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Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED 1945-1949 | APuZ 11/1990 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 11/1990 „Weiße Flecken“ in der DDR-Geschichtsschreibung Ein historisches Dokument aus dem Jahre 1956. Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl Kontinuität und Wandel im DDR-Geschichtsbild Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland. Organisation und Wirkungsfelder in der SBZ 1945— 1949 Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED 1945-1949

Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED 1945-1949

Wolfgang Zank

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Zusammenfassung

Trotz moderater und demokratischer Rhetorik ging die remigrierte KPD-Führung unmittelbar nach Kriegsende mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht zielstrebig daran, der eigenen Partei eine beherrschende Position in den neuformierten Verwaltungen der SBZ zu verschaffen. Einschneidende gesellschaftspolitische Maßnahmen — wie die Enteignung des Großgrundbesitzes, die Umverteilung des Bodens an landarme Bauern und Überführung von Industriebetrieben in Volkseigentum — hatten in der Bevölkerung durchaus Zustimmung gefunden. Die Besatzungsmacht hielt den staatspolitischen Aufbau ihrer Zone lange Zeit in der Schwebe, weil sie sich vermutlich gesamtdeutsche Lösungen offenhalten wollte. Im Frühjahr 1948 wurde jedoch eine deutliche Tendenz zur Anlehnung an das Sowjetsystem erkennbar. Die Initiativen zum Aufbau starker Zentral-instanzen gipfelten in der Übertragung weitreichender Kompetenzen an die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) 1948. Auch im Bereich von Justiz, Polizei und Volksbildung wurde die zentrale administrative Kontrolle ausgeweitet. Folgen waren eine Kommandowirtschaft, ein üppig wuchernder Bürokratismus, niedrige Arbeitsmoral und das Ende realer Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Belegschaften.

L „Nicht das Sowjetsystem aufzwingen!“

Am 13. Juni 1945 konnten die Leser der „Deutschen Volkszeitung“ einen Aufruf des KPD-Zentralkomitees studieren. Bei dem Aufruf handelte es sich um die erste programmatische Erklärung der KPD-Führung nach Kriegsende. Unter anderem war dort zu lesen: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“ Statt dessen rief das Zentralkomitee zum Kampf für die „Aufrichtung eines antifaschistisch-demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ auf. Als dringendste Aufgaben wurden an erster Stelle die Liquidierung der Reste des Hitlerregimes und der Kampf gegen Hunger, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit genannt. Weiter wurde die eher zurückhaltende Forderung nach „Schutz der Werktätigen gegen Unternehmerwillkür und unbotmäßige Ausbeutung“ erhoben. Gleichzeitig sprach sich das Zentralkomitee für die „völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums“ aus. Dem Aufruf zufolge war nur ein einziger stärkerer Eingriff in die Eigentumsverhältnisse geboten, nämlich die Liquidierung des Großgrundbesitzes. Die Forderung, „den reaktionären altpreußischen Militarismus mit allen seinen ökonomischen und politischen Ablegern zu vernichten“, erwies sich allerdings nach kurzer Zeit als umfangreicher, als es zunächst vielleicht erschienen war, denn die Definition der „ökonomischen Ableger“ des Militarismus war dehnbar.

Dem Text des Aufrufes zufolge hatte sich die KPD zu einer maßvollen, demokratischen Partei gewandelt. Die neue Politik sorgte zunächst für beträchtliche Verwirrung in den eigenen Reihen. „Mit manchen Genossen der eigenen Partei und anderen Antifaschisten waren klärende Auseinandersetzungen notwendig, denn viele hingen noch an Vorstellungen aus der Zeit vor 1933“, berichtete Anton Ackermann, der seinerzeit als Leiterderentsprechenden „ZK-Initiativgruppe“ den Wiederaufbau der KPD in Sachsen organisierte Nur bei genauer Lektüre des Aufrufes konnte der Leser bemerken, daß es sich bei den hier skizzierten Forderungen um Übergangsforderungen handelte; über ihre langfristigen Ziele schwieg die KPD-Führung sich vorerst aus. In ihrer praktischen Politik stellte die KPD-Führung allerdings rasch klar, daß sie sich nicht an liberalen Leitbildern orientierte. Dies wurde zuerst in der Personalpolitik beim Aufbau der neuen Verwaltungsorgane deutlich.

Der staatliche Verwaltungs-und Behördenapparat war in den letzten Wochen des Krieges weitgehend zusammengebrochen. Auf lokaler Ebene setzten sowjetische Offiziere sehr rasch neue provisorische Administrationen ein. Die Personenauswahl wurde zunächst nicht selten von Zufällen bestimmt. Auf diese Weise kam beispielsweise auch Hans Fallada zu Bürgermeisterwürden. In seinem Buch „Der Alpdruck“ beschrieb Fallada später seine wenig ermutigenden Erfahrungen in dem für ihn ungewohnten Metier.

Es waren hauptsächlich die drei ZK-Initiativgruppen — Gruppe Sobottka im Norden, Gruppe Ulbricht in Berlin und Gruppe Ackermann in Sachsen —, die ab Ende April den Wiederaufbau der KPD organisierten und schrittweise für eine zielbewußte Personalpolitik bei der Besetzung der neuen Verwaltungspositionen sorgten. Das Politbüro der KPD hatte bereits am 5. April 1945 „Richtlinien für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet verabschiedet“ Im Hinblick auf die Besetzung des Personalamtes in den neuen Verwaltungen hieß es dort: „Die Leitung dieses Amtes soll in der Regel ein Genosse in den Händen haben, der in den letzten Jahren außerhalb Deutschlands als antifaschistischer Funktionär gearbeitet hat.“ In der Tat wurde in allen höheren oder wichtigen Verwaltungen ein KPD-Mitglied Personalchef. Im Fall des bereits am 14. Mai 1945 eingesetzten Magistrates von Berlin war dies beispielsweise Arthur Pieck, Sohn des KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, der als Soldat der Roten Armee nach Deutschland zurückgekehrt war. Die Bevorzugung von Remigranten erklärt sich aus der großen ideologischen Unsicherheit, welche angesichts des neuen Kurses zunächst in den Reihen der KPD herrschte. Genossen, die aus dem Konzentrationslager oder der Illegalität kamen, waren ideologisch noch nicht auf dem laufenden.

Im Juli 1945 bestätigte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Regierungen für die neuen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen sowie die neuen „Provinzialverwaltungen“ Brandenburg und Provinz Sachsen (später Sachsen-Anhalt). Ein faktischer Unterschied zwischen Ländern und Provinzen ist nicht zu erkennen; Ende 1946 wurden auch die Provinzen offiziell zu Ländern. Ende Juli ordnete die SMAD ebenfalls die Bildung von elf Zentralverwaltungen an; fünf weitere kamen in den nächsten zwei Jahren hinzu. Diese Zentralverwaltungen hatten allerdings zunächst eine eher schwache Position. Sie waren in erster Linie Hilfsinstitutionen für die SMAD und konnten in der Regel nur auf dem Umweg über die SMAD faktischen Einfluß erlangen. Nur auf einzelnen Gebieten wie Bahn-oder Postwesen konnten sie deutschen Instanzen Anweisungen geben. Faktisch blieben die Länder-bzw. Provinzialverwaltungen bis zum Frühjahr 1948 die höchsten deutschen Instanzen

Personell waren die neuen Behörden, Länderregierungen und Zentralverwaltungen pluralistisch zusammengesetzt. Bürgerliche Fachleute, sofern nicht NS-belastet, fanden in großer Zahl Verwendung, und nichtkommunistische Politiker konnten durchaus einflußreiche Positionen einnehmen. Unter anderem waren sämtliche Ministerpräsidenten der Länder Nichtkommunisten; der Christdemokrat Ferdinand Friedensburg leitete die Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie, und der liberale Politiker Eugen Schiffer wurde Präsident der Zentralverwaltung für Justiz. Die KPD war allerdings weit überrepräsentiert und hatte sich die Schlüsselstellungen gesichert. Beispielsweise hatten die nichtkommunistischen Ministerpräsidenten ausnahmslos kommunistische 1. Vizepräsidenten an ihrer Seite. Und es waren die 1. Vizepräsidenten, welche für die machtpolitisch schwerwiegenden Ressorts wie Inneres, Personalpolitik und Justiz zuständig waren; der Aufbau der neuen Polizei erfolgte unter ihrer Aufsicht und hatte, wie es eine DDR-Publikation formulierte, „nach strengen klassenmäßigen Grundlagen zu erfolgen“ Dank ihres Zugriffes auf das Personalwesen konnte die KPD, und dann später die SED, ihre personelle Dominanz zielstrebig ausbauen.

Die Errichtung der personellen Hegemonie von KPD und dann SED wurde objektiv erheblich durch die umfangreichen Entnazifizierungsmaßnahmen erleichtert. Nach ersten Entlassungsbefehlen örtlicher sowjetischer Offiziere, Entnazifizierungsinitiativen deutscher Antifaschisten, zentralen SMAD-Befehlen und Verordnungen der neuen Länder und Provinzialverwaltungen verloren Zehntausende von NSDAP-Mitgliedern ihre Positionen (von denen später allerdings nicht wenige wieder eingestellt wurden).

Der Aufbau erster neuer Verwaltungen und die Konsolidierung der KPD bedeutete auch das Ende der sogenannten Antifa-Ausschüsse Unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee (an einigen Stellen auch vorher) hatten sich vor allem in den Großstädten sogenannte „Volkskomitees“, „Antifa-Ausschüsse“, lokale Gruppen des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ und ähnliche gebildet. Der genaue Umfang dieser Bewegung ist noch nicht bekannt. Immerhin wurden bislang für den heutigen Bezirk Dresden 68, für Thüringen 80 derartiger Komitees ermittelt. Diese Komitees setzten die Strom-und Wasserversorgung wieder in Gang, organisierten die Lebensmittelversorgung und begannen mit der Entnazifizierung der Behörden. Personell wurden diese Gruppen hauptsächlich von ehemaligen KPD-und SPD-Aktivisten getragen, aber auch viele bürgerliche, antinazistisch eingestellte Fachkräfte arbeiteten mit.

Die KPD-Führung betrachtete diese spontan entstandenen, von ihr nicht kontrollierten Komitees mit erheblichem Mißtrauen und drängte auf ihre Eliminierung. Der Preis dieses Vorgehens war erheblich. Viele aktive kooperationswillige Antifaschisten wurden zumindest zeitweilig demotiviert, wenn nicht gar abgestoßen, und alternative demokratische Strukturen, die teilweise ihren Ursprung im Widerstand hatten, konnten für den Neuaufbau nicht mehr nutzbar gemacht werden.

Insgesamt konnte die KPD-Führung bereits nach wenigen Wochen beträchtliche Fortschritte verbuchen. Die Mitgliederzahl der Partei wuchs rasch (im November waren es bereits 270 000), der Führungsanspruch des remigrierten Zentralkomitees wurde kaum mehr bestritten, und trotz immer wieder auf-brechender ideologischer Kontroversen war die KPD ein diszipliniertes Instrument in den Händen der Führung. Dank der Rückendeckung durch die SMAD hatte sie einen erheblichen organisatorischen Vorsprung gegenüber den anderen Parteien SPD, CDU und LDPD. In den neuen Verwaltungen hielt die KPD die Schlüsselpositionen. Eine schon zitierte DDR-Publikation resümierte das machtpolitische Ergebnis wie folgt: „Im Mittelpunkt des revolutionären Prozesses am Beginn des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus stand die Frage nach dem entscheidenden Einfluß auf die Staatsmacht*. Sie wurde zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten gelöst.“

II. „Junkerland in Bauernhand!“

Bereits in ihrem Juni-Aufruf hatte die KPD-Führung die „Liquidierung des Großgrundbesitzes“ als eine der „unmittelbarsten und dringendsten Aufgaben“ bezeichnet, Anfang August 1945 begann die KPD systematisch, diesen Punkt in die Praxis umzusetzen Rudolf Reutter, Leiter der Landabteilung des ZK, sowie Edwin Hoernle, Präsident der Deutschen Verwaltung für Land-und Forstwirtschaft, erhielten den Auftrag, den Entwurf einer Bodenreformverordnung auszuarbeiten. Am 12. August 1945 lag der erste Entwurf vor, der in den folgenden Wochen noch mehrmals überarbeitet wurde. An den Besprechungen nahm zumindest zeitweise der Politische Berater der SMAD, Wladimir S. Semjonow, teil. Vermutlich auf einer Sitzung am 22. August billigte das ZK-Sekretariat eine Anweisung an die Bezirks-und Kreisleitungen, welche die Grundzüge der Bodenreform enthielt: Der gesamte Großgrundbesitz über 100 Hektar sowie der Boden von Naziaktivisten und Kriegsverbrechern war entschädigungslos zu enteignen und an land-arme Bauern, Landarbeiter und „Umsiedler“ — Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten und dem Sudetenland — zu verteilen. Die neuen Wirtschaften sollten auf guten Böden bis zu fünf Hektar, auf schlechteren bis zu zehn Hektar groß sein. Größere Maschinen und Geräte sowie gütereigene Verarbeitungsbetriebe waren von zu gründenden Ausschüssen der gegenseitigen Bauemhilfe zu übernehmen.

Die Frage, ob diese Konzeption in erster Linie von der KPD-Führung selbst entwickelt wurde oder von sowjetischen Stellen, kann gegenwärtig nicht beantwortet werden. Auf jeden Fall lassen sich im praktischen Vorgehen keine Divergenzen zwischen KPD-Führung und Besatzungsmacht feststellen.

Im Laufe des August entfaltete die KPD eine umfangreiche Agitation für die Bodenreform. Die Kampagne kulminierte am 2. September 1945 in einer Rede des KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck auf einer Versammlung im brandenburgischen Kyritz unter dem Motto „Junkerland in Bauern-hand“. Am 30. August 1945 präsentierte die KPD ihren Bodenreform-Entwurf auf der konstituierenden Sitzung des antifaschistisch-demokratischen Blocks der Provinz Sachsen. Die KPD konnte sich mit ihrer Konzeption dort zunächst nicht durchsetzen. Auch der zentrale Ausschuß des Blocks in Berlin verweigerte seine Zustimmung. Der Gedanke einer Bodenreform war zwar weit verbreitet, aber die von der KPD geforderte entschädigungslose Enteignung nicht nur von Kriegsverbrechern, sondern grundsätzlich von allen Bodenbesitzen! über 100 Hektar traf aufentschiedenen Widerstand. Und gegen die Idee der Zerschlagung der Großbetriebe wurden angesichts der Notlage gravierende ernährungspolitische Gesichtspunkte geltend gemacht.

Am 3. September 1945 nahm das Präsidium der Provinzialverwaltung der Provinz Sachsen den KPD-Entwurf an und erhob ihn zur Verordnung mit Gesetzeskraft. Bis zum 10. September schlossen sich die übrigen Länder an.

Für den Erfolg der KPD spielte die Pression von Seiten der SMAD eine wichtige Rolle. Die Besatzungsmacht griff zwar nicht direkt mit Befehlen in die Auseinandersetzungen ein, aber die sowjetischen Offiziere markierten unzweideutig den Wunsch der Besatzungsmacht. Beispielsweise erklärte der Major Demisow auf der wichtigen zweiten Sitzung des antifaschistisch-demokratischen Blocks in Halle, daß die hier geäußerte Position, die Provinzialverwaltung für nicht zuständig zu erklären und die Frage an den Alliierten Kontrollrat zu verweisen, als ausgesprochenes Mißtrauen gegen die sowjetischen Stellen aufgefaßt werden würde

Daneben war es der KPD aber auch gelungen, die anderen Parteien von der Basis aus unter Druck zu setzen. Die Vorstellung, daß es sich bei Großgrundbesitzern um Träger von Militarismus und Reaktion handele, war weit verbreitet, und die Landverteilung erschien vielen als ein Akt elementarer Gerechtigkeit. Konsequent denunzierte die KPD jeden Widerstand gegen die entschädigungslose Enteignung oder auch nur Forderungen nach Änderung einzelner Bestimmungen als junkerfreundliche Verzögerungs-Manöver. „Die Christlich-Demokratische Union“, heißt es in einem Bericht der Provinzleitung Sachsen der CDU, „konnte es sich unter diesen Umständen nicht leisten, weiter auf ihrem Standpunkt zu beharren, da sonst die Gefahr bestand, jeden politischen Einfluß zu verlieren“ Stimmungsmäßig war die KPD im Aufwind.

Bei der Bodenreform wurden rund 7 000 Betriebe enteignet. Sie umfaßten etwa 35 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der SBZ; in Mecklenburg waren es sogar 54 Prozent. Aus dem auf diese Weise gewonnenen Bodenfonds wurden etwa 200 000 Neubauemstellen geschaffen; 350 000 Kleinbauern, Pächter usw. erhielten Landzulagen. Ein mit 30 Prozent ungeplant hoher Anteil des Bodenfonds wurde nicht individuell verteilt, sondern verblieb in der öffentlichen Hand. Daraus wurden vor allem Volkseigene Güter geschaffen. Die Methoden der Enteignung waren vielerorts rüde. Da Bauern und Landarbeiter unter den Augen der Großgrundbesitzer vielfach zögerten, sich um Boden zu bewerben, wurden Ende September/Anfang Oktober sämtliche enteigneten Grundbesitzer aus ihren Dörfern, später ganz aus dem betreffenden Landkreis ausgewiesen. Oft wurden sie handgreiflich vertrieben, nicht selten auch verhaftet. Allein in Thüringen betraf das nach neueren DDR-Angaben 115 Großagrarier

Die Entscheidung, die enteigneten Güter überwiegend nicht etwa als Kooperativen oder Staatsbetriebe weiterzuführen, sondern aufzuteilen und neuen bäuerlichen Kleinbesitz zu schaffen, war in der KPD sehr umstritten. Noch im Januar 1946 sprachen sich beispielsweise Kursanten der KPD-Parteischule in Schmerwitz massiv für die kollektive Bewirtschaftung aus Auch fast alle Agrarexperten (von denen viele einer Bodenreform prinzipiell positiv gegenüberstanden) lehnten die Aufteilung scharf ab. Zwar hatten sich Kleinbetriebe bei der Viehwirtschaft (abgesehen von Schafen) und arbeitsintensiver Veredelungswirtschaft als überlegen erwiesen; bei unveredelten Erzeugnissen (Getreide, Kartoffeln, Rüben) waren jedoch Großbetriebe eindeutig leistungsfähiger. Unter ökonomischen Gesichtspunkten hätte bei der Festlegung der Betriebsgröße also unbedingt nach Anbauarten unterschieden werden müssen.

Im Herbst 1945 fehlten nahezu alle Voraussetzungen für eine effektive Bewirtschaftung auf klein-bäuerlicher Grundlage. Vielen Neubauern — oft berufsfremde „Umsiedler“ oder wenig ausgebildete Landarbeiter — fehlten die notwendigen Kenntnisse, und außerdem waren die materiellen Voraussetzungen wie Gebäude oder Geräte nicht vorhanden. Es überrascht daher nicht, daß weitaus die meisten Neubauern (in Mecklenburg 90 Prozent) den Gutsbetrieb zunächst mit Unterstützung fast aller Treuhänder, Bürgermeister und örtlichen Agrarexperten in Form einer „Gemeinwirtschaft“ weiterführten. Bauern, Agrarexperten und Kom-munisten an der Basis hatten offensichtlich ähnliche Vorstellungen von dem augenblicklich Notwendigen

SMAD und KPD-, dann SED-Führung lehnten diese Gemeinwirtschaft und alle Vorschläge zur Errichtung von Kooperativen, langfristigen Aufteilung oder ähnliches konzessionslos ab und bestanden auf rascher, faktischer Aufteilung. Bis Ende 1946/Anfang 1947 war der Übergang zur Individualwirtschaft weitgehend durchgesetzt. Hinter diesem rigorosen Kurs stand eine politische Überlegung: Bei der Weiterführung des Gutsbetriebes in Form von Kooperativen konnten Bodenreformgegner und Großgrundbesitzer noch auf Rückkehr spekulieren, die Neubauern selbst blieben vielleicht unsicher, was die Dauerhaftigkeit der neuen Verhältnisse anging. War der Boden hingegen aufgeteilt, war die Bodenreform unumkehrbar. Diesem Kalkül wurden sämtliche agrarökonomischen Argumente geopfert.

Mit der Bodenreform wurde der Großgrundbesitz als sozialökonomischer und politischer Faktor ausgeschaltet, und politisch errang die KPD/SED eine starke Stellung auf dem Land. „Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß wir eine breite politische Basis in den Dörfern erlangt haben“, konnte im Januar 1946 die Bezirksleitung Sachsen einschätzen Und im agrarisch geprägten Mecklenburg zählte die KPD Ende 1945 32 000 Mitglieder; 1933 waren es ganze 2 800 gewesen Insofern war die Bodenreform aus SMAD-bzw. KPD/SED-Sicht ein voller Erfolg. Andererseits schwächte die sofortige Aufteilung die Landwirtschaft der SBZ gerade in einer Notzeit ganz erheblich. Und nur wenige Umstände schlugen für die SED so negativ zu Buche wie gerade die im Vergleich zum Westen schlechte Emährungslage, wobei allerdings neben der Aufteilung auch andere Faktoren — Kriegsschäden, Reparationen u. ä. — eine Rolle spielten. Insofern war die Bodenreform in ihrer konkreten Form ein politischer Bumerang.

Spätestens nach der Dürre des Sommers 1947 waren die meisten Neubauernwirtschaften in eine äußerst ernste Lage geraten. Am 9. September 1947 setzte die SMAD (Befehl Nr. 209) ein umfangreiches Hilfsprogramm ins Werk. Die fehlenden materiellen Voraussetzungen der Aufteilung sollten nun nachträglich geschaffen werden. Bis Ende 1948 waren insgesamt 37 000 Gehöfte für die Neubauern zu errichten, und außerdem sollten die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 85 000 Stück Rindvieh an die Neubauern Brandenburgs und Mecklenburgs abgeben. Vor allem das Bauprogramm wurde zu einem Schwerpunkt der SED-Wirtschaftspolitik. Auch 1949 wurde es noch fortgesetzt. Bis Anfang 1950 hatten auf diese Weise wahrscheinlich etwa die Hälfte aller Neubauern zumindest eigene Wohngebäude Angesichts sehr knapper Ressourcen in der Bauwirtschaft war der Preis dieses Programms erheblich.

Obwohl Anfang 1950 die materielle Ausstattung der meisten Neubauernwirtschaften noch völlig unzureichend war, wurde das bis Ende 1949 noch ausgiebig propagandierte Programm stillschweigend abgebrochen. Auf dem III. SED-Parteitag im Juli 1950 wurde es nicht mehr erwähnt. Offensichtlich bestimmte der anvisierte Aufbau von Kooperativen bereits die Politik. Offiziell war das erst ab 1952 der Fall.

III. „Die Betriebe von Kriegs-und Naziverbrechem in das Eigentum des Volkes!“

Unter dem Diktat der Not gingen unmittelbar nach Kriegsende Teile der Betriebsbelegschaften daran, die Produktion wieder in Gang zu setzen. Die Initiative ging von „Aktivisten der ersten Stunde“ aus, meist ehemalige Mitglieder der Arbeiterparteien oder Gewerkschaften. Die zunächst unkoordinierten örtlichen Aktivitäten bekamen vielerorts rasch eine deutliche politische Komponente: Die Belegschaften wählten Betriebsräte oder Betriebs-ausschüsse, zwangen NS-belastete Eigentümer und Direktoren zum Verlassen der Werke (sofern diese nicht von sich aus bereits gegangen waren) und setzten neue Leitungen ein. In den meisten Fällen, in denen die alten Besitzer oder Manager das Unternehmen weiterführten, setzten die Betriebsräte Betriebsvereinbarungen durch, die ihnen auch bei Planung und Leitung der Produktion weitgehende Befugnisse sicherten

Wenn auch der Umfang dieser Bewegung nicht genau abgeschätzt werden kann, so war der Enteignungsprozeß in der Industrie keinesfalls nur eine Aktion von oben. Sozialistische Gedanken, wenn auch oft diffus und in vielem diametral von stalinistischen Vorstellungen abweichend, waren weitverbreitet.

Die Besatzungsmacht griff in die Eigentumsverhältnisse in der Industrie zunächst nicht ein, legte allerdings am 21. Juli 1945 im Rahmen des umfangreichen Befehls Nr. 9 fest, daß die deutschen Landes-verwaltungen Treuhänder für die von ihren Besitzern verlassenen Betriebe einzusetzen hätten. Diese bestätigten in der Regel die von den Belegschaften getroffenen Entscheidungen. Auf dem Geld-und Kreditsektor verfügte die Besatzungsmacht allerdings bereits am 23. Juli (Befehl Nr. 10) die Sperrung sämtlicher Alt-Konten bei Banken und Sparkassen sowie sämtlicher Guthaben bei den Versicherungen. Auf kommunaler, städtischer und Länder-/Provinzebene waren neue Banken, Sparkassen und Versicherungen zu gründen

Am 30. Oktober 1945 verfügte die SMAD mit dem Befehl Nr. 124 umfangreiche Beschlagnahmen diverser Eigentumskategorien. Formaljuristisch trug diese „Sequestrierung“ vorläufigen Charakter. Als Begründung wurde in der Präambel des Befehls nur angegeben, sie diene dazu, „Raub und Mißbrauch“ dieses Eigentums zu verhindern und es am rationellsten für die Bedürfnisse der Bevölkerung nutzbar zu machen. Der Beschlagnahme verfielen deutsches Staatseigentum, der Besitz nazistischer und militaristischer Organisationen, das Eigentum der ehemaligen Verbündeten des Großdeutschen Reiches (physische und juristische Personen), herrenloses Gut sowie der Besitz von „Amtsleitern der Nationalsozialistischen Partei, deren führenden Mitgliedern und einflußreichen Anhängern“. Die deutschen Selbstverwaltungsorgane hatten den sowjetischen Militärkommandanten bis zum 20. November 1945 entsprechende Listen einzureichen. Die Landesverwaltung Sachsen präzisierte dabei in einer Anweisung: „Darunter fallen Personen, die . . . wichtige Funktionen im Staats-, Wirtschafts-und Verwaltungsapparat ausübten “. Damit waren sämtliche wichtigen Betriebe zu beschlagnahmen.

Besatzungsmacht und KPD/SED-Führung begründeten in den ersten Jahren auch die umfangreichsten Enteignungen durchweg antifaschistisch, keineswegs antikapitalistisch. Da allerdings nach ihrer Definition das Großkapital (und der Großgrundbesitz) die wichtigsten Säulen des Nazismus darstellten, war eine konsequente antifaschistische Politik gleichzeitig in großem Umfang antikapitalistisch. Auch eine Vergangenheit als aktiver Widerständler rettete keinen Großgrundbesitzer oder Fabrikanten vor der Enteignung. Die Frage, was mit den beschlagnahmten Betrieben zu geschehen sei, blieb zunächst offen. Am 14. Februar 1946 schlug der sächsische KPD-Vorsitzende Hermann Matern im Auftrag des Zentralkomitees auf einer Funktionärsversammlung in Dresden vor, eine Volksabstimmung über die Enteignung der Betriebe durchzuführen. Walter Ulbricht teilte auf derl. Reichskonferenz der KPD am 2. und 3. März mit, daß die SMAD gegen eine derartige Abstimmung keine Einwände hätte. Es war naheliegend, daß die KPD Sachsen als Austragungsfeld wählte, war doch dieses Land am meisten industrialisiert und traditionell am „rötesten“.

Die Landesverwaltung Sachsen verabschiedete am 4. April die rechtlichen Grundlagen zur Durchführung von Volksentscheiden, die von der Besatzungsmacht am 23. Mai bestätigt wurden. Am 30. April 1946 billigte eine Kommission in Sachsen einstimmig den Entwurf einer „Verordnung über die Enteignung von Naziverbrechern". Ihr gehörten Vertreter der Landesverwaltung, der frisch gegründeten SED sowie der nichtmarxistischen Parteien LDPD und CDU an. Danach waren Naziverbrecher, aktive Nazis sowie „Kriegsinteressenten“ (nach Definition der SED zählte hierzu jedes größere Unternehmen) zu enteignen Die beschlagnahmten Betriebe wurden in drei Kategorien eingeteilt. Die sogenannte Liste A enthielt diejenigen Werke, die zur Enteignung vorgeschlagen wurden; die Unternehmen der Liste B sollten an ihre Besitzer zurückgegeben werden, und das Schicksal der Betriebe auf der Liste C behielt sich die Besatzungsmacht zunächst selbst vor. Auf diese Liste hatte die Landessequesterkommission auch diejenigen Betriebe setzen lassen, bei denen sich die örtlichen Kommissionen nicht hatten einigen können.

Der Volksentscheid in Sachsen wurde zur ersten Massenkampagne der am 22. April 1946 gegründeten SED — wie es scheint, bei weitem ihre erfolgreichste. In Sachsen riefen auch CDU, LDPD sowie die Kirchen dazu auf, bei dem Volksentscheid mit „Ja“ zu stimmen. Allerdings gelang es der SED nicht, eine zustimmende Erklärung des zentralen Ausschusses der Blockparteien in Berlin herbeizuführen. Am 30. Juni 1946 konnten etwa 3, 7 Millionen sächsische Wahlberechtigte beim Volksentscheid zu der folgenden Frage Stellung nehmen: „Stimmen Sie dem Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs-und Naziverbrechem in das Eigentum des Volkes zu?“ Die Wahlbeteiligung betrug fast 94 Prozent. Sechs Prozent gaben ungültige Stimm-zettel ab, 17 Prozent stimmten mit Nein und 78 Prozent mit Ja -

Mit dem Volksentscheid wurden in Sachsen 1 861 Betriebe formal enteignet; die Landesverwaltung übernahm davon 1 002 Werke, 380 kleinere Betriebe wurden an Private verkauft, und der Rest wurde den Kommunen und Genossenschaften übereignet. Bis Ende August erließen sämtliche Landes-und Provinzialverwaltungen ähnliche Enteignungsgesetze. Die Frage, welche Betriebe konkret zu enteignen waren, sorgte allerdings noch gut zwei Jahre für Unruhe. CDU-und vor allem LDPD-Vertreter in den jeweiligen Kommissionen für Sequestrierung widersetzten sich vielerorts einer extensiven Auslegung des Begriffs „Kriegsinteressent“ und hatten nicht selten Erfolg Auch die betroffenen Belegschaften schalteten sich gelegentlich in die Auseinandersetzungen ein. Der sächsische Wirtschaftsminister Fritz Selbmann berichtete jedenfalls auf einer Tagung am 27. Januar 1947, „daß vor einigen Tagen Streiks stattgefunden haben oder Arbeitsniederlegungen durchgeführt worden sind, weil befürchtet werden mußte, daß eine Anzahl von Betrieben früherer Nazi-oder Kriegsverbrecher diesen wieder zurückgegeben werden sollte.“ Im April 1948 verkündete die SMAD (Befehl Nr. 64) das Ende der Sequestrierung. Nach Einschätzung der Verantwortlichen war der „volkseigene Sektor“ vorerst groß genug, und andauernde Auseinandersetzungen in dieser Frage würden nur Unruhe ins Bürgertum tragen. Im Zeichen des sich rasch verschärfenden Kalten Krieges war dies bündnispolitisch unerwünscht.

Die im Zuge der Verstaatlichungen entstandenen „Volkseigenen Betriebe“ (VEB) lieferten 1947 etwa 37 Prozent der industriellen Bruttoproduktion Weitere 20 Prozent entfielen auf die „Sowjetischen Aktiengesellschaften“ (SAG). Dabei handelte es sich um die größten Betriebe der SBZ (anfangs etwa 200), welche die Besatzungsmacht direkt in sowjetisches Eigentum überführte. Diese Betriebe wurden bis 1954 in Etappen an die SBZ/DDR zurückgegeben. Auf Privatbetriebe entfielen 1947 noch etwa 44 Prozent der industriellen Bruttoproduktion. Der verstaatlichte Sektor hatte also bereits das Übergewicht. Auch die Banken sowie Bahn und Post unterstanden staatlicher Kontrolle.

IV. „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!“

Der wirtschaftliche Wiederaufbau machte in der SBZ zunächst raschere Fortschritte als in den Westzonen. Die Ursachen dieser Anfangserfolge waren vielfältig: Die sowjetische Besatzungsmacht unterstützte, anders als die Westalliierten, von Anbeginn alle Initiativen zur raschen Produktionsaufnahme; die „Aktivisten der ersten Stunde“ konnten jedenfalls teilweise die in weiten Kreisen verbreitete Lethargie überwinden. Trotz Kriegszerstörungen und Demontagen gab es zahlreiche ungenutzte industrielle Kapazitäten (die Kriegs-und vor allem Demontageverluste werden in der Literatur bis heute weit überschätzt), und vor allem befanden sich aus der Kriegszeit zum Teil noch umfangreiche Vorräte in den Werken. Sobald also die wichtigsten Brücken, Kraftwerke und andere notwendige Infrastruktur-einrichtungen repariert waren, konnte die Produktion wieder aufgenommen werden

In dem Maße, in dem die Vorräte abnahmen, schwanden die Voraussetzungen für die Anfangserfolge. Außerdem warfen immer neue Demontage-wellen, die auch zentrale Engpaßbereiche wie das Verkehrswesen in Mitleidenschaft zogen, das Produktionsniveau zurück. Die hohen Reparationen (1947 mußte schätzungsweise rund ein Viertel der materiellen Produktion an die Besatzungsmacht geliefert werden) waren eine harte ökonomische Belastung. Zusammen mit der anhaltenden Ernährungskrise wirkten sie zerstörerisch auf die Arbeitsmotivation. Der „Jahrhundertwinter“ 1946/47 stürzte die SBZ-Wirtschaft schließlich in eine tiefe Krise. 1947 wurde im wesentlichen ein Jahr der Stagnation, die Arbeitsmoral befand sich auf dem Tiefstand.

An der Krise hatten die zahllosen Unzulänglichkeiten der Wirtschaftslenkung einen erheblichen Anteil. Die Besatzungsmacht hatte den Aufbau eines außerordentlich rigiden Bewirtschaftungssystems auf der Basis von Quartalsplänen angeordnet. Theoretisch durften fast alle Waren nur mit behördlicher Lieferanweisung bewegt werden, Empfänger waren an einen bestimmten Produzenten gebunden. Dieses System war außerordentlich schwerfällig und mußte allein schon aus dem Mangel an verläßlichen statistischen Unterlagen und großen personellen Lücken in Behörden und Betrieben scheitern. Verschiedene Instanzen (Besatzungsmacht, Zentralverwaltungen, Länder) erstellten eine große Zahl von Plänen, die jedoch nicht aufeinander abgestimmt waren. Zuteilungen auf dem Papier und Lieferungen in der Praxis waren zudem zwei völlig verschiedene Dinge.

Die Betriebe versorgten sich gezwungenermaßen auf dem Grauen Markt und organisierten umfangreiche Tauschgeschäfte. Auch und gerade VEB und SAG-Betriebe beteiligten sich in großem Umfang an diesen offiziell streng verbotenen Kompensationsgeschäften. Faktisch verfügten die Betriebe innerhalb des ökonomischen Chaos über einen beträchtlichen Spielraum. Dieser Spielraum war auch eine Voraussetzung für den erheblichen Einfluß, den die Belegschaften auf die Planung und Leitung der Produktion ausüben konnten

Bruno Leuschner, Leiter der Abteilung Wirtschaft und Finanzen im Parteivorstand der SED, unterzog im August 1946 das bisherige Planungs-und Bewirtschaftungssystem einer umfassenden Kritik und schlug als Lösung eine systematische Stärkung der SBZ-Zentralinstanzen vor. Im einzelnen forderte er eine zentrale deutsche Planungskommission und eine starke deutsche Wirtschaftsverwaltung, die selbständig planen, lenken und kontrollieren sollten. Die Besatzungsmacht sollte sich auf die übergeordnete Überwachung beschränken. Reparationen und der Bedarf der Besatzungstruppen waren im voraus anzumelden und zusammen mit dem deutschen Bedarf zu planen. In einem großen Wirtschaftsplan sollten Produktions-, Transport-, Verteilungs-, Rohstoff-und andere Pläne koordiniert werden

Angesichts des bisherigen administrativen Chaos gab es gewichtige pragmatische Gründe für eine Straffung der Kompetenzen. Vor allem aber konnte die SED auf diese Weise ihre machtpolitische Position ausbauen. Noch besaßen ungebundene Kräfte und ausgesprochene SED-Gegner starke Stellungen auf lokaler und regionaler Ebene. Nach den Wahlen am 20. Oktober 1946 verfügten CDU und LDPD zusammen in den Landtagen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt über die Mehrheit, in den anderen Landtagen war ihre Position die einer starken Minderheit Durch Stärkung von SED-dominierten Zentralinstanzen über den Ländern konnten derlei „Störfaktoren“ ausgeschaltet werden. Die Besatzungsmacht genehmigte jedoch vorerst eine derartige Stärkung der Zentralinstanzen nicht; die Konzeptionen von SED und SMAD wichen erkennbar voneinander ab. Vermutlich wollte die so-wjetische Führung mögliche gesamtdeutsche Lösungen nicht blockieren. Zumindest wollte sie nicht die jeweils ersten staatspolitischen Schritte auf dem Weg zur Spaltung tun. Die sowjetische Besatzungsmacht hielt daher die staatspolitische Situation ihrer Zone bis zum Frühjahr 1948 in der Schwebe. Nach der wirtschaftlichen Krise im Gefolge des Wintereinbruchs und dem Zusammenschluß der britischen und amerikanischen Zone zur Bizone (ab 1. Januar 1947) gab die SMAD im Januar 1947 eine Reihe von Maßnahmen zur Stabilisierung ihrer Zone bekannt (74 SAG-Betriebe wurden zurückgegeben, die Reparationsbelastung gesenkt und die niedrigste Lebensmittelkarte 6 abgeschafft). Die Sowjetunion begann offensichtlich, ihre hauptsächlich an kurzfristigen Interessen orientierte „Abräum“ -Haltung zu ändern. Außerdem gab sie bei drei Zentralverwaltungen die Ausarbeitung eines Musterstatuts in Auftrag. Dieses Statut sah eine erhebliche Stärkung der Position der Zentralverwaltungen auf Kosten der Länder vor und stieß bei diesen auf massive Kritik.

Am 10. Februar 1947 unterzeichneten die Vertreter von drei wirtschaftlichen Zentralverwaltungen (Brennstoff/Energie, Industrie und Handel/Versorgung) mit Vertretern dreier Länder eine Vereinbarung, welche den Zentralverwaltungen (eng begrenzte) Koordinierungsbefugnisse gegenüber den Ländern einräumte. Diese Zentralverwaltungen waren (ebenso wie die später hinzukommende für Landwirtschaft) SED-dominiert. Der sächsische Wirtschaftsminister Selbmann (KPD/SED) und sein thüringischer Kollege Appell (SPD/SED) weigerten sich jedoch, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Die SED war offensichtlich in dieser Frage gespalten; energische „Provinzfürsten“ bremsten den Zentralisierungskurs.

Erst im April 1947 konnte eine Übereinkunft mit allen Ländern geschlossen werden. Die SMAD genehmigte sie jedoch erst am 4. Juni 1947 mit dem Befehl Nr. 134. Offensichtlich hatte die Sowjetunion die Neugestaltung der Bizone mit der Einrichtung des Frankfurter Wirtschaftsrates abgewartet. Der Befehl ordnete gleichzeitig die Schaffung einer ständigen Kommission an, die aus den Präsidenten von fünf wirtschaftlichen Zentralverwaltungen sowie den Vorsitzenden des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und der Vereinigung der gegenseitigen Bauemhilfe (VdgB) zu bilden war. Für diese Kommission kam bald die Bezeichnung „Deutsche Wirtschaftskommission (DWK)“ auf Der Kommission wurde des weiteren die Bildung einer eigenen Wirtschaftsabteilung mit einem Personalbestand von zunächst 100 Personen zugestanden. Leiter wurde Bruno Leuschner.

Damit erhielt die SBZ zum ersten Mal eine deut-sehe Planungsinstanz. Die faktische Bedeutung dieser Planungsabteilung wie auch der DWK blieb zunächst jedoch gering.

Parallel zu ihren Versuchen, den Staats-und Wirtschaftsaufbau hierarchisch zu ordnen, bemühte sich die SED-Führung, die Leitung der Betriebe nach dem Prinzip strikter Einzelverantwortung zu regeln. Hatte die KPD-Führung anfangs den Aufbau starker Betriebsräte unterstützt, so wurde bereits Anfang April 1946 eine Wende erkennbar. Walter Ulbricht erklärte auf einer Tagung des FDGB-Bundesvorstandes: „Über die Frage der Mitwirkung der Betriebsräte und Gewerkschaften gibt es noch eine ganze Reihe von Unklarheiten. Es gibt Fälle, wo im Betrieb nicht der Direktor bestimmt, sondern wo ein Kollektiv geschaffen wurde unter verschiedenen Bezeichnungen. Ich glaube, daß man diese Methode nicht anwenden kann. Im Betrieb gibt es einen Direktor, der eingesetzt ist von der Landes-verwaltung oder der Stadtverwaltung, der ist verantwortlich für den ganzen Betrieb . . . Bestimmen kann nur einer.“

Nach Vorstellungen der KPD/SED-Führung sollte sich die Mitbestimmung in den Volkseigenen Betrieben in sogenannten Verwaltungsräten oder Verwaltungsausschüssen, in denen die Gewerkschaften vertreten waren, vollziehen. Diese Ausschüsse hatten aber nur beratende Funktionen und führten in der Praxis ein Schattendasein. Auf Betriebsebene versuchte die SED-Führung, ihren Einfluß auf die Betriebsräte zu erhöhen, ohne dabei jedoch noch Fortschritte zu machen. Spätestens 1947 wuchsen auch in der Arbeiterschaft SED-feindliche Stimmungen stark an.

Vom 20. bis zum 24. September 1947 fand in Berlin der II. Parteitag der SED statt. Die Losung des Parteitages „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!“ wurde zur zentralen Losung der SED-Politik. In diplomatischen Wendungen, aber in der Sache eindeutig, forderte Walter Ulbricht die SMAD auf, grünes Licht für die Reorganisation zu geben und die Reparationsbelastung für die Zukunft festzulegen

Die sowjetischen Instanzen schlugen jedoch zunächst einen anderen Weg ein. Am 9. Oktober 1947 veröffentlichte die SMAD ihren Befehl Nr. 234, der ein ganzes Bündel produktionssteigernder Maßnahmen enthielt Unter anderem sollte in Zukunft an die Belegschaften der wichtigsten Betriebe ein warmes Essen ausgeteilt werden; außerdem waren sie bevorzugt mit Schuhen, Be-kleidung und anderen Industriegütern zu versorgen. In den Betrieben der SBZ sollte in großem Umfang der Leistungslohn anstatt der bislang vorherrschenden Stundenlöhne eingeführt werden. Da die Kernpunkte des Befehls Nr. 234 auf dem nur zwei Wochen vorher stattfindenden SED-Parteitag nicht angesprochen wurden, kann vermutet werden, daß die SED-Führung erst kurz vorher von dem Programm Kenntnis erlangt hatte.

Die Privilegierung einzelner Betriebe, die im Widerspruch zu den weitverbreiteten Ideen der „Gleichmacherei“ stand, schuf vielfach erhebliche Verbitterung in der Bevölkerung. Heftige Auseinandersetzungen entstanden vor allem um die Einführung von Leistungslöhnen; die SED konnte den Belegschaften nicht vermitteln, worin der Unterschied zum kapitalistischen Akkord bestand. In der Einführung des „progressiven Leistungslohnes“ sahen die Verantwortlichen einen Ausweg aus dem Dilemma: Der Lohn sollte erheblich schneller als die Mehrleistung steigen

In der Praxis wurden die Normen in der Regel sehr niedrig festgelegt. Gegen den Druck der Belegschaften, die zunächst noch über starke Vertretungen verfügten und mit der Drohung der Entlassung nicht mehr unter Druck gesetzt werden konnten, waren die Betriebsleitungen nicht in der Lage, „anspruchsvolle“ Normsätze durchzusetzen. Außerdem kamen die neuen Betriebs-und Abteilungsleiter zum großen Teil selbst aus der Arbeiterbewegung und waren innerlich wenig geneigt, nun die Rolle des Antreibers zu übernehmen. Progressiver Leistungslohn in Verbindung mit niedriger Norm-Setzung führte dann nach kurzer Zeit zu rasch wachsenden Nominallöhnen. Nach Intervention des zuständigen SMAD-Offiziers, Oberst Morenow, wurde das Experiment der progressiven Leistungslöhne wieder abgebrochen.

V. „Kein besonderer deutscher Weg!“

Am 12. Februar 1948 verfügte die SMAD (Befehl Nr. 32) eine umfassende Stärkung der SBZ-Zentralinstanzen Die DWK erhielt das Recht, im Rahmen ihrer Aufgaben sämtlichen deutschen Organen Anweisungen zu erteilen. Unter dem Vorsitz des bisherigen brandenburgischen Wirtschaftsministers Heinrich Rau (KPD/SED) sollte die DWK eine hierarchisch strukturierte Behörde sein, der die meisten bisherigen Zentralverwaltungen als so-genannte Hauptverwaltungen einzugliedern waren. Nach einigen Umgliederungen und Teilungen unterstanden der DWK Ende März siebzehn Hauptverwaltungen. Am 20. April 1948 teilte die SMAD mit, daß Beschlüsse der DWK verbindlich für die gesamte SBZ seien. Die SBZ besaß nun eine beinahe vollständig von der SED dominierte Zentralinstanz mit diktatorischen Vollmachten. Die DWK wurde binnen kurzer Zeit zum Hebel eines umfassenden Zentralisierungsprozesses. Bereits im April 1948 wurden die wichtigsten VEB der Verfügung der Länder entzogen und in zonal gesteuerten „Vereinigungen Volkeigener Betriebe“, WB (Z), der DWK unterstellt. Die weniger wichtigen Werke wurden als WB (L) den Ländern belassen. Auch die Vereinigungen der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) wurden der Dienstaufsicht der DWK unterstellt (die VdgB verwalteten die bei der Bodenreform enteigneten landwirtschaftlichen Maschinen und stellten sie den Neubauern zur Verfügung). Am 9. Juni 1948 wies die DWK die Länder-regierungen an, acht Hauptabteilungen zu bilden, von denen vier (Wirtschaftsplanung, Materialversorgung, Schutz des Volkseigentums und Kontrolle) direkt der DWK unterstellt wurden. Die Länderverfassungen waren damit faktisch außer Kraft gesetzt.

Am 3. Juli 1948 erklärte das Zentralsekretariat der SED, daß die „klare und eindeutige Stellungnahme für die Sowjetunion heute die einzig mögliche Position für eine sozialistische Partei“ sei und am 16. September erteilte der Parteivorstand der SED allen Theorien von einem „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ eine scharfe Absage Auf wirtschaftlichem Gebiet war die zunehmende Anlehnung an sowjetische Muster bereits kurz vorher durch den Übergang zur langfristigen Wirtschaftsplanung deutlich geworden. Als formaler Rahmen wurde im zweiten Halbjahr 1948 ein sogenannter Halbjahrplan und danach ein Zweijahrplan für die Jahre 1949 und 1950 festgelegt. (Ab Juli 1950 erfolgte mit dem ersten Fünfjahrplan der Anschluß an die Planperiodisierung der UdSSR.) Den Planzielen entsprechend wurden Ressourcen nun vorwiegend in die Volkseigenen und SAG-Betriebe gelenkt, der Privatsektor wurde zunehmend ausgetrocknet. In den meisten Details hatten die Pläne nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung. Nach wie vor fehlte der Überblick, die Planzahlen waren oft irreal und mußten mehrfach geändert werden, und faktische wirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten gab es nur in geringem Maße.

Der Prozeß der Zentralisierung der wirtschaftlichen Kompetenzen bei der DWK wurde 1948 und 1949 planmäßig weitergeführt. Bereits die Währungsreform im Juni 1948 erfolgte auf Grundlage einer umfangreichen DWK-Verordnung. Die Umtausch-sätze wurden je nach Institution gestaffelt. Dabei wurden die staatlichen und die sowjetischen Stellen begünstigt, Private benachteiligt. Die neue Deutsche Notenbank wurde der DWK unterstellt, desgleichen die im November gegründete Deutsche Investitionsbank. Im Juli bzw. Oktober erlangte die DWK die Kontrolle über die anwendungsorientierten Forschungsinstitute, und im November wurde die DWK-kontrollierte staatliche Einzelhandelsorganisation HO gegründet. Die HO betrieb die „Freien Läden“, in denen rationierte Güter frei verkäuflich waren (wenn auch zu sehr hohen Preisen). Der Schwarzmarkt sollte auf diese Weise trocken gelegt werden.

Bis zum Herbst 1948 hatte die DWK damit das Kommando über die wichtigsten Institutionen der SBZ-Wirtschaft erlangt, abgesehen von den SAG-Betrieben und dem sowjetisch organisierten Uranbergbau im Erzgebirge. Auch aufden Außenhandel der SBZ erhielt die DWK schrittweise Einfluß und konnte die ersten Handelsverträge unterzeichnen.

In den Industriebetrieben initiierte die SED 1948 und 1949 nach sowjetischen Vorbildern Wettbewerbsbewegungen zur Stimulierung der niedrigen Arbeitsmoral. Die Organisation dieser Wettbewerbe wurde im Mai 1948 den Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) übertragen, die damit auf Kosten der Betriebsräte sichtbar aufgewertet wurden. Auf der „Bitterfelder Konferenz“ am 26. und 27. November 1948 wurde schließlich die Auflösung der Betriebsräte und ihre völlige Ersetzung durch die BGL verkündet. Die BGL waren in die Beschlußdisziplin des FDGB eingebunden; auch die Belegschaftsvertretungen hatten damit ihren unabhängigen Status verloren. Die Zentralisierung der wirtschaftlichen Kompetenzen engte ohnehin den Spielraum eigenständiger betrieblicher Mitbestimmung ein, denn die Betriebe bekamen zunehmend detaillierte Anweisungen von oben.

Die von der SED-Führung angestrebte Umwandlung der Gewerkschaften von selbständigen Arbeiterorganisationen zu „Transmissionriemen“ der Beschlüsse von Partei-und Staatsführung war allerdings ein langwieriger und widersprüchlicher Prozeß. Dies zeigte sich nicht zuletzt in den Verhandlungen um die neuen Tarifverträge. Die SMAD übertrug im Mai 1948 der DWK die „Federführung“ bei der Aushandlung der neuen Abschlüsse; frei ausgehandelte Verträge waren mit einer straff geplanten Wirtschaft unvereinbar. Die Verhandlungen gestalteten sich jedoch außerordentlich langwierig, da die Gewerkschaftsvertreter es in vielen Fällen ablehnten, die Entwürfe zu unterschreiben. Die angestrebte Anpassung der Tariflöhne an die Planungsschwerpunkte mißlang daher. Im August 1950 verabschiedete die DDR-Regierung schließlich eine umfangreiche Neuregelung der Tariflöhne als einseitige Regierungsverordnung nach „Anhören des Bundesvorstandes des FDGB“. Da nicht zuletzt aufgrund der unkontrollierten Entwicklung der Leistungslöhne die Effektivlöhne erheblich von den Tariflöhnen abwichen, hatten die Tarifabschlüsse in vielen Fällen jedoch nur geringe Bedeutung

Eine der fundamentalen Schwächen der neuen Wirtschaftsordnung bestand in der niedrigen Arbeitsmoral, denn für den einzelnen bestand nur ein geringer Zusammenhang zwischen eigener Leistung und Lebenslage. Durch die Ausbreitung der Leistungslöhne konnte der einzelne zwar sein Geld-einkommen erhöhen, dieses hatte aber angesichts der Warenknappheit nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Außerdem war das klassische kapitalistische Druckmittel der Arbeitslosigkeit entfallen. Die Betriebe hatten wegen der strikten Mengenplanung ein Interesse, soviel Personen wie möglich einzustellen. Höhere Lohnkosten stellten kein Hindernis dar, Geld hatte auch für Betriebe nur eine untergeordnete Funktion. Ein VEB konnte nicht pleite gehen. Hier, und nicht etwa in geglückter Planung, ist die Hauptursache für einen der größten Erfolge der neuen Ordnung zu sehen: der raschen Überwindung der offenen Arbeitslosigkeit Es ist bezeichnend, daß die SED auf das strukturelle Problem der niedrigen Arbeitsanreize, sieht man von den wenig wirksamen Leistungslöhnen ab, nur mit Appellen, Wettbewerben u. ä. zu antworten wußte, für die der Hauer Adolf Hennecke, der am 13. Oktober 1948 seine Norm nach gezielter Vorbereitung mit 387 Prozent erfüllt hatte, das bekannteste Beispiel ist.

Parallel zur Zentralisierung der wirtschaftspolitischen Kompetenzen vollzog sich der Ausbau eines zentralen Überwachungs-und Repressionsapparates. Die Polizei war zunächst in Länderregie aufgebaut worden Koordinierungsgremium war die Konferenz der Länderinnenminister. Nachdem im Juli 1948 der bisherige sächsische Innenminister Kurt Fischer die Leitung der Deutschen Verwaltung des Inneren (DVdl) übernommen hatte, wurde die Kommandogewalt über die Polizei bei dieser Behörde zentralisiert. Die DVdl war eine der wenigen Zentralverwaltungen, die nicht in die DWK einbezogen wurden. Die Hauptabteilung Volkspolizei — ihr unterstanden die traditionellen Polizeifunktionen — leitete zunächst der ehemalige Sozialdemokrat Dr. Erich Zeitz, während der Aufbau der Politischen Polizei von Erich Mielke organisiert wurde. Ab Juli 1948 begann die DVdl mit dem Aufbau paramilitärischer Einheiten, der soge-nannten Kasernierten Volkspolizei. Im November 1948 wurde auch die Grenzpolizei der Verfügung der Länder entzogen und der DVdl unterstellt.

Neben der DVdl baute auch die DWK einen Überwachungsapparat auf. Bereits im Mai 1948 beschloß das DWK-Sekretariat, einen „Ausschuß zur Kontrolle des Volkseigentums“ einzurichten. Der Ausschuß hatte die „administrative Kontrolle“ und politische Überwachung des Volkseigentums auf allen Ebenen zu organisieren. Bei diesem Ausschuß handelt es sich um eine der Vorläuferorganisationen des späteren Ministeriums für Staatssicherheit. Im Mai 1948 wurden unter Anleitung der DWK soge-nannte Kontrollkommissionen aufgebaut. Sie sollten die Einhaltung der Wirtschaftspläne sichern, Schwarzmarkt-und Kompensationsgeschäfte bekämpfen und bürokratische Hindernisse in der Verwaltung bekämpfen. Justizorgane waren zur Auskunft verpflichtet; die Kontrollkommissionen konnten Strafverfolgung beantragen.

Im Bereich der Justiz waren die meisten Richter und Staatsanwälte im Rahmen der Entnazifizierung entlassen worden. Um die Lücken zu schließen, wurden pensionierte Juristen wieder reaktiviert, Rechtsanwälte herangezogen oder das Prinzip des Einzelrichters eingeführt. Dennoch blieben viele Positionen zunächst unbesetzt. In Kurzlehrgängen von schließlich zwölf Monaten wurden sogenannte „Volksrichter“ herangebildet. Diese Volksrichter wurden zum wichtigsten Hebel für die SED, um ihre personelle Position unter den Juristen zu stärken. Eine Schlüsselrolle nahm dabei Hilde Benjamin, die Leiterin der Personalabteilung der Deutschen Verwaltung der Justiz, ein. Am 1. Januar 1950 waren bereits 634 von 1 282 Richtern und Staatsanwälten SED-Mitglieder.

Schon lange vor DDR-Gründung war durch die Arbeit der DWK und der noch unabhängigen Zentralverwaltungen (Inneres, Justiz, Volksbildung), zwischen denen eine enge Zusammenarbeit bestand, im SBZ-Gebiet ein weitverzweigter und hochzentralisierter Behördenapparat entstanden, der einen überbordenden Bürokratismus zur Folge hatte. Die strikte Zentralisierung der Beschlüsse bedeutete lange und langsame Instanzenwege. Da immer weniger Beschlüsse vor Ort gefällt werden konnten, wurden viele Entscheidungen sach-und realitätsfremd. Der harte politische Druck und die oft willkürlichen Verhaftungen seitens sowjetischer oder deutscher Stellen verführten weite Bevölkerungsteile schon aus elementaren eigenen Sicherheitsinteressen zu einem strikten Dienst nach Vorschrift.

Die SED-Führung betrachtete die augenfälligen Schwächen der SBZ-Realität nicht als Folge eigener Fehler, sondern vornehmlich als „Erblast“ der neuen Ordnung. Außerdem wurden die auftretenden Schwierigkeiten als das Ergebnis bewußter Sabotage durch feindliche Elemente erklärt. Zentralisierung, Kontrolle und Repression waren die entsprechenden Antworten. Daß gerade die neue Ordnung massive Probleme selbst erzeugt hatte, wurde von der SED-Führung verdrängt. Längst hatte sie auch die im Juni 1945 formulierte Einsicht preisgegeben, daß es falsch wäre, Deutschland das Sowjet-system aufzuzwingen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945— 1949, Berlin (Ost) 1968. S. 56 ff.

  2. Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat. München 1984. S. 79.

  3. Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland (Anm. 1), S. 5 ff.

  4. Zum Aufbau der Landesregierungen und Zentralverwaltungen siehe die entsprechenden Abschnitte in: Martin Broszat/Hermann Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien und gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949, München 1990.

  5. Autorenkollektiv, Revolutionärer Prozeß und Staatsentstehung, Berlin (Ost) 1976, S. 79.

  6. Vgl. D. Staritz (Anm. 2), S. 96 ff.

  7. Revolutionärer Prozeß (Anm. 5). S. 39.

  8. Joachim Piskol/Christel Nehrig/Paul Trixa, Antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf dem Lande 1945 bis 1949, Berlin (Ost) 1984, S. 32 ff.

  9. Vgl. die Dokumente bei Peter Hermes, Die CDU und die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone im Jahre 1945, Saarbrücken 1963, S. 118ff.

  10. Ebd., S. 119.

  11. Vgl. J. Piskol u. a. (Anm. 8), S. 62.

  12. Vgl. ebd., S. 37f.

  13. Ein knapper Überblick über die ökonomischen Probleme der Neubauern: Wolfgang Zank. Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945— 1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, München 1987, S. 152 ff.

  14. J. Piskol u. a. (Anm. 8). S. 64.

  15. Vgl. D. Staritz (Anm. 2), S. 92.

  16. Die veröffentlichten Zahlenangabcn zur Verwirklichung des Neubauernprogramms sind sehr lückenhaft. Eine Diskussion der Angaben bei W. Zank (Anm. 13), S. 158.

  17. Vgl. D. Staritz (Anm. 2), S. 163 ff.

  18. Text in: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland (Anm. 1). S. 72 ff.

  19. Werner Krause. Die Entstehung des Volkseigentums in der Industrie der DDR, Berlin (Ost) 1958, S. 42.

  20. Vgl. ebd., S. 66 ff.

  21. Siehe dazu den Abschnitt „Wahlen“ in: SBZ-Handbuch (Anm. 4).

  22. Zur Auseinandersetzung in den Sequesterkommissionen siehe: Autorenkollektiv (Ltg. Karl-Heinz Schöneburg). Die Entstehung des Arbeiter-und Bauemstaates der DDR 1945-1949, Berlin (Ost) 1983, insbes. S. 153 ff.

  23. Ebd.. S. 167.

  24. Vgl. W. Krause (Anm. 19), S. 108.

  25. Vgl. dazu W. Zank (Anm. 13), insbcs. Kapitel II und Anhang I.

  26. Siehe dazu ausführlich: Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der SBZ 1945 bis 1948, Frankfurt/M. 1984.

  27. Vgl. Wolfgang Mühlfriedel, Die Wirtschaftsplanungin der Sowjetischen Besatzungszone von den Anfängen bis zur Bildung der Deutschen Wirtschaftskommission, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1985/11. S. 9 ff., insbes. Anm. 42 und 43.

  28. Vgl.den Abschnitt „Wahlen“ in: SBZ-Handbuch (Anm. 4).

  29. Vgl. dazu den Abschnitt „Wirtschaftliche Zentralverwallangen und DWK“ in: SBZ-Handbuch (Anm. 4).

  30. S. Suckut (Anm. 26), S. 409 f.

  31. Protokoll der Verhandlungen des 2. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1947, S. 324.

  32. Text in: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland (Anm. 1), S. 504 ff.

  33. Vgl. Klaus Ewers. Leistungslohn und verdeckter Lohnkampf in der SBZ (1947— 1949), in: Deutschland-Archiv, 13 (1980) 6, S. 612 ff.

  34. Vgl.den Abschnitt zur Deutschen Wirtschaftskommission in: SBZ-Handbuch (Anm. 4).

  35. Vgl. dazu Hermann Weber. Geschichte der DDR, München 1985, S. 175 ff.

  36. Vgl. W. Zank (Anm. 13), S. 124ff.

  37. Vgl. ebd., insbes. Kapitel VI.

  38. Vgl. dazu den Abschnitt zur Deutschen Verwaltung des Inneren und zur Deutschen Verwaltung der Justiz in: SBZ-Handbuch (Anm. 4).

Weitere Inhalte

Wolfgang Zank, Dr. phil., geb. 1952; Universitätslehrer und ZEIT-Korrespondent in Aalborg, Dänemark. Veröffentlichunen u. a.: Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945— 1949, München 1987; zahlreiche Artikel zu sozialökonomischen Problemen Skandinaviens und zu historischen Themen.