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Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Namibia-Konflikt | APuZ 8/1990 | bpb.de

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APuZ 8/1990 Namibia: Wirtschaftspotential und Entwicklungsperspektiven Die SWAPO als Regierungspartei Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Namibia-Konflikt Südafrika nach der Unabhängigkeit Namibias: Durchbruch zu Verhandlungen?

Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Namibia-Konflikt

Gabriele Brenke

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Namibia-Frage wurde in Bonn zunächst den ausgezeichneten wirtschaftlichen Beziehungen zur Republik Südafrika untergeordnet, obwohl die Bundesrepublik aufgrund ihrer historischen Verbindungen und der in Namibia lebenden deutschen Staatsbürger eine besondere Verantwortung für Namibia hat. Mit Aufnahme in die Vereinten Nationen konnte sich die Bundesregierung dem internationalen Disput um die Unabhängigkeit Namibias nicht länger entziehen. Der hohe Stellenwert, den Namibia in den siebziger Jahren in der Bonner Außenpolitik einnahm, fand seinen Niederschlag im Engagement von Außenminister Genscher innerhalb der Namibia-Initiative. Sein Einfluß ließ erst nach, als mit der Reagan-Administration in den USA eine Pretoria wohlgesinnte Regierung an die Macht kam. Der Dialog mit der SWAPO im Hinblick aufeinen friedlichen Wandel im südlichen Afrika und auf künftige Beziehungen zu einem unabhängigen Namibia hatte für ihn Priorität, rechnete er doch damit, daß sie aus Wahlen als entscheidende Kraft hervorgehen werde. Eine Einschätzung, die sich im November 1989 bestätigte. Diese Haltung wurde von den GRÜNEN und einer Mehrheit in FDP und SPD geteilt. Der größte Teil der CDU/CSU favorisierte die von Pretoria geförderte Demokratische Turnhallen-Allianz. Ende 1989 herrscht in Bonn Einigkeit darüber, daß ein unabhängiges Namibia Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe sein soll.

Nahezu unbemerkt von einer breiteren bundesdeutschen Öffentlichkeit vollzog sich die Dekolonisierung Namibias, von 1884— 1915 Deutsch-Südwestafrika. In den ersten Monaten des Jahres 1990 soll das Land die volle Unabhängigkeit erlangen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte seit Frühjahr 1977 als Mitglied der sogenannten Kontaktgruppe der seinerzeitigen fünf westlichen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, USA) einen nicht unerheblichen Anteil daran. Mit der Beteiligung an dieser Initiative zur Lösung des Namibia-Konfliktes zog die Bundesregierung die Konsequenzen aus ihrer von allen Parteien beschworenen Verantwortung für Namibia. Diese Verpflichtung hat ihren Ursprung in der kolonialen Vergangenheit und der Existenz von etwa 20 000 Deutschen bzw. Deutschstämmigen im Südwesten Afrikas. Im folgenden soll untersucht werden, welche Rolle Namibia in den ersten Jahren in der Bonner Außenpolitik spielte. Die Haltung der Bundesregierung in den siebziger und achtziger Jahren wird nur vor dem Hintergrund der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in den Vereinten Nationen verständlich. Ohne Zweifel hat Außenminister Hans-Dietrich Genscher großen Einfluß auf die Formulierung der Namibia-Politik gehabt. Doch müssen die unterschiedlichen Standpunkte in Parlament und Parteien ebenso berücksichtigt werden. Abschließend gilt es zu überprüfen, ob der: Unabhängigkeitsprozeß Konsequenzen für die Bonner Namibia-Politik hatte

I. Das koloniale Erbe

Deutschlands Beziehungen zum südwestlichen Teil Afrikas gehen auf das Jahr 1806 zurück, als deutsche Missionare das Territorium betraten Den Grundstein für die erste Kolonie des Deutschen Reiches legte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, der am 1. Mai 1883 die Bucht von Angra Pe-quena (heute Lüderitzbucht) und ihr Hinterland erwarb. Bismarck zeigte zunächst wenig Interesse an überseeischen Unternehmungen. Die Landerwerbungen an der südwestafrikanischen Küste wurden dennoch am 24. April 1884 unter den Schutz des deutschen Kaisers gestellt und im Dezember 1884 auf die ganze Küste mit Ausnahme von Walvis Bay ausgedehnt. Reichskanzler Caprivi beschränkte das finanzielle Engagement des Staates zunächst aufein Minimum. Die von Reichskommissar Curt von Franfois eingeleitete militärische Eroberung zur Sicherung des Herrschaftsanspruches wurde aus militärischen und finanziellen Überlegungen zunächst abgelehnt. Sein Nachfolger, Theo-dor Leutwein, verfolgte eine Politik des „divide et impera“. Er versuchte jedoch mit wenig Erfolg, die existierenden Herrschaftsstrukturen in das Verwaltungssystem einzubeziehen Damals lebten in den landwirtschaftlich nutzbaren Gebieten etwa 200 000 Menschen: die Ovambos im Norden, die Hereros im Zentrum, im Süden verschiedene Na-mastämme, von den Kolonialisten Hottentotten genannt, und Mischlingsvölker.

Der Ausbau der Besiedlung zur Sicherung des territorialen Herrschaftsanspruches führte zu dauernden Unruhen und Interessenkonflikten zwischen den afrikanischen Stämmen einerseits sowie den Siedlern und der deutschen Verwaltung andererseits Die soziale und politische Diskriminierung der Afrikaner, das Mißtrauen, daß der vertraglich garantierte Schutz nicht eingehalten und die deutsche Expansion nicht haltmachen würde, sowie die Befürchtung, die Reservatsverhandlungen würden einer generellen Enteignung gleichkommen, führten zur Erhebung der Stämme der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren Die Aufstände wurden grausam und blutig niedergeschlagen. Von den 80 000 Herero überlebten lediglich 15 000 Menschen.

Damit waren die Stammeseinheiten als politische und soziale Systeme zerschlagen, aber auch der Widerstand gegen eine Besiedlung mit Europäern gebrochen In Deutschland gab es zwar massive Kritik an der Kolonialverwaltung. Doch bezog sich diese um die Jahrhundertwende auf die Art und Weise des Vorgehens. Eine kämpferische Anfangsphase nahm man als unvermeidbar hin Selbst die Sozialdemokraten, die in den vorangegangenen achtziger und neunziger Jahren immerhin noch jedwede koloniale Expansion abgelehnt hatten, befürworteten jetzt die Kolonialpolitik. Auch sie versprachen sich wirtschaftliche Vorteile Bedeutende Kapitalgruppen wie die Deutsche Kolonial-gesellschaft für Südwestafrika, die Berliner Handels-Gesellschaft. die Metallbank und die Metallurgische Gesellschaft A. G. ließen sich in Südwest-afrika nieder. Die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonie blieb insgesamt jedoch gering. Sie konnte lediglich ihre eigenen Verwaltungskosten decken

Infolge des Ersten Weltkrieges wurde die Kolonialexpansion der Deutschen beendet. Aufgrund der Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich befand sich auch die Südafrikanische Union als Dominion im Kriegszustand mit Deutschland. Südafrikanische Truppen eroberten das Land. Bereits 1915 fanden die Kämpfe in Deutsch-Südwest ein Ende. Im Vertrag von Versailles verzichtete Deutschland aufjegliche Rechte und Ansprüche an die Kolonien. Die Macht in Südwestafrika übernahm die Südafrikanische Union. Ihr Ziel war eine Schwächung des deutschen Einflusses. Der Anteil der Deutschen an der weißen Gesamtbevölkerung, die damals 19 000 Einwohner zählte, sank von 15 000 auf 7 855 Menschen. Ihre wirtschaftliche Dominanz war zu Ende. Die Reichsregierung schien zunächst bereit zu sein, den durch den Friedensvertrag besiegelten Status quo anzuerkennen. Sie verlangte lediglich Zugeständnisse für die Deutschen in Südwestafrika, die die Einbürgerung in die Union zur Folge hatten. Erst mit Gustav Stresemann als Außenminister kam es zu einer Verhärtung in der Kolonialfrage, ein verbindlicher Verzicht auf Südwestafrika wurde nicht mehr ausgesprochen. In dieser Zeit wuchs der Umfang der Kolonialpropaganda und ihr Einfluß auf die öffentliche Meinung Dennoch machte allein schon der Kapitalmangel der deutschen Wirtschaft eine Rückkehr zur Kolonialpolitik unmöglich. Vorbereitungsarbeiten für überseeische Weltmachtpläne während des Dritten Reiches wurden 1943 nicht mehr weiter verfolgt. Die Niederlage Deutschlands 1945 beendete alle Kolonialbestrebungen.

II. Namibia als Teil der deutsch-südafrikanischen Beziehungen

Der Rang, den Südwestafrika in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland einnimmt, muß in der Folgezeit in engem Zusammenhang mit der Südafrika-Politik der Bundesregierung gesehen werden. Die Politik der fünfziger Jahre war durch ausgeglichene und freundschaftliche bilaterale Beziehungen zu Südafrika gekennzeichnet. Ausschlaggebend waren wirtschaftliche Interessen. Die deutsche Afrika-Politik war vornehmlich bestimmt durch die Ost-West-Spannungen und die damit ver-bundene Deutschland-Frage. Bonn wollte den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik durchsetzen und die völkerrechtliche Anerkennung der DDR verhindern. Außerdem galt es, einer kommunistischen Infiltration in den Ländern der Dritten Welt entgegenzuwirken In diesen Punkten war die Unterstützung durch Südafrika gewiß, zumal sich Südafrika „als Vorposten der freien Welt in einem vom Kommunismus bedrohten Afrika“ verstand. Die Bundesrepublik erkannte ihrerseits den politischen Status quo im südlichen Afrika an und somit die Zuständigkeit Südafrikas für Süd-westafrika. Dies spielte in den deutsch-südafrikanischen Beziehungen eine untergeordnete Rolle. 1953 wurde das 1939 geschlossene Konsulat in Windhoek wieder eröffnet und der deutschen Botschaft in Pretoria unterstellt. Das zwischen Bonn und Pretoria im Jahre 1962 abgeschlossene Kulturabkommen schloß in Paragraph acht Südwestafrika ausdrücklich mit ein

Eine vorsichtige Modifizierung dieser Politik kennzeichnete die zweite Dekade bundesdeutscher Außenpolitik. Die zunehmende Dekolonisation afrikanischer Staaten — von 1960 bis 1968 traten 30 unabhängig gewordene Staaten den Vereinten Nationen bei — hatte Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Bonn und der weißen Oligarchie in Südafrika. Hauptziel der schwarzafrikanischen Staaten in der UNO war die Abschaffung von Kolonialismus und Rassismus. Sie versuchten mit dem Druckmittel der Anerkennung der DDR, die deutsche Afrika-Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch konnte sich die Bundesrepublik langfristig dem Streben der Bündnispartner, diese Staaten an den Westen zu binden, nicht entziehen. 1963 schloß sich Bonn der Verurteilung der Apartheidpolitik durch den UN-Sicherheitsrat an und trug dem über Pretoria verhängten Waffenboykott Rechnung

Willy Brandt führte in der Großen Koalition die behutsamen Versuche seines Vorgängrs, Gerhard Schröder, fort, sich den Tendenzen im internationalen System anzupassen. Die Regierung begann, zwar noch vom Koalitionspartner CDU gehemmt, auch hier von der durch die Hallstein-Doktrin dominierten Politik abzurücken.

III. Neue Akzente in der Namibia-Politik nach Aufnahme in die Vereinten Nationen?

Mit der Aufnahme der Bundesrepublik in die UNO wurde die Frage der Haltung Bonns zur Republik Südafrika und zu Namibia aktualisiert, gehörte doch die Namibia-Frage ebenso wie die Südafrika-Problematik in den siebziger Jahren neben der Auseinandersetzung um die portugiesischen Kolonien und der Lösung der Rhodesien-Frage zu den vorrangig behandelten Themen. Die Bundesrepublik bekannte sich zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, zu Menschenrechten und Grundfreiheiten, zum Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zum Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Ge-walt

Damit sprach sich Bonn gegen jegliche Rassendiskriminierung und für eine allmähliche Verwirklichung der Grundsätze der UNO im südlichen Afrika aus. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika blieben davon jedoch unberührt. Leitlinie war die These Brandts, Politik und Handel nicht ohne Not zu koppeln

Diese Haltung spiegelte sich im Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik wider. Es war einerseits durch Rücksichtnahme auf die schwarzafrikanische Mehrheit, andererseits durch die Ablehnung konkreter Maßnahmen gegen die Republik Südafrika und von Gewaltmaßnahmen geprägt. Obwohl die Bundesregierung in der UNO eine Koordinierung der Namibia-Politik mit den EG-Partnern im Rah-men der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) anstrebte, scheiterte ein einheitliches Votum an der zum Teil aufgeschlosseneren Haltung Dänemarks und Irlands gegenüber den Forderungen der Dritten Welt Ein Votum gegen die UN-Mehrheit kam vornehmlich mit Frankreich, Großbritannien und den USA zustande, hatten doch alle drei Staaten eines gemeinsam: wirtschaftliche Inter-essen in Südafrika, die sie in den Vereinten Nationen in die Isolierung führten.

Bonn sah sich darüber hinaus Angriffen wegen der Existenz des deutschen Konsulats in Windhoek und des deutsch-südafrikanischen Kulturabkommens ausgesetzt. So förderte das Auswärtige Amt u. a.deutsche Schulen, die nur weißen Schülern offenstanden. Der Bundesregierung wurde ferner vorgeworfen. sie verstoße gegen das auch von Bonn anerkannte Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 21. Juni 1971 In diesem Urteil wurde die Präsenz Südafrikas in Namibia als rechtswidrig bestätigt und alle Staaten aufgefordert, Handlungen zu unterlassen, die einer Anerkennung der südafrikanischen Verwaltung gleichkamen. Zwar bezeichnete Bonn in der UNO die Präsenz Südafrikas als illegal und sprach sich gegen die Apartheidpolitik aus. Der konsularische Schutz der deutschen Staats-bürger in Namibia sollte jedoch gewahrt bleiben. Finanzielle Unterstützung in Höhe von 25 000 DM wurde 1973 erstmals an den UN-Treuhandfonds für das südliche Afrika und an den Namibia-Fonds gezahlt. Beide Fonds dienen der humanitären Hilfe für Personen, die wegen ihres Widerstandes gegen die Apartheidpolitik Südafrikas verfolgt werden.

Die Entkolonialisierung der portugiesischen Kolonialgebiete und die Machtübernahme durch Moskau-freundliche Parteien, die eine Verschiebung der Machtstrukturen im südlichen Afrika zur Folge hatte, ließen eine Umorientierung der Bonner Haltung zum südlichen Afrika erforderlich erscheinen. Gleichzeitig bewirkte sie, daß Bonn gegenüber der DDR diplomatisch das Nachsehen hatte. Die Konflikte in Rhodesien und Namibia verschärften sich durch zunehmende Aktivitäten der Befreiungsbewegungen. Aber auch in Südafrika manifestierte sich gewaltsamer Widerstand gegen die weiße Min-derheitsherrschaft, auf den Pretoria seinerseits mit Gewalt antwortete. Die Illusion von der langfristigen Stabilität der weißen Minderheitsherrschaft war zerronn 000 DM wurde 1973 erstmals an den UN-Treuhandfonds für das südliche Afrika und an den Namibia-Fonds gezahlt. Beide Fonds dienen der humanitären Hilfe für Personen, die wegen ihres Widerstandes gegen die Apartheidpolitik Südafrikas verfolgt werden.

Die Entkolonialisierung der portugiesischen Kolonialgebiete und die Machtübernahme durch Moskau-freundliche Parteien, die eine Verschiebung der Machtstrukturen im südlichen Afrika zur Folge hatte, ließen eine Umorientierung der Bonner Haltung zum südlichen Afrika erforderlich erscheinen. Gleichzeitig bewirkte sie, daß Bonn gegenüber der DDR diplomatisch das Nachsehen hatte. Die Konflikte in Rhodesien und Namibia verschärften sich durch zunehmende Aktivitäten der Befreiungsbewegungen. Aber auch in Südafrika manifestierte sich gewaltsamer Widerstand gegen die weiße Min-derheitsherrschaft, auf den Pretoria seinerseits mit Gewalt antwortete. Die Illusion von der langfristigen Stabilität der weißen Minderheitsherrschaft war zerronnen 20).

Vor diesem Hintergrund wurde die Bundesrepublik 1977 für zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt. Gemeinsam mit den anderen vier NATO-Staaten — Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA — suchte sie mit der Namibia-Initiative zur Unabhängigkeit der ehemals deutschen Kolonie 21) auch einen Weg aus der Isolierung in den Vereinten Nationen zu finden. Die Namibia-Initiative war Teil einer Strategie für das südliche Afrika, mit der sowohl die Rhodesien-Problematik als auch die sehr viel komplexere Südafrika-Frage angegangen werden sollten. Daß die Wahl zunächst auf die Lösung der Namibia-Frage fiel, war nicht das Ergebnis eines ausgefeilten Plans, vielmehr glaubten die Verantwortlichen, vor allem der amerikanische UN-Botschafter Andrew Young, der Namibia-Konflikt sei am einfachsten zu lösen. Da es sich ohnehin um einen längst überfälligen Dekolonisationsfall handelte, wollte die Bundesregierung aufgrund ihrer Erfahrungen Verhältnissen, wie sie in Mosambik herrschten, vorbeugen. Die Zukunft der deutschsprachigen Minderheit in Namibia, diplomatische Beziehungen zu dem unabhängigen Staat sowie wirtschaftliche Interessen im südlichen Afrika galt es sicherzustellen.

Außenminister Genscher strebte eine friedliche, demokratische und dauerhafte Lösung für Namibia an. Diese konnte nur auf dem Wege einer internationalen Anerkennung auf der Grundlage allgemeiner und freier Wahlen gewährleistet werden. Erfolge der Westmächte sollten durch eine systematische Einbindung der Frontstaaten in die Verhandlungen sichergestellt, den Ergebnissen sollte durch Resolutionen des Sicherheitsrates internationale Gültigkeit verliehen werden.

Daraus erwuchsen unmittelbar Konsequenzen für die deutsche Außenpolitik. Zum einen wurde die von der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) und der UNO als authentische und einzige Vertretung des namibischen Volkes anerkannte Befreiungsbewegung SWAPO neben Südafrika, das die faktische Macht in Namibia ausübte, Hauptver-handlungspartner. Wollte die Bundesregierung an dieser Konfliktregelungsstrategie des Westens teilnehmen, mußte sie zum anderen das Konsulat in Windhoek schließen, das deutsch-südafrikanische Kulturabkommen für den Geltungsbereich Namibia aufkündigen und einer Öffnung der deutschen Schulen auch für nichtweiße Schüler zustimmen — Schritte, die von SPD und FDP gefordert wurden. Genschers Einfluß auf die Namibia-Initiative blieb bis Anfang der achtziger Jahre maßgebend. Gemeinsam mit US-Vizepräsident Walter Mondale forderte er Wahlen auf der Grundlage „one man, one vote“ auch für Südafrika. Dies ließ Pretoria einen Angriff auf seine innere Souveränität befürchten. Von nun an torpedierte es erfolgreich die Verhandlungsstrategie der Fünf. Als im Dezember 1978 deutlich wurde, daß die Kontaktgruppe ihren Worten keine Taten, sprich Südafrika wesentlich bedrohende Sanktionsmaßnahmen, folgen lassen würde 22), hatte Pretoria leichtes Spiel. Genschers Einfluß auf die Initiative sank, als mit der Reagan-Administration eine den Südafrikanern freundlich gesinnte Regierung in den USA an die Macht kam. Der Erfolg, die Unabhängigkeitsverhandlungen eingeleitet zu haben 23), gebührt dem amerikanischen Unterhändler Chester Crocker, der auch nach Niederlagen — von Pretoria verursacht — mit seiner Politik des „konstruktiven Engagements“ die Voraussetzung für die Implementierung von UN-Resolution 435 24) — Kernstück des Unabhängigkeitsplanes — schaffte 25).

IV. Kontinuität und Wandel in der Einstellung zu den Konfliktparteien

Die Namibia-Politik der Bundesrepublik wird nahezu ausnahmslos mit der Person Hans-Dietrich Genschers verbunden. Parlament und Parteien nahmen ihre Aufgabe, die Regierungspolitik zu kontrollieren und zu initiieren, kaum wahr. Faktisch fand eine Kontrolle der Regierung, die intern zwischen Exekutive und Regierungsparteien erfolgt, nur in Ansätzen statt.

Der Außenminister, der sich auch innerparteilich für eine den Befreiungsbewegungen gegenüber aufgeschlossenere Politik als bis dato üblich aussprach, setzte auf den Dialog mit der SWAPO, obwohl die Bundesregierung die SWAPO offiziell nicht als einzige und authentische Vertretung des namibischen Volkes anerkannte. Er rechnete fest damit, die SWAPO werde, da sie den zahlenmäßig weitaus größten Bevölkerungsstamm repräsentiert, die Wahlen gewinnen. Der engen Bindung an die Staaten des Ostblocks maß er geringere Bedeutung bei als dem Einfluß der Frontstaaten und Nigerias.

Zunächst hatte jedoch das Kooperationsangebot an einzelne SWAPO-Politiker, vor allem an Andreas Shipanga, ehemals Informationssekretär der SWAPO. das ohnehin nicht ungetrübte Verhältnis der Befreiungsbewegung zur Bundesrepublik verschlechtert Genscher bemühte sich in der Folgezeit, durch protokollarische Aufwertung und finanzielle Unterstützung Mißtrauen bei der SWAPO — die Bundesrepublik war immerhin einer der wichtigsten Handelspartner Südafrikas — abzubauen. So erhielt sie aus dem Bundeshaushalt humanitäre Hilfe sowie indirekte Unterstützung über den Namibia-Rat der UNO für das Namibia-Institut in Lusaka, über das Entwicklungshilfeprogramm der UNO, den Hohen Flüchtlingskommissar und über den Europäischen Entwicklungsfonds. Dennoch gelang es Genscher langfristig nicht, stabile, auf Vertrauen basierende Beziehungen herzustellen. Der Stillstand der Unabhängigkeitsverhandlungen, die verstärkte Förderung von Projekten über nichtstaatliche Träger in Namibia unter der Regierung Helmut Kohls sowie Meldungen, die Bundesrepublik plane, Atommüll in Namibia zu lagern, sorgten in den achtziger Jahren für eine Abkühlung im Verhältnis zur SWAPO. Diese gipfelte schließlich in Gewaltdrohungen gegen Entwicklungshilfeminister Hans Klein und bundesdeutsche Entwicklungshelfer.

Besonderen Anteil an den abgekühlten Beziehungen zur Bundesrepublik hatte eine Veränderung in der bundesdeutschen Presselandschaft zugunsten der Vielparteienkonferenz und später der Übergangsregierung. Beide konnten auf Unterstützung aus dem Lager der Regierungsfraktionen bauen. Zu ihren Befürwortern gehörten u. a. Franz Josef Strauß, Hans Klein und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans Stercken. Die SWAPO argwöhnte, die Bundesregierung habe in ihrer Namibia-Politik eine Korrektur des bisherigen Kurses in eine hauptsächlich von der CSU angestrebte Richtung vorgenommen. Zwar schienen sich die Beziehungen zu entspannen, als Bundeskanzler Kohl im Bundestag im Februar 1988 Genschers Kurs bestätigte Doch zwei Tage vor seinem Besuch in Bonn auf Einladung Genschers im März 1989 erklärte SWAPO-Chef Sam Nujoma, seine Partei habe nicht gegen die südafrikanische Besetzung Namibias gekämpft, um unter „eine neo-koloniale Herrschaft der Bundesrepublik“ zu geraten Er bezog sich dabei auf Meldungen, die Bundesregierung wolle Entwicklungshilfe an die Beachtung von Menschenrechten koppeln.

Abgesehen von dem Bemühen um die SWAPO wurde Ende der siebziger Jahre der letztlich mißlungene Versuch unternommen, in Windhoek zusätzlich die Namibia National Front (NNF) und die SWAPO-D des Andreas Shipanga als dritte Kraft neben der Demokratischen Turnhallen-Allianz (DTA) und der SWAPO mit bundesdeutscher Hilfe zu etablieren. Insgesamt flossen rund eine Million DM an diese Gruppierungen. Das Parteienbündnis sollte als möglicher Koalitionspartner auf die SWAPO mäßigend einwirken und Bonner Einfluß in dem unabhängigen Staat langfristig gewährleisten. Dabei spielten das an liberalen Grundsätzen orientierte Parteiprogramm, die Distanz zu Südafrika und seinerzeit beliebte Koalitionsüberlegungen für die Zeit nach den Wahlen eine Rolle. Ausschlaggebend für das Scheitern aber dürfte die Unkenntnis der Eigenheiten des namibischen Parteiensystems bei den Verantwortlichen in Bonn gewesen sein, so z. B. innerparteiliche Zwistigkeiten, die Schwierigkeiten der Parteien, zu tragfähigen Kompromissen zu gelangen, aber vor allem die fehlende Basis von NNF und SWAPO-D in der Bevölkerung. Die DTA, von Südafrika favorisiert, wurde von Genscher vier Jahre lang ignoriert. Kontakte beschränkten sich auf ein notwendiges Minimum. Im November 1981 sprach Genscher ohne jedwede protokollarische Ehren mit einer Abordnung der DTA, während er Nujoma im Juni 1982 — einem Staatsbesuch ähnlich — empfing. Ein weiteres Treffen mit der DTA folgte im Mai 1982. Ausschlaggebend für Genschers Abneigung war, daß sich die DTA außer auf Pretoria zwar auf die Mehrheit der Deutschsprachigen, aber nicht der farbigen und schwarzen Bevölkerung stützte. Seine ablehnende Haltung änderte sich auch nach dem Regierungswechsel 1982 in Bonn nicht. Vergeblich forderte die DTA die CDU/CSU auf, ihre Versprechungen aus der Oppositionszeit — Öffnung des Konsulats in Windhoek und Wirtschaftshilfe vor der Unabhängigkeit — einzulösen Einen Erfolg verbuchte die DTA im Juli 1983, als eine Delegation von Bundeskanzler Kohl — und damit erstmals von einem Regierungschef der Kontaktgruppe — empfangen wurde. Die Gespräche mit Kohl, Entwicklungshilfeminister Jürgen Warnke und dem Parlamentarischen Staatssekretär Volkmar Köhler drehten sich um Entwicklungshilfe vor der Unabhängigkeit. Meinungsverschiedenheiten tauchten vor allem beim Gespräch mit dem Bundesaußenminister auf, der sich erst nach Zusage des Bundeskanzlers bereit erklärt hatte, die DTA zu empfangen. Hauptstreitpunkte waren die richtige Beurteilung der SWAPO, die Parteilichkeit der UNO und die Vermittlung von Gesprächen zwischen der Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Namibier (IG) und der SWAPO durch das Auswärtige Amt.

Die Interimsregierung in Windhoek, 1985 von Südafrika eingesetzt — ihr gehörten neben der DTA, die mit Südafrika eng verbundene Nationale Partei, die SWAPO-D, die South West African National Union (SWANU), die Labour Party und die Befreiungsfront von Rehoboth an —, bezeichnete Genscher als „null und nichtig“. Entwicklungshilfeminister Klein hingegen, der als Abgeordneter an den Feierlichkeiten zur Einsetzung dieser Interimsregierung teilgenommen hatte, würdigte ihre Arbeit.

Sie stütze sich zwar auf eine schmale Legitimationsbasis, dennoch repräsentiere sie alle Bevölkerungsgruppen. Klein setzte sich dafür ein, jenen Parteien die gleichen Chancen im Unabhängigkeitsprozeß einzuräumen. Durchsetzen konnte er sich mit seinen Forderungen nicht. Genscher konnte hier auf einen Konsens der Kontaktgruppenstaaten verweisen.

Bei den Deutschsprachigen stieß seine Namibia-Politik auf heftige Kritik, obwohl die Bundesregierung gerade mit dieser Politik ihrer Verantwortung gegenüber den deutschen Staatsbürgern in Namibia Rechnung tragen wollte. Deutschstämmigen Namibiern hatte sie zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, die Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu erwerben, ohne zuvor einen Wohnsitz hier besessen zu haben. Zwar gelang es dem Außenminister nicht, die Deutschen in ihrer Gesamtheit von seiner Linie in der Namibia-Frage zu überzeugen. Durch persönliches Bemühen wurden jedoch gute Kontakte zu den politisch aktiven Deutschen, die sich 1977 in der Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Namibier zusammengefunden hatten, hergestellt. Der offenkundige Mißerfolg der einst favorisierten DTA, die Desillusionierung im Hinblick auf die politische Durchsetzbarkeit der von der Union, vor allem der CSU, geweckten Erwartungen in bezug auf Entwicklungshilfe vor der Unabhängigkeit, hat zusätzlich eine Rolle gespielt. Ausdruck der veränderten Einstellung der IG sowohl zu den Problemen Namibias als auch zur Politik der Bundesregierung waren die mit der IG eng verbundenen „Namibia Nachrichten“, die über die Friedrich-Naumann-Stiftung als liberales Gegenstück zur konservativen, der CSU nahestehenden, deutschsprachigen „Allgemeinen Zeitung“ zum Teil finanziert wird.

Seit der Revidierung des deutsch-südafrikanischen Kulturabkommens für den Bereich Namibia war die Kulturpolitik auf Schulpolitik reduziert worden. Hier gelang es der Bundesregierung nur in Ansätzen, innovativ zu wirken. Die Öffnung der deutschen Schulen für nichtweiße Schüler kam — hauptsächlich wegen des Widerstandes der Deutschsprachigen — nur schwerfällig und erst nachdem die Bundesregierung gedroht hatte, finanzielle Zuwendungen zu sperren, zustande.

V. Standpunkte und Kontroversen in Parlament und Parteien

Jede der größeren namibischen Parteien fand in der Bundesrepublik eine Lobby, von der sie auch finanzielle und materielle Unterstützung erwarten konnte. Während der sozialliberalen Koalition brachte im Parlament die Opposition das größte Interesse der Namibia-Frage entgegen. Es beschränkte sich aber im wesentlichen auf die 8. Wahlperiode. Die Abgeordneten konnten sich dabei auf eine informelle Organisationsbasis stützen.deren Zentrum das Büro der Arbeitsgruppe Außenwirtschaft des Arbeitskreises V war. Dort wurden unabhängig von den Initiativen einzelner Parlamentarier eine Vielzahl von Fragen an die Regierung zur Namibia-Frage zusammengestellt. Bei Themen, die eine größere Publizität versprachen, wie die Frage der Legitimität von Gewaltanwendung durch Befreiungsbewegungen, trug diese Vorgehensweise zur Verbreitung der Diskussion in der Öffentlichkeit bei. Die Unionsfraktion setzte auf Kooperation mit der deutschsprachigen Minderheit und der von ihr unterstützten DTA.

Der Konflikt im südlichen Afrika wurde im Rahmen des Ost-West-Gegensatzes erklärt Bei der SWAPO handelte es sich nach Ansicht der Union um eine marxistisch-leninistische Organisation, die eine Machtübernahme mit allen Mitteln anstrebe. Zu berücksichtigen gilt, daß die CDU es — im Gegensatz zur CSU — schwerer hatte, eine einheitliche Linie zu finden, mußte sie doch einen Interessenausgleich zwischen in Menschenrechtsfragen stark engagierten kirchlichen Gruppen sowie Verfechtern einer konsequenten Sicherheitspolitik wahren -Innerhalb der Fraktion, die in der Namibia-Frage meinungsgebend war, wurden die Unterschiede in den Auffassungen mit der Regierungsübernahme deutlich. Durch den Koalitionswechsel vor die Wahl gestellt, die früher aufs schärfste verurteilte Politik Hans-Dietrich Genschers im Parlament zu unterstützen, vermieden die CDU/CSU-Abgeordneten eine direkte Kritik an der Regierung Nur eine Minderheit um den CDU-Abgeordneten Hornhues unterstützte den Kurs Genschers offen. Lediglich die Förderung von Projekten nichtstaatlicher Träger, ein altes Anliegen der CDU/CSU, wurde durchgesetzt. Diese hatte es jedoch, entgegen öffentlichen Bekundungen, schon unter der sozialliberalen Regierung gegeben. Von 1979— 1989 sind immerhin 50 Millionen DM in den Bereich der allgemeinen und beruflichen Ausbildung nach Namibia geflossen.

Nicht zu unrecht konnte sich der Außenminister daher hier auf einen weitgehenden Konsens der Parteien stützen. Unterschiede bestanden lediglich in der Frage geeigneter Partnerorganisationen. Während Unionsabgeordnete zur Kooperation mit der Interimsregierung bzw. ihr nahestehenden Trägerorganisationen bereit waren, wollten SPD, Teile der FDP und das Auswärtige Amt diese Zusammenarbeit auf ein notwendiges Minimum reduziert sehen. Schließlich kam man überein, daß weder die namibischen Trägerorganisationen mit einer der Konfliktparteien verbunden sein, noch die Projekte bestehende politische und soziale Strukturen zementieren dürften. Damit gestaltete sich die Suche nach geeigneten Partnerorganisationen noch schwieriger. Bundesdeutsche Stiftungen entsandten in den achtziger Jahren daher zunehmend ihre eigenen Fachleute nach Namibia.

Die schärfste Kritik an Genschers Haltung übte die CSU. Sie betrachtete die Sicherheitsrats-Resolution 435 als eine von mehreren Möglichkeiten zur Regelung der Namibia-Frage. Unterstützt wurde sie dabei in den siebziger Jahren von der Afrika-Stiftung, in den achtziger Jahren medienwirksam vom Namibia Information Office. Es vertrat formal die Interessen der wechselnden Regierungen in Windhoek, faktisch die Politik Pretorias.

Zu Zeiten der sozialliberalen Koalition blieb es einer Minderheit in der SPD vorbehalten, Regierungspositionen kritisch zu hinterfragen. Zu ihnen zählten die Abgeordneten Lenelotte Bothmer, Peter Corterier, Brigitte Erler, Uwe Holtz und Wolfgang Roth. Die Sozialdemokraten bekundeten ihre Solidarität mit den Zielen der schwarzafrikanischen Befreiungsbewegung und räumten ihnen Priorität vor denen der Weißen ein. Die Fraktion behandelte die Namibia-Frage nur am Rande. Dafür wurde sie auf den Parteitagen der SPD, wenngleich auch hier der Südafrika-Problematik untergeordnet, thematisiert. Im Vordergrund stand dabei die Solidarität zur SWAPO, wie die SPD Mitglied der Sozialistischen Internationale. Die Finanzierung des SWAPO-Büros in Bonn durch die Friedrich-Ebert-Stiftung bedeutete eine konsequente Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse. In der SPD gab es dennoch — ähnlich wie in der CDU — Strömungen, die sich von der offiziellen Linie der Partei: Ablehnung der internen Parteien, Ablehnung sowohl südafrikanischer als auch amerikanischer Namibia-Politik und Unterstützung der Bemühungen der Vereinten Nationen um eine Unabhängigkeit des Lan-30 des. unterschieden So setzte sich der verstorbene Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Wolfgang Zeidler, offen für die Interimsregierung ein.

In der FDP fand Namibia — abgesehen von Rede-beiträgen Genschers — allenfalls am Rande einer Diskussion über Südafrika Erwähnung Anfang der achtziger Jahre wuchs um den Abgeordneten Rumpf in der Fraktion Widerstand gegen die Namibia-Politik. Er wurde unter der christlich-liberalen Regierung durch Abgeordnete aus der Unionsfraktion verstärkt. Das Eintreten der Abgeordneten Ertl, Feldmann und Rumpf für die Interimsregierung führte zum offenen Zwist vornehmlich mit dem linken Flügel um Baum und Hirsch. Letztere setzten sich im Meinungsstreit durch, wurden sie doch immer wiedervon Genscher — zum Ärger des Koalitionspartners CSU — als Beobachter ins südliche Afrika entsandt. Die Namibia-Politik hatte für Genscher eine nicht zu unterschätzende innenpolitische Dimension. Er konnte sich im Dauerkonflikt mit der CSU um den richtigen Weg in der Namibia-Fragenicht nur durchsetzen, sondern sich auch gleichzeitig als Garant liberaler Positionen in der Bundesrepublik präsentieren.

Genauso deutlich wie die CSU für die Belange der Interimsregierung eintrat, unterstützten DIE GRÜNEN die SWAPO. Sie verkörperte in ihren Augen die authentische Vertretung des namibischen Volkes. Die Implementierung der Resolution 435 betrachteten sie als einzigen Weg zur Lösung der Namibia-Frage. Sie konnten dabei auf die Unterstützung von kirchlichen Gruppen, Jugendorganisationen, der Anti-Apartheid-Bewegung und der Informationsstelle Südliches Afrika zählen. Keine Fraktion setzte sich so kritisch mit der Namibia-Politik der Regierung auseinander wie DIE GRÜNEN Zielscheibe der Kritik war vor allem die Haltung von CDU/CSU. Die Politik des Bundesaußenministers wollten sie eher unterstützt sehen, obgleich sie argwöhnten, der Außenminister werde in der Koalition strittige Punkte des UN-Lösungsweges, sollte es opportun erscheinen, dem Koalitionsfrieden opfern.

VI. Neuere Entwicklungen und Perspektiven

Nach Einleitung des Unabhängigkeitsplans 1989 zeichnete sich die Bonner Haltung einerseits durch strikte Neutralität und andererseits durch finanzielle und materielle Unterstützung aus. Die beiden wichtigsten Kontrahenten um die Macht in Windhoek, SWAPO und DTA, wurden in der Bundes-hauptstadt empfangen. Bonn beteiligte sich mit 60 Millionen DM an den Kosten für die United Nations Transitional Assistance Group (UNTAG), entsandte etwa 50 Wahlbeobachter, stellte 170 Fahrzeuge und etwa 60 Kfz-Mechaniker zur Verfügung. Auf Bitten der UNO wurden 50 Beamte des Bundesgrenzschutzes zur Verstärkung der zivilen Polizeiüberwachungsgruppe nach Namibia entsandt — eine Entscheidung, die zwischen. aber auch innerhalb der Parteien umstritten war Gleichzeitig bereitete Bonn 1989 ein Hilfsprogramm mit einem Gesamtvolumen von 100 Millionen DM vor Grundlage der Zusammenarbeit sollten die Sicherung demokratischer Grundrechte und Minderheitenschutz sein

Der Bundestag bekräftigte im Frühjahr 1989 in seltener Einmütigkeit die besondere Verantwortung, die die Bundesrepublik für Namibia hat. Einigkeit herrschte darüber, daß deutsche Hilfe beim Aufbau des Landes großzügig erfolgen sollte An der Haltung zu SWAPO und DTA änderte sich allerdings nichts. SPD-Politiker, unter ihnen Ingomar Hauchler, Uwe Holtz und Heidemarie Wiczorek-Zeul, riefen im Sommer 1989 zu Wahlkampfspenden für die SWAPO auf, zu einer Zeit, als die Befreiungsbewegung international und innenpoli-tisch an Ansehen eingebüßt hatte. Dazu beigetragen hatten die Verletzung des Waffenstillstands am 1. April 1989, Menschenrechtsverletzungen sowie Unregelmäßigkeiten bei den der UNO gemeldeten Flüchtlingszahlen. Die SPD machte alle Parteien, vor allem aber die Südafrikaner für die Eskalation im April 1989 verantwortlich. Sie hätten „die Gelegenheit zu grausamer, blutiger Abrechnung benutzt“ -Außerdem sei es der UNO nicht gelungen, ihre Überwachungsfunktion zu erfüllen. Die Sozialdemokraten, die die Namibia-Frage auf ihrem Berliner Parteitag im Dezember 1989 ignorierten, warnten vielmehr vor Destabilisierungsversuchen Pretorias. Auch Baum und Hirsch verneinten eine militante Absicht der SWAPO-Kämpfer. Die Menschenrechtsverletzungen der SWAPO wurden von allen Parteien verurteilt. Wiederum waren es DIE GRÜNEN, die in einem Offenen Brief dezidiert auf die Folterungen in den SWAPO-Lagern reagierten. Zwar bescheinigten sie der SWAPO. daß alle Menschenrechtsverletzungen der Südafrikaner als gravierender anzusehen seien, forderten aber zugleich eine Aufklärung aller Vorwürfe und die Bestrafung der Verantwortlichen, namentlich des Sicherheitschefs Hauala CDU und CSU sahen sich durch die Vorwürfe gegen die SWAPO in ihrer Einstellung bestätigt. Sie attackierten die Bundesregierung, zu den Vorfällen nicht offiziell Stellung bezogen zu haben.

Vor diesem Hintergrund waren die Erwartungen in die Zukunft Namibias im Sommer und Herbst 1989 eher pessimistisch. Dieses änderte sich erst nach den Wahlen. Die SWAPO wurde stärkste Partei vor der DTA, verfehlte aber die Zweidrittelmehrheit und damit die Chance, eine Verfassung alleine nach ihren Vorstellungen durchsetzen zu können. Die Verhandlungen in der Verfassunggebenden Versammlung im Dezember 1989 verliefen hoffnungsvoll. Die SWAPO warb durch ihr Verhalten für Vertrauen und nationale Versöhnung. So schlug sie vor, die 1981 von der Kontaktgruppe ausgearbeiteten Verfassungsprinzipien in die zukünftige Verfassung aufzunehmen.

Es sollen an dieser Stelle keine Prognosen über die Zukunft Namibias abgegeben werden, erwiesen sich solche in der Vergangenheit für das südliche Afrika oft als Fehlspekulationen. Dagegen können für die Namibia-Politik einige Entwicklungslinien aufgezeigt werden. Die Bundesregierung wird ihre ohnehin nicht geringen Entwicklungshilfeleistungen erhöhen. Schon jetzt ist die Hanns-Seidel-Stiftung, die 1978 teilweise den Wahlkampf der DTA finanzierte, in der Ausbildung namibischer Führungskräfte in den Bereichen Handel, Industrie und Landwirtschaft tätig. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, seit Anfang 1989 in Namibia, konzentriert sich auf den naturwissenschaftlichen Bereich, während die Friedrich-Naumann-Stiftung ein Menschenrechtszentrum im Norden Namibias fördert. Die Friedrich-Ebert-Stiftung — sie hielt sich bisher an die Devise der SWAPO: keine Hilfe vor der Unabhängigkeit — unterstützte 1989 die Übersetzung von Resolution 435 in die verschiedenen Landessprachen. Hier ist für die neunziger Jahre mit einem verstärkten Engagement z. B. im Gewerkschaftsbereich zu rechnen. Ein 16-Millionen-DM-Projekt der Otto-Benecke-Stiftung widmet sich der Handwerksausbildung. Darüber hinaus existiert eine Reihe von Stipendienprogrammen. Ebenso wird die Deutsche Höhere Privatschule in Namibia mit jährlich über sechs Millionen DM bezuschußt. Bonn hat die Bereitschaft bekundet, sich innerhalb der EG dafür einzusetzen, daß Namibia dem Lome-Abkommen so schnell wie möglich beitritt. Zusätzlich zur Erhöhung der Finanzhilfen wird die Bundesregierung für die Einführung der sozialen Marktwirtschaft werben und private Investitionen in Namibia anregen. Voraussetzung dafür ist die Verabschiedung eines Investitionsschutzabkommens durch die neue Regierung In seiner Grußbotschaft zum Jahreswechsel wirkte Bundeskanzler Kohl Sorgen entgegen, die Veränderungen in der DDR und in Osteuropa könnten zu einer Reduzierung des Bonner Engagements für Namibia führen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Über die offizielle Regierungspolitik hinausgehend existiert ein vielgestaltiges Beziehungsgeflecht, das zu untersuchen wichtig wäre. Bereiche wie die wirtschaftlichen Beziehungen, die Rolle der Kirchen und gesellschaftlicher Organisationen werden nicht behandelt.

  2. Vgl. Israel Goldblatt, History of South West Africa — front the Beginning of the Nineteenth Century, Cape Town 1971.

  3. Zur Kolonialgeschichte Helmut Bley, Der Kampf um die koloniale Sozialordnung in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914, Hamburg 1968.

  4. Vgl. ebd., S. 176 f.

  5. Vgl. ebd., S. 185-208.

  6. Zu den Auswirkungen im einzelnen Henning Melber. Das doppelte Vermächtnis der Geschichte: Nationwerdung. Kolonialisierungsprozeß und deutsche Fremdherrschaft in Namibia (ca. 1800 bis 1914), in: Universität Bremen (Hrsg.), Thema: Namibia: Die Aktualität des kolonialen Verhältnisses. Beiträge aus dem Projekt „Politische Landeskunde Namibias“, Bremen 1982, S. 104-114.

  7. Vgl. H. Bley (Anm. 3), S. 315f.

  8. Vgl. Manfred Paeffgen. Das Bild Schwarzafrikas in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik 1949— 1972, München 1976, S. 25.

  9. Vgl. Oskar Hintrager, Südwestafrika in der deutschen Zeit, München 1955, S. 173.

  10. Vgl. Reinhard Rode. Die Südafrikapolitik der Bundesrepublik Deutschland 1968— 1972, München 1975, S. 17-19.

  11. Vgl. ebd., S. 21-24.

  12. Henning von Lowis of Menar. Die deutschen Interessen im südlichen Afrika, in: Hans-Petcr Schwarz (Hrsg.). Handbuch der deutschen Außenpolitik, München 1975, S. 332.

  13. Vgl. Bundesgesetzblatt, Jg. 1964, Teil II, S. 16.

  14. Vgl. R. Rode (Anm. 10), S. 87f.

  15. Südwestafrika wurde seit 1968 offiziell als Namibia bezeichnet.

  16. Auswärtiges Amt, Leitlinien der Afrika-Politik der Bundesregierung, in: Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung (Bulletin), Nr. 100, 29. August 1973, S. 1003.

  17. Vgl. Willy Brandt, Leitlinien der deutschen Afrika-Politik, in: Bulletin Nr. 63, 17. Mai 1968, S. 535.

  18. Dieses galt teilweise auch für die Niederlande und Belgien, in einigen Fällen auch für Italien. Vgl. Beate Lindemann, EG-Staaten und Vereinte Nationen. Die politische Zusammenarbeit der Neun in den UN-Hauptorganen, München 1978, S. 161 f.

  19. International Court of Justice (Hrsg.), Reports of Judge-ments, Advisory Opinion of 21 June 1971, o. O. 1971.

  20. Vgl. W. Kühne(Anm. 22), S. 113; Henning Melber, Die Dekolonisation Namibias, in: Jahrbuch Dritte Welt 1990 S. 203-223.

  21. Dazu Helmut Bley, Die Bundesrepublik, der Westen und die internationale Lage um Namibia, in: ders. /R. Tetzlaff (Anm. 20), S. 162 f.

  22. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode 1987, Stenographische Berichte, 58. Sitzung, 4. Februar 1988, S. 3970.

  23. Zitiert nach Namibia-Information Office (Hrsg.), Namibia-Pressedienst, Nr. 102, 31. März 1989, S. 3.

  24. Zur Namibia-Konzeption der CSU Henning von Löwis of Menar, Namibia im Ost-West-Konflikt, Köln 1983, S. 143-148.

  25. Vgl. Werner Marx, Die Politik der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion gegenüber dem südlichen Afrika. Positionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in: Pressedienst der CDU/CSU, 27. Oktober 1977.

  26. Vgl. Namibia Information Office (Hrsg.), Wandel nach der Wende. Dokumentation Nr. 25, Januar 1984, S. 1.

  27. Hierzu ausführlich die Studie der Verfasserin, Die Bundesrepublik Deutschland und der Namibia-Konflikt. München 1989. S. 171-176.

  28. Vgl. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), SPD-Parteitag Berlin 1979. Beschlüsse zur Außen-. Deutschland-, Friedensund Sicherheitspolitik. Bonn 1979, S. 55.

  29. Vgl. Werner Stiers, Perzeptionen der Entwicklung im südlichen Afrika in der Bundesrepublik Deutschland 1960-1979, Frankfurt-Bern 1983, S. 210-217.

  30. Als Beispiel sei hier die Große Anfrage vom 26. Juni 1986 genannt. Deutscher Bundestag. Drucksache 10/3568, 26. Juni 1985. Die Bundesregierung benötigte zehn Monate, um sie zu beantworten. Deutscher Bundestag. Drucksache 10/5312, 14. April 1986.

  31. Beteiligung des Bundesgrenzschutzes an der UN-Friedensmission in Namibia, in: Bulletin Nr. 86. 6. September 1989, S. 755. Zur Diskussion über die Beteiligung an UN-Friedenstruppen Peter Bardehle, Bundesdeutsche Blau-helme? Chancen und Grenzen des UN-Peacekeeping, in: Außenpolitik, 40 (1989) IV, S. 382-394.

  32. Zur Diskussion im Parlament Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 11. Wahlperiode 1987, Stenographische Berichte, 159. Sitzung, 15. September 1989, S. 12067 bis 12081.

  33. Zeitweise war auch von 130 Millionen DM jährlich die Rede, in: FAZ, 21. August 1989.

  34. Vgl. Die Welt, 24. Februar 1989.

  35. Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vom 15. März 1989 wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Lediglich die GRÜNEN enthielten sich der Stimme. Deutscher Bundestag. Drucksache 11/4205. 15. März 1989; Deutscher Bundestag. Drucksache 11/4233, 16. März 1989. sowie Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode 1987. Stenographische! Bericht, 159. Sitzung, 16. März 1989, S. 9935— 9941.

  36. Günter Verheugen, Stellungnahme, in: Presseservice der SPD Nr. 267, 10. April 1989.

  37. Vgl. DIE GRÜNEN im Bundestag, Pressemitteilung Nr. 662/89, 18. August 1989. Zur Diskussion in der Solidaritätsbewegung über die Menschenrechtsverletzungen der SWAPO Bernward Causemann, Aufarbeitung ist notwendig, in: epd-Entwicklungspolitik, (1989) 22/23, S. 19f.

  38. Vgl. Heribert Weiland, Namibia auf dem Weg zur Unabhängigkeit, in: Europa-Archiv, 44 (1989) 23, S. 711— 718, sowie Ulrike Schumacher/Kyra Naudascher, Die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung in Namibia vom 7. bis 11. November 1989. Veröffentlichung des Instituts für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hrsg. von Werner Kaltefleiter, Kiel 1989.

  39. Vgl. Helmut Schäfer, Interview, in: Namibia Nachrichten, 5. /6. November 1989.

  40. Vgl. Namibia Nachrichten, 17. /18. Dezember 1989.

Weitere Inhalte

/Gabriele Brenke, Dr. phil., geb. 1953; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Politische Wissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Veröffentlichung: Die Bundesrepublik Deutschland und der Namibia-Konflikt, München 1989.