Im siebenten Jahr eines anhaltenden Konjunkturaufschwungs ist die Beschäftigtenzahl in der Bundesrepublik beinahe wieder so hoch wie 1980; allerdings ist es vor allem die Zunahme der Auszubildenden und der Teilzeitbeschäftigten, die dieser positiven Entwicklung zugrunde liegt. Die Zahl der Erwerbstätigen ist schneller gestiegen, als das Arbeitsvolumen zugenommen hat — eine Entwicklung, die deutlich macht, daß es einen engen Zusammenhang zwischen Arbeitszeitpolitik und Beschäftigung gibt. Angesichts einer aktuellen registrierten Arbeitslosigkeit von knapp zwei Millionen und gestützt auf Projektionsrechnungen bis zum Jahr 2000 ist nicht davon auszugehen, daß sich die Arbeitsmarktprobleme „von selbst“ lösen werden. Beschäftigungspolitische Initiativen sind weiterhin notwendig; einen zentralen Punkt werden dabei Politiken zur Arbeitsumverteilung bilden. Arbeitsumverteilungspolitiken wie Wochenarbeitszeitverkürzung, Abbau von Überstunden, Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung oder Einführung von Elternurlaub oder Bildungsurlaub zielen daraufab, das Arbeitsvolumen umzuverteilen, ohne den Erwerbs-status der Beschäftigten zu verändern. Durch die Verminderung der Arbeitszeit bisher Beschäftigter sollen neue Beschäftigungsmöglichkeiten bisher Nicht-Erwerbstätiger geschaffen werden. Aufeine Umverteilung ohne Erhöhung der Beschäftigung zielen Politiken wie Frühverrentung und Vorruhestand, bei denen ein Teil der Erwerbspersonen (z. B. Ältere) zugunsten anderer ausscheidet. Analysiert man die bisher betriebenen Arbeitsumverteilungspolitiken, so läßt sich deren Beschäftigungswirksamkeit belegen; allerdings scheint es angesichts der anhaltenden Arbeitsmarktprobleme notwendig, diese Maßnahmen zu forcieren: Neben einer weiteren Verkürzung der Wochenarbeitszeit und einer Begrenzung der Überstunden sind vor allem garantierter Eltern-und Bildungsurlaub ein geeignetes Mittel, gesellschaftspolitische Zielsetzungen (Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Qualifizierungsmöglichkeiten) mit Arbeitsumverteilung zu verbinden. Eine Flexibilisierung der Arbeits-und Betriebszeiten wird dagegen gesamtwirtschaftlich nur bedingt positive Beschäftigungswirkungen haben.
I. Einleitung
Die Bundesrepublik erlebt seit 1982 — dem letzten Rezessionsjahr — einen anhaltenden Konjunktur-aufschwung, der nun offenbar auch Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt zeigt: Die Arbeitslosenzahl lag im Oktober 1989 mit rund 9 Milhonen Personen unter dem Höchststand von 1985 mit jahres-durchschnittlich 2, 3 Millionen Arbeitslosen. Sind damit die arbeitsmarktpolitischen Verheißungen eines beschäftigungswirksamen Wirtschaftswachstums nun doch eingetreten, die so häufig beschworen wurden? Geht der Industriegesellschaft nun doch nicht die Arbeit aus? Sind mit dieser Entwicklung Überlegungen hinsichtlich zusätzlicher beschäftigungsfördernder Maßnahmen wie beispielsweise der Arbeitszeitverkürzung überflüssig geworden?
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Übersicht 1: Klassifikation unterschiedlicher Arbeitsumverteilungspolitiken nach der direkten beschäftigungspolitischen Zielsetzung
Übersicht 1: Klassifikation unterschiedlicher Arbeitsumverteilungspolitiken nach der direkten beschäftigungspolitischen Zielsetzung
Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklungen sind noch immer nahezu zwei Millionen Personen als Arbeitslose registriert. Es kann also weder kurz-noch mittelfristig von einem entspannten Arbeitsmarkt die Rede sein. Im Zentrum unserer Überlegungen steht daher, daß weiterhin offensive Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig sind. Wir konzentrieren uns dabei auf die beschäftigungspolitischen Potentiale der Arbeitsumverteilungspolitik, die ja nicht nur die Wochenarbeitszeitverkürzung, sondern auch Teilzeitarbeit, Eltemurlaub, Bildungsurlaub etc. umfaßt. Dabei muß immer wieder betont werden, daß diese Maßnahmen nicht allein beschäftigungspolitisch motiviert sind, ja die beschäftigungspolitische Wirkungskomponente häufig nur ein „Nebenprodukt“ ist, was allerdings die Einführung solcher arbeitszeitpolitischen Maßnahmen gerade bei Massenarbeitslosigkeit begünstigt, weil in dieser Situation keine Konkurrenz zu anderen Zielen besteht.
Zunächst werden wir die aktuelle Arbeitsmarkt-und Beschäftigungsentwicklung kurz diskutieren und anschließend die verschiedenen Arbeitsumverteilungspolitiken nach ihrer Zielsetzung systematisieren. Es folgt eine Auseinandersetzung mit zentralen Kritikpunkten an der Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungspolitik. In Teil III wird dann eine detailliertere Diskussion spezifischer Politiken präsentiert.
II. Beschäftigungsentwicklung und Systematisierung von Arbeitsumverteilungspolitik
Abbildung 7
Tabelle 2: Die Entwicklung der Beschäftigung und ihrer Komponenten sowie des Bruttoinlandsprodukts in der Bundesrepublik seit 1977 Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit; Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung; Ifo-Institut.
Tabelle 2: Die Entwicklung der Beschäftigung und ihrer Komponenten sowie des Bruttoinlandsprodukts in der Bundesrepublik seit 1977 Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit; Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung; Ifo-Institut.
1. Die Beschäftigungsentwicklung im Aufschwung der achtziger Jahre Mit einer zeitlichen Verzögerung folgte dem erhöhten Wirtschaftswachstum auch die gestiegene Zahl der Erwerbstätigen und der abhängig Beschäftigten. Der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes hatte bereits 1982 seinen tiefsten Stand erreicht, die Zahl der Erwerbspersonen erreichte ihr vorläufiges Minimum jedoch erst in den Jahren 1983 und 1984 (vgl. Tabelle 2). Die Arbeitslosigkeit nahm sogar bis 1985, dem Höchststand der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik mit jahresdurchschnittlich rund 2, 3 Millionen Arbeitslosen (vgl. Tabelle 1), zu.
Die Tatsache, daß der wirtschaftliche Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt nicht sichtbar wurde, wird mit der „demographischen Welle“ begründet, die zur Folge hatte, daß mehr Jugendliche auf den Arbeitsmarkt traten, als ältere Arbeitnehmer ausschieden. So betrug der Zustrom aus Vollzeitschulen in den Arbeitsmarkt 1986 rund 1, 2 Millionen Personen, wohingegen nur rund 0, 5 Millionen Personen das Erwerbssystem in Ruhestand und Erwerbsunfähigkeitsrente verließen 1) Diese Relationen ergaben sich, obwohl die Vorruhestandsregelung von 1984 sowie die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), wonach ältere Arbeitslose dem Arbeitsmarkt trotz Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung nicht mehr zur Verfügung stehen müssen, das Ausscheiden Älterer begünstigten. Beide Maßnahmen wirkten arbeitsangebotsmindernd und reduzierten im letzten Falle sogar direkt die registrierte Arbeitslosigkeit. Von den politisch Verantwortlichen wurde längere Zeit immer wieder betont, daß zwar der Aufschwung noch nicht deutlich an den Arbeitslosen-zahlen abzulesen sei, aber doch eine beachtliche Zunahme der Beschäftigung erreicht wurde. Es lohnt sich deshalb, die Beschäftigungsentwicklung und ihre Komponenten genauer zu betrachten. Die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt — also der abhängig und der selbständig Beschäftigten — hat 1988 nahezu den bisherigen Höhepunkt von 1980 erreicht (vgl. Tabelle Die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse übertrafen 1988 sogar den Wert von 1980. Diese Entwicklung ging allerdings zu einem Gutteil auf die Zunahme der Auszubildenden zurück, die aufgrund des dualen Berufsbildungssystems auch einen Beschäftigungsvertrag haben.
Vollzeitige Beschäftigungsverhältnisse (mehr als 36 Stunden pro Woche) haben dagegen nur in sehr bescheidenen Maße zugenommen. Es sind vor allem Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse und die Zahl der Auszubildenden, die den positiven Trend bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bestimmt haben. Bei der Entwicklung der Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse ist zudem zu berücksichtigen, daß hier auch die tariflichen Arbeitszeitverkürzungen einen positiven Beitrag geleistet haben (vgl. dazu weiter unten). Hinzu kommen noch Sondereinflüsse wie die Einführung des Erziehungsurlaubes, die die statistisch ermittelte Beschäftigtenzahl um rund 66 000 (1986) erhöhte 2).
Löst man sich von der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse und betrachtet die insgesamt gearbeitete Stundenzahl in der Volkswirtschaft (zum Arbeitsvolumen vgl. Tabelle 2). so sieht man. daß seit 1985 zwar ein leicht positiver Trend beim Arbeitsvolumen festzustellen ist, diese Zunahme aber weit geringer ausfällt als die Zunahme der Beschäftigten-zahl: Das Arbeitsvolumen nahm von 1985 bis 1988 nur um rund 0, 5 Prozentpunkte zu. wohingegen die Zahl der Erwerbstätigen im gleichen Zeitraum um rund 2. 3 Prozentpunkte zunahm. Offensichtlich ist die Zahl der Erwerbstätigen nicht nur von der Entwicklung des Wirtschaftswachstums und des Arbeitsvolumens abhängig, sondern hängt wesentlich von der Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitszeit ab, die durch die Wochenarbeitszeitverkürzung, Urlaubszeiten, Freistellungszeiten und den Teilzeiteffekt beeinflußt wird.
Die längerfristige Entwicklung der Komponenten des Arbeitsmarktgeschehens in der Bundesrepublik zeigt deutlich, daß das Wirtschaftswachstum selbst in den „Goldenen Sechziger Jahren“ mit einer Steigerungsrate von rund fünf Prozent im Zehn-Jahres-Durchschnittdie Erwerbstätigenzahl insgesamt nicht erhöhen konnte. Diese blieb vielmehr ungefähr konstant, und die Zahl der insgesamt gearbeiteten Stunden ging auch während der sechziger Jahre zurück. Das insgesamt stabile Beschäftigungsniveau wurde also auch in den sechziger Jahren durch eine sinkende durchschnittliche Arbeitszeit erreicht.
Die während der sechziger Jahre in der Bundesrepublik aufgetretene Arbeitskräfteknappheit und die daraus resultierende Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer ist nicht allein durch das damalige relativ hohe Wirtschaftswachstum zu erklären, sondern auch darin begründet, daß es gleichzeitig zu einem Rückgang des einheimischen Erwerbsperso39 nenpotentials kam. Dieses ging — neben demographischen Ursachen — auch auf institutioneile Faktoren zurück, wie z. B. die Einführung der dynamisierten Rente und die Mitte der sechziger Jahre einsetzende verstärkte Bildungsbeteiligung breiterer Bevölkerungsschichten
Unstrittig wäre es ohne das Wirtschaftswachstum der sechziger Jahre zu einer ungünstigeren Beschäftigungsentwicklung gekommen, aber es ist festzuhalten. daß das damalige Wirtschaftswachstum allein auch in der für heutige Zeiten außerordentlichen Größenordnung nicht zu einer höheren Zahl der insgesamt gearbeiteten Stunden — dem validesten Indikator für die Überprüfung des Zusammenhanges von Wirtschaftswachstum und Arbeitsvolumen — geführt hat. Zu einer Entwarnung auf dem Arbeitsmarkt gibt die gegenwärtige Entwicklung wesentlicher Arbeitsmarktindikatoren wie auch deren langfristige Entwicklung keinen Anlaß. Gestärkt wird die Notwendigkeit beschäftigungs-und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen auch durch die Projektionen der Arbeitsmarktbilanzen durch das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB), die selbst bei Gegenüberstellung der günstigsten Arbeitsangebots-und der günstigsten Arbeitsnachfragevariante noch eine Arbeitsplatzlücke von rund einer Million für das Jahr 2000 projizieren. Alle anderen Varianten kommen zu einer Arbeitslosigkeit in weit größerem Maße.
Die Arbeitsmarktprobleme erledigen sich nicht „von selbst“, vielmehr sind auf absehbare Zeit beschäftigungspolitische Initiativen notwendig, um einem Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt wieder näher zu kommen. Dabei kommt den Beschäftigungspotentialen verschiedener Varianten der Arbeitsumverteilungspolitik eine besondere Bedeutung zu. 2. Klassifikation von Arbeitsumverteilungspolitiken Unter dem Stichwort „Arbeitsumverteilung“ werden so unterschiedliche Maßnahmen wie die tarifliche Wochenarbeitszeitverkürzung, vermehrte Teilzeitarbeit, Überstundenabbau, Verkürzung der Lebensarbeitszeit sowie Bildungs-und Erziehungsurlaub diskutiert. Wir wollen deshalb zunächst die verschiedenen Formen der Arbeitsumverteilungspolitik allgemein diskutieren und sie hinsichtlich ihrer möglichen beschäftigungspolitischen Zielsetzungen klassifizieren. Arbeitszeitverkürzungspolitik — oder allgemeine Arbeitsumverteilungspolitik — kann in ihrer beschäftigungspolitischen Zielsetzung dahin gehend differenziert werden, ob sie auf eine Umverteilung des Arbeitsvolumens bei einer Erhöhung der Zahl der beschäftigten Personen oder lediglich aufeine Umverteilung des Arbeitsvolumens zwischen einzelnen Gruppen gerichtet ist. Arbeitsumverteilungspolitiken können weiter dahingehend differenziert werden, ob sie auf eine Verringerung der Arbeitslosigkeit durch Beeinflussung des Arbeitsangebotes — der Erwerbspersonenzahl — setzen oder ob sie versuchen, die Arbeitslosigkeit bei gleichbleibender Erwerbspersonenzahl zu vermindern.
Die Arbeitszeitverkürzungspolitiken auf der linken Seite der Übersicht 1 sind auf die Verminderung der gearbeiteten Stunden je Beschäftigten gerichtet, lassen ihren Erwerbsstatus aber unberührt. Dies gilt auch für die Politiken, die die Reduzierung der Arbeitszeit zeitlich konzentrieren, wie beispielsweise Erziehungsurlaub und Bildungsurlaub. Die drei genannten Politiken unterscheiden sich jedoch grundsätzlich von den auf der rechten Seite von Übersicht 1 genannten Politiken durch die Beibehaltung des Beschäftigtenstatus derjenigen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen. Allerdings ist dieses mit einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und damit mit einem Wechsel des Erwerbsstatus verbunden. Reduzierungen der Rentenaltersgrenze — sei es durch Vorruhestandsregelungen. „ 59er Regelungen“ oder andere Maßnahmen — sind nicht auf eine Erhöhung der Zahl beschäftigter Personen gerichtet, sondern sie zielen auf eine Umverteilung der Beschäftigungschancen, denn es sollen ältere Beschäftigte aus dem Erwerbsleben ausscheiden und jüngeren Arbeitnehmern damit eine Beschäftigungschance geboten werden. Es geht also hier um eine intergenerationale Umverteilung der Arbeit, die zwar zum Abbau der Arbeitslosigkeit geeignet sein kann, aber nicht auf eine Erhöhung der Beschäftigtenzahl gerichtet ist. Vielmehr kann diese Politik sogar beschäftigungsmindemd wirken, wenn nicht alle freiwerdenden Arbeitsplätze erneut besetzt werden.
Die Inanspruchnahme einer Rente führt in der Regel zum unwiderruflichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dies ist solange kein Problem, wie die Inanspruchnahme der Rente aufgrund einer freiwilligen Entscheidung erfolgt. Problematisch ist es aber, wenn ältere Arbeitnehmer in Rente „gezwungen“ und so dauerhaft marginalisiert werden Eine andere Zielsetzung verfolgt dagegen eine Teil-rente, bei der die Arbeitszeit der Beschäftigten reduziert wird, die betroffenen Arbeitnehmer jedoch im Erwerbsleben verbleiben. Gesellschaftspolitisch — aufgrund demographischer Entwicklungen sind zukünftig steigende Rentenbeiträge und damit intergenerationale Verteilungskonflikte zu erwarten — erscheint eine weitere Reduzierung der Rentenaltersgrenze kaum noch sinnvoll. Unter diesen Aspekten dürften eher Politiken, die auf eine Ausweitung der Erwerbspersonenzahl und auf eine Arbeitsumverteilung innerhalb der Gruppe der Erwerbspersonen gerichtet sind, zukünftig an Bedeutung gewinnen.
Die allgemeine Wochenarbeitszeitverkürzung, der Abbau von Überstunden, die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung — auch im Zusammenhang mit der Teilrente — sowie von Erziehungs-und Bildungsurlaub sind im Prinzip auf eine Erhöhung der Beschäftigtenzahlen gerichtet. Die Arbeitszeit der Beschäftigten wird hier reduziert, aber der Erwerbsstatus wird beibehalten, und eine Einstellung zusätzlicher Beschäftigter ist intendiert.
Die Arbeitsumverteilungs-und Arbeitszeitpolitiken können also dahingehend klassifiziert werden, ob sie auf eine Umverteilung von Erwerbschancen durch Erhöhung der Beschäftigtenzahl bei konstanter oder sogar erhöhter Erwerbspersonenzahl gerichtet sind (die linke Seite der Übersicht 1), oder ob sie auf eine Umverteilung von Erwerbschancen durch Verminderung der Erwerbspersonenzahl und damit durch Ausgliederung von Teilgruppen des Arbeitsmarktes zielen. Im folgenden wollen wir die Ausgestaltung und Wirksamkeit der einzelnen zuvor genannten Maßnahmen detaillierter analysieren. 3. Perspektiven der Arbeitszeitpolitik Daß die Arbeitszeitpolitik einen Beitrag zur Umverteilung des Arbeitsvolumens zwischen Arbeitsuchenden und gegenwärtig Beschäftigten leisten kann, ist mittlerweile in der wissenschaftlichen Diskussion unumstritten. Strittig sind jedoch nach wie vor die Ansatzpunkte und Modalitäten einer auf Arbeitszeitverkürzung gerichteten Politik und die Frage, welchen Beitrag der Staat neben den Tarif-parteien zu einer beschäftigungsorientierten Arbeitszeitpolitik leisten soll.
Von den gegenwärtig praktizierten Formen der Arbeitszeitverkürzung: — generelle Wochenarbeitszeitverkürzung, — Einschränkung von Überstunden-, — Flexibilisierung der Arbeitszeiten.
— Ausweitung von Teilzeitarbeit, — Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch Frühverrentungen oder Vorruhestandsregelungen.
— Ausweitung spezifizierter Arbeitsfreistellungen (z. B. bei Elternschaft, Weiterbildung) werden — neben der befristeten Freistellung durch den Erziehungsurlaub — nur die Verkürzungen der Lebensarbeitszeit durch Frühverrentungen und durch den Vorruhestand finanziell aus den öffentlichen Kassen gefördert. Andere beschäftigungswirksame Formen — wie die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die Einschränkung von Überstunden oder die Ausweitung von Teilzeitarbeit — bleiben der Regelung durch die Tarifparteien überlassen. Obwohl prinzipiell nichts gegen tarifvertragliche Vereinbarungen zu beschäftigungspolitischen Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen spricht, kann man doch feststellen, daß durch die Abstinenz der öffentlichen Hand in diesen Bereichen unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten nur suboptimale Ergebnisse erzielt werden konnten. Die Tarif-vertragsparteien sind überfordert, wenn sie allein mit den Mitteln der tariflichen Arbeitszeitpolitik einen spürbaren Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit leisten sollen. Die Wiederherstellung von Vollbeschäftigung ist letztlich eine Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik. Ein substantieller Abbau der Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit wird auch zukünftig nur möglich sein, wenn sich der Staat an arbeitszeitpolitischen Initiativen beteiligt, wobei die Kosten solcher Maßnahmen zumindest teilweise durch höhere Beschäftigtenzahlen und damit auch höhere Einnahmen und niedrigere Ausgaben kompensiert werden. 4. Kritikpunkte an der Arbeitszeitverkürzung Gegen Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungspolitik werden vor allem die folgenden Argumente vorgebracht: 1. Arbeitszeitverkürzung statt sonst möglicher Lohnerhöhung gefährdet die Binnennachfrage (Kaufkraftargument); 2. die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik würde leiden, weil kürzere Arbeitszeiten zu geringeren Maschinennutzungszeiten und damit zu höheren Kapitalkosten führen; 3. es bestehen qualifikatorische Engpässe auf dem Arbeitsmarkt (Facharbeiterlücke).
Arbeitszeitverkürzungen führen in der Tat — auch wenn sie mit vollem Lohnausgleich, also unverändertem Einkommen vereinbart werden — zu einem Verzicht auf anderenfalls mögliche Einkommenssteigerungen. Auf der individuellen Ebene bedeutet dies, daß die Konsumgüternachfrage weniger stark ansteigen kann, als es bei ausschließlich einkommensbezogenen Tarifabschlüssen der Fall wäre Wird die durch Verzicht auf Einkommenssteigerung „erkaufte“ Arbeitszeitverkürzung jedoch beschäftigungs-und damit auch kostenwirksam. so stagniert zwar der individuelle Konsum der bisher Beschäftigten, aber dem steht der erhöhte Konsum der nun zusätzlich Eingestellten gegenüber Kommt es allerdings nicht zu den erhofften Neueinstellungen, sondern wird die Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerungen aufgefangen, so wird nicht nur die individuelle, sondern auch die private gesamtwirtschaftliche Konsum-nachfrage stagnieren. In diesem Falle wird die Lohnquote — der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen — zugunsten der Profitquote sinken: eine Entwicklung, die in der Bundesrepublik in den letzten Jahren eingetreten ist, die aber auch auf die arbeitsmarktbedingte schwache Verhandlungsposition der Arbeitnehmer zurückzufüh-ren ist Das Argument der stagnierenden Binnennachfrage gegen die Arbeitszeitverkürzung ist also im Kern die Kritik an einer „falschen“ funktionalen Einkommensverteilung; mit anderen Worten: Die in der Bundesrepublik zu beobachtende Verschiebung der funktionalen Einkommensverteilung zuungunsten der Arbeitseinkommen hat hemmend auf die private Konsumnachfrage gewirkt — ein Zusammenhang, der sich auch im internationalen Vergleich beispielsweise mit der Entwicklung in den USA feststellen läßt
Werden die tariflichen Arbeitszeiten verkürzt und schlägt dieses auch auf verminderte effektive Arbeits-und Betriebszeiten durch, so erhöhen sich die fixen Kapitalkosten je Arbeitsstunde. Dieser Effekt scheint in der Metallindustrie in den letzten Jahren eingetreten zu sein, denn nach einer Umfrage des Ifo-Instituts hat sich die durchschnittliche Betriebszeit der Unternehmen, die keine Schichtarbeit leisten, auf rund 38 Stunden pro Woche vermindert Steigende fixe Kapitalkosten je Arbeitsstunde können aber durch die Entkoppelung von Arbeits-und Betriebszeiten kompensiert werden. Maximale Kapitalnutzungszeiten stehen allerdings im Konflikt mit dem gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnis nach kollektiver Freizeit („Samstag gehört Papi mir“). Die Entscheidung dieses Konfliktes muß eine politische sein, denn objektive Kriterien für die gesellschaftliche Organisation der Arbeitszeiten gibt es nicht. Allerdings verliert der Konflikt zwischen optimaler Maschinennutzung und kollektiver Freizeit an Bedeutung, wenn allgemein kürzere Arbeitszeiten neue Arbeits-und Betriebszeit-arrangements zulassen, wie es zum Beispiel beim 6-Stunden-Tag möglich ist.
Eine Ausweitung der Kapitalnutzungszeiten ohne Arbeitszeitverkürzung wird gesamtwirtschaftlich die Arbeitsmarktprobleme nicht lösen können. Zu Wirtschaftswachstum führt die Verminderung der durchschnittlichen Kapitalkosten durch Ausweitung der Masehinennutzungszeiten nur dann, wenn die Kostensenkungen auf ungesättigte Nachfrage stoßen. Ist die Nachfrage begrenzt, kommt es zu Konzentrationsprozessen bei den Unternehmen, also zu gleichzeitigem Ab-und Aufbau betrieblicher Beschäftigung. Gesamtwirtschaftlich können sich diese direkten Beschäftigungseffekte neutralisieren, aber gleichzeitig wird bei optimaler Nutzung der maschinellen Anlagen auch die Investitionsgüternachfrage zurückgehen, so daß der Netto-Beschäftigungseffekt eher negativ zu beurteilen ist
Ein weiteres Argument gegen die Arbeitszeitverkürzung und vor allem gegen die tarifliche Wochenarbeitszeitverkürzung und die Begrenzung von Überstunden ist die sogenannte „Facharbeiterlücke“. Qualifizierte Arbeitnehmer seien am bundesrepublikanischen Arbeitsmarkt nicht zu finden, weshalb eine Verkürzung der Arbeitszeiten zu wirtschaftswachstumshemmenden Personalengpässen führen muß. Zwar gibt es für einzelne Unternehmen immer wieder Schwierigkeiten, spezifische Qualifikationen am externen Arbeitsmarkt zu erhalten, aber es wird offenbar von den Unternehmen mit zunehmender Dauer des Arbeitsangebotsüberhanges auch eine höhere Kongruenz von gewünschtem Qualifikationsprofil und aktuell vorhandenen Qualifikationen des neuen Mitarbeiters erwartet. Auf der Basis von 38 Berufsgruppen zeigt sich, daß es in der Bundesrepublik keine einzige Berufsgruppe gibt, in der die Arbeitslosigkeit im Zeitraum von 1980 bis 1985 nicht zugenommen hat. Selbst in diesem Fünf-Jahres-Zeitraum ist es dabei zu Veränderungen der Zahl beschäftigter Personen von über 20 Prozent sowohl nach oben (Gesundheitsdienst-berufe) als auch nach unten (Textil-und Bekleidungsberufe) gekommen Das Arbeitsangebot in der Bundesrepublik weist also offenbar eine berufsgruppenspezifische Elastizität auf. Eine globale Qualifikationslücke kann für die Bundesrepublik jedenfalls nicht festgestellt werden — ein Ergebnis, das auch durch Analysen zur strukturellen Arbeitslosigkeit gestützt wird
III. Spezifische Arbeitsumverteilungspolitiken
Abbildung 8
Übersicht 1: Klassifikation unterschiedlicher Arbeitsumverteilungspolitiken nach der direkten beschäftigungspolitischen Zielsetzung
Übersicht 1: Klassifikation unterschiedlicher Arbeitsumverteilungspolitiken nach der direkten beschäftigungspolitischen Zielsetzung
1. Wochenarbeitszeitverkürzung Auf dem Höhepunkt der Tarifauseinandersetzungen um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Jahre 1984 wurden die Ökonomen, die eine Arbeitszeitverkürzung aus beschäftigungspolitischen Gründen befürworteten, teilweise noch als verantwortungslos und unwissenschaftlich kritisiert. Mittlerweile liegen Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzungen vor, und positive Beschäftigungseffekte werden der Wochenarbeitszeitverkürzung kaum noch ernsthaft abgesprochen. Allerdings gibt es eine große Bandbreite der Schätzungen zu den Beschäftigungseffekten, die für die Metallindustrie am unteren Rand mit 10 000— 20 000 zusätzlichen Beschäftigten beziffert (Gesamtmetall) und am oberen Rand auf 200 000 zusätzliche Beschäftigte geschätzt werden Beide Tarifparteien stützen sich bei ihren Schätzungen der Beschäftigungseffekte auf Umfragen, die jedoch aus methodischen Gründen kaum geeignet sind, Beschäftigungseffekte zu ermitteln
Die bisherigen Vereinbarungen zur Wochenarbeitszeitverkürzungzeichnen sich dadurch aus. daß sie eine relativ geringe Reduzierung der Arbeitszeit pro Jahr vorsehen. In der Metallindustrie, dem Vorreiter in der Arbeitszeitverkürzung, wurde im April 1985 zunächst die 38. 5-Stunden-Woche eingeführt und 1989 eine Wochenarbeitszeit von 37 Stunden erreicht. Mithin betrug die jahresdurchschnittliche Wochenarbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie eine % Stunde und bewegte sich damit ungefähr im Rahmen der Produktivitätsfortschritte. Von einer solchen produktivitätsorientierten Arbeitszeitverkürzung kann kein substantieller Abbau der Arbeitslosigkeit erwartet werden. Dennoch ist die Beschäftigungswirksamkeit von kleinen Schritten der Arbeitszeitverkürzung beachtlich: Bei stagnierendem Wirtschaftswachstum können so vorhandene Arbeitsplätze gesichert werden und bei einem konjunkturellen Aufschwung werden zusätzliche Neueinstellungen erforderlich Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schließt aus der Analyse der Produktivitätsentwicklung in der Metallindustrie, daß die Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38, 5-Wochenstunden kaum zu induzierten Produktivitätseffekten geführt hat. Zu zwei Dritteln wurde die eineinhalbstündige Arbeitszeitverkürzung nach den Berechnungen des DIW arbeitszeitwirksam, d. h. führte entweder zu mehr Überstunden oder zusätzlichen Einstellungen. Die Beschäftigungswirksamkeit wurde durch die Zunahme der Überstunden reduziert, so daß nur etwa die Hälfte der tariflichen Wochenarbeitszeitverkürzung in Einstellungen umgesetzt wurde. Dies entspricht nach den Angaben des DIW rund 50 000 Arbeitern in der Metallindustrie
Zusätzlich zu den Neueinstellungen hat die Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie auch bewirkt, daß in den stagnierenden Branchen die Beschäftigung gesichert wurde. Das DIW weist zudem darauf hin, daß die arbeitszeitverkürzungsinduzierte Überstundenerhöhung in einem möglichen Konjunkturabschwung beschäftigungsstabilisierend wirken würde, denn bei rückläufiger Konjunktur würden zunächst die Überstunden abgebaut werden. Die Arbeitszeitverkürzung wirkt insofern auch längerfristig beschäftigungssichemd. Begrenzte Schritte der Arbeitszeitverkürzung können also durchaus zu positiven, wenn auch geringen Beschäftigungseffekten führen und bestehende Beschäftigungsverhältnisse kurz-und auch mittelfristig sichern. Allerdings ist von diesen kleinen Schritten der Arbeitszeitverkürzung kein rascher Abbau der Massenarbeitslosigkeit zu erwarten. Hierzu müßten große Schritte der Arbeitszeitverkürzung eingeleitet werden, die aber von den Tarif-parteien alleine nicht mehr durchgesetzt werden können, denn sie würden den durch die Produktivitätsfortschritte abgesteckten Verteilungsspielraum überschreiten. Eine solche Arbeitszeitverkürzungspolitik der großen Schritte kann nicht mehr gleichzeitig einkommensneutral für die Arbeitnehmer (d. h. mit vollem Lohnausgleich) und kostenneutral für die Arbeitgeber sein.
Lohnverzicht und Lohnkostensteigerungen hätten jedoch negative Folgen für die weitere ökonomische Entwicklung, da sowohl von der Verminderung der Realeinkommen der Beschäftigten als auch von einer Erhöhung der realen Lohnstückkosten negative Effekte auf das gesamtwirtschaftliche Produktionsvolumen ausgehen können. Dieses Dilemma kann durch Tarifpolitik allein kaum gelöst werden; erst eine öffentliche Politik zur Unterstützung der beschäftigungsschaffenden Arbeitszeitverkürzungen könnte den Verteilungsspielraum erhöhen und größere Schritte der Wochenarbeitszeitverkürzung ermöglichen. Dem im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz definierten Interesse des Staates aneinem hohen Beschäftigtenstand entspricht auch ein fiskalisches Interesse, denn jedes zusätzliche Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis entlastet die öffentlichen Kassen um etwa 21 000 DM pro Jahr
Wie in dem von Scharpf/Schettkat (1986) entwickelten Modell dargelegt, können diese Entlastungseffekte in öffentlichen Haushalten unter bestimmten Bedingungen für die Subventionierung zusätzlicher Beschäftigungsverhältnisse verwendet werden. Damit wäre eine Reduzierung der Arbeitszeit in größeren Schritten als bisher möglich. Kosten, die anderenfalls für die Finanzierung von Arbeitslosigkeit aufgewendet werden, werden in Kosten der Beschäftigung transformiert. Eine derartige Politik setzt allerdings den politischen Willen zur Unterstützung der Tarifparteien bei ihren beschäftigungspolitischen Bemühungen voraus.
Obwohl der skizzierte Politikvorschlag für eine Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten prinzipiell auch im öffentlichen Dienst anwendbar ist unterscheiden sich doch die Wirkungsbedingungen einer Arbeitszeitverkürzung in der öffentlichen und privaten Wirtschaft grundsätzlich voneinander. Im öffentlichen Dienst kann unter gegebenen Finanz-restriktionen und der relativ großen Unabhängigkeit der Beschäftigung von der Nachfrage nach den Leistungen des öffentlichen Dienstes davon ausgegangen werden, daß eine bestimmte Lohnsumme zur Verteilung auf wenige oder viele Köpfe zur Verfügung steht (Lohnfonds). Im Prinzip ist es also möglich, durch Lohnzurückhaltung auch unter Finanzierungsrestriktionen im öffentlichen Dienst die Beschäftigungszahl zu erhöhen. Allerdings ist dies kein automatischer Mechanismus, und die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften müssen befürchten, daß jede Lohnzurückhaltung zwar zu Kosteneinsparungen führt, diese aber von den öffentlichen Arbeitgebern nicht für Mehrbeschäftigung, sondern zur Haushaltskonsolidierung genutzt wird. Aber auch hier können die politischen Instanzen Signale setzen, wenn sie eine Ümsetzung kollektivvertraglicher oder auch individueller Arbeitszeitverkürzungen in zusätzliche Beschäftigung garantieren, was aufgrund der Besonderheiten des öffentlichen Dienstes möglich ist 2. Begrenzung der Überstunden Die Begrenzung von Mehrarbeit ist eine weitere Komponente der Arbeitsumverteilungspolitik, die flankierend zu anderen Formen der Arbeitszeitverkürzung eingesetzt werden kann. Überstunden bieten Unternehmen die Möglichkeit, betriebliche Engpässe, saisonale Schwankungen oder Auftrags-spitzen abzufangen; sie stellen für die Unternehmen eine notwendige „Flexibilisierungsreserve“ dar, mit der kurzfristige Schwankungen im Personalbedarf ausgeglichen werden können. Umgekehrt wirken Überstunden aber auch beschäftigungshemmend, wenn sie von den Unternehmen zur Deckung des mittel-und langfristigen Personalbedarfs genutzt werden. Bei einer solchen Personalpolitik der „unteren Linie“, d. h. bei einem relativ niedrigen Bestand an dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen, müssen schon geringfügige Auftragszuwächse durch Überstunden und immer häufiger auch durch instabile Beschäftigungsverhältnisse (wie Zeitverträge/Leiharbeit) bewältigt werden
Die Zahl der bezahlten Mehrarbeitsstunden betrug 198b 1, 6 Milliarden; dies entspricht rein rechnerisch über 900 000 Vollzeitarbeitsplätzen. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß gewisse Flexibilitätsreserven auf betrieblicher Ebene erhalten bleiben müssen, bietet die Beschränkung von Überstunden angesichts dieser Dimension ein beschäftigungspolitisches Handlungspotential. Die Arbeitszeitordnung (AZO) von 1938 und der neue Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sind in dieser Frage jedoch unzureichend. In den Rahmenvorgaben geht der neue Entwurf — was die Möglichkeiten der Ausdehnung der Arbeitszeit auf täglich zehn Stunden und wöchentlich auf 60 Stunden angeht — sogar über die bisherige Regelung hinaus und erlaubt den Unternehmen eine Fortsetzung der Personalpolitik der „unteren Linie“.
Eine gesetzliche Begrenzung von Überstunden entsprechend den im Bundesrat abgelehnten Gesetz-entwurf des Landes Nordrhein-Westfalen könnte folgende Regelung enthalten: Arbeitszeiten, die die tarifliche Wochenarbeitszeit überschreiten (1986: wenn 39 Wochenstunden um acht Stunden monatlich überschritten werden), müssen mit Freizeit ausgeglichen werden. Für den Freizeitausgleich ist ein Dreimonatszeitraum vorzusehen, der bei dringenden betrieblichen Erfordernissen um einen weiteren Monat verlängert werden könnte. Neben einer solchen Regelung sind auch gesetzliche Obergrenzen für Mehrarbeit pro Jahr denkbar: So sind z. B. in Schweden maximal 200 Stunden Mehrarbeit pro Jahr für jeden Beschäftigten (also auch für Teilzeitbeschäftigte) erlaubt — eine Regelung, die den Unternehmen die notwendige Flexibilität gibt, die aber zugleich verhindert, daß kontinuierlich eine Personalpolitik der „unteren Linie“ verfolgt wird.
Unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten reicht es vermutlich nicht aus, Überstundenarbeit durch tarifliche Zuschläge zu „verteuern“ und über diesen Preismechanismus auf eine Reduzierung zu hoffen. Eine gesetzliche Begrenzung der Mehrarbeit muß einerseits die kurzfristige Flexibilität der Unternehmen erhalten, schafft andererseits aber auch Umverteilungspotentiale und eröffnet dadurch neue Beschäftigungschancen. 3. Flexibilisierung der Arbeits-und Betriebszeiten Die über die gegenwärtig üblichen Schicht-, Wochenendarbeit-und Gleitzeit-Regelungen hinausgehende Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist ein von den Arbeitgeberverbänden präferiertes Modell der Arbeitszeitpolitik. Ihr Interesse ist es vor allem, den Arbeitskräfteeinsatz besser an den arbeitstäglichen, arbeitswöchentlichen, saisonal oder konjunkturell schwankenden Arbeitskräftebedarf anzupassen, Überstundenzuschläge zu vermeiden und so die Arbeitskosten zu senken. Zudem trägt eine Ausweitung der Betriebszeiten zu einer besseren Auslastung der Produktionskapazitäten bei und kann in einigen Fällen auch eine gleichmäßigere Qualität der Produktion ermöglichen.
Neben traditionellen Modellen der Schichtarbeit, die nun auf Wochenendschichten ausgedehnt werden sollen und bei denen keine individuellen Wahlmöglichkeiten bestehen (es sei denn bei der erstmaligen Einführung neuer Schicht-oder Wochen-endarbeit), wird eine individuelle Flexibilisierung der Arbeitszeiten diskutiert. Stärkere individuelle Wahlmöglichkeiten könnten dabei auch den (durch Familienpflichten oder Freizeitwünsche definierten) Interessen der Arbeitnehmer entgegenkommen. Allerdings zeigen alle Untersuchungen, daß sich die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern insoweit unterscheiden, als die Mehrheit der Arbeitnehmer nicht an einer weiteren Ausdehnung von Nacht-, Schicht-und Wochenendarbeit interessiert ist. Eine an den Interessen der Arbeitnehmer ausgerichtete Flexibilisierung der Arbeitszeiten scheint uns am ehesten über die Ausweitung individueller Freistellungsansprüche gewährleistet (siehe dazu weiter unten). Die Auswirkungen flexibler Arbeitszeitregelungen auf das Beschäftigungsniveau sind insgesamt eher negativ zu beurteilen: In dem Maße, wie flexible Arbeitszeitformen dazu führen, den jeweiligen Arbeitsanfall zeitlich besser mit dem Arbeitskräfteeinsatz zu synchronisieren, werden Leerzeiten entfallen, und die durchschnittliche Arbeitsintensität wird zunehmen -Das insgesamt nachgefragte Arbeitszeitvolumen wird sich dadurch reduzieren. Zu einer positiven Beschäftigungsentwicklung könnte es nur dann kommen, wenn die so erreichte Lohn-kostenreduzierung zu Preissenkungen führt und eine entsprechende zahlungskräftige Nachfrage dadurch mobilisiert wird. Eine Verlängerung der Kapitalnutzungszeiten und damit verbundene mögliche Preissenkungen können ebenfalls die gesamtwirtschaftliche reale Nachfrage erhöhen, werden aber auch zu Konzentrationsprozessen führen, weshalb die für einzelne Betriebe positiven Beschäftigungseffekte keinesfalls mit den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekten gleichgesetzt werden dürfen 4. Ausweitung der Teilzeitarbeit Beschäftigungspolitische Hoffnungen richten sich deswegen weniger auf eine generelle Flexibilisierung der Arbeitszeit als vielmehr auf eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung. Schon in den vergangenen Jahren ist die sozialversicherungspflichtige wie auch die nichtsozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung angestiegen. Zu den 2, 2 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Teilzeitarbeitskräften (vgl. Tabelle 2) kommen noch einmal ca. 2, 3 Millionen nichtsozialversicherte Teilzeitkräfte, die nur über das Einkommen aus dieser Teilzeitarbeit verfügen, hinzu
Die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung hat die Zahl der Beschäftigten insgesamt erhöht. Vermehrte Teilzeitarbeit führt aber nicht zu einer Ausweitung des Arbeitsvolumens, sondern ist vielmehr eine Arbeitsumverteilungspolitik, die — bezogen auf die individuellen Beschäftigungsverhältnisse — eine extrem große Reduzierung der Arbeitszeit mit entsprechend großen Einkommenseinbußen und langfristigen Auswirkungen auf die Rentenansprüche bedeutet.
Einer gesellschaftspolitisch wünschenswerten Ausweitung und Aufwertung der Teilzeitarbeit für Männer und Frauen stehen nicht nur die überkommenen Familienstrukturen, sondern auch die Prinzipien der Rentenversicherung entgegen, die eine ausreichende Altersversorgung nur denjenigen bietet. die lebenslang vollzeiterwerbstätig waren oder als Ehepartner eines Vollzeit-Erwerbstätigen mitversorgt wurden Dieser Zusammenhang bedeutet, daß Teilzeitarbeitsplätze vor allem für „mitverdienende“ Ehefrauen sozial akzeptabel sind. 80 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen leben denn auch in Haushalten mit einem weiteren Erwerbstätigen, der zumeist ein „Vollzeiteinkommen“ bezieht. Aber 20 Prozent leben auch in Haushalten, in denen das „Teilzeiteinkommen“ das einzige Erwerbseinkommen ist Insbesondere Frauen mit prekären Teilzeitstellen leben in Haushalten, die nur ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen beziehen, so daß selbst ihr geringes Einkommen für die Aufrechterhaltung des Lebensniveaus notwendig ist. Unter diesen Umständen erscheint eine weitere Ausweitung insbesondere der geringfügigen Teilzeitbeschäftigung soialpolitisch problematisch
Untersuchungen zeigen, daß sich die Arbeitszeit-wünsche der meisten Teilzeitbeschäftigten auf ein Stundenvolumen von 20 bis 34 Stunden beziehen; geringfügige Teilzeitbeschäftigungen werden — zumindest, was den Stundenumfang angeht — oft „unfreiwillig“ angenommen
Die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungen insgesamt und besonders im expandierenden Dienstleistungssektor hat zu einer Erhöhung der Zahl beschäftigter Frauen ünd ihres Anteils am Arbeitsvolumen beigetragen Befragungen zeigen, daß vor allem auf Seiten der Frauen ein großes Interesse an Teilzeitbeschäftigung besteht, da damit die Möglichkeit gegeben ist, Berufstätigkeit mit familiären Aufgaben zu vereinbaren
Die bisherige Praxis zeigt allerdings, daß Teilzeitarbeit meist nur in gering qualifizierten und gering entlohnten Tätigkeiten angeboten wird Es fehlt an beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten, eine eigenständige Altersversorgung kann nur mangelhaft aufgebaut werden, und in vielen Tarifverträgen sind Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich des Kündigungsschutzes, der Urlaubsregelungen, der betrieblichen Altersversorgung etc.deutlich schlechter gestellt als Vollzeitbeschäftigte.
Die Unternehmen sind an Teilzeitbeschäftigung unter der Bedingung eines hohen Arbeitsüberangebotes vor allem dann interessiert, wenn es damit gelingt, den Arbeitskräfteeinsatz präziser an den betrieblichen Arbeitskräftebedarf anzupassen. „Im Extremfall könnte also durch die Aufteilung vorhandener Vollzeit-Arbeitsplätze auf eine größere Anzahl von Teilzeit-Beschäftigten eine flexible, leistungsfähige und kostengünstige Arbeitskraft-Reserve für den Fall einer notwendigen Produktionsausweitung vorgehalten werden.“ Variable Arbeitszeiten gehen gegenwärtig schon häufig mit Teilzeitbeschäftigungen einher, und Teilzeitarbeitsplätze werden bisher neben dem öffentlichen Sektor (insbesondere im Beamtenbereich) vor allem im privaten Dienstleistungssektor angeboten, wo noch mehr als im verarbeitenden Gewerbe ein variabler Arbeitsanfall auftritt.
Insbesondere im privaten Dienstleistungssektor nimmt der Einsatz flexibler, zum Teil auch prekärer Teilzeitbeschäftigung zu, während private Industriebetriebe statt Teilzeitarbeit andere Formen des flexiblen Arbeitskräfteeinsatzes wie Überstunden. Kurzarbeit, Aushilfsarbeit, befristete Einstellungen und Leiharbeit bevorzugen. Eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung in gut bezahlten, hoch qualifizierten Arbeitsbereichen des privaten Sektors ist unter gegenwärtigen Bedingungen nur in den Bereichen durchzusetzen, in denen eine Übernachfrage nach spezifischen Qualifikationen — wie in Teilen des EDV-Bereiches — besteht. Eine allgemeine Erhöhung des Teilzeitanteils in gehobenen Positionen der privaten Wirtschaft ist gegenwärtig relativ unwahrscheinlich
Bei der Beurteilung des gesellschaftspolitischen Nutzens einer Ausdehnung der Teilzeitarbeit als Beschäftigungsangebot für Frauen, die Familie und Beruf in dieser Weise vereinbaren müssen oder wollen, ist zwischen zwei verschiedenen Aspekten zu unterscheiden: Erfahrungen in anderen OECD-Ländern zeigen, daß ein vermehrtes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt unterstützen und unter gewissen Rahmenbedingungen des Arbeits-und Sozialsystems flexible Optionen für die Arbeitnehmerinnen eröffnen kann Bezogen auf Gleichstellungszielsetzungen zeigen jedoch die Entwicklungen in Schweden — d. h. in einem Land, in dem die Ausweitung der Teilzeitarbeit als ein erster Schritt zu einer beruflichen Gleichstellung von Männern und Frauen begriffen wurde —, daß Teilzeitbeschäftigung nicht dazu beigetragen hat. die Arbeitsteilung innerhalb der Familien zu verändern. Die zuerst in Schweden erhobene Forderung nach einem 6-Stunden-Tag für alle Arbeitnehmer geht auf die Hoffnung zurück, daß eine allgemeine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit die Chance einer beruflichen und familiären Gleichstellung für Männer und Frauen eröffnet.
Obwohl Teilzeitarbeit in der gegenwärtigen Situation für viele Frauen eine Option zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt, ist eine generelle Ausweitung der Teilzeitarbeit als Mittel zur Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit nur bedingt geeignet.denn die vorübergehende Annahme einer Teilzeitbeschäftigung kann sich als Sackgasse erweisen, wenn nicht eine Rückkehr zu Vollzeitarbeit (und Einkommen) ermöglicht wird. Es gibt deshalb einen erheblichen staatlichen Handlungsbedarf im Bereich der arbeits-und sozialrechtlichen Absicherung von (bestehenden) Teilzeitbeschäftigungen. Eine ausreichende Alterssicherung auch für Personen. die aus Gründen der Arbeitsplatzknappheit, unfreiwilliger Unterbeschäftigung oder sozial erwünschter partieller Nichterwerbstätigkeit (z. B. zur Kindererziehung) Versicherungslücken aufweisen, könnte durch eine andere Berechnungsgrundlage der Rentenhöhe erreicht werden.
Das sogenannte Geringfügigkeitsprinzip in der Renten-, Kranken-und Arbeitslosenversicherung, das die Zunahme sozial ungeschützter, prekärer Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse ermöglicht hat, müßte aufgegeben werden. Ein Modell dafür könnte die Orientierung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung an der betrieblichen Lohnsumme sein — was eine von der Arbeitszeitstruktur unabhängige Finanzierung der Sozialversicherung ermöglicht sowie auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anreize für eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung aufhebt. Durch das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1986 wurden Teilzeitbeschäftigte arbeitsrechtlich den Vollzeitbeschäftigten gleichgestellt, allerdings läßt das Gesetz zu viele Ausnahmen zu und stellt insofern nur eine Mindestnorm dar. Auch die Tarifvertragsparteien sind aufgefordert, die bestehenden Ungleichbehandlungen von Teilzeitbeschäftigten (z. B. im Bereich der betrieblichen Zusatzleistungen) zu beseitigen. 5. Verkürzung der Lebensarbeitszeit Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit mit Hilfe der gesetzlichen Vorruhestandsregelung, die bei Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit finanziell gefördert wurde, war der einzige Bereich im Rahmen der Arbeitszeitpolitik, in den die Bundesregierung bisher unterstützend eingewirkt hat. Vorruhestandsregelungen sehen im Kem eine Reduzierung des Arbeitskräfteangebotes vor und zielen auf eine personelle Umverteilung des Arbeitsvolumens zwischen Älteren und Jüngeren. Sie sind damit kein Instrument zur Erhöhung der Beschäftigtenzahl, sondern ein Mittel zur intergenerativen Arbeitsumverteilung
Als Alternative zur Wochenarbeitszeitverkürzung eingeführt, sah das Vorruhestandsgesetz von 1984 (befristet bis Ende 1988) vor. daß sich die Bundesanstalt für Arbeit (BA) dann finanziell an den Kosten eines Vorruhestandes beteiligt, wenn der Arbeitsplatz mit einem Arbeitslosen oder Auszubildenden wiederbesetzt wird und der Vorruheständler vom Arbeitgeber mindestens 65 Prozent seines vorherigen Bruttolohns bezieht.
Ging man 1984 bei Verabschiedung des Vorruhestandsgesetzes noch davon aus. daß das Potential für eine solche Regelung mindestens 750 000 Arbeitnehmer/innen zwischen 58 und 63 Jahren betrage und daß davon ca. 50 Prozent ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers nutzen würden, so kann heute festgestellt werden, daß die Inanspruchnahme des Vorruhestandes weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Von 1984 bis Mitte 1988 nahmen insgesamt 150 000 Arbeitnehmer Vorruhestandsregelungen in Anspruch Dies liegt zum Teil daran, daß nur für etwa ein Drittel der Betroffenen entsprechende Tarifverträge abgeschlossen wurden. In einigen Tarifverträgen finden sich einschränkende Klauseln wie z. B. Einspruchsrechte des Arbeitgebers, Überforderungsklauseln zugunsten der Betriebe, Vorruhestandsbeginn erst mit 58, 5 Jahren oder bei einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit.
Daneben spielte die geringere finanzielle Attraktivität der Vorruhestandsregelung gegenüber anderen Formen der „Frühverrentung“ eine große Rolle bei der Inanspruchnahme: Nur in wenigen Tarifverträgen (wie beispielsweise im Baugewerbe) erhielten die Vorruheständler mehr als 70 Prozent des letzten Bruttoentgeltes; alle Vorruhestandsleistungen, die die Summe von 000 DM im Jahr überstiegen, mußten versteuert werden; die Vorruheständler mußten darüber hinaus 50 Prozent der Beiträge zur Renten-und Krankenversicherung von ihrer Vorruhestandsrente bezahlen. Im Einzelfall war also ein Ausscheiden aus dem Betrieb im Rahmen einer Sozialplanregelung mit Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente für Arbeitnehmer finanziell attraktiver.
Auch für die Arbeitgeber sind andere Formen der Frühverrentung finanziell attraktiver als die Vorruhestandsregelung: So mußte der Arbeitgeber bis zum frühest möglichen Beginn eines Rentenanspruchs, maximal bis zum 65. Lebensjahr, Vorruhestandsgeld bezahlen, und selbst dann, wenn er den Arbeitsplatz wiederbesetzte und einen 35prozentigen Zuschuß zu diesen Aufwendungen von der BA erhielt, entstanden betrieblich durchschnittliche Kosten von 80 000 DM pro Arbeitnehmer, der den Vorruhestand in Anspruch nahm 36). Wesentlich attraktiver scheint für Unternehmen nach wie vor die Nutzung der sogenannten 59er-Regelung, die bei einer Entlassung von Arbeitnehmern über 58 Jahren vorsieht, daß diese mit 60 Jahren nach mindestens zwölf Monaten Arbeitslosigkeit eine vorgezogene Rente beziehen können. Seit der Arbeitslosengeldbezug 1987 für ältere Arbeitslose auf 32 Monate verlängert wurde, hat sich die 59erRegelung de facto zu einer 57 Jahre und vier Monate-Regelung verändert Durch die Neuregelung des § 105 c AFG 1986 können Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, Arbeitslosengeld auch dann beziehen, wenn sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit ist die Inanspruchnahme der 59er-Regelung weiter erleichtert worden
Auch wenn die sehr hoch angesetzten Erwartungen hinsichtlich der Inanspruchnahme des Vorruhestandsgesetz nicht erfüllt wurden, so hat diese Regelung doch zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes beigetragen, da ein Teil der freigewordenen Arbeitsplätze wieder besetzt wurde. Die Quote der mit einem Zuschuß der BA wieder-besetzten Arbeitsplätze variierte zwar stark zwischen den Branchen, sie liegt jedoch mit etwa 50 Prozent über den Erwartungen Der gesamte beschäftigungswirksame Effekt der Vorruhestandsregelungen wird auf 80 000 Arbeitsplätze geschätzt.
Der Ersatz der Vorruhestandsregelung durch eine Teilrenten-/Teilzeitregelung für ältere Arbeitnehmer zum 1. Januar 1989 basiert im wesentlichen auf zwei Überlegungen: Die Diskussion über den Über-gang von der Berufstätigkeit in die Rente wurde in den letzten Jahren völlig vom Ziel der Entlastung des Arbeitsmarktes beherrscht. Erkenntnisse über die Problematik eines plötzlichen Übergangs in die Rente schienen ebenso verdrängt wie Hinweise darauf, daß bei der gegenwärtigen Konstruktion endgültige Entscheidungen über den Ausstieg aus dem Erwerbsleben getroffen werden müssen, daß Frühverrentung erhebliche Einkommenseinbußen bedeuten kann und daß die Zugangsvoraussetzungen zu Rente und Vorruhestand nach bisheriger Berufs-biographie und Geschlecht ungleich verteilt sind Nicht nur diese Argumente, die beispielsweise in den USA zur Aufhebung jeglicher Altersgrenzen führten, sondern auch die finanzielle Situation der Rentenversicherung führten nun dazu, ein neues Modell des Übergangs in die Altersrente zu entwickeln
Auch in anderen westlichen Ländern werden Teilzeit-/Teilrenten-Regelungen praktiziert: So haben z. B.seit 1976 in Schweden Arbeitnehmer (seit 1980 auch Selbständige) zwischen 60 und 65 Jahren die gesetzlich verankerte Möglichkeit, eine Teilzeitbeschäftigung mit einer Teilrente zu kombinieren. Voraussetzung ist, daß sie mindestens fünf Monate während des letzten Jahres und mindestens zehn Jahre vor Vollendung ihres 55. Lebensjahres erwerbstätig waren. Die Arbeitszeit muß um mindestens fünf Stunden wöchentlich reduziert werden, aber mindestens noch 17 Stunden betragen. Die Teilzeitarbeit wird mit dem bisherigen Lohn vergütet, während die Teilrente 65 Prozent (zwischen 1981 und 1987 50 Prozent) der Einkommensdifferenz beträgt. Die Teilrente muß zwar versteuert werden, aber angesichts der starken Steuerprogression erhalten die Teilrentenempfänger bei einer Reduktion der Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden etwa 80 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens. Die schwedische Teilrente wird durch Arbeitgeber-beiträge in Höhe von 0, 5 Prozent der Lohn-und Gehaltssumme finanziert. Bis 1981 nahmen etwa 25 Prozent der Berechtigten diese Möglichkeit des gleitenden Übergangs in den Ruhestand wahr; nach 1982 sank die Inanspruchnahme, was u. a. auf die Reduzierung der Teilrente zurückgeführt wird
Analysen zeigen, daß die Teilrente in Schweden nicht so sehr die Entscheidung zwischen Ruhestand und Erwerbstätigkeit als vielmehr die Wahl zwischen Vollzeit-und Teilzeitarbeit beeinflußt hat Wesentlich für die relativ hohe Inanspruchnahme sind zwei Faktoren: Zum einen ist das Versorgungsniveau im schwedischen Teilrentenmodell relativ hoch, zum anderen besteht offenbar kein gravierender Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen für ältere Arbeitnehmer Die nun in der Bundesrepublik geltende Regelung einer Teilrente stößt bei Wissenschaftlern wie Tarif-vertragsparteien auf eine gewisse Skepsis, da das Versorgungsniveau relativ niedrig ist (etwa 70 Prozent des Nettolohns) und damit die Belastungen für Arbeitnehmer relativ hoch sein werden. Zudem ist nicht absehbar, ob die Unternehmen bereit und in der Lage sein werden, älteren Arbeitnehmern Teilzeitarbeitsplätze einzurichten. Die beschäftigungspolitischen Effekte der neuen Regelung werden deswegen als geringer als beim Vorruhestand beurteilt. 6. Ausweitung spezifizierter Arbeitsfreistellungen Unter spezifizierten Freistellungen werden solche Formen der Arbeitszeitverkürzung verstanden, die an bestimmte Bedingungen wie Teilnahme an Weiterbildung, Elternarbeit, Schichtarbeit etc. geknüpft sind und die ihre Begründung zwar nicht primär in beschäftigungspolitischen Arbeitsmarkt-effekten finden, die jedoch durch eine Reduzierung der individuellen Arbeitszeit in gewissem Umfang Neueinstellungen nach sich ziehen können. Die hier entwickelten Modelle können die Flexibilität der Arbeitszeiten im Interesse der Arbeitnehmer und im Einklang mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen erhöhen. a) Arbeitszeitverkürzungen für besonders belastete Gruppen Verkürzte Arbeitszeiten für Schichtarbeit, gesundheitlich besonders belastende Arbeit und Nachtarbeit sind bereits heute Bestandteil vieler Tarifverträge. Sie sind geeignet, in gewissem Maß einem Verschleiß der Arbeitskraft entgegenzuwirken bzw. die besonderen Belastungen zu mildem. Obwohl es sicherlich ein Ziel bleiben sollte, solche Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist zu überdenken, inwieweit im Rahmen einer gesetzlichen Arbeitszeitregelung generelle Mindestfreizeiten bei belastenden Arbeitsplätzen festgeschrieben werden, die dann von den Tarifparteien konkret ausgefüllt werden können. Die Aufgabe des Staates läge darin, mit einem Rahmengesetz eine verbindliche Mindestreduzierung festzulegen. Schon heute liegen die Arbeitszeiten für Schichtarbeiter vielfach unter den tariflichen Normalarbeitszeiten; allerdings ist nach einer neueren Untersuchung die Arbeitszeit für Schichtarbeit in der Bundesrepublik Deutschland mit 37 Stunden deutlich höher als in anderen OECD-Ländern b) Arbeitszeitverkürzung für Eltern Die zur Zeit geltende Regelung eines Erziehungsurlaubs mit Erziehungsgeld wird den besonderen Problemen erwerbstätiger Eltern kaum gerecht. So ist das Erziehungsgeld in seiner Höhe (maximal 600 DM monatlich) nicht geeignet, beiden Elternteilen tatsächlich eine Wahlmöglichkeit zu eröffnen. Faktisch kann nur der Elternteil, dessen Verdienstausfall nicht so gravierend für das Familieneinkommen ist. diesen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen — was bedeutet, daß der Erziehungsurlaub fast ausschließlich von Frauen beansprucht wird. Die mit dem Erziehungsurlaub eingeräumte Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung muß vom Arbeitgeber angeboten werden, ein Rechtsanspruch darauf besteht nicht. Kündigungsschutz und die Rückkehrmöglichkeit an den ursprünglichen Arbeitsplatz sind nur unzureichend abgesichert.
Schon seit längerer Zeit wird deswegen über andere Formen des Elternurlaubs diskutiert — eine Notwendigkeit, die sich auch und gerade im Hinblick auf die weiter steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen zeigt. Verschiedene Formen sind möglich: — Verlängerung des Eltemurlaubs auf maximal drei Jahre, mit einer Kompensation des entgangenen Einkommens (in Schweden 90 Prozent für den nun einjährigen Elternurlaub); — Freistellungsregelungen für Eltern von Kleinkindern zur Kinderbetreuung im Pflegefall (in Schweden 60 Tage pro Jahr bei Krankheit von Kindern unter zwölf Jahren); — Recht auf Teilzeitbeschäftigung und auf die Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung für Eltern mit Kindern (in Schweden besteht ein solcher Rechtsanspruch für Eltern mit Kindern unter acht Jahren, die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf sechs Stunden erfolgt ohne Lohnausgleich).
Die schwedischen Regelungen führen zu einer besseren, auch flexibleren Form der Vereinbarkeit von Familien-und Erwerbsarbeit. Sie vermeiden, daß Eltern ganz aus dem Erwerbssystem ausscheiden müssen, erhalten Sozialversicherungsansprüche, eröffnen individuelle Wahlmöglichkeiten. Diese Formen gesellschaftlich erwünschter Familienarbeit können — wie in Schweden — auf der Basis eines von Arbeitgebern und Staat finanzierten Versicherungssystems erfolgen (in Schweden ist die Elternversicherung Bestandteil der allgemeinen Krankenversicherung). Die Inanspruchnahme erweiterter Elternfreistellungen durch Männer und Frauen wird — auch nach den Erfahrungen in Schweden — vor allem dadurch beeinflußt, wie hoch die Kompensation des entgangenen Einkommens ist und inwieweit berufliche Nachteile hin-B sichtlich der Eingruppierung, der Arbeitsbedingungen, der Aufstiegsmöglichkeiten und der Qualifizierungschancen vermieden werden.
Eine Erweiterung der bundesdeutschen Eltemurlaubsregelungen sowie der Freistellungszeiten für Kinderbetreuung und Kindererziehung über das jetzige Erziehungsgeld-/urlaubsgesetz hinaus nach schwedischem Vorbild wäre auch bei uns geeignet, Familie und Beruf kombinierbar zu machen Dies wäre nicht nur ein positiver Beitrag zur Familienpolitik, der über tradierte Formen dieses Politikbereichs hinausginge, sondern eröffnete auch beschäftigungspolitische Optionen. Berechnungen des IAB zeigen, daß selbst der nun geltende Erziehungsurlaub Effekte für den Arbeitsmarkt hat: Geschätzt wird, daß die Zahl der Erwerbstätigen dadurch um ca. 66 000 gestiegen ist c) Weiterbildung während der Arbeitszeit Die Bedeutung der beruflichen Weiterbildung wird angesichts der demographischen Entwicklung sowie der durch den raschen Strukturwandel und neue Technologien veränderten Qualifikationsanforderungen weiter wachsen. Das berufliche Weiterbildungssystem der Bundesrepublik beruht gegenwärtig auf zwei Säulen: auf der durch das AFG geförderten Fortbildung und Umschulung (FuU) und der betrieblichen Weiterbildung. Beide Weiterbildungsbereiche entlasten schon heute den Arbeitsmarkt quantitativ und stellen qualitativ einen Beitrag zur Bewältigung von notwendigen Qualifizierungsprozessen dar
Allerdings sind beide Bereiche selektiv im Zugang zur Weiterbildung sowie in der Art und Dauer der Qualifizierung. Während im AFG Fortbildung und Umschulung primär auf Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer konzentriert sind, ist die betriebliche Weiterbildung stark auf mittlere und obere Führungsebenen sowie technische Angestellte ausgerichtet. Nur 2, 6 Prozent aller un-und angelernten Arbeiter sowie acht Prozent aller Facharbeiter partizipierten 1983/84 an betrieblicher Weiterbildung — gegenüber 65, 2 Prozent aller Führungskräfte
Die Schaffung eines nicht-selektiven Weiterbildungsanspruchs für alle Arbeitnehmer in Form eines Bildungsurlaubsgesetzes oder in Form von Tarifverträgen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe mit hoher Priorität. Bisher wurden Bildungsurlaubsgesetze nur in einigen Bundesländern realisiert, und nur einige wenige Tarifverträge erlauben den Arbeitnehmern die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung mit voller Lohnfortzahlung. In der Mehrheit der Tarifverträge ist der Weiterbildungsanspruch auf einige Gruppen (Betriebsräte/Funktionsträger) beschränkt oder an konkrete technische Veränderungen der Arbeitsplätze gebunden
Erste weiter gefaßte Tarifverträge zur Weiterbildung wurden in der Metallindustrie, Teilen der chemischen Industrie und im Baugewerbe abgeschlossen Insbesondere im Baugewerbe wurde dabei eine Finanzierungsform vereinbart, die Weiterbildungsaktivitäten auch für Klein-und Mittelbetriebe finanziell tragbar macht. Dort wird die Weiterbildung aus einer gemeinsamen Kasse der Tarifparteien finanziert, in die alle Betriebe der Branche einen festen Prozentsatz ihrer Lohnsumme einzahlen. Weiterbildungsteilnehmer erhalten Lohnausgleich aus dieser Kasse, deren Mittel darüber hinaus auch zum Aufbau einer Weiterbildungsinfrastruktur eingesetzt werden.
Ob und in welcher Weise die Ausweitung betrieblicher Weiterbildungszeiten für alle Arbeitnehmer mit Wochenarbeitszeitverkürzungen „verrechnet“ werden soll, ist momentan ein strittiges Thema; Tatsache ist jedoch, daß die Garantie beruflicher Weiterbildungszeiten ein weiteres beschäftigungspolitisches Potential erschließt.
Ronald Schettkat. Dr. rer. oec., Diplom-Volkswirt, Diplom-Ingenieur, geb. 1954; seit 1980 Wissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin, Forschungsschwerpunkt Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Veröffentlichungen u. a.: Erwerbsbeteiligung und Politik, Berlin 1986; Innovation und Arbeitsmarktdynamik, Berlin 1989; (zus. mit E. Matzner und M. Wagner) Beschäftigungsrisiko Innovation?, Berlin 1988; (zus. mit M. Wagner [Hrsg. ]) Technologischer Wandel und Beschäftigung, Berlin 1989. Friederike Maier, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirtin, geb. 1954; seit 1980 Wissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin, Forschungsschwerpunkt Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Veröffentlichungen u. a.: Beschäftigungspolitik vor Ort, Berlin 1988; (zus. mit W. Streeck u. a.) Steuerung und Regulierung der beruflichen Bildung. Berlin 1987; (zus. mit L. Hohenberger, C. Schlegelmilch) Materialien zur Frauenpolitik. 3/1989, Bundesministerium für Jugend. Familie, Frauen und Gesundheit, Bonn 1989.
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