Die Ausformung der Lebenswege ist Ausdruck einer lebensverlaufsimmanenten Entwicklungsdynamik. Vorangegangene Erfahrungen und Ereignisse eröffnen einen Handlungsspielraum für nachfolgende Lebensphasen. Durch den Vergleich von Lebensverlaufsmustern von Menschen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten geboren wurden und damit unterschiedliche gesellschaftliche Bedingungen vorgefunden haben, läßt sich aufzeigen, wie diese die Struktur von Lebenswegen beeinflussen. Für Frauen der Geburtsjahrgänge 1929— 1931, 1939— 1941 und 1949— 1951 werden Veränderungen im Ausbildungsbereich sowie Ausbildungsverhalten aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund werden Wandlungstendenzen beim Übergang zur Ehe und zur Mutterschaft verfolgt. Frauen mit höherem Schulabschluß beginnen in den sechziger Jahren, sich vom allgemeinen Trend zur Familiengründung in immer jüngerem Alter abzusetzen. Diese Tendenz setzt sich in den siebziger Jahren, getragen durch Frauen der Geburtsjahre 1949— 1951, verstärkt fort. Nun schließen sich auch Frauen mit Mittlerer Reife in ersten Ansätzen dieser Gegenbewegung zum Globaltrend an. Die längerfristigen Effekte veränderter Ausbildungsbedingungen werden auch für das Erwerbsverhalten analysiert. Als allgemeine Entwicklung zeichnet sich ab, daß Frauen versuchen, Unterbrechungen der Erwerbsarbeit zeitlich aufzuschieben. Nicht mehr die Heirat, sondern zunehmend — in den sechziger Jahren beginnend — die Geburt des ersten Kindes, und in den siebziger Jahren zusätzlich die Geburt eines weiteren Kindes wird zum kritischen Einschnitt in der Berufsbiographie. Auch in das Zusammenspiel von Erwerbs-und Familienbiographie greift die Ausbildung strukturierend ein. Für Frauen mit Abitur bzw. Mittlerer Reife ist ab den sechziger Jahren die Ehe noch seltener ein Anlaß für eine Erwerbsunterbrechung als für Frauen mit Volksschulabschluß. Die Versorgung von Kindern ist indes für die Fortführung der Berufsarbeit für alle eine schwierige Hürde.
I. Einleitung
Aus der Sicht eines Menschen, der sich in den alltäglichen Routinen nicht mehr zu erkennen meint und befürchtet, in einer bereits vorstrukturierten Existenz zu versinken, werfen Cohen und Taylor die Frage auf: „Der Lebensplan ist eine Landkarte unserer Existenz. Vor uns liegen die Laufbahnen unserer Arbeit, unserer Ehe, unserer Freizeitinteressen, unserer Kinder und unserer materiellen Habe. Manchmal, wenn wir diese Landkarte genauer betrachten, diese Bahnen verfolgen, die Zeichen entschlüsseln, sind wir seltsam beunruhigt, durch die Vorhersagbarkeit der Reise, durch die Exaktheit der Karte, durch das Wissen, daß das heutige Wegstück genau wie das gestrige sein wird. Dies und nicht mehr soll unser Leben sein?“
Reagieren Menschen auf vorstrukturierte Lebenssituationen und -wege sowie auf Alltagsroutinen sicherlich ganz unterschiedlich, so stellt sich auch die Frage, ob diese Sicht des Lebens eine beständige oder eher eine vorübergehende ist. Indem durch den gesellschaftlichen Modernisierungsprozeß Entscheidungssituationen — und zwar sowohl Möglichkeiten als auch Zwänge — zunehmen, ist eine bestimmte Sichtweise unter Umständen häufiger in bestimmten sozialen Gruppen oder in bestimmten Lebensphasen zu erwarten.
An dieser Stelle soll nicht weiter auf den persönlichen Umgang mit den möglichen Routinen und Monotonien des Alltags eingegangen werden, und auch die subjektive Wahrnehmung und Verarbeitung im Hinblick auf eine zunehmende Zahl an erforderlichen Entscheidungen stehen nicht im Vordergrund. Statt dessen beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Frage, ob und in welchem Ausmaß in den Lebenswegen von jungen Frauen in den letzten drei bis vier Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland Veränderungen durchscheinen. Inwieweit geben die bereits faktisch gewordenen realen Lebensverläufe Hinweise auf veränderte individuelle Möglichkeiten und auf veränderte gesellschaftliche Erfordernisse?
Perspektiven auf globale Veränderungstendenzen — insbesondere auf die steigende Bildungspartizipation und das Bildungsniveau sowie die zunehmende Erwerbsbeteiligung, vor allem von verheirateten Frauen mit Familie — verleiten zu der Einschätzung eines ständig zunehmenden Fortschritts im Leben von Frauen Hierbei bleibt unberücksichtigt, inwieweit diese gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse auch bereits die Ausformung individueller Lebenswege entscheidend verändert haben, und ob alle sozialen Gruppen in gleicher Weise am Wandel partizipieren (können). Beck-Gernsheim formuliert vor dem Hintergrund dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unter Einbeziehung der subjektiven Dimension die Frage: „Wo sind damit im Wechsel der Frauengenerationen neue biographische Entwicklungslinien entstanden, die hineinführen in ein neues Stadium der Normal-biographie: die Hoffnung, aber auch der Zwang zu einem Stück , eigenem Leben"?" Sie zielt in dieser Frage nicht nur auf das Ausmaß und die Kristallisationspunkte der Veränderungen im Leben von Frauen ab, sondern weist auch auf die Chancen sowie die Problematik und Risiken hin, die dieser Prozeß für die einzelne Frau in sich birgt. So eröffnet der Wandel nicht nur neue, erweiternde Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation für Frauen, sondern er erfordert es auch, daß von den Individuen neue Lebensentwürfe entwickelt und realisiert werden. Hierbei jedoch, so Beck-Gernsheim, sind die Lebensperspektiven von Frauen „vorbildlos“ geworden, „offener und ungeschützter als früher“. Denn es kann keine bruchlose Übernahme der durch die Müttergeneration vorgelebten Lebenswege mehr erfolgen. Gleichzeitig sind neue Wege gesellschaftlich nicht oder nur vage vorgezeichnet und institutionell nur unzureichend geebnet.
In diesem Beitrag wird zunächst auf die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere die Ausbildungssituation eingegangen, die Frauen in den letzten Jahrzehnten vorgefunden haben. Wandlungstendenzen im Ausbildungsverhalten und bei Familiengründung für Frauen unterschiedlicher Geburtsjahrgänge werden als Ausdruck der sich verändernden Rahmenbedingungen nachgezeichnet. Darauf aufbauend werden die Auswirkungen dieses Wandels auf den weiteren Lebensweg auf individueller Ebene analysiert. Das Zusam-menspiel der Lebensbereiche Familie und Erwerbs-arbeit sowie der Einfluß des Ausbildungsniveaus auf Unterbrechungen der Berufsarbeit werden aufgezeigt
Die folgenden Analysen basieren auf retrospektiven Lebensverlaufsdaten, die im Projekt „Lebensverläufe und Wohlfahrtsentwicklung“ im Sonder-forschungsbereich 3 zwischen 1981 und 1983 erhoben wurden für alle Befragten wurde der Verlauf des bisherigen Lebensweges erfaßt. Es wurden Interviews mit 2171 Männern und Frauen durchgeführt, die zu einer der drei Geburtskohorten 1929— 1931, 1939— 1941, 1949— 1951 gehören. Bei den folgenden Analysen beziehe ich mich ausschließlich auf Frauen (1 086 Fälle). Vollständig vergleichbare Informationen über Ereignisse im Lebensverlauf sind für alle drei Kohorten bis zum Alter von 30 Jahren vorhanden, dem Alter der jüngsten Kohorte zum Zeitpunkt der Erhebung; die Analysen beschränken sich deshalb auf diese Lebensspanne.
II. Wandel im Ausbildungsverhalten und bei Familiengründung
Abbildung 2
Schaubild 2: Anteil der Frauen, die eine Ehe geschlossen haben. Altersabhängige Verteilungen (in Prozent).
Schaubild 2: Anteil der Frauen, die eine Ehe geschlossen haben. Altersabhängige Verteilungen (in Prozent).
1. Ausbildungsbereich Das allgemeinbildende Schulwesen hat sowohl in den institutionellen Regelungen als auch in den Bildungszielen und -inhalten sowie in den Zugangs-möglichkeiten in dem Zeitraum, in dem die drei ausgewählten Geburtsjahrgangsgruppen die Ausbildung durchliefen, erhebliche Veränderungen erfahren Frauen, die um 1930 geboren wurden, haben in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein Schulsystem durchlaufen, das durch die Ideologien und Praktiken der Nationalsozialisten geprägt war. Obwohl das dreigliedrige Schulsystem bereits früher etabliert worden war, bedienten sich die Nationalsozialisten einiger Merkmale zur Verwirklichung ihrer Ziele. Bereits nach der Grundschulzeit wurden die Schüler auf die drei Schultypen verteilt, und zwar weitgehend in Abhängigkeit vom sozialen Status der Eltern. Auf diese Weise wurden sehr früh berufliche Perspektiven und Lebenswege vor-strukturiert. Koedukation war weder im öffentlichen noch im privaten Schulsystem verankert; wurden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet, so wurde dies als „Notlösung“ bewertet und nicht als bewußt eingesetztes pädagogisches Mittel Eine weitere Komponente bei der Gliederung des Schulwesens war die Konfessionszugehörigkeit. Wenn ein Mädchen zu dieser Zeit eine höhere Schule besuchte, dann war es mit großer Wahrscheinlichkeit ein konfessionsgebundenes Mädchengymnasium. Mutterschaft und Familie wurden für Mädchen als zentrale Lebensperspektive im Lehrplan propagiert. „Schulen, die nur einer Teilgruppe offenstehen, tradieren nicht nur bestimmte Inhalte (z. B. religiöser Art); sie wirken auch beiläufig, indem sie jeden einzelnen stets an seine Mitgliedschaft in dieser Gruppe erinnern und so auch die Ausbildung einer Identität fördern, die durch das zugrundeliegende Merkmal definiert wird . . . Ähnlich erleichtert der Besuch nach Geschlechtern getrennter Bildungseinrichtungen die Ausbildung einer an diesem Merkmal orientierten Identität — und dies, ohne daß es zum Inhalt der Ausbildung gehören muß.“
Auch im außerschulischen Bereich wurde im Dritten Reich die geschlechtsspezifische Rollenverteilung ideologisch massiv untermauert. Die Nationalsozialisten verließen sich nicht nur auf die Schulerziehung, sondern versuchten, ihre ideologischen Vorstellungen auch über eine staatlich kontrollierte Jugendarbeit zu realisieren.
Die fatalen Auswirkungen des Krieges auf die Ausbildungsmöglichkeiten sind insbesondere für Frauen ganz offensichtlich. Die meisten Frauen der Geburtskohorte 1929— 1931 beendeten die Schulzeit am Ende des Krieges. Ihre Aussichten auf eine qualifizierte Berufsausbildung waren extrem schlecht. Das Absacken des Bildungsniveaus war zu dieser Zeit für Frauen unabhängig von der Herkunftsfamilie erheblich stärker als das der Männer Einige dieser Frauen mußten noch das soge-nannte Pflichtjahr in der Landwirtschaft oder im privaten Haushalt absolvieren. Es hatte sowohl die Funktion, den Arbeitsmarkt zu regulieren als auch die Lebensperspektiven der jungen Frauen zu lenken. Ebenfalls bedingt durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt mußten Frauen Tätigkeiten übernehmen, die traditionellerweise von Männern ausgeführt wurden. Gleichzeitig wurde ihnen aber eine qualifizierte Ausbildung für diese Stellen verwehrt Nur etwa jede dritte Frau dieses Geburtsjahrgangs konnte eine Berufsausbildung abschließen.
Frauen der nächsten Kohorte, um 1940 geboren, kamen unmittelbar nach Kriegsende in die Schule. Die Schulsituation war geprägt durch einen Mangel an Schulgebäuden, fehlende Lehr-und Lernmittel, überfüllte Klassen, und es galt zunächst, die kriegs-bedingte Mangelsituation zu überwinden. In den Organisationsstrukturen und pädagogischen Zielen knüpfte man im wesentlichen an die Weimarer Zeit an. Reformversuche, von den Besatzungsmächten in der unmittelbaren Nachkriegszeit ansatzweise initiiert, stießen in einigen, meist christdemokratisch regierten Ländern auf Widerstand oder wurden in den fünfziger Jahren wieder weitgehend zurückgenommen. Bis in die sechziger Jahre war das Schulsystem trotz einiger Reformansätze noch weitgehend nach alten Strukturen aufgebaut. Die Schüler wurden nach drei Kriterien „sortiert“, nämlich nach sozialer Herkunft, Geschlecht und Konfession.
Zu Beginn der sechziger Jahre begann eine breite Reformdiskussion über die Ausbildung. Sie wurde zum einen hervorgerufen durch die Situation am Arbeitsmarkt; man brauchte mehr und besser ausgebildete Arbeitskräfte. Zum anderen wurde sie stimuliert durch die wachsende Wahrnehmung gesellschaftlicher Ungleichheit. Die propagierten Ziele waren, bislang bildungsfemen Gruppen, nämlich Arbeiterkindern, Mädchen sowie Kindern aus ländlichen Regionen bessere Ausbildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Die 1950er Kohorte erlebte während der Schulzeit diese Diskussion und erste Ansätze der Umsetzung. Die Durchlässigkeit zwischen den bestehenden Schultypen erhöhte sich, der Zugang zu höheren Schulen nach der Grundschulzeit wurde erleichtert und zum Teil durch Einführung von Förder-und Orientierungsstufen zeitlich verschoben. 1971 wurde das Schülerbafög eingeführt und damit die finanzielle Förderung der Studenten verbessert und ausgeweitet. Im Vergleich zur Kohorte 1929— 1931 haben doppelt so viele Frauen der jüngsten Kohorte, nämlich 72 Prozent, eine qualifizierte Berufsausbildung abgeschlossen.
Nicht alle der in diesen drei Jahrzehnten propagierten Ziele wurden realisiert. Einige wurden sogar durch staatliche Maßnahmen ins Gegenteil verkehrt, so z. B. die während der Zeit des National
Sozialismus vertretene Mutterideologie durch die gleichzeitige Mobilisierung der Frauen und Mütter für die Rüstungsindustrie und den Arbeitsmarkt insgesamt. Auch die Umsetzung der Bildungsziele der sechziger Jahre erfolgte in den einzelnen Bundesländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Umfang. 2. Wandel im Ausbildungsverhalten Die Partizipation am Ausbildungssystem beinhaltet zum einen eine berufsqualifizierende Komponente, nämlich verbesserte Zugangschancen zu qualifizierten und höher dotierten beruflichen Tätigkeiten, die als „Nebenprodukt“ auch Lebensstil, Wohlfahrt und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten im außerberuflichen Bereich beeinflussen. Zum anderen bietet sie — je nach Ausbildungsinstitution in unterschiedlichem Ausmaß — einen Raum für Sozialisation, Reflexion und Persönlichkeitsentwicklung. In den jüngeren Geburtsjahrgängen erfährt die Ausbildungs-und damit auch die Jugendphase für Frauen aller drei Schultypen eine Verlängerung. Das Ende der Ausbildungsphase verschiebt sich mit den jüngeren Geburtsjahrgängen für alle, und somit sind bessere Möglichkeiten der Qualifizierung und zumindest potentiell bessere Chancen zur persönlichen Weiterentwicklung und Selbstfindung gegeben. Gleichzeitig ist aber zu konstatieren, daß die Art des Schulabschlusses noch immer in fast gleich-bleibend starkem Ausmaß die Lebensphase bis zum Alter von 30 Jahren prägt (Schaubild 1). Zwischen den Frauen der unterschiedlichen Schulabschlüsse gibt es einen altersmäßig deutlich versetzten Verlauf der Ausbildungsphase. Die Ausbildungszeiten haben sich hierbei für Frauen in Abhängigkeit von der Art des Schulabschlusses in unterschiedlichem Ausmaß verändert. Die bislang am stärksten benachteiligte Gruppe von Volksschülerinnen konnte im Vergleich zu Abiturientinnen in der Ausbildungspartizipation nicht überproportional aufholen. Es findet zwar eine Annäherung in der Ausbildungsdauer der Volksschülerinnen an Frauen mit Mittlerer Reife statt. So differierte die Ausbildungspartizipation in den vierziger Jahren zwischen Frauen mit Volksschulabschluß bzw. Frauen mit Mittlerer Reife im Median noch 4, 5 Jahre, in der jüngsten Kohorte, also in den sechziger Jahren, dagegen nur noch knapp zwei Jahre. Doch die Schere von den Volksschülerinnen zu den Abiturientinnen geht weiter auseinander; sie erweitert sich von sieben Jahren in der 1930er Kohorte auf acht Jahre in der 1950er Kohorte. Abiturientinnen sind in allen drei Kohorten von der Dauer der Ausbildung her gesehen privilegiert, das ergibt sich schon allein aus der längeren Schulzeit. Hinzu kommt nun, daß sie auch von der Bildungsexpansion am stärksten profitiert haben. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß der Anteil der Frauen, denen früher nur der Zugang zur Volksschule offenstand. kleiner geworden ist, also mehr Frauen die Realschule oder das Gymnasium besuchen können. 3. Veränderungen bei Familiengründung Heirat Für die zentralen Ereignisse der Familiengründung, also Heirat und Elternschaft, werden im folgenden Veränderungen in der zeitlichen Lagerung zum einen als allgemeine Entwicklungstendenzen aufgezeigt, zum anderen werden sie als Ausdruck und Folge veränderter gesellschaftlicher Ausbildungsbedingungen interpretiert. Die Eheschließung ist ein — mit abnehmender Bedeutung — strukturierendes Merkmal für den Lebensverlauf. Für Frauen ist es in der gesellschaftlichen Wahrnehmung im Hinblick auf die Zuschreibung des Erwachsenen-status vielleicht sogar noch heute sozial das entscheidendere Ereignis im Vergleich zur Aufnahme der Erwerbsarbeit. Ehe und Fertilität sind in industrialisierten Gesellschaften auf der individuellen Ebene eng miteinander verknüpft. Ehen werden zunehmend im Hinblick auf eine Realisierung des Kinderwunsches geschlossen, und gesellschaftlich ist Fertilität (fast) nur in der Ehe akzeptiert. Im folgenden werden sowohl die Veränderungen beim Zeitpunkt der Eheschließung als auch bei der Geburt des ersten Kindes in Abhängigkeit von der Art des Schulabschlusses aufgezeigt.
Frauen der Geburtsjahrgänge 1929— 1931 und 1939— 1941 zeigen bei Heirat in den fünfziger bzw.sechziger Jahren noch ein sehr ähnliches Verhalten (Schaubild 2). Ihre jeweils altersmäßig spezifizierten Kurvenverläufe der Eheschließung verlaufen parallel, wobei Frauen der 1940er Kohorte bei jeder Altersstufe bereits einen etwas höheren Anteil geschlossener Ehen aufweisen, d. h. in den sechziger Jahren haben mehr Frauen in jüngerem Alter geheiratet. Durch das sogenannte Wirtschaftswunder waren materiell günstige Bedingungen für den Aufbau einer Familie gegeben, und gleichzeitig erfuhren traditionelle Weiblichkeits-und Familienideologien eine Restaurierung. Das Heiratsverhalten der nachfolgenden Generation von Frauen, die 1949— 1951 geboren wurden, zeigt im Alter von Anfang 20 ebenfalls noch deutliche Parallelen zu dem der älteren Kohorten. Der Heiratszeitpunkt verlagert sich weiter nach vorn, d. h. auch noch zu Beginn der siebziger Jahre heiraten mehr Frauen in zunehmend jüngerem Alter. Mit 21 Jahren haben bereits fast 45 Prozent von ihnen eine erste Ehe geschlossen; für die älteren Kohorten lag der Anteil in diesem Alter erst bei 25 bzw. 35 Prozent. In der Altersspanne von Mitte bis Ende 20 zeichnet sich Ende der siebziger Jahre indes eine Veränderung ab. Bei denjenigen Frauen, die bis zum Alter von 25 Jahren noch nicht geheiratet haben, fällt die Heiratswahrscheinlichkeit sogar unter das Niveau der mittleren und älteren Kohorte. Verhielt sich ein Teil der um 1950 geborenen Frauen in den siebziger Jahren somit dem Trend entsprechend und heiratete zunehmend früher, so verschiebt ein anderer Teil die Heirat entgegen dem noch anhaltenden allgemeinen Trend auf einen späteren Zeitpunkt oder hat unter Umständen gar nicht die Absicht zu heiraten. Diese Veränderungen sind nicht nur auf allgemeine gesellschaftliche Bedingungen Ende der siebziger Jahre zurückzuführen, sondern vielmehr ist zu beobachten, daß Frauen sich in Abhängigkeit von der Art des Schulabschlusses zunehmend unterschiedlich verhalten. Für Frauen der ältesten Kohorte 1929 — 1931 hatte das schulische Ausbildungsniveau noch keinen Einfluß auf die Entscheidung, ob sie bis zum Alter von 30 Jahren heiraten würden. Das ändert sich bereits für die mittlere Kohorte.
Frauen mit Volksschulabschluß oder Mittlerer Reife heiraten — dem allgemeinen Trend der sechziger Jahre entsprechend — sehr früh, d. h. in jüngerem Alter als Frauen mit dem gleichen Ausbildungsstand ein Jahrzehnt zuvor. Frauen mit Abitur machen diese Entwicklung jedoch nicht mit; sie verursachen einen — in der Globalentwicklung noch nicht registrierbaren — Gegentrend. Bei den um 1950 geborenen Frauen wird die Ausdifferenzierung in Abhängigkeit vom Schulabschluß noch augenfälliger. Abiturientinnen setzen sich erneut deutlich vom Trend einer frühen Eheschließung ab; neu ist, daß nun auch Frauen mit Mittlerer Reife nicht mehr im gleichen Ausmaß dem Globaltrend folgen. Während Frauen mit Volksschulabschluß in den letzten drei Jahrzehnten eine zunehmende Neigung zur Eheschließung und darüber hinaus zur frühen Heirat zeigen — der relative Anteil der vor dem Alter von 30 Jahren geschlossenen Ehen steigt zwischen den Kohorten von 90 auf 95 Prozent — sinkt diese leicht bei Frauen mit Mittlerer Reife und in starkem Ausmaß bei Abiturientinnen (Schaubild 2).
Der Begriff Schulabschluß muß hierbei, wie auch im folgenden, als Indikator verstanden werden, denn es ist natürlich nicht das Zertifikat an sich, das das Verhalten prägt, sondern vielmehr sind es Prozesse, die sich über Jahre erstrecken und sowohl die Dimension der Sozialisation als auch der Kognition, den Zugang zu und die Aneignung von Informationen und Wissen betreffen. Darüber hinaus hat der Bedeutungsgehalt dieses Merkmals im sozialhisto rischen Wandel selbst eine Veränderung erfahren. Obwohl der formale Rahmen, wie die Dauer und die mit dem Abschluß erlangten Zugangsberechtigungen, sich in dem betrachteten Zeitraum nicht oder nur minimal verändert haben, kann nicht von einem gleichen Bedeutungsgehalt des Schulabschlusses für das Individuum ausgegangen werden. Die Institutionen, Bildungsinhalte und Erziehungsziele haben einen Wandel erfahren. Auch eine veränderte Erwartungshaltung im Hinblick auf den Stellenwert von Bildung sowohl von elterlicher Seite als auch von Seiten der jungen Frauen sowie eine zunehmende Veränderung in der sozialen Zusammensetzung der Mädchen, die einen höheren Schulabschluß erreichen, muß bei der Interpretation der Indikatorvariable Schulabschluß bedacht werden. Es ist also nicht allein die Anzahl von Jahren des Schulbesuchs wesentlich, sondern es gilt, bei der Bedeutung des Stellenwerts der Ausbildung für den Lebensweg die allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie durchlaufen wurde, sowie die jeweiligen Ausbildungsinhalte und -ziele mit zu berücksichtigen.
Geburt des ersten Kindes Bei der Betrachtung der nach Kohorten und Alter aufgeschlüsselten Anteilskurve von Frauen mit Kind springt die Ähnlichkeit zur Anteilskurve der geschlossenen Ehen unmittelbar ins Auge (Schaubilder 2 und 3), sie haben ein fast paralleles Verlaufsmuster. Der Anteil der Frauen, die mindestens ein Kind haben, liegt für jede Altersstufe auf einem etwas niedrigeren Niveau als die entsprechenden Werte der Heiratskurve. Frauen der jüngeren Geburtsjahrgänge bekommen im Durchschnitt jeweils etwas früher das erste Kind als Frauen der jeweils älteren Kohorte. Dieser Trend — Familiengründung in zunehmend jüngerem Alter — hält bis zum Beginn der siebziger Jahre an. Mit 21 Jahren war in der ältesten Kohorte erst jede fünfte (22 Prozent), in der mittleren jede vierte (27 Prozent) und in der jüngsten bereits jede dritte Frau Mutter geworden (35 Prozent). In den Lebensjahren danach erfährt bereits Anfang der siebziger Jahre der Trend eine Verlangsamung bzw. eine Wende. Der Anteil von Frauen mit Kind nimmt nicht weiter mit der aus einer Verlängerung der älteren Kohorten gedachten Steigerung zu. Trotz einer ähnlichen Entwicklung wie bei der Heirat fällt die zeitlich frühere und stärker ausfallende Wende auf. Mit 22 Jahren liegt der Anteil der um 1950 geborenen Frauen, die mindestens ein Kind haben, schon unter dem der mittleren Kohorte, ab 25 liegt er sogar unter dem der ältesten Kohorte. Mit 30 Jahren haben erst 77 Pro-B zent mindestens ein Kind, in der mittleren und ältesten Kohorte lag der Anteil bereits bei etwa 86 Prozent. Das Ausscheren aus dem Trend zur Familiengründung in immer jüngeren Jahren fällt bei der Geburt des ersten Kindes also deutlicher aus als beim Übergang zur Ehe.
Auch bei einer Differenzierung nach der Art des Schulabschlusses findet sich die Tendenz, wie sie sich bei der Heirat zeigte, wieder, und zwar noch ausgeprägter. Frauen mit Volksschulabschluß hatten in den fünfziger Jahren etwas früher geheiratet als Frauen mit mittlerem und höherem Abschluß im selben Jahrzehnt. Genau dies wiederholt sich bei der Geburt des ersten Kindes. Frauen der Geburtskohorte 1929— 1931 mit Realschulabschluß und Abitur unterscheiden sich in den fünfziger Jahren in ihrem Verhalten beim Übergang zur Mutterschaft kaum voneinander, die Kurvenverläufe differieren maximal 15 bis 20 Prozentpunkte. Im Alter von 30 Jahren, also Ende der fünfziger Jahre, haben zwischen 70 und 80 Prozent mindestens ein Kind. In den sechziger Jahren beginnt, verfolgt an den Frauen, die ein Jahrzehnt später geboren wurden, der Schulabschluß — ebenso wie bei der Eheschließung — stärker differenzierend auf das Fertilitätsverhalten einzuwirken. Frauen mit Abitur setzen sich von Frauen mit Volksschulabschluß und Mittlerer Reife ab. Sie haben in jeder Altersstufe nun zu erkennbar niedrigeren Anteilen ein Kind. In der nächsten, der jüngsten Kohorte hat sich dann in den siebziger Jahren die Prägung des Fertilitätsverhaltens durch den Schulabschluß noch deutlicher herausgeschält. Die Kurven mit den kumulierten Anteilswerten liegen bei allen drei Schulabschlüssen in jedem Alter auf deutlich unterschiedlichen Niveaus. So haben z. B. mit 25 Jahren fast 65 Prozent der Frauen mit Volksschulabschluß, 45 Prozent der Frauen mit Mittlerer Reife, aber noch nicht einmal zehn Prozent der Abiturientinnen mindestens ein Kind. Im Alter von 30 Jahren haben sie sich etwas angenähert, es besteht aber immer noch eine Differenz von fast 40 Prozentpunkten; 85 Prozent der Frauen mit Volksschulabschluß haben mindestens ein Kind, aber erst knapp 50 Prozent der Frauen mit Abitur. Die Abiturientinnen sind diejenigen, die beginnend mit der Heirat und fortgesetzt mit der Geburt des ersten Kindes, aus dem allgemeinen Trend ausbrechen.
III. Familie und Erwerbsarbeit
Abbildung 3
Schaubild 3: Anteil der Frauen, die mindestens ein Kind haben. Altersmäßige Verteilungen (in Prozent).
Schaubild 3: Anteil der Frauen, die mindestens ein Kind haben. Altersmäßige Verteilungen (in Prozent).
Die Veränderungen im Ausbildungsverhalten und bei der Familiengründung sind Ausdruck und Teil des gesamtgesellschaftlichen Wandels. Gleichzeitig sind sie für jede einzelne Frau unmittelbar und längerfristig von großer Bedeutung. Der Frage, in welcher Weise diese Ereignisse auf den weiteren Lebensweg einwirken und wie sich ihr Einfluß in der betrachteten Periode verändert hat, wird im folgenden im Hinblick auf das Erwerbsverhalten nachgegangen. Das Erwerbsverhalten steht in enger Beziehung zur familiären Entwicklung. Das Zusammenspiel beider Lebensbereiche wurde bislang meist mit dem Familienzykluskonzept analysiert. Obwohl die Familie dabei als sich verändernde Einheit wahrgenommen wird, ist die dem Konzept zugrundeliegende Idee eine statische und greift deshalb in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Das Konzept geht, was immer wieder kritisiert worden ist, davon aus, daß die familiäre Entwicklung von allen in gleicher Weise durchlaufen wird. Dies betrifft sowohl das Eintreten als auch die sequentielle Abfolge von Ereignissen. Eine Auflösung der Familie durch Scheidung gibt es nicht. Darüber hinaus ist die Phaseneinteilung viel zu grob, als daß sich unmittelbare Auswirkungen familiärer Ereignisse auf Wechsel zwischen Erwerbstätigkeit und Nicht-Erwerbstätig-keit erfassen ließen. Empirischen Analysen lagen fast ausnahmslos Querschnittsdaten zugrunde, auf deren Basis Unterschiede zwischen Altersgruppen in inhaltlich und methodisch unzulässiger Weise als lebenszyklische Entwicklungen interpretiert wurden. Da die eigenen folgenden Analysen auf individuellen Längsschnittdaten basieren, lassen sich Aussagen über das strukturelle Zusammenspiel von Erwerbs-und Familienarbeit — ausgehend vom Zusammenwirken auf Individualebene — als Prozeß darstellen. Sowohl die unmittelbaren Auswirkungen familiärer Ereignisse (Heirat, Geburt des ersten Kindes sowie weiterer Kinder), als auch die von länger andauernden Statusphasen (verheiratet — ohne Versorgungsaufgaben für Kinder sowie mit einem bzw. mit mehreren Kindern) werden berücksichtigt. Zwischen Ereignis-und Statusphasen zu differenzieren, ist aus theoretischen Gründen wünschenswert. In einer eng begrenzten Zeitspanne um ein Ereignis herum ist mit einer deutlich erhöhten Zahl an Erwerbsunterbrechungen zu rechnen, da unmittelbar Entscheidungen und deren praktische Umsetzung anstehen. In den anschließenden Status-phasen haben sich dagegen Routinen für den Alltag etabliert. Die vergleichende Analyse über das Zusammenwirken von Familien-und Erwerbsarbeit auf der Basis der ausgewählten unterschiedlichen Geburtsjahrgangsgruppen ermöglicht Aussagen über Prozesse des Wandels. In der Periode seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Einfluß familiärer Veränderungen auf Entscheidungen über Erwerbsunterbrechungen fast durchweg hoch. Familiäre Ereignisse strukturieren das Leben von Frauen nicht nur im Familienbereich, sondern ebenso im Erwerbsbereich und damit in zwei zentralen Lebensbereichen Die Bedeutung einzelner familiärer Ereignisse bzw. Phasen hat im historischen Prozeßjedoch einen Wandel erfahren. Es findet eine Verlagerung des Unterbrechungsrisikos auf spätere Phasen der Familienentwicklung statt. Das Ereignis der Eheschließung ist zunehmend seltener ein kritischer Einschnitt im Erwerbsleben, und auch die Phase des Verheiratet-seins, wenn noch keine Kinder zu versorgen sind, hat für Erwerbsunterbrechungen deutlich an Bedeutung verloren. Zum Zeitpunkt der Heirat unterbrechen zwar noch in allen drei Kohorten jeweils signifikant mehr Frauen die Erwerbsarbeit verglichen mit Frauen, bei denen unmittelbar keine Heirat bevorsteht, doch nimmt der unmittelbare Effekt der Heirat auf die Erwerbsbeteiligung in den siebziger Jahren deutlich ab. Hatten in den fünfziger Jahren Frauen bei Heirat eine um das fünfzehnfache, in den sechziger Jahren eine um das zwanzigfache erhöhte Neigung, eine Erwerbspause einzulegen, so hat sich dies auf das sechsfache in den siebziger Jahren reduziert. Nach der Heirat, also während der Ehe, unterscheiden sich Frauen, sofern noch keine Betreuungsaufgaben für ein Kind anstehen, bereits seit den sechziger Jahren im Hinblick auf Unterbrechungen der Erwerbsarbeit nicht mehr von den ledigen Frauen; nicht verheiratete und verheiratete Frauen ohne Kinder verhalten sich also fast gleich.
Dagegen gewinnen Übergangsphasen zur Elternschaft und die daran anschließende Phase der Versorgung und Betreuung von Kindern an Bedeutung.
Von den fünfziger zu den sechziger Jahren hat das Unterbrechungsrisiko bei Geburt des ersten Kindes einen erheblichen Anstieg erfahren. Waren also Frauen der ältesten Kohorte nicht dem in den fünfziger Jahren üblichen Muster gefolgt, nämlich bereits bei Heirat die Berufstätigkeit aufzugeben, sondern blieben in dieser Familienphase weiterhin erwerbstätig, so haben sie in den anschließenden Phasen der Familienentwicklung in geringerer Zahl die Erwerbsarbeit unterbrochen als Frauen jüngerer Geburtsjahrgänge. Diese Frauen sind vermutlich aus einer materiellen Notwendigkeit heraus einer Erwerbsarbeit nachgegangen. In den sechziger Jahren dagegen führte die wirtschaftliche Konjunktur bei gleichzeitig deutlich ausgeprägten geschlechtsspezifischen Erwartungen zu einer starken Familienorientierung. Ein Jahrzehnt später wird dann zu-sätzlich die Geburt eines weiteren Kindes zu einem kritischen Punkt in der Erwerbsbiographie. War in den fünfziger Jahren die Wahrscheinlichkeit, bei der Geburt des zweiten Kindes die Erwerbsarbeit zu unterbrechen nur um das dreifache höher als für verheiratete Frauen mit einem Kind, so erhöht sie sich in den sechziger Jahren auf das sechsfache und in den siebziger Jahren auf das fünfzehnfache. Die zeitliche Verlagerung bei Frauen der jüngeren Kohorten kann als Versuch gewertet werden, Beruf und Familie verbinden zu wollen; im Alltag kollidieren die Anforderungen häufig aber zu stark, und Frauen legen eine Erwerbspause ein.
Der gleichzeitige Übergang in Ehe und Elternschaft, die sogenannte Mußehe, hat in den fünfziger Jahren seltener zu Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit geführt als zehn Jahre später; in den sechziger Jahren war die Wahrscheinlichkeit für eine Erwerbspause in dieser doppelten familiären Übergangsphase extrem hoch. In den siebziger Jahren hat sich die Unterbrechungsneigung bei diesem doppelten Ereignis im Vergleich zu den sechziger Jahren dann wieder signifikant gesenkt. Für die fünfziger Jahre läßt sich vermuten, daß das Doppel-ereignis häufig nicht geplant war und Frauen zunächst erwerbstätig bleiben mußten, um mit zur materiellen Reproduktion beizutragen; in den siebziger Jahren dagegen wird häufig bewußt erst dann geheiratet, wenn bereits ein Kind unterwegs ist, und es wird versucht, die berufliche Tätigkeit fortzusetzen. Neben den Ereignissen, die die familiäre Entwicklung abbilden, beginnt insbesondere das schulische Ausbildungsniveau auf den Entscheidungsprozeß über eine Erwerbsbeteiligung Einfluß zu nehmen. In den fünfziger Jahren spielte die Ausbildung in diesem Entscheidungsprozeß bei jungen Ehefrauen noch keine Rolle; Frauen mit unterschiedlichen Ausbildungswegen verhielten sich in den einzelnen Phasen der Familienentwicklung noch sehr ähnlich. Diese Frauen hatten während des Dritten Reiches das Ausbildungssystem durchlaufen, das von der Struktur her und auch in den Bildungsinhalten das traditionelle Weiblichkeitsbild direkt förderte. In dieser Periode wurden auch in mittleren und höheren Bildungsinstitutionen die Begrenzungen des traditionellen weiblichen Lebenswegs nicht reflektiert. Es ist sogar das Gegenteil der Fall, daß nämlich gerade hier ideologisch und sozialisatorisch in den Bildungsinhalten und Prüfungen auf die Aneignung des traditionellen Frauenbildes hingearbeitet wurde, eine Situation, die Beck-Gernsheim als „Getto weiblicher Bildungsinhalte“ charakterisierte. In den sechziger Jahren beginnt eine neue Entwicklung, die von den um 1940 geborenen Frauen initiiert und von den Frauen der nächsten Generation weitergeführt wird. In der ersten, der kinderlosen Phase der Ehe scheiden in den sechziger Jahren besser ausgebildete Frauen seltener aus dem Erwerbsleben aus als Frauen der gleichen Kohorte, die nur eine Grundausbildung haben. Darüber hinaus unterscheiden sich Frauen mit Mittlerer Reife bzw. Abitur in ihrem Unterbrechungsverhalten signifikant von Frauen mit gleichem Schulabschluß, die zehn Jahre früher, also 1929— 1931, geboren wurden. Es hat in dieser Familienphase ein erkennbarer Schritt im Wandlungsprozeß stattgefunden. Sobald jedoch Kinder zu betreuen sind, sehen besser ausgebildete Frauen der mittleren Kohorte in den sechziger Jahren ihre Hauptaufgabe in der Versorgung der Familie und verlassen sogar mit einer größeren Wahrscheinlichkeit den Arbeitsmarkt als Frauen, die die Volksschule besuchten. Die traditionellen Vorstellungen von den Aufgaben einer Frau setzen sich faktisch auf der individuellen Verhaltensebene durch.
In den siebziger Jahren, in denen Heirat und Ehe für alle Frauen im Hinblick auf die Erwerbsbeteiligung an Bedeutung verloren haben, setzt sich der Trend zu geringeren Unterbrechungsrisiken für besser ausgebildete Frauen in der ersten Ehephase noch weiter fort. Wieder scheiden Frauen mit Mittlerer Reife oder Abitur in der kinderlosen Ehe-phase seltener aus dem Berufsleben aus als Frauen mit Volksschulabschluß des gleichen Geburtsjahr-gangs. Darüber hinaus hat sich das Unterbrechungsrisiko dieser besser ausgebildeten Frauen im Vergleich zu Frauen mit gleichem Schulabschluß, die ein Jahrzehnt zuvor geboren wurden und in den sechziger Jahren eine Ehe geschlossen haben, erneut signifikant reduziert. Zwischen den sechziger und siebziger Jahren findet nochmals ein deutlicher Sprung im Prozeß des Wandels statt. Auch Kinder sind für besser ausgebildete Frauen in den siebziger Jahren kein Anlaß mehr für eine erhöhte Neigung für Erwerbspausen. Die Wahrscheinlichkeit, daß Frauen mit mittlerem oder höherem Schulabschluß in den siebziger Jahren eine Erwerbspause einlegen, wenn sie Kinder haben, ist bereits etwas geringer als bei Frauen mit Volksschulabschluß des gleichen Jahrgangs, der Unterschied ist aber — noch — nicht signifikant. Der Veränderungsprozeß zwischen den sechziger und siebziger Jahren jedoch, nämlich das abnehmende Risiko für Unterbrechungen während der Elternschaft für Abiturientinnen bzw. Realschulabsolventinnen, ist von signifikantem Ausmaß. Einen ähnlichen, aber deutlich schwächer ausgeprägten und nicht signifikanten Bedeutungswandel für die Strukturierung des Lebensverlaufs von Frauen erfährt die berufliche Bildung.
IV. Schlußbemerkung
In der Phase des jungen Erwachsenenalters, in der Entscheidungen über Heirat und Elternschaft sowie — fast ausschließlich für Frauen — über eine Verknüpfung von Familien-und Erwerbsarbeit anstehen, deutet sich eine Zunahme an Entscheidungssituationen an, und es zeichnen sich Veränderungen im Verhaltensbereich ab. Es findet jedoch kein geradliniger und kontinuierlicher Wandel statt, sondern die Ausformung von Lebenswegen wird durch die jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. So führten die gesellschaftlichen Bedingungen in den sechziger Jahren mit dem enormen Wirtschaftswachstum und ausgeprägten geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen zu einer starken Familienorientierung und zu einer früheren Familiengründung als dies sowohl ein Jahrzehnt früher, also in den fünfziger, als auch ein Jahrzehnt später, also in den siebziger Jahren, der Fall war.
Insbesondere die in der Jugend erfahrene Ausbildungssituation beginnt in den drei hier beobachteten Jahrzehnten, in zunehmendem Maß strukturierend auf die Lebensgestaltung Einfluß zu nehmen. Die Veränderungen im Ausbildungsverhalten ziehen Veränderungen bei Familiengründung nach sich und beeinflussen Erwerbsentscheidungen im späteren Lebensweg. Ausbildungszertifikate eröffnen oder verschließen den Zugang zu bestimmten beruflichen Positionen; diese formalen Qualifikationsanforderungen sowie die Länge der allgemeinbildenden schulischen Ausbildung haben sich in dem hier betrachteten Zeitraum kaum verändert. Gleichzeitig jedoch sehen wir deutliche Unterschiede zwischen den Frauen der drei ausgewählten Geburtsjahrgänge in den Auswirkungen der Ausbildung auf den weiteren Lebensweg. Dies weist darauf hin, daß nicht nur der Ausbildungsdauer, sondern auch den Ausbildungsinhalten, -zielen und -Situationen eine entscheidende Rolle für den weiteren Lebensweg zukommt. Sie können zu einem qualitativen Sprung bei den individuellen Lebens-perspektiven führen.
AngelikaTölke, Dr. phil., geb. 1953; 1972— 1978 Studium der Soziologie in Frankfurt; 1979— 1986 wiss. Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich 3; seit 1987 wiss. Referentin am Deutschen Jugendinstitut in München. Veröffentlichungen u. a.: Zentrale Lebensereignisse von Frauen. Veränderungen im Lebensverlaufsmuster in den letzten 30 Jahren, in: H. -G. Brose (Hrsg.), Berufsbiographien im Wandel, Opladen 1986; Historische Ausgangssituation und Veränderungen im Ausbildungs-und Erwerbsverhalten junger Frauen in der Nachkriegszeit, in: W. Voges (Hrsg.), Methoden der Biographie-und Lebenslaufforschung, Leverkusen 1987; (zus. mit H. Bertram/J. Marbach) Soziale Netze, Zeit und Raum als Methodenprobleme in der Familienforschung, in: R. Nave-Herz/M. Markefka (Hrsg.), Handbuch der Familien-und Jugendforschung, Bd. 1, Neuwied 1989; Lebensverläufe von Frauen, München 1989.
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