I. Einleitung
Im Anschluß an die westliche Forschung rang sich in den letzten Jahren auch die DDR-Geschichtswissenschaft in einem mühevollen und widersprüchlichen Prozeß zu der Erkenntnis durch, daß die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) und im sowjetischen Sektor von Berlin zwischen 1945 und 1949 „alle grundsätzlichen Entscheidungen . . . über die Gestaltung des politischen, ökonomischen und geistig-kulturellen Lebens“ getroffen habe Weit über ihre völkerrechtlichen Befugnisse hinaus ist die SMAD als das zentrale Organ der politischen Neuordnung in der SBZ anzusehen, weil sie diesbezüglich drei entscheidende Funktionen ausübte:
-Rechtsetzung für die Neugestaltung des gesamten wirtschaftlichen, politischen und geistig-kulturellen Lebens,
— Kontrolle der Durchsetzung dieser Normativ-akte,
— Schutz zur Sicherung der gesellschaftlichen Entwicklung Rolf Badstübner hat erst kürzlich darauf hingewiesen, daß die Bedeutung der SMAD im Prozeß der „antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung“ im Hinblick auf die Durchsetzung radikaler administrativer Reformen bisher weitgehend vernachlässigt worden ist Trotz dieses besonderen historischen Stellenwerts der sowjetischen Besatzungsverwaltung, deren Befehle erst 1954 durch die sowjetische Regierung außer Kraft gesetzt worden sind, ist über ihre Organisationsstruktur, ihre Arbeitsweise und insbesondere ihren Beitrag zur Ausprägung des politischen Systems in der SBZ/DDR bisher wenig bekannt. Dafür lassen sich verschiedene Ursachen angeben. Im sowjetischen Einflußbereich waren es zunächst Tabuisierungen und später auch offenkundige politisch-legitimatorische Interessen der DDR-Führung, die eine Untersuchung der außer-deutschen Einflüsse auf die Entwicklung der SBZ/DDR in den Hintergrund rückten. Daneben zeigten sich erhebliche Quellenprobleme, weil die vom sowjetischen Verteidigungsministerium verwalteten Aktenbestände der SMAD nur einigen wenigen einheimischen Armeehistorikern zugänglich waren und der übrigen Forschung weitgehend entzogen blieben.
Durch die Auswertung neuer westlicher Archivmaterialien und aufgrund einer systematischen Sichtung und Aufarbeitung zahlreicher sowjetischer Quellensplitter konnten neue Einblicke insbesondere in die Organisationsstruktur und die Arbeitsweise der SMAD gewonnen werden. Wichtige Ergebnisse sollen in diesem Beitrag zusammengefaßt werden
II. Ziele der sowjetischen Europa-und Deutschland-Politik
Anläßlich des Jubiläums der Oktoberrevolution 1943 skizzierte Stalin die sowjetischen Hauptziele für die Befreiung Europas: -Wiederherstellung der Nationalstaaten, -Selbstbestimmungsrecht für die befreiten Nationen, — Bestrafung der Kriegsschuldigen in allen Ländern, — Schaffung einer europäischen Ordnung, die eine deutsche Aggression völlig ausschließt, — politische, ökonomische und kulturelle Kooperation der europäischen Nationen, um die Befreiung und Wiedergeburt Europas im Rahmen eines Systems der „allgemeinen Sicherheit“ zu vollenden
Unter dem Leitmotiv internationaler Friedenssicherung „sowohl durch Rechts-als auch Machtmittel“ wurden als unmittelbare Ziele der sowjetischen Deutschlandpolitik insbesondere die Forderung nach der militärischen und ökonomischen „Ent-waffnung“, der Zerschlagung des Faschismus in allen Lebensbereichen sowie die Pflicht Deutschlands zur Wiedergutmachung der enormen Kriegsschäden genannt -
Als politisch-ideologische Grundlage für die Neugestaltung Europas diente das Konzept der nationaldemokratischen Revolution und später das Modell der „Volksdemokratie“. Diese ideologische Programmatik war in den Grundzügen bereits auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (Komintern) 1935 entwickelt worden. Sie knüpfte im wesentlichen an den Begriff der „Volksfront“ an und erklärte den Prozeß der friedlichen Transformation der Gesellschaft in eine „Diktatur des Proletariats“.
Die „Demokratie neuen Typs“ wurde 1945 als ein Zustand beschrieben, „in dem die Reste des Feudalismus — der gutsherrliche Großgrundbesitz — beseitigt sind, in dem das System des Privateigentums an den Produktionsmitteln fortbesteht, jedoch die Großunternehmen auf dem Gebiet der Industrie, des Transport-und des Kreditwesens dem Staat gehören und der Machtapparat des Staates nicht mehr der monopolistischen Bourgeoisie, sondern den werktätigen Massen von Stadt und Land dient“
Was sich unter dem Schlagwort der Beseitigung der „Reste des Feudalismus“ verbarg, galt zunächst der nationalen Homogenisierung der Länder Ostmitteleuropas, nachdem sich die durch die starken nationalen Minderheiten hervorgerufenen Konflikte in der Zwischenkriegszeit als ein zentraler Destabilisierungsfaktor in den Staaten dieser Region herausgestellt hatten. Ähnlich verhielt es sich mit der Absicht, die sozialen und politischen Konflikte in den vorwiegend halbagrarischen Ländern durch sozialökonomische und politisch-strukturelle Modernisierung zu entschärfen, deren Umfang und Zielrichtung sich erst allmählich von den ursprünglich streng legalistischen Vorstellungen entfernten und schließlich in das Konzept der „Volksdemokratie“ mündeten.
Um die Kooperation mit den Westmächten nicht zu gefährden, formulierte Stalin seine sozialrevolutionären Ziele allerdings zunächst sehr zurückhaltend. Die kommunistischen Parteien traten 1945 für „Koalitionsregierungen“ im Rahmen der Nationalen Front und für eine weitgehende sozialökonomische Kontinuität ein. Die anfängliche sowjetische Zurückhaltung in der Deutschland-Frage ist daher auch im Zusammenhang mit dieser Politik gegenüber Ostmitteleuropa zu verstehen. Anders formuliert: Die kommunistische Strategie gegenüber Ost-mitteleuropa behinderte zunächst die Mobilität der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland. Da die Sowjetunion von einem allgemeinen Prozeß der „Volksdemokratisierung“ in den vom Faschismus befreiten Ländern ausging, waren andererseits grundsätzliche Interessendivergenzen zwischen den Alliierten, die einer Nachkriegskooperation im Wege standen, unvermeidlich. Zunehmend beeinflußt wurde davon auch die sowjetische Politik in ihrer eigenen Besatzungszone. Sergej Tjulpanow, der von 1945 bis 1949 als Leiter der Informationsverwaltung der SMAD die politischen Ziele der sowjetischen Besatzungsmacht artikulierte, hielt 1948 fest: „Der jetzige Zustand ist eine Übergangsperiode, er ist eine Etappe auf dem großen und schwierigen Wege für ein einheitliches Deutschland.“
Die überkommene ökonomische Basis und das auf Länderebene formell wieder eingeführte System der parlamentarischen Demokratie wurden in der SBZ im Zeitraum von 1945 bis 1949 radikal verändert und qualitativ in die volksdemokratische Ordnung transformiert, wobei grundlegende sozialökonomische Eingriffe bereits 1945/46 stattgefunden hatten Retrospektiv definierte die SED die „erste Phase“ der Volksdemokratie als die „revolutionär-demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern“ unter Führung der Arbeiterklasse. Erst mit dem Hinübergleiten der demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution sei der volks-demokratische Staat zu einer Form der Diktatur des Proletariats geworden, deren grundlegende Aufgabe der Aufbau des Sozialismus gewesen sei Dieser Prozeß der Umgestaltung wurde maßgeblich durch Entscheidungen und Initiativen der SMAD bestimmt.
III. Grundzüge der sowjetischen Besatzungspolitik
1. Organisatorische Struktur der Besatzungsverwaltung
Im Mai 1945 befanden sich insgesamt zweieinhalb Millionen sowjetische Soldaten westlich der Oder und Neiße. Schon in den Stäben der kämpfenden Heeresverbände führte die Armee sowohl Deutschland-als auch einschlägig erfahrene „Sowjetisierungs“ -Spezialisten aus allen Ressorts mit. Wladimir W. Semjonow, führender politischer Berater des Obersten Chefs der SMAD und zuletzt von 1953 bis 1955 Hoher Kommissar der UdSSR in Deutschland, besaß als ehemaliger Berater in Litauen und erfahrener Diplomat in Deutschland gleichzeitig mehrere solche Qualifikationen. Die Besatzungstruppen wurden 1946 auf 700 000 und 1947 abermals auf 300 000 abgebaut, 1948 aber aufgrund der wachsenden Ost-West-Spannungen wieder auf 600 000 Mann aufgestockt.
Nach der Bildung der SMAD am 9. Juni 1945 wurde bis zum Herbst die unter Kriegsbedingungen entstandene Besatzungsverwaltung aus dem Truppenbereich schrittweise herausgelöst. Im ganzen Land bestand ein dichtes Netz von Kommandanturen. Im Sommer 1945 war eine Kommandantur für etwa 35 000 Deutsche zuständig, nach einer 1948 vorgenommenen Reduzierung der Kommandanturen auf insgesamt 151 lebten im Bereich einer Kommandantur statistisch etwa 120 000 Einwohner.
Anfang Juli 1945 entstanden fünf Länder-bzw. Provinzverwaltungen der SMAD in Brandenburg, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die schon am 28. April 1945 gebildete Berliner Stadtkommandantur wurde am 10. Juli 1945 auf der Grundlage der alliierten Abmachungen in eine Sektorenkommandantur umgewandelt. Einen Monat später errichtete der zentrale Kommandanturdienst der SMAD 12 bzw. 14 Bezirkskommandanturen, deren Stellenwert und Kompetenzen in den nach sowjetischen Verwaltungsmustern in der SBZ eingerichteten 18 bzw. 19 Bezirken noch unklar ist. Kreiskommandanturen in den Kreisen und kreisfreien Städten bildeten die mittlere Leitungsund Kontrollstruktur mit unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten auf die deutsche Territorial-verwaltung, das gesamte Wirtschaftspotential und die politische Infrastruktur.
Die genaue Zahl der Mitarbeiter der SMAD ist nicht bekannt, auch hier sind die sowjetischen Angaben widersprüchlich. In der ersten Besatzungsphase bis 1947/48 kann davon ausgegangen werden, daß etwa 30 000 Soldaten bei der SMAD beschäftigt waren, was im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ungefähr der hohen Organisationsdichte der französischen Militärverwaltung entsprach. 1948 sank die Beschäftigtenzahl auf etwa 15 000 Personen. Außer den Truppen und der Besatzungsverwaltung wucherte in der SBZ ein dichtes Netz sowjetischer Fachapparate. Sowjetische Überläufer schätzten damals, daß im Mai/Juni 1945 etwa 70 000 Spezialisten der sowjetischen Volkskommissariate nach Deutschland gekommen waren, um vor allem auf dem wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftli-chen Sektor ihre Interessen geltend zu machen Dieser Arbeitsbereich wurde erst stufenweise in die SMAD integriert und seine autonomen Reste Anfang 1947 aufgelöst.
Die Besatzungsadministration war in vier Segmente gegliedert:
— Demilitarisierung,
— Zivilverwaltung,
— Ökonomie,
— Politik.
Diese waren zeitweilig in über zwanzig Fachverwaltungen/-abteilungen unterteilt. Als weitere Spezial-organisationen, die nur partiell der SMAD unterstellt waren, überwiegend aber durch Moskauer Stellen dirigiert wurden, wirkten der Sicherheitsapparat, die deutsche Filiale des Moskauer Sowjetischen Nachrichtenbüros, die dem breit gefächerten Komplex des damaligen Geheimdienstes unterstellte Verwaltung für Sowjetisches Vermögen in Deutschland und die Sowjetischen Handelsgesellschaften des Moskauer Außenhandelsministeriums. Auf eine effektive Weise war der geheimdienstliche Apparat mit dem sowjetischen Besatzungsapparat und der deutschen Zivilverwaltung verflochten. Die Position des Stellvertreters des Obersten Chefs der SMAD für Fragen der Zivilverwaltung, der für die Anleitung und Kontrolle der deutschen Verwaltung unmittelbar verantwortlich war, wurde bis 1948 von hochrangigen Sicherheitsexperten besetzt: den Generalobersten des sowjetischen Geheimdienstes Serow und Kobulow Die personelle Ausstattung des Sicherheitsapparats im engeren Sinne wurde 1948 auf 8 000 hauptamtliche Mitarbeiter geschätzt.
2. Arbeitsmethoden
Nach sowjetischem Recht hatte die SMAD „die Aufgabe, die Einhaltung der Bedingungen, die sich aus der bedingungslosen Kapitulation für Deutschland ergeben, zu kontrollieren, die Sowjetische Besatzungszone in Deutschland zu verwalten und die Beschlüsse des Kontrollrats zu grundsätzlichen militärischen, politischen, ökonomischen und anderen für ganz Deutschland gemeinsamen Fragen durch-zusetzen“ Völkerrechtlich übte sie, gemeinsam mit den Militärregierungen der drei Westalliierten in ganz Deutschland, und eigenverantwortlich in der SBZ „die oberste Regierungsgewalt . . . einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“ aus, mit dem ausdrücklichen Privileg, diesen „zusätzliche politische, verwaltungsmäßige, wirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Forderungen aufzuerlegen“ Das Kontrollrats-Gesetz Nr. 6 vom 10. November 1945 steckte die Vollmachten so weit ab, daß die Vertreter der Militärregierungen sogar als die rechtmäßigen Verwahrer aller Archive von öffentlichen Dienststellen, Privatuntemehmen und sonstigen deutschen Organisationen anzusehen waren, die unter ihrer Verwaltung bzw. Kontrolle standen. Die rechtsförmlichen Befugnisse der Militärregierungen waren also außerordentlich weitreichend.
Den konstitutiven Rechtsetzungsakt der SMAD bildete der Befehl, der gleichermaßen für ihre eigenen Gliederungen wie für deutsche Instanzen und Zivilpersonen verbindlich war. Dieser „grundlegende Akt der militärischen Führung“ gilt in der sowjetischen Armee als „der formalrechtliche Ausdruck des Willens des Vorgesetzten“ Befehls-verstöße — so zumindest im wirtschaftlichen Bereich — waren gemäß SMAD-Befehl Nr. 160 vom 3. Dezember 1945 im Schnellverfahren als Diversions-und Sabotageakte mit bis zu 15 Jahren Gefängnis, in schweren Fällen mit der Todesstrafe zu ahnden. Diese Strafandrohung verschärfte zusätzlich der Vorbehalt der SMAD, die Verfahren der deutschen Justiz zu entziehen und durch die eigene Militärstrafgerichtsbarkeit nach sowjetischem Strafrecht durchführen zu lassen. Im Gegensatz zur preußischen Tradition des Rahmenbefehls legten überdies die sogenannten Detailbefehle nicht nur das Ziel, sondern ebenso den Modus der Ausführung verbindlich fest. Befehle, schriftliche wie mündliche, konnten alle Instanzen der SMAD erlassen. Allerdings ist schon die Zahl der Befehle des Obersten Chefs der SMAD unbekannt. Aufgrund der Befehlsnummern kann auf mindestens 1 648 zwischen 1945 und 1949 erlassene Befehle geschlossen werden — eine recht fragwürdige Zahl, zumal auch auf der obersten Ebene der SMAD zeitweilig mehrere parallele Befehlsserien bzw. unnumerierte Befehle nachgewiesen sind. Eine Quantifizierung auf Länderebene ist kaum möglich. Bei der Analyse von 647 Befehlen des Obersten Chefs der SMAD aus den Jahren 1945 — 1949 kam der DDR-Histori-ker Wietstruk zu dem Ergebnis, daß 44, 7 Prozent (289) einen wirtschaftspolitischen und weitere 21, 7 Prozent (140) einen land-und forstwirtschaftUchen Inhalt hatten, somit zwei Drittel der Befehle ordnungspolitischen Charakter trugen, nur 70 Befehle (10, 9 Prozent) galten kulturpolitischen Fragen
Außer Befehlen konnte die SMAD ein breites dirigistisches Instrumentarium anwenden: Verfügungen, Befehlsschreiben, Instruktionen, Richtlinien, Erläuterungen, Bestätigungsvermerke. Nicht außer acht bleiben dürfen auch die vielfältigen Formen von Konsultationen und Kontrolle auf allen Organisationsebenen der SMAD. Besonders strenge Maßstäbe wurden an die Arbeit der politischen Parteien und der Massenmedien gelegt, deren Anleitung und Kontrolle der SMAD-Verwaltung für Propaganda oblag, die schon bald in Verwaltung für Information umbenannt wurde. Im Befehl zur Bildung dieser Verwaltung hieß es knapp, daß ihrer Tätigkeit die sowjetischen Erfahrungen zugrunde zu legen seien Dies galt sicherlich generell für die gesamte SMAD, wenngleich ähnlich exakte Quellenbelege fehlen. Auch die „Berichterstattung“ gehörte in Abwandlung des zentralistischen Prinzips der „Einheit von Beschluß und Durchführung“ zu den Kontrollinstrumenten. Allen Organisationsebenen der deutschen Verwaltung wurde durch Befehl Nr. 108 vom 6. April 1946 eine monatliche schriftliche Berichtspflicht auferlegt. Stärker ausdifferenziert war das interne Berichts-und Planungswesen der SMAD.
Von dieser engmaschigen Anleitung und Kontrolle durch die SMAD waren ausnahmslos alle ökonomischen, politischen und kulturellen Bereiche betroffen. Der von der SMAD unabhängige sowjetische geheimdienstliche Apparat sicherte diese Tätigkeit zusätzlich, formell legitimiert durch die Verpflichtung zur Fahndung nach Kriegsverbrechern und früheren Nationalsozialisten sowie durch allgemeine — im sowjetischen Rechtsverständnis auch politische — Sicherheitsaufgaben. Die Intensität der pädagogisch-moralischen Fürsorgepflicht, auf welche sich einige sowjetische Offiziere öffentlich beriefen, veranschaulicht als Beispiel die Tatsache, daß der SMAD-Referent für Gewerkschaftsfragen täglichen Kontakt mit dem Vorsitzenden der Einheitsgewerkschaft FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) pflegte Ebenso häufig suchte den Chef der Verwaltung für Information noch 1949 der Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ auf. Insgesamt gehörte die Informations-und Medienpolitik der SMAD zu den institutionell am stärksten monopolisierten Bereichen ihrer Tätigkeit.
Ein weiteres Spezifikum der sowjetischen militärischen Führungspraxis bildete das Prinzip der persönlichen Verantwortung für die Durchführung von Befehlen. Dieses Rechtsprinzip war bereits durch den Tagesbefehl Nr. 5 des Kriegsrates der 1. Belorussischen Front vom 23. April 1945 festgeschrieben worden, in dem es hieß, daß die durch die Besatzungsmacht eingesetzten Bürgermeister für die „genaue Durchführung aller Befehle und Anordnungen seitens der Bevölkerung persönlich verantwortlich“ seien Dieser Grundsatz wurde später auf alle Ebenen der deutschen Selbstverwaltung übertragen, womit die demokratischen Elemente der Kommunal-und der Länderverfassungen faktisch außer Kraft gesetzt und die deutsche Selbstverwaltung weitgehend zu einer Auftragsverwaltung für die Besatzungsmacht und ihre Hilfsorgane degradiert wurde. Berücksichtigt man ferner, daß alle Gesetze und Verordnungen der Landesverwaltungen und -regierungen bereits im Entwurfstadium und abermals zur Bestätigung den SMAD-Landesverwaltungen zuzustellen waren, dann wird deutlich, daß durch einen solchen Geschäftsgang bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ durchgesetzt und der deutschen Verwaltung aufgepfropft worden war.
Zentralistische Organisationselemente führte die SMAD in einigen Bereichen auch direkt ein, so durch das ihr zustehende Valutamonopol im Außenhandel oder im Bereich Handel und Versorgung, wo die zuständige deutsche Zentralverwaltung (Befehl Nr. 117 vom 27. Oktober 1945) mit Weisungsrecht gegenüber den Landesverwaltungen ausgestattet wurde. Indirekt wirkte dieser zentralistische Dirigismus im wirtschaftlichen Bereich durch die zunächst von der SMAD unmittelbar wahrgenommenen Planungs-und Koordinationsaufgaben, wobei sie sich auf die Zentralverwaltungen als Hilfsorgane stützte und ab 1947 unter Umgehung der föderalen Verwaltungsstruktur auch die SED und den FDGB zur zonalen Vereinheitlichung und Koordinierung der Arbeit der Länder-regierungen instrumentalisierte. Gegen den starken Widerstand der Länderregierungen wurden den Zentralverwaltungen mit der Bildung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) im Juni 1947 Weisungsrechte gegenüber den Selbstverwaltungsorganen eingeräumt. Mit der Reorganisation der DWK im März 1948 und der damit verbundenen Stärkung der SED-Position in diesem Gremium war das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ in der staatlichen Verwaltung bereits voll ausgeprägt und damit faktisch eine Zonen-Regierung entstanden. Nach der Beseitigung der Doppelstruktur aus zentraler Verwaltung und Selbstverwaltung trat die SMAD als Element der Kompensation einer zentralen Gewalt in der letzten Phase der politischen Neuordnung bis zur Ausrufung der DDR in den Hintergrund.
IV. Transformation des politischen Systems
1. Parteiensystem
Der SMAD-Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945 erlaubte die Gründung von Parteien und Organisationen, „die sich die endgültige Ausrottung der Über-reste des Faschismus und die Festigung der Grundlagen der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten . . . zum Ziel setzen“. Sie hatten „für die ganze Zeit des Besatzungsregimes . . . unter der Kontrolle der sowjetischen Militärverwaltung und entsprechend den von ihr gegebenen Instruktionen“ zu arbeiten Die Anleitung und Kontrolle oblag der Politischen Verwaltung der SMAD, die auf der Zentralebene besondere Referenten für jede Partei und die politisch relevanten Massenorganisationen -wie die Gewerkschaften, Kirchen, Frauen-und Jugendorganisationen — unterhielt, sowie den Politischen Abteilungen auf der Landes-und den darunter liegenden Organisationsebenen.
Die intensive Anleitungs-und Kontrolltätigkeit der SMAD-Organe umfaßte die Vorzensur aller Refe-rate genauso wie die Genehmigungspflicht für Versammlungen und die Vervielfältigung von Schriftstücken aller Art. Zusätzlich gesichert wurde sie durch die Pflicht zur Abgabe umfassender monatlicher Berichte durch die Orts-, Kreis-, Landes-und Zonengeschäftsstellen der Parteien und Verbände über die organisatorische und politische Entwicklung, innerparteiliche Stimmung, Versammlungstätigkeit usw. Die politischen Parteien waren auch Beobachtungsgegenstand des dichten Informanten-netzes des Sowjetischen Nachrichtenbüros in der SBZ, das — ein Organ der Politischen Hauptverwaltung der Armee — als ein Mittelding zwischen einer klassischen Presseagentur und einem geheimdienstlichen Nachrichtenapparat wirkte.
Als erste Partei trat die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit ihrem Gründungsaufruf vom 11. Juni 1945 an die Öffentlichkeit. Unterzeichnet war er von sechzehn Parteifunktionären, von denen dreizehn aus der sowjetischen Emigration zurückgekehrt waren. Der Aufruf sprach selbstkritisch die „Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes“ an, die nicht nur die NS-Führung allein verschuldet habe. Mit der Losung von der „Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes“ und der „Vollendung“ der Revolution von 1848 war die ausdrückliche Ablehnung des Sowjetsystems für Deutschland verbunden. Vielmehr trat die KPD für eine „demokratische Republik“ und ein „antifaschistisch-demokratisches Regime“ ein, das dem Volk „alle Rechte und Freiheiten“, einschließlich der „ungehinderten Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums“, garantieren sollte
Der organisatorische Aufbau der KPD war bereits in den letzten Kriegslagen durch die sogenannten Initiativgruppen des ZK der KPD unter der Leitung von Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka eingeleitet worden. Diese drei Vorausabteilungen einer Gruppe von insgesamt etwa 2 500 deutschen Mitarbeitern der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee, die nach 1941 unmittelbar in den politischen Apparat der sowjetischen Armee einbezogen worden waren, standen unter der direkten Anleitung der Politischen Verwaltungen der drei sowjetischen Heeresgruppen in der SBZ Unter der maßgeblichen Beteiligung dieser Kräfte erfolgte eine Niederringung sowohl „linkssektiererischer“ kommunistischer Inlandsgruppen, die in der unmittelbaren Errichtung einer Sowjetmacht in Deutschland einen Ausweg gesucht hatten, wie auch der zunächst zahlreichen spontanen überparteilichen Einheitsausschüsse. Als erste Verbindungsglieder zwischen der Besatzungsmacht und der deutschen Bevölkerung prägten sie auch der Personalpolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit unverkennbar ihren Stempel auf.
Auf der Basis des Gründungsaufrufs setzte eine breite Massenwerbung ein, so daß in dieser kommunistischen „Volkspartei“ schon bald mehr neue Mitglieder als Altkader vertreten waren. Die Widerstandstradition und der enge Kontakt zur Besatzungsmacht stärkten zunächst die Anziehungskraft und Autorität der KPD in der Bevölkerung, allerdings führten schon bald die Reparationslasten, die umfangreichen Demontagen und nicht zuletzt die sowjetische Haltung in der Frage der Kriegsgefangenen zu einer Isolierung von den breiten Schichten. Am 15. Juni 1945 veröffentlichte ein Kreis Berliner SPD-Funktionäre, der sich als „Zentralausschuß“ konstituiert hatte, einen Gründungsaufruf, der weit offensivere sozialpolitische Ziele enthielt als das erste KPD-Programm. Gefordert wurde nicht nur „Demokratie in Staat und Gemeinde, Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft“ auf parlamentarisch-demokratischer Grundlage, sondern auch, „den Kampf um die Neugestaltung auf dem Boden der organisatorischen Einheit der deutschen Arbeiterklasse (zu) führen“. Der Verstaatlichungskatalog berücksichtigte die Banken und Versicherungen, die Bodenschätze und Bergwerke, den Groß-grundbesitz und die Kriegsgewinne Die Einheitsangebote der SPD stießen bei der KPD-Führung auf taube Ohren, Walter Ulbricht hielt diese Forderung für verfrüht.
Als dritte Partei erklärte sich am 26. Juni 1945 die Christlich-Demokratische Union (CDU). Die Initiativgruppe setzte sich aus Vertretern des früheren Zentrums, des protestantisch-konservativen Lagers und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Partei zusammen. Ihr programmatisches Eintreten für christliche, demokratische und soziale Politik, für Demokratie, für den Schutz der Persönlichkeitsund Grundrechte sowie für das Rechtstaatsprinzip stellte das Privateigentum unter das Gebot des All-gemeinwohls und beinhaltete auch die Verstaatlichung der Bodenschätze. Obwohl die ursprüngliche Vorstellung von einer breiten Sammlungsbewegung sozialdemokratischer, christlicher und liberaler Elemente nach dem Vorbild der britischen Labour Party noch vor der Parteigründung an der Skepsis der Liberalen vor dem unklaren Inhalt des christlichen Politik-Verständnisses gescheitert war, hielt die neu gebildete Partei an ihrem Anspruch fest, alle demokratischen Kräfte außerhalb von SPD und KPD zu erfassen, was vor allem die Sowjets irritierte. Deshalb lizenzierten sie die neue Partei erst am 10. Juli, nachdem ihr Parteivorsitzender Andreas Hermes zugesichert hatte, die CDU werde im „Block“ mitarbeiten
Um die durch die CDU heraufbeschworene Gefahr eines geschlossenen bürgerlichen Gegenblocks zu bannen, forcierte die SMAD die Bildung einer weiteren Partei. Anfang juli 1945 entstand in Berlin die Liberal-Demokratische Partei (LDP), die am gleichen Tag wie die CDU ihre Lizenz erhalten hatte. Ihre wichtigsten Programmpunkte waren: Erhaltung des Privateigentums und der freien Wirtschaft; Wahrung des Berufsbeamtentums; neben allgemeinen demokratischen Zielen wurde auch die „restlose Beseitigung des Nationalsozialismus und Militarismus“ gefordert
Alle Parteien distanzierten sich eindeutig von der Gewaltherrschaft der NSDAP. Dieser Grundkonsens trug dazu bei, daß die neu entstandenen Parteien zur engen Kooperation entschlossen waren. Die Initiative hierzu ergriff die KPD, die am 19. Juni die SPD zur Bildung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses aufrief, um durch eine „Aktionseinheit“ auf allen Organisationsebenen die „Voraussetzungen für die politische Einheit des werktätigen Volkes (zu) schaffen“ Einen Monat später wurden auch die beiden „bürgerlichen“ Parteien zur Mitwirkung eingeladen, am 14. Juli wurde von den Vertretern der vier Parteien eine „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ (ab 1949 „Demokratischer Block der Parteien und Massenorganisationen“) gebildet, die in der Folge zum wichtigsten Instrument der Politik der SMAD und der KPD entwickelt wurde. Deren Kernstück bildete ein „gemeinsamer Ausschuß“ aus je fünf Vertretern der beteiligten Parteien, der ihre Politik abstimmen sollte. Vorgesehen waren nur einstimmige Beschlüsse, die aber nicht durch Mehrheits-Abstimmung, sondern durch für alle Parteien bindende Vereinbarungen zu fassen waren. Damit entstand eine unkündbare Koalition, die die Aktionsmöglichkeiten der beteiligten Parteien erheblich einschränkte. Dieses neue Element in der deutschen politischen Kultur schloß jede Koalition ohne oder gar gegen die KPD aus. Es wurde nicht nur als ein zentrales Spitzengremium konstituiert, sondern auf allen politisch-administrativen Ebenen eingerichtet. Mit Hilfe dieses Instruments konnte die Besatzungsmacht die Dominanz der KPD/SED sukzessive ausbauen, ohne daß die Blockparteien diese Gefahr rechtzeitig erkannt hatten. Gleichzeitig wurde mit der Gewinnung bzw. Neutralisierung des Bürgertums und der Mittel-schichten ein altes taktisches Ziel der Kommunisten erreicht: die mittelbare Schwächung der Sozialdemokratie.
War zunächst noch der Anschein eines pluralistischen Parteiensystems gewahrt worden, so trat mit der Fusion der ostzonalen SPD und KPD zur SED im April 1946 eine grundlegende Umstrukturierung des Parteiengefüges in der SBZ ein: Die kommunistischen Kader der neu entstandenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) meldeten schon nach kurzer Zeit einen politischen Führungsanspruch an.
Die Fusion der beiden Arbeiterparteien in der SBZ zur SED vollzog sich in mehreren Stufen. Noch im Sommer 1945 wehrte sich die KPD gegen den von der Berliner SPD-Führung forcierten sofortigen Zusammenschluß. Am 19. Juli wurden allerdings die Kommunisten initiativ, als sie den Plan für einen gemeinsamen Arbeitsausschuß vorlegten, der in die Bildung des Parteienblocks einmündete.
Im Spätsommer 1945 waren in den Kreis-und Bezirksverbänden der SPD die Zweifel an der Bereitschaft der KPD zu ehrlicher Zusammenarbeit gewachsen, nachdem die KPD mit Hilfe der SMAD eigene Parteimitglieder entgegen dem vereinbarten Koalitionsprinzip in einflußreiche Positionen in Verwaltung, Wirtschaft, Bildung usw. gebracht und damit ihr Streben nach politischer Vorherrschaft demonstriert hatte. Offenkundig war auch, daß die SPD ebenso wie die CDU und LDP hinsichtlich der Lizenz-und Papierzuteilungen, der materiellen Ausstattung usw. durch die Besatzungsmacht benachteiligt wurden.
Otto Grotewohl als Vorsitzender des Zentralausschusses der SPD präzisierte im September 1945 sein Einheitskonzept, als er offensive Töne anschlug und ein offenes Kräftemessen zwischen SPD und KPD in freien Wahlen ankündigte. In die Einheitskampagne sollte nunmehr auch die SPD in den Westzonen einbezogen werden. Seine Ausführungen erinnern an die Einheitskonzepte des SPD-Exils, das eine Beitrittsofferte an selbstkritische KPD-Mitglieder unterbreitet hatte und insgesamt von einem politischen Führungsanspruch der SPD ausgegangen war, den auch Kurt Schumacher als Repräsentant der SPD in den Westzonen vertrat. Nach dieser Rede sah sich die KPD im Zugzwang. Plötzlich drängte sie auf eine rasche Vereinigung und rief die sozialdemokratische Basis auf, ihre Führung politisch zu isolieren.
Durch die Initiative Grotewohls wurde auch die SMAD alarmiert, die sich „auf der obersten Führungsebene“ einschaltete Der Parteiführer war in eine schwierige Lage geraten, eingeklemmt zwischen dem einheitsablehnenden Kurs der westzonalen SPD und der Offensive der Kommunisten. Er sprach sich daher im November gegen eine zonen-mäßige Vereinigung aus, um dadurch eine einheitliche Entwicklung im „Reichsmaßstab“ nicht zu gefährden. Doch seine Taktik ging nicht auf: Die SMAD-Zensur verhinderte die Veröffentlichung seiner Ausführungen, die Parteiführung wurde durch die Besatzungsadministration von ihrer Basis abgeschnitten.
Auf einer Konferenz von je 30 kommunistischen und sozialdemokratischen Funktionären am 20. und 21. Dezember 1945 in Berlin offerierte die KPD eine Vereinigung der beiden Parteien in der SBZ von unten nach oben, um ein Signal für ganz Deutschland zu setzen. Die Sozialdemokraten lehnten dieses Ansinnen ab, obwohl sie am allgemeinen Ziel der Einheit weiterhin festhielten. Trotz offener Kritik an der KPD und der SMAD stimmten jedoch die SPD-Vertreter aus ungeklärten Gründen einer von der KPD ausgearbeiteten Resolution zu, die von der kontrollierten Presse mit großem Aufwand verbreitet wurde und in den unteren Gliederungen der SPD Verwirrung auslöste.
Danach gingen die SMAD und die KPD zu einer breit angelegten Offensive über. Noch im Dezember 1945 verstärkte die KPD den Druck von unten, um „die rechten Sozialdemokraten“ zu isolieren. Die SMAD richtete in der Informationsverwaltung eine besondere Arbeitsgruppe ein. Ihr oblag die Auswertung der täglichen Ergebnisse der flächendeckenden Beobachtung der SPD in der SBZ durch die Fachorgane der SMAD die als Basis für die zentrale Koordination der Aktionen zur Durchsetzung der Einheitspartei dienten Diese Methode bezweckte eine weitgehende Isolation des Zentral-ausschusses der SPD von der Basis, die Kontrolle der Landesvorstände und eine Koordination aller Einheitsversammlungen, die ohnehin unter der Kontrolle von örtlichen SMAD-Offizieren standen, sowie die Lenkung der innerparteilichen Information und Kommunikation durch Zensurmaßnahmen. Grotewohls Drohung mit der Selbstauflösung der ostzonalen SPD verpuffte: Die Parteiorganisation wurde nicht von ihrer Führung beherrscht, sondern von den politischen Offizieren der SMAD.
Auch der Oberste Chef der SMAD, Marschall Schukow, hatte Grotewohl Anfang Februar 1946 erneut durch Drohungen und Versprechungen zum Einlenken zu bewegen versucht. Über eine Vor-sprache Grotewohls und Piecks bei Schukow im gleichen Monat wußte Tjulpanow als Teilnehmer zu berichten, daß der Marschall seinen Standpunkt auf die militärisch knappe Formel brachte, daß ein Feind der Sowjetunion sei, wer gegen die Einheitspartei sei Noch in der selben Nacht sei ein Bericht über die Besprechungsergebnisse an Stalin abgegangen, auf dessen persönlichen Befehl die Vereinigungskampagne wohl letztlich zurückzuführen war. Wie ein Brief an Richard Löwenthal in London vom 2. Februar 1946 zeigt, war in der Berliner Sozialdemokratie schon zu diesem Zeitpunkt bekannt geworden, daß die „Russen die Vereinigung in der Zone zum 1. Mai verlangen“
Die Versuche des Zentralausschusses, sich aus der Umklammerung der SMAD und der KPD zu lösen, waren zum Scheitern verurteilt. Durch Zensur, Redeverbote, Verhaftungen von „Einheits-Gegnern“, in unteren Organisationsgliederungen durch Zwangsvereinigungen, die Ortskommandanten vielfach einfachheitshalber befahlen, wurde der hinhaltende Widerstand wirkungslos. Am 11. Februar 1946 sah die Mehrheit der Führung die hoffnungslose Situation ein und kapitulierte vor dem massiven Druck. Am 22. April 1946 beschloß der „Vereinigungsparteitag“ einstimmig die Bildung der SED.
Die bei der Fusion der SPD und KPD angewandten Praktiken der SMAD — die von materiellen Begünstigungen über die Zusicherung von Ministerposten bis zu Repressalien des sowjetischen Geheimdienstes und zu Verhaftungen reichten — wurden gegenüber allen Parteien der SBZ angewandt. Besonders massive direkte Eingriffe erfolgten bei der CDU, deren erste und zweite Parteileitung im Dezember 1945 (Andreas Hermes und Walther Schreiber) bzw. im Dezember 1947 (Jakob Kaiser und Emst Lemmer) kurzerhand für abgesetzt erklärt wurden, weil sie sich gegen die Politik der SMAD gesperrt hatten. In der Regel bevorzugten jedoch die politischen Offiziere der SMAD die präventive geräuschlose Verhandlung hinter den Kulissen. Einen demokratischen Willensbildungsprozeß behinderte in den politischen Parteien aber auch ihre festgefügte Kooperation im Rahmen des „Parteienblocks“ und die schnelle Zentralisierung im politischen und administrativen Bereich.
Zur weiteren institutioneilen Verankerung der fortschreitenden — jedoch keineswegs widerspruchslos hingenommenen — Anpassung der traditionellen Parteien an die volksdemokratischen politischen Strukturen wurden im Frühjahr 1948 von der SMAD zwei neue Parteien initiiert und durch die SED organisiert: die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) sowie die Demokratische Bauernpartei (DBD). Im Sommer 1948 wurden sie — neben dem FDGB — in den Block aufgenommen. Die traditionellen politischen Parteien wurden dadurch im Prozeß ihrer Mediatisierung als Bündnisorganisationen der SED weiter nachhaltig geschwächt.
2. Volksdemokratische Repräsentation
Die entscheidende Voraussetzung zur „Lösung der Machtfrage“ war mit der Bildung der SED geschaffen worden. Die Einheitspartei wandte sich als wichtigster „Transmissionsriemen“ der SMAD bereits Mitte 1947 dem „leninistischen Kurs“ zu und meldete nunmehr offen einen Führungsanspruch in Staat und Gesellschaft an. Im Juni 1948 sprach die SED auch formell die „Anerkennung“ der führenden Rolle der KPdSU aus und beschloß Anfang 1949 auf der 1. Parteikonferenz definitiv ihre Weiterentwicklung zur „Kaderpartei“ Stalinschen Typs. Mit „Prinzipienfestigkeit und Elastizität“, so der Historiker und damalige SMAD-Mitarbeiter Jakow Drabkin, griff die SMAD in den Stalinisierungsprozeß unmittelbar ein
Eine Begleiterscheinung dieser Wandlung war. daß die gesellschaftlichen Verbände schrittweise in Massenorganisationen der SED umgestaltet wurden, in denen Funktionäre der Einheitspartei zentrale Positionen einnahmen. Ebenso dominierte die SED in den im Herbst 1946 gewählten parlamentarischen Gremien. Maßgebliche Kraft war sie sowohl in den Parlamenten als auch in den Allparteienregierungen der Länder/Provinzen, wenngleich sie nur in Mecklenburg, Sachsen und Thüringen durch Anschluß der Abgeordneten der Massenorganisationen an die SED-Fraktionen über die absolute Mehrheit verfügte. Eine traditionelle parlamentarische Arbeit war nicht zuletzt infolge des SMAD-Einflusses ohnehin unmöglich: Sogar an den Fraktionssitzungen nahmen politische Offiziere teil, die hier zwar nur selten das Rederecht in Anspruch nahmen, aber eine Sitzungsauflösung verfügten, sobald ihnen der Gang der freien Meinungs-und Willensbildung mißfiel. Durch Informanten über Parteiinterna umfassend unterrichtet, blockten politische Offiziere oppositionelle Regungen meistens schon ab, bevor sie sich entfalten konnten Alle Parlamentsvorlagen, Gesetze und Verordnungen mußten den SMAD-Stellen schon im Entwurf vorgelegt werden. Infolge der kontinuierlichen Kompetenzaushöhlung durch die SMAD und die Zentralverwaltungen, die Blockausschüsse und verstärkt nach 1947 durch die DWK sanken die Landesregierungen und -Parlamente zu bloßen Akklamationsgremien herab, lange bevor sie 1952 aufgelöst wurden. Gleichzeitig verloren die zwischen Dezember 1946 und Februar 1947 verabschiedeten Länderverfassungen an Bedeutung.
Die sukzessive Übertragung von Entscheidungsund Vollzugskompetenzen an die SED erreichte im Vorfeld der Londoner Außenministerkonferenz der Vier Mächte Ende 1947 mit der Einleitung der „Volkskongreßbewegung für Einheit und gerechten Frieden“ eine erste Grenzmarke. Gegen den massiven Widerstand der CDU und LDP setzte diesmal die SED mit sowjetischer Hilfe die Einbeziehung der Massenorganisationen in den 1948 vom Volkskongreß gebildeten quasiparlamentarischen „Volksrat“ durch, den die SED eindeutig beherrschte. Mit ähnlichen Ausschüssen der Volkskongreßbewegung auf Landes-, Kreis-und Gemeindeebene (ab November 1949 „Nationale Front“) entstanden Parallel-bzw. Konkurrenzorgane zu bestehenden politischen und administrativen Einrichtungen, um die politische Führungsrolle der SED zusätzlich zu festigen. Durch die Volkskongreßwahlen vom 15. 716. Mai 1949, die erstmals mit einer „Einheitsliste“ durchgeführt wurden, kam Ende Mai 1949 der Dritte Deutsche Volkskongreß zustande, aus dem der Zweite Deutsche Volksrat mit 330 Abgeordneten hervorging. Alle waren SBZ-Einwohner, fast 50 Prozent gehörten der SED-Fraktion an, weitere dreizehn Abgeordnete der insgesamt 32 Personen umfassenden Fraktionen der NDPD und DBD waren ehemalige SED-Mitglieder Der Zweite Deutsche Volksrat nahm den Verfassungsentwurf für eine deutsche demokratische Republik an und erklärte sich nach der Proklamation der DDR am 7. Oktober 1949 zur Provisorischen Volkskammer.
Die Volkskongreßbewegung bildete den Höhepunkt der „Umgestaltung“ des politischen Systems.
Sie kompensierte auf der parlamentarischen Ebene die zunehmenden Kompetenzverluste der Länder, schuf durch die Aufnahme der Massenorganisationen und der neu gebildeten Parteien ein Präjudiz für die Reorganisation des Parteien-Blocks sowie der Selbstverwaltungsparlamente auf allen Ebenen und zementierte gleichzeitig mit dem neu eingeführten Institut der „Einheitsliste“ die Führungsrolle der SED
Die unmittelbare Mitwirkung der SMAD an dieser definitiven Ausformung der Staatlichkeit in der SBZ kann nur konstatiert werden, ohne daß sie im Detail nachgezeichnet werden könnte. Tjulpanow, in diese Prozesse unmittelbar involviert, ging in seinen Erinnerungen zu diesem Thema nur auf die Anpassungsschwierigkeiten in der CDU ein, die noch im Juni 1948 durch eine persönliche Intervention des Obersten Chefs der SMAD, Marschall Wassili D. Sokolowski, „abgestellt werden mußten“ Generell würde es noch viel Forscherfleiß erfordern, um exakte Erkenntnisse über die Kausalzusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den politischen Vorgaben der Besatzungsmacht und der Anpassungsgefolgschaft deutscher Organe zu gewinnen. Dies könnte allerdings nur auf der Grundlage von Primärquellen erfolgen, wenngleich einschränkend festgehalten werden muß, daß schon nach dem Dienstreglement der Roten Armee für Befehle politischer Art die mündliche Form verbindlich festgelegt war.
Daß die SED trotz ihrer weitgehenden politischen Instrumentalisierung durch die SMAD in der nationalen Frage zunächst eigene Akzente zu setzen suchte, berührt in keiner Weise die Grundaussage von der eindeutigen Prädominanz der Ordnungskraft der Besatzungsmacht bei der Aufrichtung und Stabilisierung der volksdemokratischen Ordnung in der SBZ/DDR. Nicht zuletzt deshalb droht auch die in den letzten Monaten vor der Wende von einigen SED-Historikern noch unbotmäßigerweise geforderte — heute schon auf eine besondere Art fast prophetische — Rückbesinnung auf eigenständige Elemente in der geschichtlichen und politischen Entwicklung nach dem Krieg zu einem Pietätsakt für „verlorene Illusionen“ zu mißraten. Die dabei vor allem im Vordergrund stehende Tradition der antifaschistischen Ausschüsse und der Betriebsräte war wirkungsgeschichtlich peripher. Ein ähnlich marginaler Stellenwert kommt der sächsischen Volksabstimmung über die Verstaatlichung der Betriebe sogenannter Kriegs-und Naziverbrecher von 1946 zu. Der auf Bajonetten eingeführte „Stalinismus“ prägte die Vorgeschichte der DDR ungleich stärker als deutsche demokratische Traditionen.