Zwei Jahre zuvor war Kempffs Vater, ein angesehener Wissenschaftler, bei einer Expedition auf das Labor gestoßen und erschossen worden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte zudem festgestellt, daß den US-Behörden die Existenz des Labors schon seit einiger Zeit bekannt war.

Zwar gibt es mittlerweile in Bolivien ein Gesetz, durch das der Anbau von Coca kontrolliert werden soll, doch wer lateinamerikanische Verhältnisse kennt, dürfte wenig Hoffnung darauf setzen. Auf einem Hektar kann ein Bauer mit Cocasträuchern ungefähr zwanzigmal so viel verdienen wie mit Reis; unter solchen Umständen dürfte es nicht allzu schwer fallen, Polizei und Militär ein „Schutzgeld“ zu zahlen, um zu verhindern, daß die Felder abgebrannt werden. Im Chapare führen die Vereinigten Staaten ein „Programm für alternative Entwicklung“ durch: pro stillgelegten Hektar Coca werden den Bauern 2 000 US-Dollar gezahlt, wovon die amerikanische Regierung einen Anteil von 350 US-Dollar beiträgt. Man darf annehmen, daß ein Teil der Bauern die Prämie kassieren und anderswo neue Felder mit Cocasträuchern anlegen wird.

Seit den frühen achtziger Jahren befindet sich Bolivien in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die restriktive Geld-und Fiskalpolitik seit 1985 zur Bekämpfung einer Inflation, die bis 20 000 Prozent geklettert war, brachte die Wirtschaft des Landes weithin zum Erliegen. Heute hält nur noch die Schmuggelwirtschaft das Land aufrecht: Cocapaste und Kokain werden exportiert, Luxuswaren und andere Konsumgüter werden ins Land geschmuggelt. Allenfalls floriert noch die Bauwirtschaft, denn viele Kokain-gewinne wurden in den Bau von Bürohochhäusern investiert.

IV. Drogenhandel in Kolumbien

Die Hauptachse des internationalen Drogengeschäfts ist die Verbindung von Kolumbien in die USA mit einigen Zwischenstationen. Der Reingewinn der kolumbianischen Kokainmafia aus den Geschäften mit den USA und Europa wird auf ca. vier Mrd. US-Dollar pro Jahr geschätzt, das entspricht fast 90 Prozent der statistisch erfaßten Exporteinnahmen und über elf Prozent des offiziell ausgewiesenen Sozialprodukts des Landes. Davon werden ca. drei Mrd. US-Dollar nach Kolumbien retransferiert, das ist mehr, als das Land mit seinem wichtigsten legalen Exportprodukt Kaffee verdient, auf das Deviseneinnahmen in Höhe von ca. 2 bis 2, 5 Mrd. US-Dollar entfallen. Die Drogenhändler investieren ihre Gewinne, soweit diese im Lande bleiben bzw. ins Land transferiert werden, vor allem in Immobilien, aber auch in Viehzucht, Handel, Wohnungsbau und Dienstleistungen (z. B. Reisebüros und Hotels). Über 1, 7 Mio. Kolumbianer, also etwa 18 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, leben heute vom Drogengeschäft.

Die Stadt Medellin in der kolumbianischen Provinz Antioquia ist das Zentrum des Drogengeschäfts, das von einer Handvoll Familien beherrscht wird. Das sogenannte Medellin-Kartell ist ein lockerer Zusammenschluß streng kontrollierter Untergrundfirmen, das sich selbst „la compaa" (die Firma) nennt. Schon längst werden die Großen der Kartelle in Kolumbien als erfolgreiche Unternehmer und Industriekapitäne angesehen. So wurde 1982 die unweit der Provinzhauptstadt Armenia gelegene riesige Ferienanlage „La Posada Alemana", in die „la compania“ etwa drei Mio. US-Dollar investiert hatte, mit einer rauschenden Party eröffnet, zu der Vertreter der Provinzregierung, lokale Politiker, Kirchenführer, Militärs und Journalisten kamen. Die riesige Hazienda „Näpoles“, kaum eine Autostunde von Medellin entfernt, umfaßt einen Zoo, eine Stierkampfarena und einen Privatflugplatz. Die Großen im Drogengeschäft zeigen ihren neuen Reichtum so ungeniert wie die alten Reichen des Landes.

Auch zur Politik gibt es deutliche Verbindungen. Beide Großparteien Kolumbiens haben Spenden von der Kokainmafia angenommen. Kolumbianische Drogenexperten schätzen, daß ein Drittel aller Politiker der „Liberalen Partei“ (die gegenwärtige Regierungspartei) von der Drogenmafia gekauft wurde. Weiterhin wird geschätzt, daß etwa zehn Prozent aller Kongreßmitglieder in Geschäfte mit der Drogenmafia verwickelt sind und daß weitere zehn Prozent finanzielle Zuwendungen von den Drogenbossen erhielten. Escobar, der zweit-wichtigste Kartellist, wurde 1982 in Medellin zum stellvertretenden Kongreßabgeordneten in der Hauptstadt Bogotä gewählt und erwarb damit das Recht zur Teilnahme an Parlamentssitzungen.

Die kolumbianische Justiz ist — wie sonst auch in Lateinamerika — käuflich und deshalb keine Bedrohung für die Drogenbosse. So wurde aufgrund einer internationalen Fahndung im Sommer 1986 Jorge Luis Ochoa in Spanien festgenommen und an Kolumbien ausgeliefert. Gegen eine Kaution von 11 500 US-Dollar wurde er im Februar 1987 von einem Richter freigelassen und tauchte unter. Im November 1987 ging er der Polizei bei einer Straßenkontrolle wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ins Netz. Nach fünfwöchiger Haft entließ ihn ein Richter mit einer dubiosen rechtlichen Begründung. Der Direktor des Gefängnisses, in dem Ochoa einsaß, soll ihn persönlich zu einem wartenden Auto auf der Straße geführt haben, obwohl er vorher vom Justizministerium angewiesen worden war, die Freilassung Ochoas nicht durchzuführen.

Zwar gab es eine vom Justizministerium angeordnete Untersuchung, in deren Folge der Richter entlassen wurde, doch dürfte dieser für den Rest seines Lebens wirtschaftlich ausgesorgt haben. Im September 1989 wurde Luis Fernando Galeano, ein mutmaßlicher Boß des Medellin-Kartells, festgenommen. Nach seiner Überführung aus einem Gefängnis von Medellin in ein Gefängnis von Bogotä waren die Akten seines Falles verschwunden, so daß er wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.

Doch gab es von Seiten der Regierung auch Versuche, juristisch gegen die Drogenmafia vorzugehen; diese Versuche beantworteten die Drogenbosse mit blutigem Terror. Schon 1979 wurde zwischen den Vereinigten Staaten und Kolumbien ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet, das die Möglichkeit der Auslieferung kolumbianischer Drogen-händler an die Vereinigten Staaten und ihre Verurteilung dort vorsah. Nichts fürchten die Drogen-bosse mehr als eine Auslieferung an die Vereinigten Staaten, denn sie wissen, daß die amerikanische Justiz für sie nicht käuflich ist.

Nachdem mehr als ein Dutzend mit Drogenverfahren befaßte Richter von der Drogenmafia umgebracht worden waren und auch Richter des Obersten Gerichtshofs mehrfach Morddrohungen erhalten hatten, entschied im Dezember 1987 der Oberste Gerichtshof aus formalrechtlichen, deutlich vorgeschobenen Gründen, daß das Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten verfassungswidrig sei. Doch Präsident Virgilio Barco setzte das Abkommen wieder in Kraft (es blieb ihm wohl auch gar nichts anderes übrig, um sein Gesicht zu wahren, denn er selbst hatte ja als damaliger Botschafter Kolumbiens in den USA das Abkommen ausgehandelt). Seit 1982 fielen mindestens 20 Richter und 200 Justizangestellte der Drogenmafia zum Opfer. Viele Richter und Politiker sind nicht mehr willens, sich gegen die Drogenmafia zu stellen.

Im April 1984 wurde der kolumbianische Justizminister Rodrigo Lara Bonilla durch die Drogenmafia ermordet und kurze Zeit später der Richter, der diesen Fall untersuchte. Ein ehemaliger Justizminister, Enrique Parejo Gonzälez, der zu seinem Schutz als Botschafter nach Ungarn versetzt worden war, wurde im Januar 1987 in Budapest von Killern der Drogenmafia durch drei Schüsse schwer verletzt, überlebte aber den Anschlag. Der Generalstaatsanwalt Carlos Mauro Hoyos, der im Zusammenhang mit der Entlassung Jorge Ochoas aus dem Gefängnis gegen den Justizminister sowie gegen Richter und Justizbeamte ermittelt hatte, wurde nach dem Erhalt mehrerer Morddrohungen im Januar 1988 von der Drogenmafia entführt; wenige Stunden danach wurde seine Leiche in der Nähe Medellins gefunden. Zwei Richter und fünf Regierungsbeamte waren aufgrund von Hoyos Ermittlungen schon ihrer Ämter enthoben worden. Während der Amtszeit des Präsidenten Virgilio Barco von 1986 bis 1990 hat Kolumbien sechs Justizminister gehabt, von denen einer ermordet und einer bei einem Anschlag schwer verletzt wurde. Ohne Zweifel ist das Amt des Justizministers der gefährlichste Posten in Kolumbien. Nachdem im August 1989 Carlos Valencia Garca, ein Richter am Obersten Gerichtshof, durch die Drogenmafia ermordet worden war, traten die etwa 4 500 kolumbianischen Richter in den Streik, um gegen ihren ungenügenden Schutz zu protestieren, 300 reichten ihren Abschied ein: Die Drogenmafia hatte gedroht, für jeden an die USA ausgelieferten Verdächtigen zehn Richter zu ermorden. Doch schon eine Woche später blieb ihnen nichts weiter übrig, als ihre Arbeit wieder aufzunehmen, nachdem der aussichtsreichste Präsidentschaftsbewerber, Luis Carlos Galän, dem ein energisches Durchgreifen gegen die Drogenmafia zugetraut worden war, bei einer Wahlversammlung in einer Menge von 10 000 Anhängern erschossen worden war; für seine Ermordung hatte die Drogenmafia eine halbe Million Dollar ausgesetzt.

In der Regel arbeiten Polizei und Militär mit der Drogenmafia zusammen. So transportierten kolumbianische Spezialtruppen unter dem General und Verteidigungsminister Manuel Vega Uribe 1983 eine vollständige Kokainfabrik aus der Gegend des östlichen Yari-Flusses an die Grenze zu Brasilien. Dies geschah unter dem Deckmantel der Guerrillabekämpfung. Zwar wurden später einige Leutnants und Hauptleute vor Gericht gestellt und aus der Armee entlassen, doch die Führer der Aktion wurden befördert. Seit Anfang 1989 verloren drei Polizeichefs von Medelln ihre Ämter. Der bis Januar 1989 amtierende General Medina wurde abgelöst, weil er in dem Verdacht stand, sein eigenes Drogenkartell gebildet zu haben. Danach übernahm der General Miguel Gomez Padilla das Kommando über die Polizei. Der wiederum wurde nach einigen Monaten durch Oberst Sänchez ersetzt, der im September 1989, zugleich mit etwa tausend anderen Polizisten aus dem Amt entfernt wurde. Sänchez hat vermutlich mit der Drogenmafia zusammengearbeitet. Doch andererseits sind seit 1982 etwa 2 000 Polizisten und Soldaten dem Kampf gegen die Drogenmafia zum Opfer gefallen.

Auch der kolumbianische Staat profitiert von den Erträgen aus dem Kokaingeschäft. Schon 1975 eröffnete die kolumbianische Nationalbank einen zusätzlichen Schalter, das sogenannte „schräge Fenster“, im Keller ihres Gebäudes in Bogotä. Dort konnte jedermann — also auch Drogenhändler — seine Dollars in kolumbianische Pesos wechseln, ohne nach dem Ursprung der Gelder, der sonst immer belegt werden mußte, befragt zu werden. Dies war nötig aufgrund des Devisenmangels in Kolumbien, während andererseits riesige Dollar-mengen aus den Drogengeschäften auf dem schwarzen Markt vagabundierten. Allein 1980 wurden an diesem „schrägen Fenster“ mehr als 500 Mio. US-Dollar gewechselt. Nach dem Mord an Lara Bonilla wurde das „schräge Fenster“ eine Zeitlang geschlossen; heute wird dort pro Jahr etwa eine Milliarde Dollar gewechselt.

Nur vier Wochen nach diesem Mord traf sich in Panama der kolumbianische Generalstaatsanwalt Carlos Jimenez Gomez mit den Führern des Medel-Un-Kartells. In einem Memorandum bot das Kartell dem kolumbianischen Staat an, seine Aktivitäten einzustellen, sofern die Regierung den Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten kündige. Im gleichen Jahr unterbreitete die Kokainmafia der Regierung das Angebot, sämtliche Auslandsschulden des Landes — damals etwa 12 Mrd. US-Dollar — zu begleichen im Tausch für eine Generalamnestie.

In den siebziger und frühen achtziger Jahren gab es eine Zeitlang eine Zusammenarbeit zwischen Guerrillaorganisationen und der Drogenmafia, wobei die Partisanen Geld und Waffen von den Drogenbossen erhielten und dafür die Bewachung von Landebahnen im Dschungel und andere Sicherheitsaufgaben übernahmen (unklar ist, ob das nicht großenteils erpreßte „Schutzgelder“ waren). Heute herrscht zwischen der Drogenmafia, die keine Sympathien für die politischen Ziele der Guerrillaorganisationen aufzubringen vermag, und den Partisanen, denen jede Sympathie für das kapitalistische Geschäftsgebaren der Drogenmafia abgeht, ein blutiger Bandenkrieg. Die Linke ist für die Drogen-mafia — nach den Vereinigten Staaten — der Todfeind. Lediglich in der Frage der Auslieferung von Kolumbianern an die USA sind sich die Drogenmafia und die Guerrilleros einig. Doch die kolumbianische Regierung behauptet nach wie vor eine Zusammenarbeit zwischen den beiden, um beide in den Augen der Weltöffentlichkeit wechselseitig zu diskreditieren.

Längst sind die kolumbianischen Drogenbosse wirtschaftlich und politisch zu mächtig geworden, als daß sie mit kriminalistischen, polizeilichen und rechtlichen Mitteln erfolgreich bekämpft werden könnten. Ihre fast grenzenlosen finanziellen Ressourcen, ihre hochmoderne Ausrüstung, ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung mit der Oligarchie Kolumbiens lassen den Kampf gegen sie fast aussichtslos erscheinen; die als „Erfolge“ vermeldeten Zahlen über Festnahmen und Beschlagnahmungen werden immer unwichtiger. Da die Drogenbosse sich zudem wirtschaftlich immer stärker in anderen Sektoren engagieren — während der letzten zwölf Jahre haben sie beispielsweise ein Zwölftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes aufgekauft — werden sie in immer stärkerem Maße zu ganz normalen Unternehmern.

V. Brasilien als Umschlagplatz des Drogenhandels

Vieles hat in Brasilien gigantische Dimensionen. Die Drogenumsätze in der Produktion, im Transit und im Endverkauf gehören wohl dazu, auch wenn Polizeiberichte bislang eher die Spitze eines Eisbergs angeleuchtet haben. Das Land hat die größten Einkommensdisparitäten der Welt, d. h. aber auch, daß eine beträchtliche Zahl wirklich Reicher und Superreicher existiert. Schon lange werden amerikanische Konsummuster von den Reichen Lateinamerikas imitiert; nichts deutet darauf hin, daß es beim Kokainverbrauch in Brasilien anders ist. Jedenfalls geht die brasilianische Drogenpolizei davon aus, daß allein in Rio, dem brasilianischen Distributionszentrum, jeden Monat zwischen 200 und 400 Kilogramm Kokain abgesetzt werden. In der gleichen Größenordnung dürfte der Verbrauch im reichen Säo Paulo liegen.

Wichtiger aber ist die Rolle Brasiliens als Transitland. Mit einer kaum bewachten und nur schwer zu überwachenden Grenze von 14 000 Kilometern, die das Land von den Hauptproduktionsländern Kolumbien, Bolivien und Peru trennt, wurde es zu einer zentralen Achse des Kokainhandels. Von Kolumbien gelangen die Transporte über die Grenzstadt Tabatinga, werden von dort über Manaus nach Rio transportiert, von wo sie nach Europa und in die USA weitergeleitet werden. Von Bolivien her ist das Einfallstor die Stadt Corumbä. Da diese Orte mittlerweile stärker überwacht werden, wichen die Kokainhändler auf Porto Alegre aus, wo die aus Argentinien ankommenden Flüge nicht so streng kontrolliert werden wie Flüge aus Kolumbien, Peru und Bolivien. Da der Hafen und der Flughafen Rios ebenfalls stärker überwacht werden, dient mittlerweile das nördlich von Rio gelegene Vitöria mit seinem gering entwickelten Sicherheitsapparat als Umschlaghafen für den Weitertransport. Niemand ist in der Lage, die kleinen und geheimen Flugpisten im Amazonasgebiet, im Pantanal oder in Parana zu kontrollieren, da Kleinflugzeuge im riesigen und unwegsamen Brasilien schon immer eine wichtige Rolle spielten.

Brasilianische Polizeiberichte deuten überdies darauf hin, daß es schon länger eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen dem Medelln-Kartell und der Camorra, der Mafia Neapels, via Brasilien gibt. In den ersten Monaten des Jahres 1989 wurden mehrere Italiener als vermutliche Köpfe des Kokain-Transithandels in Brasilien festgenommen. Nach Erkenntnissen der brasilianischen Drogenpolizei reichen die Verbindungen zwischen der Camorra und Brasilien bis ins Jahr 1973 zurück.

Bekannt ist ebenfalls, daß das Medellin-Kartell in der Freihandelszone Manaus in eine Kette ganz normaler Handelsgeschäfte investierte, wobei unklar ist, ob diese Aktivitäten allein dem Geldwaschen dienten, oder ob sich die Kartellisten hier eine Rückzugsposition aufbauten für den Fall, daß ihnen der Boden in Kolumbien zu heiß wird. Der Dschungel im Amazonasgebiet eignet sich natürlich auch hervorragend für die Anlage geheimer Laboratorien, und da Brasilien eines der acht Länder der Welt ist, die die Herstellung von Äther und Azeton, den beiden wichtigsten Chemikalien bei der Umwandlung der Kokapaste in Kokain, monopolisieren, ist für den Nachschub dieser beiden Betriebsstoffe gesorgt. Im Oktober 1987 wurde von der brasilianischen Polizei im Amazonasgebiet eine Kokainfabrik ausgehoben, deren Kapazität 500 Kilogramm täglich betrug. Dieses Produktionsvolumen hätte einen großen Teil des amerikanischen und des europäischen Verbrauchs decken können. Die Infrastruktur des brasilianischen Kokaingeschäfts ist hoch entwickelt, die Beteiligten operieren am Gold-und Dollarmarkt, um ihre Gewinne zu „waschen“. Lediglich in der Öffentlichkeit treten die Führungsfiguren — im Unterschied zu Kolumbien und Bolivien — nicht auf; das öffentliche Klima in Brasilien läßt dies — bisher jedenfalls — nicht zu.

VI. Dependancen des Drogenhandels

Zwei weitere für das Kokaingeschäft wichtige Länder, die hauptsächlich als Transitländer und Umschlagplätze fungieren, sind die Bahamas und Panama. Seit Ende der siebziger Jahre sind die Bahamas der größte Drogenumschlagplatz gewesen; dabei war ein gewisser Lehder, der im Rahmen der Arbeitsteilung des Medellm-Kartells für die Transporte zuständig war, einer der beiden Hauptdrahtzieher. Nach Geheimberichten des amerikanischen Justizministeriums, die im September 1983 von der Fernsehgesellschaft NBC zitiert wurden, erhielten verschiedene Minister sowie der Premierminister der Bahamas Bestechungsgelder in Höhe von je 100 000 US-Dollar pro Monat für ihr „Einverständnis“; beim Prozeß gegen Lehder wurde bekannt, daß der Premierminister, Sir Lynden Pindling, insgesamt zwischen drei und fünf Mio. US-Dollar aus den Drogengeschäften kassierte.

Weit höhere Summen flossen an den ehemaligen Diktator Panamas, General Antonio Manuel Noriega. Vermutlich erhielt er jahrelang ca. zehn Mio. US-Dollar monatlich von Escobar und den Brüdern Ochoa als Gegenleistung für Schutz und logistische Unterstützung. Aber auch für das „Waschen“ der Drogengelder in Panama kassierte Noriega: zwischen 0, 5 und zehn Prozent des gewaschenen Geldes, wie der Chef-Geldwäscher des Medellin-Kartells, Ramon Milian Rodriguez, nach seiner Festnahme in seinem Prozeß in den Vereinigten Staaten 1983 aussagte. Obwohl Noriega aus ärmsten Verhältnissen kam, wird sein Reichtum auf ca. fünfhundert Mio. US-Dollar geschätzt. Viele Banken Panamas dienten — zumindest bis zur amerikanischen Invasion im Dezember 1989 — als „Geldwaschanlagen“.

Im Mittelamerika-Konflikt arbeiteten die Kokain-händler mit beiden Seiten zusammen. 1983/84 kaufte Jorge Ochoa von der sandinistischen Regierung eine fast zwei Kilometer lange Landebahn in Nicaragua; die nicaraguanische Regierung erlaubte ihm, diese Landebahn weiter auszubauen, einen Hangar zu errichten und diese Einrichtungen für den Weitertransport von Kokain zu benutzen. Sein Verbindungsmann war nach amerikanischen Geheimdienstberichten die rechte Hand des Innenministers Tomas Borge. Ungehindert konnten Ochoas Maschinen auftanken, und sie erhielten einen Code, um die nicaraguanische Luftüberwachung passieren zu können. Im Juni 1984 flog dieses Arrangement auf, da einige amerikanische Stellen die Information voreilig an die Öffentlichkeit gaben, während die amerikanische Drogenbekämpfungsbehörde weitere Beweise sammeln wollte. Im Oktober 1989 sagte ein ehemaliger Drogenhändler als Zeuge in einem Prozeß in den USA aus, nach der Ermordung des kolumbianischen Justizministers Lara Bonilla im April 1984 hätten die Drogenbosse Escobar, Rodriguez Gacha, die Brüder Ochoa sowie der Mörder Lara Bonillas in Nicaragua Zuflucht gefunden, wofür die nicaraguanische Regierung fünf Mio. US-Dollar von den Drogenbossen kassiert habe.

Umgekehrt haben kolumbianische und US-amerikanische Drogenhändler mehrfach Geld für die Contra-Rebellen gespendet — ob wirklich freiwillig, ist höchst zweifelhaft. So gab der Kolumbianer Ramon Milian Rodriguez, einer der größten Geldwäscher für das Medellin-Kartell, an, er habe ca. neun bis zehn Mio. US-Dollar an die Contras „gespendet“ — im Gegenzug hofften die Kokain-händler auf Verständnis und Entgegenkommen der Reagan-Regierung. In Miami gab der Drogenhändler George Morales vor der Polizei an, ihm sei von zwei CIA-Mitarbeitern angeboten worden, wenn er Waffen für die Contra-Rebellen fliege, könne er auf den Rückflügen Kokain mitbringen, sofern er einen Teil der Erträge in Form von Waffen den Contra-Rebellen spende. Morales gab an, den Rebellen insgesamt 4, 5 Mio. US-Dollar gespendet zu haben. Wer die Schwierigkeiten, denen sich die Reagan-Regierung bei der Finanzierung der Contra-Rebellen aufgrund der strengen Haushaltskontrollen durch den amerikanischen Kongreß gegenübersah und die Aktionen des Oberstleutnants Oliver North zur Finanzierung der Contra-Rebellen kennt, der wird die Aussagen von Morales für glaubwürdig halten. Im März 1988 bekräftigte Morales seine Aussagen überdies vor einem Untersuchungsausschuß des US-Senats: neben den erwähnten Geld-zahlungen habe er zwischen 1984 und 1986 sechs Waffenlieferungen an die Contras arrangiert. Er habe sich dazu bereit erklärt, nachdem ihm Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA versprochen hätten, daß das gegen ihn anhängige Verfahren wegen Drogenhandels niedergeschlagen werde. Einer der Mitarbeiter von Morales, Gary Betzner, sagte vor dem gleichen Untersuchungsausschuß aus, daß er im Juli 1984 zweimal in Morales’ Auftrag Waffen für die Contra-Rebellen nach Costa Rica geflogen und auf dem Rückweg Kokain in die USA transportiert habe. Auch Noriega wurde lange von der Regierung der Vereinigten Staaten hofiert, da er Ausbildungsmöglichkeiten für die Contra-Rebellen in Panama zur Verfügung stellte — längst nachdem die amerikanische Drogenbehörde von Noriegas Verstrickung in das Kokaingeschäft wußte. Erst nachdem Noriega im Februar 1988 in den Vereinigten Staaten angeklagt worden war, distanzierte sich auch die US-amerikanische Regierung von ihm.

VII. Cuba und der Drogenhandel

Wie Nicaragua, so ist auch Cuba in den Kokainhandel verwickelt (gewesen). Im Juli 1989 wurden vier hohe cubanische Offiziere aus dem engsten Kreis um Castro wegen Drogenhandels angeklagt und hingerichtet. Es handelte sich u. a. um den General Arnaldo Ochoa Sänchez, der bis 1988 Oberkommandierender der cubanischen Truppen in Angola gewesen war, um den Brigadegeneral Patricio de la Guardia Font und seinen Bruder Antonio, die beide mit hohen Ämtern im Innenministerium betraut gewesen waren. Angeklagt waren darüber hinaus zwei Obersten, ein Oberstleutnant, ein Kommandant und ein Hauptmann. Der General Ochoa war angeklagt, seit 1986 sechs Tonnen Kokain und Marihuana vom Medellin-Kartell übernommen und für mindestens 3, 4 Mio. US-Dollar in die USA weitergeleitet zu haben. Es ist unvorstellbar, daß ohne Castros Wissen und Einverständnis solche Transaktionen stattgefunden haben. In einem Prozeß gegen Drogenhändler in Miami Anfang 1989 sagten der wegen Kokainhandels beschuldigte gebürtige Kubaner Reinaldo Ruiz und sein Sohn Ruben aus, ihre Flugzeuge seien auf cubanischen Militärflughäfen gelandet und Cubas Küstenwache habe ihre Schnellboote auf dem Weg nach Florida beschützt. Dafür hätten sie 400 000 US-Dollar Bestechungsgelder an cubanische Beamte gezahlt. Schon 1982 wurde bei einem Prozeß in Miami bekannt, daß vier hohe cubanische Funktionäre einen Transitweg von Kolumbien über Cuba in die USA eingerichtet hatten. Weiterhin gab ein ehemaliger Mitarbeiter des cubanischen Geheimdienstes an, daß ca. 400 Mitarbeiter des Geheimdienstes am Kokainschmuggel beteiligt gewesen seien. Im Oktober 1989 sagte in einem Prozeß in Jacksonville/Florida der ehemalige Drogenhändler Fernando Arenas Ortega als Zeuge aus, er sei 1984 nach Cuba geflogen, um dort eine Genehmigung zum Überfliegen Cubas für den Transport von Kokain zu besorgen. Er sei dabei mit dem Verteidigungsminister Raul Castro, dem Bruder Fidel Castros, zusammengetroffen und er habe eine Überflugerlaubnis für eine Maschine mit 800 Kilogramm Kokain erhalten. Im August 1989. kurz nach der Hinrichtung der vier cubanischen Offiziere, trat in den Vereinigten Staaten der ehemalige Major im cubanischen Innenministerium, Jose Antonio Rodriguez Menier, an die Öffentlichkeit; in Cuba war er mit Aufgaben der Gegenspionage betraut gewesen. Rodriguez behauptete, Castro habe von den Kokaingeschäften gewußt und davon profitiert. Durch cubanische Agenten sei eine panamanische Handelsgesellschaft namens Cimex errichtet worden, die auch Drogengeschäfte durchführte. Innerhalb von Cimex habe das cubanische Innenministerium eine Abteilung eingerichtet, die geheimdienstliche Aufgaben hatte und von dem damaligen Oberst Antonio de la Guardia Font geleitet worden sei — der gleiche, der im Juli 1989 hingerichtet wurde. Rodriguez gab an, seit 1982 habe er gewußt, daß Castro von den Erträgen der Kokaingeschäfte profitiere. 80 Prozent der durch diese Geschäfte erwirtschafteten Deviseneinnahmen seien an Castro gegangen, der das Geld teilweise für private Zwecke — einen aufwendigen Lebensstil, ein 40-Zimmer-Anwesen in Havanna, Häuser in jeder Provinz Cubas sowie europäische Luxus-Autos aber auch für im cubanischen Haushalt nicht ausgewiesene Zwecke, wie die Entsendung zusätzlicher Truppen und Ausrüstungsgüter nach Angola und die Errichtung zweier zusätzlicher Landebahnen dort für den Krieg gegen die von den Vereinigten Staaten und Südafrika unterstützten Rebellen, aufwandte. Auch der ehemalige Mitkämpfer Castros, Hüber Matos, der 1959 zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, nachdem er sich mit Castro wegen dessen diktatorischer Neigungen überworfen hatte, sagte in seinem Exil in Caracas, daß ohne Wissen Castros niemand in Cuba solche Geschäfte durchführen könne. Da in den vergangenen Jahren abtrünnig gewordene cubanische Offiziere von wachsender Unzufriedenheit mit Castro und seinem Bruder Raül berichtet hätten, habe Castro nach Matos’ Auffassung diese Gelegenheit benutzt, um mit den Unzufriedenen die Konfrontation zu wagen. So diente die Drogenanklage wahrscheinlich nur als Vorwand, um eine Säuberung in den hohen Militär-rängen durchzuführen. Gleichzeitig war Castro bemüht, sich auf diesem Wege von dem Verdacht der Komplizenschaft mit den Drogenhändlern reinzuwaschen.

VIII. Drogenpolitik der USA

Die US-amerikanische Regierung hat sich bei ihrem „Krieg gegen die Drogen“ immer eines militärischen Vokabulars bedient. In den Ländern Lateinamerikas hat sie vor allem auf gewaltsame Aktionen gesetzt, so z. B. als die US-Armee im Sommer 1986 die Aktion gegen die Kokainlabors in Bolivien durchführte. Erfolg hatte diese Aktion kaum, und in Kolumbien sind die Militärs die einzigen, die von dem militärischen Vorgehen gegen die Kokainmafia profitieren: sie erhalten mehr Waffen und Militärhilfe von den USA und setzen diese Waffen und Ausrüstung dann im Kampf gegen die Guerrillabewegungen ein. Viele amerikanische Lieferungen sind überhaupt nicht für den Einsatz gegen Cocabauern und Kokainlabors geeignet, wie z. B. die „A 37“ -Flugzeuge, die große Bombenlasten tragen und im Buschkrieg gegen die Guerrilleros Verwendung finden können. Schon der Reagan-Regierung war weit mehr an einer Bekämpfung der Sandinisten (und vielleicht auch der kolumbianischen Guerrilleros) als an einer Bekämpfung der Kokainmafia interessiert, wie die Beträge deutlich machen, die für beide „Aktionsfelder“ aufgewandt wurden. Stets kamen aus dem Weißen Haus viele rhetorische Phrasen im „Krieg gegen die Drogen“ (im März 1989 führte Präsident Bush diese Verbal-Politik fort und sprach von einem „bedingungslosen Krieg gegen die Drogen“), doch wurde niemals auch nur entfernt ausreichendes Geld für einen solchen „Kampf“ bereitgestellt. Noriega wurde von der amerikanischen Regierung so lange hofiert, wie er sich für den Kampf gegen die Sandinisten — z. B. durch die Ausbildung von Contra-Rebellen in Panama — einspannen ließ. Noch bis zum Sommer 1986 versuchte die amerikanische Regierung die immer wieder aufkommenden Gerüchte, daß Noriega am Drogenhandel verdiene, zu dementieren, obwohl man davon ausgehen darf, daß auch der amerikanischen Regierung mit ihren vielfältigen Geheimdienstquellen bekannt war, daß diese Gerüchte fundiert waren. Aber auch hier war der Kampf gegen Nicaragua wichtiger als die Drogenbekämpfung.

Gewaltsame US-amerikanische Aktionen in Lateinamerika werden das Problem schwerlich lösen; sinnvoll wären Programme mit ökonomischer und sozialer Zielrichtung, also Hilfen beim Anbau alternativer Feldfrüchte sowie Einkommensbeihilfen für die Bauern. Nach Berechnungen des kolumbianischen „Espectador“ müßte eine solche Strukturhilfe ein Volumen von jährlich mindestens 2, 7 Mrd. US-Dollar haben. Mit Recht weisen überdies Lateinamerikaner auf die große volkswirtschaftliche Bedeutung des Kokainhandels für ihre Länder hin. Die von chronischen Wirtschaftskrisen geschüttelten Volkswirtschaften des Halbkontinents stünden ohne ihre Drogenexporte noch weit schlechter da. Kolumbien, das am meisten vom Drogenhandel profitiert, ist seit Beginn der achtziger Jahre die prosperierendste Nation in Lateinamerika; seit 1984 betrugen seine Wachstumsraten jeweils über drei Prozent, 1987 waren es 5, 5 und 1988 4, 5 Prozent. Daher konnte Kolumbien — im Unterschied zur Mehrzahl seiner Nachbarn — seinem auswärtigen Schuldendienst auch immer nachkommen; der kolumbianische Peso ist zu einer der härtesten Währungen Lateinamerikas geworden. Mit Sicherheit haben die Einnahmen aus dem Kokainhandel den sozialen und politischen Niedergang in Kolumbien — in geringerem Maße auch in Peru und Bolivien — gebremst. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme, denen sich die Regierungen der beteiligten Länder ohne diese Einnahmen gegenübersehen würden, wären weitaus größer. Darüber hinaus verweisen Lateinamerikaner nicht ohne Berechtigung auf die Tatsache, daß eine mit Zwangsmaßnahmen durchgeführte Bekämpfung des Drogenhandels so lange wirkungslos bleiben wird, wie die große Nachfrage in den Vereinigten Staaten und anderen europäischen Ländern fortbesteht.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Gernot Volger, Dr. rer. pol., geb. 1945; war an Lateinamerika-Forschungsinstituten in Caracas und Hamburg tätig und arbeitet heute als freier Journalist. Veröffentlichungen u. a.: Die Zahlungsbilanzpolitik der Vereinigten Staaten. Dominanz und Dependenz im internationalen Währungssystem, Berlin 1976; Lateinamerika in der Dauerkrise. Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Berlin 1989.