I. Vorbemerkungen
Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen und Ziele waren die Alliierten schon während des Zweiten Weltkrieges übereinstimmend zu der Überzeugung gelangt, daß künftig außergewöhnliche Vorkehrungen getroffen werden müßten, um ein für allemal eine erneute Aggression Deutschlands und eine Bedrohung des Weltfriedens auszuschließen. Eine umfassende Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses der europäischen Staaten vor Deutschland war und blieb der Eckpfeiler der alliierten Deutschlandpolitik seit den Kriegskonferenzen und den Nachkriegsplanungen der Siegermächte bis zu den Vereinbarungen der Westmächte in der Nachkriegszeit über die Errichtung und Integration eines westdeutschen Staates in Westeuropa.
Für die Westalliierten stellte sich somit vorrangig das Problem, durch welche außen-und innenpolitischen Maßnahmen Deutschland langfristig als Sicherheitsrisiko ausgeschaltet werden könne, ohne daß diese Maßnahmen negative Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung Europas zur Folge haben würden.
II. Die amerikanisch-britische Verständigung zur Überwindung der Stagnation in der Deutschlandpolitik: Die Entscheidung für die Bizone
Im Frühjahr 1946 zeichnete sich bereits deutlich ab, daß eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands, vor allem die Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit, in absehbarer Zeit nicht zu erreichen war. Die bisherigen Versuche einer Vier-Mächte-Verständigung in den deutschen Angelegenheiten waren an den Sonderinteressen der Sowjetunion und besonders am Widerstand Frankreichs gescheitert.
Großbritannien, das sich in dem von Deutschland aufgezwungenen Krieg völlig übernommem hatte und in finanzielle Abhängigkeit von den USA geraten war, unternahm im Frühjahr 1946 einen vehementen Vorstoß zur Reduzierung der Belastungen für den britischen Steuerzahler. Die britische Regierung hatte im Haushaltsjahr 1945/46 für Lebensmitteleinfuhren in die britische Zone 74 Millionen Pfund aufbringen müssen, um der deutschen Bevölkerung das Existenzminimum sichern zu können Außenminister Bevin hatte auf der Außenministerkonferenz der vier Mächte, die im Frühjahr 1946 in Paris tagte, den Vorschlag gemacht, gegebenenfalls die britische Zone in eigener Verantwortung für den Export zu organisieren, als sich am Ende der Konferenz wiederum keine Fortschritte in der Deutschlandpolitik abzeichneten. Auf dieser Kon-ferenz machte dann bekanntlich US-Außenminister Byrnes das Angebot zur wirtschaftlichen Zusammenlegung der amerikanischen Zone mit jeder anderen Zone.
Ob nun der britische Vorstoß für die USA ausschlaggebend gewesen war, das Angebot für die Zonenfusion zu machen oder ob der amerikanische Außenminister einen Vorschlag General Clays aufgriff, der wiederholt auf die sich rapide verschlechternde Wirtschaftslage hingewiesen hatte kann in diesem Zusammenhang außer acht bleiben. Sicher hätten die USA es nicht hinnehmen können, wenn Großbritannien zur Finanzierung der Importe den Export der Ruhrindustriegüter drastisch erhöht und damit die britische Zone eigenständig verwaltet hätte. Gleichfalls ist bekannt, daß General Clay mehrere Initiativen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in der US-Zone unternahm und seine Regierung mit weitreichenden Vorschlägen bedrängte, das amerikanische Prestige bei der deutschen Bevölkerung nicht aufs Spiel zu setzen. In der Folgezeit waren die USA ängstlich darum bemüht, die Zonenfusion lediglich auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu begrenzen. Die Bizone sollte nicht das Ende der gesamtdeutschen Bemühungen anzeigen und auch nicht als Bruch der Vier-Mächte-Vereinbarungen interpretiert werden können. So wurden fünf bizonale Ressorts geschaffen, doch peinlich darauf geachtet, keine bizonale Hauptstadt entstehen zu lassen; daher wurden die fünf Verwaltungen auf das gesamte Gebiet der Bizone verstreut. Anfangs wollte man auf eine parlamentarisch-demokratische Kontrolle überhaupt verzichten, um einen politischen Akzent zu vermeiden, der unerwünscht war. Erst als sich zeigte, daß die Versuche zur Organisation der Bizone bereits im ersten Anlauf gescheitert waren, entschloß man sich, ein politisches Organ, den Wirtschaftsrat — eine Art Parlament — zur Koordination der Zweizonenbehörden zu schaffen Daß die Errichtung der Bizone im Rückblick einmal als „Vorform des Weststaats“ verstanden werden könnte, war von den USA nicht geplant, und auch Großbritannien beabsichtigte keine derartige Lösung, wenngleich in der Folgezeit die traditionell pragmatisch orientierte britische Außenpolitik in der Weststaatslösung die einzig reale Chance erblickte.
Zunächst hatten die USA und Großbritannien mit der Zusammenlegung ihrer Zonen vorrangig akute wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Griff bekommen wollen. Die Selbstversorgung der Zonen sollte auf absehbare Zeit ermöglicht werden, und auch eine Verringerung der Personalausgaben auf Seiten der Militärregierungen wurde geplant. Sodann war die Zonenfusion ein erster aktiver Schritt zur Über-windung der Obstruktions-und Stagnationspolitik, die bisher die beiden anderen Besatzungsmächte — Frankreich und die Sowjetunion — im Kontrollrat wie auf den Außenministerkonferenzen in der deutschen Sache eingeschlagen hatten.
Diese Stagnation in der Deutschlandpolitik — indem lediglich die bekannten Positionen wiederholt wurden, sei es hinsichtlich der Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit, sei es bezüglich der Reparationen, der Grenzfragen oder des Entmilitarisierungs-und Demontageproblems — konnte sich durch die Errichtung der Bizone nun nicht mehr so stark auf die gemeinsame amerikanische und britische Zone auswirken. Durch die Errichtung der Bizone sollten nicht nur die wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden, die bisher diese Gebiete aufgrund Verzögerungen in der Deutschlandpolitik zu tragen hatten, sondern man wollte durch diesen aktiven Schritt die Sowjetunion und Frankreich auch daran hindern, die Durchführung des Potsdamer Protokolls von besonderen Zugeständnissen abhängig zu machen. Nicht zuletzt sollte die Fusion der beiden Zonen eine stärkere Koordinierung der amerikanischen und der britischen Deutschlandpolitik bringen.
So erhielten die USA durch die Bizone in den Ruhrindustrien ein Mitspracherecht, das für die künftige Entwicklung des Ruhrgebietes von kaum zu überschätzender Bedeutung wurde, zumal Großbritannien weiterhin von amerikanischen Finanzhilfen abhängig war. Ob die britische Regierung ernsthaft eine Sozialisierung der Ruhrindustrien plante, oder ob die Sozialisierungsvorschläge lediglich ein Mittel waren, den Einfluß kommunistischer Gruppierungen im Ruhrgebiet niedrig zu halten, steht hier nicht zur Diskussion Fest steht jedoch, daß die britische Regierung im Zusammenhang mit der Revision des Bizonenvertrages vom Dezember 1947, durch die die USA ca. 80 Prozent der Kosten für die Bizone gegen einen proportionalen Einfluß in der anglo-amerikanischen Außenhandelsbehörde des Vereinigten Wirtschaftsgebietes übernahmen, auf die Sozialisierungspläne verzichtete. Großbritannien wiederum erhoffte sich von der Koordination mit der amerikanischen Deutschlandpolitik neben den wirtschaftlichen Vorteilen vor allem auch ein dauerhaftes Engagement der USA in Deutschland, das die Konsolidierung der westlichen Zonen ermöglichen würde und langfristig eine realistische Politik in Aussicht stellte.
Während Großbritannien somit die Einheit Deutschlands durch einen Zug-um-Zug-Zusammenschluß der Zonen — die Angliederung der beiden anderen Zonen an die Bizone, zumindest aber den Anschluß der französischen Zone — propagierte, haben die USA auch weiterhin die Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamtdeutschland, eine Vier-Mächte-Verständigung in der Deutschlandpolitik nicht aus den Augen verloren. Das zeigte sich bei der Moskauer Außenministerkonferenz vom Frühjahr 1947, auf der die amerikanische Delegation mit ihrem neuen Außenminister Marshall deutlich bemüht war, durch Kompromißbereitschaft einen erfolgreichen Abschluß in der Deutschlandfrage zu erzielen. Auch zu der Londoner Außenministerkonferenz vom Winter 1947 — nachdem bereits der Marshall-Plan angekündigt worden war — waren die amerikanischen Vertreter in der Absicht gereist, der Sowjetunion noch einmal eine Chance für eine Verständigung in der alliierten Zusammenarbeit in Deutschland zu geben, wenngleich mit einer gemeinsamen Lösung kaum noch gerechnet werden konnte.
III. Das französische Sicherheitskonzept
Das Wohlwollen, das Frankreich in den Nachkriegsjahren von Seiten der USA und Großbritanniens trotz tiefgreifender Differenzen entgegengebracht wurde, gründete auf dem Bemühen, die politische, ökonomische und ideologische Stabilisierung des französischen Staates zu fördern. Frankreich war nach Kriegsende noch eine weltumspannende Großmacht, sein Kolonialreich noch weitgehend vorhanden. So war es das erklärte Ziel der USA und auch Großbritanniens, Frankreich als Gegengewicht zur Sowjetunion in seiner führenden Stellung in Europa wieder aufzubauen. Bei allem Selbstbewußtsein war Frankreich nach Kriegsende angesichts seiner akuten Schwäche auf die wirtschaftliche, militärische und politische Hilfe der USA angewiesen. Diese Abhängigkeit wirkte sich auch und gerade in dem Bereich aus, der nach französischer Auffassung für die französische Selbständigkeit und Sicherheit auf lange Sicht der wichtigste war: Der östliche Nachbar Deutschland, der dreimal in siebzig Jahren in Frankreich einmarschiert war, mußte diesmal für alle Zeit als Sicherheitsrisiko ausgeschaltet werden. Dies war das erklärte Ziel jeder französischen Regierung in der Nachkriegszeit.
Unmittelbar nach Kriegsende war die französische Deutschlandpolitik von Maximalforderungen bestimmt. In Frankreich herrschte die Auffassung, daß die Frage der Sicherheit vor Deutschland ohne Abstriche gelöst werden müsse. Das französische Sicherheitskonzept, das die französische Regierung zunächst vollständig und dann wenigstens in einzelnen Punkten durchsetzen wollte, basierte auf drei Komponenten: Aus französischer Sicht galt das seit der Bismarckschen Reichsgründung geeinte Deutschland im Zentrum Europas als Ursache der wiederholten deutschen Aggression. Frankreich forderte daher nicht nur die Auflösung Preußens, worüber unter den Alliierten Konsens herrschte, sondern generell die Abschaffung eines deutschen Zentralstaates. Aus diesem Grunde hatte Frankreich die Vier-Mächte-Bemühungen um deutsche Zentralverwaltungen boykottiert. Aus dem gleichen Motiv versuchte es dann später solange als möglich, die Errichtung einer deutschen Zentralregierung zu verhindern. Aus Sicherheitsgründen wollte die französische Regierung lediglich eine lose Konföderation selbständiger Einzelstaaten zulassen.
Die zweite Komponente des französischen Sicherheitskonzepts bezog sich auf die Ostgrenze Frankreichs. Hier wollte Frankreich durch die Forderung nach Abtrennung linksrheinischer Territorien von Deutschland den Rhein als seine künftige Ostgrenze durchsetzen. Darüber hinaus wurde zeitweilig auch die Loslösung des gesamten Rheinlandes gefordert, somit auch rechtsrheinischer Gebiete, die allesamt einen autonomen Status erhalten sollten. Sicherheitspolitische Überlegungen waren hier auf das engste mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft. Lediglich die wirtschaftliche Angliederung des Saargebietes an Frankreich haben die Westmächte schließlich Frankreich gleichsam als Kompensation für das Einschwenken auf die amerikanisch-britische Linie in der Deutschlandpolitik zugestanden.
Das besondere Augenmerk des französischen Sicherheitskonzepts richtete sich von Anfang an — dies ist die dritte Komponente — auf die Lösung des Ruhrproblems. Das Industriegebiet an Rhein und Ruhr konnte damals ohne Zweifel als der Motor der europäischen Wirtschaft angesehen werden. Es umfaßte allein 90 Prozent des deutschen Kohleaufkommens. Besonders in der Ruhrfrage waren die Sicherheitsforderungen stets mit wirtschaftlichen Zielsetzungen verbunden. Der Aufbau der französischen Stahlindustrie sollte mit Hilfe der Ressourcen des Ruhrgebietes erfolgen. Sehr früh brachte daher die französische Regierung den Gedanken einer Internationalisierung der Ruhrindustrie ins Gespräch, bei der Frankreich sich das Hauptgewicht sichern wollte.
IV. Die Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Jahre 1948 als wichtige Nahtstelle in der Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland
Nach dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz im Dezember 1947 haben sich die Westalliierten dahingehend geeinigt, die Gespräche über die Zukunft Deutschlands auch ohne die Sowjetunion weiterzuführen, da eine weitere Verzögerung unübersehbare Nachteile für die westli-chen Zonen mit sich gebracht hätte. Frankreich hatte im Laufe des Jahres 1947 erkennen müssen, daß nur ein Einschwenken auf die amerikanisch-britische Linie der französischen Regierung überhaupt ein Mitspracherecht an der Deutschlandpolitik sichern werde. Da unter allen Umständen ein Bruch der Potsdamer Beschlüsse vermieden werden sollte, mußte ein neuer Weg gefunden werden, der einerseits keine völkerrechtlichen Vereinbarungen hervorbrachte, andererseits jedoch eine Fortführung der Verhandlungen ohne die Beteiligung der Sowjetunion erlaubte. Man verständigte sich auf eine Konferenz auf der Ebene der Botschafter bzw. Staatssekretäre, und auf britischen Wunsch sollten auch die Beneluxstaaten zumindest für einige Gespräche zugelassen werden
Diese ersten Besprechungen der Westalliierten, die im Februar und Anfang März 1948 in London stattfanden, nach einer Unterbrechung im April 1948 fortgeführt wurden und bis zum Juni 1948 andauerten, haben zu einem umfassenden Meinungsaustausch über die künftige politische Struktur Deutschlands wie über den wirtschaftlichen Wiederaufbau geführt. Es kamen aber auch die Vorbehalte und Unterschiede in den Kontroll-und Sicherheitsvorkehrungen zur Sprache, die die Westmächte einem künftigen deutschen Gemeinwesen auferlegen wollten, um eine erneute Aggression auszuschließen. Die Lösung des Ruhrproblems spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Der amerikanischen Delegation war es ferner gelungen, die Frage der Reparationen und Demontagen auszuklammem, so daß ein wesentlicher Konfliktstoff übergangen werden konnte.
Bei diesen ersten Gesprächen zeigte sich, daß die europäischen Staaten Großbritannien und Frankreich das Problem Deutschland vorwiegend nach historischen Erfahrungswerten behandelt wissen wollten, während die USA in ihren Überlegungen zukunftsorientiert waren. So konnte die amerikanische Delegation es als einen großen Erfolg verbuchen, daß es ihr in der ersten Verhandlungsrunde gelungen war, die gleichberechtigte Einbeziehung der westlichen Zonen Deutschlands in das European Recovery Program (ERP) bei den westeuropäischen Staaten durchzusetzen. Nach amerikanischer Vorstellung sollte mit den ERP-Mitteln des Marshallplans Westeuropa wiederaufgebaut und zugleich das Deutschlandproblem durch Integration in Westeuropa gelöst werden. Die gleichberechtigte Partnerschaft der westlichen Zonen Deutschlands mit den anderen ERP-Staaten und den damit verbundenen Organisationen stellte demnach eine der Voraussetzungen des gesamten Plans dar.
In der Frage der künftigen politischen Struktur Deutschlands hatten die USA zunächst einen unverbindlichen Meinungsaustausch mit den europäischen Staaten führen wollen. Im Laufe der Gespräche haben sie dann dem Drängen Großbritanniens dahingehend nachgegeben, daß die Verhandlungen im Ergebnis zu einer Verfassung führen bzw. daß noch vor dem Ende des Jahres 1948 der Zusammentritt einer verfassunggebenden Versammlung erfolgen sollte. Frankreich hatte in dieser Frage keine Eile und versuchte solange als möglich, die Errichtung eines westdeutschen Staates hinauszuzögern. Gleichsam im Gegenzug war dann die britische Delegation auf die amerikanische Linie eingeschwenkt, daß nur Leitlinien für eine Verfassung entwickelt werden sollten, damit der Eindruck vermieden werde, man habe den Deutschen eine Verfassung oktroyiert. Auf Drängen Frankreichs und der Beneluxstaaten verständigte man sich dann auf ein Verfahren, wonach den Militärgouverneuren Richtlinien an die Hand gegeben werden sollten, um die Deutschen bei der Ausarbeitung ihrer Verfassung in die gewünschte Richtung zu lenken. Dieser sogenannte „letter of advice“ enthielt ein Rahmenprogramm von sechs Punkten, mit denen wesentliche Züge der Verfassung festgelegt waren Gleichfalls einen großen Umfang hat bei diesen Besprechungen der Wahlmodus für die verfassung-gebende Versammlung eingenommen, denn man war sich darüber im klaren, daß bereits der Wahl-modus präjudizierend für die Verfassung sein würde. Die Vorstellungen der Westalliierten über das Wahlverfahren zur Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung wie über die geplante Prozedur der Ausarbeitung und Ratifizierung der Verfassung wurden in jenem Text festgelegt.der dann als Dokument Nr. 1 der Frankfurter Dokumente bekannt wurde.
Da die Westalliierten sich nun anschickten, eine konstitutionelle Regierung zu errichten, war es erforderlich, den geänderten Charakter der Besatzung zu definieren und einen Modus für die Über-gabe der Vorbehaltsrechte zu finden. Man war sich in dieser Frage rasch einig, daß ein Junktim zwischen Verfassung und Besatzungsstatut die richtige Lösung sei, damit von Anfang an zum Ausdruck gebracht werde, daß die Verfassung im Rahmen des Besatzungsstatuts gebilligt wurde. Aus diesem Grunde haben die Westalliierten den Weg eingeschlagen, sich über Leitsätze für ein Besatzungsstatut zu verständigen, die man dann über die Militärgouverneure den Ministerpräsidenten der Länder und der verfassunggebenden Versammlung unterbreiten wollte.
Das Ziel war auch hier, mit den Deutschen eine einvernehmliche Lösung zu erreichen, den Charakter der Besatzung abzuschwächen und Zusammenarbeit anzubieten, ohne freilich die Vorbehalts-rechte aufzugeben. Vor allen Dingen sollte vermieden werden, daß die künftige westdeutsche Regierung durch das Besatzungsstatut ungebührlich belastet werde. Diese Überlegungen gaben auch den Ausschlag dafür, den britischen Vorstoß des „bold move“ abzulehnen. Der „bold move“ stellte den britischen Plan für die Form der Übergabe von Verfassung und Besatzungsstatut dar, der einerseits die Verfassung und andererseits das Besatzungsstatut lediglich als eine Umstrukturierung der Besatzungsrechte darstellen wollte, um von vornherein mögliche sowjetische Reaktionen auf die Londoner Empfehlungen abzuschwächen. Das Konzept des „bold move“ hätte aber einer westdeutschen Regierung zugemutet, ein ausgearbeitetes Besatzungsstatut zu unterzeichnen, wenngleich man durch flankierende Maßnahmen das Prestige und das Selbstbewußtsein dieser Regierung unterstützen wollte.
Daß auf dieser Konferenz zwischen den Westalliierten eine Verständigung über die Verfassungsfrage, über die Errichtung einer westdeutschen Regierung und über die Grundsätze eines Besatzungsstatuts herbeigeführt werden konnte, hängt nicht zuletzt mit den Zugeständnissen zusammen, die Frankreich in der Frage der Sicherheit, vor allem hinsichtlich der Ruhrkontrolle, gemacht wurden. Über die Ruhrkontrolle gab es nach wie vor erhebliche Differenzen zwischen den Westmächten. Frankreich hatte zwar als Folge der allgemeinen Entwicklung seine Forderungen reduzieren müssen, um als Partner weiterhin in Frage kommen zu können. Doch mit der angestrebten Internationalisierung der Ruhrindustrien stieß die französische Regierung auf unverminderten Widerstand.
Für die USA besaß auch in der Ruhrfrage der Marshall-Plan und der Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft die oberste Priorität. Aus amerikanischer Perspektive wurde jede Form der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Produktionsbegrenzungen wie durch Export-vorschriften, Verteilungspläne, kontrollierende Eingriffe in das Management und jede Art eines internationalen Mitspracherechts — sei dieses auch noch so gering — als unvereinbar mit den Zielen des ERP betrachtet. Als man daher Frankreich das Zugeständnis einräumte, noch während der Besatzungszeit eine internationale Ruhrbehörde einzurichten, mußte die französische Delegation nach langen Verhandlungen eine einflußlose Behörde hinnehmen, die keineswegs den französischen Wirtschaftszielen dienen konnte. Bei diesen Gesprächen war auch offensichtlich geworden, daß die französische Regierung aus Rücksichtnahme gegenüber der französischen Öffentlichkeit und dem Parlament auf einer Ruhrkontrolle bestehen mußte. Diese Intention lag vor allem der Forderung nach Errichtung eines militärischen Sicherheitsamtes zugrunde, das die französische Delegation schließlich durchgesetzt hatte und das die Voraussetzung für die Zustimmung Frankreichs zum Ruhrdokument bilden sollte. Den USA war es gelungen, die vor allem von Frankreich geforderte Ruhrkontrolle mit dem europäischen Wiederaufbauprogramm zu verbinden und die letzte Entscheidung in den Händen zu behalten, wie dann die späteren Verhandlungen über die Ausarbeitung des Ruhrstatuts deutlich zeigten.
Mit den von der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Juni 1948 verabschiedeten Empfehlungen wurden die Weichen gestellt für die baldige Errichtung eines westdeutschen Staates. Der Auftrag zur Staatsgründung, den die Empfehlungen beinhalteten, war denn auch das wichtigste Ergebnis dieser Gespräche. Frankreich hatte sich bereitgefunden, einen staatsrechtlichen Rahmen für die drei Besatzungszonen zuzulassen, wenngleich es nicht gelang, damals bereits die Trizonenfusion durchzusetzen.
Diese Londoner Gespräche und ihr positives Ergebnis sind im Zusammenhang der amerikanischen Beziehungen zu Westeuropa zu sehen. Die Taktik und Entschlossenheit, die die US-Delegation im zweiten Teil der Konferenz an den Tag legte, wird erst vor dem Hintergrund der Verhandlungen über den Marshallplan und über ein westeuropäisches Sicherheitssystem verständlich, die zur gleichen Zeit auf anderer Ebene geführt wurden. Mit dem Blick auf die Interdependenz deutschlandpolitischer Faktoren mit wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten haben die USA ihr Programm weitgehend durchgesetzt. Von Großbritannien und Frankreich wurde die „predominant voice“ der USA mit Argwohn beobachtet, fürchtete man doch um die Rolle einer gleichberechtigten Besatzungsmacht.
Daß die USA aufgrund ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit ihren Einfluß geltend gemacht haben, gereichte den deutschen Interessen stets zum Vorteil, wie sich in der Folgezeit bei den Verhandlungen um das Ruhrstatut, um das Besatzungsstatut, bei der Neufestsetzung der Reparationen und Demontagen, wie überhaupt bei der Konsolidierung der westdeutschen Industrie und Wirtschaft zeigen läßt.
V. Auf dem Wege zur Neuregelung des deutsch-alliierten Verhältnisses
Nachdem unter der Obhut der Westalliierten vom Parlamentarischen Rat das „Grundgesetz“ ausgearbeitet, von den Militärregierungen gebilligt und von den Landtagen ratifiziert worden war, trat es formell am 24. Mai 1949 in Kraft. Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes war der Rahmen des Staates Bundesrepublik Deutschland geschaffen worden Am 7. September 1949 konstituierte sich dann der Deutsche Bundestag, der wenige Tage später — am 15. September'1949 — Konrad Adenauer zum Bundeskanzler wählte, nachdem die Bundesversammlung (Vertreter des Bundestages und der Landtage) bereits den Bundespräsidenten gewählt hatte. Mit der Konstituierung der Bundesregierung trat gleichzeitig das Besatzungsstatut in Kraft. Über die Grundzüge des Besatzungsstatuts hatten die Westalliierten seinerzeit bei der Über-gabe der Frankfurter Dokumente die Ministerpräsidenten bereits informiert, befaßte sich doch das dritte Schriftstück der Frankfurter Dokumente mit dem künftigen Besatzungsstatut.
Schon diese Leitlinien hatten deutlich gemacht, wie eng der Spielraum der künftigen Bundesregierung sein würde. Die Außenpolitik und der gesamte Außenhandel sollten nach wie vor in den Händen der Besatzungsmächte verbleiben. Dagegen wurden der westdeutschen Regierung Befugnisse in der Gesetzgebung.der Verwaltung und in der Rechtsprechung gewährt. Daneben blieb u. a. in Teilbereichen die Kontrolle der Wirtschaft erhalten, die etwa für die Rhein-Ruhr-Industrie ein eigenes Statut vorsah. Daß die USA sich weitgehend die letzte Entscheidung bei den Wirtschaftskontrollen Vorbehalten hatten und seit geraumer Zeit Wirtschaftskontrolle im Sinne einer Wirtschaftsförderung verstanden wissen wollten, läßt sich am veröffentlichten Text des Ruhrstatuts nicht direkt ablesen. In diesem Sinne hatten die USA auch die Reparationsforderungen wie die Frage der Demontagen behandelt. wenngleich hier Zugeständnisse an die westeuropäischen Staaten notwendig waren.
Gerade in der Frage der Reparationen und Demontagen war es zu großen Differenzen zwischen den Westalliierten gekommen. Den Unwillen der europäischen Staaten erregte besonders die Tatsache, daß die USA das Reparationsproblem nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wissen wollten, während Großbritannien und Frankreich immer noch das Sicherheitsinteresse vor Deutschland ins Feld führten. In der Frage der Demontagen hatte die amerikanische Regierung bereits im Frühjahr 1948 Sachverständige beauftragt. jene Fabriken aufzulisten, die in Westdeutschland verbleiben sollten. Das sogenannte Humphrey-Komitee empfahl, daß von den 381 inspizierten Fabriken 167 für das Europäische Wiederaufbauprogramm verwendet werden sollten. Der Konflikt spitzte sich dann bei den sogenannten prohibited and restricted Industries zu, und zwar hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang hier die Beschränkungen gelockert werden sollten. Nach der mühsam ausgehandelten Vereinbarung waren zwar nach wie vor bestimmte Industriezweige verboten, andere waren Beschränkungen unterworfen, auch die Stahlproduktion blieb auf dem Stand von 11, 1 Millionen Tonnen pro Jahr festgelegt, doch insgesamt trug die Vereinbarung den amerikanischen Vorstellungen Rechnung.
Vor diesem Hintergrund sind die Verhandlungen Konrad Adenauers zu sehen, die er wenige Wochen nach seinem Amtsantritt mit den drei Hochkommissaren führte. Adenauer zielte bei den Besprechungen, die im November 1949 auf dem Peters-berg bei Bonn, dem Sitz der Hohen Kommission, stattfanden, auf eine Revision des Besatzungsstatuts und strebte eine gleichberechtigte Partnerschaft mit den Westalliierten an. Daß wenige Wochen nach der Gründung der Bundesrepublik an eine Revision des Besatzungsstatuts noch nicht zu denken war, hatte die Konferenz der drei westlichen Außenminister gezeigt, die Anfang November 1949 in Paris getagt hatte. Auf dieser Konferenz hatten die Außenminister über ein Programm diskutiert, mit dem eventuell normalere Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den anderen westlichen Staaten eingeleitet werden sollten. Als erster Schritt auf dem Wege zu normalen Beziehungen wurde Westdeutschland der Beitritt zum Europarat als assoziiertes Mitglied in Aussicht gestellt, nachdem die Bundesrepublik Ende Oktober 1949 bereits Mitglied der OEEC geworden war. Ferner sollte es Westdeutschland gestattet werden, konsularische und wirtschaftliche Vertretungen mit jenen Staaten aufzunehmen, von denen angenommen werden konnte, daß diese an Beziehungen interessiert waren.
Das Bestreben der Westalliierten ging deutlich dahin, die Bundesrepublik wieder in die internationale politische Gemeinschaft einzuführen, doch sollte diese Entwicklung allmählich erfolgen. Das Mißtrauen gegenüber Westdeutschland war noch groß. Der Zweite Weltkrieg hatte allzu tiefe Gräben zwischen Deutschland und der internationalen Staatenwelt aufgerissen. Vor allem Frankreich und Großbritannien zögerten, so daß eine Zug-um-Zug-Regelung zustande kam. was den Kern des Abkommens betraf. In der Frage der Demontagen konnten sich die Westalliierten nicht zu einem Demontagestopp entschließen, wie ihn Adenauer gefordert hatte. Es konnte jedoch eine beträchtliche Lockerung der Demonta-B gen im Rhein-Ruhr-Gebiet durchgesetzt werden. Wenn es allein nach den Amerikanern gegangen wäre, hätte sicherlich ein völliger Demontage-stopp beschlossen werden können. Auch die Begrenzung des Stahlproduktionsniveaus konnte nicht aufgehoben werden. Auf Drängen Großbritanniens und Frankreichs kam ein Junktim zwischen einer Einschränkung der Demontagen und dem Beitritt Westdeutschlands als Mitglied in der Ruhrbehörde sowie der Mitarbeit im Militärischen Sicherheitsamt zustande. Frankreich und Großbritannien hatten auf einer Verpflichtung des neuen Staates gegenüber dem Westen bestanden. Auch für die USA stellte die Einbindung der Bundesrepublik in die westeuropäische Gemeinschaft im Jahre 1949 angesichts des globalen Konflikts zwischen Ost und West eine unbedingte Notwendigkeit dar.
VI. Die Initiative Frankreichs: der Schuman-Plan
Der Plan, den der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 auf einer Pressekonferenz vorstellte + eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl in die Wege zu leiten —, war damals weder von den westalliierten Partnern noch von der Bundesrepublik erwartet worden. Auch war zum damaligen Zeitpunkt keinesfalls absehbar, daß dieser Vorschlag erfolgreich verwirklicht werden könnte.
Spätestens im Frühjahr 1950 war offenkundig geworden, daß die seit Kriegsende von der französischen Regierung verfolgten Ziele in der Ruhrfrage — Sicherheit vor Deutschland durch politische und wirtschaftliche Schwächung des Nachbarn — sich auch mit der Ruhrbehörde nicht verwirklichen lassen würden. Die Internationale Ruhrbehörde war nicht das erhoffte Kontrollinstrument geworden. In langwierigen Verhandlungen hatten die USA es verstanden, daß die vorgesehene Ruhrkontrolle hinsichtlich der Verteilung zwischen dem deutschen Verbrauch und dem Export im Sinne einer Wirtschaftsförderung wirken konnte. Frankreich hatte es auch zögernd akzeptieren müssen, daß die Frage der Eigentumsform der Ruhrindustrien der neuen Regierung der Bundesrepublik überlassen blieb. Nicht zuletzt hatte Frankreich einer sukzessiven Erhöhung des deutschen Stahlproduktionsniveaus zustimmen müssen, so daß der rasche Aufbau der französischen Stahlindustrie zu einer führenden Position in Europa, wie es der Monnet-Plan vorsah, nicht an der deutschen Konkurrenz vorübergehen konnte. Es kam hinzu, daß die UN-Wirtschaftskommission für Europa im Dezember 1949 für das Jahr 1953 eine Überproduktion an Stahl vorhergesagt hatte. In dieser Situation konnte nach Auffassung der französischen Regierung nur eine konkrete, in die Zukunft gerichtete Aktion die Lösung bringen.
Der Schuman-Plan war somit ein erneuter Vorstoß, Sicherheit vor Deutschland zu erlangen, die diesmal jedoch durch wirtschaftliche Integration erfolgen sollte, wenngleich das französische Programm nicht auf die beiden Staaten Frankreich und Westdeutschland beschränkt sein sollte. Was Frankreich anstrebte, war eine europäische wirtschaftliche Organisation, der von den Mitgliedstaaten in den Teilbereichen der Kohle-und Stahlproduktion Souveränitätsrechte übertragen werden.
Die britische Regierung wurde vom Schuman-Plan überrascht. Großbritannien hatte nicht erwartet, daß Frankreich die Führung in Westeuropa mit einem Vorschlag zur französisch-deutschen wirtschaftlichen Integration ergreifen würde. In Europa wie in den USA war bekannt, daß nur Großbritannien oder Frankreich in der Lage waren, eine größere neue Initiative in Westeuropa zu starten und in schwierigen Verhandlungen durchzusetzen. Großbritannien konnte sich nicht entschließen, der Montanunion beizutreten, da man in London keine Entscheidungsrechte an eine supranationale Behörde abtreten wollte. Die britische Regierung wollte Verpflichtungen in Europa vermeiden, die ihre Führungsrolle im Commonwealth tangieren, das traditionelle besondere Verhältnis zu den USA stören und ihre Verantwortung als Mittelpunkt des Sterling-Gebietes berühren würden. Überdies waren im Foreign Office viele der Meinung, daß die USA und besonders die US-Vertreter in Deutschland eine europäische Föderation als ein Heilmittel für die Krankheiten Europas in der Nachkriegszeit betrachteten. Die USA hatten schon bei den ersten Gesprächen über die Frage der Ruhrkontrolle im Frühjahr 1948 versucht, das Problem der Ruhrkontrolle im Sinne einer Integration der europäischen Montanindustrien zu lösen, so daß die neue Initiative Frankreichs von Anfang an die volle Unterstützung der USA fand. Da in der Tat in den USA sich die Tendenz abzeichnete, die europäische Integration als Mittel zur Bewältigung der Schwierigkeiten in Europa anzusehen, wuchs in Großbritannien die Furcht, die USA könnten ihre Hilfeleistungen — wirtschaftlicher und militärischer Art —, die 1951 in dem Mutual Security Act zusammengefaßt worden waren, von der Zugehörigkeit zur europäischen Föderation abhängig machen. Zudem argwöhnte auch jetzt wieder die britische Regierung. Frankreich habe möglicherweise ein problematisches Projekt begonnen, ohne vorher die realen Erfolgschancen abzuschätzen. Entgegen den britischen Erwartungen wurde der Schuman-Plan am 18. April 1951 zwischen Frankreich, Italien, der Bundesrepublik Deutschland und den Beneluxstaaten unterzeichnet. Durch das Konzept der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) konnte der Bundesrepublik Deutschland die Demütigung erspart bleiben, die die einseitige Kontrolle nach dem Ruhrstatut von 1949 beinhaltete, und gleichzeitig wurde Frankreich die Sorge vor einer unkontrollierten deutschen Produktion genommen. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages im Juli 1952 war dann auch das Ende des Ruhrstatuts und der Internationalen Ruhrbehörde gekommen.
Diese Zusammenlegung der Grundproduktionen von Kohle, Eisen und Stahl in den sechs europäischen Staaten stellte nicht nur ein wesentliches Element der europäischen Integrationspolitik dar, sondern dieser Schritt war in gleicher Weise von denkbar größter Bedeutung für die Beziehungen zwischen Westdeutschland und Frankreich. Nicht zuletzt sollte der Schuman-Plan einen Meilenstein auf dem Wege zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bilden, denn in der Montanunion wurde Westdeutschland zum ersten Mal als gleichberechtigter Staat behandelt. Die Westalliierten hatten eine Reihe von Maßnahmen getroffen, damit die Bundesrepublik als gleichberechtigter Partner zu gleichen Bedingungen wie die anderen Unterzeichnerstaaten in die Montanunion eintreten konnte. Einige dieser Maßnahmen waren in den Kompetenzbereich der Hohen Kommission gefallen, andere wurden auf einer speziellen Konferenz von Repräsentanten der drei Besatzungsmächte behandelt. Das Besatzungsstatut war zwischenzeitlich zwar dahingehend revidiert worden, daß der Bundesrepublik gewisse Befugnisse in auswärtigen Angelegenheiten zugestanden wurden — als Folge dieser Revision war im März 1951 das Auswärtige Amt wiedererrichtet worden —, der Abschluß internationaler Verträge war jedoch nach wie vor den Westalliierten Vorbehalten bzw. bedurfte deren Billigung.
VII. Die Westalliierten und der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland
Überlegungen über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag wurden von Seiten der Westalliierten schon vor der Errichtung des westdeutschen Staates gestellt. Besonders die USA haben im Zusammenhang mit der Gründung der NATO schon damals über einen militärischen Beitrag des künftigen westdeutschen Staates nachgedacht, denn Politiker wie Militärs waren sich darin einig, daß in absehbarer Zeit auch die sicherheitspolitische Frage des neuen westdeutschen Staates gelöst werden müsse. Die nachhaltigen Ressentiments der europäischen Staaten gegen jede Form der Beteiligung deutscher Streitkräfte wie gegen eine deutsche Wiederbewaffnung überhaupt haben dazu beigetragen, daß die Überlegungen lange Zeit nicht in konkrete Vorschläge umgesetzt wurden. Einig war man sich jedoch darin, daß eine nationale Armee und eine eigene Rüstungsproduktion für Westdeutschland nicht in Frage kommen konnten.
Nach dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 wurde angesichts der hier evident gewordenen Bedrohung ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag prinzipiell für erforderlich gehalten So faßten die Außenminister der drei Westmächte im September 1950 in New York den Beschluß, so bald als möglich eine europäische Armee unter westdeutscher Beteiligung aufzustellen. Der erste konkrete Vorschlag stammte aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium und beinhaltete eine deut-sehe Beteiligung in der Form einer sofortigen, begrenzten und kontrollierten Bewaffnung im Rahmen der NATO. Der Plan des amerikanischen Außenministeriums sollte den Ängsten der Westeuropäer vor Deutschland deutlicher Rechnung tragen, indem eine supranationale Lösung unter der Obhut der NATO vorgeschlagen wurde. Allgemein ging die amerikanische Konzeption dahin, daß ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag unter der engeren oder weiteren Oberhoheit der NATO stehen müsse.
Großbritannien und Frankreich billigten zwar das amerikanische Bemühen, eine integrierte Verteidigungsstruktur in Westeuropa aufzubauen, widersetzten sich jedoch dem Verlangen nach westdeutschen Truppen und dem Aufbau eines westdeutschen NATO-Kontingents. Die amerikanischen Vorschläge konnten die französischen Forderungen nach einer auf strenger Kontrolle beruhenden Form des deutschen Verteidigungsbeitrags nicht zufriedenstellen. Frankreich legte daher Ende Oktober 1950 mit dem Pleven-Plan eine alternative Lösung vor.
Das Pleven-Konzept verhieß Frankreich die größtmögliche Einflußnahme zum kleinstmöglichen Preis und schien den amerikanischen Erwartungen und den französischen Vorbehalten gerecht zu werden. So waren ein multinationaler Generalstab sowie multinationale Divisionen mit deutschen Kontingenten auf Bataillonsebene vorgesehen. Das organisatorische Kernstück des Projekts bildete ein europäischer Verteidigungsminister, der einem europäischen Parlament verantwortlich und einem supranationalen Ministerrat zugeordnet sein sollte. Der deutsche Verteidigungsbeitrag sollte damit nicht direkt den NATO-Streitkräften und auch nicht einer großen europäischen Armee zur Verfügung stehen, sondern der kleineuropäischen Sechsergemeinschaft der Montanunion-Staaten.
Dieser Vorschlag fand nicht die ungeteilte Zustimmung der anderen westlichen Besatzungsmächte. Der US-Regierung erschien es unzweckmäßig, neben die militärische Struktur der NATO, die erst 1949 geschaffen worden war, eine zweite militärische Struktur in Form einer Europa-Armee zu setzen. London hielt es aus Rücksichtnahme auf das Commonwealth für ausgeschlossen, daß Großbritannien sich an einer supranationalen europäischen Armee beteiligen könnte. Zudem befürchtete man in London. Frankreich betreibe möglicherweise mit diesem Vorschlag lediglich ein Ablenkungsmanöver mit dem Ziel, einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag zu verzögern. Zu einem ähnlichen Ergebnis war man auch in Washington gekommen. Von den Militärfachleuten im atlantischen Bündnis wurde der Pleven-Plan als technisch zu kompliziert eingestuft, um effektiv durchführbar zu sein.
Auf der Konferenz der atlantischen Außenminister im Dezember 1950 in Brüssel konnte daher gegen Frankreich der Kompromiß durchgesetzt werden, daß sofort Maßnahmen für eine Aufstellung westdeutscher Verbände im Rahmen der NATO eingeleitet werden sollten. Somit wurden in der Folgezeit zweigleisige deutsch-alliierte Sondierungsgespräche geführt: die sogenannten „Petersberg-Gespräche“, die zu einer raschen Verstärkung der westeuropäischen Verteidigung führen sollten, und die Pariser Verhandlungen über die supranationale Regelung. Im Sommer 1951 schwenkten die USA jedoch auf die europäische Lösung ein, so daß fortan der Weg ausschließlich in die Richtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wies, wie man den Pleven-Plan nun bezeichnete. Der amerikanischen Zustimmung für die EVG lag die Überzeugung zugrunde, daß nur in dieser Form mit Frankreich eine Regelung über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag erreicht werden könne.
In der Folgezeit wurden neben den EVG-Verhandlungen gleichzeitig deutsch-alliierte Gespräche über die künftige politische Position der Bundesrepublik geführt. Diese Gespräche, die schließlich zu einem Junktim zwischen dem westdeutschen Verteidigungsbeitrag und dem sogenannten General-vertrag führten, der das Besatzungsstatut in der veränderten politischen Situation ersetzen sollte, stellten einen großen Fortschritt auf dem Wege zur Gleichberechtigung des neuen Staates dar. Adenauer hatte seit Beginn der Diskussion um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag eine Änderung des politischen Status der Bundesrepublik gefordert, mithin die ersatzlose Aufhebung des Besatzungsstatuts. Da jedoch der von Frankreich initiierte EVG-Vertrag nach langem Zögern schließlich von der französischen Nationalversammlung am 30. August 1954 abgelehnt wurde, mußte kurzfristig nach einer neuen Lösung in der deutschen Verteidigungsfrage gesucht werden.
Die britische Regierung hatte intern bereits einen westdeutschen NATO-Beitritt vorbereitet, denn Großbritannien war in hohem Maße an der Westbindung der Bundesrepublik und an deren kontrollierter Wiederbewaffnung interessiert. In kürzester Zeit stimmten alle Allianzmitglieder außer Frankreich dem Vorschlag für eine deutsche NATO-Mitgliedschaft zu. Als Zugeständnis für eine Verständigung mit Frankreich wurde empfohlen, die Bundesrepublik sollte für die Aufnahme in die NATO Sicherheitsgarantien im Rahmen des Brüsseler Paktes geben. Auf dieser Basis wurde dann auch in den Pariser Verträgen eine Übereinkunft erzielt. Die deutschen Streitkräfte wurden in vollem Umfang der NATO zugeteilt und dienen ausschließlich der Strategie und Politik des Atlantikpaktes. Der Ober-befehlshaber der NATO erhielt ihretwegen besondere Befugnisse hinsichtlich der Verwendung, der Integration und der Inspektion der ihm zugeteilten Verbände. Die militärische Verwaltung kam in deutsche Hände. Hinsichtlich der Rüstungsproduktion wurden besondere Restriktionen vereinbart. Die Mitgliedschaft in der NATO bedeutete auch eine nahezu völlige rechtliche Gleichstellung der Bundesrepublik mit den anderen westlichen Staaten. Westdeutschland wurde jedoch die Möglichkeit genommen, seine nationalen Ziele unabhängig von den Alliierten zu verfolgen.
VIII. Der politische Status der Bundesrepublik und die Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamtdeutschland
Seit der Gründung der Bundesrepublik, die noch vom Besatzungsstatut begleitet wurde, haben die Westalliierten sukzessiv den politischen Status Westdeutschlands den sich rasch verändernden Verhältnissen angepaßt und Zug um Zug die Handlungsfreiheit des neuen Staates erweitert. Sie sind jedoch der von Adenauer schon bald erhobenen Forderung nach völliger rechtlicher Gleichstellung und Gleichbehandlung der Bundesrepublik mit den drei Westmächten auch später nicht nachgekommen. Vielmehr haben die Westalliierten stets die besondere Stellung Westdeutschlands im Rahmen der Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamt-deutschland betont. Das zeigte sich, als im Jahre 1955 mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts der sogenannte Deutschland-oder Generalvertrag in Kraft trat, in dem der geänderte Charakter der Beziehungen zwischen den Westalliierten und der Bundesrepublik festgelegt wurde, in dem mithin der Bundesrepublik „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“ (Artikel 1) gegeben wurde.
Diese Formulierung wurde im Sprachgebrauch der Politik vereinfacht dahingehend verstanden, daß die Bundesrepublik nicht nur gegenüber den anderen Staaten, sondern auch gegenüber den Westalliierten ein souveräner Staat ist. Dabei wurde zu wenig beachtet, daß die Westalliierten auch in dem Deutschlandvertrag (Artikel 2) an Vorbehaltsrechten festhalten. Diese Vorbehaltsrechte beziehen sich jedoch nur auf Belange, die Deutschland als Ganzes und Berlin betreffen. Über diese Vorbehaltsrechte konnte die Bundesrepublik von Anfang an nicht verfügen, wie aus dem Vertrag hervorgeht. Die drei Westmächte beziehen sich hier auf die Regelungen, die die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges über die deutschen Angelegenheiten getroffen haben, wonach auch nach dem Ende der eigentlichen Besatzungszeit eine Form der Kontrolle über Deutschland erfolgen soll (Londoner Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. November 1944).
Nach unserem heutigen Verständnis stellt die Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes den einzigen Garanten für den Fortbestand Gesamtdeutschlands und für die Sicherheit und den Status Berlins dar.
In diesem Zusammenhang ist auch das Recht der Truppenstationierung zu sehen, das auf mehreren Rechtsgrundlagen basiert. Im Deutschlandvertrag (Artikel 4 Abs. 2) hat sich die Bundesrepublik damit einverstanden erklärt, daß Streitkräfte der Westalliierten auf ihrem Gebiet gehalten werden.
Diese Vereinbarung wurde durch einen weiteren „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland“ vom 23. Oktober 1954 ergänzt. Trotz der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur NATO ist die Truppenstationierung nicht allein durch diese Verträge, sondern auch noch besatzungsrechtlich begründet, soweit es sich um Berlin und Gesamtdeutschland handelt. Die mit der Bundesrepublik im Deutschland-vertrag und im Aufenthaltsvertrag getroffenen Vereinbarungen haben somit die bestehende Rechtslage lediglich bekräftigt. Der Aufenthaltsvertrag kann als ein diplomatischer Kunstgriff gewertet werden, der darauf ausgerichtet war, die Stellung der Bundesrepublik im Hinblick auf ihre Souveränität gegenüber dritten Staaten aufzuwerten, denn uneingeschränkt souverän erscheint die Bundesrepublik gegenüber den Staaten, die niemals an der Besetzung Deutschlands beteiligt waren. Daß die Bundesrepublik Deutschland Abstriche vom vollen Souveränitätsstatus hat hinnehmen müssen kann nicht als ein isoliertes Problem verstanden werden, denn das Hauptinteresse der Westalliierten war stets die Sorge um die Zukunft und Sicherheit Europas. Nicht zuletzt haben die Westalliierten bei der Gründung der Bundesrepublik die Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamtdeutschland nicht aus den Augen verloren.
Was die Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamt-deutschland betrifft, so haben die Westalliierten ihre Vorbehaltsrechte politisch auf ein bestimmtes Ziel begrenzt. Ein Gesamtdeutschland soll nicht um jeden Preis errichtet werden, sondern nur dann, wenn es „eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und ... in die europäische Gemeinschaft integriert ist“ (Art. 7 Deutschlandvertrag).