I. Frauengeschichte — Historische Frauenforschung — Feministische Geschichtswissenschaft: Worum geht es?
Im folgenden ist in allererster Linie von der Frauengeschichtsforschung die Rede. Heute, nach weniger als 15 Jahren des kreativen Streitens und der intensiven frauengeschichtlichen Forschung, kann von der Frauengeschichte als einer akademischen Disziplin gesprochen werden, die stolze Ergebnisse aufzuweisen hat. Auf dem nächsten Historikerkongreß im September dieses Jahres in Münster werden nicht weniger als drei Sektionen von Historikerinnen gestaltet bzw. werden Fragen der Frauen-oder Geschlechtergeschichte verhandelt. Jürgen Kocka leitet eine Sektion zum Thema „Klasse und Geschlecht“ im 19. Jahrhundert. Dies ist ein großer Fortschritt, denken wir zurück an seine früheren, apodiktischen Äußerungen zur relativen Irrelevanz des Geschlechts als einer sozial bestimmenden, historischen Kategorie. Zwei weitere Sektionen sind den Themen der Geschlechteridentitäten von Frauen und Männern im 14. bis 16. Jahrhundert unter der Leitung von Heide Wunder sowie den Bedingungen und Formen weiblicher Lebensgestaltung im frühen Mittelalter gewidmet. In anderen Sektionen bilden frauengeschichtliche Themen einen Bestandteil der allgemeinen Fragestellung. Erinnern wir uns, daß die Anfänge der Frauengeschichtsforschung in dem außeruniversitären Bereich lagen, daß das erste Auftreten der Frauengeschichte auf dem Historikertag in Berlin noch als eine kleine Sensation galt, daß hier zwar sachkundig und professionell, aber noch recht ängstlich nur von „Frauenräumen“ gesprochen wurde, so ist unbestreitbar, daß die Frauengeschichte sich innerhalb einer relativ kurzen Zeit erfolgreich in der akademischen Welt der Historikerschaft zu behaupten verstanden hat. Hier zeigen sich reale Fortschritte, die auch materielle Verbesserungen widerspiegeln. Denn wir haben es in den letzten Jahren mit einer Erweiterung der Personalstellen für Historikerinnen mit dem Schwerpunkt Frauen-bzw. Geschlechtergeschichte und Sozialgeschichte der Frau zu tun. Diese gewiß kleinen Verbesserungen gingen mit einem quantitativen und qualitativen Zuwachs an frauengeschichtlicher Forschung, einer größeren Präsenz von Frauengeschichtsforscherinnen auf Fachtagungen und in Fachorganen im In-und Ausland Hand in Hand.
Worum geht es nun bei dieser wissenschaftlichen Disziplin, die in relativ kurzer Zeit einen Platz in der akademischen Welt gefunden hat und die sich noch immer um ihre eigene Selbstdefinition bemüht?
Die Frauengeschichte als eine akademische Disziplin versteht sich heute vornehmlich als eine in ihrer Selbstdefinition noch offene Geschichtswissenschaft. Dabei siedelt sie sich in der Nähe der progressiveren Tendenzen innerhalb der eigenen Fach-wissenschaft an: Frauengeschichte ist somit in erster Linie gleichbedeutend mit einer Sozialgeschichte der Frauen innerhalb des breiteren Verständnisses der Geschichtswissenschaft als einer historischen Sozialwissenschaft. Auch die wichtigsten, einschlägigen Publikationen lassen sich unter diesem Aspekt der Sozialgeschichte der Frauen subsumieren, wobei die Tendenz nicht zu verkennen ist, das Geschlecht als eine, beide Geschlechter gleichermaßen betreffende Kategorie in den Vordergrund zu stellen. Die neue Zeitschrift „Gender and history“ spiegelt ebenso wie die Bezeichnung „Geschlechtergeschichte“ oder die Benennungen der frauengeschichtlich relevanten Sektionen auf dem kommenden Historikertag diese Tendenz wider.
Dieses Verständnis der Frauengeschichte als einer sozialgeschichtlichen Teildisziplin erscheint auf den ersten Blick unproblematisch und plausibel. „Eine wichtige Verbindungslinie besteht zwischen der historischen Frauenforschung und der neueren Sozialgeschichte. Beide Forschungsfelder interessieren sich für die Menschen auf der „Unterseite“ oder „im Dunkel der Geschichte“, für den Alltag der Frauen als zentralem Untersuchungsfeld. Sie haben über weite Strecken gemeinsam neue Quellen ausfindig gemacht, neue Forschungsmethoden erprobt und die üblichen historischen Periodisierungen in Frage gestellt.“
Ute Gerhard macht allerdings auch auf die Differenz zwischen Frauen-und Sozialgeschichte aufmerksam: „Trotzdem beansprucht feministische Geschichtsforschung mehr als nur ein Teilgebiet der Neuen Sozialgeschichte zu sein. Zum einen, weil der historische Ort der Frauen nicht nur das Alltagsleben oder die Familie war, eine so verengte historische Perspektive trägt dazu bei, Frauen erneut auszugrenzen bzw. einzukerkern. Zum anderen zeigt sich etwa in den Untersuchungen zur Frauenarbeit und zur Geschichte der Familie immer wieder, daß auch die Sozialgeschichte nach wie vor mit Konzepten und Kategorien arbeitet, die ihren , male bias‘ nicht verleugnen können, z. B. wenn die Herrschaftsverhältnisse in der Institution Familie nicht thematisiert werden.“
Auch der Blick zurück auf die Anfänge der Sozial-geschichte macht auf die Gefahren einer vorschnellen Definition der Frauengeschichte als einem sozialgeschichtlichen Teilgebiet aufmerksam. Denn die scheinbare Selbstverständlichkeit, daß die geschichtswissenschaftliche Wendung zur Sozial-, Struktur-und heute zur Gesellschaftsgeschichte auch der Frauengeschichte zugute käme, täuscht. Bodo von Borries hat in seiner empirischen Erhebung zur Beachtung von frauengeschichtlichen Inhalten in der jüngsten Geschichtsforschung auf diese Problematik aufmerksam gemacht Gerade bei den progressiven Vertretern einer erweiterten Sozial-bzw. Gesellschaftsgeschichte wird die Frauengeschichte in einer eklatanten Weise unterrepräsentiert. So beziehen sich z. B. in der Deutschen Gesellschaftsgeschichte von Wehler nur 1, 5 Prozent der geschlechtsbestimmten Nennungen auf Frauen. Diese Prozentzahl liegt deutlich niedriger als bei seinen weniger sozialgeschichtlich orientierten Kollegen (2, 8 Prozent bei Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1800— 1866, München 1983; 4 Prozent bei Lutz/Stürmer/Schulze/Thamer, Die Deutschen und ihre Nation, 1815 — 1945, 4 Bde., Berlin 1982/86 und 8, 7 Prozent bei Friedrich Prinz/Alfred Haverkamp, Neue deutsche Geschichte, 2 Bde., München 1984/85).
Die Erweiterung unserer historischen Perspektive unter Beachtung einer scheinbar geschlechtsneutralen Begrifflichkeit führte zunächst zu einem weiteren Vergessen der Frauen und ihrer Geschichte. Die neue Sozialgeschichte unterlag dem weitverbreiteten Vorurteil, daß die Frauen in den sozialgeschichtlichen Kategorien mit einbeschlossen waren. Die Sozialhistoriker erkannten nicht, daß sie nur den „kleinen Mann“, nicht aber die „kleine Frau“ in das historische Blickfeld gerückt hatten. Die „großen Frauen“, die noch in den fünfziger Jahren einen festen Platz in der Geschichtswissenschaft und in den Schulgeschichtsbüchern einnahmen, traten zusammen mit einigen „großen Männern“ von der historischen Bühne ab. Die Wende in der Geschichtswissenschaft Mitte der sechziger Jahre führte somit keineswegs zu einer Entdeckung der Sozialgeschichte der Frauen.
Entsprechend sind auch die von Borries jüngst erhobenen Zahlen zu interpretieren. Die gegenwärtigen Diskussionen um die Gesellschaftsgeschichte kommen ebensowenig wie die sozial-und struktur-geschichtliche Erweiterung in der Geschichtswissenschaft, Ende der sechziger Jahre, der Frauengeschichte unmittelbar zugute. Im ersten Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ hält Wehler seine Position noch einmal kategorisch fest: Die Kategorie „Geschlecht“ ist für ihn, neben Alter und sozialer Ungleichheit, eine von „drei anthropologischen Universalien der gesellschaftlichen Hierarchisierung“. „Wie das auch der größte Teil der Fachliteratur tut“, will er diese scheinbar konstanten anthropologischen Universalia „aus pragmatischen Gründen“ unberücksichtigt lassen. Somit ist auch das relativ gute Abschneiden konservativerer Historiker in der Zählung von Borries zu erklären. Bei den 8, 7 Prozent frauenspezifischer Nennungen bei Prinz/Haverkamp sind nach Borries allerdings 89, 1 Prozent der genannten Frauen Herrscherinnen. Progressive Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft und positive Chancen für die Frauengeschichtsforschungen fallen keineswegs zusammen. Auch die größere akademische Akzeptanz der Frauengeschichte bzw.der Geschlechter-geschichte ist noch keine Gewähr für die Entfaltung der frauengeschichtlichen Perspektive als einer erweiterten historischen Sichtweise. Die vielen Fragen, die sich an die Frauengeschichte heute richten, sind zum größten Teil noch offen. Somit geht es z. Z. nicht um die Feststellung klarer Positionen, sondern um die Offenlegung des Problemfeldes Frauengeschichte, historische Frauenforschung und feministische Geschichtswissenschaft.
Anläßlich der Tagung in Loccum (1986) zur Frage einer „feministischen Perspektive in der historischen Orientierung“ hat Ute Daniels ihre Besorgnisse über die Zukunft der Frauengeschichte zum Ausdruck gebracht. Nach ihrer Einschätzung herrschte hier Einverständnis darüber, daß „frauengeschichtliche Perspektiven und Inhalte in Schule und Wissenschaft, in den Medien und im allgemeinen Bewußtsein zu verbreiten und die Widerstände, die sich dem entgegenstellen, zu überwinden“ seien. „Dieses Anliegen, sich Gehör zu verschaffen und um die materielle Basis zu kämpfen, die dies erst ermöglicht — Projekte, Geld, Stellen etc. —, ist nach wie vor ebenso dringend wie berechtigt. Ich habe jedoch den Eindruck, daß es neben dieser Problematik der Frauengeschichte — um ihre inhaltliche und materielle Anerkennung kämpfen zu müssen — noch eine andere gibt, die, in einer Art Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, darin besteht, daß heute frauengeschichtlichen Themen in gewisser Weise zuviel Anerkennung zuteil wird: zuviel der wohlfeilen Anerkennung nämlich, der modischen Lippendienste und der Anpassung aus Angst, den Anschluß (an was auch immer) zu verlieren. Auf dieser oberflächlichen Ebene der Attitüden, Worte, folgenlosen Gesten und des Kommerzes ist nämlich . Feministisches 1 schon einige Zeit , in‘: Weit überwiegend aus Männern bestehende Parteien, Zeitungsredaktionen und Fakultäten (sogar schon historische!) verwiesen stolz auf ihre jeweiligen Vorzeigefrauen, so sie welche haben (bzw., was den gleichen Dienst tut, beklagen, wenn sie keine vorzuweisen haben); Wissenschaftler, die von Frauenforschung nicht viel mehr wissen, als daß dies keine Teildisziplin der Gynäkologie ist, veranstalten Tagungen und Vortragsreihen mit Frauenthemen; Verlage werfen massenhaft Frauenspezifisches auf den Markt, als wären sie von einem geheimen Feminat gleichgeschaltet worden.“
Ute Daniel beobachtete in der Entwicklung der Frauengeschichte eine Doppelbewegung: Frauen-geschichte wird als modischer Massenartikel integriert, zugleich aber desintegriert, „denn die Eingemeindung verläuft außengeleitet: Meist entscheiden nicht diejenigen, denen Frauengeschichte ein Anliegen ist, über ihre Verwendung — die sind ja immer noch in der Mehrzahl, draußen —, sondern diejenigen, die ein wie auch immer geartetes Anliegen haben (sei dies nun Kommerz, Imagepflege nach dem neuesten Styling oder die notorische bildungsbürgerliche Zwangshaltung, auf jedem Zug einmal Bremser gespielt haben zu müssen), verwenden dafür inzwischen auch Frauengeschichte.“ Resignierend und weitblickend zugleich, hält Ute Daniel fest, daß diese Entwicklung dennoch „eine Bereicherung“ darstellt
Die Gefahren einer vorschnellen Integration der Frauengeschichte in die „allgemeine“ sozialgeschichtliche Perspektive sind offensichtlich. Stellvertretend für viele Frauen hat Jette Piper den Anspruch einer feministischen Geschichtsperspektive formuliert. Ihr Ausgangspunkt ist „der Dissens in der Frauenforschung“. Frauenforscherinnen — im Gegensatz zu feministischen Geschichtswissenschaftlerinnen — versäumen es, „nach den verursachenden Machtstrukturen zu fragen und den dahinterstehenden Sexismus aufzudecken. Frauen bleiben unter diesem . objektiven Blickwinkel immer in dem ihnen in der Geschichte zugeschriebenen Raum haften, scheinbar unverrückbar für alle Zeiten. Resultat: Frauen waren ja schon immer schlecht dran. Den Zielen der aktuellen Frauenbewegung, Frauengeschichte als identitätsstiftend erfahrbar zu machen, kommt dieser Ansatz wenig entgegen.“
Jette Piper plädiert folglich für eine feministische Geschichtswissenschaft: Frauengeschichte muß „in einem wesentlich umfassenderen Rahmen erarbeitet werden: Ausgehend von einer spezifisch feministischen Fragestellung soll nicht nur Fleißarbeit an den Quellen geleistet werden, sondern Frauenleben und -handeln von gestern für aktuelle Strategien der Frauenbewegung aufgearbeitet und für diese nutzbar gemacht werden. Feministische Geschichtswissenschaftlerinnen analysieren, mit dem Ziel der Konstituierung einer eigenständigen feministischen Geschichtstheorie und -Wissenschaft die Geschichte heutiger Machtstrukturen und system-erhaltender bzw. -untergrabender Verhaltensweisen von Frauen. Sie zeigen, daß das bestehende Mann-Frau-Machtgefüge kein Naturereignis ist (als das es gern betrachtet wurde/wird), sondern ein gesellschaftliches Konstrukt und damit veränderbar.“ Ihr Ziel ist es, eine feministische Geschichtstheorie zu entwickeln: „Um Frauenkultur der Vergangenheit sinnvoll erfassen zu können, ist ein System von z. T. noch zu erarbeitenden Fragen an die Geschichte notwendig. Neue Fragestellungen provozieren neuartige Antworten; wir müssen nach frauenspezifischen Denkund Lebensweisen fragen, um frauenadäquate Antworten zu erhalten. Da unsere Gesellschaft von männlichen Sichtweisen und Normen bestimmt ist, muß auch die feministische Frauenforschung sich der Gefahr bewußt sein, daß männliche Denkmuster den Erkenntnisfortgang erschweren können. Fragen an die Frauen in der Geschichte hinsichtlich Macht, Einfluß, Kontrolle, Leistung, Perfektion (nach herkömmlicher Definition) können den weiblichen Lebenszusammenhängen nicht gerecht werden. Feministische Geschichtswissenschaftlerinnen arbeiten daher an einem eigenständigen, vom heutigen weiblichen Selbstverständnis geleiteten Forschungsrahmen, innerhalb dessen Frauengeschichte angemessen erfahren werden kann.“ Worum geht es in der Frauengeschichtsforschung? Und wo liegen die Differenzen, die Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten zwischen Frauen-und Geschlechtergeschichte, historischer Frauen-forschung und feministischer Geschichtswissenschaft? Und wie ist das Verhältnis zwischen Frauengeschichte und „allgemeiner“ Geschichtswissenschaft zu bestimmen?
Definitorische Anstrengungen begleiten die Frauengeschichtsforschung der letzten 15 Jahre. Abgrenzungen zwischen einer feministischen Geschichtsforschung, einer Frauengeschichtsforschung und einer Geschlechtergeschichtsforschung stehen im Vordergrund. Sie sind notwendig, um die Diskussion in fruchtbarer Weise weiterzuführen. Sie bleiben aber vorläufig.
Die Frauengeschichtsforschung versteht sich als eine „transitorische“ (Gerda Lerner) Wissenschaft. Diese Relativierung der unterschiedlichen Definitionsversuche ist bedeutungsvoll. Denn wer weiß nicht, daß eine „reine“ Frauengeschichte ebenso einseitig ist wie die Männergeschichte, daß alle Geschichte eine Geschichte von Frauen und Männern ist, daß unser mühevolles Suchen nach den historischen Spuren der einen Hälfte der Menschheit in erster Linie das Ergebnis unserer patriarchalen Kultur und ihren Verblendungen ist? Sowohl die Frauengeschichte als auch die feministische Sichtweise verstehen sich als ein notwendiger Schritt in einem historischen Denken, das von patriarchalen Prämissen durchdrungen ist. Das historische Erkenntnis-ziel ist weitreichender. Die feministische Geschichtssicht bleibt daher unverzichtbar, wollen wir mit dem Gedanken einer Universalgeschichte, die alle Menschen gleichermaßen erfaßt, ernst machen.
Die Frauengeschichtsforschung des letzten Jahrzehnts hat theoretische und methodologische Wege zur Erschließung dieser neuen historischen Sichtweise von Frauenvergangenheit geebnet. In diesen Bemühungen um größere definitorische Klarheiten haben Historikerinnen wie Gerda Lerner oder Joan Kelly wesentliche Anregungen gegeben 11). Gerda Lerner hat u. a. die beiden Begriffe der „kompensatorischen“ Geschichte und der „kontributorischen“ Geschichte als zwei wichtige Stufen bei der Rekonstruktion der Geschichte der Frauen eingeführt Auf die bisherige Diskussion in den USA und der Bundesrepublik Deutschland aufbauend, hat vor allem Gisela Bock die Definitionsfrage weitergeführt Entgegen definitorischen Ausgrenzungen, die das Geschlecht als historische Kategorie entweder für sekundär (so vor allem Hans-Jürgen Puhle und Jürgen Kocka) oder für bereits abgeschafft (so vor allem Ivan Illich) erachten ), hat sie die Definitionsfrage zunächst erweitert. In ihrem Beitrag von 1983 hat sie ergänzend zur Frauengeschichte als der Geschichte der „Homogenität bzw.der Heterogenität der Frauensituationen“ den Begriff der „Geschlechtergeschichte“ eingeführt, die das Verhältnis „von Frauen zu einer auch als Geschlechtergeschichte verstandenen Allgemein-geschichte“ anzeigt. In der gegenwärtigen Diskussion wird die Geschlechtergeschichte entsprechend einer Formulierung von Gisela Bock gerne als eine Erweiterung der Frauengeschichte vorgestellt. Die Geschlechtergeschichte verstehe „die Geschlechterbeziehungen als eine autonome historische Größe . . . Mit anderen Worten: Geschlechterbeziehungen sind ebenso wichtig wie alle sonstigen menschlichen Beziehungen; sie sind in allen sonstigen Beziehungen wirksam und bestimmen sie mit, umgekehrt wirken alle sonstigen Beziehungen auch auf die Geschlechterbeziehungen und bestimmen sie mit. Der Ausschluß der Geschlechterbeziehungen aus den , großen Fragen* der Geschichte verstellt große Erkenntnisse.“
Gegenüber der raschen Übernahme des Begriffs der Geschlechtergeschichte ist Skepsis angebracht. Denn die Frage nach dem Geschlechterunterschied als einem Herrschaftsverhältnis wird allzu schnell verdeckt, wird von den Geschlechterbeziehungen als einer autonomen historischen Größe gesprochen. Für die Frauengeschichtsforschung, die immer auch Geschlechtergeschichte ist, ist von Bedeutung, daß ihr die Autonomie als einer wissenschaftlichen Disziplin nicht abgesprochen wird.
Auf diesem Hintergrund muß die Bedeutung der Fraueneigengeschichte hervorgehoben werden. Wichtig für das Verständnis einer Fraueneigengeschichte ist das Beharren auf einer autonomen Geschichte der Frauen, allen Patriarchalisierungstendenzen zum Trotz. Erst wenn wir die Fraueneigengeschichte mit ihren eigenen kulturellen und politischen Normen erfassen, wird es möglich, sich von verengten definitorischen Zuweisungen zu befreien. Denn aus der frauengeschichtlichen Erkenntnis bestimmen wir z. B. das Verhältnis von Gleichheit und Differenz, von Autonomie und Beziehungsstrukturen anders als in einem patriarchal vorgeformten Diskurs, der es verlernt hat, Autonomie als Beziehungsbegriffzu erkennen oder Gleichheit und Differenz in einer nichthierarchisierten Weise als vereinbare soziale Kategorien zu denken. Daher beharrt die Frauengeschichte auf dem Anspruch, die eigenen historischen Traditionen mit ihrem eigenen Definitionsanspruch wissenschaftlich zu erschließen. Die kulturelle Tradition der Frauen muß erst sichtbar gemacht werden, ehe wir ihr Verhältnis zur traditionellen männlichen Sicht unserer Kultur bestimmen.
Es ist nicht sinnvoll, ausschließende Grenzlinien zwischen der Frauengeschichte, einer historischen Frauenforschung und einer feministischen Geschichtswissenschaft zu errichten. Konsens besteht darüber, daß die Frauengeschichte nicht nur eine definitorisch abgrenzbare Teildisziplin der allgemeinen Geschichte ist. Ihr geht es immer auch um mehr. Dieses Mehr macht sie widerstandsfähig gegenüber den vielen Versuchen der Eingrenzungen. Frauengeschichtsforscherinnen zielen auf eine historische Sichtweise von allgemeiner, d. h. einer Frauen-und Männergeschichte umfassenden Verbindlichkeit.
Daher gilt ihnen die Erforschung der Frauengeschichte als erste und unverzichtbare Voraussetzung. „Um eine neue Geschichte zu schreiben, die diesen Namen verdient, müssen wir erkennen, daß weder eine einzelne Methodologie noch ein einzelnes Bezugssystem allein der Komplexität der historischen Erfahrungen aller Frauen Rechnung tragen kann.“
II. Die Entstehung der Frauengeschichte in der Bundesrepublik und der herrschende Diskurs um die Frauengeschichte
Die Frauengeschichte ist aus der Neuen Frauenbewegung hervorgegangen. Hier wurzelt der Großteil der an sie gestellten gesellschaftlichen und frauen-spezifischen Anforderungen, die von dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht zu lösen sind. Die Neue Frauenbewegung setzte ihre Erfahrungen der eigenen Geschichtslosigkeit in historische Suchbewegungen um. Denn das fehlende Bewußtsein einer eigenen, frauengeschichtlich bestimmten kulturellen und politischen Vergangenheit wurde als eine Schwächung nicht nur des individuellen Bewußtseins von Frauen, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Frauenpraxis erfahren. Daher galt es, ohne Rücksicht auf die Gebote der Professionalität, diese, den Frauen von außen her aufoktroyierte Geschichtslosigkeit durch die Erschließung der historischen Erfahrungen von Frauen in patriarchalen Strukturen zu überwinden. Die von Uta C. Schmidt zuletzt behandelte Frage „Wohin mit unserer gemeinsamen Betroffenheit“? begleitet die Frauengeschichtsforschung seit ihren ersten Anfängen zu Beginn der siebziger Jahre Die entscheidenden, noch gültigen und noch nicht eingelösten Anforderungen an die Frauengeschichte sind in diesen Jahren formuliert worden. Hier wurde der Maßstab für frauengeschichtliche Forschung gesetzt, ein Maßstab freilich, der aus der Sicht einer interessenlosen Wissenschaft als maßlos verworfen wird. An diesen Maßstab muß aber erinnert werden, sollen Fortschritte und Verluste in der Frauen-geschichte des letzten Jahrzehnts gemessen und gewichtet werden und die Frage des Paradigmawechsels angemessen diskutiert werden
Allerdings darf der Rückblick nicht allein von dem erreichten Standpunkt der gegenwärtigen Professionalisierung in der Frauengeschichtsforschung bestimmt werden. Obgleich die Frauengeschichtsforschung sich immer mehr zu einer akademischen Disziplin entwickelt und ihren Platz als „gender history“ oder Geschlechtergeschichte in der sozial-geschichtlichen Forschung einzunehmen sucht, läßt sich die Frauengeschichtsforschung nicht auf die engeren Bahnen einer einzelnen Fachwissenschaft und ihres Diskussionszusammenhanges eingrenzen. Noch immer findet der Großteil der frauengeschichtlichen Forschung außerhalb der etablierten Fachwissenschaft statt. Die interdisziplinären und die gesellschaftspolitischen Diskussionen, die die Anfänge der Frauengeschichtsforschung in der Bundesrepublik bestimmen, können sich hier in fruchtbarer Weise entfalten.
Es sind vielfach autonome Forschungsgruppen, die Frauengeschichte vor Ort untersuchen. Frauen-* stadtrundgänge gehören inzwischen zu den beliebtesten Formen, die Frauengeschichte der eigenen Umgebung sichtbar und erfahrbar zu machen. In der Geschichtswerkstattbewegung sind Frauen besonders aktiv. Hier ist eine die enge Fachdisziplin sprengende historische Frauengeschichtsforschung zu beobachten, die Kunsthistorikerinnen, Musikhistorikerinnen, Medizinhistorikerinnen, Ethnologinnen, Soziologinnen, Politologinnen, Vertreterinnen weiterer Disziplinen und Laienhistorikerinnen umfaßt. Eine Fülle neuer historischer Einsichten, die bisher von der lokalen Geschichtsforschung und Stadtgeschichte unbeachtet geblieben sind, entstehen hier.
Versuchen wir, die Fülle der von autonomen Gruppen erarbeiteten Frauengeschichtsforschungsergebnisse zusammenzufassen, so überraschen die Zahl und die Qualität dieser Arbeiten. Allzu wenig bekannt sind Arbeiten, wie etwa von der Kasseler Frauengeschichtsforschungsgruppe „Mädchenbildung in Frauenhand. Der Casseler Frauenbildungsverein 1869“ (1987) oder die frauengeschichtlichen Arbeiten zu Göttingen, Nürnberg, Bremen, Düsseldorf u. a. mehr. Hier kommen die Verfasserinnen der Frauengeschichte im eigentlichen Sinn auf die Spur, indem sie vergessene frauengeschichtliche Traditionen erschließen. Die Bedeutung autonomer Einrichtungen wie das feministische Archiv in Kassel ist für die Entwicklung der Frauengeschichtsforschung nicht zu unterschätzen. Die „Aufdeckung der sexistischen Vorurteilsstrukturen in der Wissenschaft; die Korrektur wissenschaftlicher Ergebnisse, Interpretationen und Theoreme, in denen Frauen entweder gar nicht vorkommen oder in denen ihre tatsächlichen Lebenszusammenhänge verzerrt werden“ alles dies Zielsetzungen der historischen Frauenforschung im weiteren Sinne, gehören zu den selbstgestellten Aufgaben der Frauengeschichtsforschung in-und außerhalb der Universitäten.
Die Kontinuitäten, die wir in der außeruniversitären Frauengeschichtsforschung beobachten, lassen sich nicht auf die gesamte inner-und außeruniversitäre Frauengeschichtsforschung übertragen. Die Tagung „Frauen und Geschichte“ in Loccum von 1986 stellt einen wichtigen Zwischenschritt in der Selbstverständigung innerhalb der Frauengeschichtsforschung als einer in-und außeruniversitären Bewegung dar. Die Thesen von Heide Wunder zur „Feministischen Geschichtswissenschaft — Irrweg oder Chancen in der historischen Orientierung“ markieren hierbei den Mittelweg, den die akademische Frauengeschichte eingeschlagen hat: „Ich plädiere für eine historische Frauenforschung 1, weil die Vielfalt der Richtungen innerhalb der Neuen Frauenbewegung den Begriff „feministisch* mit zu wenig (oder zu viel) Orientierung belegt. Demgegenüber stellt die wesentlich von Sozialwissenschaftlerinnen begründete Frauenforschung zu den großen Themenbereichen Frauenarbeit/Frauenbildung, Frauen in der Familie und Frauenemanzipation der Geschichtswissenschaft die Aufgabe, nach den Ursachen der grundlegenden Benachteiligung von Frauen in der modernen Gesellschaft in der Geschichte zu suchen, um durch die Einsicht in den Entstehungsprozeß Denkmöglichkeiten für die Überwindung der dabei geschaffenen Strukturen zu gewinnen. Gleichwohl kann sich eine . historische* Frauenforschung nicht nur von diesen Fragestellungen leiten lassen. Zu ihren zentralen Aufgaben gehört es, die Entstehung, Ausbildung, Veränderung und Durchsetzung von Frauenbildem zu erforschen.“
Die historischen Erfahrungen von Frauen bilden für sie eine wesentliche Voraussetzung der historischen Frauenforschung: „Die . historische Frauenforschung* rekonstruiert den historischen Prozeß aus einer . Frauenperspektive*; sie ist insoweit . parteilich*, als sie zunächst ein Defizit beheben will, indem sie Frauen in der Geschichte und ihren Anteil an der Geschichte sichtbar macht; sie ist insoweit »subjektiv* — und noch nicht, intersubjektiv* —, als das Erkenntnisinteresse aus der spezifischen Erfahrung von Frauen entstanden ist. Diese spezifische — historisch entstandene — . weibliche* Erfahrung und die in ihr enthaltene Sensibilisierung der Wahrnehmung gehört ganz wesentlich zu den Voraussetzungen für . historische Frauenforschung*, sie stellt die , objektive* Begründung für die Forderung dar, daß historische Frauenforschung in der gegenwärtigen Phase der Konstituierung zum größeren Teil von Historikerinnen zu fundieren sei.“
Auch für Heide Wunder bildet nicht die Frauen-, sondern die Geschlechtergeschichte das Ziel der historischen Frauenforschung: „Die Ergebnisse historischer Frauenforschungen machen keine . Frauengeschichte* aus; denn . historische Frauenforschung* zielt auf Geschichte und Zukunft der Geschlechterbeziehungen.“ Schließlich plädiert Heide Wunder für die Institutionalisierung der „historischen Frauenforschung .... weil unter den gegebenen Strukturen nur so kontinuierliches Forschen, systematische Traditionsaneignung und kritische Theoriebildung zu sichern sind“
Mit dieser Positionsbeschreibung wird ein konsensfähiger Standpunkt formuliert, in den Erkenntnis-fortschritte und Abgrenzungen eingehen. Als Puhle 1981 die Frage aufwarf, „Warum gibt es so wenig Historikerinnen?“, hatte er sich nur ungern auf die Frage nach der Frauengeschichte eingelassen. Für ihn stand damals fest, daß es „realitätsmächtigere Kriterien der sozialen Statuszuweisung gibt, die den Unterschied der Geschlechter überlagert“. Apodiktische, ausgrenzende Äußerungen dieser Art von Seiten der Fachhistoriker sind inzwischen seltener geworden. Allerdings bleiben auf der Basis des Mittelwegs von Heide Wunder noch manche Fragen unerledigt. Vor allem wird die Frage nach der Autorität der bestehenden sozialwissenschaftlichen Kriterien und theoretischen Rahmenbedingungen umgangen.
Hinsichtlich der Anfänge der Frauengeschichtsforschung denken wir zurück an die ersten Sommer-universitäten von Frauen und an die Historikerinnentage. Dort wurden nicht nur neue Inhalte wie Sexualität, Haushalt, Mutterschaft und andere spezifisch frauengeschichtliche Themen aufgegriffen; auch die Frage nach der Revision der bisherigen historischen Sichtweise stellte sich mit größerer Dringlichkeit. Denn die ersten Forschungsergebnisse zur Sexualität oder zum Haushalt aus der frauengeschichtlichen Perspektive haben Zweifel an der Geltung des traditionellen Bezugsrahmens der sozialwissenschaftlichen Forschung aufkommen lassen. Frühe frauengeschichtliche Arbeiten, etwa zum Haushalt — beispielsweise 1977 von Gisela Bock und Barbara Duden: „Arbeit aus Liebe — Liebe als Arbeit — Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus“ —, sprengten schon den herrschenden theoretischen Bezugsrahmen sozialgeschichtlicher Forschung zur Industrialisierung und zur bürgerlichen Gesellschaft. Somit liegen in dieser Entstehungsphase noch unausgeschöpfte historische Forschungspotentiale .
Die Diskussion um die Frauengeschichtsforschung ist von Anbeginn nicht von dem internationalen Kontext zu lösen. Hier müssen die entscheidenden Arbeiten von Gerda Lerner wieder genannt werden. Schon früh hat sie an die Spezifik der historischen Frauenerfahrungen (The Female Experience, 1977), an die Grenzen unserer patriarchalen Geschichtssicht und die Gefahren einer Ideologisierung der Frauengeschichte, etwa im Sinne einer Nur-Opfergeschichte, hingewiesen. „Nur eine Geschichte, die auf der Erkenntnis beruht, daß Frauen schon immer wesentlich zum geschichtlichen Prozeß beigetragen haben und daß Männer und Frauen das Maß der Bedeutung sind, [wird] wirklich eine Universalgeschichte sein.“ Mit der Veröffentlichung ihres Werkes: „The Creation of Patriarchy“ hat sie selbst einen Beitrag zu dieser universalen Sicht unserer Geschichte geleistet. Auf ihr geschichtstheoretisches Hauptwerk („A Majority finds its Past“, 1979) hat sich auch Ute Gerhard-Teuscher in ihren Thesen zum „Spektrum feministischer Geschichtsforschung“ bezogen.
Gilt es, die Diskussionsbreite der achtziger Jahre um die Frauengeschichte zu erfassen, so muß die von ihr thematisierte feministische Dimension weiterverfolgt werden: „Feministische Geschichtsforschung beginnt mit der Erkenntnis, daß die strukturelle, kulturelle und sexuelle Benachteiligung der Frauen historische Wurzeln hat, daß die Herrschaft des Mannes über die Frau eine sehr alte Geschichte ist, deren historische Veränderungen, Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche im allgemeinen von der Eindeutigkeit der Machtverhältnisse überlagert werden. Ein großer Teil feministischer Forschung gilt deshalb der Analyse des Patriarchats und seinen verschiedenen historischen Ausprägungen. Diese Arbeit ist notwendig, weil Unterdrückung und Benachteiligung wesentliche und reale Erfahrungen von Frauen in Geschichte und Gegenwart sind, und weil sie die Vorzeichen verändert, d. h. die Einseitigkeit und Tabus bisheriger Geschichtsschreibung umstößt und uns dadurch erst in die Lage versetzt, Frauen in der Geschichte sichtbar zu machen. Doch feministische Forschung darf nicht bei Klage und Anklage, bei der Dokumentation und Untersuchung der Frauen als Opfer und Ausgegrenzte stehenbleiben. Dieser , Focus allein verdunkelt die wirkliche Geschichte der Frauen*, schreibt Mary Beard in ihrem Buch , Women as Force in History’ (zuerst 1946). Er verhindert, die Stärke von Frauen und auch die übrige Gesellschaft zu erkennen, in der Frauen Geschichte gemacht und beeinflußt haben.“
Ute Gerhard-Teuscher hat hier wie auch später die Frage nach der Interpretationsreichweite frauengeschichtlicher Forschungsergebnisse aufgeworfen. In dieser Frage haben die restriktiven Bestimmungen prominenter Historiker ihre Wirkung nicht verfehlt. Jürgen Kocka hatte schon früh mit dem scheinbaren Gegensatz zwischen der notwendigen empirischen Forschung in der Frauengeschichte und dem überflüssigen Gerede von einem Paradigmawechsel argumentiert. Historiker wie Kocka hoben hervor, daß die Geschichtswissenschaft in ihrem jetzigen Selbstverständnis „offen und wandlungsfähig genug ist, den Fragestellungen, Themen und Interpretationsangeboten (der Frauengeschichtsforschung) jedenfalls eine faire Chance zu geben“
Die Skepsis der Sozialhistoriker gegenüber der Frauengeschichte, die sich auf die Spezifik der historischen Frauenerfahrungen stützt, ist noch ungebrochen. Kocka lehnt auch in seinen jüngsten Äußerungen den Versuch ab, Frauengeschichte als eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, die sich auf die historischen Erfahrungen von Frauen als einer sozialen Gruppe gründet, zu begreifen. „Daraus ergibt sich die äußerst schwankende Basis jeden Versuchs, allgemein weibliche Erfahrungsweisen und Interessen als solche zum Forschungsgegenstand zu machen und Frauengeschichte als abgrenzbare Einheit aufzufassen.“
Eine wohltuende Ausnahme in der weitgehend selektiven und restriktiven Wahrnehmung der Frauengeschichtsforschung durch die männlichen Fachwissenschaftler bildet der Beitrag von Jörn Rüsen zum Feminismus und zur Objektivität in der Geschichtswissenschaft Hier wird die „feministische Parteilichkeit“ als wissenschaftliche Herausforderung ernst genommen. „Das Verhältnis von weiblichem Standpunkt und feministischer Perspektive auf der einen Seite und Wissenschaftlichkeitsanspruch der historischen Erkenntnis auf der anderen“ wird auf das Niveau eines ernsthaften wissenschaftlichen Diskurses gehoben, die Radikalität der feministischen Parteilichkeit mit dem Objektivi-tätsproblem in der Geschichtswissenschaft konfrontiert. Rüsen rekurriert dabei auf die Tradition des okzidentalen Denkens, die in der Liebe ein konstitutives Moment für Erkenntnis erblickt. Somit will er gewährleisten, daß das „Geschlecht als historisches Phänomen nicht mehr aus der Erinnerungsarbeit der Geschichtswissenschaft“ ausgeblendet wird“
Trotz dieser Diskussionsbereitschaft bleibt Rüsen in einem männlichen Diskursrahmen befangen. Dennoch signalisiert der Beitrag von Rüsen die Bereitschaft zum rationalen, wissenschaftlichen Dialog. Die Frauengeschichtsforschung muß sich den Fragen der wissenschaftlichen Rationalität ihrer Forschung stellen. Sie muß sich mit „Männerrastern“ in der Frauengeschichte auseinandersetzen, ohne dieses Unterfangen mit dem „Verlust an innerwissenschaftlicher Rationalität“ zu bezahlen.
III. Die Unsichtbarmachung der Frauengeschichte
Die Unsichtbarmachung der historischen Leistungen von Frauen gehört zu den Funktions-und Wirkungsweisen aller patriarchalen Gesellschaften. Sie erweist sich aber für die Frauengeschichtsforschung als ein besonders schwieriges erkenntnistheoretisches Problem, denn sie durchdringt das Fundament unserer historischen Erkenntnis. So sehr wir uns in der Frauengeschichte auch bemühen, die Frauengeschichtsforschung auf historischen Zeugnissen von Frauen aufzubauen, die Sprache von Frauen hörbar zu machen, um das Schweigen der Frauen zu durchbrechen, so überwiegen dennoch die männlichen Stimmen, die von Männern verfaßten Quellen und männlichen Deutungen unserer Geschichte bei unseren Rekonstruktionsversuchen. Das Schweigen der Frauengeschichte ist nicht nur ein Quellenproblem. Es stellt sich immer wieder aufs Neue im Sinne eines Mechanismus zur Erhaltung der patriarchalen Norm unserer Gesellschaft ein. Es ist dennoch möglich, diesen Mechanismus der Unsichtbarmachung der Frauengeschichte durch erkenntnis-und geschichtskritische Reflexionen zu erkennen und ihnen kritisch zu begegnen.
Unsere bisherigen Überlegungen zur Frauengeschichte machten deutlich, daß Erkenntnisse in der Frauengeschichte sich nicht in gleicher Weise wie die Ergebnisse der traditionellen, von männlichen Objektivationen und Normen bestimmten Geschichtswissenschaft in eine „allgemeine“ historische Sichtweise einfügen. „Die Sozialgeschichte der Frau stellt die traditionelle Annahme in Frage, daß der Mann das Zentrum aller Dinge und das Maß alles dessen sei, was bedeutungsvoll ist, daß die von Männern ausgeübten Tätigkeiten ihrem Wesen nach wichtig seien, während die von Frauen von untergeordneter Bedeutung sind. Sie stellt die Vorstellung in Frage, nach der Zivilisation das ist, was Männer geschaffen, verteidigt und verfeinert haben, während Frauen Kinder hatten und der Familie dienten, wozu sie [die Männer] von Zeit zu Zeit in äußerlicher Weise beigetragen haben“ (Gerda Lerner). Frauengeschichtliche Erkenntnisse dieser Art, die eine andere Sichtweise unserer Geschichte implizieren, werden aber immer wieder von unserer traditionellen historischen Wahrnehmungsweise abgestoßen. Hier kommt die von Ute Daniel angesprochene Doppelbewegung in der Frauengeschichtsforschung — der Prozeß der gleichzeitigen Integration und Desintegration frauengeschichtlieher Erkenntnisse und gesellschaftlicher Zusammenhänge — zum Tragen. Bodo von Borries hat diesen Vorgang zutreffend beschrieben: „Für die syntheseschreibenden Normalhistoriker gibt es offenbar zwei Haltungen gegenüber der »Frauengeschichte: entweder völlige Auslassung, d. h. Ignoranz, oder ausschnitthafte, isolierte, folgenlose Berücksichtigung, d. h. Domestikation.“ Und: „Von der Durchsetzung . historischer Frauenforschung in die . scientific community, gar von ihrer Integration in die großen Synthesen kann jedenfalls keine Rede sein.“
Der traditionelle geschichtstheoretische Rahmen, der die „andere Geschichte“ immer wieder entweder ausschließt oder nur in einer eingrenzenden Weise integriert, ist aber in seinen Prämissen und Wirkungsweisen näher beschreibbar. Im folgenden soll auf einige besonders markante Formen der Un-sichtbarmachung der Frauengeschichte durch unsere traditionelle Geschichtssicht aufmerksam gemacht werden. Eine systematische Analyse dieses Vorgangs fehlt noch. Denn die Frage, wie männlich ist die Geschichtswissenschaft?, haben die Frauen-geschichtsforscherinnen noch nicht umfassend beantwortet. Es ist vielmehr bisher Sache von Politologinnen, Naturwissenschaftlerinnen, Philosophinnen und Vertreterinnen anderer Disziplinen gewesen, darauf hinzuweisen, daß unsere historischen Objektivationen, unser Staat, unser naturwissenschaftliches Denken, unsere gesellschaftstheoretischen Konstrukte und unsere philosophischen Denkgebäude patriarchale Gebilde sind, zu deren sexistischem Kem das Auslöschen der historischen Spuren von Frauen gehört.
Beginnen wir mit einem Blick auf die Anfänge unserer Geschichte. Die Nichtwahrnehmung der frauenbestimmten Anfänge unserer Geschichte, die männliche Setzung des Anfangs der Geschichte als einer männlichen Leistung gehört zu einem der zentralen Faktoren, die die Mechanismen unserer traditionellen historischen Sichtweise bestimmen. Die in der Frauengeschichtsforschung inzwischen gut belegbare These, daß unsere Geschichte in der Gestalt patriarchaler Herrschaft ein historisch spätes Phänomen darstellt, findet in der Diskussion um unsere Geschichte als einer Frauen-und Männergeschichte noch keine angemessene Beachtung. Die Tragweite der Erkenntnis, daß unsere Patriarchats-geschichte nur einen relativ kurzen historischen Ausschnitt unserer Geschichte bildet, wird kaum reflektiert.
Hiermit wird nicht die These vom Matriarchat vertreten. Es ist irreführend, in Analogie zum Patriarchat, von einem Matriarchat als einer Frauenherrschaft zu sprechen. Die Mythen eines Bachofen sollen nicht wiederbelebt werden. Demgegenüber ist es richtig und notwendig, im Lichte der neueren Forschungsergebnisse zur Frühgeschichte der Menschheit von matrizentrischen Kulturen zu sprechen, die über viele Jahrtausende hinweg, von der Eiszeit bis in die Zeit der frühen Hochkulturen, die Formen unseres Soziallebens und unserer geistigen Wahrnehmung prägten. In evolutionstheoretischer Sicht waren Männer ursprünglich Außenseiter und keineswegs führend. Die Überlebensarbeit und die kulturelle Entwicklung ging von den Sammlerinnen, nicht von den Jägern aus. In ihrem Entwurf einer „dissidenten Kulturtheorie“ unterstützt Carola Meier-Seethaler diese Annahme einer „globalen matrizentrischen Frühphase der Kultur“ Demgemäß spricht auch Gerda Lerner von der Erschaffung des Patriarchats, der „creation of patriarchy“, als einer historisch späten Erscheinungsform.
Der historische Blick auf die Anfänge unserer menschlichen Geschichte rückt frauengeschichtliche Traditionen in den Vordergrund, die erst im Verlaufeines Patriarchalisierungsprozesses in unserem gesellschaftlichen Bewußtsein marginalisiert und ideologisiert wurden. Die Wahrnehmung matrizentrischer Anfänge und der Patriarchalisierungsprozesse im Sinne der sich durchsetzenden Dominanz der Männer und der patriarchalen Umfunktionierung matrizentrischer Lebensformen, Bräuche und Mythen dient nicht der Mythen-und Legendenbildung. Vielmehr werden frauengeschichtliche Traditionen sichtbar, die als Subkulturen in allen patriarchalen Gesellschaften fortleben und weiterhin ein essentielles Moment unserer Geschichte bilden. Die Weiblichkeitsideologien können den historischen Kem der Frauenkultur verdecken, nicht aber zerstören. Es erscheint zunächst paradox, auf die Tatsache einer kontinuierlichen Präsenz der Frauengeschichte als eines konstitutiven Moments unserer Geschichte eigens hinweisen zu müssen. Allerdings gehört es zu den Eigenarten der männlichen Reflexionen zur Geschichte, gerade diese offensichtliche Tatsache auszublenden. Wir können hier von einem Strukturmoment des männlichen Diskurses zur Geschichte sprechen.
Halten wir eine weitere Form der Unsichtbarmachung der Frauengeschichte fest. In seinem Beitrag zur Weiblichkeit in der historischen Perspektive berief sich Jörn Rüsen auf die abendländische theologische und philosophische Tradition der Liebe als Erkenntnisweg, um die „weibliche Perspektive“ in unserer Geschichte wieder sichtbar zu machen. Dabei hatte er die Tradition von Augustin, Pascal, Hegel und die Liebesphilosophie von Max Scheler im Sinne. „Diese Tradition, ohne die der heutzutage vielgeschmähte Rationalisierungsprozeß der okzidentalen Kultur historisch nicht hinreichend beschrieben werden könnte (wenn sie auch eher verdrängt wurde und wird und eher subversiv wirksam war und blieb), müßte im Meinungsstreit über feministische Parteilichkeit und historische Objektivität ins Spiel gebracht werden.“
So richtig es ist, auf die Geschichte der Liebe zwischen den Geschlechtern in ihren theoretischen Reflexionen hinzuweisen, um der Verdrängung der Frauengeschichte im historischen Bewußtsein entgegenzuwirken, so wenig ist aber dieser von Augustin bis Max Scheler autorisierte theologisch-philosophische Diskurs über die Liebe geeignet, den Frauenerfahrungen von Liebe, Frauenhandeln aus Liebe, Sexualität und Geburt in ihrer historischen Tragweite gerecht zu werden. Hier erweist sich der männliche Diskurs als unfähig, seinen Anspruch, das Geschlecht in historischer Perspektive mit historischer Objektivität zu begreifen, einzulösen. Vielmehr müssen sich entsprechend Rüsens Forderungen nach einem wahrheitsfähigen Diskurs Frauen mit ihren historischen Erfahrungen an diesem Diskurs beteiligen.
Es sei z. B. an das Werk von Christine de Pizan erinnert, die sich als Frau in die große Liebesdiskussion ihrer Zeit in wirkungsvoller Weise einmischte. Sie exponierte sich vor allem in dem berühmten — die Gelehrten der Sorbonne wie etwa Jean Gerson beunruhigenden — Streit um den Rosenroman (ca. 1400), um gegen die Diffamierung der Frauen Position zu beziehen. Allerdings bezichtigte Christine sich selbst in ihren Schriften, „Position gegen die Frauen“ bezogen zu haben. Sie gesteht: „Ich verließ mich mehr auf fremde Urteile als auf mein eigenes Gefühl und Wissen.“ In ihrem berühmtesten Werk, dem „Buch von der Stadt der Frauen“, wird Christine im Namen der Vernunft aufgefordert, sich ihres Verstandes zu bedienen und aus eigener Anschauung und eigenen Erfahrungen als Frau den Diskurs mit den männlichen Autoritäten aufzunehmen. Ihr Werk ist nur ein Beispiel für eine lange, allerdings immer wieder verschwiegene Diskurstradition von großer Kompetenz, die zur Geltung kommen muß, soll der von Rüsen zurecht beklagte Widerspruch zwischen feministischer Parteilichkeit und historischen Objektivitätskriterien aufgehoben werden. Der Rekurs auf eine nur männlich bestimmte Diskurstradition genügt nicht.
Der Unsichtbarmachung der Frauengeschichte kann allerdings nicht allein mit der Veröffentlichung verschütteter Quellen und frauengeschichtlicher Publikationen entgegengewirkt werden. Quelleneditorische und frauengeschichtliche Forschung sind zwar die unverzichtbare Basis für die Wahrnehmung von Frauengeschichte. Der Reichtum und die Fülle des noch nicht gehobenen Schatzes an Frauenzeugnissen sollten zunächst ein Ansporn sein, Anstrengungen in dieser Richtung noch zu vermehren. Dennoch sind neue historische Kenntnisse über diesen Frauendiskurs noch keine Gewähr für die Beachtung der Frauengeschichte bei der Interpretation des historischen Prozesses.
Die Frauengeschichte hat gerade in ihrem Selbstverständnis als Geschlechtergeschichte zu Recht den Anspruch auf Beachtung bei der Betrachtung der großen Ereignisse und den großen Veränderungen in unserer Geschichte erhoben. Allerdings zeigt sich gerade an diesen Debatten um die großen Einschnitte in unserer Geschichte, daß die Fruchtbarkeit der frauengeschichtlichen Forschung ihr noch keineswegs den Weg in diese „allgemeine“ historische Diskussion eröffnet. Die Beispiele hierfür sind zahlreich. Zu denken ist vor allem an die historischen Jubiläen, zuletzt an die 200-Jahrfeier der Französischen Revolution. Aber auch bei der Frage der politischen Verantwortungen von Frauen in demokratischen Gesellschaften herrscht allgemeines Schweigen. Hiervon zeugt zuletzt die Historikerdebatte um die jüngste deutsche Geschichte. In beiden Fällen, in der Erforschung des Nationalsozialismus und der Französischen Revolution, liegen inzwischen gewichtige, zu neuen Interpretationen herausfordernde Publikationen von Seiten der Frauengeschichtsforschung vor. Die politisch aktive Rolle für das Vorantreiben der Revolution vor allem im Sommer und Herbst 1789 ist inzwischen gut belegt: Frauen waren eine Avantgarde der Revolution. Ihre Kämpfe für die Frauen-und Volks-sache 1792/93 lassen neue Einblicke in die gesellschaftlichen Konsequenzen der Forderungen von 1789 zu.
Es war 1792/93 noch keineswegs ausgemacht, daß die Französische Revolution nur dem männlichen bürgerlichen Subjekt und dem neuen bürgerlichen Haus-und Familienvater zugute kommen sollte. Die Frauengeschichtsforschung hat auf bisher wenig beachtete sozialgeschichtliche Voraussetzungen in diesen revolutionären Umbrüchen hingewiesen, die der Erklärung der Frauen-und Bürgerinnen-rechte etwa von Olympe de Gouges zugrunde liegen. Ähnliches gilt für die Frauengeschichtsforschung zum Nationalsozialismus, die die Machtergreifung von 1933 in einen eigenen Zusammenhang mit der Zuspitzung des sozialen Konflikts zwischen den Geschlechtern und den patriarchalen Lösungsversuchen von vor 1933 bringt und die den faschistischen Zugriff nicht von der verfügten Kontrolle über den Frauenkörper und reproduktiven Fähigkeiten der Frauen löst.
Der Blick auf die „großen Fragen“ unserer Geschichte, die inzwischen auch Gegenstand der Frauengeschichtsforschung geworden sind, zeigt, daß z. Z. zwei Diskurse nebeneinander geführt werden. Wir haben es mit der scheinbar friedlichen Koexistenz eines männlich-„allgemeinen“ Diskurses und eines feministisch-frauengeschichtlichen Diskurses zu tun. Die Gründe für dieses Nebeneinander zweier unterschiedlicher, isolierter Diskurse sind vielfältig. Sie liegen in der Struktur sowohl des frauengeschichtlichen als auch des männlichen Diskurses begründet. Dieses Nebeneinander spiegelt den Grad der Patriarchalisierung unseres gegenwärtigen historischen Denkens und seiner Spaltung in zwei Bereiche, in eine öffentlich-männliche und eine weiblich-private Welt, wider. Die Leugnung der anti-feministischen Prämissen der bürgerlichen Gesellschaft und des deutschen Faschismus gehören zu diesem gespaltenen Bewußtsein. Somit bleiben die patriarchalen Traditionen, Strukturen und Ideologien, die zur Entstehungsgeschichte unserer bürgerlich-kapitalistischen Welt und zur Vorgeschichte des deutschen Faschismus gehören, schon im Ansatz außerhalb des Bezugsrahmens des „allgemeinen“ Historikerdiskurses. Aber auch der feministisch-frauengeschichtliche Diskurs durchbricht keineswegs von selbst diese Spaltung unseres historischen Bewußtseins. Das Problem der zweierlei Diskurse ist nämlich selbst ein Produkt unserer zweigeteilten Gesellschaft, die die Geschlechter-Ideologie zum Rang einer Gesellschaftslehre erhob. Die Mythen von der Geschichtslosigkeit und Subjektlosigkeit der Frauen und von ihrer besonderen historischen Mission als weibliches Wesen haben ihren Platz in diesen Diskursen, die die sexistische Spaltung der Gesellschaft im Zuge ihrer zunehmenden Patriarchalisierung widerspiegelt. Auf diesem Hintergrund stellt sich die prinzipielle Frage nach einer frauengeschichtlichen Methodologie und ihrer allgemeinen Diskursfähigkeit.
IV. Frauengeschichte als Weg zu einer nachpatriarchalen Sicht unserer Geschichte
Auf der Ebene der feministischen Theoriebildung wird die Frage nach der allgemeinen Diskursfähigkeit der historischen Frauenforschung eher implizit als explizit verhandelt. Die feministische Theoretikerin Elizabeth Gross hat allerdings das Problem des feministischen wissenschaftlichen Diskurses im Kontext einer feministischen Geschichtssicht in überzeugender Weise auf den Punkt gebracht. Zu Recht deckt sie dabei den möglichen Zirkelschluß im feministischen Diskurs auf. Denn es genügt nicht, die feministische Theorie als die entscheidende Herausforderung an das traditionelle Denken zu begreifen. Bleibt die feministische Theorie nur reaktiv, nur kritisch, so bestätigt sie letztlich das herrschende Paradigma, das sie in Frage stellen möchte. „It (feminist theory) remains on the very grounds it wishes to question and transform. To criticise prevailing theoretical Systems without posing viable alternatives is to affirm such theoretical Systems as necessary.“ Mit dieser Beobachtung spitzt sich die Frage nach der frauengeschichtlichen Methodologie und der allgemeinen historischen Diskursfähigkeit der Frauengeschichtsforschung zu.
Die frauengeschichtliche Forschung unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von dem methodischen Vorgehen in traditionellen historischen Forschungsprozessen. Denn sie läßt sich zunächst an drei miteinander verbundenen Merkmalen charakterisieren, die allen historischen Forschungsprozessen immanent sind. Sie geht von den Defiziten in unserer historischen Erkenntnis aus, d. h. hier von der fehlenden Beachtung frauengeschichtlicher Inhalte in unserer Geschichtssicht. Die vergessenen, bisher nicht wahrgenommenen Materialien der Frauengeschichte werden mit den Methoden der Hermeneutik auf ihren verborgenen Eigen-Sinn und ihre verschüttete Eigen-Logik, auf die Spezifik ihrer Wahmehmungs-und Begriffswelt und ihrer Moralität hin erschlossen. Schließlich gilt es, die Spezifik dieser anderen Geschichte in ein Verhältnis zu unseren bisherigen historischen Erkenntnissen zu setzen. Hier sprechen wir von einem ideologiekritischen Vorgang, der stets auch eine Patriarchatskritik impliziert.
Auf diesem Hintergrund lassen sich weitere allgemeine Merkmale der Frauengeschichtsforschung bestimmen. Sie verweist uns auf eine spezifische Erfahrungsgeschichte von Frauen, die anders strukturiert ist als die männliche Erfahrungsgeschichte. Sie steht in einem konfliktreichen Widerstands-und Anpassungsverhältnis zur Männergeschichte. Bisherige Periodisierungen und Wertungen von Fort-und Rückschritten in der Geschichte werden in Frage gestellt. Die Renaissance beispielsweise ist aus frauengeschichtlicher Sicht keine Periode der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten von Frauen — im Gegenteil. Die jüngsten Arbeiten amerikanischer Historikerinnen zur amerikanischen Revolution und zur Ära Jackson zeigen, daß amerikanische Frauen in diesen beiden Epochen einen Statusverlust, Einschränkungen ihrer Wahlmöglichkeiten im Beruf und ihrer Sexualität erfuhren. Damit stellt sich aus der frauengeschichtlichen Sicht nicht nur die Periodisierungsfrage anders, sondern auch unsere männlich besetzten Begriffe von Macht, Rationalität, Autonomie, Produktivität, Arbeit usw. stimmen nicht mehr.
Bei unseren methodologischen Überlegungen können wir jedoch einen Schritt weitergehen. In einer idealtypischen Weise können wir den historischen Erkenntnisprozeß in zwei unterschiedliche Formen der historischen Aneignung zerlegen. Wir können in methodologischer Hinsicht zwischen der Erschließung der Geschichte als „Männergeschichte“ und der Erschließung der „Frauengeschichte“ als Moment einer neuen Sicht der Geschichte unterscheiden.
Die Aussage, daß alle Geschichte eine Geschichte von Frauen und Männern ist, daß es in unserer historischen Welt keine Nur-Frauen-oder Nur-Männergeschichte gibt, daß Geschichte stets eine Geschichte der Geschlechterbeziehungen ist und daß die soziale Organisation der Geschlechterbeziehungen zu den zentralen Bewegungsgesetzen unseres historischen Prozesses gehören, steht nicht im Widerspruch zur Bildung von zwei idealtypischen Konstrukten, die die Unterschiedlichkeit des frauen-und männergeschichtlichen Forschungsprozesses illustrieren. Denn die Wahrnehmung der Differenz dieser beiden Konstrukte kann auf einer erkenntnis-und einer geschichtstheoretischen Ebene auf das Phänomen des unmerklichen Schwindens bzw.der falschen Aufhebung der Frauengeschichte aufmerksam machen. Auch die alternative allgemeine Sichtweise unserer Geschichte deutet sich durch diese Gegenüberstellung einer traditionellen männlichen und einer frauengeschichtlich-feministischen historischen Sichtweise an.
Halten wir zunächst vier Momente in der traditionell-männlichen, auch von vielen Historikerinnen bevorzugten historischen Sichtweise fest: Entscheidend ist zunächst die unbefragte Akzeptanz eines scheinbar allgemeinen Ausgangspunkts, der Frauen und das Geschlecht als historisch-soziale Größe kategorial ausschließt. Daraus folgt auch der zweite Schritt in der traditionellen historischen Forschung: die Wahrnehmung von Frauengeschichte als das Andere. Die traditionelle historische Forschung ist allerdings bemüht, die Frauensondergeschichte in die „allgemeine“ Geschichtssicht zu integrieren. In einem dritten Erkenntnisschritt steht dieser entweder der traditionelle männliche Maßstab zur Verfügung — hervorragende Frauen werden zu Ausnahmefrauen, Frauenleistungen wie die Frauenarbeit der Nachkriegsgeschichte werden zu Ausnahmen oder Ersatzleistungen oder die Frauen-geschichte wird in die traditionelle historische Sicht integriert. Ein doppelter Maßstab wird angelegt, um die Frauenleistungen zu bewerten. Mit Hilfe dieses doppelten Maßstabs ist es möglich, wie etwa das Beispiel der historischen Würdigung der Haus-frauenarbeit oder die Behandlung der Hexenverfolgung zeigt, die Frauengeschichte weiterhin in einer spezifischen Weise zu werten; sie wird entweder idealisiert, mythisiert oder auch dämonisiert.
Um die Tragweite dieser traditionellen historischen Argumentationsweise zu erfassen, müssen wir noch auf einen weiteren, vierten Erkenntnisschritt hinweisen, auf die fast unmerkliche Transformation des doppelten, sexistischen Maßstabes in einen scheinbar universalen, allgemeinen Maßstab. Hier wird die Spaltung unseres historischen Bewußtseins in zwei Welten, in eine männliche und eine weibliche, zwar aufgehoben, allerdings in einer falschen, uneigentlichen Weise. Bei dieser Transformation des doppelten Maßstabs in einen scheinbar universellen Maßstab büßt die Frauengeschichte ihre Eigentlichkeit und ihre Autonomie ein.
Die Begrenzungen dieses traditionellen historischen Erkenntnisprozesses, der sich nur scheinbar um die frauengeschichtliche Dimension erweitert, wird sichtbar, wenn wir diesem idealtypischen Konstrukt eine historische Sichtweise entgegensetzen, die die Frauengeschichte im Sinne einer Erweiterung und einer Re-Vision unserer historischen Geschichtssicht zu erfassen sucht. Auch hier können wir idealtypisch von vier Erkenntnisschritten sprechen.
Der Ausgangspunkt einer frauengeschichtlich-feministischen, historischen Forschung unterscheidet sich auf dieser Ebene eines idealtypischen Konstrukts vom traditionell-männlichen Forschungsprozeß in einer offensichtlichen Weise. Nicht die Richtigkeit unserer traditionellen historischen Sichtweise, sondern — im Gegenteil — die Wahrnehmung sowohl der Spezifik der Frauengeschichte als auch der Widersprüchlichkeit des doppelten Maßstabes, die unserer traditionellen historischen Sichtweise eigen ist, bildet den Ausgangspunkt des frauengeschichtlichen Forschungsprozesses. Hier geht es darum, diesen doppelten Maßstab des traditionellen historischen Denkens mit all seinen Irrationalitäten zugunsten eines allgemeineren Maßstabs zu überwinden.
Verweilen wir noch einmal bei diesem ersten Schritt: der Erschließung der Frauengeschichte in ihrer Spezifik, ohne uns an einem vorgegebenen „allgemeinen“ Maßstab zu orientieren. Es gilt, Frauenqüellen zum Sprechen zu bringen, ohne sie zunächst in die bekannten historischen Traditionszusammenhänge einzuordnen. Die Dichterinnen der Renaissance beispielsweise sind keine Renaissance-Dichterinnen im traditionellen männlichen Wortsinn. Für sie gab es keine Re-Naissance, keinen Rückbezug auf ältere Traditionen. Sie mußten ihre Autorität als Dichterinnen erst selbst schaffen. Frauen konstituieren ihre eigenen historischen Kontinuitäten als Dichterinnen, als Musikerinnen, als Politikerinnen usw. Damit gelangen wir zum zweiten Erkenntnisschritt: zur Einsicht in die differente frauengeschichtliche Tradition. Auch in der frauengeschichtlichen, feministischen Sicht haben wir es, ähnlich wie in der traditionell männlichen Perspektive, die sich mit der Frauengeschichte befaßt, mit der Einsicht in eine differente Frauengeschichte und somit auch mit dem Problem des doppelten Maßstabs zu tun. Sowohl in einem traditionell-männlichen als auch in einer frauengeschichtlich-feministischen Perspektive ist die Erkenntnis möglich, daß z. B. die athenische Demokratie für Männer einen Fortschritt, für Frauen hingegen einen Rückschritt bedeutete oder daß die Französische Revolution Frauen von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausschloß. Die Tatsache, daß wir ein Zeitalter plötzlich auf neue, „gleichsam zweifache Weise“ sehen, „und jedes Auge sieht ein anderes Bild“ (Joan Kelly-Gadol), ist sowohl in traditionell-männlicher als auch in feministischer Perspektive möglich. Allerdings gilt es, im Rahmen der frauengeschichtlichen Sicht auf eigenständige und kritische Weise mit dem Problem des doppelten Maßstabs umzugehen. Die Frauengeschichtsforschung versucht, der sexistischen Transformation des doppelten Maßstabs in einen scheinbar universellen Maßstab entgegenzuwirken. Frauen verrücken die scheinbar klaren Grenzen zwischen „öffentlich“ und „privat“, zwischen einer männlichen und einer weiblichen Sphäre. Es ist stets ihre Sache gewesen, die von Männern geschaffenen Weiblichkeitsideologien (die auch Frauen verfestigen) zu entlarven. Durch die Frauengeschichte kann der doppelte Maßstab auf seine Vernünftigkeit hin überprüft werden.
Wir haben es in der frauengeschichtlichen Sicht mit gesellschaftlichen Erfahrungen von Frauen zu tun, die die männlichen Normen als Begrenzungen und den doppelten Maßstab als gesellschaftlichen Widerspruch wahmehmen. Die Schriften einer Christine de Pizan oder einer Olympe de Gouges sind für diese Wahrnehmungsweise ein beredtes Zeugnis. Sie lassen sich nicht in die bisherigen Interpretationsweisen einbinden. Vielmehr lernen wir durch sie, die Botschaft des Humanismus und der Französischen Revolution neu zu lesen. Hierin liegt das Besondere der frauengeschichtlichen Forschungsanstrengungen, die einen allgemeinen Diskurs über diese beiden Sichtweisen erst erschaffen kann.
In der frauengeschichtlichen Perspektive steht der Normenkonflikt, nicht die vorschnelle, verdekkende Transformation des doppelten Maßstabs in einen scheinbar allgemeinen Maßstab, im Zentrum der historischen Erkenntnisbemühungen. Die männlich besetzten Begriffe verlieren ihre absolute Autorität. Die gesellschaftlichen Normen wie Gleichheit und Freiheit gewinnen eine neue Dimension. Idealtypische Konstrukte, die das traditionell männliche und das frauengeschichtlich-feministische Vorgehen im historischen Forschungsprozeß unterscheiden, sind nur grobe Annäherungen an die unterschiedlichen Bemühungen um die Erforschung unserer historischen Realität. Die Einsicht in die Unterschiedlichkeit kann uns aber für die Möglichkeiten einer nachpatriarchalen Geschichtssicht sensibilisieren.
Ob sich aber aus der Dialektik von Frauen-und Männergeschichte eine neue Gesamtsicht unserer einen Geschichte entwickelt, ob sich auf diese Weise eine neue universale Moral als eine vernünftige und humane Handlungsbasis erschließt, bleibt offen. Allerdings liegt diese feministische Utopie einer Gesellschaft, die Geschlechterdifferenz und Geschlechtergleichheit als sozial vereinbare Größen begreift, den vielfältigen frauengeschichtlichen Anstrengungen zugrunde, die zugunsten einer Gesellschafts-und einer Universalgeschichte im eigentlichen Wortsinn einen Paradigmenwechsel für unverzichtbar halten.