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Störfallvermeidung und Risikokommunikation als Erfordernisse des Umweltschutzes | APuZ 6/1990 | bpb.de

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APuZ 6/1990 Zur Anatomie des Vorsorgeprinzips Störfallvermeidung und Risikokommunikation als Erfordernisse des Umweltschutzes Umweltschutz vor Ort Die Natur als neuer Mythos

Störfallvermeidung und Risikokommunikation als Erfordernisse des Umweltschutzes

Hans-Joachim Fietkau

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Industrielle Umweltbelastungen ergeben sich sowohl aus dem Normalbetrieb von Anlagen als auch aus Störfallsituationen. Die Prävention und das angemessene Management von umweltbelastenden Störfällen wird so zu einer Aufgabe des Umweltschutzes. Umweltschutz und Anlagensicherheit greifen hier ineinander. In der neuen Störfallverordnung manifestiert sich eine technikzentrierte Sicherheitsphilosophie. Die Analyse der Entstehungsgeschichte von Störfällen zeigt im Gegensatz dazu die große Bedeutsamkeit nichttechnischer, d. h. personenbezogener und organisatorischer Ursachen in der Störfallentwicklung. Das, was häufig als „technisches Versagen“ beschrieben ist, kann oft präziser als ein Versagen auf der Ebene der Konstruktion, Wartung und/oder Bedienung einer Anlage beschrieben werden. Technisch-naturwissenschaftliche Sicherheitsanalysen basieren als Gefährdungsbewertungen auf Modellannahmen über technische Anlagen. In diesen Modellannahmen sind Störfallursachen auf personaler Ebene, wie Kommunikationsdefizite zwischen Mitarbeitern, nicht angemessen repräsentiert. Risikobewertungen, wie sie in diesen Analysen vorgenommen werden, unterscheiden sich qualitativ von den Risikoeinschätzungen. die die Mitarbeiter aus ihren alltäglichen Erfahrungen heraus vornehmen. Ihr Handeln in Störfallsituationen basiert aber aufintuitiven Situationserfassungen. Diese intuitiven Situationserfassungen können sowohl Bedingung für eine Zuspitzung einer Störfallsituation sein als auch Möglichkeit für ihre Bewältigung. Zu einer angemessenen Störfallprävention und Störfallbewältigung gehört u. a. die Förderung von Risikokommunikation: sowohl unter den Mitarbeitern eines Unternehmens als auch zwischen dem Unternehmen und seiner Öffentlichkeit.

I. Einleitung

Die gewachsene Umweltrelevanz industriellen Handelns erfordert auch bei Mitarbeitern in Unternehmen einen Wandel der Denkund Handlungsformen. Hierbei handelt es sich um einen schwierigen Anpassungsprozeß, der den Menschen in der Gesamtheit seiner psychischen Funktionen betrifft. Dieser Wandel in den Einstellungen, Urteilen und Handlungsgewohnheiten bezieht sich auch auf den Umgang mit umweltrelevanten Störfallsituationen, die sich von anderen innerbetrieblichen Störungen und Unfällen dadurch unterscheiden, daß ihre Auswirkungen nicht auf die unmittelbar Handelnden und das Unternehmen begrenzt sind. Ihre Prävention und Bewältigung bedarf mithin in besonderer Weise eines ökologischen Verantwortungsbewußtseins.

Ein Ausdruck dieses gewandelten Bewußtseins ist die am September 1988 in Kraft getretene neue Störfallverordnung. Achtzehn Monate nach der Brandkatastrophe im Schweizer Chemieunterneh-men Sandoz wurden die Sicherheitsanforderungen für technische Anlagen verschärft 1): Die Liste der gefährlichen Anlagetypen wurde von 17 auf 23 und die der gefährlichen Stoffe von 145 auf 319 erhöht. Die Betreiber gefährlicher Anlagen haben nun nicht nur die Verpflichtung, eingetretene Störfälle zu melden, sie müssen vielmehr die Behörden bereits dann unterrichten, wenn Gefahren möglicherweise entstehen können. Die Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagen haben ein Verzeichnis der als gefährlich eingestuften Stoffe mit Mengenangaben und Lagerort zu führen und auf dem aktuellen Stand zu halten. Gefährliche Anlagen müssen einer Sicherheitsanalyse unterzogen werden; in einem Prüfprogramm ist festzulegen, wie diese gewartet und überwacht werden sollen. Nach Schätzungen des TÜV Stuttgart werden künftig etwa 5 000 Betriebe solche Sicherheitsanalysen erstellen müssen.

Die durch die Störfallverordnung angestrebte Verbesserung der Sicherheit industrieller Anlagen basiert auf zwei Hauptstrategien! der Erweiterung staatlicher Kontrollbefugnisse und der Erweiterung der Informationspflicht durch Unternehmen gegenüber Behörden. Die Kontrollen und Informationspflichten richten sich im wesentlichen auf die Art und den Zustand der technischen Einrichtungen. Hinter diesen Formen der Störfallprävention steht unausgesprochen eine technikzentrierte Sicherheitsphilosophie. Anlagensicherheit ist aber nicht allein eine Funktion der technischen Einrichtungen, sondern auch das Ergebnis der Kompetenzen, Motivationslagen und Risikoeinschätzungen derjenigen, die mit diesen Anlagen umgehen sowie der organisatorischen Strukturen, in denen sie handeln.

Diese Betrachtung erfordert zunächst eine psychologische und organisationssoziologische Analyse von Störfällen und darauf aufbauend eine Entwicklung von Konzeptionen und Maßnahmen, die sich auf personenbezogene Bedingungen und organisatorische Strukturen in Unternehmen beziehen.

II. Störfälle und Störfallanalysen

An den im Betrieb unmittelbar mit Störfallsituationen konfrontierten Mitarbeiter stellen sich spezifische Anforderungen, die sich daraus ergeben, daß Störfälle überraschend auftreten, ihre Ursachen und Wirkungen schwer abschätzbar sind und Reaktionen unter Zeitdruck erfordern. Die Eingriffsmöglichkeiten werden weiterhin dadurch erschwert, daß Störfälle im Ablauf ein hohes Maß an Eigendynamik aufweisen.

Betrachtet man die Entstehungsgeschichten spektakulärer industrieller Störfälle, so stößt man auf eine Vielfalt personenbezogener und organisatorischer Bedingungen, die (mit) störfallauslösend waren: Informationen über den kritischen Zustand einer Anlage werden nicht oder zu spät wahrgenommen; Informationen werden falsch gedeutet; komplexe Systemzusammenhänge werden nicht überblickt; Informationen werden nicht an Kollegen weitergegeben; Entscheidungskompetenzen sind unklar verteilt; Fachkompetenz und Entscheidungskompetenz fallen personell auseinander; die Mitarbeiter sind auf die Bewältigung kritischer Situationen nicht hinreichend vorbereitet; die Sicherheit der eigenen Anlage wird überschätzt; die möglichen Umweltfolgen kleinerer Störfälle werden unterschätzt.

Solche personenbezogenen und organisatorischen Bedingungen industrieller Störfälle haben in den letzten Jahren zunehmend Beachtung in unterschiedlichen Bereichen der sozialwissenschaftlichen Forschung gefunden. Charles Perrow hat mit seinem 1987 in deutscher Sprache veröffentlichten Buch über „normale Katastrophen“ weit über die Fachöffentlichkeit hinaus Aufmerksamkeit gefunden. Die Ursachen der Katastrophenereignisse sieht Charles Perrow nicht im Versagen einzelner Systemkomponenten, sondern in der spezifischen Struktur bestimmter Hochrisikosysteme, etwa der Kernenergie. Die Komplexität dieser Systeme und die enge Koppelung der Systemkomponenten führten dazu, daß sich die im Prinzip unvermeidlichen Störungen in Teilsystemen nicht mehr beschränken lassen, sondern das Gesamtsystem lahmlegen, so daß es zu einem Systemunfall komme. Solche technischen Systeme hält Perrow für prinzipiell nicht beherrschbar und fordert ihre Abschaffung. Diese Folgerung ist abhängig von der gewählten Analyseebene. Betrachtet man mit Perrow großtechni-sehe Systeme wie die Kernenergie, die Raumfahrt oder die Seeschiffahrt als Ganzes, so geraten die Handlungsweisen einzelner Akteure aus dem Blick, sie erscheinen als unwesentlich, austauschbar, und sie versprechen keine Verbesserung der Gesamtsjtuation. Aus dieser Akzentuierung der Aufmerksamkeit auf die Makroebene des Systems ergeben, sich notwendig Einseitigkeiten in der Betrachtung der Phänomene und in deren Beurteilung. In umgekehrter Form, bei einer Aufmerksamkeitszentrierung auf die Mikroebene (z. B. das Wahmehmen, Urteilen und Handeln einzelner Akteure, Versagen von Teilkomponenten) ergeben sich natürlich ebenso Einseitigkeiten. Detailprobleme werden in ihrer Bedeutung überschätzt, die Gesamtzusammenhänge geraten aus dem Blick. Mikround Makrobetrachtungen technischer Systeme und der sich in ihnen abspielenden Störfallereignisse sind wissenschaftlich gleichermaßen möglich und legitim. Es gibt kein wissenschaftsimmanentes Kriterium, das zwangsläufig zur Präferierung der einen oder anderen Betrachtungsebene zwingt. Wohl aber liegt die eine oder die andere Sichtweise näher oder ferner, je nachdem, in welcher Urteilsposition sich ein Beobachter befindet:

Nehmen wir an, aus einem Chemieunternehmen wäre eine giftige Chemikalie in einen Fluß gelangt und hätte alles Leben in ihm auf Jahre vernichtet. Der Außenbeobachter eines solchen Ereignisses, der von ihm aus der Presse erfährt oder der die toten Fische auf dem Fluß schwimmen sieht, kommt vielleicht zu dem Urteil, daß es sich hierbei um einen Unfall handelt, der für Anlagen dieser Art in gewisser Weise typisch ist und sich immer wieder ereignen kann. Der Industriemeister, der die Anlage betreut hat, als es zu dem Unfall kam, wird ihn eher auf der Mikroebene analysieren. Er weiß, daß ein Ventil geklemmt hat, und er weiß vielleicht gleichzeitig, daß diese Art von Ventilen sonst gar nicht mehr verwendet wird und daß auch das Ventil, das da versagte, in den nächsten Tagen ausgetauscht werden sollte. Er kommt also aus seiner Sicht der Dinge zu dem Schluß, daß sich ein Unfall, so wie er sich ereignet hat, nicht mehr wiederholen kann.

Beide Urteilenden kommen zu unterschiedlichen Bewertungen des Vorgangs, weil sie diesen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Aus dem unterschiedlichen Auflösungsgrad der Betrachtungen ergeben sich möglicherweise Kontroversen, die in wechselseitige Anschuldigungen münden. Diejenigen, die die Ereignisse mit der „Systembrille“ sehen, können denen, die sie mit ihrer „Detailbrille“ sehen, Betriebsblindheit vorwerfen, während umgekehrt der Vorwurf mangelnder Detail-kenntnis (und das wird dann meist mit fehlender Fachkenntnis gleichgesetzt) erhoben werden kann.

III. Technisches versus menschliches Versagen

In der Sicherheitsforschung, aber auch in der betrieblichen Praxis ist es üblich geworden, zwischen technischem und menschlichem Versagen zu unterscheiden Läßt sich aber eine solche Unterscheidung in technisches und menschliches Versagen logisch durchhalten? Hat nicht jeder Störfall seine Ursache in menschlichem Verhalten? Kann Technik überhaupt versagen? Stellt dies nicht eine unzulässige Anthropomorphisierung von Technik dar? Handelt es sich nicht vielleicht um einen den Menschen von Verantwortung entlastende aber in der Sache unzulässige Attribuierung? Kurz: Machen wir es uns mit der Zuschreibung von Verantwortung für Fehler auf die Technik nicht zu einfach? Das sog. Versagen von Technik läßt sich — logisch betrachtet — vollständig mit Konstruktions-, War-tungsund/oder Bedienungsfehlern beschreiben. Dies gilt auch dann, wenn das diesen drei Kategorien zuordenbare Handeln dem Stand der Forschung und Technik und den Bedienungsvorschriften entspricht. Nehmen wir z. B. eine platzende Rohrleitung: Ein solcher Unfall kann auf einer zu schwachen Wandstärke des Rohres beruhen; er kann darauf zurückzuführen sein, daß ein Haarriß bei einer Inspektion nicht entdeckt wurde oder daß das Bedienungspersonal den Druckanstieg im Rohr nicht auf den Meßeinrichtungen registriert hat oder auf alles gemeinsam. Die Ursache für das Platzen des Rohres liegt jedenfalls nicht darin, daß das Material selbst gewissermaßen einen Fehler gemacht hat.

Fehler zu machen ist ein Privileg von Menschen, in dem oben genannten Beispiel des Konstrukteurs, des Wartungstechnikers oder dessen, der die Anlage bedient. Es ist eine ganz andere und weiterreichende Frage, worauf Fehler nun ihrerseits zurückzuführen sind: auf Fahrlässigkeit, auf mangelnde Ausbildung und mangelndes Wissen des einzelnen Handelnden oder auf einen allgemeinen Erkenntnismangel, der sich auf alle Fachleute bezieht. Während Fehler, die sich auf einen allgemeinen Erkenntnismangel zurückführen lassen, prinzipiell nicht vermieden werden können, lassen sich Fehler, die auf einem individuellen Handlungsbzw. Organisationsversagen beruhen, durch geeignete personenbezogene bzw.organisatorische Maßnahmen beeinflussen.

IV. Naturwissenschaftlich-technische Sicherheitsbewertung

Ausgangspunkt jeder Sicherheitsprävention ist eine Sicherheitsanalyse. Da Sicherheit nie vollständig herstellbar ist, lassen sich Sicherheitsanalysen nur in Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen, d. h. als Abschätzung von Risiken darstellen.

Sicherheitsanalysen erlauben Prognosen über das Verhalten technischer Systeme (z. B. einer chemischen Anlage). Da diese Systeme von Menschen konstruiert, gebaut, gewartet und bedient werden und da sie von physikalischen (z. B. Erdbeben) und sozialen Bedingungen (z. B. Sabotage) abhängen, liefern Sicherheitsanalysen Prognosen über das Verhalten eines Technik-Mensch-Systems in einer konkreten physikalisch-technischen und sozialen Umwelt. Diese Prognosen müssen als Anwendungen mathematischer Modellvorstellungen (z. B. Multiplikationstheorem von Wahrscheinlichkeiten) und naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten (z. B. Dehnungskoeffizient von Eisen) auf eine konkrete technische Anlage verstanden werden. Aus einer möglichst genauen Kenntnis des Zustandes der Anlage und der kausalen Abfolge möglicher Ereignisse soll eine Prognose auf die Wahrscheinlichkeit von Störfällen geleistet werden.

Störfallanalysen können also nur solche Ereignisse in ihr Kalkül einbeziehen, die von vornherein als mögliche kausale Ereignisabfolgen in den Blick genommen worden sind. Die Weite dieses Blicks aber wird eingeschränkt durch die Grenzen naturwissen17 schaftlicher und technischer Kenntnis und durch die Vorstellungskraft des Analytikers. Die Auswertung von Großunfällen hat immer wieder gezeigt, daß ihre Ursachen oft, wenn nicht zumeist in Ereignisketten bestehen, die in den Sicherheitsanalysen nicht bedacht wurden.

Ebenso wie wissenschaftliche Theorien kein vollständiges Abbild der Realität sind, auf die sie sich beziehen, und allenfalls die zu einem jeweiligen wissenschaftshistorischen Zeitpunkt bestmöglichen Realitätsabbildungen darstellen, sind Sicherheitsanalysen technischer Systeme günstigstenfalls die zu einem gegebenen Zeitpunkt und unter gegebenen Erfahrungen optimalen, auf rationalen Methoden basierenden Sicherheitsabschätzungen. Diese Sichtweise relativiert den Geltungsanspruch naturwissenschaftlich-technischer Sicherheitsanalysen. Ihr Anspruch auf Verbindlichkeit ist somit ebenso möglicher Gegenstand empirischer Betrachtung, wie die Geltung subjektiver Risikobewertungen. Naturwissenschaftlich-technische Sicherheitsbewertungen können damit nicht a priori im Vergleich zu subjektiven Risikobewertungen als überlegen angesehen werden.

V. Subjektive Risikobewertung

In Abgrenzung zu naturwissenschaftlich-technischen Risikoabschätzungen stellen subjektive Risikobewertungen intuitive Schätzungen von Gefährdungen dar, wie sie im Alltag (und natürlich auch im betrieblichen Alltag) vollzogen werden. Beide Formen der Risikobewertung stehen sich häufig als Experten-und Laienurteile gegenüber. Unterschiede zwischen Experten-und Laienurteilen werden von Experten häufig dadurch aufgelöst, daß sie Laienurteile ignorieren und als falsch ansehen: Naturwissenschaftliche Gefährdungsabschätzungen sehen sie als rational an, während sie auf Alltagsurteile gestützte Bewertungen oder auch Ängste als irrational bezeichnen.

Intuitive Risikoabschätzungen unterscheiden sich nicht allein in ihren Ergebnissen, sondern vor allem in der Art und Weise ihres Zustandekommens sowie in Art und Anzahl der Faktoren, die in die jeweiligen Betrachtungen einbezogen werden

Freiwilligkeit: Risiken, denen man sich freiwillig aussetzt, werden geringer bewertet.

Kontrolle: Ereignisse, die man durch eigene Aufmerksamkeit und eigenes Handeln kontrollieren zu können glaubt, werden als weniger gefährlich wahrgenommen.

Vertrautheit: Risiken, mit denen man vertraut ist, werden in ihrem Gefährdungspotential vergleichsweise unterschätzt.

Fairness: Risiken werden dann eher akzeptiert, wenn der Nutzen der zugrundeliegenden Handlung auch denen zugute kommt, die die Risiken tragen.

Katastrophenpotential: Ein Schadensfall mit vielen Betroffenen wird als Ausdruck eines größeren Risikos aufgefaßt, als viele Schadensfälle mit jeweils wenigen Betroffenen.

Verbundene Wahrscheinlichkeiten: Verbundene Wahrscheinlichkeiten werden tendenziell überschätzt.

Intuitive Risikobewertungen stellen eine zentrale Steuerungsgröße für das Handeln in Störfallsituationen dar. Der Mensch, der in einer Störfallsituation agiert, handelt auf der Basis seiner eigenen Risikoeinschätzung. Diese kann in unterschiedlichem Maße durch naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse geprägt sein. Sie ist jedoch nie frei von spontanen und intuitiven Situationsbewertungen

Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen Mangel, sondern geradezu um eine Voraussetzung für angemessenes Handeln in Störfallsituationen. Die Randbedingungen des konkreten und nicht vorhergesehenen Störfalls sind (im Nachhinein betrachtet) zwar wesentlich für seinen Verlauf, aber nur in den seltensten Fällen Bestandteil formaler Störfallanalysen. Die bekannten umweltrelevanten industriellen Störfälle zeichnen sich ja gerade dadurch aus, daß sie aus Situationen entstanden, die niemand vorhergesehen hat und vielleicht auch nicht vorhersehen konnte. Handeln in Störfallsituationen darf somit nicht allein in einem schematischen Abwickeln eines vorgegebenen Programms bestehen, es erfordert situationsangemessenes — möglicherweise sogar normabweichendes — Verhalten.

VI. Handeln in Störfallsituationen

Wilhelm Hacker schrieb 1986: „Je zuverlässiger ein technischer Systembestandteil ist, desto unzuverlässiger ist der im Ausnahmefall in ihm tätige Mensch.“ Diese These, die sich aus handlungstheoretischen Konzepten herleiten läßt, die aber auch durch arbeitspsychologische Erfahrungen gestützt wird, findet möglicherweise ihre Bestätigung in umweltrelevanten Störfallsituationen.

Bei vielen großtechnischen Anlagen mit hohem Gefährdungspotential dürfen bestimmte Fehler nicht auftreten. Der Zwang zur Fehlerlosigkeit aber verhindert ein Sammeln von Erfahrungen mit kritischen Situationen, so daß es dann in einer Störfall-situation für den oder die Handelnden schwer ist, das Richtige zu tun. Auf der Ebene der Beschreibung lassen sich einige Reaktionsformen in Störfall-situationen unterscheiden: — Verantwortung verlagern (z. B. Vorgesetzte holen), — Routinehandlungen durchführen, — sich an Vorschriften orientieren (Verlagerung der Verantwortung auf denjenigen, der die Vorschriften zu verantworten hat), — Informationen einholen, um Unsicherheiten abzubauen, a) nach schriftlichen Unterlagen bzw. Anweisungen suchen oder b) Kollegen hinzuziehen, — Problem ignorieren, — neues nicht durch in Routine festgelegtes Verhalten realisieren, — Generalisierung von Handlungsroutinen aus anderen Situationen bzw. aus anderen Wissenskontexten. Viele dieser Handlungen sind Formen von Flucht und Abwehr. Da eine nüchterne Problemanalyse in einer Krisensituation oft nicht möglich ist, finden Ersatzhandlungen statt. Diese stellen den Versuch dar, in einer chaotischen und für die Handelnden meist unüberschaubaren Situation überhaupt noch handlungsfähig zu bleiben. Die Berichte über die Handlungsabläufe bei eingetretenen Störfällen, die öffentliche Aufmerksamkeit erlangt haben, gleichen sich. So berichtet z. B.der Spiegel über das Verhalten von Technikern und Feuerwehr bei ei-nem Störfall in einem spanischen Kernkraftwerk, als ein Feuer im elektrischen Kabelsystem ausbrach:

Im Kontrollraum brach Panik aus. Die Techniker „schrien durcheinander und ergriffen die Flucht“. Bei Eintreffen der Feuerwehr „war kein einziger Techniker bereit, die Leitung der Löscharbeiten zu übernehmen“. Ohne Anleitung und Spezialausrüstung ging die Feuerwehr ans Werk. Die „arglosen Brandmeister befahlen . Wasser marsch'“. Niemand hatte ihnen mitgeteilt, daß Öl und Kabel brannten und deshalb die Verwendung von Löschschaum sinnvoller gewesen wäre. So geriet die Rettungsaktion fast zur Katastrophe. Das Löschwasser überflutete den Keller des Kraftwerks, und bei dem Versuch, es abzupumpen, wurde mehr Wasser abgesaugt als gespritzt wurde. Unklar blieb, wo es herkam. Der Direktor des Kraftwerks wurde mit halbstündiger Verspätung von den Ereignissen durch einen besorgten Bürger aus einer Telefonzelle unterrichtet.

Sicher kann man davon ausgehen, daß die Mehrzahl von Störfallsituationen durch die Mitarbeiter geordnet und sachgerecht bewältigt wird. Es treten aber offenkundig immer wieder Probleme auf, die für die Handelnden unüberschaubar sind und panikartige Reaktionen hervorrufen. Gemessen an der sicherlich großen Zahl routinemäßig bewältigter Störfallsituationen werden diese zu den Ausnahmen gehören. Aber solche Ausnahmen treten eben immer wieder auf und die Vorbereitung auf solche Situationen ist schwierig. Sie erfordern Kreativität und Verantwortungsbereitschaft. Die notwendigen Handlungen gleichen eher einem Versuch, Chaos organisatorisch zu bewältigen, als Handlungsroutinen korrekt abzuwickeln.

Will man situationsgerechtes Handeln in Störfall-situationen fördern, ist es notwendig, sich über Hindernisse Klarheit zu verschaffen, die einem problemangemessenen Verhalten im Wege stehen:

Personen, die im Normalbetrieb nur sehr begrenzte Tätigkeits-und Verantwortungsbereiche haben und zudem daran gewöhnt sind, nur die Weisungen der jeweiligen Vorgesetzten auszuführen, sind kaum in der Lage, sich bei Störfällen eigenverantwortlich und flexibel zu verhalten. Ihr Verhalten wird beispielsweise in der Fortsetzung des „Normalverhaltens“ unter besonderen Bedingungen bestehen.

Kreatives, sicherheitsbewußtes Verhalten zahlt sich dann nicht aus, wenn im Nachhinein nicht eindeutig klar wird, daß ein solches Verhalten unumgänglich war. Nehmen wir an, der Werkmeister in Tschernobyl hätte das Kraftwerk bei der ersten ihm bewußt werdenden Unregelmäßigkeit des Betriebs abgeschaltet. Was wäre wohl mit ihm geschehen? Mit einiger Sicherheit hätten ihm die Experten später nachgewiesen, daß die Situation, auf die er reagierte, völlig ungefährlich und seine Reaktion geradezu hysterisch war. Dies hätte vermutlich zur Folge gehabt, daß man ihm die Eignung für diesen Arbeitsplatz abgesprochen hätte, weil durch seine unangemessene Reaktion dem Werk ein großer Schaden entstanden sei. Eine solche Reaktion kann ein einigermaßen intelligenter Mensch natürlich vorhersehen. Das heißt aber in der Konsequenz, daß ein „vernünftiger“, seine persönlichen Chancen mit einkalkulierender Arbeiter erst dann auf einen Störfall mit einer einschneidenden Maßnahme reagieren wird, wenn er sicher sein kann, daß die Katastrophenträchtigkeit der Situation auch im Nachhinein jedem evident sein muß. Dann aber kann es möglicherweise bereits zu spät sein, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Solche und ähnliche psychischen und organisatorischen Rahmenbedingungen steuern den Ablauf eines Störfalls mit. Es ist eine Aufgabe der Prävention. diese zu beachten und adäquat zu gestal-ten, wobei die zentrale Schwierigkeit darin besteht, Mitarbeiter und Organisationen auf das Unvorhergesehene vorzubereiten. Erweiterung von Flexibilität und Handlungskompetenz werden hier möglicherweise zentrale Leitlinien darstellen.

In Krisensituationen, die in ihren Auswirkungen über die Werksgrenzen hinausreichen, müssen nicht allein werksinteme Prozesse berücksichtigt werden; darüber hinaus ist es u. U. erforderlich. die Öffentlichkeit zu informieren. Eine Einbeziehung der Öffentlichkeit darf nicht allein unter Akzeptanzgesichtspunkten gesehen werden. Sie stellt eine Voraussetzung für die Möglichkeit eines sachgerechten Krisenmanagements dar. Hierbei ist die Glaubwürdigkeit der Informationen, die vom Unternehmen ausgehen, außerordentlich wichtig. Diese kann jedoch nicht mehr in der Störfallsituation selbst erzeugt werden; sie muß vielmehr bereits vorher durch einen permanenten offenen Dialog zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit entstehen.

Die Erfahrungen zeugen von der Schwierigkeit, in Störfallsituationen, die in ihren Auswirkungen über die Werksgrenzen hinausreichen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß sie sich selbst schützen muß. Obwohl Katastrophen hohe öffentliche Aufmerksamkeit genießen, kann man Menschen nur schwer davon überzeugen, daß sie selbst handeln müssen. Im allgemeinen herrscht Desinteresse und Optimismus vor. Der Optimismus hält bis in bereits eingetretene Katastrophensituationen hinein an: Studien zu Three Miles Islands (1979) und zu anderen Katastrophen zeigen, daß Menschen auf eine einzelne Information oder Empfehlung aus einer einzigen Quelle hin nicht flüchten. Sie beginnen zunächst nach Informationen aus anderen Quellen zu suchen. Die Glaubwürdigkeit von Informanten in Störfallsituationen hängt von ihrer wahrgenommenen Kompetenz (Intelligenz, Autorität, Erfahrung, Fairneß, Objektivität. Altruismus) und von weiteren bestimmten Fähigkeiten wie Sprachfähigkeit, Vermeidung von Jargon, Verdeutlichung technischer Zusammenhänge, Fähigkeit zuzuhören, Feedback zu geben und auf Emotionen zu reagieren ab

VII. Praktische Handlungsansätze

Die personenbezogenen und organisatorischen Bedingungen der Störfallgenese wie das öffentliche Interesse an umweltrelevanten Störfallsituationen erfordern die (Weiter-) Entwicklung praktischer Handlungsformen, die sowohl die Eintrittswahr-schcinlichkeit solcher Ereignisse vermindern als auch einen Dialog zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit ermöglichen. Drei Handlungsansätze, die diesen Forderungen in unterschiedlicher Weise dienen können, werden im folgenden dargestellt. 1. Innerbetriebliche Risikokommunikation Die innerbetriebliche Verständigung über umwelt-relevante Störfallpotentiale muß weiterentwickelt werden. Hierbei kann an ein in der Regel gegebenes hohes Umweltbewußtsein der Mitarbeiter angeknüpft werden. Es geht also weniger um die Förderung von „Bewußtsein“, als um die Entwicklung von Kompetenzen im Unternehmen. Bei komplexen Steuerungsproblemen, wie sie in Störfallsituationen auftreten, sollte in besonderer Weise das Augenmerk auf heuristische Problemlösungsstrategien (Entwicklung von Finderegeln) gelegt werden

Das Wissen um eine sicherheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes liegt nicht allein bei denjenigen, die als Techniker oder Unternehmensleiter die Arbeitsbedingungen festlegen. Es wird in seiner Vielschichtigkeit im alltäglichen Umgang mit den Techniken erworben In einer Studie von Hans-Joachim Fietkau und Detlef Timp konnte am Beispiel von Fahrern im Gefahrguttransport gezeigt werden, daß informellen Kommunikationsprozessen zwischen den Mitarbeitern im Vergleich zu offiziellen Unternehmensinformationen eine herausragende Bedeutung bei der Bewältigung der Arbeit und der Beurteilung der eigenen beruflichen Risiken zukommt.

Verantwortungsgefühl, Informationsverhalten und Motivation zur Vermeidung von Umweltbelastungen bei den Mitarbeitern sprechen dafür, sie stärker als bislang üblich in die Entwicklung und Umsetzung von Sicherheitskonzeptionen einzubeziehen. Dieses Defizit in der Nutzung von Kompetenz ließe sich u. a. durch Risiko-Zirkel (in Analogie zu Qualitäts-Zirkeln) auffangen, in denen ein geleiteter Erfahrungsaustausch sowohl zwischen den Mitarbeitern als auch zwischen ihnen und der Untemeh-mensführung stattfindet. Solche Risiko-Zirkel können ein Instrument zum Austausch informellen Erfahrungswissens im Umgang mit risikoträchtigen Techniken darstellen.

Das informelle Erfahrungswissen der Mitarbeiter ist für die Vermeidung von Störfallsituationen außerordentlich wichtig. Es ist aber offensichtlich leicht störbar. So konnten Paul S. Goodman und Steven Garber 1988 bei einer Untersuchung in Kohlebergwerken zeigen, daß bereits nach kurzfristigen Abwesenheiten vom Arbeitsplatz (durch Krankheit oder Urlaub) die Vertrautheit mit dem eigenen Arbeitsplatz soweit absinken kann, daß sich ein deutlich höheres Auftreten von Unfällen nachweisen läßt 2. Kommunikation mit der Öffentlichkeit Umweltrelevante Störfälle sind Gegenstand öffentlichen Interesses. Ebenso, wie es erforderlich ist, innerbetrieblich geeignete Kommunikationsformen über die potentiellen Umweltrisiken zu entwickeln, ist es notwendig, einen öffentlichen Diskurs über die Produktionsrisiken zu führen. Hierbei wird auch im Interesse der Unternehmen Transparenz ein vorherrschendes Leitmotiv sein müssen.

Billi Jo Hance, Carol Chess und Peter Sandman haben eine Handanweisung zur Risikokommunikation für das „New Jersey Department of Environmental Protection“ entwickelt Regierungsstellen sollen damit befähigt werden, mit der Öffentlichkeit effektiver über Risiken zu kommunizieren. Effektiv bedeutet hierbei nicht, eine schlechte Politik durch gute Kommunikation zu verkaufen. Eine effektive Kommunikation kann aber dabei helfen. — die öffentliche Wahrnehmung von Risiken besser zu verstehen und die Reaktionen der Öffentlichkeit zuverlässiger einzuschätzen, — das Risikomanagement zu verbessern durch eine Beteiligung der betroffenen Bevölkerung, — Dialog zu fördern und unfruchtbare Spannungen zwischen Regierungseinrichtungen und Öffentlichkeit zu vermindern, — Risiken effizienter zu erklären und — die Bürger zu lehren, mit Risiken vorsichtig und produktiv umzugehen.

Die Vielzahl von Einzelhinweisen lassen sich mit Hance u. a. in einer allgemein gefaßten Anweisung zusammenfassen: Richte genausoviel Aufmerksamkeit auf die Sorgen und Ängste der Öffentlichkeit wie auf wissenschaftliche Erkenntnisse und vermeide es gleichzeitig, die Fähigkeit der Öffentlich-keit, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verstehen, zu unterschätzen.

Die sehr differenzierte Handanweisung von Hance u. a. kann hier nicht in ihren Einzelheiten wiedergegeben werden. Die Leitgedanken können aber zu theoretischen Grunddimensionen zusammengefaßt werden. Diese sind im Rahmen der personenorientierten Psychologie als Beschreibungsdimensionen für psychotherapeutische Kommunikationsprozesse entwickelt worden Sie erweisen sich auch im Zusammenhang der Kommunikation zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit über Risikofragen als tragfähig

— Eingehen auf den inneren Bezugsrahmen des anderen, als der Versuch, die Problemsicht des Partners zu verstehen; — Offenheit, als der Versuch, z. B. die eigenen Kenntnislücken nicht zu verbergen;

— Kongruenz, als der Versuch, Denken, Reden und Handeln in einen Einklang zu bringen;

— Konkretheit als der Versuch, komplexe Sachverhalte anschaulich und dennoch richtig zu vermitteln; — Prozeßorientierung, als der Versuch, nicht nur über Abgeschlossenes zu berichten, sondern den anderen in die Überlegungen über das weitere Vorgehen einzubinden.

Die Berücksichtigung der hinter diesen Leitprinzipien stehenden Kommunikationstechniken in der Risikokommunikation des Unternehmens mit der Außenwelt kann die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit von Unternehmen erhöhen. Ein öffentlicher Diskurs über industrielle Umweltrisiken wird so ermöglicht. So trivial diese Leitprinzipien klingen mögen, so schwer ist es jedoch offensicht-lich im konkreten Einzelfall, sie zu realisieren. 3. Mediation Unter Mediation wird eine soziale Technik verstanden, mit deren Hilfe (Interessen-) Konflikte zwischen zwei oder mehr Parteien unter Hinzuziehung eines neutralen Dritten beigelegt werden können. Das Ziel des Mediations-Verfahrens besteht in der Suche nach Problemlösungen, die für alle am Konflikt Beteiligten akzeptabel sind und durch die oft zeitaufwendige und im Ergebnis nicht immer befriedigende gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Das wechselseitige Ausloten von Handlungsspielräumen und die Suche nach neuen Lösungen kennzeichnet den Mediations-Prozeß.

Aushandlungsprozesse zwischen Industrie, Politik und Öffentlichkeit sind heute möglicherweise weniger eine Frage der Durchsetzung von Interessen als ein Vermeiden von Fehlwahmehmungen und Miß-interpretationen des anderen sowie mangelnder Reflexion des eigenen Standpunkts. Ein Mediations-Prozeß, der eher auf die Erweiterung von Perspektiven der Beteiligten abhebt, kann dieser Sachlage gerecht werden.

Mediationsverfahren stellen ein Instrument dar, mit dem konfligierende Beurteilungen von Umweltrisiken einer sachgerechten Behandlung und Entscheidung zugänglich werden. Gail Bingham analysierte die Erfolge von 161 Mediations-Verfahren, die in den USA bis 1984 in bezug auf Umweltkonflikte durchgeführt wurden. Seit 1973 gab es in den USA eine ständig wachsende Zahl von Umweltkonflikten, zu deren Lösung Mediatoren eingeschaltet wurden: 1977: 9, 1978: 11. 1979: 19 und bis Mitte 1984 mehr als 160. Überall in den USA entstanden kommerzielle und nichtkommerzielle Einrichtungen, die sich aufdie Vermittlung in Umweltkonflikten spezialisierten.

In 29 der 161 von Gail Bingham untersuchten Fälle (Standortkonflikte und Politikdialoge) ging es um eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Beteiligten. In 132 Fällen wurde eine konkrete Verabredung angestrebt, davon waren 99 Standortkonflikte und 33 Politikdialoge. In 103 Fällen (78 Prozent) kam es zu einer Übereinkunft, in 29 Fällen wurde diese nicht erreicht. Bei Standortkonflikten einigte man sich in 79 Prozent und bei Politikdialogen in 76 Prozent der Fälle. Bei Standortkonflikten wurde in 80 Prozent der Fälle die gefundene Lösung in die Realität umgesetzt, 13 Prozent wurden teilweise implementiert und nur bei 7 Prozent gelang dies nicht. In Politikdialogen wurden nur 41 Prozent voll implementiert, 18 Prozent teilweise und 41 Prozent nicht umgesetzt.

In der Bundesrepublik Deutschland sind Mediations-Verfahren zur Lösung von Umweltkonflikten bislang wenig verbreitet. Inzwischen wird in der juristischen und verwaltungswissenschaftlichen Forschung eine sich verstärkende und kontrovers geführte Diskussion zur Integrierbarkeit solcher Verfahren in das Rechts-und Verwaltungssystem der Bundesrepublik geführt Wie immer man auch die rechtliche und administrative Problematik von Meditionsverfahren beurteilt: Ließen sich in der Bundesrepublik ähnliche Erfolge wie in den USA bei umweltrelevanten Streitfällen, etwa bei Standortentscheidungen von Sondermüllverbrennungsanlagen, erreichen, könnte dies gegenüber den häufig entstehenden rechtlichen Pattsituationen einen erheblichen Fortschritt bedeuten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bekanntmachung der Zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immisionsschutzgesetzes (Störfallverordnung) vom 12. Mai 1988, in: Presseinformation, hrsg. vom TUV Stuttgart, 6. Juli 1988.

  2. Wenn im Folgenden von „Störfall“ die Rede ist, sind nicht allein Störfälle gemeint, die der Störfallverordnung unterliegen, sondern auch unterschiedlichste krisenträchtige Störungen im Produktionsablauf.

  3. Vgl. Charles Perrow, Normale Katastrophen. Die unvermeidbaren Risiken der Großtechnik, Frankfurt-New York 1987.

  4. Vgl. Karl-Johann Hartig, Störfälle in der chemischen Industrie, in: Informationen zur Umweltpolitik, Nr. 53: Chemiepolitik, hrsg. vom Institut für Wirtschaft und Umwelt des österreichischen Arbeiterkammertages, (1988), S. 74— 107.

  5. Vgl. Andreas F. Fritzsche. Wie sicher leben wir? Risikobeurteilung und -bewältigung in unserer Gesellschaft, Köln

  6. Vgl. Helmut Jungermann. Zur Wahrnehmung und Akzeptierung des Risikos von Großtechnologien, in: Psychologische Rundschau. 33 (1982) 3, S. 217-238; Daniel Kahnemann/Paul Slovic/Amos Tversky (Hrsg.), Judgement under Uncertainty. Heuristics and Biases, Cambridge 1982.

  7. Vgl. Franz Ruppert/. Adelheid Ettemeier, Gefahrstoffe als Wissensanforderungen, in: Zeitschrift für Arbeits und Organisationspsychologie, 32 (1988) 3, S. 118— 127.

  8. Wilhelm Hacker. Arbeitspsychologie. Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten, in: Schriften zur Arbeitspsychologie, hrsg. von Eberhard Ulich, Bd. 41, Bern 1986, S. 420.

  9. Vgl. Panik im Kontrollraum, in: Der Spiegel. Nr. 44 vom 30. Oktober 1989, S. 301-304.

  10. Vgl. Vincent T. Covello/Paul Slovic/Detlef von Winter-feld, Disaster and Crisis Communication: Findings and Im-plications for Research and Policy, in: Helmut Jungermann/Roger E. Kasperson/Peter Wiedemann (Hrsg.). Themes and Tasks of Risk Communication. Proceedings of the international Workshop on Risk Communication held at the KFA Jülich, October 17-21, 1988, Jülich 1988, S. 131-154.

  11. Vgl. Meinolf Dierkes/Hans-Joachim Fietkau, Umweltbewußtsein — Umweltverhalten, hrsg. vom Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Stuttgart 1988; Hans-Joachim Fietkau, Bedingungen ökologischen Handelns, Weinheim

  12. Vgl. Karlheinz Sonntag/Niclas Schaper, Kognitives Training zur Bewältigung steuerungstechnischer Aufgabenstellungen, in: Zeitschrift für Arbeitsund Organisationspsychologie, 32 (1988) 3, S. 128-138.

  13. Hierbei darf natürlich auch nicht übersehen werden, daß durch Alltagsroutine und Alltagserfahrungen ungerechtfertigte Sicherheitsüberzeugungen bei den Mitarbeitern entstehen können.

  14. Vgl. Hans-Joachim Fietkau/Detlef Timp, Einstellungen und Kognitionen gegenüber Umweltrisiken im beruflichen Alltag. Bericht über eine empirische Untersuchung bei Fahrern im Gefahrgut, Wissenschaftszentrum Berlin, Forschungsschwerpunkt II, paper 89— 308, 1989.

  15. Vgl. Paul S. Goodman/Steven Garber, Absenteeism and Accidents in a Dangerous Environment: Empirical Analysis of Underground Coal Mines, in: Journal of Applied Psychology, 73 (1988) 1, S. 81-86.

  16. Billi Jo Hance/Carol Chess/Peter M. Sandman, Improving Dialogue with Communities: A Risk Communication Manual for Government, Environmental Communication Research Program, New Jersey Agricultural Experiment Station, Rutgers University. New Brunswick 1988.

  17. Vgl. Eva Biermann-Ratjen/Jochen Eckert/Hans-Joachim Schwarz, Gesprächspsychotherapie. Verändern durch Verstehen, Stuttgart etc. 1979; Carl R. Rogers, On Becoming a Person, New York 1961.

  18. Vgl. Hans-Joachim Fietkau, Personenzentrierter Um-gang mit industriellen Risiken, Vortrag vor der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie Köln, 1989 (i. E.).

  19. Vgl. Gail Bingham, Resolving Environmental Disputes. A Decade of Experience, Washington 1986.

  20. Vgl. Eberhard Bohne, Informales Verwaltungs-und Regierungshandeln als Instrument des Umweltschutzes, in: Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Ver-waltungspolitik, 75 (1984) 4, S. 343-373.

Weitere Inhalte

Hans-Joachim Fietkau, Dr. phil., geb. 1946; Studium der Psychologie an der TU Berlin; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin. Veröffentlichungen: Zahlreiche Buch-und Zeitschriftenveröffentlichungenzu den ThemenbereichenVerhaltensmodifikation und Umweltpsychologie.