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Japans langer Weg in die Freizeitgesellschaft | APuZ 39/1990 | bpb.de

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APuZ 39/1990 Artikel 1 Ein Jahr Regierung Kaifu: Vom Generationswechsel zu politischen Reformen? Japans Wirtschafts-und Sozialpolitik vor neuen Herausforderungen Japans langer Weg in die Freizeitgesellschaft Japans Außenpolitik im Wandel

Japans langer Weg in die Freizeitgesellschaft

Renate Herold

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Japaner haben längere Wochenarbeitszeiten, ja sogar oft längere Lebensarbeitszeiten als Arbeitnehmer in anderen Industrienationen. Auch in dem Jahrzehnt nach Ende der Hochwachstumsphase der japanischen Wirtschaft hat sich die Arbeitszeit kaum verringert. Heute sind sich Regierung und Sozialpartner jedoch darin einig, daß Arbeitszeitverkürzung geboten ist. Gesetzesreformen, öffentliche Kampagnen und beispielhafte Maßnahmen der Regierung ermöglichen im öffentlichen wie auch im Privatsektor konkrete Schritte in diese Richtung. Aufgrund verkrusteter Denkstrukturen und tradierter Einstellungen ist es paradoxerweise nicht immer einfach, die Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme ihrer Freizeit zu bewegen. Wer aber seine Freizeit nicht genießen kann, der wird sich im Ruhestand selbst zur Last: Dieses soziale Problem veranlaßt die japanische Regierung, darauf hinzuweisen, daß Urlaub für den arbeitenden Menschen notwendig und sinnvoller Zeitvertreib dabei wünschenswert ist. Im Gegensatz zu den älteren Beschäftigten ist Japans jüngere Generation, die eine andere Sozialisation erlebte, durchaus freizeitorientiert und dürfte daher gegen die geplante Arbeitszeitverkürzung keinen Widerstand leisten. Erklärtes Ziel ist eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 1 800 Stunden im Jahr sowie die 40-Stundenwoche als gesetzliche Norm bis spätestens 1993.

I. Entwicklung der Arbeitszeit

Japan USA Großbritannien Bundesrepublik Deutschland Frankreich 2 168, darunter 1 949 192 1 947 177 1 642 78 1 645 einschließlich Überstunden 224Überstunden Tabelle 1: Arbeitsstunden pro Jahr in der verarbeitenden Industrie, 1987 Quelle: Rodo Hakusho (Arbeitsweißbuch), hrsg. vom Japan Institute of Labour. Tokyo 1989. S. 73.

In Japan arbeitet man länger als in anderen Industrienationen. Daß zwischen Arbeitszeit und Feierabend häufig nicht klar unterschieden wird, besonders für viele Männer die Firma zum Lebensinhalt geworden zu sein scheint und selbst die karg bemessene Freizeit oft noch im Kreise von Kollegen oder Geschäftsfreunden verbracht wird, führte im Ausland dazu, den japanischen Arbeitseifer als „Arbeitswut“ zu kennzeichnen. Negiert wird diese Zuschreibung in Japan nicht, sondern eher interpretierend akzeptiert — „man nennt uns , arbeitswütig 4, weil . . „eigentlich sind wir nicht arbeitswütig , aber . .

Japaner arbeiten (vgl. Tabelle 1) rund 200 Stunden mehr als Amerikaner und Engländer und übertreffen Deutsche und Franzosen um mehr als 500 Stunden im Jahr. Die Gründe für diese langen Arbeitszeiten liegen vor allem in der eingefahrenen Arbeitsorganisation, in sozialen Normen und Erwartungen, psychologisch bedingten Zwängen sowie dem Zusammenspiel dieser Faktoren.

Dabei gehen die längeren Arbeitszeiten in Japan nicht unbedingt mit höherer Produktivität einher, im Gegenteil: Wie das Japan Productivity Center 1986 belegte, liegt die Produktivität, setzt man Japan gleich 100, in der Bundesrepublik Deutschland bei 127 und in den Vereinigten Staaten bei 137. Täglich lange am Arbeitsplatz zu sein, wird in Japan normalerweise mit „fleißig“ gleichgesetzt; für den außenstehenden Beobachter ist diese Wertung indes nicht nachvollziehbar. Vielmehr erwecken japanische Arbeitsgepflogenheiten den Eindruck, daß außer im verarbeitenden Gewerbe viele Beschäftigte unproduktive Tätigkeiten ausüben, wobei der große Personalaufwand in einigen Bereichen eher Prestigezwecken denn der Produktion dient.

Zahllose langwierige Besprechungen und Konferenzen ohne Ergebnis sind ausländischen Geschäftsvertretern in Japan unverständlich, zugleich aber Ausdruck japanischen Geschäftsgebahrens. Kurz: Physische Anwesenheit muß keinen Arbeitserfolg zeitigen, für den Arbeitnehmer ist sie aber Zeichen seiner Loyalität. So bleiben Beschäftigte nach Feierabend in der Firma, auch wenn sie nichts mehr zu erledigen haben, nur weil ihr Vorgesetzter aufgrund seiner anderen Aufgabenstellung noch Überstunden macht. Mitunter scheint die Überstundenarbeit nur der Disziplinierung zu dienen, wenn beispielsweise Berufsanfänger in einigen Abteilungen des japanischen Außenministeriums bisweilen wöchentlich mehr Überstunden aufweisen können, als die Wochennorm für deutsche Arbeitnehmer ausmacht!

Hier wie andernorts werden solche Überstunden, die über das gesetzliche Maß hinausgehen, von den Sozialpartnern nicht angerechnet, sondern werden als „menschliche Beziehungen“ interpretiert. Die gewiß zum Teil entbehrliche Überstundenarbeit bzw. -anwesenheit ist durchaus nicht immer Anweisungen des Arbeitgebers zuzuschreiben. So mußte eine ausländische Firma in Japan ihr Personal mit mehrmaligem „Aussperren“ nach Feierabend daran gewöhnen, daß in diesem Betrieb die Überstundenarbeit gar nicht erst etabliert werden sollte; in einer anderen ausländischen Niederlassung pflegte der Büroleiter seine Anweisungen „sofort“ ausführen zu lassen, damit sich die Mitarbeiter nicht erst kurz vor Feierabend dieser Aufgabe annehmen.

Nachgerade gesteht man in letzter Zeit ein, daß die überlangen Arbeitszeiten weder für den Betrieb noch für den einzelnen effektiv sind. In der Zusam-menfassung des „Arbeitsweißbuches“ 1989 heißt es daher zum Thema Arbeitszeitverkürzung u. a.: „Wie auch die . Konferenz für Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung befindet, ist es notwendig, , mit Eifer bei der Arbeit zu sein und sich dann in der Freizeit gut zu erholen 4; mit diesem Bewußtsein läßt sich während der Arbeitszeit Redundanz vermeiden und eine neue, effiziente Arbeitsweise erreichen. wobei planmäßig das völlig freie Wochenende 1) sowie die völlige Inanspruchnahme des Jahresurlaubs anzustreben ist.“

Auch in Japan ist die Arbeitszeitverkürzung in den letzten Jahren zu einem Thema geworden, das wachsende Aufmerksamkeit findet, zumal die japanische Regierung im Rahmen des gegenwärtigen Fünfjahresplans der Wirtschaft das Ziel aufstellte, die Arbeitszeit bis 1992 auf rund 1 800 Stunden pro Jahr zu reduzieren und damit dem in anderen Industrienationen erreichten Niveau anzugleichen. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, führten die Regierungsbehörden ab Anfang 1989 die alternierende Fünftagewoche ein, d. h. jeder zweite und vierte Samstag im Monat ist arbeitsfrei. Im Februar 1989 gingen auch die Finanzinstitute des Landes zur Fünftagewoche über.

Betrachtet man die Entwicklung der Arbeitszeit in Japan in den letzten drei Jahrzehnten, springt ins Auge, daß während der Periode hohen Wirtschaftswachstums von 1960 bis 1975 tatsächlich eine starke Verkürzung stattfand — die jährlich geleisteten Arbeitsstunden verringerten sich in diesem Zeitraum von 2400 auf 2000 Allerdings hat sich dieser Trend seither nicht fortgesetzt, die Arbeitszeit scheint zu stagnieren.

Für diese Entwicklung sind hauptsächlich vier Faktoren verantwortlich. Zunächst ist die Tatsache zu nennen, daß sich die Konjunktur seit der Periode hohen Wirtschaftswachstums zwischen 1960 und 1975 mit jährlichen Zuwachsraten um 8, 8 Prozei verschlechtert hat. In der Phase nach der erst« Ölkrise, 1975 bis 1985, halbierte sich die jährlic Wachstumsrate auf 4, 3 Prozent. Dieser statistiscl Durchschnittswert impliziert jedoch, daß ein b stimmtet Prozentsatz von Unternehmen und Bra chen einen Wachstumsstop erfuhr oder ins Minu Wachstum eintrat. In dieser Situation neigen japar sehe Unternehmen dazu, ihre Neueinstellungen ; begrenzen und damit in die Zukunft wirkende Fi kosten zu reduzieren. Temporäre Nachfrageschül werden in einem solchen Fall durch Überstundena beit der Grundbelegschaft sowie durch Einstellui von Aushilfskräften gedeckt. Beispielhaft verdei licht diesen Trend die Tatsache, daß sich in der ve arbeitenden Industrie die monatlichen Überstu den in dem Jahrzehnt seit 1975 nahezu verdoppi ten, nämlich von 9, 1 auf 18, 4 Stunden im Jah 1985, während sie sich in allen Wirtschaftszweig insgesamt von 10, 6 auf 14, 8 Stunden steigerten

Hinzu tritt als zweiter Faktor das abgeschwäck Wachstum der Reallöhne. War in der Hochwacl tumsperiode von 1960 bis 1975 noch eine jährlic Steigerung der Reallöhne um 6. 9 Prozent zu vert chen. reduzierte sich diese auf 1, 7 Prozent pro Ja zwischen 1975 und 1985. Um ihren Lebensstanda aufrechtzuerhalten, mußten die Arbeitnehmer dieser Zeit zwangsläufig eher für Lohnerhöhu eintreten als für kürzere Arbeitszeiten. Stark Gewicht schlagen als drittes die Unterschiede, « je nach Unternehmensgröße zu beobachten sind: kleiner das Unternehmen, desto länger die indi duelle Arbeitszeit. 1984 gaben Unternehmen i über 1 000 Beschäftigten 1 890 Arbeitsstunden [Jahr an. solche mit weniger als 100 Beschäftigt hingegen rechneten von Anfang an mit 1 986 Sti den. Die Mitarbeiter von Großunternehmen karr denn auch in den Genuß von 103 arbeitsfreien 7 gen im Jahr, ihre Kollegen in kleineren Firmen h ten nur 77 Tage zur freien Verfügung. Die dur schnittlich langen Arbeitszeiten in Japan sind a zum großen Teil den kleineren Unternehmen zu schreiben, denen im Wirtschaftsgefüge eine trächtliche Rolle zukommt. Besonders die Bereir Vertrieb und Dienstleistungen mit ihren langen Geschäftszeiten, zum Teil rund um die Uhr, können kürzere Arbeitszeiten nur durch Schichtarbeitssysteme bewältigen. Die Einführung von Schicht-dienst würde jedoch die Kosten erheblich erhöhen und ist daher für kleinere Firmen ohne wesentliche Verbesserung ihrer Produktivität durch Rationalisierung und Modernisierung kaum praktikabel.

Als viertes schließlich werden die Arbeitszeiten noch dadurch beeinflußt, auf welche Weise die Firmen miteinander verbunden sind und welche Art von Teamwork stattfindet. Nicht zuletzt aufgrund der sogenannten Doppelstruktur der japanischen Wirtschaft mit ihren Großunternehmen und einem Heer kleinerer bis kleinster Zulieferfirmen sind zahlreiche Unternehmen durch Subkontrakte miteinander verbunden, die bewirken, daß Arbeitsruhe und bestimmte freie Tage nur in Absprache mit anderen Unternehmen realisiert werden können. Außerdem arbeiten die Beschäftigten an nahezu allen Arbeitsplätzen in Teams, die mit Springern bzw. Ersatzpersonal nur unzureichend ausgestattet sind. Fällt im Team jemand unplanmäßig aus, wird der Arbeitsablauf stark beeinträchtigt. Da dieser Tatbestand jedem Beteiligten bewußt ist. verzichtet man aus Rücksicht auf die Kollegen möglichst auf pünktlichen Feierabend, Urlaub oder Freistunden.

Vor allem der strukturelle Faktor der langen Arbeitszeiten in Kleinfirmen und der organisatorisch bedingte Faktor der Betriebsvernetzung durch Teamarbeit sind in Japan immer noch beachtliche Hindernisse, die die Verbreitung kürzerer Arbeitszeiten hemmen.

II. Japans Arbeitszeitgestaltung im Umbruch

Jahr geplante Arbeitszeit tatsächl. Arbeitszeit 1955 2 140 2 338 1960 2 170 2 432 1965 2 117 2 315 1970 2 039 2 239 1975 1 937 2 064 1980 1 956 2 114 1985 1 930 2 102 1987 1 933 2 111 Tabelle 2: Arbeitsstunden pro Jahr*) *) Alle Branchen, Unternehmen mit über 30 Beschäftigten.

Quelle: Monthly Labour Survey, hrsg. vom Arbeitsministerium, zit. nach H. Shimada (Anm. 3).

1. Neue Arbeitszeitnormen Allerdings haben sich die geschilderten Bedingungen seit Mitte der achtziger Jahre beträchtlich verändert. Gestützt auf die Binnennachfrage, zeigt die japanische Wirtschaft wieder ein stärkeres Wachstum, das zumindest mittelfristig betrachtet als solides Wachstum zu charakterisieren ist. Die Nachfrage nach Arbeitskräften stieg entsprechend an, und bereits jetzt macht sich eine Verknappung des Arbeitskräfteangebots bemerkbar. Um Berufsanfänger für das eigene Unternehmen zu gewinnen, sind viele Arbeitgeber daher gezwungen, diesen größere Zugeständnisse in bezug auf die Arbeitszeit zu machen, wie unten noch näher auszuführen ist. Der Höhenflug des Yen führte zugleich dazu, daß mehr Importwaren zu günstigen Preisen auf den Markt kommen. Dies trägt zur Stabilisierung der Konsumentenpreise bei. Infolge dessen wachsen die Reallöhne wieder und bereiten so den Boden für weitere Arbeitszeitverkürzungen.

Nicht zuletzt tritt die japanische Regierung selbst als Vorreiter für kürzere Arbeitszeiten ein. Sichtbare Zeichen dafür sind eine Vielzahl von anleitenden Maßnahmen, die Reform des Arbeitsstandardgesetzes und die Einführung der alternierenden Fünftagewoche im Staatsdienst.

Auch im Privatsektor sind Bemühungen um institutionelle Reformen festzustellen, wofür die Einführung der Fünftagewoche in Finanzinstituten das deutlichste Beispiel ist. Die Sozialpartner sind sich zumindest theoretisch darin einig, daß Arbeitszeit-verkürzung geboten ist; allein die praktischen Schritte zur Durchführung bereiten noch einige Schwierigkeiten.

Unter den heutigen, günstigen Bedingungen zur Reduzierung der Arbeitszeit ist zu erwarten, daß in den nächsten Jahren weitere Fortschritte in dieser Richtung erzielt werden.

Das Arbeitsstandardgesetz wurde nach mehrjährigen Vorarbeiten im April 1988 geändert. Bis dahin waren die 48-Stundenwoche und der achtstündige Werktag die offiziell genehmigte Norm gewesen. Nunmehr ist die 40-Stundenwoche vorgesehen, allerdings mit der Klausel versehen, daß die 46-Stundenwoche erst bis zum Jahre 1992 auf die 40-Stundenwoche reduziert werden soll. Dieser Passus wurde seitens der japanischen Gewerkschaften stark kritisiert, die dafür eintraten, daß sofort die 40-Stundenwoche zur Norm erklärt werden sollte. Kritik fand außerdem die nunmehr gebilligte Flexibilisierung der Arbeitszeiten innerhalb bestimmter Perioden. Sie bedeutet nämlich, daß bei einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf zunächst 46 Stunden die Arbeitszeit zusätzlich um bis zu zehn Stunden ohne Überstundenzuschlag verlängert werden kann, solange die Gesamtdauer der Arbeitszeit innerhalb einer bestimmten Periode sich in einem vorher festgelegten Rahmen bewegt.

Weiterhin gab die Regierung bekannt, im Rahmen des Fünfjahresplans der Wirtschaft bis 1992 auch ihr Ziel, die Annäherung an die 40-Stundenwoche und die Verkürzung der jährlichen Arbeitszeit auf rund 1 800 Stunden erreichen zu wollen. Das im Juni 1988 veröffentlichte „Programm zur Förderung kürzerer Arbeitszeiten“ des Arbeitsministeriums, das nach Konsultationen mit den Sozialpartnern entstand, benennt folgende drei Ziele: 1. möglichst weitgehende Einführung der 40-Stundenwoche in der Periode von 1988 bis 1992; 2. Arbeitszeitverkürzung auf rund 1 800 Stunden pro Jahr; 3. Vorbedingungen dafür schaffen, daß die Arbeitnehmer ihre zu erwartende längere Freizeit effektiv nutzen können.

Als praktische Schritte zur Erreichung dieser Ziele empfiehlt das Arbeitsministerium den Sozialpartnern: 1. Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerung; 2. Propagierung der Arbeitszeitverkürzung und Reform herkömmlicher Praktiken; 3. Rücksichtnahme auf Subkontraktoren; 4. Förderung der Arbeitszeitverkürzung nach Branchen und Geschäftsarten. Als vordringlich bezeichnet das Ministerium 1. die Verbreitung der vollen Fünftagewoche; 2. die Ermutigung der Arbeitnehmer, ihren bezahlten Urlaub voll zu beanspruchen; 3. die Förderung der Vergabe zusammenhängender Urlaubstage; 4.den Abbau von Überstundenarbeit; die Nutzung der Flexibilisierung der Arbeitszeiten innerhalb bestimmter Perioden und Gleitzeiten im Sinne des geänderten Arbeitsstandardgesetzes.

Japans Gewerkschaften einschließlich des führenden Dachverbandes Rengo (Japanese Private Sector Trade Union Confederation) erklären ebenfalls kürzere Arbeitszeiten als vordringliches Ziel. Dieser theoretische Anspruch wird jedoch in den Betrieben nur schwer einzulösen sein, denn Japans Gewerkschaften sind größtenteils Betriebsgewerkschaften, denen letztlich die Belange der eigenen Firma im Konkurrenzkampf der Wirtschaft vorgehen. Auch vom einzelnen Arbeitnehmer läßt sich die konsequente Umsetzung des gesteckten Ziels nicht ohne weiteres fordern, denn Zivilcourage wird in der japanischen Gesellschaft weithin noch nicht als Verhaltensweise akzeptiert. In der durch persönliche Beziehungen geprägten Atmosphäre der „Firmenfamilie“ kommt sie als vom (vermeintlichen) Gruppeninteresse abweichendes Beharren des einzelnen auf seinem Rechtsanspruch quasi nicht vor. In diesem Beziehungsgeflecht stellt der einzelne in der Regel seine persönlichen Wünsche und Bedürfnisse, sogar seine besseren Einsichten zurück, um die „Harmonie“ im Arbeitsteam nicht zu stören bzw.den Frieden in der Firma nicht zu gefährden. Nicht nur die Jüngeren als schwächeres Glied in der Kette neigen zu dieser Reaktion: Ältere Kollegen meinen, mit gutem Beispiel vorangehen zu müssen, Vorgesetzte halten sich für unentbehrlich oder wollen zumindest von anderen dafür gehalten werden; kurz, niemand wagt es, vor anderen den Arbeitsplatz zu verlassen oder Urlaub zu nehmen. Dieses Konglomerat wechselseitiger Beeinflussung wird normalerweise nicht offen in Fra gestellt und ist dementsprechend zählebig.

Auch die Arbeitgeber sind natürlich in theore sehen Erörterungen aufgeschlossener als dan wenn es konkret um die eigene Firma geht. W Shimada 5) anführt, konnten von 2 545 Betriebsg werkschaften, die in der alljährlichen Lohnrunc der „Frühjahrsoffensive“, 1988 die Forderung na Arbeitszeitverkürzung stellten, nur 678 in irgend ner Form positive Resultate erzielen.

Um bis 1993 zu einer Jahresarbeitszeit von 1 8 Stunden zu gelangen, startete der nationale Dac verband Rengo eine Kampagne, um die Unterne men durch Verhandlungen dazu zu bewegen, (vorgesehenen Arbeitsstunden zu verringern. 2 gleich will Rengo mit der Regierung über eine F form der Wochenarbeitszeit über das Arbeitssta dardgesetz verhandeln und auf diesem Wege mc liehst bald die 40-Stundenwoche zur Norm erklär lassen. Drittens will man landesweit alle Arbeitne mer dazu aufrufen, ihren bezahlten Jahresurla tatsächlich zu beanspruchen, denn schließlich n zen den Beschäftigten bessere Arbeitsbedingung nichts, wenn sie weiterhin freiwillig auf ihre Im spruchnahme verzichten. Die größte Föderati der Metallarbeitergewerkschaften Japans, IMF-J gab Richtlinien zur Arbeitszeitverkürzung a nach denen die geplante Arbeitszeit von 1 959 Sti den 1989 auf 1 896 Stunden 1993 reduziert werd soll, wobei statt 248 Tagen im Jahre 1989 dann r noch 240 Tage zu arbeiten wäre. Der bezahlte Ji resurlaub soll sich folgerichtig von 13, 3 Tagen ; 25, 0 Tage verlängern. Die Verkürzung der tatsä liehen Arbeitszeit von 1 854 Stunden p 212 Überstunden auf 1 699 Stunden plus 120 Üb stunden soll dann dazu führen, daß statt insgesa 2 066 Stunden im Jahre 1989 im Zieljahr 1993 t sächlich nur noch 1 819 Stunden gearbeitet wi Schrittweise ist eine Verlängerung des Urlaubs^ Verringerung der jährlichen Überstunden vorge hen 2. Wirtschaftliche Grundlagen der Arbeitszeitverkürzung Aufgrund der günstigen Wirtschaftslage undpositiven Haltung von Regierung und Gewe schäften zur Arbeitszeitverkürzung, der sich Arbeitgeber zumindest offiziell kaum entgegens len, erscheinen jetzt Fortschritte durchaus mögli Auf diese Entwicklung hemmend wirkt sich die tuation der mittelständischen Unternehmen aus denen bis heute ungünstige Arbeitsbedingun herrschen. Für Kleinfirmen ist die wirtschaftlil age wegen gestiegener Binnenkosten, der Konrrenz der asiatischen Schwellenländer in vielen roduktsparten und des sich verschärfenden Areitskräftemangels durchaus kritisch. Um zu überben, müssen diese Betriebe rationalisieren und odemisieren. Erst danach werden sie vielleicht in r Lage sein, kürzere Arbeitszeiten bei sich einzuhren; ohne staatliche Hilfe dürfte dies vielen leinbetrieben allerdings nicht gelingen. aneben ist die Höhe des Realeinkommens mit der Inge der Arbeitszeit gekoppelt. Zwar enthält die ohntüte der Japaner zur Zeit das höchste Nomiileinkommen der Welt, an Kaufkraft entspricht es ich Schätzungen aber nur etwa 60 Prozent Hier i nur erwähnt, daß Grundnahrungsmittel rund das oppelte wie in der Bundesrepublik Deutschland >sten und daß Eigenheime schon seit längerer Zeit r einen Großteil der Arbeitnehmer unerschwingh geworden sind. Das tägliche Leben ist teurer als iderswo, weil die Produktivität in der Landwirt-haft, im Vertrieb und bei Dienstleistungen niedrig , weil zudem viele Bereiche vor ausländischer onkurrenz geschützt werden. Eine weitere Libelisierung des Marktes würde Preissenkungen und i höheres Realeinkommen bewirken und in ihrem efolge auch mehr Freizeit mit sich bringen. Dazu anzumerken, daß Japaner zu den qualitätsbeißtesten Konsumenten der Welt gehören, die vor die Alternative gestellt — lieber zum teuren Angebot greifen. Aus diesem Grund ist vielen panern das Geldverdienen wichtiger als freie it. Die Verringerung der Arbeitszeit ist auch nn zweitrangig, wenn es nicht um den Erwerb des m Leben Notwendigen geht (wenngleich Überinden auch heute noch weithin mit finanziellen •gumenten begründet werden, die aber oft nicht chhaltig sind). Ein Wirtschaftswissenschaftler urlt: „Viele Leute sollten sich einmal klarmachen, ß Freizeit ihre kostbarste Ressource ist, die ihre Schöpfung lindert, Streß abbaut und es ihnen er»glicht, erholt wieder die Arbeit aufzunehmen, »mmunikation und Zuneigung innerhalb ihrer Falie wiederherzustellen und der Gesellschaft zu men.“

r moralische Appell, die Freizeit zu nutzen, er-lallt heute in Japan allerorten und hat die Stelle r ewigen Klage über zu geringen Lohn eingenomm. Diese vor Jahren noch undenkbare Verlage-ig des argumentativen Schwergewichts beweist, ß japanische Arbeitsbeziehungen diesbezüglich eine neue Phase eingetreten sind. e derart propagierte Freizeit bringt natürlich ch wirtschaftliche Implikationen mit sich. Schon erleben Sportstätten und Freizeitanlagen an den arbeitsfreien Samstagen einen neuen Besucheransturm. Auf das projektierte völlig freie Wochenende freut sich nicht zuletzt Japans Freizeitindustrie, die ihre Landsleute in den neuen Mußestunden allzu gern unter ihre Fittiche nehmen möchte. Wie das Wirtschaftsplanungsamt errechnete, wird das freie Wochenende den Japanern Gelegenheit dazu geben, 1 700 Mrd. Yen zu verkonsumieren, immerhin 0, 5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Wennersteine Jahresarbeitszeit von 1 800 Stunden erreicht ist, könnten die Haushalte in der so gewonnenen Zeit für den Konsum sogar 4 560 Mrd. Yen ausgeben 3. Arbeitszeit und Betriebsgröße Aus der am 23. Juli 1990 veröffentlichten neuesten Untersuchung des Arbeitsministeriums über die Arbeitszeiten wird deutlich, daß einerseits infolge der Reform des Arbeitsstandardgesetzes und der Einführung des arbeitsfreien Samstags in Finanzinstituten zwar immer mehr Betriebe samstags geschlossen bleiben, daß aber andererseits die unterschiedliche Größe von Unternehmen noch immer unterschiedliche Arbeitszeiten bedingt. Untersucht wurden rund 5 000 Privatfirmen mit jeweils über 30 Beschäftigten (Stand Dezember 1989).

Unternehmen, die in irgendeiner Form einen freien Samstag haben, belaufen sich auf 58, 4 Prozent. Ihre Anzahl hat damit gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent zugenommen. Von dieser Samstagsregelung sind 82, 7 Prozent aller Arbeitnehmer erfaßt; dies sind 2, 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Tatsächlich jeden Samstag frei gibt es indes erst in 9, 6 Prozent der befragten Unternehmen (2, 2 Prozent mehr als zuvor); 36, 9 Prozent der Beschäftigten kommen in den Genuß dieser Regelung (7, 4 Prozent mehr als im Vorjahr). Interessanterweise ist die Zuwachsrate sowohl bei den Firmen als auch bei den Arbeitnehmern bezüglich des freien Samstags die größte, die je gemessen wurde, seit die Untersuchung in dieser Form erstmals 1976 durchgeführt wurde. Sie belegt, daß das freie Wochenende sich in letzter Zeit immer rascher durchsetzt.

Ein Blick auf die Unternehmensgrößen zeigt, daß Großunternehmen, die normalerweise sowieso die besseren Arbeitsbedingungen bieten, auch bezüglich der Arbeitszeitverkürzung führend sind. Den freien Samstag in irgendeiner Form haben 95, 5 Prozent aller Firmen mit über 1 000 Beschäftigten bereits eingeführt. Bei mittelgroßen Unternehmen mit 100 bis 999 Beschäftigten sind es 77, 6 Prozent und bei Kleinunternehmen mit 30 bis 99 Mitarbeitern 49, 5 Prozent, also nur rund die Hälfte. Tatsächlich jeden Samstag arbeitsfrei haben 48 Prozent der Groß-, 16 Prozent der mittleren und sechs Prozent der Kleinunternehmen.

Die festgelegte tägliche Arbeitszeit beträgt im Durchschnitt 7 Stunden und 48 Minuten, was gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs um zwei Minuten darstellt. Bezogen auf den Durchschnitt der Beschäftigten ergibt sich eine Arbeitszeit von 7 Stunden und 43 Minuten, wobei die Zunahme gegenüber dem Vorjahr eine Minute beträgt. Seit 1975 bewegt sich die durchschnittliche Arbeitszeit der Unternehmen um 7 Stunden und 45/46 Minuten, was verdeutlicht, daß der freie Samstag durch verlängerte Arbeitsdauer an den übrigen Werktagen etwas ausgeglichen wird.

Die festgesetzte Wochenarbeitszeit umfaßte im Durchschnitt aller Beschäftigten 41 Stunden und 12 Minuten; dies entspricht einer Verkürzung gegenüber dem Vorjahr um 12 Minuten. Weniger als 40 Wochenstunden arbeiten 54 Prozent der Beschäftigten (3, 4 Prozent mehr als im Vor Minuten; dies entspricht einer Verkürzung gegenüber dem Vorjahr um 12 Minuten. Weniger als 40 Wochenstunden arbeiten 54 Prozent der Beschäftigten (3, 4 Prozent mehr als im Vorjahr), wohingegen 12 Prozent immerhin noch über 46 Wochenstunden ableisten. 4. Lebensarbeitszeit Nun sind die meisten Japaner nicht nur täglich, wöchentlich und jährlich länger am Arbeitsplatz als die Beschäftigten in anderen Industrienationen, sie haben auch längere Lebensarbeitszeiten. Wie aus Vergleichen mit anderen Industrienationen hervorgeht, sind Japaner in höherem Alter eher gezwungen, erwerbstätig zu bleiben als Senioren anderswo 11). Obwohl das Rentenalter für Firmenmitarbeiter in der Nachkriegszeit generell bei 55 Jahren lag, waren viele Japaner noch im Alter von 65 und mehr Jahren erwerbstätig, dabei meist an schlechteren Arbeitsplätzen und zu geringerem Lohn als zuvor. Grund dafür ist häufig die Notwendigkeit, die Zeit bis zum Rentenerhalt zu überbrükken oder zur Rente hinzuzuverdienen. 1979 wurden beispielsweise mehr als drei Viertel der „Pensionäre“ wieder an anderer Stelle erwerbstätig. Im Alter von über 65 Jahren arbeiteten 1984 noch 41 Prozent der Männer und 15, 6 Prozent der Frauen in Japan, in der Bundesrepublik Deutsch-land waren es hingegen nur sieben Prozent d Männer und 2, 8 Prozent der Frauen.

Da die Arbeitsplatzsuche der Pensionäre nicht se ten mit sozialen Härten verbunden ist, betreibt d japanische Arbeitsministerium schon seit längere eine Erhöhung des Firmenrentenalters auf üb 60 Jahre. 1984 hatten schon mehr als die Hälf aller Unternehmen, die ein festgesetztes Renten« ter haben, dieses auf 60 oder mehr Jahre angeh ben. Die bisher einmaligen Abfindungen bei d Pensionierung werden im Zuge dieser Entwicklui zunehmend in Betriebsrenten umgewandelt.

Der Matsushita-Konzern stellte beispielsweise e Wahlsystem verschiedener Wege in den Ruhestai vor, wobei u. a. die Möglichkeit besteht, bis zu Alter von 65 Jahren am angestammten Arbeitspla zu verbleiben. Neben einer Änderung der Loh Struktur, die den Wandel des „Senioritätslohngei ges“ (mit zunehmendem Alter steigt die Lohnhö der Arbeitnehmer) kennzeichnet, führten eini Firmen zugleich ein „selektives Pensionierungs: stem“ ein, nach dem Arbeitnehmer über 45 Jal eine Belohnung erhalten, wenn sie — trotz Erl hung des Firmenpensionierungsalters — freiwil in mittlerem Alter den Betrieb verlassen und sor den Altenanteil an der Belegschaft verringern.

Aus diesen Gegebenheiten resultiert, daß älte Arbeitnehmer überproportional in kleineren als ihren vorherigen Firmen tätig werden. Schon IS stellte das Arbeitsministerium einen Beschäl gungsförderungsplan vor, nach dem Firmen,Pensionäre anderer Firmen binnen drei Monal einstellen, bezuschußt werden. Damit will das Mi sterium die Beschäftigungschancen älterer Arbe nehmer durch Kontakte zwischen abgebenden u aufnehmenden Firmen fördern 12).

Die lange Lebensarbeitszeit, die heute hauptsä lieh wegen des zunehmenden Alterns der japa sehen (Arbeits-) Bevölkerung propagiert wird, tr jedoch dazu bei, daß bei Erreichen des tatsäcl chen Ruhestandes besonders die Männer häufig nen Schock erfahren: Mit der neugewonnenen Fi zeit wissen sie nichts anzufangen, ohne Arbeitsk legen sind sie aller zwischenmenschlichen Konta beraubt, ihrer Familie bzw. Ehefrau erscheinen daheim als lästiger „Sperrmüll“, wie der Vol münd sagt.

Der Ruhestand ist für diese Generation, die Leben auf den Beruf konzentrierte und keine H bies kennt, ein soziales Problem, das von der ja nischen Regierung durchaus als solches gesel wird. Wie auch das „Programm zur Förderung }* zerer Arbeitszeiten“ betont, ist es notwendig, die sinnvolle Freizeitgestaltung noch während der Berufstätigkeit am Feierabend und im Urlaub zu erlernen, wenn der Lebensabend nicht als sinnlose Leere empfunden werden soll. „Wie verbringe ich meine Freizeit?“ ist das Thema zahlreicher Sachbücher und Ratgeber, die im heutigen Japan eine echte Marktlücke füllen 5. Urlaubsregelungen der Betriebe Bislang fällt es aber insbesondere älteren Arbeitnehmern schwer, die ihnen zustehenden Freizeiten überhaupt zu beanspruchen. Da es Japanern Schwierigkeiten bereitet, mit Rücksicht auf die Kollegen einen mehrtägigen Urlaub zu nehmen, wird meist nur ein Urlaubstag auf einmal beansprucht oder aber die Arbeitsfreistellung zu gesellschaftlich sanktionierten Urlaubszeiten beantragt wie dem traditionellen O-Bon-Fest Mitte August, zu dem die Firmen heute häufig einen „Sommerurlaub“ einlegen und die Geschäftstätigkeit ruhen lassen.

Als weitere Urlaubsmöglichkeit bieten sich die ersten Tage nach Neujahr an, weiterhin die soge-nannte Goldene Woche, eine Periode von Ende April bis Anfang Mai, in der sich Feiertage häufen, so daß durch Urlaubstage dazwischen ein längerer Urlaub möglich ist. Viele Unternehmen nutzen diese Zeit zu einem Firmenurlaub, während dessen sie ihre Pforten schließen. Eine Untersuchung des Arbeitsministeriums ergab, daß 1989 aus Anlaß der Goldenen Woche im Durchschnitt 5, 7 Tage Urlaub genommen wurde, länger also als im Vorjahr mit 4, 6 Tagen Unternehmen der verarbeitenden Industrie gewähren dabei mehr Urlaub als andere. Die Regelung, zwischen den eng zusammenliegenden öffentlichen Feiertagen die Arbeit auszusetzen, entspricht betriebswirtschaftlichem Kalkül wie auch der Erwartung der Belegschaften, die gern dann Urlaub nehmen, wenn alle anderen auch frei haben, und die dafür eine hiermit verbundene Überfüllung allenthalben bewußt in Kauf nehmen. Zu den genannten drei Anlässen kulminieren die Ausflugs-und Reiseströme ins In-und Ausland, denn außerhalb dieser Zeiten zu verreisen, ist verpönt — wer urlaubt, während andere arbeiten, macht sich unbeliebt oder nimmt dies zumindest an.

Dieselbe Überlegung wirkt sich dahingehend aus, daß bei Krankheit eher Tage des bezahlten Jahres-urlaubs in Anspruch genommen werden, als daß man sich zum Krankenurlaub bekennt. Früher wurde diese Haltung oft mit finanziellen Argumenten begründet, die indes heute kaum mehr eine Rolle spielen dürften; vielmehr möchten japanische Arbeitnehmer eben insgesamt ungern mehr Freizeit haben als nötig — und damit negativ auffallen. Nicht zuletzt unterstreicht dies die Tatsache, daß anläßlich Schwangerschaft und Entbindung immer noch ein Drittel der berufstätigen Frauen ihre Arbeit aufgibt (1988 31, 4 Prozent gegenüber 49, 3 Prozent aller Betroffenen im Jahre 1965), wiewohl die Länge des Entbindungsurlaubs bei denjenigen, die erwerbstätig bleiben, eine zunehmende Tendenz aufweist (1988 37, 0 Tage vor und 56, 0 Tage nach der Entbindung gegenüber je 34, 4 und 46, 4 Tagen im Jahre 1965) Hieran wird der Einstellungswandel deutlich, denn obwohl ein Drittel der werdenden Mütter lieber den Arbeitsplatz ganz aufgibt, statt Rücksichtnahme in Anspruch zu nehmen, bestehen diejenigen, die bleiben, offenbar stärker auf ihren Rechten als ehedem.

Da individuelles Urlaubnehmen sich in der Regel nur auf einzelne Tage beschränkt und häufig der Rest als „eiserne Reserve“ stehenbleibt, bis er verfällt, ergibt sich der Tatbestand, daß der zur Verfügung stehende Jahresurlaub im statistischen Durchschnitt nur zur Hälfte genommen wird. Aus diesem Grunde gehen die Firmen dazu über, neben „Firmenurlaub“ aus Anlaß bestimmter Feiertage weitere unternehmensspezifische Urlaubstage und -formen einzuführen, um die „Urlaubsmuffel“ endlich zur Inanspruchnahme dessen zu bewegen, was ihnen ohnehin zusteht.

So haben, wie aus einer Untersuchung des Arbeitsministeriums von 1988 hervorgeht, sieben Prozent der befragten Firmen mit über 30 Beschäftigten einen „Erholungsurlaub“ eingeführt, davon 52 Prozent in den letzten fünf Jahren Es handelt sich um 38 Prozent der Firmen mit über 5 000 Beschäftigten, 17 Prozent mit 1 000 bis 5 000 Beschäftigten und neun Prozent mit 300 bis 1 000 Beschäftigten. Die Länge dieses Urlaubs liegt im Durchschnitt bei 7, 6 Tagen, sechs Prozent der Firmen gewähren über zwei Wochen. 76 Prozent der Firmen erteilen anläßlich des Jubiläums langer Betriebszugehörigkeit Urlaub, zwölf Prozent nach Alter; 38 Prozent geben außerdem noch einen Bargeldzuschuß oder Reisegutscheine. 46 Prozent der Firmen, die diesen Urlaub bislang noch nicht eingeführt haben, wollen ihn in Zukunft gewähren. In ein oder zwei Jahren dürfte — so schließt das Arbeitsministerium — der Erholungsurlaub um das l, 7fache zunehmen. Zusätzlicher bzw. zwingend zu nehmender Urlaub wird die-ser Tage in den verschiedensten Formen etabli Aichi Steel gibt jedem Mitarbeiter zu seinemburtstag einen freien Tag, Seino Freight Co. will d noch den Hochzeitstag arbeitsfrei lassen, und a der Automobilhersteller Toyota studiert Möglich] ten individueller Urlaubstagsregelungen

III. Einstellungen zur Freizeit

Einerseits muß — wie oben dargestellt — sanfter Zwang ausgeübt werden, um die Beschäftigten in die Freizeit zu entlassen, andererseits waren schon immer ausländische Firmen bei denjenigen Arbeitnehmern beliebt, die sich mit den Gegebenheiten herkömmlichen japanischen Personalmanagements nicht anfreunden konnten. Unter den „Gründen für die Wahl einer ausländischen Firma“, die in einer Umfrage eruiert wurden, rangiert denn auch die Nennung „mehr Urlaub“ mit insgesamt 59, 3 Prozent der Nennungen (Mehrfachnennung war möglich) noch vor beispielsweise „Gehalt und Betriebsklima“ • Vorerst aber wissen offenbar noch viele Japaner wenig mit ihrer Freizeit anzufangen, wie aus einer Ende 1989 vom Leisure Development Center, das dem Wirtschaftsministerium angegliedert ist, veröffentlichten Untersuchung über das Freizeitverhalten japanischer Arbeitnehmer hervorgeht Nur 47 Prozent der Japaner haben ein bevorzugtes Hobby in ihrer Freizeit oder treiben Sport, während das Ergebnis bei Angehörigen anderer Nationen bei über 70 Prozent hegt. Golf, Tennis und Skiläufen sind bei Japanern wie bei Ausländern beliebte Freizeitaktivitäten, die auch teuer sein dürfen. Freizeitbeschäftigungen wie Angeln und Radfahren, die eher zeit-als kostenaufwendig sind, werden hingegen von Japanern weniger genannt. Von insgesamt 43 in der Untersuchung aufgeführten Freizeitbeschäftigungsarten lag die Beteiligungsrate der Japaner bei 23 Arten am niedrigsten. Dies betrifft besonders kulturelle Unterhaltung wie Film-und Theaterbesuche, Lesen und das Hören klassischer Schallplattenmusik. Für die meisten Japaner, aber auch für die meisten Franzosen steht die Arbeit im Mittelpunkt ihres Lebens, wohingegen über die Hälfte der Deutschen und Engländer sich zur Freizeit als Lebensmittelpunkt bekannten. Natürlich beeinflussen bei Umfragen immer a die Art der Fragestellung und der Kontext der l frage das Ergebnis. In einer Befragung der Tc kuni-Lebensversicherung (Oktober 1989) von männlichen Angestellten mittleren Alters in re] sentativen Firmen in Tokio gaben nur 42 1 zent selbst der als arbeitswütig geltenden 5060jährigen an, daß die Arbeit ihr Lebensinhalt bei den 20-bis 30jährigen behaupteten dies snur 21 Prozent. Erwartungsgemäß ergab die 1 frage ferner, daß der Großteil aller Alterskia:

mitunter Unlust gegenüber der Arbeit versp sich dann verspätet oder der Arbeit fernbleibt, übergreifende Tendenz bleibt festzustellen, dal paner zwar arbeitsorientierter sein mögen, d Einstellung jedoch wie auch die arbeitsorganisa sehen Vorbedingungen dazu gegenwärtig im nehmen begriffen sind.

Daß das „arbeitswütige“ Verhalten zum guten generationsbedingt ist, geht aus zahlreichen Ui suchungen hervor und braucht deshalb hier i weiter belegt zu werden. Ein Großteil der Be anfänger, mehr als ein Drittel eines Jahrgangs, heutzutage Hochschulabsolventen, die in aller gel nach den Anstrengungen der „Examenshi (bis zum Eintritt in die Universität) die nachfol den — im Normalfall vier — Studienjahre bis quasi garantierten Abschluß als eine jahrel Freizeitperiode genossen und diese Haltung v nerlicht haben. Anders als ihre als „arbeitswi verschrieene Elterngeneration, die in der N kriegszeit Japans Wirtschaft aufbaute, sine — dank der Einübung während der Studienze durchaus in der Lage, mit ihren freien Zeit e anzufangen, ja sie haben meist schon konl Pläne dafür. Für die Kinder des Wirtschafts ders, die heute aus den Hochschulen in die Be weit entlassen werden, sind Freizeit, aufwei Hobbies und Auslandsreisen selbstverständ Bestandteile des Lebens geworden, die sie auc Erwerbstätige nicht mehr missen möchten. S die bei den Berufsanfängern beliebten Große nehmen sind vor dem Hintergrund des Ari kräftemangels gezwungen, den Neulingen zeitliche Zugeständnisse zu machen, um sie als Mitarbeiter zu gewinnen. Zum Beispiel bietet der Reifenhersteller Bridgestone 12 zusätzliche Urlaubstage bei veränderten Arbeitszeiten sowie Gleitzeitregelungen, Omron Tateisi Electronics lockt mit einem einmaligen Sonderurlaub von bis zu drei Monaten für das mittlere Management. Bekamen Firmenneulinge beim Kamerahersteller Nikon bisher erst nach einem Dienstjahr zehn bezahlte Urlaubstage, können Berufsanfänger jetzt gleich mit zwanzig Tagen Urlaub einsteigen

Die freizeitorientierte Haltung der jüngeren Generation wird u. a. in einem Interview deutlich, das die Tageszeitung Asahi Shimbun veröffentlichte und das deshalb hier auszugsweise zitiert sei: „Suzuki: Unsere Firma hat zwar an zwei Samstagen im Monat frei, mein Vorgesetzter arbeitet aber an diesen Tagen trotzdem. Er besteht nur aus Arbeit. Arbeit und nochmal Arbeit — ein richtiger . Arbeitsimperialist*. Ich kenne sogar einen, der nicht mal am Geburtstag seines Sohnes (nach Büroschluß) nach Hause fährt, sondern im Hotel übernachtet, um trotz Kundenbesuchen und Vertragsverhandlungen bis spät abends am nächsten Morgen wieder ganz früh mit der Arbeit anfangen zu können. Ich persönlich möchte aber unter keinen Umständen in meiner Freizeit arbeiten.

Sato: Bei uns ist es genauso. Schon gegen sieben morgens geht es los und nimmt kein Ende bis abends neun oder zehn. Geradezu, als gäbe es so etwas wie gesetzliche Arbeitszeitbestimmungen überhaupt nicht. Die Mittagspause dauert nur zwanzig Minuten. Ganz am Anfang nahm mich mein Abteilungsleiter einmal mittags in ein Restaurant mit. Seine Bestellung: . Was geht am schnellsten? * ist mir heute noch lebhaft in Erinnerung.

Watanabe: Mein Chef ist auch so ein Arbeitstier. Obwohl er erst knapp über dreißig ist, lebt er nach dem . . . Motto: . Arbeit ist Pflicht. Anständigkeit*. Wenn wir auf unserer Runde in die Wohnungen der Kunden keine Anlageverträge für Aktien oder Pfandbriefe abschließen können, brüllt er gleich los: , Kommt mir gefälligt heute noch mit einem Abschluß zurück! * Sogar sinkende Aktien müssen wir verkaufen. . . . Mit einer solchen Einstellung kann ich mich nicht identifizieren.

Takahashi: Ich glaube, die sind schon mit der Einstellung in die Firma eingetreten, ihr Leben lang hart zu arbeiten. Sie sind ihrer Firma blind ergeben. Suzuki: Es ist nicht so. daß wir etwas gegen Wörter wie , Enthusiasmus, Draufgängertum, voller Einsatz* usw. hätten. Was uns aber stört, ist diese Hingabe an eine einzige Sache, über der man nichts anderes mehr sieht. Ich meine, ich möchte verschiedene Interessen haben können.

Takahashi: Für die ist eine dienstliche Versetzung in eine andere Stadt, wo sie ganz alleine leben müssen, ohne Kontakt zu ihren Kindern und ihrer Familie, ein unvermeidliches Opfer. Wir aber finden so etwas abnormal und möchten es vermeiden.

Suzuki: Da ich nun mal in dieser Firma bin, will ich es auch zu etwas bringen. Ich möchte aber nicht auf Kosten anderer vorankommen. Ich will auf keinen Fall so werden wie die Alten, bei denen die Arbeit im Mittelpunkt steht.“

Vor dem Hintergrund dieser Stimmung bei jüngeren Arbeitnehmern fand ein Urteil des Tokyo High Court vom 19. Dezember 1988 große Aufmerksamkeit, das einem Reporter, der seinen bezahlten Jahresurlaub von 24 Tagen an einem Stück genommen hatte, obwohl ihn der Arbeitgeber aus organisatorischen Gründen nur zwölf Tage auf einmal hatte freistellen wollen, die Rechtmäßigkeit seines Tuns bestätigte und den Arbeitgeber, der ihn hatte bestrafen wollen, zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 160 000 Yen verurteilte. Dieses Urteil erging in zweiter Instanz, nachdem zuerst das Tokyo District Court dem Arbeitgeber recht gegeben hatte. Dem Urteil zufolge muß der Arbeitgeber sich um eine Ersatzkraft bemühen, auch wenn es wegen der Qualifikation des auf Urlaub dringenden Arbeitnehmers schwierig sein sollte, geeigneten Ersatz zu finden; Urlaubsanteile zu verweigern, ist ungesetzlich.

Zweifellos atmet dieses Urteil den Geist der neuen Zeit, in der die Notwendigkeit des Urlaubnehmens Anerkennung findet, ist doch die Tatsache, daß jemand seinen ganzen Jahresurlaub, und noch dazu auf einmal, in Anspruch zu nehmen gedenkt, selbst im heutigen Japan noch für viele eine Sensation, um nicht zu sagen: eine Ungeheuerlichkeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gemeint ist damit die Fünftagewoche, bei der jedes Wochenende frei sein soll.

  2. Rodo Hakusho (Arbeitsweißbuch), hrsg. vom Japan Institute of Labour, Tokyo 1989, S. 4.

  3. In der folgenden Darstellung (s. a. Tabelle 2) stütze ich mich auf die Untersuchung von Haruo Shimada, Shorter Working Hours, in: Japan Labour Bulletin, March 1989, S. 5 ff.

  4. Vgl. Monthly Labour Survey. hrsg. vom Arbeitsmini rium, zit. n. H. Shimada (Anm. 3).

  5. Vgl. H. Shimada (Anm. 3), S. 7.

  6. Vgl. ebd.

  7. Vgl. ebd., S.

  8. Ebd.

  9. Vgl. Renate Herold, Außenseiter im Aufschwung, in: Übersee Rundschau, 42 (1990) 167, S. 12.

  10. Chingin rodo jikan seido sogo chosa (Umfassende Untersuchung über das Lohn-und Arbeitszeitsystem), hrsg. vom Arbeitsministerium, zit. n. Mainichi Shimbun vom 31. Juli 1990, Morgenausgabe, S. 13.

  11. Vgl. Japan Labour Bulletin, hrsg. vom Japan Institut Labour, May 1984, S. 3.

  12. Stellvertretend für andere sei genannt Kosho Yamada, Rodo jikan to leisure life (Arbeitszeit und Freizeitgestaltung). Rodo fukushi no kiso chishiki no. 3 (Bd. 3 der Serie Grundwissen zur Arbeitswohlfahrt), Tokyo 1987.

  13. Vgl. Japan Labour Bulletin, hrsg. vom Japan Institute of Labour, June 1989, S. 2.

  14. Vgl. Fujin rodo no jitsujo (Situation der Frauenerwerbsarbeit). hrsg. von Rodosho Fujinkyoku (Frauenabteilung des Arbeitsministeriums), Tokyo 1989. Anhang S. 72f.

  15. Vgl. Japan Labour Bulletin, hrsg. vom Japan Institute of Labour. March 1990, S. 1 f.

  16. Vgl. ebd„ S. 2.

  17. Labour Issues Quarterly, (1989) 5, hrsg. vom Japan Institute of Labour.

  18. Vgl. Mitteilungen der Deutschen Industrie-und Handelskammer Japan, (1990) 1, Tokyo 1990, S. 12f.

  19. Vgl. ebd., S. 14.

  20. Vgl. Japan Labour Bulletin, hrsg. vom Japan Institute of Labour, October 1989, S. 2.

  21. Asahi Shimbun vom 19. Februar 1986, Abendausgabe, zit. n. Japan direkt, Nr. 7 vom Juli 1987, S. 49— 52.

  22. Vgl. Japan Labour Bulletin, hrsg. vom Japan Institute of Labour, February 1989, S. 4.

Weitere Inhalte

Renate Herold, Dr. phil., geb. 1949; Dozentin an der Ausbildungsstätte des japanischen Außenministeriums und freie Journalistin in Tokio. Veröffentlichungen u. a.: Die Blume am Arbeitsplatz. Japans Frauen im Beruf, Tübingen 1980; Arbeitsbeziehungen und Strukturen industrieller Arbeit in Japan. Kurseinheit 3 des Kurses „Arbeit und Ausbildung in Japan“ der Fernuniversität, Hagen 1986; (Hrsg.) Das Industrieunternehmen in Japan, Berlin 1986.