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Längerfristige Arbeitsmarktperspektiven | APuZ 3/1990 | bpb.de

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APuZ 3/1990 Überlegungen zur Zukunft der Arbeit Zukunftsfelder der Arbeit Längerfristige Arbeitsmarktperspektiven Beschäftigungspotentiale der Arbeitszeitpolitik Zur wirtschaftlichen Eingliederung der Aussiedler

Längerfristige Arbeitsmarktperspektiven

Wolfgang Klauder

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Zusammenfassung

Mikroelektronik und weitere neuartige Technologien. Ökologisierung und Internationalisierung des Wirtschaftens, Geburtenrückgang und Wertewandel werden in den nächsten Jahrzehnten zu einem grundlegenden Strukturwandel der gesamten Wirtschafts-und Arbeitswelt führen. Je offensiver Wirtschaft und Politik den Strukturwandel bewältigen, desto günstiger wird sich die Beschäftigung entwickeln. Mit der häufig erwarteten globalen Entlastung des Arbeitsmarktes durch den Geburtenrückgang ist bei steigender Frauenerwerbstätigkeit und anhaltenden Zuwanderungen von Übersiedlem, Aussiedlern und Ausländem frühestens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, eventuell jedoch auch erst nach 2010 zu rechnen. Aber selbst nach 2010 gibt es noch genügend Ausgleichsmöglichkeiten, um es nicht so bald zu einer generellen Arbeitskräfteknappheit aufgrund des Geburtenrückganges kommen zu lassen. Die Wirtschaft der Bundesrepublik wird sich verstärkt zu einer forschungs-und entwicklungsintensiven sowie umweltverträglichen Wirtschaft mit weitgehender Auslandsorientierung und hohem Dienstleistungsanteil wandeln. Im Jahre 2010 dürften fast drei Viertel der Erwerbstätigen überwiegend tertiäre Tätigkeiten ausüben; dabei dürfte sich der Anteil der höherqualifizierten Tätigkeiten von derzeit 28 Prozent auf rd. 40 Prozent erhöhen. Dem werden zwar insgesamt formal höher qualifizierte, aber drastisch schrumpfende Nachwuchsjahrgänge sowie steigende Anteile von Frauen, Ausländem und Älteren gegenüberstehen. Ein massiver Ausbau der Weiterbildung sowie die Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeitszeiten dürften zu den wichtigsten Voraussetzungen zur Bewältigung des Strukturwandels und damit der Sicherung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gehören.

I. Einleitung

Abb. 1: Arbeitsmarktbilanz 1970— 2010. Effektiventwicklung und Ergebnisse von M) odellrechnungen (angepaßt an die Volkszählung 1987) Quelle: IAB-Berechnungen.

In der Bundesrepublik Deutschland und den meisten anderen westlichen Industrieländern hat sich nach 1973 in zwei Schüben, die zeitlich den beiden Ölpreisschüben folgten, eine hohe Arbeitslosigkeit aufgebaut, ohne daß es anschließend zu einem deutlichen Abbau gekommen wäre. Im Zuge des damit verbundenen Ausleseprozesses hat sich auch allenthalben der Sockel schwer vermittelbarer Langfristarbeitsloser merklich erhöht.

In der Bundesrepublik ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen zwar seit Mai 1989 erstmals wieder unter die Zwei-Millionen-Grenze gefallen, und in vielen Bereichen werden dringend Fachkräfte gesucht. Doch ist die Sorge weit verbreitet, daß weiterhin mit hohen Arbeitslosenzahlen zu rechnen sei oder es zumindest für die gering Qualifizierten und die Problemgruppen unter den Arbeitslosen nicht mehr genügend Arbeitsplätze geben oder uns die (bezahlte) Arbeit in absehbarer Zukunft sogar immer mehr ausgehen werde. Andere dagegen befürchten einen längerfristig zunehmenden Fachkräftemangel. wenn nicht gar eine generelle Arbeitskräfteknappheit.

Welche längerfristigen Arbeitsmarkttendenzen lassen sich nun für die Bundesrepublik ableiten? Dies hängt entscheidend davon ab. wie sich längerfristig die grundlegenden strukturellen Rahmenbedingungen für das Wirtschaftsleben und den Arbeitsmarkt verändern und wie die Menschen darauf reagieren.

II. Wandel der Rahmenbedingungen

Abb. 2: Erwerbstätige nach Tätigkeitsgruppen 1985 und 2010 (ohne Auszubildende, Anteile in vH) Quelle: IAB/Prognos-Projektion 1988/89 (mittlere Projektionsvariante; aus: Prognos AG [P. Hofer/I. Weidig/H. Wolff], Arbeitslandschaft 2010 nach Umfang und Tätigkeitsprofilen [BeitrAB 131]).

1. Grundlegend neue Technologien Mit der Mikroelektronik ist im Laufe der siebziger Jahre eine Basis-Technik in die Anwendungsphase eingetreten, deren innovative Bedeutung wohl nur mit der Erfindung der Dampfmaschine zu vergleichen ist. Sie dürfte daher ähnlich starke Umwälzungen auslösen, wie sie seinerzeit mit dem Durchbruch der Dampfmaschine begannen. Von der grundsätzlichen Bedeutung her hat mit der Mikroelektronik die zweite industrielle Revolution begonnen.

Die traditionelle „Industriegesellschaft“ wird sich zu einer „Informationsgesellschaft“ mit weitgehender Automatisierung der Routinevorgänge wandeln, die Ökonomie der Zukunft auf Wissen und Elektronik basieren. Flexibilisierung der Produktion, Dezentralisierung, Abflachung von Hierarchien zugunsten kleinerer Einheiten. Entkoppelung von Arbeitszeit und Betriebszeit sowie von Arbeitsort und Betriebsort sind ohne Effizienzeinbußen möglich und werden weiter um sich greifen. Neben der Mikroelektronik befinden sich weitere qualitativ neuartige Techniken am Beginn ihrer Diffusion oder kurz davor, z. B. Bio-Technik, Laser-Technik, Solarenergie. Wir stehen somit am Beginn eines bedeutenden technologischen Innovationsschubes. 2. Synthese von Ökonomie und Ökologie Seit den siebziger Jahren werden in aller Welt zunehmend die Grenzen des Wachstums für umwelt-schädliche Produktionen erkannt und umweltzerstörende Formen des Wirtschaftens immer weniger akzeptiert. Sollte die Industriegesellschaft nicht umweltverträglich werden, wird sie wachsender Widerstand beeinträchtigen und gefährden. Inzwischen nehmen die Umweltprobleme bereits solche Dimensionen an, daß ihre Bewältigung sogar schon bald zu einer Existenzfrage der Menschheit werden könnte.

Die weltweiten Umweltprobleme werden daher nicht nur Maßnahmen zur nachträglichen Beseitigung von Umweltschäden (erste Stufe des Umweltschutzes) und zur Schadstoffzurückhaltung und Wiederverwertung (zweite Stufe) erzwingen. Es wird vielmehr in der dritten Stufe auch eine weitreichende Umstellung des Wirtschaftens auf von vornherein umweltverträgliche und ressourcen-schonende Verfahren und Produkte erforderlich — also ein integrierter Umweltschutz, die vielbeschworene Synthese von Ökonomie und Ökologie. Diese Tendenzen müssen ebenfalls das Wirtschaften von Grund auf verändern. 3. Internationalisierung des Wirtschaftens Mit dem EG-Binnenmarkt, der Entwicklung der Dritten Welt und der wachsenden weltwirtschaftlichen Verflechtung fallen Grenzen und entfallen Bedingungen, die das Wirtschaften und die Wirtschaftsstrukturen der Industriegesellschaften seit Beginn der Industrialisierung maßgeblich geprägt haben. Das muß gleichfalls zu weitreichenden Veränderungen führen. Diese Tendenzen dürften z. B. einerseits generell zusätzliche Expansionschancen eröffnen, andererseits den Wettbewerb verschärfen und manche bisher durch Grenzen geschützte Standorte in Frage stellen 4. Geburten unter dem Bestandserhaltungsniveau Fast überall in den Industrieländern sinken im langfristigen Trend die Geburtenraten, bahnen sich Bevölkerungsrückgänge an. In der Bundesrepublik ist der Geburtenrückgang auf 60 Prozent des zur Bestandserhaltung nötigen Niveaus allerdings ausgeprägter als in anderen Industrieländern. Deshalb lebten im Bundesgebiet 1987 trotz der Zuwanderungen rd. eine Million weniger Menschen als 1974.dem Jahr mit dem bisher höchsten Bevölkerungsstand.

Inzwischen hat sich in der Bundesrepublik die Bevölkerungszahl im Zuge der dramatischen Umwälzungen in der DDR und den übrigen osteuropäischen Ländern wieder erhöht. Nachdem bereits 1988 rd. eine halbe Million Deutsche und Ausländer mehr zu-als abwanderten, könnte der Zuwanderungsüberschuß in diesem Jahr eine Million übersteigen. Weitere umfangreiche Zuwanderungen an deutschen Übersiedlern und Aussiedlern sind denkbar. Aber auch der Zuwanderungsdruck an Ausländern dürfte in einem Umfeld schwächer schrumpfender oder vorerst trotz des Geburtenrückganges noch wachsender Bevölkerungen mit zugleich häufig niedrigeren Einkommen anhalten. Es spricht derzeit vieles dafür, daß die Zuwanderung an Über-siedlern. Aussiedlern und Ausländern den Schrumpfungsprozeß der Bevölkerung für eine Reihe von Jahren unterbrechen und vielleicht selbst nach 2000 vorerst noch abbremsen wird.

Allerdings können selbst hohe Zuwanderungen den mit den schrumpfenden Nachwuchsjahrgängen verbundenen Alterungsprozeß der Bevölkerung nur zeitweilig etwas abschwächen, da ja nicht nur Kinder und Jugendliche zuwandern. Eine grundlegende Änderung ist nur über einen Tendenzwandel bei der Geburtenhäufigkeit möglich. Nach den vorliegenden Analysen ist allerdings kaum damit zu rechnen, daß es in absehbarer Zeit zu einem dauerhaften Wiederanstieg der Geburten auf das Reproduktionsniveau kommen könnte Möglich erscheint indessen eine Abschwächung des Geburten-rückganges, wenn Hemmnisse abgebaut werden, die heute verhindern, daß Wünsche nach Kindern auch realisiert werden.

Dieser Tendenzwandel von jahrhundertelangem Bevölkerungswachstum zu einer bislang beispiellosen Alterung und langfristigen Schrumpfung der Bevölkerung der Anteil der Älteren könnte sich in der Bundesrepublik bis 2030 nahezu verdoppeln — wird ebenfalls Verhaltensweisen und Wirtschaftsstrukturen nachhaltig beeinflussen. Auch wenn in der Bundesrepublik im Jahre 2030 noch ebenso viele Menschen wohnen dürften wie 1950, muß es die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Perspektiven tiefgreifend verändern, wenn den Bewohnern bewußt wird, daß sie ohne enorme Zu-wanderungen oder einen Wiederanstieg der Geburtenhäufigkeit um über 50 Prozent in Zukunft von Jahr zu Jahr immer weniger werden und sich selbst bei Zuwanderung das Zahlenverhältnis von Jungen und Alten umdreht. 5. „Wertewandel"

In allen Industrieländern ist mit steigendem materiellen Lebensstandard, zunehmendem Bildungsgrad und freiheitlicher oder gewährenlassender Erziehung ein sogenannter „Wertewandel“ in der Bevölkerung zu postmateriellen Werten zu beobachten. Die Einstellung zur Erwerbsarbeit ändert sich in Richtung auf mehr individuelle Entfaltung, Mitwirkung und Zeitsouveränität. Zu einem Gutteil dürften diese Tendenzen lediglich eine Art Gegengewicht dazu bilden, daß mit der Integration von immer mehr Männern und Frauen in die Zwänge des gewerblichen Arbeitslebens andere individuelle Freiheitsspielräume verloren gegangen sind und sich Rollenkonflikte verschärft haben Bietet der berufliche Bereich diese Möglichkeiten der individuellen Entfaltung nicht, so kommt es vermehrt zur Verlagerung des Leistungswillens in den Freizeitbereich.dem auch unabhängig davon wachsende Bedeutung beigemessen wird. Ferner wächst der Wunsch nach Wahrung nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologischer und kultureller Lebensgrundlagen. Diese Tendenzen dürften bei weiter steigendem Lebensstandard und Bildungsgrad ein immer größeres Gewicht erlangen.

Die Industrieländer befinden sich also in der Anfangsphase eines grundlegenden Strukturwandels der gesamten Wirtschafts-und Arbeitswelt, wie er vielleicht nur mit dem Übergang von der Agrar-zur Industriegesellschaft zu vergleichen ist.

II. Auswirkungen auf die globalen Arbeitsmarkttendenzen

Abb. 3: Erwerbstätige nach unterschiedlichen Anforderungsprofilen der Tätigkeiten 1985 und 2010 (ohne Auszubildende, Anteile in vH) Quelle: IAB/Prognos-Projektion 1988/89 (mittlere Projektionsvariante; aus: Prognos AG [P. Hofer/I. Weidig/H. Wolff], Arbeitslandschaft 2010 nach Umfang und Tätigkeitsprofilen, [BeitrAB 131]).

1. Rückblick Bereits in den siebziger Jahren begann sich der skizzierte Wandel der Rahmenbedingungen abzuzeichnen, auch wenn er zum Teil noch durch andere Entwicklungen überlagert und noch nicht in vollem Umfang erkannt wurde. Erinnert sei z. B. an den Eintritt der Mikroelektronik aus der Inventions-in die Innovationsphase, das Aufkommen neuer Schwellenländer, die Ölpreisexplosion, das Ende der Nachkriegsära fester Wechselkurse, die Schrumpfung der deutschen Bevölkerung seit 1972, den Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung, die Technologie-und Wachstumsdebatten, das Aufkommen von Umweltschutzbewegungen.

Im Gefolge der beiden Ölkrisen kam es weltweit sogar zu ernsten Wirtschaftsrezessionen, die mit gravierenden Beschäftigungseinbrüchen verbunden waren. In der Bundesrepublik konnte (unter überschlägiger Berücksichtigung der Ergebnisse der Volkszählung von 1987, der zufolge es 1987 rd. eine Million Erwerbstätige mehr gab als bislang ausgewiesen) der starke Beschäftigungseinbruch der Jahre 1974 bis 1976 schon bis 1980 und der Einbruch der Jahre 1982 bis 1983 bereits bis 1986 wieder voll ausgeglichen werden (vgl. Abb. 1).

Daß es trotzdem zu keinem entsprechenden Abbau der Arbeitslosigkeit kam, hängt mit dem gleichzeitigen Hineinwachsen der geburtenstarken Jahrgänge der mittfünfziger bis mittsechziger Jahre ins Erwerbsalter und der steigenden Frauenerwerbsbeteiligung zusammen.

Diese Tendenzen ließen das Erwerbspersonenpotential zwischen 1973 (dem letzten Vollbeschäftigungsjahr) und 1988 um immerhin über drei Millionen anwachsen. Für einen so großen Potentialzuwachs waren Wirtschaftswachstum und Arbeitszeit-veränderungen nicht ausreichend, so daß nicht genügend neue Vollzeit-und Teilzeitarbeitsplätze geschaffen werden konnten. Bemerkenswert ist aber, daß ohne diesen Potentialzuwachs — unter sonst gleichen Umständen — bereits 1980 und 1986 wieder Vollbeschäftigung geherrscht hätte.

Die Ursachen für die Beschäftigungseinbrüche und das nicht ausreichende Arbeitsplatzwachstum sind umstritten und wohl etwas differenzierter zu sehen, als es in der Öffentlichkeit zumeist geschieht. Ein in der öffentlichen Diskussion häufig genannter Faktor — nämlich die durch die neuen Technologien wie die Mikroelektronik möglich gewordene Rationalisierung — kann jedoch bislang noch keineswegs für die unbefriedigende Arbeitsplatzentwicklung verantwortlich gemacht werden Wenn dem so wäre, müßte sich das Tempo des Produktivitätsfortschrittes unabhängig vom Wirtschaftswachstum deutlich erhöht haben. Tatsächlich hat sich der Produktivitätsfortschritt im gesamtwirtschaftlichen Saldo im Trend in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten ständig verlangsamt und nicht beschleunigt, und zwar auch in Relation zum Wirtschaftswachstum. Die gestiegene Arbeitslosigkeit kann folglich bisher nicht auf eine Temposteigerung des technischen Fortschrittes bzw. auf vermehrte technikbedingte Freisetzungen zurückgeführt werden. Sie ist vielmehr eine Folge von Wachstumseinbrüchen und eines im Vergleich zur gleichzeitigen enormen Zunahme des Erwerbspersonenpotentials zu schwachen Wirtschaftswachstums sowie eine Folge unzureichender Gegenmaßnahmen und Anpassungsreaktionen auf den verschiedensten Gebieten einschließlich der Arbeitszeitpolitik.

Sicherlich stellen derart grundlegend veränderte Rahmenbedingungen Wirtschaft und Gesellschaft vor enorme Anpassungsaufgaben, die nur langsam, Schritt um Schritt, bewältigt werden können. Außerdem lösen derart einschneidende Veränderungen zunächst große Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungspfade aus, was die Investitionsneigung fürs erste dämpfen muß. Auch setzen sowohl die unzureichenden Daten und Kenntnisse des Wirtschaftsprozesses als auch der Mensch selbst jeder Steuerung des Wirtschaftslebens enge Grenzen. Dennoch gibt es einige Anzeichen dafür, daß trotz der veränderten Rahmenbedingungen, trotz der auf die beiden Ölpreisschübe folgenden Wirtschaftsrezessionen, trotz der amerikanischen Hochzinspolitik und anderer exogener Faktoren die Beschäftigung in der Bundesrepublik in den letzten 15 Jahren sich vielleicht noch etwas günstiger hätte entwickeln können Wie so häufig im Leben waren aber offensichtlich die Pendelausschläge sowohl in der Wirtschaftstheorie als auch in der Politik zu ausgeprägt. In den siebziger Jahren vertraute man zu einseitig der globalen Nachfragesteuerung und schenkte der Kostenlage und den Erwartungen der Wirtschaft zu geringe Aufmerksamkeit. Die Steuerung der globalen Nachfrage erfolgte dabei relativ kurzatmig und unstetig sowie ohne die unerläßliche lohnpolitische Absicherung. Seit den achtziger Jahren dominiert die sogenannte Angebotspolitik, die auf die Entfaltung der Anbieter von Gütern und Diensten setzt und dazu deren Angebotsbedingungen z. B. durch Senkung der Unternehmenssteuern und durch Deregulierungen verbessern will, unter Hintansetzung einer globalen Nachfragesteuerung und unter Absage an Beschäftigungs-bzw. Investitionsprogramme

Die Gewerkschaften schließlich fanden sich im allgemeinen erst in den achtziger Jahren zu einer zurückhaltenden Lohnpolitik bereit. Zu erwähnen ist ferner, daß die durchschnittliche Jahresarbeitszeit ausgerechnet in den der zweiten Weltwirtschaftsrezession folgenden Jahren 1982 — 1984, in denen die Arbeitslosenzahlen erstmalig die Zwei-MillionenGrenze überstiegen, nur relativ wenig zurückging. Nicht zu verkennen bleibt aber, daß es der deutschen Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren offensichtlich gelungen ist, die Expansionserwartungen der Wirtschaft zu stabilisieren und mit der jüngsten Steuerreform sowohl Angebots-als auch Nachfrageaspekten Rechnung zu tragen. Auf diese Weise konnte der 1983 einsetzende Erholungsprozeß in einen sich verstärkenden und inzwischen schon sieben Jahre anhaltenden Aufschwung mit beachtlichen Beschäftigungszuwächsen übergeführt werden. Allerdings sollte der glückliche Umstand nicht übersehen werden, daß der Aufschwung der letzten Jahre nicht zuletzt auch durch den Ölpreisverfall Mitte der achtziger Jahre unterstützt wurde, der wie ein großes konjunkturelles Steuerentlastungsprogramm wirken mußte. 2. Globale Perspektiven des Arbeitskräfteangebots Bis vor kurzem rechnete man in der Öffentlichkeit häufig damit, daß es wegen der mit dem Geburtenrückgang schrumpfenden Nachwuchsjahrgänge in den neunziger Jahren zu einer drastischen Entlastung des Arbeitsmarktes kommen müßte und spätestens nach dem Jahr 2000 zu allgemeiner Arbeitskräfteknappheit. Wie die Abb. 1 zeigt, würde nach den Modellrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) tatsächlich rein demographisch bedingt das Potential an Erwerbspersonen aufgrund des Geburtenrückganges ab 1990 sinken und im Jahr 2000 um ca. 1, 7 Millionen , im Jahr 2010 um beinahe vier Millionen und im Jahr 2030 um fast elf Millionen niedriger sein als heute (unterste, gepunktete Potentialkurve). Hierbei ist jedoch vorausgesetzt, daß die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in allen Alters-, Geschlechts-und Familienstandsgruppen zu gleichen Anteilen erwerbstätig sein will wie bisher und daß der Wanderungssaldo Null beträgt. Beide Annahmen waren und sind unrealistisch.

Erstens beteiligen sich wie in allen Industrieländern auch in der Bundesrepublik immer mehr Frauen trotz ungünstiger Arbeitsmarktlage am Erwerbsleben. Schreibt man diese Tendenz fort, ergibt sich die zweite Kurve von unten.

Zweitens sind weitere Nettozuwanderungen zu erwarten, so daß sich die Potentialkurve weiter nach oben verschieben dürfte. So ist in den nächsten Jahren vermutlich mit weiteren zahlreichen Aussiedlern und Übersiedlern zu rechnen. Unter Umständen könnten die Übersiedlerzahlen aus der DDR sogar dramatische Größenordnungen erreichen. Ferner wird angesichts der Bevölkerungs-und Arbeitsmarktentwicklung in den meisten anderen EG-Ländern sowie in den südlichen und östlichen EG-Nachbarländern der Zuwanderungsdruck von Ausländern anhalten. Immerhin dürfte es sowohl in den übrigen EG-Ländern als auch in der Türkei im Jahre 2000 jeweils rd.sechs Millionen Erwerbspersonen mehr geben als heute. Nimmt man daher Netto-Zuwanderungen in Höhe von insgesamt 2, 1 Millionen von 1990 bis 2010 an, ergibt sich die dritte Kurve von unten. Sollte sich schon bis 1993 ein Zuwanderungssaldo von 1, 9 Millionen ergeben, errechnet sich die oberste Kurve. Noch höhere Zuwanderungen sind nicht unwahrscheinlich. Aufgrund der beabsichtigten Wiederanhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre würden sich die drei oberen Kurven im Jahre 2010 weiter nach oben verschieben. Legt man zur ersten Abschätzung der Größenordnung näherungsweise die vor 1987 beobachteten maximalen Erwerbsquoten der Älteren zugrunde, so ergeben sich für das Jahr 2010 jeweils zusätzlich 0. 9 Millionen Personen. Schon bei einem Wanderungsgewinn von insgesamt 2, 1 Millionen 1990 bis 2010 könnte es dann 2010 sogar noch mehr Erwerbspersonen geben als heute.

Zeitpunkt und Umfang der Abnahme des Arbeitskräftepotentials durch den Geburtenrückgang müssen also noch als ungewiß eingestuft werden. Mit einer allmählichen Entlastung des Arbeitsmarktes durch den Geburtenrückgang ist bei steigender Frauenerwerbstätigkeit und Zuwanderungen frühestens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zu rechnen, evtl, auch erst nach 2010.

Nach 2010, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der fünfziger und sechziger Jahre ins Rentenalter kommen, könnte der Geburtenrückgang allerdings wohl auch auf den Umfang des Erwerbspersonenpotentials durchschlagen. Selbst bei einem Anstieg der Frauenerwerbsneigung aufannähernd das Männemiveau, wie für 2000 in Schweden erwartet, bedürfte es dann drastischer zusätzlicher Heraufsetzungen der Altersgrenze und/oder massiver Zuwanderungen, um dann noch einen Rückgang des Erwerbspersonenpotentials zu verhindern. Immerhin gäbe es jedoch bei einem derartigen Anstieg der Frauenerwerbsneigung sowie bei einem allgemeinen Ausscheiden wie in den sechziger Jahren im Jahr 2030 bereits ca. fünf Millionen mehr Erwerbs-personen, als rein demographisch zu erwarten wäre. Würde man z. B. ferner annehmen, die bisher bei den 55-bis 64jährigen maximal beobachteten Erwerbsquoten würden auch noch von den 60-bis 69jährigen realisiert werden, so stiege diese Zahl sogar auf rd.sechs Millionen. Damit wäre der rein demographisch von heute bis 2030 zu erwartende Potentialrückgang noch ohne Zuwanderungen der Kopfzahl nach bereits zu etwa 60 Prozent allein durch eine veränderte Erwerbsbeteiligung ausgeglichen. Außerdem dürfte es nicht realistisch sein anzunehmen, daß die Bundesrepublik sich jahrzehntelang zu einer Insel mit überproportionalem Bevölkerungsrückgang und steigendem Lebensstandard ab-schotten könnte in einer Umwelt mit geringer schrumpfenden oder gar mit wachsenden und zugleich ärmeren Bevölkerungen. Verbieten sich nicht in der heutigen Zeit insulare Betrachtungsweisen immer mehr? 3. Globale Perspektiven des Arbeitskräftebedarfs und der Arbeitsmarktbilanz Die Frage, ob in der Zukunft auf dem deutschen Arbeitsmarkt Arbeitskräfteknappheit oder Arbeitslosigkeit vorherrschen werden, hängt natürlich nicht nur vom Arbeitskräfteangebot, sondern auch vom Bedarf an Arbeitskräften und damit vom Wirtschaftswachstum sowie von dem sich dabei vollziehenden Strukturwandel und Produktivitätsfortschritt ab.

Im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit hat die Prognos AG in enger Zusammenarbeit mit dem IAB im Rahmen dreier umfassender Wachstumszenarien die Arbeitslandschaft der Zukunft nach Umfang, Branchen und Tätigkeitsprofilen unter expliziter Berücksichtigung technologischer und sozioökonomischer Bestimmungsfaktoren vorausgeschätzt, und zwar 1985/86 auf der Basis 1982 bis 2000 und 1988/89 auf der Basis 1985/1987 bis 2010 Bei den drei IAB/Prognos-Szenarien handelt es sich allerdings nicht um Darstellungen dreier völlig unterschiedlicher „Zukunftsbilder“. Auch sind sie nicht als „Potentialvariante“, „Normalvariante“ und „Krisenvariante“ konzipiert worden. Vielmehr schreiben die Prognos-Szenarien den Entwicklungspfad der achtziger Jahre in einer Bandbreite fort, die sich im wesentlichen daraus ergibt, ob die Wirtschaftssubjekte und die Politik auf die veränderten Rahmenbedingungen und die Herausforderungen der Zukunft mehr offensiv oder mehr defensiv reagieren, ob z. B.der EG-Binnenmarkt zügig oder nur schleppend und eingeschränkt realisiert wird, ob Energieeinsparung und Umweltschutz forciert oder vernachlässigt werden, ob es neue Impulse zur Lösung der Nord-Süd-und Ost-West-Probleme gibt oder ob Protektionismus, Regulierungen und Beharrungstendenzen vorherrschen.

Die IAB/Prognos-Szenarien berücksichtigen noch nicht die möglichen Auswirkungen der jüngsten Umwälzungen in der DDR, der massenhaften Zu-Wanderung an Übersiedlern und des neuen Wohnungsbauprogramms der Bundesregierung auf die längerfristige Arbeitsmarktentwicklung. Das IAB erarbeitet daher zur Zeit ein viertes Szenario. Dieses soll die jüngste anhaltend positive Beschäftigungsentwicklung aufgreifen und überschlägig auch die durch die überraschende Entwicklung in der DDR veränderte Situation zu berücksichtigen versuchen, soweit das heute überhaupt schon absehbar ist. Da bis zum Vorhegen dieser weiteren Variante auf der Basis 1989 das Spektrum der künftigen globalen Beschäftigungsentwicklung noch zu unvollständig erscheint und die drei IAB/Prognos-Varianten aufgrund ihrer Bevölkerungsannahmen auch nur eingeschränkt mit den beiden obersten Potentialkurven vergleichbar sind, wurde darauf verzichtet, die Beschäftigungspfade der drei IAB/Prognos-Szenarien in das Bilanzbild einzuzeichnen.

So viel läßt sich aber trotzdem sagen: Höhe und Struktur des zukünftigen Arbeitskräftebedarfs hängen vor allem vom Tempo des Strukturwandels ab, d. h. letztlich von der Bereitschaft und Fähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft im In-und Ausland, sich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Je offensiver die Wirtschaftssubjekte und die Politik auf die veränderten Rahmenbedingungen und die Herausforderungen der Zukunft reagieren, je schneller z. B. neue und zugleich umweltfreundliche Techniken angewandt werden, je zügiger der EG-Binnenmarkt realisiert wird, desto höher werden Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ausfallen. Bei Vorherrschen defensiver Strategien, starken Beharrungstendenzen und Protektionismus, innen-und außenpolitischen Polarisierungen durch vermehrte staats-und gruppenegoistische Handlungsweisen usw. ist dagegen mit einem nur niedrigen Pfad des Wirtschaftswachstums und einer tendenziell sinkenden Beschäftigung zu rechnen. Im ersten Fall könnte nach den Ergebnissen der drei lAB/Prognos-Szenarien die Beschäftigung im Jahre 2010 um ca. zwei Millionen höher, im zweiten Fall um ca. eine Million niedriger sein als 1987. Das in Arbeit befindliche IAB-Szenario dürfte aufgrund der enormen Zuwanderungen und des Wohnungsbauprogramms einen noch höheren Wachstumspfad mit einem vermutlich noch kräftigeren Anstieg der Erwerbstätigenzahl als die obere Variante der drei IAB/Prognos-Szenarien aufweisen. Ein günstiges Bild ergibt sich auch, wenn man der Einfachheit halber einmal annimmt, der in den sechs Jahren 1984— 1989 beobachtete Anstieg der Erwerbstätigenzahl um rd. 200 000 Personen pro Jahr würde sich im Durchschnitt bis 2010 fortsetzen — eine zweifellos kühne Annahme. Dann schnitte die Bedarfskurve um das Jahr 2000 die gepunktete. rein demographisch abgeleitete Potentialkurve und würde im Jahr 2010 das 93er Niveau der obersten Potentialkurve erreichen (ohne Berücksichtigung der Wiederanhebung der Altersgrenze). Das bedeutet: Bleibt die Wirtschaftskonstellation der Jahre 1984 bis 1988 uns im Durchschnitt bis zum Jahr 2010 erhalten, gäbe es 2010 über vier Millionen mehr Beschäftigte. Unter den Annahmen der Potentialkurve mit einem Wanderungssaldo von nur 2, 1 Milhonen 1990— 2010 würde dann die Arbeitslosigkeit etwa ab Mitte der neunziger Jahre deutlich zu sinken beginnen und ohne eine Wiederanhebung der Altersgrenze der Arbeitsmarkt um das Jahr 2005 leergefegt sein. Allerdings können konjunkturelle Schwächephasen nicht ausgeschlossen werden, und es ist ferner damit zu rechnen, daß bei abnehmender Arbeitslosigkeit noch mehr als bisher rationalisiert werden dürfte, was den Produktivitätsfortschritt wieder steigern müßte.

Nach Erreichung der Vollbeschäftigung bestünde bei jeder Variantenkombination die Gefahr, daß die aufgrund des Geburtenrückganges längerfristig möglichen Potentialabnahmen den Wachstums-spielraum der Bundesrepublik einengen und damit künftige Wohlstandsmehrungen erheblich begrenzen oder sogar den erreichten Wohlstand und das soziale Netz gefährden.

Dieser Gefahr könnten indessen eine Zeitlang nicht nur — bis zur Ausschöpfung dieser Möglichkeiten — der steigende Trend der Frauenerwerbsneigung, Zuwanderungen und weitere Anhebungen der Altersgrenze entgegenwirken, sondern auch die Gestaltung von Arbeitszeit und Produktivität. Bei allgemeiner Arbeitskräfteknappheit sind verstärkte Rationalisierungen und damit zusätzliche Produktivitätsfortschritte zu erwarten. Außerdem dürfte der Wunsch nach weiteren allgemeinen Verkürzungen der Jahresarbeitszeit nach dem Jahr 2000 sicherlich zunehmend an Bedeutung verlieren, wenn man die Arbeit als einen sinnvollen Bestandteil des Lebens ansieht. Immerhin wäre die jährliche Arbeitszeit bei Fortsetzung des derzeitigen Trends von — 0, 7 Prozent pro Jahr (einschließlich des Teilzeiteffektes) im Jahre 2010 um 14 Prozent und 2030 um rd. 25 Prozent kürzer als 1989. Bereits eine Forcierung des jährlichen Produktivitätsfortschrittes um 0, 5 Prozentpunkte und eine Verlangsamung der jährlichen Arbeitszeitverkürzung um ebenfalls 0, 5 Prozentpunkte würde ausreichen, die demographisch bedingte Schrumpfungskomponente beim Potential im ersten Jahrzehnt nach 2000 voll, im zweiten Jahrzehnt zu zwei Dritteln und im dritten Jahrzehnt zur Hälfte zu kompensieren.

Alle diese Handlungsmöglichkeiten können natürlich hinsichtlich ihrer Aus-und Rückwirkungen auch nur wieder im gesamtwirtschaftlichen Kontext angemessen beurteilt werden. Mit diesen ceterisparibus-Aussagen sei nur deutlich gemacht, daß es ein ganzes Spektrum von Ausgleichsmechanismen gibt, und daß es bei anhaltend niedrigen Geburtenziffern selbst nach 2010 noch nicht zwangsläufig zu einer generellen Arbeitskräfteknappheit zu kommen braucht. Damit ist allerdings noch nichts über strukturelle Engpässe ausgesagt.

Mit welcher globalen Arbeitsmarktsituation, mit welcher Variantenkombination wir in Zukunft rechnen müssen, hängt also ganz entscheidend von den Reaktionen auf die neuen Herausforderungen durch die veränderten Rahmenbedingungen ab; mit anderen Worten: davon, wie schnell und gut wir den Strukturwandel auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes bewältigen. Wie wird dieser Strukturwandel aussehen?

III. Auswirkungen auf die strukturellen Arbeitsmarkttendenzen

Abb. 4: Entwicklung des gesamten Erwerbspersonenpotentials (einschl. Ausländer) nach drei Altersgruppen 1982— 2030 (globale Niveauanpassung an die Volkszählung 1987 unter Verwendung der Erwerbstätigenzahlen des Mikrozensus ab 1975) Quelle: IAB-Potentialberechnung und IAB-Potentialprojektion von 1985 auf Basis 1982 bis 2000 und Überschlagsrechnung bis 2010 bzw. 2030 (M. Thon, Das Erwerbspersonen in der Bundesrepublik Deutschland (BeitrAB 105]).

1. Folgen für die Struktur des Arbeitskräfte-bedarfs Die Strukturtendenzen, insbesondere die Veränderungen von Strukturanteilen, haben sich sowohl von Projektion zu Projektion als auch gegenüber den häufigen, nicht unerheblichen Datenrevisionen des Statistischen Bundesamtes als ziemlich robust erwiesen. Daher dürften auch die bereits vorliegenden drei neuesten IAB/Prognos-Projektionsvarianten die Tendenzen des Strukturwandels weitgehend zutreffend erfassen. Nach diesen Projektionen wird sich sowohl der säkulare Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft im weitesten Sinne -nämlich zu den Dienstleistungsbranchen und zu den Dienstleistungstätigkeiten in allen Branchen — als auch der Strukturwandel zu im Durchschnitt höheren Tätigkeitsanforderungen und höheren formalen Qualifikationen fortsetzen. Am besten kommt der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt in der Untergliederung nach Tätigkeiten zum Ausdruck (vgl. Abb. 2 und 3): -Im Jahr 2010 dürften fast drei Viertel der Erwerbstätigen überwiegend Dienstleistungstätigkeiten im weitesten Sinne ausüben im Vergleich zu rd. 65 Prozent 1985. — Von den verbleibenden produktionsorientierten Tätigkeiten dürften 2010 fast 40 Prozent der Tätigkeiten auf das Einrichten, Einstellen und Warten von Maschinen entfallen gegenüber ca. 23, 5 Prozent 1985, und zwar nicht nur in Produktionsbetrieben, sondern zu einem Viertel auch in Dienstleistungsbetrieben. -Innerhalb der Dienstleistungstätigkeiten verschieben sich die Anteile stark von den „primären“ Dienstleistungstätigkeiten Handel, Büro, allgemeine Dienste zu den „sekundären“ Dienstleistungstätigkeiten Forschung und Entwicklung, Organisation und Management, Betreuen. Beraten, Lehren u. ä. Um das Jahr 2010 könnten rd. 35 Prozent aller Tätigkeiten (fast die Hälfte der Dienstleistungstätigkeiten) auf die „sekundären“ Dienstleistungen entfallen. — Der Anteil der höherqualifizierten Tätigkeiten dürfte sich bis 2010 auf fast 40 Prozent erhöhen gegenüber 28 Prozent 1985 zu Lasten des Anteils der einfachen Tätigkeiten, während sich der Anteil der mittelqualifizierten Tätigkeiten nur wenig ändert. — Die Kombination von betrieblichen Hierarchie-ebenen und Tätigkeitsgruppen ergab für den Zeitraum zwischen 1985 und 2010 folgende Haupt-Expansionsfelder: qualifizierte Fachaufgaben bei den „sekundären“ Dienstleistungstätigkeiten (ca. + 40 Prozent);

Führungsfunktionen sowie Organisations-und Koordinationsaufgaben (ca. + 35 Prozent);

Fachaufgaben beim „Maschinen einrichten/einstellen/warten" und beim „Reparieren“ (ca. + 16 Prozent); und nachstehende Haupt-Schrumpfungsfelder: Fachaufgaben bei „primären“ Dienstleistungstätigkeiten (ca. — 8 Prozent);

Hilfsfunktionen bei „primären“ Dienstleistungstätigkeiten (ca. — 21 Prozent);

Fachaufgaben beim „Gewinnen und Herstellen“ (ca. — 31 Prozent);

Hilfsfunktionen beim „Gewinnen und Herstellen“ (ca. — 45 Prozent).

Bezieht man die qualitativen Szenarioüberlegungen in die Betrachtung ein, so läßt sich zusammenfassend sagen: Die Bundesrepublik wird sich verstärkt zu einer forschungs-und entwicklungsintensiven sowie umweltverträglichen Wirtschaft mit weitgehender Auslandsorientierung und hohem Dienstleistungsanteil wandeln. Die einfache industrielle Massenproduktion wird weiter an Bedeutung verlieren. Begünstigt werden ferner dezentralisierte Strukturen, individualisierte Arbeitsmuster und durchlässige Strukturen, die den Bedürfnissen nach individueller Entfaltung und ganzheitlichem Leben mehr Raum geben. Den staatlichen Aktivitäten dürften enge Grenzen gesetzt bleiben. Der Strukturwandel wird ferner generell wachsende Anteile flexibler, kreativer Erwerbspersonen mit breitangelegter, fachübergreifender Ausbildung und hoher beruflicher und sozialer Qualifikation erfordern. Geschlechtsspezifische Unterschiede der Arbeitsplätze werden eingeebnet und für ihre Besetzung immer mehr Niveau und Struktur der Qualifikation ausschlaggebend.

Wenn auch — gemessen an den Tätigkeiten — die Arbeitswelt der Zukunft als Dienstleistungsgesellschaft zu bezeichnen sein wird, so ist sie damit aber noch keineswegs als postindustriell anzusehen, denn ein großer Teil der zusätzlichen Dienstleistungen ist Ausdruck einer vermehrten Förderung und Nutzung des „menschlichen Geistes“ — des soge-nannten Humankapitals — für eine hochentwikkelte industrielle Produktion, die ihrerseits damit immer abhängiger wird von diesen qualifizierten Dienstleistungen (den sogenannten „sekundären“ Dienstleistungen wie Forschen, Entwickeln, Koordinieren, Organisieren, Beraten, Lehren, Betreuen usw. im Unterschied zu den sogenannten „primären“ Dienstleistungen wie Lagern, Transportieren, Verteilen, Verkaufen, Reinigen, Bewirten usw.). Diese Interpretation wird auch dadurch gestützt, daß den Projektionen zufolge die Gruppe der wirtschaftsbezogenen Dienstleistungsbranchen (Beratung, Planung, Werbung, Ausstellungswesen, Leasing, Leiharbeit, Übersetzungsbüros, Entsorgung usw.) relativ weitaus am stärksten expandieren dürfte.

Beim Qualifikationsbedarf ist zu berücksichtigen, daß angesichts des grundlegenden Strukturwandels der Wirtschafts-und Arbeitswelt sich weniger denn je die zukünftigen Qualifikationsanforderungen längerfristig im Detail vorhersagen lassen. Die Halbwertzeit des Wissens sinkt. Die Dynamik der Entwicklung stellt immer häufiger und rascher formale Ausbildungsabschlüsse auf Spezialgebieten im Zeitablauf in Frage. Die neuen mikroelektronischen Techniken erfassen auch die bisher technik-freien Berufe. Der integrierte Umweltschutz wird ebenfalls so gut wie fast jeden Beruf und jede Branche betreffen. Die Diffusion grundlegend neuer Techniken, die zusätzliche Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte erfordern einen breit gestreuten Sachverstand, Flexibilität, Kreativität, mehr abstraktes, systematisches, planerisches sowie ganzheitliches, vernetztes Denken statt des bisher verbreiteten linearen, monokausalen Ursache-Wirkung-Denkens. Gerade die zukunftsweisenden interdisziplinären Arbeitsfelder, wie der integrierte Umweltschutz, reichen in oft weit voneinander entfernte Wissenschaftsgebiete hinein. Die neuen Technologien ermöglichen auf vielen Gebieten auch eine Umkehr des Vergangenheitstrends zur Arbeitsteilung.

Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wird mehr als bisher davon abhängen, daß eine „Up-to-Date-Qualifikation“ zur Bewältigung der jeweiligen Phase verfügbar ist. Gefragt sein werden auf allen Ausbildungsebenen zunehmend diejenigen Erwerbspersonen, die sich im Rahmen einer soliden Erstausbildung sowohl ein breites Grundlagen-und Methodenwissen im jeweiligen Fach als auch in hohem Maße fachübergreifende „Schlüsselqualifikationen“ angeeignet haben und die auf dieser Basis lebenslang in der Lage sind, sich gezielt die jeweils erforderlichen Spezialkenntnisse und den allgemeinen Wissensfortschritt auf dem Wege der Weiterbildung anzueignen. Damit wird die traditionelle, weitgehende räumliche und zeitliche Trennung von Ausbildung und Berufsausübung problematisch. 2. Folgen für die Struktur des Arbeitskräfteangebots Den Strukturtendenzen auf der Bedarfsseite des Arbeitsmarktes werden auf der Angebotsseite steigende Anteile von Frauen. Ausländem und Älteren am Erwerbspersonenpotential sowie zwar höher qualifizierte, aber drastisch schrumpfende Nachwuchsjahrgänge gegenüberstehen. Wie Abb. 4 zeigt, wird nach den 1985 veröffentlichten und inzwischen überschlägig aktualisierten und ausgedehnten IAB-Projektionen (neue Projektionen erscheinen voraussichtlich Anfang 1990) der Anteil der unter 30jährigen Erwerbspersonen am Erwerbspersonenpotential bereits bis 2000 von rd. 33 Prozent um ein Drittel auf rd. 20 Prozent sinken, ihre absolute Zahl um rd. 40 Prozent abnehmen und noch in den neunziger Jahren die der über 50jährigen Erwerbspersonen unterschreiten.

Gegen 2020 wird umgekehrt jede dritte Erwerbs-person — noch ohne Berücksichtigung einer Wiederausdehnung der Altersgrenze — 50 bis 64 Jahre alt sein (heute jede Fünfte). Durch die Wiederanhebung der Altersgrenzen wird der Anteil Älterer von einem Drittel sogar schon bald nach 2010 erreicht werden. Auch die jüngsten hohen Zuwanderungen werden an dieser Alterung nur wenig ändern und nicht verhindern können, daß junge Nachwuchskräfte schon sehr bald knapp sein werden. Neuere Projektionsergebnisse zur weiteren Untergliederung des zukünftigen Erwerbspersonenangebots — z. B. nach der formalen Ausbildungsebene — liegen zur Zeit noch nicht vor. Auf jeden Fall dürfte aber mit einem deutlichen Anstieg des formalen Bildungs-und Ausbildungsniveaus der Erwerbsbevölkerung und des Neuangebots an Erwerbspersonen zu rechnen sein. So dürften in den neunziger Jahren rd. 23 Prozent einen Hochschulabschluß und rd. 68 Prozent einen betrieblichen oder Fachschulabschluß aufweisen. 3. Folgen für die strukturelle Arbeitsmarktbilanz Aufgrund der schrumpfenden Nachwuchsjahrgänge werden der allgemeine Wissensfortschritt und ausgerechnet der von der Mikroelektronik und den anderen veränderten Rahmenbedingungen ausgehende grundlegende Strukturwandel in Zukunft in immer bedeutenderem Ausmaß von den Erwerbstätigen mittleren und höheren Alters bewältigt werden müssen, bei steigenden Anteilen von Frauen und Ausländern, die bislang in Wissenschaft und Technik unterrepräsentiert sind; bis 2000 außerdem weitgehend von Personen, die heute zum größten Teil ihre Erstausbildung bereits abgeschlossen haben, die noch relativ wenig aufden Umgang mit den neuen Technologien und die anderen Herausforderungen wie z. B.den EG-Binnenmarkt und den Umweltschutz vorbereitet wurden und die teilweise nach dem Motto „besser irgendeine Ausbildung als gar keine“ in Tätigkeitsfeldern ausgebildet wurden, die in Zukunft schrumpfen werden.

Ferner liegen die Schwerpunkte des Bedarfszuwachses z. B. auf der betrieblichen Ausbildungsebene bei den Angestelltentätigkeiten, vor allem im Dispositionsbereich, nicht dagegen bei den Arbeiter-und Handwerkertätigkeiten — den Schwerpunkten der betrieblichen Ausbildung. Aus den sich abzeichnenden Diskrepanzen zwischen Bedarfszuwachs und den Schwerpunkten der formalen Berufsausbildung kann allerdings nicht ohne weiteres auf eine allgemein verfehlte Erstausbildung geschlossen werden. Z. B. kann in vielen Fällen die Erlernung der Fertigungstechniken Voraussetzung für eine spätere Tätigkeit im Dispositionsbereich, in der Beratung usw.sein — Tätigkeiten, für die dann Zusatzqualifikationen erworben werden müssen.

Auf der Akademikerebene könnten sich um das Jahr 2000 herum bei günstiger Wirtschaftsentwicklung Angebot und Bedarf trotz der bis dahin zu erwartenden Erhöhung des Akademikerbestandes um die Hälfte global weitgehend ausgleichen Eine allgemeine Akademikerschwemme ist also entgegen mancher Besorgnis nicht zu befürchten. Allerdings ist im Zeitablauf und nach Fachrichtungen sehr wahrscheinlich mit beachtlichen Diskrepanzen zwischen der Angebots-und Bedarfsentwicklung zu rechnen. Während der Bedarf relativ kontinuierlich ansteigt, werden die Absolventen-jahrgänge bereits in der ersten Hälfte der neunziger Jahre am stärksten besetzt sein. Außerdem entfällt den Projektionen zufolge ein großer Teil des Bedarfszuwachses auf den privatwirtschaftlichen Bereich und auf Tätigkeitsbereiche, auf die die Studiengänge der Fachhochschulen bislang häufig noch zu wesentlich höheren Anteilen vorbereiten als diejenigen der wissenschaftlichen Hochschulen. Auch wenn langfristig der Strukturwandel die Beschäftigungschancen für Akademiker verbessern dürfte, könnte der Berufseinstieg daher mittelfristig zunächst noch schwieriger werden als bisher.

Die Zukunft läßt sich jedoch beeinflussen. Internationale Vergleiche deuten z. B. darauf hin, daß in der Bundesrepublik in den meisten Dienstleistungszweigen noch deutlich über die Projektionen hinausgehende Wachstumschancen bestehen Die Erschließung dieser Wachstumspotentiale könnte manchem flexiblen und mutigen qualifizierten Arbeitnehmer sogar zu einer selbständigen Existenz verhelfen, insbesondere bei staatlicher Förderung von Existenzgründungen. Auch in den übrigen Wirtschaftsbereichen dürfte der vor uns liegende Strukturwandel vermehrte Chancen für kreative Unternehmensgründungen bieten.

Der einzelne schließlich verbessert in aller Regel durch die für ihn höchstmögliche Qualifizierung seine Beschäftigungschancen gegenüber geringer Qualifizierten. Auch Arbeitsplätze, die zunächst nicht dem Ausbildungsniveau entsprechen, lassen sich mit der Zeit, wie Untersuchungen belegen, den persönlichen Fähigkeiten entsprechend anreichern.

Für Unqualifizierte oder nicht Qualifizierungsfähige wird indessen zweifellos das Arbeitslosigkeitsrisiko weiter zunehmen, sofern es nicht gelingt, den Anteil der Unqualifizierten durch Bildungs-und Weiterbildungsmaßnahmen etwa entsprechend dem Rückgang der Arbeitsplätze für Hilfstätigkeiten ebenfalls deutlich zu senken. Aufgrund der altersstrukturellen Entwicklung könnte insbesondere die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen tenden-ziell ansteigen, die nicht mehr ausreichend qualifizierungsfähig sind und denen bei ungünstiger Wirtschaftsentwicklung nur noch mit Altemativbeschäftigungen etwa im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geholfen werden könnte. Nicht übersehen werden sollte aber, daß auch im Jahre 2000 noch ca. 20 Prozent der Arbeitsplätze von Ungelernten besetzt werden können. Bei einer Gegenüberstellung der früheren IAB/Prognos-Projektionswerte des Arbeitskräftebedarfs nach Qualifikationsebenen und von entsprechenden Angebots-schätzungen der „Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung“ ergeben sich sogar auch für die Qualifikationsebene „ohne Ausbildungsabschluß“ im Jahr 2000 insgesamt noch keine gravierenden Diskrepanzen Bei allgemeiner Arbeitskräfteknappheit dürften daher nach aller Erfahrung auch viele nicht mehr Qualifizierungsfähige einen Arbeitsplatz finden, den ihnen Qualifizierungsfähige durch Wechsel auf höherwertige Arbeitsplätze freigemacht haben. Generell ist allerdings zu bedenken, daß die Bereitschaft und die Fähigkeit der Erwerbspersonen zur beruflichen und regionalen Mobilität und zur Fortbildung mit zunehmendem Alter nach aller Erfahrung abzunehmen pflegen, so daß sich bei alternder Erwerbsbevölkerung die strukturelle Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft vermindert.

IV. Schlußbemerkungen

Für die langfristige Wirtschafts-und Arbeitsmarkt-entwicklung der Bundesrepublik Deutschland dürfte die Qualifikation der Erwerbstätigen zu einer Schlüsselgröße werden. Bereits heute hemmen Informations-und Qualifikationsdefizite der Erwerbstätigen den nötigen Strukturwandel. Insbesondere für die Diffusion neuer Technologien fehlt es an Fachkräften. Aufgrund der steigenden Anteile Älterer könnten diese Qualifikationshemmnisse in Zukunft ein noch größeres Gewicht bekommen und die zusätzlich geforderte Innovations-, Anpassungs-und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gefährden. Auch Anhebungen der Altersgrenze sind vom Arbeitskräftebedarf her gesehen nur für diejenigen Fachkräfte sinnvoll, die up-to-date geblieben sind. Für alle anderen wird in Zukunft die Gefahr von Dequalifizierung oder struktureller Arbeitslosigkeit immer größer werden

Um die Anpassungsfähigkeit der Volkswirtschaft zu fördern und sowohl strukturelle Arbeitslosigkeit als auch einen längerfristig wachsenden Fachkräfte-mangel zu vermeiden und den Produktionsfaktor „Qualifikation“ unter den veränderten technologischen, ökologischen, weltwirtschaftlichen, demographischen und individuellen Rahmenbedingungen besser zu nutzen, sind indessen eine Reihe von Maßnahmen möglich, z. B.: die Verbesserung der Erstausbildung, die Umgestaltung der Erstausbildüng in Richtung aufeine breite, fachübergreifende solide Grundausbildung mit einem höheren Anteil von Schlüsselqualifikationen, der massive Ausbau der Weiterbildung, das Aufspüren brachliegender Fachkenntnisse und der in der Ausbildungsbreite zentraler Berufe angelegten Möglichkeiten beruflicher Mobilität; ferner die Förderung der Produktivität durch Ausweitung der Mitwirkungsspielräume und weniger Arbeitsteilung, eine vorsorgliche Personalpolitik mit gleichrangiger Durchführung von Investitions-und Personalplanung, die vermehrte Altersbeschäftigung qualifizierter, erfahrener Erwerbspersonen, die volle und dauerhafte Integration der weiblichen Beschäftigten und der Ausländer in das Ausbildungswesen, die personelle Aufstiegsplanung, das Sozialwesen, die Ausweitung und Integration der Teilzeitbeschäftigung sowie die Einführung flexiblerer, insbesondere individuellerer Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Entkoppelung der Arbeits-und Betriebszeiten.

Die Bereitschaft und Fähigkeit zu lebenslangem Lernen sowie ein entsprechend massiver Ausbau der Weiterbildung auf allen Ausbildungsebenen einschließlich der Hoch-und Fachhochschulen dürften dabei zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen, auch bei schrumpfenden Nachwuchsjahrgängen den Strukturwandel so zu bewältigen, daß Wirtschaftswachstum und Beschäftigung im internationalen Wettbewerb gesichert und technologisch bedingte Freisetzungen kompensiert werden. Die geburtenschwächeren Jahrgänge sollten kein Anlaß sein, den Bildungs-und Ausbildungssektor wieder schrumpfen zu lassen, sondern als Chance verstanden werden, Bildungs-und Ausbildungsaufwendungen zugunsten des Aufbaus einer zwischen Wirtschaft, privaten Bildungsträgern und öffentlicher Hand abgestimmten Weiterbildungsinfrastruktur umzuwidmen.

Ferner spricht nach allen Untersuchungen viel dafür, daß mehr Teilzeitmöglichkeiten heute zunächst den Arbeitsmarkt beachtlich entlasten könnten längerfristig aber steigende Frauen-und Alterserwerbstätigkeit erheblich erleichtern würden. Sie könnten auch dazu beitragen, daß viele Frauen ihre Wünsche nach Kindern dann besser mit ihren Berufsvorstellungen vereinbaren können. Die Flexibilisierung der Lebens-und Jahresarbeitszeit dürfte außerdem nicht nur den wachsenden Wünschen nach mehr Zeitsouveränität und individuelleren Gestaltungsmöglichkeiten im Wirtschafts-und Arbeitsleben entgegenkommen. Sie würde auch marktwirtschaftlichen Steuerungselementen mehr Raum geben — etwa bei der Anpassung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens an unterschiedliche Arbeitsmarktkonstellationen. So würde auch der Unsicherheit über künftige Entwicklungen besser Rechnung zu tragen sein.

Die Bundesrepublik steht somit, wie die meisten anderen Länder, vor einer Periode gewaltiger Herausforderungen auf den verschiedensten Gebieten, denen nicht auf den wenigen eingefahrenen Geleisen, sondern nur mit vielen innovatorischen Antworten erfolgreich zu begegnen sein wird. Die allgemeinen gesellschaftspolitischen Trends weisen dabei im Wirtschafts-und Arbeitsleben der Industrieländer auf eine Erweiterung der individuellen Optionen, auf mehr Dezentralisierung und vermehrte marktwirtschaftliche Steuerung bei der Bewältigung des enormen Strukturwandels.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum EG-Binnenmarkt vgl. G. Nerb, Zukunftschancen für Europa — was bringt der Europäische Binnenmarkt nach 1992, in: Ifo-Schnelldienst. 16/89, S; 5— 13; J. Gürtler, Erwartete Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Deutsche Industrie, in: ebd., S. 24— 31; K. Vogler-Ludwig, Europäischer Binnenmarkt und Beschäftigung. Ein Problemaufriß, in: Beiträge zur Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (BeitrAB) 127, Nürnberg 1989. Außerdem hat die Bundesanstalt für Arbeit für eine im Frühjahr 1990 in Nürnberg stattfindende internationale Arbeitsmarktkonferenz eine eingehendere Analyse bei der Prognos AG in Auftrag gegeben. (Die Ergebnisse werden in den BeitrAB veröffentlicht werden.)

  2. Vgl. vor allem das umfassende Gutachten der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt, Bevölkerungsentwicklung und nachwachsende Generation. Bericht eines Arbeitskreises der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt. Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend. Familie und Gesundheit. Bd. 93. Stuttgart 1980. insbesondere die Abschnitte „Demographische Lage“ (Bearbeiter: Ch. Höhn/K. Schwarz) und „Bestimmungsgründe des Geburtenrückgangs und Überlegungen zu einer möglichen Beeinflußbarkeit“ (Bearbeiter: K. M. Bolte). Zu den Auswirkungen s. a. W. Klauder, Die Bedeutung des Bevölkerungsrückganges für Arbeitsmarkt Wirtschaft und Politik, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (MittAB). (1980) 4. S. 485-

  3. Vielleicht ist es auch aus diesem Grunde richtiger, mit K. M. Bolte nicht von einem Wertewandel, sondern einem Wandel der Wertverwirklichung zu sprechen, nämlich „daß diese Einstellungsänderungen ... als die Folge einer Festigung und weiteren Verbreitung tragender kultureller Werte der Industriegesellschaft und des Bestrebens zu verstehen sind, diese Werte unter veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verwirklichen“ (K. M. Bolte, Veränderungen im Verhältnis von Arbeit und Leben. Anmerkungen zur Diskussion um den Wandel von Arbeitswerten, in: L. Reyher/J. Kühl [Hrsg. ], Resonanzen. Arbeitsmarkt und Beruf — Forschung und Politik. Festschrift für Dieter Mertens [BeitrAB 111], Nürnberg 1988. S. 79).

  4. Vgl. u. a. W. Dostal. Arbeitsmarktwirkungen moderner Technologien. Neue Erkenntnisse aus der Meta-Studie?, in: MittAB, (1989) 2, S. 187 -201; W. Friedrich/G. Ronning, Technischer Fortschritt — Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt, in: Ifo-Schnelldienst, 22/85, S. 13— 25; W. Klauder. Technischer Fortschritt und Beschäftigung, in: MittAB. (1986) 1, S. 1-18; L. Pusse/W. Ruppert, Zu den Auswirkungen von Innovationen und Wachstum. Beschäftigung und Arbeitsproduktivität im Verarbeitenden Gewerbe, in: MittAB, (1989) 2, S. 218-232.

  5. Daß sich bei zielbewußtem und aufeinander abgestimmtem Handeln die Arbeitslosigkeit erheblich herabdrucken läßt und auch die Kreislaufzusammenhänge nicht außer Kraft gesetzt sind, zeigen die Erfahrungen in Österreich und Schweden sowie in den USA und in der Schweiz. Abgesehen von der Schweiz, in der vor allem die Ausländerbeschäftigung gedrosselt wurde, kamen in diesen Ländern gemischte Strategien zum Einsatz, gegen die im einzelnen zwar viele Einwände vorgebracht werden können, die jedoch auf durchaus sehr unterschiedliche Weise sowohl Angebots-als auch Nachfrageaspekte umfaßten. Hauptelemente der Wirtschaftspolitik waren (etwas vereinfacht): In Österreich: Verstetigung der Erwartungen durch Kooperation von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften im Rahmen einer sogenannten „Wirtschafts-und Sozialpartnerschaft“ mit Preis-und Lohnunterausschüssen; produktivitätsorientierte Lohnpolitik; angebots-und nachfrageorientierte steuerliche Investitionsförderung; 1987 drastische Senkung der Lohn-und Einkommensteuer; fiskalpolitische Global-steuerung; Anbindung des Wechselkurses an die DM (Hart-währungspolitik); Begrenzung der Ausländerbeschäftigung. In Schweden (achtziger Jahre): Ein breiter Konsens, die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-und Vollbeschäftigungspolitik als Einheit zu sehen mit höchster Priorität für die Vollbeschäftigung; abgestimmte Lohn-und Geldpolitik sichert stabile reale Lohnkosten; einheitliche Lohnniveauänderungen forcieren Strukturwandel; öffentliche Mittel für zukunftsträchtige Investitionen; drastischer Abbau bestandserhaltender Subventionen; investitionsfreundliche Steuerpolitik; 70 Prozent der Ausgaben der Arbeitsverwaltung für aktive Arbeitsmarktpolitik wie Qualifizierung und Arbeitsbeschaffung (Bundesrepublik: Relation umgekehrt); Beschäftigungsgarantie für 18-und 19jährige; Förderung von Teilzeitbeschäftigung; Möglichkeit des vorzeitigen Ruhestandes; starke Ausweitung des öffentlichen Dienstes; hohe Staats-quote; hohe Abgabenbelastung. In den USA (achtziger Jahre): Nachfrageanregung mit angebotspolitisch begründeten und strukturierten umfangreichen Steuersenkungen unter Inkaufnahme großer Haushaltsdefizite; Lockerung der Geldpolitik ab 1982; Abbau der Sozialleistungen unter gleichzeitiger Erhöhung der Verteidigungsausgaben; Lockerung von Genehmigungsvorschriften.

  6. Eine Flut von insgesamt 16 sogenannten Beschäftigungsprogrammen zwischen Anfang 1974 und Ende 1981 ohne gleichzeitigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen hat dieses Instrument in einen nicht ganz gerechtfertigten Mißkredit gebracht. Denn die meisten dieser Programme waren für globale Beschäftigungseffekte viel zu gering bemessen oder sie wurden durch Sparmaßnahmen an anderer Stelle der öffentlichen Haushalte konterkariert. Ihren Namen verdienten höchstens das „Programm zur Stärkung von Bau-und anderen Investitionen“ von August 1975 in Höhe von knapp sechs Milliarden DM. die „Beschlüsse zur Stärkung der Nachfrage und zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums“ vom Juli 1978 mit einem Ausgabenteil von fünf Milliarden DM. die „Beschäftigungswirksamen Maßnahmen im Rahmen der Operation ‘ 82" vom September 1981 mit einem Ausgabenteil von neun Milliarden DM. am ehesten aber noch das soge-nannte Zukunftsinvestitionsprogramm („Mehrjähriges öffentliches Investitionsprogramm zur Wachstums-und um-weltpolitischen Vorsorge“) vom März 1977 in Höhe von 20 Milliarden DM. Diesen vier Programmen lassen sich nicht nur strukturelle, sondern auch globale Beschäftigungseffekte zurechnen. Ohne diese Programme wäre die durch die Welt-wirtschaftskrisen und den Anstieg des Erwerbspersonenpotentials ausgelöste Zunahme der Arbeitslosenzahlen noch höher ausgefallen. Auch die oft behaupteten sogenannten „Crowding-out“ -Effekte dieser Jahre (nämlich daß die öffentliche Kreditaufnahme am Kapitalmarkt die Zinsen hoch-getrieben und private Investoren verdrängt hätte) lassen sich für diese Unterbeschäftigungsjahre nicht belegen. Vgl. zu diesen Themen u. a. J. Kromphardt, Arbeitslosigkeit und Inflation. Eine Einführung in die makroökonomischen Kontroversen, Göttingen-Zürich 1987.

  7. Vgl. M. Thon. Das Erwerbspersonenpotential in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung seit 1960 und Projektion bis 2000 mit einem Ausblick bis 2030 (BeitrAB 105), Nürnberg 1986.

  8. Vgl. zur ersten Generation: Prognos AG (C. v. Rothkirch/I. Weidig, u. a.). Die Zukunft der Arbeitslandschaft. Zum Arbeitskräftebedarf nach Umfang und Tätigkeiten bis zum Jahr 2000 (BeitrAB 94. 1 und 94. 2), Nürnberg 1985; Prognos AG (C. v. Rothkirch/I. Weidig). Zum Arbeitskräftebedarf nach Qualifikationen bis zum Jahr 2000 (BeitrAB 95), Nürnberg 1986; K. M. Bolte u. a. (Hrsg.), Schwerpunktheft „Arbeitskräftestruktur 2000“, in: MittAB. (1986) 1, S. 1— 201; E. Hoffmann/P. Schnur/F. Stooß/M. Tessaring, Die Zukunft der Arbeitslandschaft, IAB/Prognos-Projektion zur Entwicklung des Arbeitskräfte-bedarfs bis 2000, in: Materialien aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (MatAB), (1986) 6. Vgl. zur zweiten Generation: Prognos AG (P. Hofer/I. Weidig/H. Wolff). Arbeitslandschaft bis 2010 nach Umfang und Tätigkeitsprofilen. (BeitrAB 131), Nürnberg 1989. Weitere Veröffentlichungen werden vom IAB vorbereitet.

  9. Vgl. M. Tessaring, Arbeitsmarkt für Akademiker, in: Gestern — heute — morgen, (1988), 5 MatAB.

  10. Vgl. W. Klauder, Erwerbsmöglichkeiten und Nachfrage nach Dienstleistungen bei Freien Berufen. Ergebnisse gesamtwirtschaftlicher Projektionen, in: NIW-Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Freie Berufe, Beschäftigungsmöglichkeiten und Wettbewerb in der Diskussion, NIW-Workshop 1987, Hannover Juli 1988, S. 1-16.

  11. Vgl. M. Tessaring. Arbeitslosigkeit, Beschäftigung und Qualifikation. Ein Rück-und Ausblick, in: MittAB, (1988) 2, S. 187.

  12. Vgl. W. Klauder, Arbeitsmarkt und Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben — gegenwärtige und zukünftige Tendenzen und Probleme, in: Sozialer Fortschritt, 38 (1989) 4, S. 85-95.

  13. Saldiert man gewünschte und realisierte Arbeitszeiten der erwerbstätigen Frauen auf der Basis der genauen Stundenangaben (pro Woche), so errechnet sich für 1986 eine Diskrepanz von immerhin sieben Stunden bzw. 20 Prozent der tatsächlichen Arbeitszeit. In diesem Umfang arbeiteten also Frauen im Durchschnitt mehr als es ihrem eigentlichen Wunsch entsprach. Die ungewollte Mehrarbeit entspricht etwa acht Prozent des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsstundenvolumens und somit — rein rechnerisch — der derzeitigen registrierten Arbeitslosigkeit. Vgl. Ch. Brinkmann, Arbeitszeitpräferenzen und Partnerarbeitsvolumen. Zwischenergebnisse aus der 1986 durchgeführten IAB-Repräsentativbefragung von erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen, in: W. Peters (Hrsg.), Fraucnerwerbstätigkeit, Arbeitspapier 1989-7 aus dem Arbeitskreis Sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung (SAMF), S. 113— 142.

Weitere Inhalte

WolfgangKlauder, Dr. sc. pol., Diplom-Volkswirt, geb. 1931; Leitender Wissenschaftlicher Direktor und Bereichsleiterim Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: Technischer Fortschritt und Beschäftigung. Zum Zusammenhang von Technik, Strukturwandel. Wachstum und Beschäftigung, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1986) 1; Arbeitsmarkt und Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben — gegenwärtige und zukünftige Tendenzen und Probleme, in: Sozialer Fortschritt, (1989) 4.