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Michail Gorbatschow und die engere „sozialistische Gemeinschaft“ | APuZ 19-20/1990 | bpb.de

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APuZ 19-20/1990 Der Umbruch des politischen Systems in der Sowjetunion Soziale Aspekte der Perestroika in der UdSSR Wirtschafts-und Finanzreform im Zeichen der Perestroika Michail Gorbatschow und die engere „sozialistische Gemeinschaft“

Michail Gorbatschow und die engere „sozialistische Gemeinschaft“

Jens Hacker

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Zusammenfassung

Gorbatschows „Umdenken“ in der „Block“ -Politik — über die Struktur. Entwicklung und Perspektiven der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“, zu der die sieben Staaten des Warschauer Paktes gehören — begann sich zwar 1987 abzuzeichnen, erhielt aber erst später klarere Konturen. Erst im Verlauf des Jahres 1988 war die sowjetische Führung bereit, den Eigeninteressen der Verbündeten ein wesentlich größeres Gewicht zu konzedieren. Maßgeblich zum Wandel des „Block“ -Verständnisses hat die teilweise weitreichende Revision außenpolitischer Leitlinien durch Gorbatschow beigetragen. Die konsequente Anwendung der von ihm postulierten Prinzipien der „freien Wahl“ und „bedingungslosen und vollen Gleichheit“ impliziert in der „sozialistischen Gemeinschaft“ den Verzicht auf die Interventions-Doktrin. Auch akzeptierte der Kreml widerspruchslos die einschneidenden Veränderungen, die sich in allen Staaten des War-schauer Bündnisses vollzogen haben. Angesichts des Ausmaßes der Veränderungen in den meisten europäischen „Bruderstaaten" läßt sich nicht absehen, ob es Gorbatschow gelingen wird, neue Bündnisstrukturen zu entwickeln. Besondere Schwierigkeiten bereitet es der sowjetischen Führung, den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe nach ihren Vorstellungen entscheidend umzugestalten.

I. Einleitung

Auch wenn niemand vorauszusagen vermag, ob der von Michail Gorbatschow eingeleiteten Politik der inneren Reformen langfristig Erfolg beschieden ist, wird die Entwicklung der UdSSR mit einem Interesse verfolgt, das bisher kein Nachfolger Stalins auf sich zu ziehen vermochte. Das von Gorbatschow proklamierte „neue Denken“ und die von ihm unter den Vorzeichen von „Glasnost“ und „Perestroika“ betriebene, konzeptionell keinesfalls abgeschlossene und in ihren Auswirkungen auf das Land nicht überschaubare Politik ziehen aus mehreren Gründen weltweit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die trotz der Einsicht in die sich immer mehr verstärkende innere Rückständigkeit der Sowjetunion aus ideologischer Verblendung heraus dennoch Optimismus zu verbreiten suchten, hat Gorbatschow keine Skrupel, den Grad der Stagnation, des Rückstands und Niedergangs seines Landes beharrlich aufzuzeigen. Gorbatschow geht von der Tatsache aus, daß das überkommene sowjetische „Sozialismus“ -Modell jegliche Anziehungskraft auf die anderen Staaten des „sozialistischen Weltsystems“ und der Dritten Welt verloren hat.

Als Gorbatschow das Amt des Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU am 11. März 1985 übernahm, befand sich die engere „sozialistische Gemeinschaft“, d. h.der Bereich des Warschauer Paktes, in einem wenig erfreulichen Zustand. Dem Sowjetblock, diesem „Bündnis ungleicher Partner“, hat es immer an Kohärenz und Homogenität gefehlt. Dennoch unterschied sich die „Block“ -Situation beim Amtsantritt Gorbatschows von der seiner Vorgänger insofern, als einige Allianzpartner den Führungswechsel von Leonid Breschnew zu Jurij Andropow (12. November 1982) und dann zu Konstantin Tschernenko (13. Februar 1984) zum Anlaß genommen haben, ihren außenpolitischen Spielraum ein wenig zu erweitern. In der Ära Breschnew (1964— 1982) hatte sich die sowjetische Führung auf die Solidarität ihrer Bündnispartner noch verlassen können, wenn man von Rumänien und Albanien absieht. Daß Albanien im September 1968 nach der militärischen Intervention von fünf Warschauer Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei — Rumänien hatte sich an der Aktion nicht beteiligt — den Warschauer Pakt verließ, konnte Moskau leicht verkraften. Hingegen hat die Staats-und Parteiführung Rumäniens in ihrem Bestreben, eine „Politik der nationalen Interessen“ zu verfolgen.den Kreml immer wieder auf die Probe gestellt

Bis in das Jahr 1985, also bis zum Ende der Übergangsperiode im Kreml, vertraten Rumänien, Ungarn und die DDR aus unterschiedlichen Motiven heraus in ihrer Westpolitik Positionen, die die damaligen „hardliner" — die UdSSR, Polen und die Tschechoslowakei — nicht ohne weiteres hinzunehmen bereit waren. Für westliche Beobachter war es überraschend, daß ausgerechnet die Führung der DDR. die bis dahin neben Bulgarien zu den treuesten Mitstreitern des Kreml gehört hatte, bestrebt war, vornehmlich ihren deutschlandpolitischen Spielraum auszudehnen

Im Verlauf des Jahres 1984 haben sich für die Sowjetunion unerwartete neue Konstellationen herausgebildet. Während die DDR vornehmlich daran interessiert war, ihre Politik der „Schadensbegrenzung“ in Europa und des „Dialogs“ mit der Bundesrepublik Deutschland fortzuführen, verfolgte Ungarn eine reformorientierte Politik im Innern und intensivierte seine ökonomischen West-Beziehungen. Rumänien war — wie schon seit Mitte der sechziger Jahre — nicht willens, seine Sicherheitsund Militärpolitik vorbehaltlos den sowjetischen Interessen unterzuordnen Auch wenn sich Gorbatschow seit der Übernahme des höchsten Parteiamtes mit großer Energie um eine leistungsfähigere sowjetische Wirtschaft bemühte und ihn der permanente Ost-West-Konflikt, vor allem das Verhältnis zu den USA, beschäftigte, war es ein Irrtum zu meinen, der westliche Vorhof, die engere „sozialistische Gemeinschaft“, sei für ihn Nebensache. Im Gegenteil: Mehrere Reden und andere Anlässe ließen erkennen, daß er von Beginn an dem Zusammenhang des Ostblocks und der Disziplin der kleineren Partner hohe Aufmerksamkeit geschenkt hat. Sein Verhalten gegenüber den führenden Repräsentanten der Warschauer Pakttaaten verdeutlichte, welchen Stellenwert die „Block“ -Disziplin auch im Denken Gorbatschows hatte.

Analysiert man die fünfjährige Amtszeit Gorbatschows, dann zeigt sich, daß er sich über Struktur, Entwicklung und Perspektiven der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“, vor allem über die „Block“ -Disziplin der „Bruderländer“ und die Führungsrolle der UdSSR und der KPdSU, geschmeidiger und flexibler als seine Vorgänger geäußert hat, wobei jedoch im Zeitverlauf auch wichtige Unterschiede zu erkennen sind. Bis Anfang 1988 hütete er sich, die Situation und Zukunft des War-schauer Bündnisses präzise zu umreißen und den Handlungsspielraum der Allianzpartner eindeutig zu bestimmen, der durch die sowjetischen Interessen und Sicherheitsbedürfnisse begrenzt wird. Mehrfach sprach Gorbatschow einerseits von den „eigenen und gemeinsamen Interessen“ und der „gemeinsamen Sache des Sozialismus“, andererseits von der „bedingungslosen und vollen Gleichheit“ und „absoluten Unabhängigkeit“ der „Bruderstaaten“. Erst im Verlauf des Jahres 1988 war der Kreml-Chef bereit, den Eigeninteressen der Verbündeten ein wesentlich größeres Gewicht beizumessen und die „übergeordneten“ gemeinsamen Interessen in den Hintergrund zu rücken. Wieweit sich Gorbatschow inzwischen von den Positionen in der noch geltenden sowjetischen Verfassung von 1977 und im Parteiprogramm der KPdSU von 1986 entfernt hat, zeigt die Tatsache, daß von den Prinzipien des „sozialistischen“ und „proletarischen Internationalismus“ nicht mehr die Rede ist. Auch haben Gorbatschow und die Führungen der übrigen War-schauer Pakt-Staaten die sowjetische Interventionsdoktrin, im Westen als „Breschnew-Doktrin“ bezeichnet, inzwischen ausdrücklich aufgegeben. Das „sozialistische Völkerrecht“ gehört der Vergangenheit an, ebenso wie die Pflicht, gemeinsam den „Sozialismus“ oder die „sozialistischen Errungenschaften“ zu verteidigen, und auch das Prinzip der „ka-meradschaftlichen gegenseitigen Hilfe“ wird nicht mehr erwähnt. Gorbatschow ist realistisch genug, sich der in der Breschnew-Ära so strapazierten Formeln von der „Einheit“ und „Geschlossenheit“ der „sozialistischen Gemeinschaft“ und der „weiteren Annäherung der sozialistischen Nationen“ nicht mehr zu bedienen. Insoweit hat das unter der Führung Breschnews erneuerte lückenlose bilaterale Pakt-System im Ostblock seine Bedeutung eingebüßt.

Maßgeblich zum Wandel des „Block“ -Verständnisses hat die teilweise weitreichende Revision außen-politischer Prinzipien durch Gorbatschow beigetragen. Inzwischen haben sich in allen Staaten der Warschauer Allianz unter unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen einschneidende innere Veränderungen vollzogen, die die sowjetische Führung widerspruchslos akzeptiert hat. Die ständig gewachsene Attraktivität der Europäischen Gemeinschaft mit der Ende 1992 geplanten Verwirklichung des Binnenmarktes und die ökonomische Situation der europäischen Mitglieder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) sowie die Stagnation der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft haben deren Mitglieder veranlaßt, ihre Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft soweit wie möglich auszubauen.

Angesichts der Bereitschaft Gorbatschows, die Militärdoktrin des Warschauer Pakts entscheidend zu modifizieren und „eindeutig defensiv“ auszugestalten und über den Abzug der in Ungarn und der Tschechoslowakei stationierten sowjetischen Trup, pen zu verhandeln, hat sich das militärische Gewicht des Warschauer Paktes gemindert. Die in Wien geführten Ost-West-Verhandlungen über eine Reduzierung der in Europa stationierten konventionellen Streitkräfte beider Seiten werfen auch die Frage nach dem Verbleib sowjetischer Truppen in Polen und der DDR auf Mit dem Rückzug sowjetischer Truppen aus Ungarn und der Tschechoslowakei wurde bereits begonnen.

Da die Wandlungen des „Block“ -Verständnisses Gorbatschows nur im Rahmen seiner Außen-und vor allem Europa-Politik zu kennzeichnen sind, erscheint es notwendig, zumindest kurz seine „Europa“ -Vision zu skizzieren, um anschließend die Veränderungen in der Entwicklung der Warschauer Allianz und im RGW sowie den sukzessive erfolgten Verzicht auf die sowjetische Interventions-Doktrin aufzuzeigen.

II. Gorbatschows Vision sowjetischer Europa-Politik

In seinem Buch „Perestroika“ schreibt Gorbatschow, sein Besuch im April 1987 in der Tschechoslowakei, „dem Land, das genau im geographischen Zentrum Europas“ liege, habe ihm eine passende Gelegenheit geboten, „die Idee des gemeinsamen europäischen Hauses“ zu formulieren 7). Auf der Kundgebung der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft am 10. April 1987 in Prag fügte er hinzu, die Metapher „gesamteuropäisches Haus“ bedeute „vor allem Anerkennung einer gewissen Unteilbarkeit, obgleich es sich hier um Staaten handelt, die unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und einander entgegengesetzten militärpolitischen Blöcken angehören. . . Ein Europa . vorn Atlantik bis zum Ural* — das ist im hohen geistigen Sinn auch eine kulturhistorische Kategorie. Hier wurde die Weltzivilisation mit Ideen der Renaissance und der Aufklärung bereichert, erfuhren die humanistische Tradition und die Lehre vom Sozialismus eine bedeutende Entwicklung, wurde der unschätzbare Fonds in allen Branchen der wissenschaftlichen Kenntnisse und der künstlerischen Erkenntnisse der Welt durch Anstrengung genialer Menschen aller europäischen Nationen geschaffen.“ 8)

1. Die Beschwörung des europäischen Erbes

Wie sehr Gorbatschow bemüht ist, das europäische Erbe Rußlands und der UdSSR herauszustellen, verdeu

1. Die Beschwörung des europäischen Erbes

Wie sehr Gorbatschow bemüht ist, das europäische Erbe Rußlands und der UdSSR herauszustellen, verdeutlichte er auch in seinem Buch „Perestroika“. In seinen Darlegungen über „Möglichkeiten für Europa“ bezieht er sich auf die Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und meint, damit seien „die Entwürfe für die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses fast bereit“. Seine weitere Schlußfolgerung: „Das wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Potential Europas ist gewaltig. Es ist zwar verzettelt. . . Dennoch sind der gegenwärtige Stand der Dinge in wirtschaftlicher Hinsicht sowohl im Westen als auch im Osten sowie die realen Aussichten so. daß sie es durchaus ermöglichen, einen Weg für eine Verknüpfung von ökonomischen Prozessen in beiden Teilen Europas zum Wohle aller zu finden.“

In Gorbatschows Vision vom „gemeinsamen europäischen Haus“ bildet die Problematik der Abrüstung einen weiteren zentralen Aspekt. Er möchte die Entspannungspolitik „unumkehrbar“ machen, „um Vertrauen für Zusammenarbeit mit dem Westen zu verbreiten und um neue Ressourcen zur umfassenden Modernisierung seines Landes freisetzen zu können. Die Kehrtwendung Moskaus in der Frage der Mittelstreckenraketen, die schließlich das INF-Abkommen ermöglichte, die vom Warschauer Pakt signalisierte Bereitschaft, Asymmetrien im Bereich der konventionellen Rüstung in Europa wegzuverhandeln, der Abzug der Roten Armee aus Afghanistan und die konstruktive Haltung des Kreml in regionalen Konflikten, wie im südlichen Afrika, in Kambodscha oder im Nahen Osten, sind eindrucksvolle Signale einer neuen sowjetischen disengagement-Politik — in ihrem eigenen Interesse.“

Gorbatschow hat mit seinen drei zentralen Thesen — der Betonung des europäischen Erbes Rußlands und der UdSSR, der Herausstellung des ökonomischen, wissenschaftlichen und technischen Potentials Europas und seinem Hinweis auf die eingeleiteten und noch geplanten Abrüstungsvereinbarungen — die schon zuvor von sowjetischer Seite benutzte Formel vom „gemeinsamen europäischen Haus“ mit neuen Vorstellungen bereichert.

2. Die These von der „Ganzheitlichkeit“

Nachdrücklich wendet sich Gorbatschow gegen jene, die seine „Europa“ -Vision „für ein schönes Märchen“ halten: „Die Vorstellung eines . gemeinsamen europäischen Hauses* betont vor allem die Ganzheitlichkeit, obwohl die betreffenden Staaten unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und einander entgegengesetzten militärischen Bündnissen angehören. Sie ist die Verbindung von Notwendigkeit und Möglichkeit.“

Die Formel von der „Ganzheitlichkeit“ hat Gorbatschow als erster verwendet. Er hat sie u. a. in seinem Buch „Perestroika“ und vor allem in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung vom 7. Dezember 1988 erläutert: „Parallel zum Prozeß der Kriege, der Feindseligkeit und der Entfremdung zwischen Völkern und Ländern gewann an Kraft ein anderer, ebenso objektiv bedingter Prozeß — der Prozeß des Werdens einer in wechselseitiger Beziehung stehenden ganzheitlichen Welt. Der weitere weltweite Fortschritt ist nur durch die Suche nach einem gesamtmenschlichen Konsens bei der Fortbewegung zu der neuen Weltordnung möglich.“

Gorbatschow plädiert für eine Zusammenarbeit, die genauer als „Miteinanderschaffen“ und „Miteinanderentwicklung“ zu bezeichnen wäre. Die Entwicklung „auf Kosten des anderen“ habe sich überlebt. Eine Lösung globaler Probleme erfordere einen neuen „Umfang“, eine „neue Qualität des Zusammenwirkens der Staaten und der sozialpoliti-sehen Strömungen, unabhängig von ideologischen und sonstigen Unterschieden“

Daß für Gorbatschow die These von der „Ganzheitlichkeit“ nicht philosophischen Überlegungen entspringt, sondern die Praxis der internationalen Beziehungen bestimmen soll, folgt aus einer weiteren Überlegung, die auch für sein ,, Block“ -Verständnis geradezu konstitutiv ist: „Es ist Aufgabe der Geschichte, ein Urteil über die Verdienste der jeweiligen Systeme zu fällen. Sie wird ihre Wahl treffen. Soll jede Nation für sich entscheiden, welches System und welche Ideologie besser ist.“

Doch begnügt sich Gorbatschow nicht mit dieser wichtigen Feststellung: Er möchte den Gebrauch von Gewalt in den internationalen Beziehungen ausschließen und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung auch in der Praxis durchsetzen. Spätestens seit 1987/88 scheint der Kreml-Chefzu wissen, welches Risiko er mit dem von ihm propagierten „Prinzip der freien Wahl“ für den weiteren Bestand der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“ eingegangen ist.

3. Das „Prinzip der freien Wahl“

Bis zum Frühjahr 1987 hatte Gorbatschow wohl noch gehofft, den Desintegrations-und Emanzipationstendenzen im Warschauer Pakt-Bereich mit einem hohen Maß an verbaler Geschmeidigkeit und einem weitgehenden Verzicht auf programmatische Erklärungen Einhalt gebieten zu können. Mit seiner Rede vom 10. April 1987 in Prag vollzog er den ersten wesentlichen Schritt, den Vormachtanspruch der UdSSR und der KPdSU abzubauen. So sagte der Kreml-Chef: „Wir sind . . . weit davon entfernt. irgend jemand dazu aufzurufen, uns zu kopieren. Jedes sozialistische Land hat seine Spezifik. Die Bruderparteien legen den politischen Kurs unter Berücksichtigung der nationalen Bedingungen fest. Hinzu kommt, daß einige Probleme, die in der UdSSR jetzt den Vorrang haben, in anderen sozialistischen Ländern gelöst sind oder auf eigene Weise gelöst werden.“

Andererseits sprach Gorbatschow von dem „schwierigen Prozeß der Aneignung neuer Methoden und ihrer Anwendung in der Praxis. Und immer spürbarer wird die Notwendigkeit, die ergriffenen Maßnahmen in ein einheitliches System zu fügen, eine neue Struktur des Wirtschaftsmechanismus zu schaffen.“ Daß die auf ein wenig Emanzipation ausgerichteten Mitglieder der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“ nicht von vornherein zu resignieren brauchten, hat Gorbatschow wohl einkalkuliert, als er in der erwähnten Prager Rede weiter ausführte: „Niemand hat das Recht, Anspruch auf eine Sonderstellung in der sozialistischen Welt zu erheben. Die Selbständigkeit jeder Partei, ihre Verantwortung vor dem eigenen Volk und das Recht, souverän die Fragen der Entwicklung des Landes zu lösen, sind für uns selbstverständliche Prinzipien . . . Keine einzige Partei besitzt das Monopol auf die Wahrheit.“ In diesen Staaten hat man jedoch auch jenen Passus aus der Rede Gorbatschows zur Kenntnis genommen, in dem er von seiner Überzeugung sprach, „daß die in der Sowjetunion in Angriff genommene Umgestaltung dem tiefsten Wesen des Sozialismus und den gebieterischen Forderungen des gesamten Fortschritts entspricht“

Auch in seinem Buch „Perestroika“ meinte Gorbatschow, die „sozialistische Gemeinschaft“ werde nur dann Erfolg haben, „wenn Partei und Staat sowohl die eigenen als auch die gemeinsamen Interessen im Auge behalten, wenn sie Freunde und Verbündete respektieren, deren Interessen berücksichtigen und aufmerksam die Erfahrungen von anderen verfolgen. Das wache Bewußtsein für den Zusammenhang zwischen innenpolitischen Problemen und den Interessen des Weltsozialismus ist kennzeichnend für die Länder der sozialistischen Gemeinschaft.“

In den folgenden Monaten war Gorbatschow bereit, weitere Abstriche am Vormachtanspruch der UdSSR und KPdSU vorzunehmen. Diese Absicht dokumentierte er bei seinem Besuch Mitte März 1988 in Belgrad. In der gemeinsamen jugoslawisch-sowjetischen Erklärung äußerten beide Seiten die Überzeugung, „daß niemand ein Monopol über die Wahrheit besitzt... und sie nicht die Absicht verfolgen, irgendjemanden ihre Vorstellungen über die gesellschaftliche Entwicklung aufzuzwingen ... Sie unterstreichen die Bedeutung einer konsequenten Anwendung der Prinzipien und der Politik einer aktiven friedlichen Koexistenz zwischen allen Staaten . . .“ Gorbatschows Bereitschaft, die Grundsätze und Politik einer „aktiven friedlichen Koexistenz“ in den Beziehungen zwischen allen Staaten gelten zu lassen, schließt die Anwendung besonderer Beziehungen im Sinne des „sozialistischen Völkerrechts“ oder des „sozialistischen Internationalismus“ auch auf den War-schauer Pakt-Bereich aus. Darüber hinaus bekannten sich Moskau und Belgrad zur „uneingeschränkten Einhaltung der universalverbindlichen Prinzipien der UNO-Satzung, der Schlußakte von Helsinki, anderer grundlegender internationalrechtlicher Dokumente . . ., die die . . . Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder unter irgendeinem Vorwand verbieten“

Mit diesem Dokument hat die jugoslawische Führung den europäischen „Bruderländern“ der UdSSR einen wichtigen Dienst erwiesen. Seine Entschlossenheit, das Prinzip der freien Wahl vorbehaltlos anzuerkennen, bekundete Gorbatschow dann in seinem grundlegenden Referat auf der 19. Allunionsparteikonferenz am 28. Juni 1988 in Moskau: „Der Weltsozialismus durchlebt eine komplizierte Periode des Umbruchs . . . Eine Schlüsselposition innerhalb des neuen Denkens nimmt die Konzeption der Entscheidungsfreiheit ein. Wir sind überzeugt von der Universalität des Prinzips für die internationalen Beziehungen . . . In dieser Lage ist das Aufzwingen einer Gesellschaftsordnung, einer Lebensweise von außen — mit irgendwelchen Mitteln, ganz zu schweigen von militärischen — ein gefährliches Rudiment vergangener Jahre . . . Sich der Freiheit der Wahl zu widersetzen bedeutet, sich dem objektiven Gang der Geschichte selbst entgegenzustellen.“

Gorbatschow benutzte seine Rede vor der UNO-Vollversammlung am 7. Dezember 1988 auch dazu, sein Bekenntnis zum Prinzip der freien Wahl weltweit zu verbreiten. Unmißverständlich sagte er: „Für uns ist. . . die Verbindlichkeit des Prinzips der freien Wahl über jeden Zweifel erhaben. Dessen Nichtanerkennung kann für den allgemeinen Frieden die schlimmsten Folgen haben . . . Die Freiheit der Wahl ist ein allgemeingültiges Prinzip, das keine Ausnahmen kennen soll.“ Auch eine „unparteiische Analyse der objektiven Prozesse unserer Zeit“ habe dieses Prinzip uns nahegelegt: „Zu einem zunehmend spürbaren Kennzeichen dieser Prozesse wird das Vorhandensein mehrerer Varianten der gesellschaftlichen Entwicklung verschiedener Länder. Das betrifft sowohl das kapitalistische als auch das sozialistische System ... Es geht also um die Einheit in der Vielgestaltigkeit.“ Wichtig war auch Gorbatschows unmißverständlicher Hinweis, die „Entideologisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen“ sei zu einem Gebot der neuen Etappe geworden

In seinen Reden vor dem ZK der KPdSU vom 5. Januar 1989 und in Kiew vom Februar 1989 betonte Gorbatschow gleichfalls, die Außenpolitik der UdSSR beruhe „auf den Prinzipien der freien Wahl, Entideologisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen“ 23). Allerdings fügte er in Moskau hinzu, dies bedeute „aber keineswegs, wie es von gewissen Leuten interpretiert wird, eine Entideologisierung der internationalen Beziehungen . .. Wir kennen den tiefen Unterschied zwischen den beiden Gesellschaftsordnungen, doch dies ist kein Grund für gewaltsame Auseinandersetzungen und Konfrontation zwischen den Staaten.“

Der Verlauf des Jahres 1989 verdeutlichte den Willen der sowjetischen Führung, die von ihr postulierten Prinzipien der „freien Wahl“ und „bedingungslosen und vollen Gleichheit“ auch zu praktizieren, indem sie die weitreichenden innenpolitischen Veränderungen in Ungarn, Polen und später auch in der DDR, der Tschechoslowakei und Bulgarien hinzunehmen bereit war. Daß sich die Bevölkerung Rumäniens in einem revolutionären Aufbruch im Dezember 1989 von dem verhaßten Ceauescu-Regime befreit hat, wurde von sowjetischer Seite ausdrücklich begrüßt

Ähnlich wie Gorbatschow hat auch Außenminister Edward Schewardnadse am 23. Oktober 1989 von „historisch, qualitativen Wandlungen“ in den „Bruderländern" gesprochen: „Die Grundlage unserer Beziehungen mit ihnen sind die souveräne Gleichheit, die Unzulässigkeit irgendwelcher Einmischung, die Anerkennung des Rechts eines jeden Landes auf eine absolut freie Wahl . . . Die politische Szene einiger dieser Länder betreten neue politische Kräfte. Sie werden von niemandem bestellt, sie kommen auf, weil das Volk es so will. Dabei hören diese Staaten nicht auf, für uns befreundete Bündnis-und Nachbarstaaten zu sein. Alle unsere Verpflichtungen bleiben in Kraft.“

Es erhöht die Glaubwürdigkeit der Argumentation Gorbatschows, daß er die Neueinschätzung wichtiger außenpolitischer Positionen der UdSSR vor der UNO-Vollversammlung vorgetragen hat. Die konsequente Anwendung des von Gorbatschow postulierten „Prinzips der freien Wahl“ impliziert innerhalb der „sozialistischen Gemeinschaft“ den Verzicht auf die Interventions-Doktrin durch die frühere „Ordnungsmacht“ UdSSR, den die sowjetische Führung innerhalb der östlichen Militärallianz inzwischen vollzogen hat.

III. Die Wandlungen des Warschauer Paktes

1. Politische Funktionen der Allianz Gorbatschow ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, daß er — ebenso wie seine Vorgänger — die politischen Organe der Warschauer Allianz dazu benutzen wollte, die Außen-und „Block" -Politik der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“ soweit wie möglich zu koordinieren. Da die dreißigjährige Geltungsdauer des am 14. Mai 1955 unterzeichneten Warschauer Vertrags über Freundschaft. Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand am 3. Juni 1985 endete, sah sich der Kreml-Chef frühzeitig vor die Frage gestellt, ob er dem Wunsch Rumäniens entsprechen sollte, die Frist der Vertragsverlängerung möglichst kurz zu bemessen

Als sich am 26. April 1985 führende Repräsentanten der sieben Mitgliedstaaten der Warschauer Allianz in der polnischen Hauptstadt trafen, stand für Gorbatschow die Verlängerung des Warschauer Vertrages für die nächsten zwanzig Jahre mit nachfolgender Prolongation um weitere zehn Jahre, also bis 2015, außer Frage. In seiner Ansprache in Warschau betonte er vor allem die politische Funktion der östlichen Militärallianz und berief sich auf die „Prinzipien des Marxismus-Leninismus und des sozialistischen Internationalismus“

Die Art, wie Gorbatschow auf dem ersten gemeinsamen multilateralen Treffen der führenden Repräsentanten der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“ auftrat und sich feiern ließ, entzog damals allen Spekulationen, mit ihm beginne eine neue Ära der Kooperation im Sowjetblock, den Boden. In der Folgezeit dienten die politischen Führungsorgane der Warschauer Allianz dem Kreml vor allem dazu, immer wieder gemeinsam die „Anerkennung der politischen und territorialen Realitäten“ in Europa zu fordern. Darüber hinaus war es auch für Gorbatschow wichtig, sich die Vorstellungen und Vorschläge der UdSSR zur Abrüstung und Sicherheit von den Bündnispartnern sanktionieren zu lassen.

Daß Gorbatschow bis 1987 nicht bereit war, das Prinzip der freien Wahl im Ostblock vorbehaltlos zu akzeptieren, verdeutlichten mehrere Kommuniqus der politischen Führungsorgane des Bündnisses. Ebenso wie seine Vorgänger hatte auch für Gorbatschow der Warschauer Pakt zumindest bis in das Jahr 1987 die Funktion, die in den Ländern existierenden „sozialpolitischen Ordnungen“ von außen nicht in Frage stellen zu lassen. _ Darüber hinaus war Gorbatschow bis 1987 bestrebt, „die Einheit und Geschlossenheit“ der Mitgliedstaaten der Allianz zu „festigen“ und der Arbeit des Komitees der Außenminister „noch mehr Dynamik und Operativität zu verleihen“ Noch auf seiner Tagung Ende Mai 1987 sprach sich der Politische Beratende Ausschuß, das politische Führungsorgan der Warschauer Allianz, in Ost-Berlin dafür aus, „der außenpolitischen Zusammenarbeit größere Dynamik zu verleihen“, seinen „Mechanismus weiter zu vervollkommnen und die Prinzipien der Gleichberechtigung und der gemeinsamen Verantwortung im System der politischen Beziehungen zwischen den verbündeten Staaten strikt zu beachten“ Die programmatischen Formulierungen, die außenpolitische Kooperation dynamischer zu gestalten und ihren „Mechanismus“ zu „vervollkommnen“, wurden allerdings durch den Hinweis, die „Prinzipien der Gleichberechtigung“ seien „strikt zu beachten“, weitgehend relativiert.

Die Feiern zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution Anfang November 1987 nutzte Gorbatschow nicht, seine bisherigen, nicht wiederspruchsfreien „Block“ -Vorstellungen zu einem Konzept zu verdichten. In seiner Rede vom 2. November erklärte er, die in den „sozialistischen Staaten“ gesammelten Erfahrungen würden „helfen, die Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern auf der Grundlage der allgemein anerkannten Prinzipien besser zu gestalten. Das ist die bedingungslose und volle Gleichheit. Das ist die Verantwortung der Regierungspartei für die Entwicklung im eigenen Staat, der patriotische Dienst am eigenen Volk. Das ist die Sorge für die gemeinsame Sache des Sozialismus.“ Der Kreml-Chef fügte hinzu, „daß Einheit keineswegs mit Identität und Uniformität gleichzusetzen ist: Wir haben uns auch überzeugt, daß der Sozialismus kein , Modell'hat, nach dem sich alle richten würden, und auch keins haben kann . . . Mit Genugtuung stellen wir fest, daß in letzter Zeit unsere Beziehungen zu allen sozialistischen Staaten an Dynamik gewonnen haben und sich vervolkommnen."

Auch diese Formulierungen erlaubten den politischen Führungen der „Bruderstaaten“, weiterhin Gorbatschows neue Akzente in der sowjetischen Innen-und vor allem Wirtschaftspolitik unterschiedlich zu interpretieren und nicht von vornherein übernehmen zu müssen. Außerdem ließ Gorbatschows Rede den Schluß zu, daß er ihren westpolitischen Spielraum nicht im Wege doktrinärer verbaler Festlegungen, sondern flexibler zu bestimmen gedachte.

Beruhigend war für die Führungen der „Bruderländer“, daß Gorbatschow am 2. November 1987 verkündete, „die Zeiten der Komintern, des Informationsbüros und selbst die Zeiten der bindenden Internationalen Beratungen“ seien „vorbei“. Immerhin hatte er in seiner Rede auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU am 25. Februar 1986 davon gesprochen, in Enstehung begriffen sei eine „möglicherweise zentrale Einrichtung dieser Zusammenarbeit: multilaterale Arbeitstreffen der Spitzenpolitiker der Bruderländer“

2. Die Abkehr von der „Breschnew-Doktrin“

Das Kommunique der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses am 7. und 8. Juli 1989 in Bukarest wartete mit einer wichtigen neuen Formel auf. Die Teilnehmer der Tagung „gehen davon aus, daß es keine universellen Sozialismus-Modelle gibt und niemand das Monopol auf die Wahrheit besitzt. Der Aufbau einer neuen Gesellschaft ist ein schöpferischer Prozeß. Er entwickelt sich in jedem Land entsprechend seinen Bedingungen, Traditionen und Erfordernissen ... Es wurde ebenfalls die Notwendigkeit unterstrichen, die Beziehungen zwischen ihnen auf der Grundlage der Gleichheit, Unabhängigkeit und des Rechts eines jeden, selbstän-dig seine eigene politische Linie, Strategie und Taktik ohne Einmischung von außen aufzuarbeiten, zu entwickeln.“

In Bukarest beschloß das höchste politische Führungsorgan der Allianz außerdem, „die Anstrengungen zur Festigung des politischen Charakters des Warschauer Vertrages und der Vervollkommnung des Mechanismus der Zusammenarbeit in seinem Rahmen auf demokratischer Grundlage fortzusetzen“ Damit hat Gorbatschow wichtige, in seiner Rede vom 7. Dezember 1988 vor der UNO vorgetragene Gedanken auf die Ebene der Warschauer Allianz gehoben.

Das Komitee der Außenminister der Warschauer Pakt-Staaten, das am 26. /27. Oktober 1989 in Warschau zusammentrat, hat den „Bruderländern“ in noch markanterer Weise die volle Entscheidungsfreiheit über die inneren Angelegenheiten bestätigt. Im Kommunique wird festgestellt, eine der „Grundvoraussetzungen für die Gestaltung eines sicheren, friedlichen und unteilbaren Europas“ liege „in der Wahrung des Rechts eines jeden Volkes auf Selbstbestimmung und auf freie Wahl seines gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungsweges ohne Einmischung von außen“

Mit den Beschlüssen von Bukarest und Warschau hat die östliche Militärallianz endgültig die „Breschnew-Doktrin“ zu den Akten gelegt und sich zum Primat des Völkerrechts bekannt Daher war es nur folgerichtig, daß führende Repräsentanten Bulgariens, der DDR, Ungarns, Polens und der UdSSR anläßlich ihres Treffens am 4. Dezember 1989 in Moskau in einer gemeinsamen Erklärung den Einmarsch von Truppen ihrer Staaten in die CSSR 1968 als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der souveränen Tschechoslowakei charakterisiert und verurteilt“ haben: „Mit der Unterbrechung des Prozesses der damaligen Erneuerung in der ÖSSR habe die Aktion lang anhaltende negative Folgen nach sich gezogen. Die Geschichte habe gezeigt, wie wichtig es ist, politische Mittel bei der Lösung von beliebigen, selbst in angespanntesten internationalen Situationen, anzuwenden, die Prinzipien der Souveränität, der Unabhängigkeit und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten in den Beziehungen zwischen den Staaten streng zu achten. Das entspreche der Satzung des Warschauer Vertrages.“

Die DDR, die noch unter der Ägide Erich Honekkers im August 1989 als einziger Signatarstaat des Warschauer Paktes den Einmarsch von Truppen der fünf Staaten in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 verteidigt hatte sah sich nach der politischen Wende veranlaßt, diesen Fehltritt zu korrigieren. Die Volkskammer erklärte am 1. Dezember 1989, „daß sie die Beteiligung der DDR an militärischen Aktionen von Staaten des War-schauer Vertrages im Zusammenhang mit innenpolitischen Auseinandersetzungen in der ÖSSR im August des Jahres 1968 aufrichtig bedauert und im Namen des Volkes der DDR bei den Völkern der ÖSSR um Entschuldigung bittet“ Bereits auf ihrer ersten Zusammenkunft verurteilte die neue Regierung der ÖSSR unter Ministerpräsident Ladislav Adamec Anfang Dezember 1989 die Militär-aktion der fünf „Bruderländer“

Angesichts der Neueinschätzung der Funktionen der Warschauer Allianz weiß der Kreml, daß es nun gilt, die ganz auf die Vormacht der UdSSR zugeschnittene politische und militärische Führungsstruktur des Bündnisses auf eine neue Basis zu stellen, da sie der den Signataren konzedierten Gleichstellung nicht mehr gerecht wird. Im Rahmen eines Seminars, das Delegationen von NATO und War-schauer Pakt unter dem KSZE-Dach Mitte Januar 1990 in Wien veranstaltet haben, kündigte der sowjetische Generaloberst Tscherwow wohl zum ersten Mal an, der „Politische Beratende Ausschuß des Warschauer Paktes werde . . . angesichts pluralistischer Entwicklung in ein neues Führungsgremium umgewandelt werden müssen. Früher sei das östliche Bündnis, das nur ein freiwilliges Mitglied gekannt habe, von Moskau allein bestimmt worden. Künftig müßten die Interessen jedes Staates berücksichtigt werden und die Bestimmungen des neuen Kurses wohl Präsidenten oder Regierungschefs übertragen werden.“

IV. Die Krise des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe

Als Gorbatschow im März 1985 das Amt des Parteichefs übernahm, war die Entwicklung des RGW aus sowjetischer Sicht besonders unbefriedigend. Die Situation der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft war schon vom sowjetischen Staats-und Parteichef Breschnew auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU am 23. Februar 1981 kritisch beurteilt worden: „Wir sind weit davon entfernt, das Bild der sozialistischen Welt von heute allein in Festtagsfarben zu malen. In der Entwicklung unserer Länder gibt es auch Schwierigkeiten . . . Die letzten Jahre waren nicht die günstigsten für die Volkswirtschaften einer Reihe sozialistischer Staaten.“

Breschnew sprach von den „vielen neuen, großen Problemen: Es wäre vielleicht nützlich, wenn die führenden Politiker der Bruderländer sie in naher Zukunft kollektiv erörtern würden . . .“ Es sollte noch mehr als drei Jahre dauern, bis wieder eine Gipfelkonferenz der RGW-Länder (12. — 14. Juni 1984 in Moskau) einberufen wurde, auf der Staats-und Parteichef Tschernenko die UdSSR vertrat. Auffällig war, wie sehr man die Prinzipien des „sozialistischen Internationalismus“ bemühte und „die Aktualität des Komplexprogramms der weiteren Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration, der langfristigen mehrseitigen und zweiseitigen Programme, der Zusammenarbeit“ aus dem Jahre 1981 unterstrich

Die erste Tagung des RGW in der Amtszeit Gorbatschows fand vom 25. bis 27. Juni 1985 in Warschau statt. Das nach der Tagung veröffentlichte Kommunique offenbarte, wie sehr sich Gorbatschow in den ersten Monaten seiner Tätigkeit noch in der herkömmlichen, gegenüber der westlichen Welt feindlichen Sprache bewegte: „Haupthindernis für die friedensbedrohenden Bestrebungen des Imperialismus, die auf eine Verschärfung der internationalen Spannungen und auf die Unterminierung normaler internationaler Wirtschaftsbeziehungen gerichtet sind, ist die Gemeinschaft der sozialistischen Länder, ihr gewaltiges Wirtschaftsund Verteidigungspotential. Bei der Festigung ihrer Einheit und ihres Zusammenwirkens werden die Mitgliedsländer des RGW auch künftig alle erforderlichen Schritte zur Verteidigung ihrer Lebensinteressen und zur weiteren Festigung der technisch-ökonomischen Unabhängigkeit tun.“

Im Sommer 1985 hat Gorbatschow offensichtlich die ökonomische Misere seines Landes und die Stagnation im RGW noch nicht richtig einzuschätzen vermocht. Welch hohen Rang er der Zusammenarbeit im Rahmen des RGW beimaß, verdeutlichten die Ergebnisse der 41. Tagung des RGW in Moskau am 17. /18. Dezember 1985. Das dort beschlossene „Komplexprogramm des wissenschaft-lich-technischen Fortschritts der Mitgliedsländer des RGW bis zum Jahre 2000“ hatte das Ziel, „den enormen technischen Rückstand der , roten Wirtschaftsgemeinschaft* gegenüber dem Westen zu verringern und die stark gesunkene Attraktivität des sowjetischen Wirtschaftsmodells weltweit zu erhöhen. Die westlichen Staaten sollen bei diesem Programm, das eine Art , Ost-Eureka* darstellt, mitmachen.“ Damals vereinbarten die Mitgliedsländer des RGW, „alle erforderlichen Schritte einzuleiten, die die organisatorischen, rechtlichen, ökonomischen und anderen Bedingungen für die termingerechte Erfüllung des Programms gewährleisten“. Das „Komplexprogramm“, das die bisher einzige blockweite Initiative Gorbatschows bildete, sah die Kooperation in fünf Sektoren vor: Elektronik; komplexe Automatisierung; Kemenergetik; neue Werkstoffe und Technologien für ihre Herstellung und Verarbeitung; Biotechnologie. Westliche Experten haben mit Recht bezweifelt, „ob ohne Änderung des geltenden zentralen Planungsmodells und ohne eine Lockerung der Partei-und Polizei-Überwachung eine rasche technische Entwicklung überhaupt möglich sei. Man wird hinter dem Stacheldraht wohl kaum eine Informationsgesellschaft westlichen Zuschnitts simulieren können. Die Comecon-Staaten wollen offensichtlich in der Technik keinen eigenen Weg gehen, sondern die vom Westen vorgezeichneten Spuren, welche sie bereits jetzt mit großer Verspätung begehen, weiterverfolgen.“

Daß große Skepsis gegenüber dem „Ost-Eureka“ -Programm angebracht war und es Gorbatschow in keiner Weise gelang, den RGW zu aktivieren, dokumentierten die 42. -45. Tagung des RGW. Das Kommunique der 42. RGW-Tagung in Bukarest (3. -5. November 1986) bezeichnete das „Komplexprogramm des wissenschaftlich-technischen Fortschritts des RGW bis zum Jahre 2000“ als „eine großangelegte internationale Kooperation in Wissenschaft und Produktion“ Hingegen proklamierte das Kommunique der 43. RGW-Tagung in Moskau (13. /14. Oktober 1987) „die Umgestaltung des Mechanismus der Zusammenarbeit und der sozialistischen ökonomischen Integration sowie die Vervollkommnung der Tätigkeit des RGW“, die „‘etappenweise“ erfolgen sollte, unter Berücksichtigung „der nationalen Wirtschaftsmechanismen der RGW-Länder und deren Vervollkommnung“

Wie sehr das „Ost-Eureka“ -Programm auf irrealen Voraussetzungen basiert, offenbarte spätestens der Verlauf der 44. RGW-Tagung (5. -7. Juli 1988 in Prag), auf der große Meinungsdifferenzen zwischen den einzelnen Mitgliedsländern deutlich wurden -Während die DDR und Rumänien auf den bisherigen Formen der Kooperation beharrten, kritisierten andere Länder — besonders die UdSSR und Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei — die alten Mechanismen. Der sowjetische Ministerpräsident Ryschkow äußerte sich über die Situation des RGW sehr kritisch, hob die besondere Bedeutung der Modernisierung der Währungs-und Finanzinstrumente für die Kooperation hervor und plädierte für einen neuen Wirtschaftsmechanismus und radikale Strukturveränderungen im gegenseitigen Handel Die Entschlossenheit der sowjetischen Führung, den RGW umzuwandeln, brachte Ministerpräsident Ryschkow am 13. Dezember 1989 vor dem sowjetischen Kongreß der Volksdeputierten in Moskau zum Ausdruck. Er schlug die Bildung eines gemeinsamen Marktes im RGW mit einer konvertiblen Währung und Weltmarktpreisen vor. ohne mitzuteilen, welche Währung dazu herangezogen werden soll. Im RGW gibt es gegenwärtig keine frei konvertible Währung, der Handel wird auf der Basis eines Transfer-Rubels abgewik-kelt

Die 45. RGW-Tagung vom 9. /10. Januar 1990 in Sofia „unterstrich die Notwendigkeit einer entschiedenen Erneuerung des gesamten Systems der gegenseitigen Zusammenarbeit und des Mechanismus der multilateralen Zusammenarbeit im Rahmen des RGW, einer grundlegenden Erneuerung der Tätigkeit des Rates, der Neufassung seiner Funktionen und Ziele und der Ausarbeitung eines neuen Statuts entsprechend den gegenwärtigen und perspektivischen Erfordernissen des Zusammenwirkens der Mitgliedsländer des RGW“

Man einigte sich darüber, eine spezielle Kommission zu bilden, die Vorschläge der Länder zu Grundfragen der Zusammenarbeit im Rahmen des RGW erörtern und kurzfristig Entwürfe neuer Grundsatzdokumente des RGW ausarbeiten soll. Bemerkenswert war, mit welcher Offenheit und kritischen Einstellung die Ministerpräsidenten der DDR, Polens, Ungarns, der Tschechoslowakei und Bulgariens den gegenwärtigen Zustand des RGW einschätzen. Während der damalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow für eine Neubestimmung der Rolle und Aufgaben des RGW eintrat. forderte Ungarns Regierungschef Miklös Nemeth, bei allen Überlegungen zu einer Neugestaltung der RGW-Zusammenarbeit müsse man sich endgültig von allen ideologischen Illusionen freimachen Georgi Atanassow, der neue Ministerpräsident Bulgariens, setzte sich dafür ein, ein hochintegriertes Marktsystem im RGW insgesamt und in den einzelnen Mitgliedsländern zu schaffen. Am weitesten ging Polens Premierminister Tadeusz Mazowiecki, indem er die Ansicht seiner Regierung bekräftigte, den RGW radikal zu verändern. Die Leiter der Regierungsdelegationen aus Vietnam, Kuba und der Mongolei traten gleichfalls für die Umgestaltung des RGW ein und baten darum, die Interessen der weniger entwickelten außereuropäischen Mitgliedsländer zu berücksichtigen

Nach vierzigjähriger Isolation beabsichtigen die RGW-Staaten, sich in den Weltmarkt zu integrieren und ihren Außenhandel schrittweise an die Weltmarktpreise anzupassen sowie in harter Währung abzuwickeln. Der sowjetische Vorschlag, die Anpassung schon ab 1991 zu verwirklichen, ist jedoch von den übrigen europäischen Mitgliedsländern abgelehnt worden. Sie befürchten, daß ein rascher Übergang zum neuen System für viele Länder wegen der jahrzehntelangen Abhängigkeit von sowjetischen Erdöl-und Gasimporten im Desaster enden könnte. Experten in Sofia schätzten, es werde mindestens drei bis fünf Jahre dauern, ehe die bisherige RGW-Praxis der Abrechnung zu Vertragspreisen und in der künstlichen Währungseinheit des Transfer-Rubels überwunden werden könne

Verlauf und Ergebnisse der 45. RGW-Tagung, die möglicherweise eine tiefe Zäsur in der Entwicklung der „sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft“ bildet, dokumentieren, wie sehr Gorbatschow inzwischen den weltwirtschaftlichen Realitäten in seinen Überlegungen Rechnung trägt. Er hat erkannt, daß die ökonomische Stagnation des RGW nur durch eine breite Kooperation mit den westlichen Industrieländern langfristig zu überwinden ist

V. Schlußbemerkung

Spätestens mit dem Moskauer Verzicht auf die berüchtigte „Breschnew-Doktrin“, der klaren Distanzierung von dem militärischen Übergriff auf die Tschechoslowakei im August 1968 und dem Hinweis, daß das Prinzip der Selbstbestimmung auch im Rahmen der engeren „sozialistischen Gemeinschaft“ gilt, sind den Revolutions-und Evolutions-Prozessen und damit der weiteren Erosion im War-schauer Pakt-Bereich keine Grenzen gesetzt. Doch bleibt festzuhalten, daß dieser Kurs „ursprünglich keineswegs zum außenpolitischen und ideologischen Rüstzeug des Generalsekretärs gehört hatte. Zeugten Gorbatschows Äußerungen lange vom Willen, den von seinen Vorgängern geerbten osteuropäischen Vorhof möglichst intakt zu halten, so scheint er nun angesichts der gewaltigen internen Schwierigkeiten im eigenen Land eingesehen zu haben, daß er dem Selbständigkeitsstreben vor den sowjetischen Westgrenzen nicht wehren und bestenfalls ein neues, gelockertes sicherheitspolitisches Arrangement an die Stelle bisher geforderter Vasallentreue setzen kann.“ Gorbatschows „Umdenken“ in der „Block" -Politik begann sich zwar im Verlauf des Jahres 1987 abzuzeichnen, erhielt aber erst später klarere Konturen und veranlaßte die Führungen einiger „Bruderländer“, über „eigene Wege“ nachzudenken und innere Reformen einzuleiten oder zu forcieren. In jenen Ländern — wie der DDR, der Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien —, deren Führungen sich zu dieser Einsicht unfähig erwiesen, haben die Völker selbst entscheidend zu den personellen Wechseln an der Staatsspitze beigetragen. So wurde das Jahr 1989 „das Wunderjahr der europäischen Nachkriegsgeschichte“ Es ist daher verständlich, daß westliche Analytiker bis in das Jahr 1989 vorsichtig argumentiert und immer wieder die Frage nach den Grenzen der innen-und außenpolitischen Spielräume der „Bruderstaaten“ Moskaus gestellt haben

Gorbatschow weiß inzwischen, daß er das „Rad der Geschichte“ nicht mehr zurückdrehen kann, da der Westen heute anders reagieren würde als 1956 im Fall der sowjetischen Intervention in Ungarn und 1968 bei der gewaltsamen Beendigung des „Prager Frühlings“ Die einzige Chance, die UdSSR aus ihrer ökonomischen Krise und den RGW aus der Stagnation herauszuführen, liegt für Gorbatschow in einer breit angelegten Kooperation mit den westlichen Industrieländern und weiteren Abrüstungsvereinbarungen.

Noch geht die sowjetische Führung davon aus. daß die Mitglieder des Warschauer Pakts „Nachbarn, Verbündete und Freunde“ der UdSSR bleiben werden. Angesichts des Ausmaßes der Veränderungen in den meisten europäischen „Bruderländem“ läßt sich jedoch nicht absehen, ob es dem Kreml überhaupt noch gelingen wird, neue Bündnisstrukturen zu entwickeln, die nur durch einen lockeren Zusammenhalt des früheren „Blocks“ gesein können. Da Gorbatschow eine Wiederellung der staatlichen Einheit Deutschlands unter bestimmten Bedingungen nicht mehr ablehnt, erscheint es möglich, daß sich die Warschauer Allianz auf einen Sechs-Mächte-Pakt reduziert. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß es in einzelnen Warschauer Pakt-Staaten wie Ungarn, Bestrebungen gibt, das östliche Militärbündnis zu verlassen. Hinzu kommt: Das rasante Tempo, mit dem Ost und West weitreichende Abrüstungsvereinbarungen auf den verschiedenen Ebenen anstreben, veranlaßt beide Seiten, den militärischen Charakter der multilateralen Bündnissysteme Warschauer Pakt und NATO neu zu definieren. Die sowjetische Führung verfolgt dabei das Ziel, die Warschauer Allianz „aus einer militärpolitischen Organisation in eine politisch-militärische unter Berücksichtigung der neuen Realitäten in Europa und in der Welt umzuwandeln“ Auch wenn Michail Gorbatschow die Auflösung beider Militärbündnisse propagiert steht die Fortexistenz der NATO, die — im Gegensatz zum Warschauer Pakt — ein freiwilliges Bündnis ist und stabile Strukturen aufweist, für den Westen außer Frage.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Verlauf der sowjetisch-rumänischen und sowjetisch-albanischen Beziehungen vgl. Jens Hacker. Der Ostblock -Entstehung, Entwicklung und Struktur 1939— 1980, Baden-Baden 19852.

  2. Vgl. dazu Jens Hacker, Die DDR in den block-und außenpolitischen Überlegungen der Sowjetunion, in: Politische Studien, 37 (1986), S. 575 ff.; ders., Bilanz und Perspektiven der deutsch-deutschen Beziehungen, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Das geteilte Deutschland in seinen internationalen Verflechtungen, Göttingen 1987, S. 210ff.; Fred Oldenburg. Die Autonomie des Musterknaben. Zum politischen Verhältnis DDR-UdSSR, in: Richard LöwenthalBoris Meissner (Hrsg.), Der Sowjetblock zwischen Vormachtkontrolle und Autonomie. Köln 1984, S. 153ff.; ders., Correiations between Soviet and GDR Reforms, in: Studies in Com-parative Communism, 22 (1988), S. 77 ff.

  3. Vgl. Magarditsch A. Hatschikjan, Der Ostblock unter Gorbatschow 1986. Zur Block-und Westpolitik der kleineren Warschauer Pakt-Staaten. Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin, Februar 1987; Charles Gati, Soviet Empire: Alive But Not Well, in: Problems of Communism, 34 (1985) 2, S. 73 ff.; Vladimir V. Kusin, Gorbachev and Eastern Europe. ebd.. 35 (1986) 1 S. 39 ff.; Ronald D. Asmus, The Dialectics of Detente and Discord: The Moscow-East Berlin-Bonn Triangel, in: Orbis. 28 (1984/85), S. 743ff.; Bernard von Plate, Spielraum und Interessen in der DDR-Außenpolitik, in: Außenpolitik. 37 (1986), S. 149; Peter Danylow, Der außenpolitische Spielraum der DDR. Wechselnde Grenzen der Handlungsfreiheit im östlichen Bündnissystem, in: Europa-Archiv, 40 (1985), S. 433 ff.

  4. Vgl. Art. 30 der Verfassung vom 7. Oktober 1977. Text in: Osteuropa-Recht. 24 (1988), S. 161; dazu Alexander. Uschakow, Außenpolitik — Außenwirtschaft — Verteidigung, ebd., S. 55 ff.

  5. Text in: Sowjetunion zu neuen Ufern? 27. Parteitag der KPdSU März 1986. Dokumente und Materialien mit einer Einleitung von Gert Meyer, Düsseldorf 1986.

  6. Insgesamt unterhält die Sowjetunion 627 500 Soldaten außerhalb ihres Staatsgebietes, von denen der Hauptbestandteil in den Staaten des Warschauer Paktes steht. Davon befinden sich allein 380000 in der DDR als „Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte“ (früher: „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“). Vgl. 627 500 sowjetische Soldaten im Ausland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Dezember 1989.

  7. Text der Rede in: Sowjetunion heute. (1987) 5. Beilage. S. I-VIII. hier S. VIIf.

  8. M. Gorbatschow (Anm. 7). S. 256f.

  9. Margarita Mathiopoulos, Gorbatschows „gemeinsames europäisches Haus“ — Wiederauferstehung von Wandel durch Annäherung?, in: Europäische Rundschau. 7 (1989) 2, s-15.

  10. Vgl. Jens Hacker, „Gemeinsames europäisches Haus und die deutsche Frage (im Druck); Fred Oldenburg, Altes Denken im europäischen Gebäude?, in: Rheinischer Mer kur/Christ und Welt vom 9. Juni 1989; Peter Robejsek, Das gemeinsame europäische Haus. Wechselhafte Geschichte einer politischen Kategorie, in: Neue Zürcher Zeitung, Fem ausgabe Nr. 28 vom 4. /5. Februar 1990, S. 29.

  11. M. Gorbatschow (Anm. 7), S. 254.

  12. Text der Rede in: Sowjetunion heute, (1989) 1, Beilage S. I-VIII, hier S. II.

  13. Vgl. das Interview für die „Prawda“, das Gorbatschow nach der Beendigung des KSZE-Folgetreffens in Wien am 15. Januar 1989 gab, in: Sowjetunion heute, (1989) 2, S. 5.

  14. M. Gorbatschow (Anm. 7), S. 189. Vgl. auch Alexander Uschakow. Die sowjetische Wirtschaft zwischen Zentralisiesung und Dezentralisierung, in: Osteuropa-Recht. 35 (1989),

  15. M. Gorbatschow (Anm. 8), S. Ulf. Zu den blockpolitischen Aussagen des vom XXVII. Parteitag der KPdSU (25. Februar— 5. März 1986) angenommenen Parteiprogramms der KPdSU vgl. Jens Hacker, Block-Politik der UdSSR, in: Rolf Schlüter (Hrsg.), Wirtschaftsreformen im Ostblock in den 80er Jahren. Paderborn u. a. 1988, S. 226 ff.

  16. M. Gorbatschow (Anm. 8), S. Ulf.

  17. M. Gorbatschow (Anm. 7), S. 212 f.

  18. Text der Erklärung vom 18. März 1988 in: Europa-Archiv. 43 (1988), D 238-243, hier D 241.

  19. Ebd.

  20. Text der Rede in: Sowjetunion heute, Sondernummer. Juli 1988, S. 15-50, hier S. 26.

  21. M. Gorbatschow (Anm. 13), S. III.

  22. Text der Rede vom 23. Februar 1989 in: Sowjetunion heute. (1989) 3, Beilage. S. I-X, hier S. X.

  23. Zit. nach Sowjetunion heute. (1989) 2, S. XI.

  24. Vgl. dazu Annelie Ute Gabanyi. Rumänische Außenpolitik im Zeichen des „Neuen Denkens“, in: Südosteuropa. 38 (1989), S. 71 ff.; dies.. Gespenstische Bilder vom Ende und Anfang, in: Die Weltwoche vom 28. Dezember 1989; Dionisie Ghcrmani. Der Sonderfall Rumänien, in: Herder Korrespondenz. 44 (1990). S. 188-192.

  25. Radio Moskau und TASS vom 23. Oktober 1989.

  26. Vgl. dazu und zur Haltung der übrigen „Bruderländer J. Hacker (Anm. 16). S. 218ff.

  27. Europa-Archiv, 40 (1985), D 289f.

  28. Kommunique der Tagung des Außenminister-Komitees des Warschauer Paktes vom 14. und 15. Oktober 1986 in Bukarest, in: Europa-Archiv, 42 (1987). D 56.

  29. Vgl. Michail Gorbatschow empfing Komitee der Außenminister, in: Neues Deutschland vom 26. März 1987.

  30. Text des Kommuniques der Tagung in Ost-Berlin am 28. und 29. Mai 1987 in: Europa-Archiv, 42 (1987), D 385— 391, hier D 391.

  31. Text der Rede in: Sowjetunion heute. Sondernummer. November 1987; Auszüge zur Außen-und Sicherheitspolitik in: Europa-Archiv, 42 (1987), D 673— 680, hier D 680 (Hervorhebung vom Verf.).

  32. Ebd. Zwar benutzte Gorbatschow die Formel „sozialistischer Internationalismus“. jedoch in einer sehr eingeschränkten Weise, indem er zuvor die „strikte Einhaltung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz durch alle“ postulierte.

  33. Vgl. dazu J. Hacker (Anm. 16), S. 226 ff.

  34. Text in: Europa-Archiv, 44 (1989), D 596— 600, hier D 596 f.

  35. Ebd. (Hervorhebung vom Verf.)

  36. Text in: Neues Deutschland vom 28. Oktober 1989.

  37. Das Abrücken der sowjetischen Führung mit Gorbatschow an der Spitze von der „Breschnew-Doktrin“ und die Übertragung der These vom „Prinzip der freien Wahl“ auch auf die engere „sozialistische Gemeinschaft“ vollzogen sich in einem langwierigen Prozeß. Vgl. zum Fortbestand der Interventions-Doktrin J. Hacker (Anm. 16), S. 224ff. und S. 237 ff. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1988 deutete sich ein allmähliches Umdenken in der sowjetischen Haltung zur „Breschnew-Doktrin“ an. Eine entscheidende Wende zeichnete sich mit dem Besuch des ungarischen Parteichefs Karoly Grosz in Moskau Ende März 1989 ab.

  38. Vgl. Moskau: Treffen der Staaten des Warschauer Vertrages, in: Neues Deutschland vom 5. Dezember 1989; Bernhard Küppers, Verurteilung der ÖSSR-Invasion völlig überraschend, in: Süddeutsche Zeitung vom 6. Dezember 1989. Moskaus Abrücken von der Prager Intervention, in: Neue Zürcher Zeitung. Fernausgabe Nr. 284 vom 7. Dezember 1989.

  39. Vgl. Unsere Verbundenheit mit der SSR und der 21. August 1968, in: Neues Deutschland vom 18. August 1989; Nur die DDR verteidigt die Niederschlagung des Prager Frühlings, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. August 1989.

  40. DDR entschuldigt sich bei CSSR wegen Einmischung 68. in: Berliner Zeitung vom 2. /3. Dezember 1989.

  41. Diese Meldung verbreitete Radio Prag am 3. Dezember 1989.

  42. Zit. bei Udo Bergdoll. Die politische Entwicklung eilt voraus, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Januar 1990; Michael Besrukow/Andrej Kurtunow, Welches Bündnis brauchen wir? Perspektiven für die Entwicklung der Warschauer Vertragsorganisation (WVO), in: Neue Zeit (Moskau). Nr. 40 vom 3. -9. Oktober 1989, S. 9ff.

  43. Text in: Neues Deutschland vom 24. Februar 1981. Auszo 8e in: Europa-Archiv, 36 (1981), D 208-219, hier D

  44. Texte der Pressemitteilung, Erklärung und Deklaration des RGW-Gipfeltreffens vom 12. — 14. Juni 1984 in: Europa-Archiv, 39 (1984). D 513-527.

  45. Text des Kommuniques in: Europa-Archiv, 40 (1985), D 491-496, hier D 496.

  46. Das Comecon-Programm für ein „Eureka des Ostens“, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 22 vom 29. Januar 1986.

  47. Ebd.

  48. Text des Kommuniques in: Europa-Archiv. 42 (1987), D 104— 108. hier D 105. Vgl. dazu Friedrich Levcik, Neue Akzente bei der 42. Ratstagung des RGW in Bukarest?, in: Osteuropa-Wirtschaft. 32 (1987). S. 92 ff.

  49. Text des Kommuniques in: Europa-Archiv, 42 (1987), D 617-620, hier D. 618.

  50. Text des Kommuniques in: Europa-Archiv. 43 (1988), D 432-436.

  51. Vgl. TASS vom 17. Juli 1988.

  52. Vgl. Ryschkow schlägt Umwandlung des Comecon vor, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Dezember 1989.

  53. Text des Kommuniques in: Europa-Archiv. 45 (1990). D 66.

  54. Vgl. RGW-Mitgliedsländer sind für eine grundlegende Reform, in: Neues Deutschland vom 10. Januar 1990; RGW nimmt Kurs auf entschiedene Erneuerung, in: Neues Deutschland vom 11. Januar 1990; Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe soll reformiert werden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Januar 1990.

  55. Vgl. dazu Vorsichtige Annäherung des Comecon an ein neues Handelssystem, in: Neue Zürcher Zeitung. Fernausgäbe Nr. 8 vom 12. Januar 1990.

  56. Diese Politik fand auch ihren Ausdruck in der Gemeinsamen Erklärung über die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, abgegeben am 25. Juni 1988m Luxemburg. Text in: Europa-Archiv, 43 (1988), D 576 f.

  57. Eingeständnis in Moskau, in: Neue Zürcher Zeitung, Fetnausgabe Nr. 284 vom 7. Dezember 1989.

  58. George Schöpflin, Das Ende des Kommunismus, in: Europa-Archiv, 45 (1990), S. 51.

  59. Vgl. dazu Paul Lendvai, Die Gärung im Ostblock und die sowjetische Toleranzgrenze, in: Neue Zürcher Zeitung, Fetnausgabe Nr. 156 vom 9. /10. Juli 1989; ders., Das Ostbild des Westens, das Westbild des Ostens. Hoffnungen, Illusio-nen und Fehlurteile, ebd., Fernausgabe Nr. 275 vom 26. /27. November 1989; John Van Oudenaren. Die Sowjetunion and Osteuropa, in: Europa-Archiv, 43 (1988), S. 169ff.; Thomas M. Cynkin, Glasnost, perestroika and Eastem Europe, in: Survival, 30 (1988), S. 310ff.; David S. Mason, Glasnost, perestroika and Eastem Europe, in: International Affairs, 64 (1988), S. 431 ff.

  60. Vgl. G. Schöpflin (Anm. 59), S. 58 ff.

  61. So der sowjetische Außenminister E. Schewardnadse in einem Interview, TASS vom 30. Januar 1990.

  62. Michail Gorbatschow, Ansprache vor dem Obersten Sowjet der UdSSR am 1. August 1989; Text in: Sowjetunion heute, (1989) 9, Beilage, S. I-VIII, hier S. VI.

  63. Dabei ist zu beachten, daß für die sowjetische Führung die weitere Beteiligung der USA und Kanadas am „gesamteuropäischen Prozeß“ selbstverständlich ist. Vgl. dazu vor allem die Gemeinsame Erklärung, die Bundeskanzler Kohl und Staats-und Parteichef Gorbatschow am 13. Juni 1989 in Bonn unterzeichnet haben: Beide Seiten „betrachten es als vorrangige Aufgabe ihrer Politik, an die geschichtlich gewachsenen europäischen Traditionen anzuknüpfen und so zur Überwindung der Trennung Europas beizutragen. Sie sind entschlossen, gemeinsam an Vorstellungen zu arbeiten, wie dieses Ziel durch den Aufbau eines Europas des Friedens und der Zusammenarbeit — einer europäischen Friedensordnung oder des gemeinsamen Europäischen Hauses —, in dem auch die USA und Kanada ihren Platz haben, erreicht werden kann. Die KSZE-Schlußakte von Helsinki in allen ihren Teilen und die Abschlußdokumente von Madrid und Wien bestimmen den Kurs zur Verwirklichung dieses Zieles“ (Europa-Archiv, 44 [1989], D 382 f.) Besonders eindrucksvoll hat Gorbatschow die Zugehörigkeit der USA zu Europa in seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 6. Juli 1989 in Straßburg zum Ausdruck gebracht: „Indessen wird die Sowjetunion, ausgehend von überholten Klischees, weiterhin verdächtigt, hegemonistische Pläne zu hegen und die Absicht zu haben, die Vereinigten Staaten von Europa abzutrennen . . . Die UdSSR und die Vereinigten Staaten sind ein natürlicher Teil der europäischen internationalen politischen Struktur. Ihre Beteiligung an der Entwicklung Europas ist nicht nur berechtigt, sondern historisch bedingt. Jede andere Betrachtungsweise ist unannehmbar, und sie führt auch zu nichts.“ Text in: Sowjetunion heute, (1989) 8, Beilage, S. XI—XVI, hier S. XII.

Weitere Inhalte

Jens Hacker, Dr. jur., geb. 1933; Professor für Politikwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Internationalen Politik an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen u. a.: Sowjetunion und DDR zum Potsdamer Abkommen, Köln 19692; Der Rechts-status Deutschlands aus der Sicht der DDR, Köln 1974; Deutsche unter sich — Politik mit dem Grund-vertrag, Stuttgart 1977; Der Ostblock — Entstehung, Entwicklung und Struktur 1939— 1980, Baden-Baden 19852; (zus. mit Dietrich Frenzke und Alexander Uschakow) Die Feindstaatenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12. 8. 1970, Berlin 1971; (zus. mit Boris Meissner) Die Nation in östlicher Sicht, Berlin 1977, sowie zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften, Sammelwerken und politischen Lexika.