I. Der Weg zur Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion
Die Errichtung der deutschen Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion durch den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 ist ein Schritt zur Einheit Deutschlands: Der zweite Absatz der Präambel betont die Entschlossenheit, in Freiheit die Einheit Deutschlands in einer europäischen Friedensordnung zu vollenden, und im vierten Absatz wird die Union als bedeutsamer Schritt zur Herstellung der staatlichen Einheit nach Art. 23 Grundgesetz (GG) bezeichnet; sie wird dort als Beitrag zur Einigung Europas angesehen, und es wird betont, daß die äußeren Aspekte der deutschen Einheit noch Gegenstand der Gespräche mit den Regierungen der Vier Mächte sind. Damit werden Ziele und Rahmenbedingungen des Staatsvertrages genannt, die das Schaffen der Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion als Schritt zur Einheit Deutschlands erst verständlich machen.
Als der Übergangs-Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, am 11. November 1989 von einer Vertragsgemeinschaft zwischen den deutschen Staaten sprach, beabsichtigte er, die DDR auf absehbare Zeit als selbständigen Staat zu erhalten und lediglich in ein engeres Vertragsverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland zu bringen um Hilfe zum Aufbau der Wirtschaft zu erhalten. Bundeskanzler Kohl nahm am 28. November 1989 in seiner Zehn-Punkte-Erklärung den Vorschlag einer Vertragsgemeinschaft auf, schlug darüber hinaus konföderative Strukturen bis hin zu einer bundesstaatlichen Ordnung vor und betonte dabei das vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgegebene Ziel, die staatliche Einheit Deutschlands zu erreichen. In Gesprächen am 20. Dezember 1989 in Dresden kamen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow überein, daß die Wirtschaft ein zentrales Element der Vertragsgemeinschaft sein müsse und für die DDR eine Wirt-schaftsreform angestrebt werde, die sich an Markt-bedingungen orientiere Es wurde vereinbart, in elf gemeinsamen Kommissionen und Fachgruppen die Sachregelungen vorzubereiten. Eine Vertrags-gemeinschaft sollte aber erst nach freien Wahlen in der DDR eingegangen werden.
Gleichfalls im Dezember kam der Gedanke an eine Kopplung der Währungen auf. Das SPD-Präsidium sprach am 11. Dezember 1989 von einer Vertrags-gemeinschaft als Vorstufe zu einer Konföderation und davon, daß die Vertragsgemeinschaft eine Währungsgemeinschaft vorbereiten solle, wobei an ein Stützen der Mark der DDR durch die Bundesbank gedacht war Die Bundesregierung hielt sich bis Ende Januar in der Frage eines Währungsverbundes zurück: dieser setze vergleichbare wirtschaftliche Ordnungsrahmen, realistische Wechselkurse und ähnliche wirtschaftspolitische Zielvorstellungen voraus
Die Entwicklung wurde durch die Entschlossenheit der Bevölkerung in der DDR bestimmt, schnell die staatliche Einheit Deutschlands zu erreichen. Seit Mitte Dezember 1989 erklärten die sich auf die Volkskammerwahl vorbereitenden Parteien in der DDR die staatliche Einheit Deutschlands zu ihrem Ziel Daran war abzulesen, daß nach Einschätzung der Parteien der überwiegende Teil der Bevölkerung die schnelle Einheit wünschte. Der Vollzug der staatlichen Einheit gleich nach der anstehenden Volkskammerwahl erschien wegen der Notwendigkeit, eine Einigung mit den Vier Mächten über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit herbeizuführen, nicht möglich. Eine Umstrukturierung der Wirtschaft der DDR und die Einführung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung als Voraussetzung dafür erforderte aber nicht die Zustimmung der Vier Mächte. Auf der Basis poli-tischer und wirtschaftlicher Reformen erschien das Wagnis einer umfassenden Währungsunion möglich.
Am 7. Februar 1990 beschloß das Bundeskabinett, der DDR Verhandlungen über eine Währungsunion mit Einführung der Deutschen Mark als Zahlungsmittel in der DDR vorzuschlagen, sofern durch umfassende Wirtschaftsreformen in der DDR dafür die Voraussetzungen geschaffen würden Auf dem Treffen in Ottawa am 13. Februar 1990 verständigten sich die Außenminister der beiden deutschen Staaten und der Vier Mächte, daß die Deutschen ihre inneren Angelegenheiten — z. B. die Frage der Staatsform, der Wirtschaftsund Währungsunion sowie des Sozialsystems — selbständig regeln können Im Einklang damit bot die Bundesregie Februar 1990 verständigten sich die Außenminister der beiden deutschen Staaten und der Vier Mächte, daß die Deutschen ihre inneren Angelegenheiten — z. B. die Frage der Staatsform, der Wirtschaftsund Währungsunion sowie des Sozialsystems — selbständig regeln können 9). Im Einklang damit bot die Bundesregierung bei dem Treffen, in Bonn am 13. Februar 1990 der Delegation der DDR Verhandlungen über eine Währungsunion mit dem Ziel der Einführung der Deutschen Mark als des alleinigen Zahlungsmittels an 10). Die DDR-Delegation war nach Bonn vornehmlich mit dem Wunsch nach kurzfristiger Hilfe zur Stabilisierung der DDR gekommen und zeigte sich über die fehlende Bereitschaft zur bedingungslosen Überweisung von Milliarden-Hilfen enttäuscht; sie verkannte, daß eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Finanzierung des Haushalts eines anderen Staates nicht gegeben war. Die Übergangsregierung Modrow nahm dennoch das Verhandlungsangebot an, die Expertengespräche begannen am 20. Februar 1990.
Die Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990 standen im Zeichen der Herstellung der deutschen Einheit und der Errichtung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion. Für die in der Allianz für Deutschland zusammengeschlossenen Parteien — CDU, Demokratischer Aufbruch (DA) und Deutsche Soziale Union (DSU) — sowie den Bund Freier Demokraten, also die Partner der Parteien der Bonner Koalitionsregierung, stimmten 53, 4 Prozent der Wähler 11); die SPD, die sich auch zur Einheit und zur Währungsunion bekannte, erhielt 21, 8 Prozent der Stimmen. Damit hatten sich 34 der Wähler für die Einheit Deutschlands und die Errichtung der Währungs-, Wirtschafts-und Sozial-union entschieden.
In seiner Regierungserklärung am 19. April 1990 bezeichnete Ministerpräsident de Maiziere die Herstellung der Einheit Deutschlands in einem ungeteilten friedlichen Europa als den die Regierung verpflichtenden Wählerauftrag. Die staatliche Einheit Deutschlands solle über einen vertraglich zu vereinbarenden Weg gemäß Artikel 23 GG verwirklicht werden 12). Er ging von dem Angebot der Bundesregierung zur Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion aus und nahm zu Einzelheiten Stellung. Die folgenden Expertengespräche litten zunächst unter dem Fehlen einer klaren Analyse der Wirt-Schaftssituation der DDR. Diese war gekennzeichnet durch den zunehmenden Zerfall des Wirtschaftssystems 13). Intensive Fachgespräche, zügige Verhandlungen und der Mut, als Schritt zur staatlichen Einheit Deutschlands manche Ungewißheiten über Entwicklung und Belastungen in Kauf zu nehmen, führten zur Unterzeichnung des Staatsvertrages am 18. Mai 1990.
Die Regierung der DDR brachte das Gesetz über den Staatsvertrag am 21. Mai 1990 in die Volkskammer ein. Die Fraktionen der CDU/DA, der DSU und der Liberalen und nachdrücklich auch die der SPD begrüßten und unterstützten es in der ersten Lesung. Die Fraktion der PDS und die Fraktion Bündnis 90/Grüne lehnten den Staatsvertrag ab. Nach den Ausschußberatungen wurde das Gesetz zum Staatsvertrag am 21. Juni 1990 in zweiter Lesung behandelt und als Verfassungsgesetz mit 302 gegen 82 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen Gegen den Staatsvertrag stimmten die Abgeordneten der PDS und des Bündnis 90/Grüne, zwei Abgeordnete der Fraktion Demokratische Bauernpartei Deutschlands/Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DBD/DFD) und der Vertreter der Vereinigten Linken.
Im Bundestag brachten zunächst die Koalitionsfraktionen das Vertragsgesetz am 23. Mai 1990 ein Das Gesetz wurde erneut als Regierungsvorlage eingebracht In zweiter und dritter Lesung beriet der Bundestag das Gesetz zum Staatsvertrag am 21. Juni 1990. Das Vertragsgesetz wurde mit 444 gegen 60 Stimmen (aus den Fraktionen der SPD und der Grünen) angenommen Der Bundesrat beriet im ersten Durchgang das Vertragsgesetz am 22. Mai 1990 und beschloß seine Stellungnahme am 1. Juni 1990. Sie geht auf offene Vermögensfragen ein — insbesondere Grundstücksfragen in der DDR —, auf die Prüfung der Vermögenswerte der Parteien und Massenorganisationen der DDR im In-und Ausland sowie auf die Notwendigkeit des verstärkten Umweltschutzes in der DDR. Der Entwurf zum Vertragsgesetz enthält außer der Zustimmung zum Vertrag in Artikel 1 in den Artikeln 2 bis 32 Änderungen von Bundesgesetzen, die durch den Staatsvertrag notwendig werden. Der Bundesrat verlangte in seiner Stellungnahme die gesetzliche Festlegung der Beteiligung der Länder, das Geltendmachen gewisser Prinzipien in der weiteren Abstimmung mit den Organen der DDR und schlug schließlich eine Reihe von Abweichungen bei den Gesetzesänderungen vor Am 22. Juni 1990 stimmte der Bundesrat gegen die Stimmen Niedersachsens und des Saarlandes dem Staatsvertrag zu. Der Vertreter des Saarlandes begründete die Ablehnung damit, daß das Schaffen der Währungs-und Wirtschaftsunion Schutz-und Übergangsvorschriften erfordert hätte, die fehlten; so ergäben sich schwere Verwerfungen und nicht verantwortbare soziale Einschnitte. Niedersachsen verwies auf die allgemeine Kritik der SPD-regierten Länder und begründete seine Ablehnung speziell damit, daß mit dem Staatsvertrag der Betrieb einer Deponie für schwach-und mittel-radioaktiven Müll jenseits der Grenze Niedersachsens für zehn Jahre hingenommen werde
Das Vertragsgesetz trat rechtzeitig am 30. Juni 1990 in Kraft, um die Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zum 1. Juli 1990 zu schaffen.
II. Währungsunion
Das Schaffen der Währungsunion mit einem einheitlichen Währungsgebiet und der Deutschen Mark als gemeinsamer Währung zum 1. Juli 1990 nach Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Staatsvertrag stellt den nach außen sofort sichtbaren und am Stichtag vollzogenen Schritt zu der Union dar.
Nach Art. 10 und Anlage I des Staatsvertrages wird ein einheitliches Währungsgebiet geschaffen und die geldpolitische Verantwortung der Deutschen Bundesbank als alleiniger Emissionsbank auf das Territorium der DDR ausgeweitet. Zum 1. Juli 1990 wird die Deutsche Mark als Zahlungsmittel, Rechnungseinheit und Wertaufbewahrungsmittel auch in der DDR eingeführt. In Anlage I werden die Einführung der Währung und die Währungsumstellung näher geregelt. Nach Anlage II, Abschnitt II hat die DDR die für die Währung und das Geldwesen geltenden Bundesgesetze zu übernehmen. Sie hat dementsprechend in den §§ 6— 13 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (DDR-Rechtsübernahmegesetz, GBl. I, 357) das Bundesbankgesetz, das Kreditwesengesetz, das Hypothekenbankgesetz, das Pfandbriefgesetz, das Bausparkassengesetz, das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften, das Depotgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz jeweils in der geltenden Fassung für anwendbar erklärt.
Entsprechend der Vereinbarung in Anlage II, I Nr. 2 wird in § 33 des Gesetzes angeordnet, daß spätere Änderungen der Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes auch in der DDR gelten. § 1 Abs. 1 verwendet die Formulierung, die in den späteren Paragraphen aufgeführten Gesetze würden in der DDR in Kraft gesetzt. In den §§ 6 ff. über die einzelnen Bundesgesetze heißt es, das jeweilige Gesetz finde in der DDR Anwendung. Diese Gesetze werden also nicht parallel als Gesetze der DDR erlassen, sondern es wird gesetzlich angeordnet, daß diese Bundesgesetze als solche in der DDR angewendet werden.
Die nach Art. 88 GG mit dem Bundesbankgesetz errichtete Bundesbank ist Teil der Bundesexekutive. Zentralbankrat und Direktorium haben die Stellung oberster Bundesbehörden (§ 29 Bundesbankgesetz). Ihre Weisungsunabhängigkeit nach § 12 des Bundesbankgesetzes wird in Art. 10 Abs. 3 des Staatsvertrages gegenüber den Regierungen der Vertragsparteien erneut bestätigt. Die Bundesbank handelt auch mit Bezug auf das Gebiet der DDR eigenverantwortlich. Nach Art. 12 der Anlage I wird bei ihrer vorläufigen Verwaltungsstelle in der DDR ein Beratungsgremium mit bis zu zehn Mitgliedern gebildet. In Fragen der Geld-und Währungspolitik wird der jeweils zuständige Minister der DDR zu Sitzungen des Zentralbankrates eingeladen (Anlage I, Art. 13). Auch diese Vorschriften über Beratung und Zusammenarbeit modifizieren nicht die Stellung der Bundesbank als Teil der Bundesexekutive. Die Bundesbank handelt als Währungs-und Notenbank, aber auch bei Ausübung ihrer Befugnisse nach Devisenrecht und bei Aufsichtsaufgaben nach dem Kreditwesengesetz hoheitlich. In Anlage I, Art. 10 des Vertrages wird sie zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen zur Währungsumstellung ermächtigt, in Absatz 2 der Vorschrift werden ihr Aufsichtsbefugnisse eingeräumt. Art. 3 Satz 3 des Vertrages bestätigt, daß sie — wie das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen — ihre Hoheitsbefugnisse auch in der DDR ausübt. Verwaltungsakte und sonstige Anordnungen dieser Bundesbehörden werden nach Abschnitt B II Nr. 3 des Protokolls über Leitsätze auch in der DDR — notfalls mit Zwangsmitteln — durchgesetzt. Nach Anlage II, II Nr. 2 und Nr. 8 des Vertrages und § 7 bzw. § 13 des DDR-Rechtsübernahmegesetzes entscheidet ausschließlich das Bundesverwaltungsgericht über Klagen von Klägern aus der DDR gegen Entscheidungen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen oder des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen. Die erforderlichen Ergänzungen der entsprechenden Bundesgesetze sind Inhalt der Artikel 3, 4 und 9 des Bundesgesetzes über den Staatsvertrag.
III. Wirtschaftsunion
1. Aufgabenstellung und Grundlagen „Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft.“ So beschreibt Art. 9 Abs. 3 der DDR-Verfassung von 1974 das Wirtschaftssystem. Näher heißt es dazu, es gelte „der Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche“. „Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln“ (Art. 9 Abs. 1). Nicht nur das freiheitsverneinende Regierungssystem der SED, sondern auch das Wirtschaftssystem der sozialistischen Planwirtschaft ist gescheitert. Es ist Aufgabe der Wirtschaftsunion, die Wirtschaft der DDR auf die erfolgreiche Ordnung der sozialen Marktwirtschaft umzustellen.
Im Staatsvertrag wird in Abs. 3 der Präambel das Ziel genannt, „die soziale Marktwirtschaft als Grundlage für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit sozialem Ausgleich und sozialer Absicherung und Verantwortung gegenüber der Umwelt“ auch in der DDR einzuführen. Als Grundsätze der gemeinsamen Wirtschaftsordnung werden „Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen“ unter Beachtung des Umweltschutzes (Art. 1 Abs. 3) genannt. In Art. 2 Abs. 1 werden als wirtschaftliche Freiheitsrechte „Vertragsfreiheit, Gewerbe-, Niederlassungs-und Berufsfreiheit, die Freizügigkeit von Deutschen in dem gesamten Währungsgebiet“ und die Koalitionsfreiheit sowie das Eigentum Privater an Grund und Boden und an Produktionsmitteln garantiert.
Entgegenstehende Vorschriften der DDR-Verfassung werden nach Art. 2 Abs. 2 nicht mehr angewandt. Art. 11 Abs. 1 erklärt die Ziele von § 1 des Stabilitätsgesetzes, nämlich Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum, zu wirtschaftspolitischen Leitlinien. Im gemeinsamen Protokoll über Leitsätze, das nach Art. 4 Abs. 1 verbindlich ist, werden weitere Grundsätze gemeinsam festgestellt. Es heißt dort unter A II, daß wirtschaftliche Leistungen vorrangig privatwirtschaftlich erbracht werden; die Vertragsfreiheit wird gewährleistet, und unternehmerische Entscheidungen sollen frei von Planvorgaben sein. Private Unternehmen dürfen nicht gegenüber staatlichen und genossenschaftlichen Betrieben benachteiligt werden. Die Preisbildung ist grundsätzlich frei. Staatsbetriebe sind nach Wirtschaftlichkeit zu führen, wettbewerblich zu strukturieren und soweit wie möglich in Privateigentum zu überführen. Diese Grundsätze sind durch die Gesetzgebung und die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Exekutive zu verwirklichen; sie bestimmen die Auslegung von Rechtsvorschriften und das Verwaltungshandeln. 2. Das einheitliche deutsche Wirtschaftsgebiet Nach Art. 2 Abs. 1 des Vertrages genießen Deutsche die Freizügigkeit im gesamten Währungsgebiet. Art. 1 des Abkommens über die Aufhebung von Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen vom 1. Juli 1990 hebt die Kontrollen im Personenverkehr auf; Deutsche dürfen die innerdeutschen Grenzen an jeder Stelle überschreiten. Gleiches gilt für Ausländer, die die Einreisevoraussetzungen erfüllen (BGBl. II. 570). In Art. 1 Abs. 3 des Staatsvertrages wird allgemein „grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital. Gütern und Dienstleistungen“ zur Grundlage der Wirtschaftsunion erklärt.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 ist das Berliner Interzonen-handelsabkommen vom 20. September 1951 anzupassen. Durch die Währungsunion wird der dort geregelte Verrechnungsverkehr gegenstandslos. Formell werden zwar die Interzonenhandelsverordnung und auch die Devisenbewirtschaftungsgesetze aufrechterhalten. Der Waren-, Dienstleistungs-und Zahlungsverkehr ist aber durch umfassende allgemeine Geschäftsgenehmigungen freigegeben worden: Bis auf wenige Ausnahmen im Bereich der Exportkontrollen sind für Lieferungen in die DDR alle Waren allgemein genehmigt. Ebenso sind für Waren des gewerblichen Bereichs Bezüge aus der DDR allgemein erlaubt. Genehmigungspflichtig ist noch der Bezug von Waren der Land-, Forst-und Ernährungswirtschaft aus der DDR. Die den Verbringungen zugrundeliegenden Geschäfte sind von einer allgemeinen Genehmigung der Deutschen Bundesbank erfaßt 3. Rechtsangleichungen zur Wirtschaftsunion Die Wirtschaftsunion erfordert die Aufhebung der die sozialistische Planwirtschaft der DDR regelnden Rechtsvorschriften und die Angleichung an das bundesdeutsche Wirtschaftsrecht der sozialen Marktwirtschaft. Diese Aufgabe kann nicht allein durch die verbindliche Vereinbarung der genannten Grundsätze geleistet werden. Im Staatsvertrag verpflichtet sich die DDR, mit konkreten Rechtsetzungsakten ihr Recht dem bundesdeutschen anzugleichen: Nach Art. 3 sind die in Anlage II bezeichneten bundesrechtlichen Vorschriften in Kraft zu setzen; in Anwendung der Grundsätze nach Art. 2 Abs. 1 und der im gemeinsamen Protokoll vereinbarten Leitsätze hebt die DDR die in Anlage III bezeichneten Vorschriften auf oder ändert sie, und schließlich erläßt sie die in Anlage IV bezeichneten neuen Rechtsvorschriften (Art. 4 Abs. 1).
Für das Organisationsrecht der Unternehmen wurden gemäß Anlage II, III Nr. 3— 8 die gegenwärtig gültigen gesellschaftsrechtlichen und unternehmensrechtlichen Vorschriften des Bundesrechts übernommen, nämlich die ersten drei Bücher des Handelsgesetzbuches (HGB) und die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das GmbH-Gesetz und das Aktien-gesetz, das Genossenschaftsgesetz, das Gesetz über Kapitalerhöhung und das Umwandlungsgesetz. Damit wird Recht in der DDR zum Teil neu eingeführt, zum Teil werden dort fortbestehende reichs-rechtliche Vorschriften auf den modernen Stand gebracht. Die DDR hat die Übernahme in den §§ 16— 22 des Rechtsübernahmegesetzes vollzogen. Zur Sicherung des Wettbewerbs war das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die DDR zu übernehmen, zum Schutz des Verbrauchers das AGB-Gesetz (Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen), das Gesetz über Haustürgeschäfte und das Abzahlungsgesetz (Anlage II, III Nr. 1, 9-11).
Die Rechtsbeziehungen zwischen Unternehmen der sozialistischen Wirtschaft waren solche innerhalb desselben Rechtsträgers und unterlagen so dem Gesetz über das Vertragssystem der sozialistischen Wirtschaft — Vertragsgesetz — vom 25. März 1982; dieses Gesetz ist aufzuheben. Die Wirtschaftsbetriebe treten nun in Rechtsbeziehungen nach dem zum „Gesetz über Wirtschaftsverträge — GW — “ umbenannten Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge vom 5. Februar 1976 (Anlage III, II Nr. 11). Im Zivilgesetzbuch wird die Unterordnung des Privateigentums unter das sozialistische Eigentum beseitigt, außerdem werden Kreditsicherungsmöglichkeiten erweitert (Leitsätze B II Nr. 1. Anlage III, II Nr. 8).
Das in den Anlagen niedergelegte Gesetzgebungsprogramm zur Wirtschaftsunion ist damit keineswegs abschließend umschrieben. In den Leitsätzen werden rechtliche Voraussetzungen für den freien Kapitalmarkt, die Aufhebung des Versicherungsmonopols und der Abbau bestehender Hemmnisse im Zahlungsverkehr vereinbart. Das Wechsel-und das Scheckgesetz sind an das Bundesrecht anzugleichen (Anlage III, II Nr. 9 u. 10). Das Strafgesetzbuch ist dahingehend zu ändern, daß die Vorschriften zum besonderen Schutz der sozialistischen Wirtschaft gestrichen werden. Nach Anlage IV ist ein Gesetz über die Niederlassung auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit zu erlassen. Ein neues Preisbildungsgesetz, das Preisbindungen nur als Ausnahmen zuläßt, soll geschaffen werden. Auch ein Steuerberatungs-und Wirtschaftsprüfergesetz • wird spätestens zum 1. Januar 1991 erwartet.
Die Rechtsangleichung zur Herstellung der Wirtschaftsunion betrifft besonders auch die Außenwirtschaft. Das Außenhandelsgesetz sowie die daraufberuhenden Verordnungen werden aufgehoben (Anlage III, II Nr. 1). Aufzuheben ist gleichermaßen nach Anlage III, II Nr. 2 die Verordnung über die Tätigkeit von Auslandsunternehmen in der DDR vom 25. Januar 1990, weil sie die Freizügigkeit des Kapitals unangemessen beschränkt und den Aufbau der Wirtschaft behindert. Soweit Bundesrecht unmittelbar nach Anlage II übernommen wird, wird seine Anwendung — als Bundesrecht — angeordnet. Nach Art. 3 Satz 2 gelten bundesrechtliche Änderungen ohne weiteres auch in der DDR. 4. Umweltschutz Der Umweltschutz wird schon in Art. 1 Abs. 3 als Element der vereinbarten sozialen Marktwirtschaft genannt. Die schnelle Verwirklichung einer deutschen Umweltunion wird in Art. 16 Abs. 1 vereinbart. Nach Anlage II, III Nr. 2 wird das Atomgesetz des Bundes mit der Maßgabe übernommen, daß nach DDR-Recht erteilte Genehmigungen in einer Übergangszeit von fünf bzw. zehn Jahren fort-gelten. Die DDR hat das Atomgesetz mit § 15 des Rechtsübernahmegesetzes in Kraft gesetzt.
Der Schutz der Umwelt wird unter den wirtschaftspolitischen Grundlagen in Art. 11 Abs. 2 genannt. Neue Anlagen und Einrichtungen in der DDR dürfen nach Art. 16 Abs. 2 des Staatsvertrages nur genehmigt werden, wenn sie den im Bundesgebiet geltenden Sicherheits-und Umweltschutzanforderungen genügen. Es wäre illusorisch, die bundesdeutschen Umweltschutzstandards sofort auch auf die bestehenden Anlagen anzuwenden; angesichts der Mißachtung des Umweltschutzes in der sozialistischen Wirtschaft würde das zu zahlreichen Betriebsstillegungen in der DDR führen. So enthält Art. 16 Abs. 2 Satz 4 vorerst nur die Verpflichtung der DDR, möglichst schnell auch für bestehende Anlagen und Einrichtungen entsprechende Anforderungen zu stellen. Insgesamt ist das Umwelt-schutzrecht so schnell wie möglich auf hohem Niveau anzugleichen. Nach Anlage VI sind in der DDR möglichst bald Regelungen zu treffen, die dem Bundesimmissionsschutzgesetz, dem Abfallgesetz, dem Benzinbleigesetz, dem Chemikaliengesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz entsprechen. 5. Strukturänderungen und wirtschaftspolitische Maßnahmen Die Wirtschaftsstruktur der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR war bestimmt durch die sozialistischen Betriebe. Der Übergang zur Marktwirtschaft macht eine grundsätzliche Neuordnung erforderlich, die nicht durch bloße Gesetzesänderungen herbeigeführt werden kann. Art. 11 des Vertrages verpflichtet die DDR, ihre wirtschaftsund finanzpolitischen Maßnahmen an der sozialen Marktwirtschaft auszurichten. Es sind Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Marktkräfte und der Privatinitiative zu schaffen, um den Struktur-wandel, das Errichten moderner Arbeitsplätze und eine breite Basis aus kleinen und mittleren Unternehmen sowie freien Berufen zu fördern. Dementsprechend ist die Unternehmensverfassung nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu gestalten. Die wirtschaftspolitischen Grundlagen des Art. 11 werden ergänzt durch die im gemeinsamen Protokoll über Leitsätze unter A II aufgeführten Prinzipien.
Von der Strukturanpassung der Unternehmen an die neuen Marktbedingungen handelt Art. 14. Diese soll in der Übergangszeit auch durch Finanzhilfen gefördert werden. Zur „Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“ hat die DDR ein so bezeichnetes Gesetz, das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990, erlassen (GBl. I, 300). § 1 stellt den Grundsatz auf, daß das volkseigene Vermögen zu privatisieren ist. Dazu wird eine Treuhandanstalt geschaffen. Es werden Treuhand-aktiengesellschaften sozusagen als Holdings errichtet (§§ 7— 10). Die im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragenen volkseigenen Kombinate, Betriebe, Einrichtungen und sonstigen juristisch selbständigen Wirtschaftseinheiten werden, soweit das noch nicht geschehen ist, in Kapitalgesellschaften umgewandelt. Nach dieser gesetzlichen Umwandlung werden erneut Gründungsverfahren für sie eingeleitet. Es wird von Privatisierungserlösen gesprochen, wenn auch das Gesetz über die Veräußerung von Geschäfts-oder Vermögensanteilen und die Verwertung des Vermögens nicht sanierungsfähiger Unternehmen keine Einzelheiten enthält. Einnahmen sollen vorrangig für die Strukturanpassung der Unternehmen, in zweiter Linie für Beiträge zum Staatshaushalt und nach einer Bestandsaufnahme gegebenenfalls dazu verwendet werden, Sparern nominelle Verluste bei der Einführung der Deutschen Mark auszugleichen. 6. Außenwirtschaft Für die Außenwirtschaft bestimmt Art. 11 Abs. 3, daß die DDR ihre Politik unter Beachtung ihrer gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen mit den Ländern des RGW auf das Recht und die wirtschaftspolitischen Ziele der EG ausrichtet. Die RGW-Beziehungen — insbesondere vertragliche Verpflichtungen — genießen nach Art. 13 Abs. 2 Vertrauensschutz. Sie sind im Einvernehmen mit den jeweiligen Vertragspartnern an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Die Wirtschaftseinheiten der DDR sind in ihrem Außenwirtschaftsverkehr nach Aufhebung des Außenhandelsmonopols grundsätzlich frei. Für die staatliche Gestaltung des Außenwirtschaftsverkehrs bindet Art. 13 Abs. 1 die DDR an die Grundsätze eines freien Warenhandels, wie sie insbesondere im allgemeinen Zoll-und Handelsabkommen (GATT) zum Ausdruck kommen. Das neue Außenwirtschaftsgesetz vom 28. Juni 1990 (GBl. I, 315) betont den Grundsatz der Außenhandelsfreiheit, gibt aber unter besonderen Voraussetzungen Ermächtigungen für Handelsverbote und Genehmigungsvorbehalte. Der innerdeutsche Handel unterlag einer besonderen Regelung und war nicht Außenhandel. Gemäß dem Protokoll über den innerdeutschen Handel (BGBl. 1957 II, 984) vom 25. März 1957, das Bestandteil des Vertragssystems der EWG ist, wurde der innerdeutsche Handel, beschränkt auf die beiden deutschen Staaten, auch gemeinschaftsrechtlich nicht als Außenhandel angesehen.
Bei Abschluß des Staatsvertrages gingen die Vertragsparteien noch davon aus, daß sich lediglich Waren mit Ursprung in der DDR nach Verbringung in das Bundesgebiet im freien Verkehr im EG-Gebietbefinden. Art. 12 Abs. 2 des Vertrages setzt fest, daß Waren aus Drittländern über die innerdeutsche Grenze nur in einem zollamtlich überwachten Verfahren befördert werden dürfen. Inzwischen haben die Zollverwaltungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in einer gemeinsamen Mitteilung an die EG vom 21. Juni 1990 festgestellt, daß vom 1. Juli 1990 an Waren mit Ausnahme des Landwirtschaftsbereichs an den Außengrenzen der DDR nach den selben Regeln und Zollverfahren behandelt werden wie der Handel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Drittländern. Die DDR stellt sicher, daß der Europäische Gemeinsame Zolltarif, die gemeinschaftliche Zollgesetzgebung sowie die gemeinsame Handelspolitik auch von ihr angewandt wird; sie hat dementsprechend am 22. Juni 1990 ein neues Zollgesetz erlassen (GBl. 1, 451). Der Rat der EG hat in der Verordnung 1794/90 vom 28. Juni 1990 zu Übergangsmaßnahmen für den Handel mit der DDR bestimmt, daß Zölle und Abgaben gleicher Wirkung sowie mengenmäßige Beschränkungen im Handel der Gemeinschaft mit der DDR ausgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen dafür von der Kommission festgestellt werden; die Kommission wird zudem zu Durchführungsmaßnahmen ermächtigt. In der Verordnung EWG 1795/90 vom 29. Juni 1990 hat die Kommission die entsprechende Feststellung getroffen und in Art. 2 Abs. 1 angeordnet, daß im Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und der DDR das gemeinschaftliche Versandverfahren angewandt wird. Zur Anwendung dieses Verfahrens heißt es in Art. 2 Abs. 2, daß die DDR als Bestandteil der Gemeinschaft gelte
Damit ist die DDR für den Warenverkehr außerhalb des Agrarbereichs in den Wirtschaftsraum der EG einbezogen. Auch der unmittelbare Warenverkehr zwischen der DDR und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterliegt keinen Beschränkungen mehr.
IV. Sozialunion
Unter dem Begriff der Sozialunion werden zwei Komplexe zusammengefaßt. Zunächst werden die Grundsätze der Arbeitsrechtsordnung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland für die DDR eingeführt; dieser Komplex ist ein notwendiges Erfordernis für die Wirtschaftsunion. Der andere Bestandteil der Sozialunion ist das System der sozialen Sicherung. Zu schaffen sind dem System in der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Gesetze und Verwaltungsträger für die Kranken-und Rentenversicherung, die Arbeitsförderung einschließlich der Arbeitslosenversicherung und ein Sozialhilfegesetz. Da nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaft bis zum Aufbau der Strukturen der sozialen Marktwirtschaft Übergangsschwierigkeiten erwartet werden, stellt der Bund für die Arbeitslosenversicherung und auch für den Beginn der Rentenversicherung Finanzmittel als sogenannte „Anschubfinanzierung“ bereit. 1. Einführung einer der sozialen Marktwirtschaft entsprechenden Arbeitsrechtsordnung Die Einführung einer solchen Arbeitsrechtsordnung wird in Art. 1 Abs. 4 des Staatsvertrages festgesetzt. In den grundrechtsähnlichen Grundsätzen des Art. 2 Abs. 1 wird die Koalitionsfreiheit garantiert. Diese wird in dem gemeinsamen Protokoll über Leitsätze unter A III Nr. 1 näher ausgestaltet. In Nr. 2 und 3 werden Grundsätze für tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände umschrieben; sie müssen in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluß zu kommen. Löhne und Arbeitsbedingungen unterliegen freien Vereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien.
Entsprechend A III Nr. 4 der Leitsätze treten die Rechtsvorschriften über besondere Mitwirkungsrechte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) außer Kraft. Gemäß Anlage III, Abschnitt III wird das Gewerkschaftsgesetz der DDR vom 6. März 1990 aufgehoben. Den Grundsätzen und Leitsätzen entsprechend ist das Arbeitsgesetzbuch der DDR zu ändern; dabei ist nach B IV Nr. 5 der Leitsätze auch das Recht zur fristlosen Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grunde gesetzlich zu regeln.
Das bundesdeutsche kollektive Arbeitsrecht ist in der DDR in Kraft zu setzen. Im einzelnen sind das Montanmitbestimmungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz, einige fortgeltende Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, das Betriebsverfassungsgesetz, das Tarifvertragsgesetz und das Kündigungsschutzgesetz (Anlage II, IV Nr. 1— 7) zu übernehmen. Die DDR hat diese Gesetze in den §§ 26— 32 des Rechtsübernahmegesetzes als Bundesrecht übernommen. 2. System der sozialen Sicherung Für das System der sozialen Sicherung werden in Art. 18 Grundsätze der Sozialversicherung festgelegt. Danach wird die bisherige Einheitsversicherung der DDR abgelöst durch ein in Renten-, Kranken-, Unfall-und Arbeitslosenversicherung gegliedertes System, das jeweils durch Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts verwaltet wird. Die Leistungen der Versicherung sind vor allem durch Beiträge zu finanzieren, und zwarje zur Hälfte von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern sowie in der Unfallversicherung von den Arbeitgebern allein. In den Absätzen 3 und 4 finden sich dann Übergangsregeln und Vorschriften über Lohnzuschüsse aus dem Staatshaushalt zu den Arbeitnehmerbeiträgen.
Das System der Arbeitslosenversicherung einschließlich der Arbeitsförderung ist gemäß Art. 19 entsprechend dem Arbeitsförderungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu regeln. Dazu ist das Arbeitsförderungsgesetz vom 22. Juni 1990 wortgleich mit dem bundesdeutschen Arbeitsförderungsgesetz erlassen worden; allerdings ist § 116 Absatz 3 über die Unparteilichkeit bei der Gewährung von Arbeitslosengeld in Arbeitskämpfen dann, wenn der Arbeitslose mittelbar von dem Arbeitskampf betroffen ist, nicht übernommen worden (GBl. I, 403). Auch ein Gesetz über den Anspruch auf Sozialhilfe — Sozialhilfegesetz — ist in der DDR am 21. Juni 1990 erlassen worden (GBl. I, 392). Damit ist der Gesetzgebungsauftrag in Art. 24 des Staatsvertrages erfüllt worden. Das Krankenversicherungsrecht ist nach Art. 21 an die bundesrechtlichen Regelungen anzugleichen. Das gleiche gilt für das Unfallversicherungsrecht gemäß Art. 23 des Staatsvertrages. Für die Rentenversicherung ist nach Art. 20 der Grundsatz der Lohn-und Beitragsbezogenheit zu übernehmen. In Ausführung dieser Vereinbarungen erging am 28. Juni 1990 das Gesetz über die Sozialversicherung (GBl. I, 486).
Die Bestandsrenten werden nach dem Staatsvertrag und dem Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 (GBl. I, 495) derart umgestellt, daß ein Rentner nach 45 Versicherungsjahren dann, wenn sein Verdienst jeweils dem Durchschnittsverdienst entsprochen hat, 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoarbeitsverdienstes in der DDR als Rente erhält. Die Renten der Rentenversicherung werden dem System der Bundesrepublik entsprechend der Entwicklung der Nettoarbeitseinkommen in der DDR angepaßt. Dieses System ergibt regelmäßig gegenüber den bisherigen Bestandsrenten einen höheren Rentenbetrag In den Fällen, in denen sich ausnahmsweise geringere Renten ergeben sollten, werden die bisherigen Renten unter dem Grundsatz des Vertrauensschutzes gewährt.
Im bundesdeutschen Vertragsgesetz werden Übergangsvorschriften zum Rentenrecht erlassen. So wird in Art. 23 die Anwendung des Fremdrentenrechts auf Übersiedler nach dem 18. Mai 1990 ausgeschlossen. Personen, die in das bundesdeutsche Rentenrechtsgebiet übersiedeln, erhalten ihre Bezüge von den Rentenverwaltungsträgern in der DDR nach den dort gültigen Berechnungsvorschriften. Damit wird ein in der bisherigen Fremdrentenregelung enthaltener Anreiz zur Übersiedlung beseitigt. Insgesamt gleichen die Sozialversicherungsbestimmungen des Staatsvertrages das System der sozialen Sicherheit an die in der Bundesrepublik Deutschland bewährten Grundsätze der Beitragsfinanzierung und der Lohnabhängigkeit der Leistungen an. Sie führen zu einer Verbesserung der Versorgung, die — zusammen mit der Dynamisierung der Renten — zur Anglei-chung der Lebensverhältnisse beitragen wird. Mit Einführung des Sozialhilfegesetzes erhalten bedürftige Bewohner der DDR erstmals einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfeleistungen. Dieser Teil des sozialen Systems ist wie in der Bundesrepublik Deutschland auch in der DDR nicht aus Beiträgen finanziert und nicht lohnabhängig.
V. Staatshaushalt und Finanzen
Der Staatshaushalt der DDR war früher nach den Regeln der sozialistischen Planwirtschaft mit der allgemeinen Finanzplanung verbunden. Die Einnahmen stammten zum Teil aus den Abführungen der Staatsbetriebe. Auch das Rentensystem war mit dem Staatshaushalt verbunden. Mit der Abschaffung der sozialistischen Planwirtschaft hat sich der Staat weitgehend aus dem Wirtschaftsbereich zurückzuziehen. Im Interesse einer geordneten Währungs-und Finanzwirtschaft muß das Haushaltsgebaren die Grundsätze, die im Stabilitätsgesetz genannt sind, beachten. Der Abschied von der sozialistischen Planwirtschaft und die Bildung der Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion machen also den Aufbau eines neuen staatlichen Haushalts-und Finanzsystems erforderlich.
Grundsätze für die Finanzpolitik sind in Art. Abs. 2 des Staatsvertrages und im Abschnitt III der Anlage IV über die in der DDR zu erlassenden Rechtsvorschriften enthalten. Für den öffentlichen Haushalt ist die jeweilige Gebietskörperschaft unter Berücksichtigung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verantwortlich. Der Haushalt muß ausgeglichen sein; die Haushalte werden den Haushaltsstrukturen der Bundesrepublik angepaßt. Der Sozialbereich, die Wirtschaftsunternehmen und die Verkehrsbetriebe werden aus dem Staatshaushalt ausgegliedert. Vereinbarungsgemäß hat die DDR am 15. Juni 1990 Gesetze zur Finanz-und Haushaltsordnung erlassen. Das Gesetz über Grundsätze der Finanzordnung entspricht dem bundesdeutschen Finanzverfassungsrecht, das Haushaltsgrundsätzegesetz folgt dem entsprechenden bundesdeutschen Gesetz. Gleichzeitig sind eine Haushaltsordnung und ein Gesetz über den Rechnungshof erlassen worden 26).
Art. 26 Abs. 3 verpflichtet die Gebietskörperschaften der DDR zur Defizitbegrenzung. Insbesondere sind die Haushaltssubventionen abzubauen, die Personalausgaben im öffentlichen Dienst sind nachhaltig abzusenken, alle Ausgaben sind auf Notwendigkeit und Finanzierbarkeit zu überprüfen. Nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens ist dieses außer für die Strukturanpassung der Wirtschaft für die Sanierung des Staatshaushalts der DDR zu nutzen (Art. 26 Abs. 4).
Die Steuereinnahmen der DDR, die für das zweite Halbjahr 1990 auf 29 Milliarden DM geschätzt werden können auch die bereinigten Ausgaben der DDR-Haushalte nicht decken. Ein Teil der Defizite soll durch Finanzzuweisungen der Bundesrepublik Deutschland aufgefangen werden. Die Notwendigkeit, den Haushalt teilweise aus Bundesmitteln zu finanzieren, rechtfertigt ausgabenbeschränkende Vereinbarungen. Sie finden sich zunächst in den Haushaltsgrundsätzen des Art. 26 Abs. 3. In Art. 27 werden die Kreditermächtigungen für die Haushalte der Gebietskörperschaften der DDR für 1990 auf zehn Milliarden DM, für 1991 auf 14 Milliarden DM begrenzt; sie werden im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister auf die Staatsebenen verteilt. Für das Treuhandvermögen können 1990 zur Vorfinanzierung zu erwartender Erlöse Kredite bis zu sieben Milliarden DM aufgenommen werden. Auch Kreditbürgschaften bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesfinanzminister. Nach Art. 29 gewährleistet die Regierung der DDR, daß im öffentlichen Dienst zunächst nur Übergangsregelungen getroffen und dabei die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der DDR und die Haushaltskonsolidierung beachtet werden. Die Finanzzuweisungen der Bundesrepublik Deutschland enthalten nach Art. 28 Abs. 1 zu-nächst eine Anschubfinanzierung für die Rentenversicherung in Höhe von 750 Millionen DM für das zweite Halbjahr 1990 sowie für die Arbeitslosenversicherung in Höhe von zwei Milliarden DM; weitere drei Milliarden DM werden für 1991 gezahlt. Diese Beträge werden aus dem Bundeshaushalt geleistet. Zum Haushaltsausgleich für das zweite Halbjahr 1990 gewährt die Bundesrepublik Deutschland zweckgebundene Finanzzuweisungen von 22 Milliarden DM und für 1991 von 35 Milliarden DM (Art. Abs. 1). Diese Zuweisungen werden über den Fonds „Deutsche Einheit“ bereitgestellt. Er wird mit Art. 31 des Vertragsgesetzes als Sondervermögen des Bundes nach Art. HO Abs. 1 GG errichtet. Der Fonds wird bis 1994 mit Haushaltszuweisungen des Bundes in Höhe von 20 Milliarden DM und mit Krediten in Höhe von 95 Milliarden DM finanziert. Die Schuldendienstverpflichtungen trägt der Bund; die Länder erstatten ihm die Hälfte dieser Ausgaben. An Finanzzuschüssen für die DDR sind noch für die Jahre 1992— 1994 28. 20 und zehn Milliarden DM vorgesehen. Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben vereinbart, die Gesamtregelung für 1992 zu überprüfen. Mit der Fonds-Finanzierung werden die besonderen Finanzleistungen auf dem Wege zur deutschen Vereinigung als „Investitionen“ in die deutsche Zukunft nur teilweise aus laufenden Haushaltsmitteln, zu einem beträchtlichen Teil langfristig über Kredite finanziert.
Der Finanzaufwand des Bundes steigt, wenn der Fonds 1994 voll in Anspruch genommen ist. Für 1991 ergibt sich eine Entlastung dadurch, daß Kosten der deutschen Teilung wie die Zahlungen für den Reisedevisenfonds, die Transitpauschale und die Straßenbenutzungsgebühren wegfallen. Nach dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages belasten die in Art. 28 dös Staatsvertrags vereinbarten Zuweisungen den Bund in den Jahren 1990— 1994 mit zusätzlichen Ausgaben von zunächst fünf und schließlich 8, 4 Milliarden DM (5; 5; 5, 6; 7, 7 und 8, 4 Milliarden DM). Der Finanzausschuß des Bundestages kommt nach Prüfung zu der Auffassung, daß die aus dem Staatsvertrag resultierenden Mehrausgaben aus den öffentlichen Haushalten der Bundesrepublik Deutschland finanzierbar sind 28).
VI. Verfassungsrecht der Übergangszeit
Der Staatsvertrag wurde „dank der Tatsache, daß in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst 1989 eine friedliche und demokratische Revolution stattgefunden hat“, geschlossen — so beginnt seine Präambel. Auf dieser Revolution und der Entscheidung der Wähler im März 1990 für die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht die Willensbildung in der DDR für den Staatsvertrag. Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung setzt eine freiheitliche Staatsordnung voraus. So hätte auch die Bundesrepublik Deutschland den Unionsvertrag nicht mit einem auf Unterdrückung gestützten sozialistischen Regime schließen können; zudem wäre nach unserem Staatsverständnis nicht zu rechtfertigen, eine mit dem Staatsvertrag vereinbarte beträchtliche Hilfe zur Unterstützung einer unfreien sozialistischen Herrschaft zu gewähren. Wenn im Staatsvertrag Aussagen zur staatlichen Ordnung der DDR gemacht werden, dann wird damit die Änderung der Grundordnung festgestellt, nicht zu ihr verpflichtet. In den Feststellungen werden aber Verfassungsgrundsätze konkretisiert, so daß sie als Bestandteil einer Verfassung der DDR im materiellen Sinn für die Übergangszeit angesehen werden können.
In Art. 2 Abs. 1 Satz 1 bekennen sich die Vertragsparteien „zur freiheitlichen, demokratischen, föderativen, rechtsstaatlichen und sozialen Grundordnung“. Gemäß A I Nr. 1 der Leitsätze wird das Recht der DDR nach diesen Grundsätzen gestaltet. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 garantiert wirtschaftliche Grundrechte. Art. 6 des Staatsvertrages enthält zudem eine Rechtsschutzgarantie gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt. Art. 2 Abs. 2 des Vertrages und die Leitsätze A I Nr. 2 des Protokolls stellen dann fest, daß entgegenstehende Vorschriften nicht mehr angewandt werden.
Die friedliche Revolution und die politischen Entscheidungen seither haben die Verfassungslage in der DDR tiefgreifend verändert. Zwar hat die erste frei gewählte Volkskammer schon in ihrer ersten Sitzung die organisatorischen Bestimmungen der DDR-Verfassung von 1974 angewandt, indem unter ausdrücklicher Berufung auf Art. 79 Abs. 3 Lothar de Maiziere mit der Regierungsbildung beauftragt wurde In derselben Sitzung wurde gemäß den Art. 63 und 106 der DDR-Verfassung diese geändert; es wurde die Präambel gestrichen, frühere Funktionen des Staatsrats wurden vorläufig dem Präsidium der Volkskammer übertragen
Schon in der zweiten Sitzung der Volkskammer wurde die Fortgeltung der Verfassung erörtert. In prägnanter Kürze sagte die Abgeordnete Frau Kögler, DA. dazu: „Ich meine, daß die Verfassung, die bisher eine sozialistische gewesen ist, nicht unsere Verfassung ist, und daraufwird auch nicht der Ministerpräsident vereidigt. Wir haben eine Revolution durchgeführt. Das bedeutet, diese Verfassung existiert nicht mehr. Und das, was übrig ist, ist ein Fragment.“
Diese in der Volkskammer bestrittene Auffassung stützt sich auf herkömmliches allgemeines deutsches Verfassungsrecht. Nach herrschender Meinung zerstörte z. B. die Revolution von 1918 die Teile der Verfassung, die ihr im Wege standen, ohne daß dabei die Änderungsvorschriften der Reichsverfassung eingehalten werden mußten Vor der Vereidigung der Regierung wurde in derselben Sitzung die Verfassungsbestimmung über den Eid geändert
Zunächst in der dritten Sitzung am 19. und dann am 26. April wurde in der Volkskammer über die Einführung des Entwurfs, der im Auftrag des Zentralen Runden Tisches noch nach der Wahl zur Volkskammer ausgearbeitet worden war, als Übergangsverfassung diskutiert Die Volkskammer lehnte mit 179 gegen 167 Stimmen ab, den Verfassungsentwurf in den Ausschüssen zu behandeln. Die Mehrheit begründete diese Entscheidung damit, daß schnell die deutsche Einheit angestrebt und eine Neukonstituierung der DDR für die Zeit bis dahin abgelehnt werde. Als Schritt zur Einheit sei die Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zu errichten, und die gesetzgeberischen Aufgaben dazu dürften nicht durch eine Konzentration auf die Übergangsverfassung behindert werden.
Am 17. Mai 1990 — und damit noch vor Abschluß des Staatsvertrages — brachte die Regierung in der Volkskammer den Entwurf über Verfassungsgrundsätze ein Nach wesentlichen Änderungen in den Ausschußberatungen wurden die Verfassungsgrundsätze in der Sitzung am 17. Juni 1990 mit 269 gegen 83 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen Dieses Verfassungsgesetz über Verfassungsgrundsätze stellt einen Kompromiß für die Übergangszeit dar: Es erklärt mit Verfassungskraft die DDR zu einem freiheitlichen, demokratischen, föderativen, sozialen Und ökologisch orientierten Rechtsstaat (Art. 1 Abs. 1) und setzt entgegenstehende Verfassungs-und Rechtsvorschriften außer Kraft (Art. 1 Abs. 2). Es garantiert das Privateigentum (Art. 2) und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit (Art. 3). Das Verfassungsgrundsätzegesetz führt ein Recht auf Arbeit bewußt nicht ein, weil in der sozialen Marktwirtschaft ein Recht auf Arbeit als Individualanspruch ausgeschlossen ist Statt dessen wird in Art. 4 die Koalitionsfreiheit garantiert und in Art. 7 ein Auftrag an den Staat zum Schutz der Arbeit erteilt. Gleichermaßen werden Staat und Bürger zum Schutz der Umwelt verpflichtet.der durch Gesetze zu gewährleisten ist (Art. 6). Art. 5 enthält die Rechtsschutzgarantie und den Grundsatz der Unabhängigkeit der Rechtsprechung.
Die verfassungsrechtliche Grundlage für den Staatsvertrag wird in Art. 8 geschaffen Die DDR kann durch Verfassungsgesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen und Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland übertragen. Art. 106 der DDR-Verfassung wird dahin gefaßt, daß die Verfassung durch ausdrücklich als „Verfassungsgesetz“ bezeichnete Gesetze geändert wird; die Änderung des Verfassungswortlauts ist nicht mehr erforderlich. Verträge, die Verfassungsgegenstände berühren, bedürfen der Zustimmung in Form eines „Verfassungsgesetzes“, für das eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.
Das DDR-Gesetz zum Staatsvertrag ist dieser Übergangsverfassung entsprechend am 21. Juni 1990 als „Verfassungsgesetz“ ergangen. Die „Verfassungsgrundsätze“ haben zunächst zur Folge, daß die im Staatsvertrag enthaltenen Feststellungen über die Verfassungsprinzipien nicht selbst deren formellen Geltungsgrund darstellen, sondern geltendes Verfassungsrecht wiederholen oder konkretisieren. Weiterhin gewährleistet der Charakter des Vertragsgesetzes als Verfassungsgesetz, daß keine Konflikte zwischen dem Staatsvertrag und der Verfassungslage in der DDR auftreten können. Schließlich wird klargestellt, daß in verfassungsrechtlich zulässiger Weise mit der Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion Hoheitsgewalt auf Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland übertragen wird.
VII. Würdigung des Staatsvertrages
1. Kritik an dem Staatsvertrag In der DDR lehnen die PDS (SED) und die Fraktion Bündnis 90/Grüne den Staatsvertrag ab. Die PDS kritisiert, daß gemäß dem Staatsvertrag wesentliche Teile der sozialistischen DDR-Verfassung nicht mehr angewandt werden sollen. Die Entscheidungsfreiheit der DDR werde eingeschränkt, die Souveränität gehe verloren, das bundesdeutsche Recht werde einseitig auf die DDR ausgedehnt. Das Privateigentum werde zugelassen, ohne die Eigentumsformen der DDR zu garantieren. Die Regelungen zum Umweltschutz und auch die Vorsorge im Rahmen der Sozialunion genügten nicht. Schließlich seien die Maßnahmen und Zeiträume zur Umstellung der Wirtschaft auf die Marktwirtschaft unzureichend. Die Vorwürfe werden dahin zusammengefaßt, daß der Staatsvertrag „von der Regierungskoalition geprägte Elemente der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der notwendigen Umstellung der Wirtschaft in der DDR“ enthalte
Mit inhaltlich gleichen Argumenten lehnt die Fraktion Bündnis 90/Grüne den Staatsvertrag ab: „Die sozialistische Verfassung soll gebrochen werden“, die Selbständigkeit gehe verloren, Produktivvermögen sowie Grund und Boden würden verschleudert, die Rechtsangleichung und die Probleme bei der Umstellung der Wirtschaft seien nicht zu bewältigen
In der Bundesrepublik Deutschland sprach sich die SPD auf Drängen ihres Kanzlerkandidaten Lafontaine zunächst gegen den Staatsvertrag aus Sie kritisierte die Eile und Hektik, mit der der Staatsvertrag verhandelt und abgeschlossen sei, und führte Beschwerde darüber, daß der Bundestag an den Verhandlungen nicht beteiligt worden sei. Sie verlangte Nachbesserungen: Im Staatsvertrag oder in begleitenden Dokumenten sollte sichergestellt werden, daß das Vermögen der bisher herrschenden Parteien und Organisationen für Zwecke der Allgemeinheit herangezogen werde, Spekulationsgewinne verhindert würden und die Umweltunion den gleichen Rang wie die anderen Unionen erhalte. Die Wirtschaftsumstellung sei durch Strukturhilfen, zeitweiligen Konkurrenzschutz und Qualifizierungsprogramme zu erleichtern. Die SPD stimmte schließlich mehrheitlich dem Staatsvertrag und seinen Anlagen doch in der ursprünglichen Form zu, weil sie den Schritt zur Einheit Deutschlands nicht aufhalten wollte -Die SPD-Abgeordneten, die dennoch das Vertragsgesetz ablehnten, begründeten dies mit ihrer Furcht, daß der Staatsvertrag die Wirtschaftskrise in der DDR dauerhaft verstärken könnte, die hohen Kosten des Staatsvertrages gerade den Durchschnittsverdienern in der Bundesrepublik aufgebürdet würden, und der Staatsvertrag eine ernste Gefahr für die europäische und internationale Einbindung Deutschlands mit sich bringe 2. Leistung des Staatsvertrages als Schritt zu deutscher Einheit a) Mit dem Staatsvertrag wird die wirtschaftliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten vereinbart und vollzogen Er baut auf dem Wandel in der DDR von einer sozialistischen Zwangsherrschaft zu einer freiheitlich-demokratischen Ordnung auf und trägt dazu bei, diesen Vorgang unumkehrbar zu machen. Mit der Währungsunion läßt er Bevölkerung und Betriebe der DDR an den Vorteilen einer stabilen, konvertierbaren Währung teilhaben und gewährleistet gleichzeitig, daß die Stabilität der deutschen Wahrung durch die Union nicht gefährdet wird. Für die Umstellung auf die soziale Marktwirtschaft führt die Wirtschaftsunion die Rahmenbedingungen ein. Das bundesdeutsche Wirtschaftsrecht wird übernommen, für die strukturelle Veränderung der Betriebe und für Überbrückungshilfen wird Sorge getragen. Die Umwelt-union wird derart verwirklicht, daß das Atomgesetz übernommen wird, für alle Neuanlagen die Genehmigungserfordernisse des Bundesrechts zugrunde gelegt werden und das Umweltrecht im übrigen schnellstmöglich anzupassen ist. Umstellungsprobleme werden für die Beschäftigten nach dem Arbeitsförderungsgesetz gemildert. Weiterhin erhalten die Arbeitnehmer durch die Sozialunion eine Rechtsstellung, wie sie das Bundesrecht gewährt. Die Renten werden dynamisiert und leistungsbezogen gezahlt.
Mit dem Vertrag wird nicht eine zwischenstaatliche Organisation errichtet. Im notwendigen Umfang werden Zuständigkeiten auf Bundesbehörden übertragen, Änderungszuständigkeiten für übernommene Gesetze bleiben beim Bundesgesetzgeber. Die Bildung der Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion ist damit nicht ein Zusammenschluß zweier Partner mit gleichen Rechten und Pflichten, sondern sie stellt einen gegenständlich beschränkten Beitritt der DDR zur Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Ausweitung der Kompetenzen von Bundesorganen dar.
Die Kritik der PDS (SED) und des Bündnis 90/Grüne an der Herstellung der wirtschaftlichen Einheit beruht auf dem Wunsch, möglichst weitgehend sozialistische Strukturen und die Eigenständigkeit der DDR zu erhalten. Die politisch entscheidenden Mehrheiten haben sich indes bewußt auch für die wirtschaftliche Einheit entschieden. b) Der umfassende Staatsvertrag zu Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion mit seinen vielfältigen Regelungen ist in den vier Wochen zwischen der Regierungsbildung in der DDR und seinem Abschluß verhandelt worden Schon die Fertigstellung dieses Werkes stellt eine erhebliche Leistung dar, und selbstverständlich ist das Verhandeln eines Vertrages die Aufgabe der Regierung Die Verhandlungen waren zudem durch das Fehlen jeder Übersicht über die Lage in der DDR erschwert. Von der Unterzeichnung an haben Bundestag und Volkskammer sich nur wenige Wochen für die Vertragsgesetze Zeit nehmen können, damit der Vertrag zum 1. Juli 1990 in Kraft treten konnte.
Die Eile war jedoch notwendig. Das haben nicht nur die Vertreter der Regierungen dargelegt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Momper, hat vor dem Bundestag eindringlich darauf hingewiesen, daß sich das alte System in der DDR immer mehr auflöse und die Herstellung der Unionen keinen Aufschub über den 2. Juli hinaus dulde Auch der Erwartungsdruck in der Bevölkerung der DDR, der auch von allen Koalitionsparteien der DDR im Wahlkampf mit Ankündigungen verstärkt worden war drängte zur Wirtschaftseinheit.
Unbegründet ist auch die Kritik an fehlenden Übergangszeiten für die Wirtschaftsumstellung. Die Umstellung umfaßt den Abbau der alten und den Aufbau der neuen Strukturen. Das alte Herrschaftssystem hat sich weitgehend aufgelöst und ist nicht mehr funktionsfähig, und es gab keinen Grund, es zu erhalten. Folglich mußte das neue Wirtschaftssystem sehr schnell errichtet werden, und die Übergangsschwierigkeiten würden eher verlängert und verstärkt, wenn für eine Übergangszeit Zwischenlösungen gesucht worden wären. c) Der Staatsvertrag ist inhaltlich und nach dem Regelungszeitraum begrenzt. Er enthält vorgezogene Elemente der deutschen Einheit bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG, auf den er seiner Präambel gemäß ausgerichtet ist. Im vereinigten Deutschland werden die Regierung und das Parlament die Verantwortung für Deutschland tragen sowie den inneren Ausgleich weiter fördern müssen. Im Staatsvertrag war nur zu regeln, was in der Übergangszeit bis zur deutschen Einheit zu verwirklichen war. Er setzt zudem ein umfassendes Tätigwerden von DDR-Regierung und Volkskammer voraus. Die Darstellungen unter II. —VI. zeigen, welch ungeheure Arbeit die Volkskammer zur vereinbarten Rechtsangleichung bis zum 1. Juli 1990 zu leisten hatte und auch danach noch zu leisten hat Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Volkskammer auch mit anderen wesentlichen Aufgaben wie der Regierungsbildung, dem Erlaß eines Kommunalverfassungsgesetzes, der Vorbereitung der Gründung von Ländern und mit vielem anderen beschäftigt war und ist.
Angesichts der notwendigen Begrenztheit des Staatsvertrages sind die Forderungen, in ihm hätten noch weitere Sachbereiche näher geregelt werden müssen, unverständlich. Der Staatsvertrag geht davon aus, daß beide Staaten grundsätzlich gleichgerichtete politische Ziele verfolgen, und so mag gefragt werden, ob die DDR in dem Vertrag nicht schon zu sehr gebunden wird. Die Nachbesserungswünsche der SPD erscheinen danach schwer begründbar. Die Organe der DDR bleiben auch unter dem Staatsvertrag für die Erledigung der Staatsauf-gaben verantwortlich, und sie müssen und können ihre Aufgaben erfüllen, ohne daß sie im Staatsvertrag dazu verpflichtet werden. d) Die staatliche Einheit soll nach Abschluß der Gespräche mit den Vier Mächten vollzogen werden; darauf wird in der Präambel des Vertrages hingewiesen. Wenn die Viermächtevorbehalte nicht bestünden, wäre eine schnelle vollständige Vereinigung dem schrittweisen Vorgehen durch Errichtung der Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion vorzuziehen gewesen. Die Herstellung der Wirtschaftseinheit lag in der deutschen Kompetenz und geschah im Einvernehmen mit den Vier Mächten. Auch die Einbindung des gesamten Währungsgebiets in den Wirtschaftsraum der Europäischen Ge-meinschaften zeigt, daß die Wirtschaftseinheit international unterstützt wird. e) Der Staatsvertrag stellt einen ersten wesentlichen und unumkehrbaren Schritt zur deutschen Einheit auf dem durch Art. 23 GG eröffneten Wege dar. Er bestätigt den Wandel in der DDR von der sozialistischen Zwangsherrschaft zur freiheitlich-demokratischen Ordnung und bereitet die Vereinigung vor. Ihn abzuschließen entsprach dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, das das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung dem Grundgesetz entnimmt