Trotz einer ins achte Jahr gehenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung weist die Bundesrepublik weiterhin eine ungewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit auf. Lange Zeit wurde diese als konjunkturbedingt eingestuft und mittels Nachfragepolitik durch öffentliche Beschäftigungsprogramme zu bekämpfen versucht. Diese Diagnose und Therapie der Arbeitslosigkeit erwiesen sich als falsch. Dann glaubte man, die Arbeitslosigkeit auf eine anhaltende Wachstumsschwäche zurückfuhren zu können, die den Wechsel zur Angebotspolitik erforderlich mache. Auch wenn diese nur halbherzig in Angriffgenommen wurde, breitete sich doch — allerdings reichlich spät — eine neue Wachstumsdynamik aus, die inzwischen das vorhandene gesamtwirtschaftliche Produktionspotential ausfüllt, teils sogar überschreitet. Dennoch werden weiterhin zwei Millionen Arbeitslose registriert, die zum weitaus größten Teil der institutionalisierten Arbeitslosigkeit zuzurechnen sind: In der Bundesrepublik gehört der Arbeitsmarkt zu den am stärksten regulierten Märkten. Bei den bestehenden Institutionen sind jedoch zwei Ebenen voneinander zu unterscheiden, einmal die des Staates, der im Wege der Gesetzgebung das Arbeitsschutzrecht immer mehr perfektioniert hat, zum anderen die der Tarifparteien, die eigenverantwortlich als zweiseitiges Kartell agieren. Es bietet sich an. die staatlichen Regulierungen aufzulockern, größtenteils auch zurückzunehmen, weil sie nicht mehr zeitgemäß sind; die Tarifautonomie bliebe in dem dann veränderten gesetzlichen Rahmen als Bestandteil unserer Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung erhalten. Ob es aber gelingt, den Arbeitsmarkt in diesem Sinne zu deregulieren und überdies die Tarifparteien anzuhalten, ihre Verantwortung für die Vollbeschäftigung wieder ernst zu nehmen, ist angesichts der gruppenspezifischen Interessen der Akteure fraglich.
Nach überlieferter Vorstellung ist Arbeitslosigkeit auf Konjunkturschwankungen zurückzuführen. Nur eine stabile Konjunktur sichert annähernde Vollbeschäftigung. In der Rezession kann hingegen die Beschäftigung nicht aufrecht erhalten werden, weil infolge verminderter Privatnachfrage auch die Produktion schrumpfen muß. Um die Rezession zu überwinden, hat J. M. Keynes eine aktive Beschäftigungspolitik gefordert: Der Staat soll mit einer Expansion seiner Nachfrage die eingetretene Lücke in der Privatnachfrage schließen, um die Vollbeschäftigung wieder herzustellen.
Das bundesdeutsche Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG), das 1967 in Kraft getreten ist, hält einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bereit; es ist somit auf die nachfrageorientierte Konjunkturpolitik (kurz: Nachfragepolitik) im Unterschied zur angebotsorientierten Stabilisierungspolitik fixiert. Kern des Gesetzes ist die Verpflichtung des Staates, seine öffentlichen Ausgaben und Einnahmen sowie seine Sondervermögen gegenläufig zur Konjunkturbewegung, d. h. antizyklisch, einzusetzen, um den Konjunkturverlauf nach Bedarf zu korrigieren. Außerdem ist in § 3 StabG die Konzertierte Aktion (Gebietskörperschaften, Arbeitgeber, Gewerkschaften) institutionalisiert, durch die die Tarifparteien (Arbeitgeber und Gewerkschaften) auf freiwilliger Basis eingebunden werden sollen, und nach § 4 StabG hat die Bundesregierung alle Möglichkeiten zur internationalen Koordination zwecks Gewährleistung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu nutzen:
— Zur Dämpfung aufsteigender Konjunktur (Prosperität) soll die Staatsnachfrage über eine Vertagung der Vergabe öffentlicher Aufträge (§ 6 Abs. 1 StabG) und Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage (§ 15) sowie über eine Beschränkung der Kreditaufnahme der öffentlichen Hände (§§ 19 und 20) gedrosselt, die Privatnachfrage durch eine Anhebung der Einkommen-und Körperschaftsteuer um bis zu zehn Prozent sowie durch Aussetzung von Sonderabschreibungen und degressiver Abschreibung (§§ 26 und 27) gesenkt werden. — Umgekehrt soll bei rückläufiger Konjunktur (Rezession) über die Vergabe zusätzlicher öffentlicher Aufträge unter Auflösung der Konjunkturausgleichsrücklage (§ 6 Abs. 2 StabG) die Staatsnachfrage ausgeweitet, über eine Senkung der Einkommen-und Körperschaftsteuer um bis zu zehn Prozent, durch Zulassung von Sonderabschreibungen und degressiver Abschreibung sowie durch Gewährung eines Investitionsbonus in Höhe von 7, 5 Prozent (§§ 26 und 27) die private Nachfrage stimuliert werden.
Bemerkenswert ist ferner der Zug zur Institutionalisierung im StabG. Zur Koordination der antizyklisch ausgerichteten Haushaltspolitik der öffentlichen Hände wird ein sog. Konjunkturrat gebildet (§ 18 StabG). Darüber hinaus erfolgt eine Abstimmung der mittelfristigen Finanzplanung über den sog. Finanzplanungsrat (§ 51 Haushaltsgrundsätzegesetz in Verbindung mit §§ 5 und 9 StabG). Stabilitätsgefährdenden Strategien der Tarifparteien soll durch die Konzertierte Aktion, die deren Verhalten aufeinander abstimmt, entgegengewirkt werden (§ 3 StabG). Da aber den Gewerkschaften ständig, d. h. in guter wie in schlechter Konjunktur, Mäßigung im Sinne einer kostenniveauneutralen Lohnpolitik zugemutet wurde, kündigten sie schon im Sommer 1977 ihre Mitwirkung in der Konzertierten Aktion auf.
Die entscheidenden Fragen lauten, ob die nach wie vor ungewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit tatsächlich konjunkturbedingt ist und ob sie demzufolge durch eine Expansion der Staatsnachfrage mittels Beschäftigungsprogrammen in Abstimmung mit den Gebietskörperschaften behoben werden könnte.
I. Falsche Diagnose bestehender Arbeitslosigkeit
Die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik läßt sich in vier Phasen unterteilen, von denen nur die zweite Phase ausgeprägte Konjunkturschwankungen erkennen läßt: — In der ersten Phase von 1950 bis 1963 verlief die wirtschaftliche Entwicklung nahezu idealtypisch in einem stetigen Wachstumsprozeß mit minimalen Abweichungen vom gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht. — In der zweiten Phase von 1964 bis 1975 stellte sich dann der bereits totgeglaubte Konjunkturzyklus von gut vier Jahren wieder ein, der 1967 in eine harmlose, 1971 in eine mäßige und 1975 in eine nachhaltige Rezession mündete. — Die dritte Phase hätte 1976 mit einem neuen Aufschwung beginnen müssen. Dieser erwies sich jedoch als nicht tragfähig genug, um die Wirtschaft aus der Rezession herauszuführen, so daß nach Aussage des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine „hartnäckige Stockung“ entstand.
— In der vierten Phase ab 1983 entwickelte sich tatsächlich die lang ersehnte Erholung, die 1990 bereits ins achte Jahr übergeht. 1975 brach demnach der bis dahin feststellbare Konjunkturzyklus aus der vorgezeichneten Bahn aus und machte einer anhaltenden Wachstums-schwäche Platz. Folglich hätte auch die damit einhergehende, sprunghaft ansteigende Arbeitslosigkeit einer neuen Analyse bedurft; offensichtlich konnte sie kaum mehr — und mit fortschreitender Misere immer weniger — als konjunkturbedingt eingestuft werden.
1. Arten nicht-konjunktureller Arbeitslosigkeit
Die nicht-konjunkturelle Arbeitslosigkeit sollte man nicht einfach als strukturelle Arbeitslosigkeit bezeichnen, wie es häufig geschieht. Das wäre viel zu grob, zu undifferenziert. Ihr liegen zumindest zwei verschiedene Ursachen zugrunde, von denen nur eine als strukturell bezeichnet werden sollte.
1. Häufig wird die strukturelle Arbeitslosigkeit mit dem Strukturwandel, der Beschäftigungseinbrüche (d. h. Arbeitsplatzverluste) in sog. Altindustrien zur Folge hat, in Verbindung gebracht -Diese Argumentation ist jedoch unzureichend, weil nicht beachtet wird, welchen anderen Märkten die (durch Abwendung von der Überschußproduktion) freigesetzte Kaufkraft zuwandert und dort Beschäftigung schafft. Berücksichtigt man diese andere Hälfte der Argumentation, müßte die mit der Nachfrageverschiebung einhergehende Arbeitslosigkeit nicht als strukturelle, sondern alsfriktionale Arbeitslosigkeit (vorübergehende bzw. Sucharbeitslosigkeit) eingestuft werden.
Hier wird der Strukturbegriff aufdas Faktorverhältnis zwischen Kapital und Arbeit — genauer zwischen Kapitalbestand und (unselbständigen) Erwerbspersonen — bezogen Ursache struktureller Arbeitslosigkeit ist dann ein Überhang an Arbeitskräften gegenüber der Ausstattung der Volkswirtschaft mit Sachkapital: Es besteht ein Defizit an Arbeitsplätzen für die Erwerbsbevölkerung. Normalerweise vollziehen sich Kapitalbildung und Bevölkerungsentwicklung in engem Zusammenhang — es sei denn, außerökonomische Faktoren zerstören die parallele Entwicklung. Beispiele sind die weitgehende Vernichtung des Kapitalbestandes in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges sowie der chronische Kapital-und damit Arbeitsplatz-mangel vieler Entwicklungsländer in der Gegenwart. Im Kem ist diese strukturelle Arbeitslosigkeit als Kapitalmangel-Arbeitslosigkeit zu kennzeichnen, deren Behebung erhebliche Investitionen erfordert. Bei uns hätte die reibungslose Eingliederung der zu Beginn der achtziger Jahre ansteigenden Zahl unselbständiger Erwerbspersonen (an Jugendlichen aus geburtenstarken Jahrgängen bis 1986 sowie an weiterhin arbeitsuchenden Frauen) zusätzliche Investitionen notwendig gemacht, zumal diese Entwicklung vorhersehbar war. Hingegen war der neuerliche Zustrom an Aus-und Übersiedlern durch Öffnung der Grenzen nicht vorhersehbar, der ebenfalls zusätzliche Arbeitsplätze erfordert. Demzufolge dürfte die bisher relativ bescheidene Quote an Kapitalmangel-Arbeitslosigkeit eher wieder zunehmen, wenngleich sie weiterhin nur einen Bruchteil der Gesamtarbeitslosigkeit ausmacht.
2. Aus gewerkschaftlicher Sicht wird die hohe Arbeitslosigkeit nach wie vor auf einen Nachfrage-mangel zurückgeführt, der die Beschäftigungsmöglichkeiten reduziert und somit einen Mangel an Arbeit bedingt. Demzufolge seien einerseits staatliche Beschäftigungsprogramme, andererseits Arbeitszeitverkürzungen angebracht. Vordergründig wird der Nachfragemangel seit altersher mit der sog. Kaufkraftiheorie zu begründen versucht. Diese besagt, daß die Löhne unabhängig von der Arbeitsleistung erhöht werden müßten, um die erforderliche Nachfrage zu schaffen und das Wirtschaftswachstum zu beflügeln. In der Realität funktioniert das aber offensichtlich nicht. Hier zeigt sich nämlich, daß jeder Lohnanstieg pro Produkt-einheit erst als Kosten verkraftet werden muß, bevor er überhaupt zur Nachfrage werden kann. Zusätzliche Stücklöhne scheitern also daran, daß die Unternehmen gezwungen sind, auf den steigenden Kostendruck zu reagieren. Wenn sie schon die Lohnsätze akzeptieren müssen, bleibt ihnen als Alternative nur, die Lohnsumme durch Entlassungen zu reduzieren. Daraus ergibt sich das Insider/Outsider-Problem mit negativen Drittwirkungen: Diejenigen, die im Arbeitsprozeß verbleiben (Insider) sind in dem Umfang besser gestellt, in dem die Freigesetzten (Outsider) der Arbeitslosigkeit anheim fallen.
Die alte Kaufkrafttheorie des Lohnes hat eine neuere Variante durch die sog. Effizienzlohntheorie erfahren. Diese ist im deutschen Sprachgebiet schon früh von V. Agartz, dem damaligen Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen (heute Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen) Instituts (WSI) des DGB, formuliert worden. Ihr Kem ist, daß höhere Löhne die Unternehmen zur Produktivitätssteigerung zwingen, und je stärker die Löhne angehoben werden, um so deutlicher wirken sie als Rationalisierungspeitsche, wodurch der Lohnanstieg gleichsam nachträglich legitimiert werden soll. Heute formuliert man vorsichtiger, indem man ein ungenutztes Leistungspotential der Arbeitnehmer unterstellt, die erst durch höhere Löhne zu einer besseren Arbeitsmotivation und -qualität veranlaßt werden. Entscheidend sei somit die Lohnabhängigkeit der Arbeitsleistung: Höhere Löhne bedeuteten eine bessere Arbeitsproduktivität, niedrigere hingegen eine schlechtere. Folglich würden niedrigere Löhne die Lohnstückkosten nicht senken, sondern bestenfalls unverändert lassen oder (etwa durch langsames Arbeiten) sogar erhöhen, so daß auch die Unternehmen kein Interesse an geringeren Löhnen hätten.
Wenn dieser Mechanismus funktionieren würde, hätte die Bundesrepublik nicht zwei Mio. Arbeitslose. Sicher ist nur, daß die Unternehmen auf den Lohnkostendruck mit verstärkter Rationalisierung der Produktion durch Innovationen reagieren. Was geschieht aber, wenn das unterstellte Leistungspotential nur partiell bei bestimmten Arbeitnehmern vorhanden ist, während die anderen sich den Anforderungen der Rationalisierung nicht gewachsen zeigen, so daß insgesamt der erforderliche Produktivitätsanstieg mißlingt? Die Effizienzlohntheorie setzt anpassungsfähige Arbeitnehmer voraus, die über ungenutzte Produktivitätspotentiale verfügen und die die neuen Technologien handhaben können Wenn das nicht der Fall ist, sind Entlassungen unvermeidlich. Das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen wird demnach vornehmlich durch den Lohnkostendruck der Gewerkschaften im Einvernehmen mit den Arbeitgebern verursacht.
Es wäre jedoch verfehlt, würde man unterstellen, daß neue Technologien in einzelnen Unternehmen gesamtwirtschaftlich stets zur technologischen Arbeitslosigkeit führen müßten. Für die Arbeitslosigkeit relevant ist der Rationalisierungseffekt nur dann, wenn er massiv durch einen allgemeinen Lohnkostendruck ausgelöst wird, dem sich nicht alle Unternehmen gewachsen zeigen. Erfolgt er hingegen sporadisch durch technische Neuerungen in einzelnen Unternehmen, dann bedingt er dort eine Kostensenkung, andernfalls würden die Innovationen, die sich ja „rechnen“ müssen, nicht durchgeführt. Einzelwirtschaftliche Kostensenkungen führen aber zu steigenden Realeinkommen -in Abhängigkeit vom wirksamen Wettbewerb auf den Absatzmärkten entweder zu höheren Gewinnen, die zu Investitionen veranlassen, oder zu höheren Haushaltseinkommen, die die Verbrauchsausgaben erweitern. Durch den Realeinkommensanstieg entsteht somit normalerweise ein entsprechender Nachfragezuwachs im Privatsektor, so daß technologische Arbeitslosigkeit vermieden wird
Die verfehlte Kaufkraft-und die fragwürdige Effizienzlohntheorie sind inzwischen von der sog. Scherentheorie abgelöst, zumindest in den Hintergrund gedrängt worden. Diese unterstellt, daß der jährliche Produktivitätsanstieg zu hoch, jedenfalls höher sei als der Produktionszuwachs. Beträgt z. B.der jährliche Produktivitätsanstieg drei Prozent, das Produktionswachstum hingegen nur zwei Prozent, dann wird das durch den Produktivitätsanstieg von drei Prozent geschaffene Produktionspotential desselben Umfangs nicht voll, sondern in unserem Beispiel nur zu zwei Dritteln ausgelastet. So spare der Produktivitätsvorlauf Arbeitskräfte ein und drücke die Beschäftigung: Da das Wirtschaftswachstum mit weniger Arbeitskräften realisiert werden könne, werde die Arbeit immer knapper; vorhandene Arbeit müsse somit umverteilt und neu zugeteilt werden. Bezugsgröße kann nicht ein bescheidenes Wirtschaftswachstum mit zwei Mio. Arbeitslosen sein; das wäre der falsche Maßstab. Zunächst müßte doch geklärt werden, warum der Produktionszuwachs hinter dem Produktivitätsanstieg zurückbleibt. Ursache ist wiederum der Lohnkostendruck, der eben nicht zujenem Produktivitätsanstieg führt, den er nach der Effizienzlohntheorie erreichen müßte und der erforderlich wäre, um wenigstens das erreichte Beschäftigungsniveau zu stabilisieren. Statt des Produktions-muß als Maßstab der Lohnkostenzuwachs zugrunde gelegt werden. Um diesen zu neutralisieren, hätte der Produktivitätsanstieg nicht geringer, sondern höher sein müssen. Der betrieblich relevante Produktivitätszuwachs dürfte sogar geringer gewesen sein als der statistisch ausgewiesene, weil Unternehmen, die den Lohnkostendruck nicht auffangen konnten, als Grenzbetriebe mit zu geringer Produktivität aufgeben und ihre Arbeiter entlassen mußten. Dadurch hat sich das Produktivitätsniveau der Volkswirtschaft zwangsläufig — wenngleich immer noch unzureichend — erhöht.
Die verfehlte Kaufkraft-, die fragwürdige Effizienz-lohn-und die Scherentheorie kranken an demselben Fehler, nämlich an dem notwendigen Vorlauf des Produktivitätsanstiegs, aus dem höhere Löhne ohne Verminderung der Beschäftigung hergeleitet werden können. Sind hingegen Höhe und Struktur der Löhne — der Tarifpolitik des Kartells der Tarif-parteien zufolge — vorgegeben, ist der erforderliche Produktivitätsanstieg insgesamt fraglich, so daß die Arbeitslosigkeit zunimmt, sofern der Ausweg in die Inflation durch die Notenbank versperrt bleibt. Da hilft es auch nicht weiter, wenn die angebliche Knappheit der Arbeit mit der Sättigungsthese zu stützen versucht wird: Eine Nachfragesättigung ist höchstens auf einzelnen Märkten zu beobachten, und zwar zwangsläufig auf solchen, die reguliert sind — wie in der Land-, Kohle-und (öffentlichen) Verkehrswirtschaft, in der Werftindustrie und zwischenzeitlich auch in der Stahlindustrie. Aber der hier aufgetretene Nachfragemangel hat ebensowenig mit Sättigungstendenzen zu tun wie der Arbeitsplatzmangel auf dem Arbeitsmarkt; vielmehr ist er die Folge überhöhter und damit marktfremder Preise für Güter und Arbeit. Zum Abbau des Angebotsüberhangs werden dann Regulierungen durchzusetzen versucht — Mengenbeschränkungen dort, Arbeitszeitverkürzung hier.
Regulierte Märkte widersprechen den Knappheitsverhältnissen und führen zwangsläufig zu Angebotsüberhängen. Niemand wird bestreiten können, daß Arbeit genug vorhanden ist; es fragt sich nur, zu welchem Preis bzw. Lohnsatz. Selbst wenn es trotz marktgerechter Preise einmal zur Sättigung auf einzelnen Märkten kommen sollte, wird sich die Nachfrage anderen Bedürfnissen zuwenden, für die das Einkommen bisher nicht ausreichte, und dort die Produktion ausweiten.
Damit jedoch niemand auf den Gedanken kommt, die unterstellte Nachfragesättigung — ein wahrhaft paradiesischer Zustand — mache auch angestrebte Lohnerhöhungen hinfällig, unterscheiden die Gewerkschaften zwischen Individual-und Kollektiv-bedürfnissen. Die Sättigungsthese beschränken sie auf Individualgüter, während sie bei öffentlichen Gütern ein Defizit reklamieren. Um dieses auszugleichen, fordern sie staatliche Beschäftigungsprogramme für den öffentlichen Sektor. So sollen nach dem DGB-Programm die sozialen Dienste ausgeweitet.der Umweltschutz gesichert, die Nahverkehrsverbindungen ausgebaut, der Wohnungs-und Städtebau gefördert und das Bildungs-und Gesundheitswesen verbessert werden. Öffentliche Güter erzielen aber in der Regel — falls sie überhaupt Preise tragen — keine kostendeckenden Preise; vielfach werden sie unter Kosten bis hin zum Null-tarif angeboten. Das Defizit muß dann der Staat durch Steuererhöhung oder zusätzliche Verschuldung decken, d. h. letztlich muß dieses von der Erwerbswirtschaft und allen dort Beschäftigten aufgebracht und ausgeglichen werden. Der private Sektor müßte also um so stärker belastet werden und daraufhin Arbeitskräfte freisetzen, je mehr der öffentliche Sektor expandiert. Vorhandene Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung umzuverteilen und andere Arbeit durch Beschäftigungsprogramme im öffentlichen Sektor schaffen zu wollen, dürfte demzufolge die Arbeitslosigkeit nicht verringern, sondern müßte sie erhöhen.
2. Institutionalisierte Arbeitslosigkeit
Gegenwärtiger Befund ist, daß sowohl die Normal-auslastung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials bereits überschritten, als auch die Gewinnentwicklung in vielen Unternehmen so gut wie lange nicht mehr ist. Dennoch sind weiterhin zwei Mio. Arbeitslose registriert. Könnte diese ungewöhnlich hohe Zahl auf ein überhöhtes Lohnniveau und eine falsche Lohnstruktur zurückzuführen sein? Dann handelte es sich um klassische Arbeitslosigkeit.
Unbestritten dürfte sein, daß Arbeitslosigkeit als Folge eines vollbeschäftigungsinkonformen Lohn-niveaus und einer vollbeschäftigungswidrigen Lohnstruktur entsteht Geht man nämlich (wie die Klassiker) vom Lohn als Preis für Arbeit aus und differenziert — ähnlich den Gütermärkten — zwischen verschiedenen Arbeitsarten mit entsprechendem Lohndifferential, dann ist in einem funktionierenden Marktsystem damit zu rechnen, daß jedes Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt Kräfte aktiviert, die zu einem neuen Gleichgewicht führen, also daß
— ein Überhang an Arbeitskräften einen Druck auf den Reallohn bewirkt,
— ein Mangel an Arbeitskräften zu einem Anstieg des Reallohns führt, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Somit kann nur friktionale Arbeitslosigkeit als Folge zeitlich befristeter Anpassungsprozesse entstehen.
Der Arbeitsmarkt gehört jedoch — neben dem Agrar-und dem Verkehrsmarkt, die kaum etwas mit Marktwirtschaft zu tun haben — zu den am stärksten regulierten Märkten, die nicht aus sich selbst heraus zum Gleichgewicht finden können, weil ihre Gleichgewichtskapazität äußerst beschränkt ist. Das ist jedoch nicht ausschließlich auf Strategien von Gewerkschaften mit Unterstützung von Arbeitgeberverbänden zurückzuführen, sondern auch auf Bestimmungen des Arbeitsrechts, das zum vermeintlichen Schutz der Arbeitnehmer von der Gesetzgebung und der Rechtsprechung immer stärker perfektioniert worden ist. Somit sind zwei Ebenen voneinander zu trennen
— Einerseits entfällt bei einem Überhang an Arbeitsuchenden die erforderliche Lohnsenkung, weil die ausgehandelten Löhne faktisch als Mindestlöhne gelten und die Gewerkschaften weder die erforderliche Öffnungsklausel noch gar die Lohnsenkung zulassen. Wenn aber aus der Sicht der Unternehmen die Personalkosten das Gleichgewichtsniveau übersteigen, unterbleiben für beide Seiten — für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer — vorteilhafte Arbeitsverträge, weil den Unternehmen dann die Arbeit zu teuer wird; noch nicht beschäftigte Arbeitnehmer bleiben arbeitslos. Fer-* ner ist im Interesse sozialer Ausgewogenheit die Lohnhierarchie zwischen den Wirtschaftszweigen zusammengedrückt worden; innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige ist die Lohnskala durch Streichung der unteren Lohngruppen sowie deren Begünstigung durch Sockelbeträge reduziert worden. Durch diese Abkehr von der beschäftigungszur verteilungsorientierten Lohnpolitik sind die unteren Lohngruppen besonders teuer geworden. Deren Tätigkeit ist aber am einfachsten zu rationalisieren; sie sind am ehesten entbehrlich und somit geradezu zur Dauerarbeitslosigkeit verdammt.
— Andererseits ist das Arbeitsrecht als kollektives Schutzrecht unselbständig Beschäftigter durch die Gesetzgebung wie durch die Rechtsprechung ständig ausgeweitet worden. Günstigkeitsprinzip, Allgemeinverbindlichkeitserklärung, weitgehender Kündigungsschutz, verpflichtende Sozialpläne, Übernahme aller Arbeitsverhältnisse durch den Nachfolger bei betrieblichem Eigentumswechsel sind staatliche Regulierungen des Arbeitsmarktes, die ihren Preis haben und häufig zu unsozialen Konsequenzen führen. Dadurch werden wiederum für beide Seiten vorteilhafte Arbeitsverträge unterbunden, häufig sogar in die ungeschützte Schattenwirtschaft verlagert. Andererseits: Wenn die Freisetzung überzähliger Arbeitskräfte an solchen wohlgemeinten Schutzbestimmungen scheitert oder unverhältnismäßig teuer wird, erscheint es verständlich, wenn selbst bei verbesserter Wirtschaftslage keine neuen Arbeitskräfte eingestellt werden. Überdies hat der ständige Ausbau des Sozialstaates das Anspruchsdenken in der Bevölkerung gefördert und die erforderliche Mobilität der Arbeitsuchenden reduziert. Selbst wenn Lohnflexibilität und Lohndifferential gewährleistet wären, könnten die erwarteten Mengenänderungen auf steigende oder sinkende Löhne zu gering sein, um die bestehende Arbeitslosigkeit abzubauen. Erfahrungsgemäß sind selbst Arbeitslose in der Regel zur Arbeitsaufnahme nur bereit, wenn ihnen Arbeitsplätze derselben Art am selben Ort angeboten werden.
Demzufolge ist die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes von zwei Seiten untergraben worden, von den Tarifparteien durch die Lohnpolitik und vom Staat durch seine Regulierungen, so daß unter den gegebenen Verhältnissen keine Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Statt von „klassischer“ Arbeitslosigkeit, die nur auf das überhöhte Lohnniveau und die falsche Lohnstruktur abhebt, sollte man umfassender von institutionalisierter Arbeitslosigkeit sprechen — ein Begriff, der diesem Sachverhalt besser gerecht wird. Zu ihrer Behebung wären verteilungsorientierte Lohnforderungen ebenso preiszugeben, wie bestehende Regulierungen des Arbeitsmarktes aufzulockern.
II. Falsche Therapie zur Behebung der Arbeitslosigkeit
Abbildung 12
Übersicht 2: Abgrenzung der nachfrageorientierten Konjunkturpolitik gegenüber der angebotsorientierten Stabilisierungspolitik
Übersicht 2: Abgrenzung der nachfrageorientierten Konjunkturpolitik gegenüber der angebotsorientierten Stabilisierungspolitik
Die falsche Identifikation der Ursache bestehender Arbeitslosigkeit machte auch die praktizierte Therapie nach dem StabG zu einem Fehlschlag. Dieses konnte nicht halten, was man sich von ihm versprochen hatte. Vielmehr ist festzustellen, daß sich die Arbeitslosigkeit erst nach Verabschiedung dieses Gesetzes verstärkt ausgebreitet hat, obgleich sich zwischen 1974 und 1981 die öffentlichen Ausgaben und Mindereinnahmen auf die Summe von 98 Mrd. DM addierten Dabei sind jedoch die Mindereinnahmen durch Steuerentlastungen nur mit Einmal-beträgen — im Jahr der Steuersenkung, nicht in den Folgejahren — veranschlagt, so daß erheblich mehr als 100 Mrd. DM angesetzt werden müßten.
1. Die Fehlleistung der Wirtschaftspolitik
Zwar ist verständlich, daß amtierende Politiker die Keynessche Botschaft, die ewige Vollbeschäftigung durch Einsatz expansiver Fiskal-und Geldpolitik verhieß, begierig aufgegriffen haben — war sie doch ebenso einfach wie einleuchtend und nahm ihnen überdies das schlechte Gewissen, das sie früher beim Geldausgeben plagte. Statt der Gewissensbisse stellte sich nun aber eine hartnäckige Inflation als Folge der expansiven Fiskal-und Geldpolitik ein, die — je deutlicher sie um sich griff — durch eine kontraktive Fiskal-und Geldpolitik wieder abgebaut werden mußte. Dem expansiven „Go“ mußte also bald ein kontraktives „Stop“ folgen. Mit dieser „Stop and Go-Politik“ wurde jedoch das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nicht wieder erreicht, sondern ständig verfehlt: Sobald auf die Anti-Inflationspolitik zurückgegriffen werden mußte, verschlechterte sich wegen des inzwischen erreichten und nicht reduzierbaren Kostensockels die Erlös-Kosten-Relation der Unternehmen und induzierte Arbeitslosigkeit, die dann wieder mit einer expansiven Fiskal-und Geldpolitik bekämpft werden mußte, welche die Erlös-Kosten-Relation zwar kurzfristig verbesserte, aber erneut zur Inflation führte. Eine nachhaltige Verstetigung der erforderlichen Erlös-Kosten-Relation wurde nicht erreicht; das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wurde zunächst entweder durch Inflation Über-oder durch Arbeitslosigkeit unterschritten.
Damit ist die Entwicklung jedoch noch nicht zu Ende. Inzwischen hatte die Bevölkerung nämlich gelernt, sich vor der Inflation zu schützen. Sie unterlief die Nominalwertrechnung Mark = Mark und machte sich statt dessen die Realwertrechnung zu eigen, indem sie die erwartete Inflationsrate wie die durch die Progression verursachte „heimliche“ Steuererhöhung antizipierte und — zum Ausgleich — ihre Einkommensforderungen entsprechend aufstockte: Sie verlor — wie Nationalökonomen zu sagen pflegen — die Geld-und Abgaben-illusion. Dies hatte fatale Konsequenzen. Fortan entbehrte die Inflation immer mehr der erwarteten Beschäftigungszunahme durch kurzfristige Verbesserung der Erlös-Kosten-Relation, die bis dahin unterstellt wurde. Vielmehr sahen sich die Unternehmen mit einem Vorlauf an betrieblichen Personal-und öffentlichen Sozialkosten konfrontiert, die zur Vermeidung erwarteter Realeinkommenseinbußen überhöht waren und über die Preise nicht mehr hereingeholt werden konnten. Somit induzierte die Antizipation der Inflation durch die Bevölkerung — ihr inflationsbewußtes Verhalten — letztlich eine wirtschaftliche Stagnation trotz weiterhin bestehender Inflation, eben die Stagflation.
Angesichts dieser Entwicklung erwies sich die Begeisterung der Politiker für Keynessche Vollbeschäftigungsaktivitäten im nachhinein als äußerst verhängnisvoll, weil dadurch die Rollenverteilung zu Lasten des Staates nachhaltig verändert wurde. Art. Abs. 3 GG sichert den Tarifparteien die Tarifautonomie zu, aber bis Mitte der sechzigerJahre waren sich beide Seiten ihrer Verantwortung für die Vollbeschäftigung durchaus bewußt, so daß stabilitätswidrige Lohnabschlüsse keine Rolle spielten. Danach fühlten sich die Tarifparteien mehr und mehr ihrer Verantwortung für Fehlentscheidungen enthoben. Statt dessen lasteten sie die Folgen dessen, worauf sie sich in beiderseitigem Einvernehmen geeinigt hatten, der Regierung an, da diese im StabG die Zuständigkeit für Vollbeschäftigung an sich gezogen hatte. Von ihr erwarteten sie, daß sie aktiv die Arbeitslosigkeit bekämpfen würde, was sie auch — wenngleich erfolglos — versuchte. Somit war es ein Fehler, die Tarifparteien aus ihrer Verantwortung für die Vollbeschäftigung zu entlassen. Die Folgen sind langfristig spürbar. Zwar konnte seit 1983 die Inflation schrittweise reduziert und schließlich gestoppt, hingegen die Arbeitslosigkeit trotz verbesserter Erlös-Kosten-Relation kaum vermindert werden. Offenbar ging folgende Rechnung nicht mehr auf: Zunehmende Gewinne ziehen eine wachsende Investitionsnachfrage nach sich, die ihrerseits zum Anstieg der Beschäftigung führt, wie es bis Mitte der siebziger Jahre der Fall war. Das läßt nur den Schluß zu, daß sich das Verhalten in der Bevölkerung nachhaltig verändert hat: Aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Stagflation hielten sich Konsumenten wie Produzenten mit ihrer Nachfrage zurück und disponierten zwischenzeitlich äußerst vorsichtig, weil ihr Vertrauen in die Wirtschaftspolitik in eine Krise geraten war. Es bedarf nun eines anhaltenden Aufschwungs, in dessen Verlauf die Nachfrager ihre Zurückhaltung langsam wieder aufgeben. Eine solche Haltung läßt sich mit dem Hysteresis-Argument erklären, das einen Zustand beschreibt, der nach Wegfall seiner Ursache noch eine zeitlang anhält.
2. Angebotspolitik und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
Als sich herausstellte, daß die öffentlichen Beschäftigungsprogramme zwischen 1974 und 1981 im Umfang von mehr als 100 Mrd. DM erfolglos geblieben waren und statt dessen die Arbeitslosigkeit durch die Stagflation — als Kombination von Inflation und Stagnation — sogar ihren Höhepunkt erreichte, wandelte sich die Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch in der Praxis. Zuvor war bereits in der Nationalökonomie die nachfrage-orientierte Konjunkturpolitik durch die angebots-orientierte Stabilisierungspolitik verdrängt worden; diese wurde vom „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ erstmalig im Jahresgutachten 1976/77 vertreten und der amtlichen Politik nahegelegt.
Die angebotsorientierte Stabilitätspolitik beruht auf der Erkenntnis, daß eine deutliche Diskrepanz zwischen der Erstellung des Sozialprodukts und den Verteilungsansprüchen entstanden war: Während Produktion und Beschäftigung zu teuer geworden und damit rückläufig waren, stiegen die Ansprüche an das Produktionsergebnis weiterhin. Nicht zuletzt hatte das Hin und Her der Antizyklik die Bevölkerung veranlaßt, sich defensiv zu verhalten und ihre persönlichen Einkommens-und sozialen Sicherheitsforderungen möglichst hoch anzusetzen, um sich vor Verschlechterungen ihrer Lage zu schützen. Ansatzpunkt der Angebotspolitik mußte demzufolge die Stiftung von Zukunftsvertrauen sein, um die Erwartungen im privaten Sektor zu verbessern, „damit dort wieder mehr investiert wird und auch die privaten Haushalte im Vertrauen auf eine wieder sichere Zukunft mehr Geld auszugeben wagen“ 9). Durch eine Verbesserung der Erlös-Kosten-Relation sollte ein Mehr an Produktion und Beschäftigung rentabel gemacht und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden, also
— staatlicherseits durch Verstetigung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen, durch Reform der Unternehmensbesteuerung (Abbau ertragsunabhängiger Steuern, erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten), durch Minderung öffentlicher Sozialkosten, zukünftig auch durch eine Überprüfung des Arbeitsschutzrechts und eine Qualifizierungsoffensive für neue Arbeitsplätze;
— unterstützt von den Tarifparteien durch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik, durch Entzerrung der Lohnrelationen und mehr Flexibilität in der Arbeitszeit. Wie sich diese Angebotspolitik gegenüber der gewerkschaftlichen Nachfragepolitik abgrenzt, macht Übersicht 2 deutlich.
In der Praxis wandelte sich die — vormals passive — Arbeitsmarktpolitik stärker hin zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Außer Unterstützungszahlungen bei saisonal oder konjunkturell bedingten Produktionsausfällen umfassen deren Maßnahmen
— die „Förderung der beruflichen Weiterbildung, Umschulung und berufliche Rehabilitation durch Übernahme der Kosten sowie eventuelle Zahlung eines Unterhaltsgeldes oder Gewährung entsprechender Darlehen, — die Zahlung von Lohnkostenzuschüssen oder entsprechende Darlehen zwecks Beschäftigung von Arbeitslosen in der Privatwirtschaft (Eingliederungsbeihilfen) oder bei öffentlichen oder gemeinnützigen Arbeitgebern (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM).“
Von den Gesamtausgaben für die Arbeitsmarktpolitik, die zwischen 1965 und 1988 von 1, 58 Mrd. DM auf die stolze Summe von 48, 75 Mrd. DM — ein-schließlich des ebenso rasant gewachsenen Verwaltungsaufwandes — gestiegen sind, entfällt mit 17, 03 Mrd. DM bereits mehr als ein Drittel auf die aktive Arbeitsmarktpolitik Ihre zunehmende Bedeutung wird mit dem hohen Selbstfinanzierungsgrad gerechtfertigt. Dieser ergebe sich daraus, daß die Zahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, unter Umständen auch von Konkursausfallgeld eingespart würde und diese Mittel im Wege von Eingliederungsbeihilfen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sinnvoller angelegt seien.
Der Verzicht auf die bisherige Nachfragepolitik, also die Hinwendung zur Angebotspolitik, sowie die Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit haben zwar die Arbeitslosigkeit nicht weiter steigen lassen, aber auch nicht nennenswert vermindern können. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß beide die Hauptursache der Arbeitslosigkeit kaum getroffen, höchstens zu einer gewissen Entlastung des Arbeitsmarktes geführt haben und insofern wenigstens die Richtung stimmt.
Was zunächst die Angebotspolitik betrifft, so laufen ihre Maßnahmen darauf hinaus, den Lohnkostendruck, den die Tarifparteien zu verantworten haben, durch eine Verminderung anderer Kosten und Abgaben zu entschärfen; sie treffen somit nicht den eigentlichen Kem des Arbeitslosenproblems. Überdies sind die wünschenswerten Maßnahmen kaum in Angriff genommen worden. Die dringende Reform der Unternehmensbesteuerung ist bisher ebensowenig erfolgt wie die erforderliche Entlastung von öffentlichen Sozialkosten. Was ferner den Appell an eine beschäftigungsorientierte Lohn-politikbetrifft, so dürfte dieser die Tarifparteien aller Erfahrung nach kaum beeindruckt haben; eher sind sie durch die hartnäckige Stagflation mit Ausfall der Gewinne veranlaßt worden, die eingetretene Wirtschaftslage in ihren Verhandlungen zu berücksichtigen. So blieb den Gewerkschaften nichts anderes übrig, als dies in Rechnung zu stellen und über Lohnsteigerungen moderater zu verhandeln, wenngleich die von ihnen verfolgte Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich den Lohnkostendruck wieder erhöhen mußte
Was sodann die Aktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit betrifft, so sind ihre Maßnahmen in mehrfacher Hinsicht als fragwürdige Symptomkur einzustufen. Wenn z. B. Personen aus dem Berufsleben vorzeitig ausgegliedert werden und daraufhin nicht mehr berufstätig sein wollen, wird dadurch nicht nur die Statistik geschönt, sondern auch der Facharbeitermangel verstärkt, der inzwischen zum entscheidenden Engpaß im Wachstumsprozeß geworden ist. Ebensowenig kann der unterstellte hohe Selbstfinanzierungsgrad von Eingliederungsbeihilfen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesamtwirtschaftlich überzeugen, wenn Arbeitslose, die bisher die passive Arbeitsmarktpolitik belasteten, nunmehr in die aktive Arbeitsmarktpolitik überführt werden, so sinnvoll die damit einhergehende Chancenverbesserung für sie persönlich auch sein mag. Erstens sind subventionierte Arbeitsplätze mit Lohnkostenzuschüssen bis zu 100 Prozent keine rentablen Arbeitsplätze, und zweitens sind erhebliche Mitnahme-und Substitutionseffekte dabei im Spiel, die wiederum die Statistik schönen.
III. Zur Therapie institutionalisierter Arbeitslosigkeit
Will man die institutionalisierte Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen, ist bei den bestehenden Institutionen anzusetzen, die zu Fehlentwicklungen geführt und dadurch die bestehende Arbeitslosigkeit faktisch unauflösbar gemacht haben. Zentrale Institutionen sind das geltende Arbeitsrecht und seine Rechtsprechung sowie der Kartellschutz der Arbeitsmarktparteien, konkret: deren Tarifautonomie. Während die Rechtsprechung für den Juristen ein System zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen Staatsbürgern — hier: zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern — ist, stellt sie für den Ökonomen ein System von Risikozuweisungen dar, das durch die Ordnungspolitik so zu gestalten ist, daß sich eine ausgewogene Verteilung kalkulierbarer Risiken ergibt
1. Deregulierung des Arbeitsmarktes
Heute gibt es keine haltbaren Gründe mehr für eine besondere Regulierung des Arbeitsmarktes durch den Staat. Dennoch argumentieren Juristen immer noch mit dem erforderlichen „Nachteilsausgleich“ für Arbeitnehmer, der im vorigen Jahrhundert angebracht war. Inzwischen sind Arbeitsrecht und Rechtsprechung jedoch so perfektioniert worden, daß sie zu unsozialen Konsequenzen führen, die in der gegenwärtigen Diskussion kaum bedacht werden. Deren wichtigste ist die weitgehend zementierte Risikoverteilung zu Lasten der Unternehmen mit dem Ergebnis, daß die Reduzierung des Einkommensrisikos der Arbeitnehmer erkauft wird — und letztlich erkauft werden muß — mit der Vergrößerung ihres Arbeitsplatzrisikos, eben der Arbeitslosigkeit. Unternehmen sind kein Ort für soziale Sicherheit, dafür ist die Sozialpolitik zuständig. Aufgabe der Unternehmen ist, in leistungsfähiger Organisation zuverlässige Güter zu Knappheitspreisen herzustellen. Ursprünglich als privates Recht konzipiert, ist das geltende Arbeitsrecht im Laufe der Zeit immer mehr zum öffentlichen Arbeitsschutzrecht ausgeweitet worden. Deshalb muß ernsthaft erwogen werden, dieses aufzulockern und von allen Schutzmaßnahmen bis auf eine Grundsicherung zu entlasten Vorrangig revisionsbedürftig sind der exzessive Kündigungsschutz, die Sozialplanregelung bei betriebsbedingter Kündigung und das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit. 1. Nach § 1 des Kündigungsschutzgesetzes ist eine sozial ungerechtfertigte Kündigung unwirksam. Diese Sozialkomponente gebietet den Gerichten, auch die Privatsphäre des betreffenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen, um — unabhängig von betrieblichen Erfordernissen — zu einer Abwägung zwischen den zu erwartenden Vorteilen des Arbeitgebers und den Nachteilen, die sich für den Arbeitnehmer ergeben, zu gelangen. Die soziale Berücksichtigung des Umfeldes erhält noch zusätzliches Gewicht durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, die von den Unternehmen eine Weiterbeschäftigung bis zum Abschluß des jeweiligen Arbeitsgerichtsverfahrens verlangt.
Diese Regelungsdichte, die für sozial Schwächere gedacht ist, wendet sich letztlich gegen sie: Sind bei ihnen Schwierigkeiten im Anforderungsprofil erkennbar, bewirkt der besondere gerichtliche Schutz des eingegangenen Arbeitsverhältnisses, daß sie überhaupt nicht eingestellt werden. Inzwischen ist jedoch der bisherige Kündigungsschutz indirekt durch das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985, das befristete Arbeitsverträge bis zu 18 Monaten zuläßt, aufgeweicht worden. 2. Nach § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes erfordern Betriebsänderungen Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Kommt keine Einigung zustande, so ist eine Vermittlung durch die Einigungsstelle beim Landesarbeitsamt vorgesehen, die einen finanziellen Ausgleich auf dem Wege des Sozialplans bestimmt.
Auch hier wird das Ziel in der Regel verfehlt. Angesichts erforderlicher Betriebsverlagerung oder gar -Schließung werden die Unternehmen häufig dazu verführt, zur Vermeidung der Sozialplanbelastung die Beschäftigung vorerst aufrecht zu erhalten, obwohl dadurch Mittel gebunden werden, die zur Umstrukturierung genutzt werden könnten und somit das Überleben gesichert hätten. 3. In der Bundesrepublik ist die Arbeitsvermittlung staatlich organisiert, eine private ist verboten. Dadurch sollen die Arbeitssuchenden vor gewinn-orientierten privaten Arbeitsvermittlern geschützt werden. Wie jedes Monopol, so arbeitet auch das Arbeitsamt als staatliches Arbeitsvermittlungsmonopol mit seinem aufgeblähten Verwaltungsapparat kaum effizient: Heute kommen nicht mehr als ein Drittel aller Arbeitsverträge unter Mitwirkung der Arbeitsämter zustande.
Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wäre es angebracht, eine private Vermittlung zuzulassen, wie sie sich für gehobene Positionen bereits durchgesetzt hat. Wie bei Maklern würde die Vermittlungsgebühr nur bei erfolgreicher Vermittlung anfallen (überdies nur beim Auftraggeber, der in zunehmendem Maße das Unternehmen ist). Wichtiger ist jedoch die bessere Ausschöpfung des Arbeitsmarktpotentials, und der Wettbewerb mit der weiterhin bestehenden staatlichen Vermittlung müßte auch diese zu größeren Anstrengungen veranlassen.
2. Aufgaben der Tarifparteien
Angesichts der unvermindert hohen Arbeitslosigkeit wird immer häufiger die Tarifautonomie der Tarifparteien kritisch hinterfragt Man sollte jedoch bedenken, daß ihre Einschränkung oder gar Aufhebung den Staat veranlassen müßte, in den Verteilungskonflikt zu intervenieren, um ihn zu schlichten. Dadurch könnte die parlamentarische Demokratie gefährdet werden, wie die Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik gezeigt haben. In ihrer staatsentlastenden Funktion ist die Tarifautonomie Bestandteil unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung Demzufolge müßte sie unangetastet bleiben. Aber beide Seiten sollten dazu bewogen werden, ihre Verantwortung für die Vollbeschäftigung — wie ehedem — wieder ernst zu nehmen, indem die Regierung keinen Zweifel daran läßt, daß sie bei Fehlentscheidungen eine Flankierung durch staatliche Vollbeschäftigungsmaßnahmen versagt, die ohnehin inflatorisch wirken müßten.
Analytisch gesehen sind es im Grunde zwei abweichende Strategien, die den Tariflohn über den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt in der Volkswirtschaft angehoben haben: zum einen die Ausrichtung der Lohnpolitik an der fragwürdigen Effizienzlohntheorie, zum anderen die Streichung der unteren Lohngruppen sowie deren Begünstigung durch Sockelbeträge. Beides hat die Entwicklung des Lohnniveaus vom Produktivitätsfortschritt abgekoppelt, somit einen spürbaren Lohnkostendruck bewirkt und dadurch die Entlastung des Arbeitsmarktes verhindert. Eine gewisse Flexibilität wäre demnach das probate Mittel, den Tariflohn wieder stärker an den Gleichgewichts-lohn heranzuführen
Einmal unterstellt, daß unsere unabhängige Bundesbank die monetäre Alimentierung des Lohnkostendrucks auch in Zukunft versagt und damit den Ausweg über die Inflation versperrt, könnte von beiden Tarifparteien innerhalb unveränderter Tarifautonomie zumindest erwartet werden, daß sie die beschäftigungspolitische Bedeutung einer verstärkten Lohndrift oberhalb, einer Öffnungsklausel unterhalb der Tariflöhne sowie eines Abbaus ausgeuferter Personalzusatzkosten anerkennen.
Viel wäre gewonnen, wenn in den Tarifverhandlungen die Tatsache bedacht würde, daß eine generelle Lohnerhöhung alle Unternehmen einer Branche (und bei gefestigter Lohnpyramide die ganze Volkswirtschaft) trifft, während der Produktivitätsanstieg einzelwirtschaftlich, d. h. von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, ausfällt. Das führt dazu, daß jene Unternehmen, die zwar demselben Lohnkostendruck wie alle anderen in der Tarifgemeinschaft unterliegen, aber den erforderlichen Produktivitätsanstieg nicht schaffen, ihre Lohnsumme durch Entlassungen reduzieren.
Der Lohnkostendruck kann jedoch dadurch entschärft werden, daß sich die Tarifverhandlungen nicht am Produktivitätsanstieg führender Branchen oder gar einzelner Unternehmen in diesen, sondern am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt orientieren. Dann blieben die ausgehandelten Tariflöhne — wie bis weit in die sechziger Jahre hinein — als tragbare Mindestlöhne grundsätzlich innerhalb des von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bestimmten Rahmens, während in Betrieben mit höherem Produktivitätsanstieg die positive Lohndrift dafür sorgt, daß die gezahlten Effektivlöhne die Tariflöhne übersteigen. So öffnet die Lohndrift das Lohndifferential nach oben.
Das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz läßt nur Abweichungen des Tariflohns zugunsten der Belegschaft, also nach oben, zu. Ansonsten gilt der Tariflohn auch für Belegschaften jener Betriebe, die dem Produktivitätsanstieg hinterherhinken oder den erforderlichen nicht erreichen: Vom Tariflohn abweichende Betriebsvereinbarungen sind dagegen nach § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz generell verboten — es sei denn, im vorhinein ist eine Öffnungsklausel im Tarifvertrag vereinbart worden. Die erweiterte Rückgriffsmöglichkeit auf eine solche Öffnungsklausel wäre im Bedarfsfall zur Verminderung des Arbeitsplatz-risikos hilfreich, falls der Betrieb sonst schließen und seine Arbeiter entlassen müßte. Die gefährdeten Betriebe würden von Sozialplanabfindungen entlastet; somit würde ihnen die Finanzkraft belassen, um die erforderlichen Umstrukturierungen durchführen zu können.
Die Ratio dieser Vorschläge liegt darin, daß der Tariflohn als Mindestlohn annähernd den Gleichgewichtsbedingungen am Arbeitsmarkt entsprechen soll. Einerseits über die verstärkte Lohndrift nach oben, andererseits durch die Öffnungsklausel nach unten könnten bestehende Lohnrigiditäten entschärft und knappheitsgerechte Lohnrelationen gefunden werden. Dadurch würden die Tarifparteien mithelfen, das Problem der Dauerarbeitslosigkeit zu entschärfen.
Ein weitergehender Vorschlag für mehr Flexibilität in der Lohnstruktur besteht in Anlehnung an das japanische Shushin koyo-System darin, daß der Lohn in zwei Komponenten aufgespalten wird: in einen sicheren Lohnsatz, der unabhängig von der Rentabilität des Unternehmens regelmäßig gezahlt wird, und eine Prämie, die vom Gewinn des Unternehmens abhängt und mehrmals jährlich auszuschütten ist. Dadurch würde den Unternehmen der Lohnkostendruck genommen, weil der Effektiv-lohn als Summe aus sicherem Lohnanteil und der Gewinnbeteiligung variabel ist: Ohne Veränderung der Beschäftigung könnte sich bei schlechter Wirtschaftslage der Effektivlohn nach unten, bei guter Wirtschaftslage nach oben anpassen, d. h. das Überlebensrisiko des Unternehmens entfiele ebenso wie das Beschäftigungsrisiko der Arbeitnehmer. Auch die Einstellungsbarriere für bisher Arbeitslose verschwände, da deren Kosten vom Produktionsergebnis (mit-) bestimmt werden, der zu tragende Effektivlohn somit im Einklang mit ihrer Wertschöpfung (theoretisch: des Grenzwertpro-B duktes) gehalten werden könnte. Ob der Nominal-lohn dann weiterhin Gegenstand von Tarifvereinbarungen bleibt, könnte insofern fraglich sein, als die Gewinnbeteiligung firmenspezifisch anfällt und geregelt werden müßte
So einleuchtend dieser Vorschlag auch sein mag, unter den gegebenen Umständen dürfte er kaum realisierbar sein, da das verminderte Arbeitsplatzrisiko mit einem erhöhten Einkommensrisiko erkauft werden muß, woran die Beschäftigten als Besitzer von Arbeitsplätzen nicht interessiert sind. Die oft beschworene Solidarität mit den Arbeitslosen ist in unserer Gesellschaft nicht besonders ausgeprägt.
Der ständige Lohnkostendruck ist jedoch bei den direkten Lohnkosten weniger stark ausgeprägt als bei den Personalzusatzkosten (Lohnnebenkosten), bei denen die Bundesrepublik einsamer Spitzenreiter ist Während die betrieblichen Sozialleistungen in westlichen Industriestaaten im Durchschnitt kaum mehr als 40 Prozent des Direktentgeltes ausmachen, betragen sie in der Bundesrepublik derzeit 83. 1 Prozent, d. h. auf je 100 DM Direktentgelt entfallen 83, 10 DM an Personalzusatzkosten. Auffällig ist, daß dabei die tarifliche und betriebliche Komponente mit 47, 40 DM (oder 57 Prozent) bereits die gesetzliche mit 35, 70 DM (oder 43 Prozent) deutlich übersteigt
Hier müssen sich die Tarifparteien fragen lassen, ob ein solcher Umfang an betrieblichen Sozialleistungen angesichts kontinuierlich gestiegener Realeinkommen noch zeitgemäß ist. Man könnte sich durchaus vorstellen, daß eine gewisse Lohnkostenentlastung der Unternehmen durch eine andere Aufteilung zwischen Direktentgeld und Personalzusatzkosten nicht nur von den Arbeitgebern, sondern auch von den Arbeitnehmern präferiert würde. Wären z. B. Tarifparteien und Unternehmen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich bereit, die Personalzusatzkosten um 20 DM zu reduzieren — immer noch ein überdurchschnittliches Angebot an betrieblichen Sozialleistungen —, dafür aber das Direktentgelt um 10 DM auf 110 DM aufzustocken, würde der bestehende Lohnkostendruck erheblich vermindert. Warum wird das betriebliche Potential an Zusatzleistungen für Arbeitnehmer nicht der positiven Lohndrift überlassen, sondern in zunehmendem Maße in Personalzusatzkosten „versteckt“?
Die bisherigen Überlegungen zu einer beschäftigungsorientierten Lohnpolitik stoßen auf hartnäkkigen Widerstand der Gewerkschaften — ohne artikulierte Vorbehalte auf Arbeitgeberseite —, weil damit die Verteilungsneutralität verbunden ist. Steigen die Löhne nur im Umfang des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts, handelt es sich um die vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung so bezeichnete und empfohlene kostenniveauneutrale Lohnpolitik: Die Lohnstückkosten bleiben konstant und an der vorhandenen Einkommensverteilung ändert sich nichts. Traditionelles Ziel der Gewerkschaften ist aber die Einkommensumverteilung. Nach wie vor glauben sie, diese durch eine expansive Lohnpolitik über den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt hinaus erreichen zu können. Das ist jedoch bisher stets mißlungen, weil der damit einhergehende Lohnkostendruck
— bei monetärer Alimentierung zur Inflation führt und damit die Umverteilung hinfällig wird,
— bei fehlender Geldexpansion hingegen Arbeitslosigkeit verursacht und die Umverteilung dann auf die Arbeitnehmer selbst, nämlich auf die zwischen Arbeitsplatzbesitzem und Arbeitslosen, beschränkt ist.
Die Umverteilung zugunsten unselbständig Beschäftigter — als Ziel einmal unterstellt — kann ohne weitere Gefährdung der Beschäftigung nur über eine verstärkte Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand erreicht werden, indem die Arbeitnehmerhaushalte außer ihren Arbeitseinkommen mit der Zeit auch zunehmend Kapitaleinkünfte beziehen. Das probate Mittel dazu ist, in die Tarifvereinbarungen zusätzlich zum Barlohn den Investivlohn einzubeziehen, der für die Dauer einer begrenzten Sperrfrist konsumtiver Verwendung entzogen und der Investition vorbehalten ist. Die erhebliche finanzielle Förderung vermögenswirksamer Leistungen in der Bundesrepublik durch verschiedene Vermögensbildungs-und -beteiligungsgesetze hat inzwischen diesen Investivlohn zur Regel in Tarifvereinbarungen gemacht, wenngleich seine Überführung in Beteiligungsvermögen noch zu wünschen übrig läßt
IV. Warum wird die institutionalisierte Arbeitslosigkeit nicht ernsthaft bekämpft?
Die vorstehenden Ausführungen sind in manchen Einzelheiten unvollständig; sie lassen jedoch in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung unter den Fachökonomen keinen Zweifel daran, daß die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zum weitaus größten Teil institutionelle Ursachen hat. Doch liegt es nicht allein an der fehlenden Artikulation der Arbeitslosen, sondern ebenso an der Dominanz politischer, gruppenspezifischer Rationalität in unserer Gesellschaft, die die ökonomische Vernunft überflügelt hat. Amtierende Politiker dienen sich aus Wiederwahlinteresse gut organisierten Interessengruppen an. Was ihnen recht ist, kann Verbandsfunktionären nur billig sein: Auch sie betreiben eine Politik im Interesse ihrer Klientel, die ihre Wiederwahlchancen erhöht, indem sie versuchen, die Kosten ihres Handelns auf schwächere Gruppen in der Gesellschaft abzuwälzen.
Innerhalb der Gewerkschaften ist die Mitgliedschaft „ein Spiegelbild der ungleich verteilten Beschäftigungsmöglichkeiten. Während der Anteil der geringer qualifizierten Arbeitnehmer mit weniger als 10 Prozent sehr gering ist, verfügen die besser qualifizierten — vor allem männlichen — Arbeitnehmer in den Gewerkschaften über eine Zweidrittel-Mehrheit.“ Als bestimmende Durchschnittswähler haben sie folglich ein deutlich geringeres Arbeitsplatzrisiko.
Diese Interessenlage paart sich mit der der Arbeitgeber. Abgesehen davon, daß die Mitgliedsfirmen eines Arbeitgeberverbandes möglichst einheitliche Regelungen mit einem starken Vertragspartner auf der Gegenseite wollen, ist es ihnen regelmäßig zu kostspielig, ihre eingearbeiteten Kräfte selbst bei überhöhten Forderungen durch Arbeitslose zu ersetzen, auch wenn diese dem Anforderungsprofil entsprechen sollten. Angesichts des erheblichen Facharbeitermangels dürfte es aber schwierig sein, überhaupt Mitarbeiter, die den gestellten Anforderungen gerecht werden, zu finden. So rühmt sich die Bundesrepublik zwar des dauerhaften sozialen Friedens, aber zwei Millionen Arbeitslose bleiben draußen vor der Tür
Hans Besters, Dr. rer. pol., geb. 1923; Lehrtätigkeit an deutschen und ausländischen Universitäten, zuletzt an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen u. a.: Neue Wirtschaftspolitik durch Angebotslenkung. Offene Fragen überbetrieblicher Investitionsplanung und vorausschauender Strukturpolitik, Baden-Baden 19822; zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken; Herausgeber des List Forums für Wirtschafts-und Finanzpolitik sowie mehrerer Schriftenreihen.
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