I. „Politischer Skandal“, „Verwaltungsskandal“ und „Korruption“
Auf den ersten Blick bestätigt die verstärkte Wahrnehmung von Verwaltungsskandalen die jüngsten politikwissenschaftlichen Analysen zu Skandal und Korruption daß nämlich für die achtziger Jahre eine Zunahme an Skandalen zu verzeichnen ist; sie zeigt zugleich eine Zunahme an öffentlichen, also zum Skandal gewordenen Korruptionsfällen. Überhaupt verweist ja die derzeitige Häufung der Publikationen zum Thema selbst darauf, daß es wohl einen aktuellen Druck zur Auseinandersetzung mit Skandalen gibt.
Die meisten jüngeren sozialwissenschaftlichen Beiträge zum Thema „Skandal“ beginnen mit der Feststellung, daß es in der Bundesrepublik keine Forschungstradition zu Skandal und Korruption gebe. Zur Erklärung dieses weißen Flecks in den Sozialwissenschaften gibt es zahlreiche Hypothesen, u. a. die, daß der Skandal nicht nur für Skandalierer, sondern auch für den Analytiker riskant sei Inhaltliche Gründe für das bislang eher geringe wissenschaftliche Interesse liegen aber sicherlich in der Annahme, Skandal sei etwas Triviales, und man habe es mit singulärem, sozialwissenschaftlich nicht relevantem „abweichenden Verhalten“ zu tun; die Dinge scheinen selbst-evident zu sein. Es wird kein „weitergreifender Erklärungswert“, keine Indikatorfunktion erwartet. Erst die jüngste Massierung von Skandalfällen, die scheinbare Alltäglichkeit des Skandals, zwingt nun offensichtlich verstärkt auch Wissenschaftler dazu, sich jetzt doch auch dieses Themas anzunehmen Der Skandal wird als Fokus gesehen, „in dem sich langfristige soziale Probleme verdichten, die im Skandal . lesbar* werden. Doch was erzählt uns der Skandal über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die er eingebettet ist?“
Von politischen Skandalen unterscheiden sich Verwaltungsskandale dadurch, daß das öffentliche Aufsehen erregende (wesentliches Definitionsmerkmal eines Skandals), von welchen Normen auch immer abweichende Verhalten nicht alleine politischen Akteuren zuzuschreiben ist, sondern die öffentliche Verwaltung mit dem Normverstoß direkt verbunden sein muß. Zudem führt das nicht notwendige Vorhandensein von politischen „Normabweichlern" dazu, daß in Verwaltungsskandalen nicht nur „hohe Tiere vom Himmel fallen“, sondern durchaus untere Hierarchieebenen im Mittelpunkt stehen können (z. B. bei Polizeiund Gefängnis-, aber auch Bauskandalen)
Es geht bei Verwaltungsskandalen also nicht primär um Politikerverhalten und auch nicht um Fälle nur mit politischer Verantwortlichkeit, wenngleich natürlich normabweichendes, rechtswidriges Verhalten im Verwaltungsapparat immer zugleich die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit und den daraus zu ziehenden Konsequenzen aufwirft Zur Analyse von Verwaltungsskandalen liegt mit der Arbeit von Carl Bohret und Werner Jann seit längerem ein Instrumentarium vor, das in den Kategorien a) Organisation/Struktur,
b) Programm/Normen,
c) Personal und d) Umwelt Untersuchungsmerkmale benennt, die beispielsweise a) selektive Perzeption, b) Zielkonflikte und Informationsüberladung, c) Qualifikationsdefizite, Verantwortungsscheu, Bestechlichkeit, d) gesellschaftlichen Druck und politische Nutzbarkeit als Skandalmerkmale beinhalten.
Dabei geht es also nicht um soziologische oder politologische Skandalanalysen, sondern um eine „innere“ Analyse von Verwaltungsskandalen unter Einschluß der gesellschaftlichen Zusammenhänge. So wird auch hier im folgenden nicht darüber geredet, daß — ein Skandal selten allein kommt, — wie Skandale politisch genutzt und inszeniert werden, — bei Skandalen immer gleiche Rollen erkennbar sind etc.
Nicht Skandale oder auch Verwaltungsskandale an sich sollen im folgenden diskutiert werden; vielmehr soll das Hauptinteresse auf den Skandal-„Ty-pus“ gerichtet sein, der aktuell in den Vordergrund gerückt und der weitgehend durch die oben genannte verwaltungswissenschaftliche Analysekategorie „Personal“ gekennzeichnet ist, nämlich auf persönlich „schuldhaftem“ Verhalten, individuellem „Versagen“ beruht. Dies schließt insbesondere Korrumpierbarkeit ein, aber auch private Bereicherung im Amt, letztlich auch mangelnde Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung (fehlendes „Pflichtbewußtsein“).
Korruption im engeren strafrechtlichen Sinn der Vorteilsnahme und Bestechlichkeit bzw. Vorteilsgewährung und Bestechung (§§ 331— 335 StGB) beinhaltet die Entgegennahme eines Vorteils als Gegenleistung für eine Diensthandlung (etwa der Vergabe von Bauaufträgen) oder die Unterlassung einer solchen; hiervon zu unterscheiden ist die Vorteilsnahme für eine Diensthandlung, ohne daß bei dieser pflichtwidriges Handeln zugrunde liegt, die Diensthandlung für sich also pflichtgemäß war. Das Strafrecht spricht von „Amtsträgem“ und „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten“, bezieht hier aber nicht nur Beamte und (Verwaltungs-) Angestellte, sondern auch „in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis“ stehende Personen ein; dies sind u. a. auch Minister des Bundes und der Länder sowie Parlamentarische Staatssekretäre (§ StGB) 11).
Korruption im weiteren Sinne meint — nicht juristisch normiert — insbesondere als „politische Korruption“ zunächst allgemein den Mißbrauch des öffentlichen Amtes zur Durchsetzung privater Inter-essen
Bedingung für Korruption ist also die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre, so daß übliche Tauschhandlungen innerhalb des privaten Sektors — „eine Hand wäscht die andere“ — nicht als Normabweichung und Korruption zu kennzeichnen sind. Diese Abgrenzung schließt hier auch die Thematisierung der Skandale um Coop, Neue Heimat etc. aus, was nicht verbietet, sie in einem breiteren Erklärungszusammenhang für korruptes Verhalten (etwa von Werthaltungen und beruflichem Selbstverständnis) zu berücksichtigen.
Definitionsgemäße Voraussetzung für Korruption ist also das öffentliche Amt, das Beamte nach den „hergebrachten Grundsätzen“ des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) u. a. zur besonderen Treue gegenüber dem Dienstherrn, der ihn seinerseits alimentiert, und zu parteipolitischer Neutralität und Gerechtigkeit verpflichtet. Dies bedeutet, daß der Beamte nicht die Interessen einzelner, einer Interessengruppe oder einer politischen Partei denen des ganzen Volkes vorziehen darf, sondern auf das Wohl der Allgemeinheit bedacht sein muß.
II. Empirie der Korruption und Erklärungsansätze
Die „Wahrheit“ über Skandale und ein — womöglich auch noch monokausales — Modell zur Erklärung von Korruption kann selbstverständlich hier nicht vorgelegt werden. Es lassen sich aber Hypothesen aufzeigen und diskutieren, die sämtlich plausibel sein mögen — allerdings mit unterschiedlicher empirischer Absicherung. Ein so wenig anhand „harter“ Daten diskutierbares Objekt wie „Korruption in der öffentlichen Verwaltung“, das sich sehr schnell auch politisch-ideologisch besetzen läßt, verlangt wissenschaftlich einen besonders behutsamen Umgang mit Kausalannahmen. 1. Empirische Befunde a) Empiriesplitter: Verwaltungsskandale der siebziger und achtziger Jahre Anhand der untersuchten Verwaltungsskandale läßt sich im Zeitverlauf eine Verschiebung in der Bedeutung der oben genannten verwaltungswissenschaftlichen Analyse-Kategorien feststellen: Die analysierten Skandale der siebziger und frühen achtziger Jahre Giftmüll/Fa. Stoltzenberg Hamburg, Planung und Beschaffung des MRCA Tornado, Spionage im BMVg (Leber-Affäre), Poullain-Affäre, Gefängnisskandale, Verfassungsschutz: der Fall Traube, Bauskandale Steglitz, Gefangenenbefreiung Moabit (Baumann-Sturz), Bauskandal Kun/NRW, die Schleyer-Entführung, dann* weiter Klinikum Aachen, die Affäre Wörner/Kießling und der Flick-Skandal werden im Verlaufe der achtziger Jahre ergänzt durch Umweltskandale mit dem Hintergrund der Altlastenproblematik (Bielefeld-Brake, Dortmund. Hamburg-Georgswerder), der Flugkatastrophe Ramstein, einem neuen Verfassungsschutz-Skandal: „Celler Loch“ sowie den Fällen Polizeiskandal Dortmund, Autobahnpolizei NRW, Bauskandal Berlin/Antes, Bauskandal Hamburg/UKE, Bauskandal Frankfurt, Bundespostministerium/Rechnungshofvor-würfe (Versetzung des Oberpostpräsidenten Meyer München), Staatskanzlei Kiel: die Affäre Barschel/Pfeiffer, „Schwarzgeldklinik“ Bremen.
Während es in den „alten“ Skandalen überwiegend um Pannen. Zuständigkeits-und/oder Kontrollprobleme, Zielkonflikte in Programmen, auch um Qualifikationsprobleme von Beamten‘(z. B. in Gefängnissen), um selektive Wahrnehmung (z. B. durch hohe Arbeitsteilung oder auch aufgrund der Ausbildung, die prädisponiert) oder um mangelnde Kooperation bzw. die problematische Kontrolle von Dienststellen (z. B.der „Dienste“) etc. geht — also im wesentlichen um die Analysekategorien „Organisation“ und „Programm/Normen“ —, ist die jüngste Dominanz von Verwaltungsskandalen, die wesentlich auf Merkmalen der Kategorie „Personal“ beruhen und auch Korruption beinhalten, auffällig.
Beispielhaft seien hier einige Fälle kurz dargestellt: In Dortmund bereicherten sich Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos — einer zivilen Einsatztruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität, die vor allem nachts und in engem Szenekontakt arbeitete — bei Diebstählen am Tatort, wobei sie Kollegen „vor Ort“ wegschickten unter dem Hinweis, sie übernähmen die Sache und observierten. Neue Kollegen wurden allmählich „eingearbeitet“, z. T. mit „Geschenken“ aus der Beute nach dem Motto „mitgegangen — mitgefangen“. Kam es dennoch zu Beschwerden jüngerer Kollegen, so wurden deren Einwände von den Vorgesetzten bagatellisiert, in einem Falle sogar eine Meldung auf dem Dienstwege vom Vorgesetzten zurückgehalten. Zielkonflikte zwischen „Kameradschaft“ und dienstpflichtgemäßem Verhalten entstanden. Die Einheit war auf sich allein gestellt und relativ unkontrolliert — ein Verwaltungsskandalmerkmal, das aus Skandalen um die „Dienste“, die ja aufgabengemäß relativ unkontrolliert operieren, bekannt ist. Erst aufgeschnappte Kantinengespräche und die daraufhin eingeschaltete Kripo eines Nachbarbezirks brachten den Fall ins Rollen.
Ebenfalls in NRW betätigten sich Autobahn-Polizeibeamte bei Kontrollen gegenüber Lkw-Fahrern als moderne Wegelagerer, die sich bei entsprechendem Entgegenkommen großzügig zeigten.
Daß berufsethische Grundlagen auch außerhalb des öffentlichen Dienstes korruptes Verhalten nicht immer verhindern, zeigen nicht nur die Fälle Coop und Neue Heimat, sondern auch die Beispiele des Stuttgarter Caritas-Direktors, der die Caritas als hochgeachteter Sozial-Manager um 3, 3 Milhonen DM brachte, auf Kosten seines Verbandes einen „geradezu ausschweifenden Lebenswandel“ führte und Zeugnisse, Gutachten und Belege fälschte aber auch der im Antes-Skandal beschuldigte Ber-liner Pfarrer, der sich — so der Verdacht der Untreue — als Gegenleistung für zu viel georderte Gehwegplatten zur Pflasterung von Fried-und Kirchvorhöfen im Wert von 150 000 DM einen Pkw der Marke Jaguar leistete
In Bremen kassierte wohl der langjährige Verwaltungsdirektor des Klinikums („Schwarzgeldkli-nik“): Mißwirtschaft, aber auch Bestechung und Schmiergelder werden im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß verhandelt
Der „Berliner Sumpf'ist gekennzeichnet durch die enge Verquickung von politischem, ökonomischem, kriminellem und administrativem Bereich, bei der — unter Einbeziehung insbesondere eines Beamten, der dem Skandal seinen Namen gab — für Bauaufträge großzügige Spenden für die CDU erfolgten. Aber es ging auch um „persönliche“ Korruption im Amt
In Hamburg drohte 1987 ein weiterer Bauskandal, ein „Zwillingsbruder" des Berliner Antes-Skandals, wie die Grün-Alternative Liste (GAL) offensichtlich verfrüht ahnte; eine anonyme Anzeige beim Bau-Senator, seit Jahren seien zwei Beamte der Bauverwaltung für das Decken von Preisabsprachen und Scheinrechnungen beim Bau eines Bettenhauses der Alsterdorfer Anstalten geschmiert worden. Zu einem „echten“ Skandal ist es aber hier nicht gekommen — lediglich der Landes-rechnungshof hat Unzulänglichkeiten festgestellt Dagegen kam es bis Mitte 1988 zum Universitätsklinik-Skandal Eppendorf, so daß Hamburg doch seinen Schmiergeldskandal der achtziger Jahre hatte: Gegen 44 Bedienstete von Behörden wurde Anfang 1987 ermittelt nach Selbstanzeige eines mit Wartungsaufträgen beauftragten Unternehmers
Ebenfalls auf Anzeige eines Unternehmers kam der Frankfurter Bauskandal ins Rollen: Die lange zurückreichende Bestechungspraxis flog auf, als ein Untemehmerehepaar bei der Vergabe von Aufträgen nicht mehr berücksichtigt wurde, da ihm die Forderungen der Beamten zu hoch waren.
In Frankfurt fürchtete die Presse, einige Ämter der Stadtverwaltung seien zeitweilig personallos, da die meisten Mitarbeiter der Korruption beschuldigt und angeklagt seien. Insgesamt wurde bis Februar 1989 gegen 380 Personen ermittelt, davon 239 städtische Bedienstete, elf Ämter waren korruptionsbetroffen Gegenüber anderen Bauskandalen zeichnet sich dieser Fall dadurch aus, daß hier auch Gelder für gar nicht erbrachte Leistungen flossen, und daß in der Verwaltung ferienjobbende Beamten-Kinder von der Bauwirtschaft formal eingestellt und bezahlt wurden — letztlich aus öffentlichen Geldern. Der Justiz erschien bemerkenswert, daß durchweg kein Unrechtsbewußtsein bei den Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung vorlag, so daß nur ein einziger Beamter wegen Reumütigkeit mit mehr Milde rechnen konnte
In der Oberpostdirektion (OPD) München ist es „hausintern“ (durch den OPD-Präsidenten Meyer) zur Aufdeckung von Korruption gekommen, das Ministerium habe höhere Beamte reingewaschen, die für falsche Abrechnungen und Manipulationen von Ausschreibungen einer Baufirma verantwortlich seien. Diese Kooperation zwischen der Firma und den Beamten habe der Post einen Schaden von 1, 3 Millionen DM eingebracht. Seine Ermittlungen führten zur Versetzung von OPD Präsident Meyer
Darüber hinaus lassen sich hier solche Fälle miteinbeziehen, die — in Abweichung zur obigen engen wie weiten Definition — mit dem Begriff „politische Korruption“ zu kennzeichnen sind: nämlich dienstrechtswidriges, dienstliches Tätigwerden für Parteizwecke (z. B. Staatskanzlei Kiel). Dies mag geschehen um der beruflichen Karriere willen oder einfach aus politischem Opportunismus.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es bei den jüngeren Verwaltungsskandalen häufig um Fehlverhalten einzelner Beamter geht. Der Frage, ob auch tatsächlich eine Zunahme von Korruption in der öffentlichen Verwaltung nachweisbar ist, soll im folgenden zum einen anhand gerichtsstatistischer Daten, zum anderen im Zusammenhang mit der Darstellung von Hypothesen zur Erklärung des Verhaltens und jeweils anhand eines Rückgriffs auf die skizzierten Fallbeispiele nachgegangen werden. Schließlich wird nach der Bereitschaft zur Korrum-pierbarkeit innerhalb gesellschaftlicher und beruflicher Werthaltungen gefragt, da hier nicht einfach nur „Geldgier“ unterstellt werden kann. b) Kriminalistische Daten Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist im Zeitraum 1982 bis 1987, also in sechs Jahren, insgesamt gegen 392 Personen eine Hauptverhandlung wegen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit eröffnet und abgeschlossen worden. Dabei kam es in 240 Fällen zu Verurteilungen. Bei einer Beschäftigtenzahl des öffentlichen Dienstes von etwa 4, 6 Millionen kann man angesichts eines Jahresdurchschnitts von 40 Verurteilungen kaum von dramatischen Ausmaßen der Korruption in der Bundesrepublik Deutschland sprechen, auch wenn natürlich eine Dunkelziffer zu berücksichtigen ist. Die Zahl der abgebzw. verurteilten privaten Korrumpierer ist etwa drei-bzw. viermal so hoch wie die der bestochenen oder der Vorteilsnahme verdächtigten bzw. für schuldig befundenen Amtsträger
Nach den Ergebnissen einer kriminologischen Untersuchung für den Zeitraum 1976 bis 1985 lassen sich Aussagen über die im wesentlichen betroffenen Bereiche der öffentlichen Verwaltung und die Höhe der materiellen Vorteile machen. Nach dieser Untersuchung bezieht sich die Mehrzahl der Fälle auf Kontrollund Baubehörden (37, 4 Prozent bzw. 14, 4 Prozent). Umgekehrt ist branchenspezifisch das Baugewerbe mit 39, 5 Prozent vor allen anderen Gewerben deutlich am stärksten „vertreten“. Hinsichtlich der „Partner“ der Beamten auf der Klien-rumpierer. tel-Seite zeigt sich, daß neben „allgemeinen Staatsbürgern“ (insbesondere im Bauwesen, im Rüstungssektor sowie im Bereich der Aufenthaltsund Arbeitsgenehmigungen) mit einem 45, 6-Prozentanteil leitende Angestellte und geschäftsführende Gesellschafter sehr stark in Korruptionsfälle verwickelt sind.
Drei Viertel der materiellen Vorteile der Amtsträger entfallen auf Geld-, ein Viertel auf Sachleistungen (Pkw, Bauleistungen, Eintrittskarten). Bei geldmäßiger Vorteilsnahme entfallen Beträge von mehr als 50 000 DM auf nur 2, 8 Prozent, Beträge unter 1000 DM auf 41, 2 Prozent der Amtsträger
Leider lassen weder die genannten Daten des Statistischen Bundesamtes noch die der kriminologischen Untersuchung für einen längeren Zeitraum Aussagen über die quantitative Entwicklung von Korruptionsdelikten zu. Hier steht also ein Vergleich mit Daten der fünfziger und sechziger (und der späten achtziger) Jahre aus.
Die statistischen Daten rechtfertigen jedenfalls nicht die journalistische Kennzeichnung der achtziger Jahre — gegenüber z. B.den siebziger Jahren als Jahre der Bewegungen und Basiserfahrung — als Jahre der Skandale des korrupten Verhaltens im Staatsapparat. Aber es gibt durchaus die aktuellen Empirie-Splitter, die Hinweise auf eine andere Realität sind, die eher den Alltagserfahrungen entsprechen und die man in der Presse, auch in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen findet. 2. Verbreitete Kausalannahmen: „Verwaltungsexpansion“ und „Verrechtlichung“, „Parteipolitisierung“ und „Ämterpatronage“, „Wertewandel“ und „Verfall der Berufsmoral“
Es ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, daß Korruption nicht in den achtziger Jahren „erfunden“ worden ist. wenn sie diese Jahre auch in besonderer Weise zu prägen scheint — insbesondere, wenn man nicht nur auf die öffentliche Verwaltung schaut. Aufden ubiquitären Charakter von Korruption , den historischen wie auch den internationalen Aspekt soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden. Die Beispiele Sowjetunion und jüngst die DDR zeigen, daß in nicht offenen Gesellschaftssystemen, in denen es keine oder nur „von oben“ inszenierte Skandale gibt, durchaus ebenfalls Korruption vorhanden ist Sie hat in totalitären Regimen — in denen die die Korruption definierende Trennung von privater und öffentlicher Sphäre gar nicht greift — sogar strukturellen oder „systemischen“ Charakter; der einzelne kann sich ihr gar nicht entziehen sie ist sogar Ventil und einzige Chance für Nichtprivilegierte.
Solange allerdings keine Öffentlichkeit existiert, kann die reinigende, unter Umständen sogar reformerische Funktion eines Skandals nicht zum Tragen kommen. Daß es Korruption zuweilen „schwerfällt“, auch in offenen, demokratischen Gesellschaftssystemen zum Skandal zu werden, zeigt der Polizeiskandal Dortmund: Verselbständigte und relativ unkontrollierte Einheiten lassen unter Hinweis auf „Nestbeschmutzung“ und Kameradschaftlichkeit, die dann zum normativen Zielkonflikt mit dienstpflichtgemäßem Verhalten führt, kein „Verpfeifen“ zu — Voraussetzungen z. B. auch der Skandale in Kiel wie in der Bauverwaltung Frankfurt. Den Mangel an Skandalen kompensieren Angehörige nichtoffener Systeme in Form einer hohen Kultur des politischen Witzes, der dem Publikum ähnliche Möglichkeiten des Zugangs zu Unterdrücktem, gesellschaftlich Verdrängtem bietet: Daß Skandale „unter autoritären Regimen offiziell nicht zugelassen sind, ist wohl der Hauptgrund dafür, daß in diesen Systemen der politische Witz zu einer . . . unerreichbaren Blüte gelangt“ Insofern ist für die DDR — so wie es heute aussieht — mit einer rapiden Verschlechterung des Witzniveaus zu rechnen a) „Verwaltungsexpansion“ und „Verrechtlichung“
Unter Korruptionsaspekt wird mit diesen Begriffen die These aufgestellt, daß die öffentliche Verwaltung in immer breitere Bereiche des Alltags eindringt und der Staat immer mehr Bereiche normativer Regelung unterwirft. Die Kontakt-und damit die Konfliktbreite nehme zu, andererseits versuche auch eine größere Anzahl betroffener Bürger, sich auch mit nicht legalen Mitteln den Regelungen zu entziehen. Es ist allerdings nicht nachzuweisen, daß eine große „Regelungsdichte“ in den Staaten mit dem dichtesten Netz an Rechtsvorschriften auch zu einem besonderen Ausmaß der Korruption führte b) „Parteipolitisierung“ und „Filz“
Ein Beispiel für „politische Korruption“, der Korrumpierung von Beamten durch Politiker und Parteien liefert zweifelsfrei „Waterkantgate“: die Affäre Barschel/Pfeiffer. Der parlamentarische Untersuchungsausschuß in Kiel „mußte mit Entsetzen feststellen, daß der Regierungschef des Landes seine Macht . . . mißbraucht hat und daß einige Mitarbeiter in Regierung und CDU teils bewußt Beihilfe, teils unkritisch Hilfsdienste geleistet ha-ben . . . Teile der Staatskanzlei und die Presse-und Informationsstelle der Landesregierung wurden widerrechtlich zur Wahlkampfführung für den CDU-Spitzenkandidaten mißbraucht.“ Hier geht es also nicht um Probleme der Verselbständigung der Bürokratie gegenüber der politischen Führung und fehlende Steuerung, sondern um „Übersteuerung“ des Apparates durch die politische Führung Dabei ist festzuhalten, daß nicht alleine der Medienreferent, sondern auch Beamte und andere Angestellte parteipolitisch „beschäftigt“ worden sind Es handelt sich also beim Kieler Beispiel um einen eindeutigen Normverstoß Der allgemeine Vorwurf der Parteipolitisierung der öffentlichen Verwaltung wird jedoch nicht als Skandal, sondern als alltägliche Praxis thematisiert: Parteien würden versuchen, parteifrei konzipierte Institutionen wie die öffentliche Verwaltung (nebst Rundfunkanstalten, Wissenschaft, Rechtsprechung) „gleichzuschalten“ Der „Berliner Sumpf* um Baustadtrat Antes, der dem Skandal seinen Namen gab, weist allerdings die Deckung der Machenschaften durch Beamte derselben Partei aus — schließlich ging es in Berlin auch um die Beschaffung von Geldern für die Partei.
Wieweit die als weit über die Verfassungsnonn des Art. 21 Abs. 1 GG hinausgehend beschriebene Einflußnahme der politischen Parteien auf „parteifrei konzipierte Institutionen“ über „Verfilzung“ — in Berlin war der „rote Filz“ politisch-publizistischer Vorläufer des „schwarzen Sumpfs“ — tatsächlich geht und „wesentlich" zu Erscheinungen der Korruption beiträgt, ist hier jedoch kaum zu entscheiden. c) „Ämterpatronage“
Dieser viel diskutierte Sachverhalt, der die Versorgung von Parteimitgliedern mit beruflichen Positionen im öffentlichen Dienst durch die politischen Parteien meint und zugleich im Zusammenhang mit dem Vorwurf der „Parteipolitisierung“ der öffentlichen Verwaltung steht, läßt sich typischerweise nicht anhand eines Skandalbeispiels diskutieren. Diesen Mangel beklagen auch diejenigen, die das Ausmaß wissenschaftlich anprangern. Man behilft sich mit der Nennung von Einzelfällen und der Darstellung des umfangreichen (Anklage-) Schrifttums zum Thema, dessen immense Quantität aber das Fehlen empirischen Materials letztlich nicht ersetzen kann. Denn die Darstellung von Einzelfällen vermag natürlich nichts auszusagen über das tatsächliche Ausmaß dieser allerorten diskutierten Rekrutierungs-und Beförderungspraxis — und schon gar nichts über die wirklichen Effekte auf die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung
Im Zusammenhang mit Korruption ist Ämterpatronage von Bedeutung, weil mit einer gewissen Plausibilität von Personen, die nicht auf dem normalen Rekrutierungswege der Auswahl nach Leistung in ihr Amt gekommen sind — sofern ihnen dies bewußt ist — befürchtet werden kann, daß sie für Einflüsse von außen zugänglicher sind als andere Beamte, nicht zuletzt für private wie politische Einflüsse aus dem Umfeld der „Patronierer": „Wer befördert, befiehlt.“
Zum anderen wird hinsichtlich Patronage als Beförderungspraxis befürchtet, daß eine derartige Perso-nalpolitik lähmend und leistungshemmend auf den gesamten Apparat wirkt, da andere Mitarbeiter keine Beförderungschancen sähen. Darüber hinaus wird aus dem bei Ämterpatronage unterstellten Verstoß gegen das Leistungsprinzip auch ein Defizit an Arbeitsleistung und damit sogar ein Vermögens-delikt und zugleich der Tatbestand der Untreue abgeleitet Für die Förderer kann es langfristig natürlich gefährlich werden, wenn „Parteibuchbeamte“ — ein belasteter (Kampf-) Begriff der Weimarer Republik, mit dem die Nationalsozialisten zur angeblichen Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aufriefen — den sachlichen Anforderungen an einen Beamten nicht gewachsen sind. Lassen also Vorgesetzte in der öffentlichen Verwaltung tatsächlich in bemerkenswertem Umfang die Einstellung leistungsunfähigen Personals in ihrer Dienststelle zu, was letztlich auf sie selber zurückfällt? Auch dies ist empirisch nicht belegt und wohl auch schwer belegbar.
Trotzdem: „Die Spatzen pfeifen es von den Dächern!“ Eine gewisse Plausibilität der Zusammenhänge, die hier aufgezeigt wurden, ist sicherlich gegeben. Aber was können wir über das Ausmaß dieses vielbeklagten Phänomens aussagen? Auch über seine tatsächliche Bedeutung für Korruption läßt sich wohl wissenschaftlich derzeit nichts Verifizierbares sagen. d) Veränderungen in den gesellschaftlich dominanten Werthaltungen Bei der Thematisierung „abweichenden Verhaltens“ stellt sich zunächst die Frage, wovon das inkri-minierte Verhalten abweicht. Daß bei Korruption gegen Gesetze verstoßen wird, steht außer Frage. Anders stellt sich die Frage offenbar bei sozialen Werthaltungen Weicht hier korrumpiertes wie korrumpierendes Verhalten tatsächlich (noch) von vorherrschenden Werthaltungen ab? Die Standards haben sich offensichtlich verschoben, wenn man feststellen muß, daß das Motto: „Eine Hand wäscht die andere“ offenbar ein gesellschaftlich akzeptiertes und weit verbreitetes Prinzip ist. Und in der Tat zeigt die Skandalempirie, daß dieses Verständnis dem der Bestechlichkeit beschuldigten Beamten entspricht: Sie zeigten nämlich selbst vor Gericht kein Unrechtsbewußtsein, wie das Beispiel Frankfurt belegt.
Mit diesem Hinweis ist zugleich die soziologische Dimension angesprochen: Es gibt einen sozialen Wandel, innerhalb dessen sozio-ökomonische und politische Veränderungen stattfinden, Gesellschaft sich verändert. Über den Wertewandel werden Soziologen sicherlich noch lange streiten; über eines herrscht jedoch wohl Konsens: daß eine stärkere Hinwendung zu persönlichen Zielsetzungen, zu selbstgesetzten Zwecken konstatierbar ist. In „negativer“ Interpretation haben wir es mit einer Orientierung ausschließlich an den eigenen Interessen und einem Verfall der Leistungsethik zu tun Trifft dies zu, so hat es heute die Berufssphäre allgemein schwer, Mitarbeiter an die Organisationsziele aufgrund eigener Bedürfnisse und Werthaltungen und nicht aufgrund von negativen oder positiven Sanktionen zu binden. Es gibt hier also eine Überschneidung mit dem Skandalanalyse-Sektor „Umwelt“, nämlich den gesellschaftlich vorherrschenden Werten, mit denen der Beamte wie jeder Bürger konfrontiert ist. e)
Verlust traditioneller beruflicher Werthaltungen (Beamtenethos)
Der Verlust beruflicher Werthaltungen — hier des traditionellen Beamtenethos — erscheint so als Teil gesamtgesellschaftlicher Wertverlagerungen. Diese Frage nach dem Verfall, vorsichtiger: nach den Veränderungen beruflicher Werthaltungen ist ja keineswegs neu Bereits Theodor Eschenburg sah zu Beginn der sechziger Jahre im Verlust des traditionellen Beamtenethos eine Gefahr für die Integrität des Beamtentums bei gleichzeitiger Zunahme der Gelegenheit: dem Wegfall von Hemmungen auf Seiten der Wirtschaft
Man kann wohl davon ausgehen, daß heute berufsethische Werthaltungen nicht mehr, zumindest nicht mehr in einem bestimmten „notwendigen“ Umfang da sind, wenn sicherlich auch früher das Verhalten nicht immer dem klassischen Ethos entsprochen hat. Das klassische Beamten-Ethos ist nirgendwo allgemein akzeptiert und gültig definiert. Es läßt sich wohl kurz und am ehesten konsensfähig mit dem Begriff „Pflichtgefühl“ kennzeichnen, der positiven Einstellung nämlich zur Pflicht zu besonderer Treue gegenüber dem Dienstherm und dem Gemeinwesen, die sich aus den „hergebrachten Grundsätzen“ des Berufsbeamtentums ergibt. Hieraus ist eine besondere „Dienstgesinnung“ abzuleiten, die darüber hinaus mit Begriffen wie Korrektheit und Unbestechlichkeit sowie Verantwortungsbewußtsein und Uneigennützigkeit beschrieben wird
Stellt man bei „Beamtenethos“ aufelitäres Standes-bewußtsein, verknüpft mit abstrakter Staatsfixierung und unbedingtem, „blindem“ Gehorsam ab, so ist Beamtenethos natürlich nicht unhistorisch — und als solches auch nicht konservierbar — zu interpretieren: Es gehört in dieser Überformung in die Zeit des Obrigkeitsstaates; es ist nicht — wie wir wohl heute „demokratisch“ sagen müssen -„gemeinwohlorientiert“ und nicht verknüpft mit „Klienten-“ oder „Bürgerorientierung“.
Die Existenzberechtigung einer besonderen Dienstgesinnung wird allerdings unabhängig von den konkreten Ausprägungen seit langem bestritten — und nicht nur innerhalb der Diskussionen um die Zeitgemäßheit des Berufsbeamtentums und um eine Dienstrechtsreform. Ein moderner demokratischer Staat bedürfe keiner ständischen, elitären Funktionsgruppe; der öffentliche Dienst sei lediglich Träger von gesellschaftlichen Dienstleistungen, der Staat ein Arbeitgeber wie jeder andere, und von daher bedürfe es auch keiner Sondermoral für den öffentlichen Dienst Bei der empirischen Feststellung der Übernahme dieser Einstellungen durch Beamte wird m. E.der Zeitgeisteffekt in Verbindung mit Abwehrhaltungen aufgrund des Negativ-Images von „Verwaltung“ und „Beamter“ übersehen. Man mag eben nicht von Privilegien und nicht von Besonderem reden: „Ein Job wie jeder andere“ — dieser Aussage stimmt man möglicherweise zu, um dem Vorwurf, ein elitäres „Staatsverkörperer" -Bewußtsein zu haben, zu begegnen, und nicht, weil man dem eigenen Tätigkeitsfeld „öffentliche Verwaltung“ tatsächlich keine besondere Bedeutung beimessen würde.
Während 1971 noch im Verhältnis 6: 4 dem Satz: „Der Beamte hat dem Staat zu dienen. Diesem gebührt unbedingter Gehorsam, Treue und Pflichterfüllung“ eher zugestimmt wurde als dem Satz: „Der Staat ist Arbeitgeber wie jeder andere. Mit ihm bestehen lediglich vertragliche Beziehungen“, so war das Vorherrschen des „konservativen Staatsdienerdenkens“ unter den jüngeren Befragten (den 30-bis 40jährigen) bereits leicht zugunsten des zweiten Satzes verdrängt Die Autoren schlossen damals aus der Vielschichtig-und Widersprüchlichkeit der analysierten empirischen Daten und Erhebungen, daß das Verblassen des klassischen Beamtenethos durch eine „pragmatische Dienstleistungsorientierung“ kompensiert werde.
Ohne hier traditionelle, politisch und soziologisch unangemessene Ausgestaltungen von „Beamtenethos“ einklagen zu wollen — die „pragmatische Dienstleistungsorientierung“ erscheint natürlich angesichts der empirischen Skandalbefunde als unzureichender Ersatz für traditionelle berufliche Werthaltungen, wenn diese selbstverständlich auch nie Korruption ausgeschlossen haben und andererseits keineswegs berufliche Werthaltungen für die Beamtenschaft der Bundesrepublik schlechthin als defizitär dargestellt werden sollen.
III. Berufliche Werthaltungen, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsumwelt
Wie oben dargestellt, ist Korruption kein besonderes Phänomen gerade der achtziger Jahre. Der aktuelle „große“ Frankfurter Bauskandal beispielsweise reicht bis in die fünfziger Jahre zurück Auch andere Bauskandale, wie etwa der Fall des „Baulöwen“ Kun in Nordrhein-Westfalen, der in den sechziger und siebziger Jahren das Land — nach Planquadraten aufgeteilt — mit Vertretern seiner Interessen in parlamentarischen und politischen Gremien und Verwaltungen gespickt hatte belegen, daß Korruption in der Bauverwaltung grundsätzlich zeitlos ist. Denkbar ist aber, daß ökonomische Situationen in diesem korruptionsträchtigen Wirtschaftssektor für Korruptions-„Konjunkturen“ sorgen, daß Unternehmer sich mehr oder weniger zu Korruption „gezwungen“ sehen; so ist der Frankfurter Fall erst durch das von der Versorgung plötzlich ausgeschlossene, weil zahlungsunfähigel-unwillige Unternehmerehepaar zum öffentlichen Skandal ge-worden.
Auch ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht immer gleich groß: Journalisten reagieren auf Skandale „heute doch breiter quer durch die Medienlandschaft als dies in den fünfziger und sechziger Jahren üblich war“ Auch der Korruptionsskandal Kun ist erst dadurch zum Skandal geworden, daß der Unternehmer in einem Interview mit einem jungen Journalisten den Mund zu voll genommen hatte, weil er offensichtlich hinsichtlich seiner Geschäftspraktiken keine Sensibilität der Journalisten fürchtete.
Der Frankfurter Skandal macht aber zum anderen deutlich, daß weder auf Seiten der Unternehmer noch auf Seiten der Beamten ein Unrechtsbewußtsein vorlag. Die Justiz stellte überrascht fest, daß nur in einem Falle ein Beamter aussagte, er habe sich als Beamter falsch verhalten Mit anderen Worten: Es lagen keine Werthaltungen zugrunde, die zu größerem Selbstzweifel Anlaß gaben.
Daß nicht nur Staatsbedienstete anfällig für Korruption sind, sondern auch als besonders honorig angesehene Mitbürger — wie die Fälle Nachmann (vom Zentralrat der Deutschen Juden), des Wiesbadener Caritas-Direktors und des Jaguar fahrenden Pfarrers in Berlin zeigen —, verweist auf den gesellschaftlichen Charakter des Phänomens Korruption. Hinsichtlich der Korruption im engeren Sinne des Verwaltungsskandals (der Bestechlichkeit von Beamten) ist aber — über gesellschaftliche und berufliche Werthaltungsänderungen hinaus — sowohl organisatorischen Rahmenbedingungen als auch der Bedeutung der jeweiligen Klientel besondere Bedeutung beizumessen.
Es ist zu erwarten, daß es für andere gesellschaftliche Werthaltungen, die in der unmittelbaren beruflichen Umwelt (etwa der privaten Wirtschaft) vorherrschen, besonders leicht ist, in der Verwaltung dominant zu werden, wenn berufsethische Werthaltungen an Bedeutung verlieren. Bau-Beamte sind nicht nur durch ihre dienstlichen Möglichkeiten, sondern auch durch ihre beruflichen Kontaktpartner, mit denen ja häufig private Kontakte bestehen, besonders anfällig für Korruption, da in diesem Metier Pflicht-oder Gemeinwohlwerte kaum dominieren. Und so lassen sich dann eben Beamte mit Mittelmeer-Yachten und -Villen oder großen Autos ausstatten. Das Bedürfnis, dem Leben eine materielle Qualität zu verleihen, die ansonsten nicht be-amtenadäquat ist, wird offensichtlich als selbstverständlich angesehen — kaum einer der Beamten artikuliert Schuldgefühle. Bei dem Berliner Pfarrer mit dem Jaguar wissen wir es nicht; der Caritas-Direktor dagegen, der seiner Organisation 3, 3 Millionen DM vorenthalten hat, war — so die Presse — reumütig.
Auch der Dortmunder Polizeiskandal fällt als sol-cher in die achtziger Jahre, die Selbstbedienung der Polizisten reicht aber ebenfalls weit zurück, nachweisbar bis in die Mitte der siebziger Jahre. Das besonders qualifizierte (und freiwillige) Personal des Sondereinsatzkommandos, das verdeckt und in engem Kontakt erfolgreich in der nächtlichen Kri-minellen-Szene tätig war, arbeitete ohne große Kontrolle. Kennzeichnend für diesen Fall sind offensichtlich auch organisatorische Probleme: mangelnde Einbindung der Sondereinheit, schlechtes Betriebsklima, keine „Honorierung“ der erfolgreichen Tätigkeit — dies erleichterte die Vernachlässigung der Dienstpflichten und die Anpassung an Werthaltungen (Verharmlosung von Straftatbeständen), die traditionellerweise eher der Polizei-Klientel zugeschrieben werden. Offensichtlich ist auch im Falle der Polizei die Gefahr groß, andere gesellschaftliche Werte als „normal“ zu übernehmen, das eigene (Fehl-) Verhalten zu bagatellisieren.
Mißt man werthaltungsmäßigen Veränderungen Bedeutung für berufliches Verhalten zu, so ist zugleich der ambivalente Charakter des gesellschaftlichen Wertewandels zu bedenken, der im Rahmen der Veränderung traditioneller berufsethischer Bindungen mit der Entwicklung beruflicher Partizipationswünsche eine Chance bietet, diesen Bedürfniswandel auch in der Verwaltung positiv aufzugreifen. Eine Untersuchung der beruflichen Einstellungen in einer Großstadtverwaltung jedenfalls hat gezeigt, daß für die persönliche Einsatzbereitschaft für den Bürger den internen Arbeitsbedingungen — insbesondere der „Partizipation“, also bei der Entwicklung von Arbeitsmethoden und der Planung von Arbeitsabläufen hinzugezogen zu werden und durch Verbesserungsvorschläge Einfluß neh-men zu können — größte Bedeutung zukommt Das Bedürfnis, nicht entfremdet auch bei der Gestaltung der täglichen Berufsarbeit Einfluß nehmen zu können, bietet auch unter berufsethischer Perspektive Chancen, über die Partizipation die Entwicklung von Identifikation mit den Organisationszielen und von positiven beruflichen Einstellungen zumindest zu begünstigen.
Ein weiterer Punkt der Überschneidung mit dem Analyse-Sektor „gesellschaftliche Umwelt“ wird in der Diskussion wenig beachtet, betrifft aber auch Korruptionsanfälligkeit, jedenfalls die Entwicklung beruflicher Einstellungen: das gesellschaftlich kli-scheehaft verbreitete Negativ-Image der öffentlichen Verwaltung. Die Hypothese einer aus der Sozialpsychologie bekannten „self-fulfilling pro-phecy“ wird auch im Verhältnis „Verwaltung — gesellschaftliche Umwelt“ bestätigt: Beamte, die von einem negativen Image ihrer Tätigkeit in der Bevölkerung ausgehen, zeigen sich deutlich weniger bürgerund klientenorientiert D. h. das Negativ-Image des Beamtenberufes beeinflußt unter Umständen die Abwendung von berufsethischen Haltungen.
Da bekannt ist, daß die Negativeinstellungen zu „Beamter“ und „Verwaltung“ weitgehend stereotypen Charakter haben, also dem Bereich der Vorurteile entstammen, läßt sich dieses Dilemma wohl nur durch Schaffung von mehr Transparenz, von Bekanntheit und Offenheit anpacken — ein Sachverhalt, der sicherlich auch zur Vermeidung von Korruption beitragen kann
Einen totalen Anpassungsprozeß beruflicher Werthaltungen an gesellschaftlich dominante Werte für die Beamtenschaft schlechthin zu unterstellen, ist jedoch fragwürdig; es erscheint völlig unangemessen, die öffentliche Verwaltung als in allen Bereichen korrupt zu bezeichnen, wie dies z. Zt. auf bestimmten Fachtagungen geschieht Erst im Zusammenwirken mit anderen, z. B.organisatorischen und Umwelt-Bedingungen, findet „abweichendes Verhalten“ typischerweise statt. Es ist unangemessen, ein monokausales Erklärungsmodell für Korruption zu erwarten; auch Korruptionserscheinungen in den öffentlichen Verwaltungen beruhen — wie jeder Verwaltungsskandal — auf mehreren Ursachen. Hier wird auch nicht von einem insgesamt defizitären Berufsethos und mangelhafter Dienstauffassung der Beamtenschaft ausgegangen, die gar problemlos zu kriminellem Verhalten überführen könne. Aber dem Verlust traditioneller Werthaltungen, der z. T. wohl auch ersatzlos stattfindet — „keine „Sondermoral’ für den öffentlichen Dienst“ —, wird eine gewisse grundlegende Bedeutung beigemessen; er kann insbesondere dann verhaltensrelevant werden, wenn Beamte beständig mit gesellschaftlich dominanten Werten in der unmittelbaren Arbeits-Umwelt konfrontiert sind.