Eine trügerische Normalität?. Amerikanische Innen-und Wirtschaftspolitik unter Präsident Bush
Andreas Falke
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Zusammenfassung
Die Präsidentschaftswahlen von 1988 haben den Wandel zu einem post-New Deal Parteiensystem bestätigt, in dem die Republikaner zur präsidialen Mehrheitspartei geworden sind. Aus diesem Umstand und dem Amtsbonus seines Vorgängers erklärt sich der Sieg von George Bush. Die Demokraten konnten zwar ihre Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verteidigen, doch sind ihre langfristigen Aussichten, als nationale Partei wieder den Präsidenten zu stellen, aufgrund einer zu kleinen und zu heterogenen Wähler-basis nicht sehr aussichtsreich. Die Wahlen bestätigten auch, daß unterschiedliche Parteienkontrolle von Exekutive und Legislative zu einem strukturellen Merkmal des amerikanischen Regierungssystems geworden ist. Diese Entwicklung beschränkt die Machtposition des Präsidenten. George Bush kann deshalb nur durch politische Kompromisse und in Zwangskoalitionen mit dem Kongreß regieren. Unter diesen Umständen setzt der Präsident nicht mehr die Themen amerikanischer Politik alleine auf die politische Agenda, sondern „bescheinigt“ vielmehr, welche Themen politikfähig sind. Regierungsbildung und Amtsführung der Bush-Administration sind von diesen Entwicklungen gekennzeichnet. Sie verzichtete auf politische Visionen und etablierte sich als pragmatische Problemlösungspräsidentschaft, was sich in der Ministerauswahl wie in der Struktur des Weißen Hauses niederschlug. Die Praxis der Bush-Administration spiegelt die Normalität einer machtpolitisch reduzierten Präsidentschaft wider. Die Wirtschaftslage im ersten Halbjahr 1989 war von einem nachlassenden Wirtschaftswachstum und der Furcht vor einer Rezession gekennzeichnet. Die meisten Beobachter gehen jedoch von einer „sanften Landung“ der amerikanischen Wirtschaft aus, das heißt von nur allmählich sinkenden Wachstumsraten. Keine wirkliche Lösung zeichnet sich beim Abbau des Haushaltsdefizits ab. Als langfristige Gefahr für die amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft dürfte sich die langsame Erosion des Lebensstandards herausstellen. die mit dem Zwang zur Begrenzung des Konsums und zur Bedienung der Auslandsschulden verbunden ist.
I. Innenpolitik
. Elektorale Normalität: Die Bedeutung der Präsidentschaftswahlen Die Präsidentschaftswahlen von 1988, die George Bush zum 41. Präsidenten der USA machten, bestätigten einen langfristigen Trend in der amerikanischen Innenpolitik: Die republikanische Partei hat ein Quasi-Monopol auf die Präsidentschaft. Von den letzten acht Präsidentschaftswahlen konnte sie sieben für sich entscheiden, drei davon in Erdrutschsiegen (1972, 1980, 1984). Der einzige Sieg der Demokraten in dieser Periode (Carter 1976) war hauchdünn. Schon diese Umstände sprechen dafür, daß langfristige strukturelle Faktoren den Wahlausgang bestimmten. Diesem Befund steht die These entgegen, daß die Wahlkampfführung und der Stil des Wahlkampfes für den Ausgang verantwortlich waren 1).
Abbildung 3
Tabelle 3: Entwicklung der nationalen Ersparnis in Priv. Ersparnis Staatl. Defizit Nat. Ersparnis 9, 3 -1, 3 8, 0 8, 1 -5, 05 3, 1 6, 4 -3, 9 2, 6 den USA von 1950 bis 1988 (in Prozent) 1951-1980 1984-1986 1987/88 Quelle: Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Income and Product Account, zit. in: C. L. Schultze (Anm. 59), S. 29.
Tabelle 3: Entwicklung der nationalen Ersparnis in Priv. Ersparnis Staatl. Defizit Nat. Ersparnis 9, 3 -1, 3 8, 0 8, 1 -5, 05 3, 1 6, 4 -3, 9 2, 6 den USA von 1950 bis 1988 (in Prozent) 1951-1980 1984-1986 1987/88 Quelle: Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Income and Product Account, zit. in: C. L. Schultze (Anm. 59), S. 29.
Eine Analyse des Wahlergebnisses im historischen Vergleich bestätigt jedoch die strukturelle Interpretation: Die Wahl von 1988 hatte alle Merkmale der Wiederwahl eines erfolgreichen Amtsinhabers, mit dem Unterschied, daß der eigentliche Amtsinhaber, Ronald Reagan, nicht mehr antreten konnte und daher George Bush als sein Stellvertreter den Amtsbonus eines Präsidenten in Anspruch nehmen konnte, der so populär wie wenige vor ihm waren. Mit der Popularität verbunden war eine in den Augen der amerikanischen Wähler erfolgreiche Politik, die Frieden und wirtschaftliches Wachstum sicherte. Gegen eine derartige Ausgangssituation hätten die wahlkampfsymbolischen Instrumente der Demokraten nur schwer greifen können.
Abbildung 4
Nationale Ersparnis Nettokapitalimport Nettokapitalexport Investitionsquote 8, 0 Tabelle 4: Entwicklung der Investitionsquote in den USA von 1950 bis 1988 (in Prozent) 0, 4 7, 6 3, 1 3, 2 — 6, 2 2, 6 3, 5 — 6, 1 1951-1980 1984-1986 1987/88 Quelle: Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Income and Product Account, zit. in: C. L. Schultze (Anm. 59), S. 29.
Nationale Ersparnis Nettokapitalimport Nettokapitalexport Investitionsquote 8, 0 Tabelle 4: Entwicklung der Investitionsquote in den USA von 1950 bis 1988 (in Prozent) 0, 4 7, 6 3, 1 3, 2 — 6, 2 2, 6 3, 5 — 6, 1 1951-1980 1984-1986 1987/88 Quelle: Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Income and Product Account, zit. in: C. L. Schultze (Anm. 59), S. 29.
Die Wahlen bestätigten auch einen tieferen strukturellen Wandel, nämlich die Etablierung eines post-New Deal Wahl-und Parteiensystems, dessen Beginn man mit 1968 ansetzen kann. Seither haben die Republikaner in den letzten sechs Wahlen durchschnittlich 53 Prozent der Stimmen gewon-nen, verglichen mit 43 Prozent für die Demokraten.
Diese Konstellation ist praktisch die Umkehrung der New Deal-Periode (1932— 1948), als die Demokraten in fünf Wahlen einen Vorsprung von 55 Prozent zu 43 Prozent hatten Dieser Wandel hängt zusammen: erstens mit einer Ablehnung der wachsenden Steuerbelastung seitens der wahlentscheidenden amerikanischen Mittelschicht, die sich für Familien mit Durchschnittseinkommen zwischen 1950 und 1980 verdoppelte, eine Situation, die die Basis für die Popularität der republikanischen Steuervermeidungspolitik abgibt; zweitens mit der Wichtigkeit von emotional aufgeladenen kulturell-religiösen symbolischen Themen wie Todesstrafe, Abtreibung, Patriotismus und Rasse, die die ökonomische Basis der alten New Deal-Koalition insbesondere bei Südstaatlern und städtischen Arbeitern sprengte; drittens mit der seit dem Vietnamkrieg bestehenden und durch die Carter-Regierung noch verstärkten Perzeption bei vielen Wählern, daß die Republikaner die Partei der militärischen und außenpolitischen Stärke bilden. Kurz, in den Worten von William Schneider: „Es gibt augenblicklich keinen Markt für den amerikanischen Liberalismus.“
Die entscheidenden Mittelschichtwählergruppen wollen niedrige Steuern und wirtschaftliches Wachstum, nicht aber neue staatliche Programme, was für sie „big government" repräsentiert. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, daß 1987 trotz der Steuerreformen die bundesstaatliche Steuerlast mit 19, 7 Prozent des Volkseinkommens genauso hoch war wie 1980 Selbst die eifrigsten Kritiker des letztjährigen Wahlkampfes müssen zugeben.
daß die Wahlen die Wirksamkeit dieser Faktoren bestätigt haben. Die Verpflichtung von George Bush, die Steuern nicht zu erhöhen, spielte genauso eine Rolle bei der Entscheidung der Wähler wie die Einschätzung, daß das außen-und sicherheitspolitische Programm des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Dukakis keine Position der Stärke garantieren würde. Zwei Drittel der Wähler fühlten sich von Bushs Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, angezogen Daß die Konzentration auf emotional-symbolische Themen (Kriminalität, Patriotismus) durch den Bush-Wahlkampf nicht nur das Image von Dukakis belasten sollte, sondern wichtige Anliegen von bestimmten Wählerschichten traf, steht außer Frage Der Bush-Wahlkampf kam mit seinen Themen den sozialen Wertvorstellungen breiter amerikanischer Wählerschichten näher. Die große Prominenz, die symbolische Themen schließlich einnahmen, war auch Ausdruck der Tatsache, daß es angesichts der guten Grundstimmung über die Lage der Nation keine anderen, die Wähler bewegenden Themen gab. Bush brauchte deshalb keine besonderen Anstrengungen zu unternehmen, sich als Vertreter der erfolgreichen Politik Reagans darzustellen und konnte durch die Bezugnahme auf symbolische Themen sein Image stärken
Hinzu kamen noch andere langfristige strukturelle Faktoren, die die Republikaner begünstigten. Während die Demokraten in der Parteiidentifikation mit 42: 38 Prozent (Unabhängige 21 Prozent) immer noch knapp vorne liegen, hat sich in den Südstaaten eine Umschichtung ergeben. Weiße Südstaatler sind bei Präsidentschaftswahlen heute überwiegend republikanisch ausgerichtet. George Bush erreichte in keinem der elf Südstaaten weniger als 63 Prozent, in drei Staaten sogar fast 80 Prozent der weißen Wählerstimmen. Folgenreich ist auch der Generationenwechsel: Die Wähler, die seit 1974 das Wahlalter erreicht haben, d. h. die unter den Präsidenten Carter und Reagan ihr politisches Bewußtsein ausgebildet haben, sind in ihrer Parteiidentifikation mehrheitlich republikanisch. Die republikanische Dominanz gilt auch für die wichtigsten Wählergruppen: Die Demokraten konnten nur noch katholische Arbeiter, die Hispanics und die Schwarzen mehrheitlich für sich gewinnen. Ungeachtet der Parteiidentifikation schätzen sich die Wähler heute mehrheitlich als konservativ ein (43 Prozent gegenüber 25 Prozent Liberalen und 32 Prozent in der Mitte), was die Attraktivität eines kulturell-religiösen Wertekonservatismus unterstreicht
Wenn wir hier die These der strukturellen Determinierung des Wahlausganges vertreten, so muß dabei berücksichtigt werden, daß in dieser Wahl die strukturellen Faktoren nie durch die eher kurzfristigen, manipulierbaren Faktoren herausgefordert wurden, d. h. daß die These des Übergewichts struktureller Faktoren nicht richtig getestet werden konnte. Dazu hätte es eines attraktiven demokratischen Kandidaten bedurft und eines gut geplanten professionellen Wahlkampfes, der auf die Wertvorstellungen ehemals demokratischer Wähler mehr Rücksicht genommen hätte. So aber gelang Bushs Wahlkampfteam, die Auseinandersetzung in ein Referendum über Dukakis zu verwandeln, ihn mit den höchsten Negativwerten zu belasten und George Bushs ursprünglich negatives Image zu revidieren Daß die angewandten Methoden, insbesondere Femsehspots mit rassistischen Untertönen, fragwürdig waren, steht genauso außer Frage wie die Tatsache, daß die Wahlentscheidung aus wahlkampfaktueller Sicht eher ein Urteil über die Ziel-und Hilflosigkeit des Wahlkampfes von Dukakis und der dabei hervortretenden negativen persönlichen Merkmale (Arroganz, Unnahbarkeit, emotionale Kälte) als Folge medienvermittelter Manipulationen waren. Bushs Wahlkampfteam gelang es dagegen, die höchsten Negativwerte, die ein Kandidat am Ende der Vorwahlzeit je hatte, umzukehren. Die Brillanz der Bush-Kampagne bestand darin, daß sie nach Dukakis’ Weigerung, klar einen politischen Standpunkt zu beziehen, diesen als einen Liberalen aus Massachusetts etikettierte Damit gelang Bush die Verbindung zwischen Wahlkampf-symbolik und den tiefer hegenden strukturellen Faktoren.
Bei den Kongreßwahlen setzte sich die elektorale Normalität durch: Die Demokraten konnten die Mehrheit in beiden Häusern verteidigen und sogar noch leicht ausbauen. Die republikanische Dominanz auf Präsidentenwahlebene findet im Kongreß keine Fortsetzung. Insofern ist bestätigt worden, daß sich die Kongreß-und Präsidentschaftswahlen immer weiter auseinander entwickeln. Kongreßwahlen werden weitgehend unter lokalpolitischen und personalistischen Gesichtspunkten entschieden und sind von den nationalen parteipolitischen Orientierungen isoliert, die heute überwiegend mittels der nationalen Medien gebildet werden. Ausschlaggebend sind, insbesondere bei Wahlen für das Repräsentantenhaus, Organisationsressourcen und Geld sowie der Bekanntheitsgrad und die öffentliche Anerkennung, die besonders Amtsinhabern aufgrund wahlkreisbezogener Aktivitäten zu-wächst. Dies läßt sich daran ablesen, daß 99 Prozent der Mitglieder des Repräsentantenhauses und 85 Prozent der Senatoren, die zur Wiederwahl antraten, auch wiedergewählt wurden. Da übergreifende ideologische und programmatische Themen kaum eine Rolle spielen, können die demokratischen Kandidaten mit einer pragmatischen, auf den Wahlkreis zugeschnittenen Strategie erfolgreich sein 2. Die Normalität der Komplexität: Die Auswirkungen unterschiedlicher Parteienkontrolle auf das Regierungssystem Die Dominanz der Demokraten im Kongreß ist ebenso sicher verankert wie die Dominanz der Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen. Die Folge ist aber „divided government", die unterschiedliche Parteienkontrolle von Präsidentschaft und Legislative. Möglich ist diese Dissonanz dadurch, daß mehr als ein Viertel der Wähler ihre Stimmen splitten Die Wähler finden an der Möglichkeit Gefallen, die Gewaltenteilung noch parteipolitisch zu untermauern, was Carl Everett Ladd als „cognitive Madisonianism" bezeichnet hat.
In diesem Zustand spiegelt sich auf der Ebene des Wahlverhaltens ein „split-level realignment" und ein Verfall der Parteibindung in der amerikanischen Politik. In den Vereinigten Staaten ist ein neues politisches Regime entstanden, das von dem in bezug auf die verschiedenen Ebenen des Regierungssystems ungleichmäßigen Verfall von Parteibindung und Parteienkoalitionen gekennzeichnet ist. Die Umschichtungen in den Wählerloyalitäten, die aufdie Erschütterungen der sechzigerJahre zurückzuführen sind, zerstörten die Wählerkoalition, die die New Deal-Mehrheit ausmachte, und spaltete sie in ideologisch polarisierte Interessengruppen entlang vielfältiger Spektren.
Wenn aber Parteien nicht mehr Wählerkoalitionen Zusammenhalten und gleichmäßig auf die Ebenen des Regierungssystems abbilden können, dann müssen andere Instrumente der Wählermobilisie-rung und -bindung an ihre Stelle treten. Dem entspricht eine von den anderen Akteuren des politischen Systems „separierte Präsidentschaft“ die Existenz des permanenten Wahlkampfes auf präsidialer Ebene und die Zementierung der Vorteile der Amtsinhaber im Kongreß. Wie Ronald Reagan zeigte, ist politischer Wandel dann nicht mehr durch parteigebundenes Mandat, sondern nur durch eine Mischung aus Charisma, Krisenbeschwörung und ideologischem Appell möglich. Diese Konstellation ist jedoch instabil, weil sie höchst personengebunden ist.
Unter dem Gesichtspunkt der Regierungsfähigkeit ist ein in vielen Bereichen blockiertes und zu Stillstand neigendes Regime entstanden. Um etwas an Beweglichkeit zu erhalten, muß es sich auf eine prekäre Koalition zwischen den Mehrheitsparteien in Kongreß und Exekutive stützen. Damit verwischen sich aber parteipolitisch definierte Verantwortlichkeiten. Insbesondere die „Oppositionspartei“ im Kongreß wird mitverantwortlich für die Durchsetzung des Programmes der präsidialen Hegemonialpartei. Der Präsident dagegen kann nur erfolgreich sein, wenn er eine parteiübergreifende Koalition schmiedet. Es entwickelt sich eine Tendenz zu Zwangskoalitionen. Der Parteienwettbewerb wird praktisch außer Kraft gesetzt, weil er innerhalb der Gewaltenteilung nicht ohne katastrophale Konsequenzen voll ausgetragen werden kann
Damit fallen aber Parteien als überbrückende Elemente der Gewaltenteilung und als legitimatorische Transmissionsriemen zwischen Wähler und Politik aus. Für George Bush bedeutet diese Situation, daß er unter der Bedingung von Daueropposition oder unter dem Diktat der Zwangskoalition regieren muß. Regieren unter diesen Umständen ist unausweichlich sehr schwerfällig und umständlich. Regieren heißt praktisch, sich dauernd in Koalitionsverhandlungen mit dem Kongreß zu befinden. Das ist die regierungstechnische Normalität in Washington Ob diese Situation, wie Walter Dean Burnham hervorgehoben hat, einen „interregnum state“, ein Übergangsstadium, darstellt, muß offen bleiben Beseitigt werden könnte es nur durch eine Revitalisierung der Demokraten auf präsidialer Ebene oder ihrem völligen Niedergang. Es hat jedoch allen Anschein, daß die derzeitige Situation zur politischen Normalität in Washington geworden ist. 3. Die Zukunft der demokratischen Partei Für viele Beobachter der politischen Szene in Washington ist die wichtigste Frage der zukünftigen amerikanischen Politik, ob sich die Demokraten regenerieren und wieder zu einer wettbewerbsfähigen Kraft auf präsidialer Ebene werden können. Die Frage ist, ob die Demokraten als Rumpfpartei, die nur als Kollektion einer Vielzahl erfolgreicher Kongreßwahlkämpfe besteht, noch eine eindeutige Identität bewahren können. Die Gefahr für die Demokraten besteht in einem „trickle-down republicanism", das schließliche Ausstrahlen der republikanischen Dominanz auf präsidialer Ebene hinunter auf die Kongreßwahlen. Diese Situation könnte schon bei den nächsten Wahlen akut werden, wenn sich im Senat mehr demokratische Senatoren zur Wiederwahl stellen müssen, und nach der Neueinteilung der Wahlkreise im Anschluß an die nächste Volkszählung (1990), wenn die Bastionen der Republikaner im Westen und Süden neue Wahlkreise hinzugewinnen werden
Die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der demokratischen Partei zwischen dem gemäßigten Flügel (Senator Al Gore, Repräsentant Richard Gebhardt) und dem links-populistischen um Jesse Jackson sind in vollem Gange Dabei scheinen die gemäßigten Kräfte die besseren Argumente zu haben: Die Behauptung, daß die Nicht-Wähler das Problem sind, ist ein Mythos. Hätten Schwarze und Hispanics im gleichen Maße wie die Weißen gewählt, hätte Bush immer noch mit fünf Millionen Stimmen Vorsprung gewonnen. Nach einer New York Times-CBS-Umfrage wäre Bushs Wahlergebnis noch besser ausgefallen, wenn die Wahlbeteiligung 100 Prozent betragen hätte Das Problem der Nicht-Wähler kann nicht mehr auf das der Nichtteilnahme von Unterprivilegierten und Minderheiten reduziert werden. Das Hauptproblem der Demokraten ist der Einbruch bei den Mittel-schichtwählern. Im Vergleich mit der letzten siegreichen Wahl (1976) haben sie entscheidend bei der Einkommensklasse zwischen 25 000 und 50 000 US-Dollar verloren Regenerieren können sich die Demokraten nur, wenn sie wieder für die Mittelschicht attraktiv werden und „the value of values" wiederentdecken, d. h. wenn sie den Wählern klarmachen, daß sie die Grundeinstellungen der Mehrheit amerikanischer Wähler hinsichtlich einer starken Verteidigungshaltung, der Wichtigkeit öffentlicher und persönlicher Sicherheit und der Gültigkeit moralischer Basiswerte teilen. Dabei müssen sie sich nicht den Republikanern anpassen, denn die ökonomischen und wohlfahrtspolitischen Programmpunkte der Demokraten bleiben weiterhin populär. Sie sollten sich aber erinnern, daß in der Geschichte amerikanischer Wahlpolitik ethnokulturelle Themen schon immer eine überragende Rolle gespielt haben Der unideologische technokratische Neo-Liberalismus, den Dukakis mit seinem bekenntnislosen Pragmatismus vertrat, erlitt jedenfalls bei seinem ersten Auftreten auf präsidialer Ebene völligen Schiffbruch.
Die Rassenfrage bleibt zudem eines der zentralen Dilemmata der demokratischen Partei. Sie entzweit die Partei in entscheidenden Fragen und steuert in subtiler Weise den Verlauf der amerikanischen Politik Lyndon B. Johnson war der letzte demokratische Präsident, der eine weiße Mehrheit bekam. Seitdem wenden sich weiße Wähler — nicht nur im Süden — von den Demokraten ab. In keiner anderen Person bündelt sich diese Problematik so sehr wie in der von Jesse Jackson. Während die einen Jackson als den längst überfälligen Fürsprecher der Entrechteten und Minderheiten verstehen, sehen viele der Mitte zuzurechnende Demokraten Jesse Jackson auch als politische Gefahr für die Partei. Jackson gilt diesen Beobachtern als polarisierende Kraft, die wenig Interesse an Koalitionsbildung und an Regierungsfähigkeit hat, sondern allein daran interessiert ist, durch die Dauermobilisierung seiner schwarzen Wählerklientel einen prominenten politischen Platz zu besetzen. Jackson ist jedoch nicht wählbar, nicht nur weil er schwarz ist, sondern weil er dezidiert linksliberale Themen vertritt, die nicht mehrheitsfähig sind. Damit hält er aber moderate schwarze Politiker wie den Abgeordneten Bill Gray und den Bürgermeister von Atlanta Andrew Young, denen man durchaus einmal eine Chance einräumen könnte, eines Tages erfolgreiche demokratische Präsidentschaftskandidaten zu sein, von der Macht ab. Das Problem dürfte sich für die Demokraten verschärfen, wenn Jackson seine Ankündigung wahr macht und sich zum Bürgermeister von Washington wählen läßt Die Republikaner haben jetzt schon Pläne, Jackson als den informellen Oppositionsführer zu behandeln und so die Demokraten als eine Partei von Schwarzen und Linksliberalen zu definieren — eine Koalition, die keine Gewinnchancen hat. Manche Demokraten halten die Situation 1992 für so aussichtslos, daß sie zynischerweise empfehlen, Jackson 1992 das Feld zu überlassen, um ihn nach einer wahrscheinlichen Niederlage los zu sein. Nichts umschreibt die Schwäche der demokratischen Partei besser als die Einschätzung, daß man in absehbarer Zeit nur bei einem schweren wirtschaftlichen Einbruch eine Chance auf den Gewinn der Präsidentschaft hat. Das heißt aber, daß man nicht aus eigener Kraft die Macht erringen kann, sondern nur aufgrund katastrophaler äußerer Umstände. Eine Fortsetzung oder gar Verstärkung der elektoralen Wettbewerbsunfähigkeit der Demokraten in bezug auf das Präsidentenamt wäre eine Katastrophe für die amerikanische Politik, da sie die Vorherrschaft der Republikaner zum Automatismus machen würde und damit einen der Kernpunkte von Demokratie, den Parteienwettbewerb, praktisch außer Kraft setzte. 4. Regierungsbildung und Amtsführung der Bush-Administration
Die vielleicht wichtigste Ausgangslage für die Bush-Administration war, daß die Wahlen kein klares programmpolitisches Mandat ergaben und daß Bush weiterhin mit einem demokratischen Kongreß regieren muß. Diese Situation führt dazu, daß die Parameter präsidialer Macht eng umschrieben sind und daß Präsidenten ihr Amt und seine Einflußchancen in kleinen Schritten immer wieder neu konstruieren und einschätzen müssen, eine Situation, die Charles O. Jones mit „governing when its over“ umschrieben hat. Damit ist die Existenz einer systemischen exekutiven Führungsrolle, die sich aus dem Wahlerfolg und verfassungsrechtlicher Stellung ableitet, in Frage gestellt. In der Abwesenheit eines Mandats, das wegen Fehlens eines Erdrutschsieges, klarer ideologischer Aussagen und klarer Unterschiede zwischen den Kandidaten nicht konstruiert werden konnte, wird Bushs Amtsführung von der Normalität der kleinen Schritte und des geduldigen Aushandelns und Herumtastens ge-kennzeichnet sein, nicht durch programmpolitische Visionen. In diesem Sinne haben wir es mit einer normalen, und das bedeutet reduzierten Präsidentschaft zu tun. Die mandatgeleiteten Präsidentschaften von Johnson und Reagan stellen eher die Ausnahme dar.
Diese Situation erklärt auch, warum Bush keinen schnellen Start nach dem Beispiel Reagans hatte bzw. anstrebte, wie es ihm von Kritikern vorgehalten wurde Ein einschneidender programmpolitischer Aufbruch kam für Bush überhaupt nicht in Frage. Kontinuität war Teil der Regierungsübernahmestrategie, was sich in der Übernahme von sechs Ministern in gleichen oder anderen Ämtern ausdrückte. Die Akzentsetzung und die Absetzung von der Reagan-Administration sollte sich vielmehr durch den Stil der Regierungsbildung und Amtsführung ergeben Bushs Problem bestand darin, daß er einerseits als jemand gesehen werden wollte, der nicht mit seinem Vorgänger bricht, andererseits jedoch seiner Regierungsmannschaft ein eigenes Profil geben wollte.
Aus diesem Umstand läßt sich erklären, daß Personalpolitik und Programmentwicklung durch vorsichtiges Vorgehen und Taktieren geprägt waren. Bis Ende Mai waren nur 69 der 341 Leitungspositionen unmittelbar unterhalb der Minister-und Leiterebene besetzt, was zum Teil mit den strengen Überprüfungsprozeduren, mit dem Verzicht auf die frühe Zusammenstellung eines Übemahmeteams und mit der Tatsache, daß die bisherigen Amtsinhaber bereits Republikaner waren, zusammenhing. Schließlich muß man sich den Umfang des Unternehmens vor Augen führen: Für rund 3 000 Positionen lagen 45 000 ernsthafte Bewerbungen vor. Letztlich wollte das Führungsteam von Bush jedoch ein gründliches Auswechseln des Personals, um der Administration eigenes Profil zu geben Ein Unterschied zur Reagan-Administration kam in der Personalpolitik dadurch zum Ausdruck, daß neben persönlicher Loyalität Sachkompetenz gegenüber ideologischer Ausrichtung im Vordergrund stand. Das Bush-Team setzt sich aus typischen regierungserfahrenen „Inside-the-beltway" Kandidaten zusammen, ausschließlich ideologisch motivierte Kandidaten fanden kaum ihren Weg in die Administration. Bush berief auch eine große Zahl von Karrierebeamten in leitende Posten und gab damit zu verstehen, daß er anders als Reagan die Aufgabe der permanenten Bürokratie zu schätzen weiß. Eine Ausnahme bildeten lediglich seine Botschafterberufungen, wobei häufig großzügige Wahlkampfspender berücksichtigt wurden
Die Struktur des Weißen Hauses sollte sich auch deutlich von seinem Vorgänger unterscheiden. Bush berief mit John Sununu einen Stabschef mit starker Persönlichkeit, aber im Gegensatz zu Ronald Reagan entwickelte sich keine zentralisierte Struktur wie unter Donald Regan, sondern Sununu übernahm die Rolle eines neutralen Maklers, der vermittelt, aber dem Entscheidungsprozeß nicht seinen alleinigen Stempel aufdrückt oder den Präsidenten von den anderen Akteuren, insbesondere seinen Ministern, isoliert. Bush bleibt für sie zugänglich und sucht selbst den Kontakt mit ihnen, ohne sich allein auf die Vermittlung des Stabschefs zu verlassen. Der interne Entscheidungsprozeß wird geprägt durch spezialisierte Kabinettsgremien („cabinet council System“) für Wirtschafts-, Innen-, Außen-und Sicherheitspolitik — ein System, das von Roger Porter, Assistant to the President for Economic and Domestic Policy, einem früheren Harvard Professor, unter der Ford-Administration entwickelt worden war. Für Porter sind diese Gremien Instrumente eines pluralistischen Entscheidungsprozesses („multiple advocacy"), der die Aufgabe hat, der Vielzahl von Argumenten der verschiedenen Kabinettsmitglieder Gehör zu verschaffen. Der Entscheidungsprozeß wird nicht so sehr von einem dominanten Stab beherrscht als durch eine offene Struktur, die die Minister und andere wichtige Berater voll einbezieht Nicht nur hat Bush eine sehr erfahrene Kabinettsmannschaft zusammengestellt, deren kumulative Regierungserfahrung mehr als 100 Jahre beträgt, sondern es hat den Anschein, daß es eines der einflußreichsten Kabinette seit Eisenhower sein wird. Die Minister haben innerhalb eines von Bush weit abgesteckten Rahmens in ihren Bereichen weitgehend freie Hand. Eine Rolle spielt zudem, daß wichtige Kabinettsmitglieder wie James Baker, Nicholas Brady und Robert Mosbacher langjährige Vertraute des Präsidenten sind und deshalb automatisch Zugang zu ihm haben. Allerdings bedeutet Kabinettseinfluß den Einfluß einzelner Mitglieder und nicht die Transformation des Kabinetts zu einem kollektiven Entscheidungsorgan. Die Tage eines eigenmächtigen, tyrannischen Stabs im Weißen Hause scheinen jedoch vorüber Ob diese offene Struktur aber auch gravierende Krisen überleben wird, bleibt abzuwarten.
Einen deutlichen Einschnitt bedeutet auch Bushs Bemühen um ein gutes Verhältnis mit dem Kongreß und seinen führenden Persönlichkeiten. Bush machte schon in seiner Inaugurationsrede klar, daß er die Zusammenarbeit mit den Demokraten suche und parteiübergreifende Kompromisse der Dauer-konfrontation vorziehe. Das schließt Konflikte in Sachfragen wie der Kapitalzuwachssteuer nicht aus. Der Bush-Administration gelangen auch Kompromisse über die Hilfe an die Contras und über den Haushalt. Die einzige scharfe Konfrontation gab es über die Nominierung von John Tower als Verteidigungsminister, dessen Scheitern sich die Administration wahrscheinlich selbst anzulasten hat und allem Anschein nach auf eine Fehlkalkulation darüber zurückzuführen ist, wann man dem Kongreß zum erstenmal die Stirn bieten solle, um Flagge zu zeigen. Die Auseinandersetzung hat jedoch wenig Spuren im Verhältnis zwischen Präsident und Kongreß hinterlassen
Welchen Eindruck vermittelt der Prozeß der Regierungsbildung von dem Charakter der sich entwikkelnden Bush-Präsidentschaft? Man hat den Eindruck von vorsichtiger Professionalität. Überlegtes Regieren erscheint wichtiger als ideologischer Dogmatismus. Der Entscheidungsprozeß scheint sich offener, dezentraler und flexibler zu gestalten und jeder Usurpierung durch ein Machtzentrum einen Riegel vorzuschieben. Der Umgang mit den anderen Akteuren des politischen Systems, insbesondere mit dem Kongreß, ist ganz auf Kooperation und Konsultation abgestellt, ohne der Austragung von Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu gehen. Damit entspricht das Bild der Bush-Präsidentschaft dem einer post-imperialen Präsidentschaft, die sich als eines der Handlungszentren im politischen System begreift. Insofern entspricht das „Modell verstreuter Verantwortlichkeit“ (diffused responsibility model) dem Regierungssystem und der Normalität unter den Bedingungen der Gewaltenteilung und der unterschiedlichen Parteienkontrolle Es ist oft übersehen worden, daß diese Normalität auch schon für Ronald Reagan galt, da er nur in seinem ersten Amtsjahr unter außergewöhnlichen Umständen seine politischen Vorstellungen durchsetzen konnte, in der Folgezeit aber seine ebenfalls reduzierte Präsidentschaft unter einem Schwall von Rhetorik und effektivem Image-Management verdecken konnte. 5. Innenpolitische Themen Die Normalität der reduzierten Präsidentschaft äußerte sich nirgendwo deutlicher als in den innenpolitischen Sachfragen. Völlig in Übereinstimmung mit einem fehlenden Mandat und fehlender Notwendigkeit, einen Bruch mit der Vorgängeradministration suchen zu müssen, präsentierte Bush kein umfassendes, einen neuen Aufbruch markierendes politisches Programm, das öffentliche Diskussion oder Bewußtsein bestimmen würde. Das Selbstverständnis seiner Administration beschrieb Bush vielmehr als den Versuch, die Probleme, so wie sie sich stellen, aufzugreifen und zu lösen: „I don’t have an agenda where I have to get six items done . . . I'm not thinking in terms of 100 days.“ Die Präsidentschaft Bushs hat alle Merkmale einer Problemlösungspräsidentschaft, die zudem durch einen aktiveren Präsidenten ausgezeichnet ist als unter Reagan. Das Fehlen eines umfassenden politischen Programmes läßt sich aber auch auf die Genese und Geltung von politischen Themenkatalogen in einem politischen System zerstreuter Verantwortung zurückführen. Der Katalog besteht aus einer ganzen Reihe von Makrothemen, die sich leicht einer ideologischen Zuordnung entziehen, weil sie sich im Laufe der Auseinandersetzung zwischen Präsident und Kongreß herausgebildet haben (Handel, Defizit, Umweltschutz, Energie, die Rolle der Landesverteidigung in Friedenszeiten etc.). Durch diese Entwicklung verändert sich die Rolle des Präsidenten: Bei einer sich quasi selbst generierenden politischen Tagesordnung ist der Präsident nicht mehr der Deus ex machina, der die programmpolitischen Themen bestimmt. Er hat vielmehr eine andere Aufgabe: Unter diesen Umständen hat er eine „certifying function for the agenda“ d. h. er „bescheinigt“, welche Themen und Probleme politikfähig sind und setzt damit die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten in Gang. Sollte er sich dieser Aufgabe jedoch entziehen, können sie auch andere Akteure im Kongreß übernehmen Auch in dieser veränderten Funktion spiegelt sich die (alte und neue) Normalität der reduzierten Präsidentschaft.
Wichtig ist jedoch, daß Bush mit einem derartigen Amtsverständnis Anklang findet. Seine gegenwärtigen Zustimmungsraten in den Meinungsumfragen (April 1989: 61 Prozent) liegen nicht weit von denen Reagans entfernt
Schließlich war die gesamte politische Tagesordnung vom Haushaltsdefizit bestimmt. Dieses erlaubte keine großen Aufbrüche und Initiativen, sondern nur eine unverbindliche Akzentsetzung, wie den Wunsch nach „einer freundlicheren, sanfteren Nation“ oder den Wunsch, ein „Bildungspräsident“ zu sein. Wenn George Bush diese Wünsche konkretisiert, läuft er jedoch Gefahr, mit Vorschlägen aufzuwarten (für Ausbildung, den Umweltschutz, Raumfahrt, Kindertagesstätten), für die er keine solide Finanzierung vorweisen kann. So kann es nicht überraschen, daß die innenpolitische Tagesordnung von politischen Ereignissen beherrscht wurde, die ihren Ausgang nicht beim Präsidenten nahmen. Dazu gehört die von der republikanischen Parteiführung im Kongreß und von der republikanischen Parteizentrale betriebene „Ethik-Kampagne“ gegen den Speaker Jim Wright, die schließlich zu seinem Rücktritt aufgrund von Unregelmäßigkeiten in seinem Finanzgebaren und zu dem Rücktritt von Majority Whip (Führer der Mehrheitsfraktion) Tony Coelho führte. Die Demokraten verloren praktisch über Nacht zwei ihrer aggressivsten Persönlichkeiten im Kongreß, die im Repräsentantenhaus eine zentralisierte Oppositionsstrategie gegen die Republikaner zustande gebracht hatten. Deshalb waren sie vor allem Zielscheibe der Republikaner Von ihren Nachfolgern, Thomas Foley (Speaker) und Dick Gebhardt (Majority Leader) kann man erwarten, daß sie einen konziliante-ren Kurs verfolgen und den republikanischen Versuchen, die Demokraten im Kongreß zu unterminieren, den Boden entziehen. Ferner gehören hierzu mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zur Bürgerrechtsproblematik, zur Abtreibungsfrage und zur Todesstrafe, die alle einen scharfen Bruch mit der bisherigen liberalen Rechtsprechung markieren. Insbesondere die Entscheidung, den Einzelstaaten zu erlauben, die Abtreibungsmöglichkeit während der ersten drei Monate der Schwangerschaft einschränkenden Bedingungen zu unterwerfen, wird langfristige und polarisie-rende Auswirkungen auf die amerikanische Politik haben, die aber zunächst hauptsächlich auf einzelstaatlicher Ebene zu spüren sein werden. Jedenfalls haben die Konservativen mit der Berufung von Anthony Kennedy eine feste 5: 4-Mehrheit im obersten Bundesgericht — eine der wichtigsten und nachhaltigsten Hinterlassenschaften Ronald Reagans.
Die Dritte Gewalt im amerikanischen Regierungssystem wird jetzt von Konservativen beherrscht, was besonders die wertkonservativen Themen aktivieren dürfte Die Bush-Administration leistete dazu ihren Beitrag, als sie nach einer Entscheidung des Gerichts, die das Verbrennen der amerikanischen Flagge als Teil des Rechtes auf freie Meinungsäußerung auslegte, einen Verfassungszusatz forderte, der die Entehrung der Flagge unter Strafe stellt. Die Absicht, den rechten Flügel der Republikaner zufriedenzustellen und die Demokraten im Kongreß mit einer unbequemen Forderung unter Druck zu setzen, war unverkennbar
Letztlich kehrte jedoch 1989 der gesetzgeberische Alltag ein. Präsident und Kongreß besannen sich auf die Lösung dringender anstehender Probleme. Dazu gehörten: die Rettungsaktion für fast 1 000 zahlungsunfähigen Sparkassen, die mindestens 100 Mrd. US-Dollar an Steuergeldem — einige schätzen sogar auf bis zu 240 Mrd. — kosten wird; weitgehende Vorschläge von Präsident Bush, die Luftemissionsgesetze zu verschärfen, die auf positive Resonanz im Kongreß stießen; ein sich abzeichnender Konsensus, die Unterstützung für arbeitende Einkommenschwache zu erhöhen und den Mindestlohn hinaufzusetzen, obwohl über Höhe und Instrumente (Transferzahlungen vs. Steuerfrei-beträge) keine Einigkeit herrschte; sowie Initiativen zum Ausbau von Kindertagesstätten
Die Klagen, daß die Administration kein Programm habe, verstummten und belegten damit, daß die Rolle des Präsidenten darin besteht, eine sich von selbst ergebende, kontinuierliche, parteiübergreifende politische Tagesordnung aufzugreifen, zu sanktionieren und pragmatisch in der Auseinandersetzung mit dem Kongreß zu bewältigen. Die Bush-Administration hat sich als pragmatische Problemlösungsregierung etabliert und ist damit bisher erfolgreich gewesen. Sie trägt damit den Realitäten im amerikanischen Regierungssystem Rechnung: unterschiedliche Parteienkontrolle, die Unmöglichkeit, eine rein präsidiale politische Tagesordnung zu etablieren, die elektorale Trennung der Präsidentschaft von den anderen Akteuren des Systems, ein in seiner Oppositionsrolle gestärkter Kongreß. Insofern sie auf die neuen Strukturmerkmale des amerikanischen Regierungssystem reagiert, ist die Bush-Präsidentschaft eher ein Maßstab von untrügerischer Normalität. Trügerisch war vielmehr die ideologisch aufgeladene, mediengeleitete Strategie der Reagan-Administration, George Bush erscheint vielen als der perfekte Status-quo-Präsident, dessen Regierungsstil zu der gegenwärtigen Situation der USA paßt. George Bush wird erfolgreich sein, solange er mit seiner „InBox“ Schritt halten kann, d. h. solange er ein Problem nach dem anderen in vielen kleinen Schritten lösen kann. Sollte er jedoch mit einer Krise konfrontiert werden, so könnte er leicht überwältigt werden. Sollte sich der Status quo verschlechtern, sollte sich unter seiner Regierung ein schwerer Wirtschaftseinbruch ereignen, dann wird Bush Probleme haben und als schwacher Präsident erscheinen. Er hat keinen situationsunabhängigen Rückhalt in der republikanischen Anhängerschaft, er könnte nur schwer andere politische Kräfte (außer vielleicht die Bundesbank) für eine Krise verantwortlich machen, und er hätte wenig wirtschaftspolitische Optionen. Hier rächt es sich, daß die Administration das Hauptproblem der amerikanischen Politik, das Haushaltsdefizit vor sich her geschoben hat und bisher nur durch eine Scheinlösung mit dem Kongreß angegangen ist. Die trügerische Normalität mag also genau in der gegenwärtigen Wirtschaftslage der USA liegen.
II. Wirtschaftspolitik
Abbildung 2
Tabelle 1: Wirtschaftliche Grunddaten von 1987 bis 1990 (in Prozent) Veränderung über vier Quartale BSP (real) 5, 0 2, 8 2, 4 BSP (o. Farmsektor)
*) Three Month Treasury Bill Rate. **) Ten-Year Government Note Rate. Voraussaފ?
1. Die Wirtschaftslage Die Einschätzung der Wirtschaftslage zu Beginn der Bush-Administration schwankte zwischen der Furcht vor starken inflationären Schüben bei weitgehend ausgelasteten Kapazitäten, unverändert starker Inlandsnachfrage und wachsenden Exporten Ende 1988 und der Furcht vor einer Rezession Mitte dieses Jahres. Das Dauerthema war jedoch die Rolle des immer noch hohen Budgetdefizits, seine Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Aussichten seiner Reduzierung. Das Wachstum des Bruttosozialproduktes, das 1988 2, 8 Prozent betragen hatte, verlangsamte sich 1989 und erreichte im zweiten Quartal 1989 nur 1, 7 Prozent (nach ungewöhnlichem, durch die Erholung des Farmsektors bedingtem Wachstum von 4, 4 Prozent im ersten Quartal) Die Bundesbank hatte seit März 1988 eine restriktivere Geldpolitik verfolgt, was zu einem starken Anziehen der Zinsen bis Ende 1988 führte. Von diesem Kurs rückte die Bundesbank in der ersten Jahreshälfte nicht ab Mit dem Verlangsamen des Wachstums im zweiten Quartal wurde jedoch die Inflation nicht mehr als das Hauptproblem angesehen, und die Bundesbank konzentrierte sich mit der Lockerung der Geldpolitik zunehmend auf die Vermeidung einer Rezession. Kurz-und langfristige Zinssätze sanken um einen Prozentpunkt. Die Inflationsrate bewegte sich in der ersten Hälfte des Jahres bei 5, 9 Prozent, zeigte aber seitdem Zeichen des Nachlassens Die Bundesbank bewegte sich in einem Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und Rezessionsvermeidung, bei dem sie jedoch schon bald unter den Druck der Bush-Administration kam, keine Rezession zuzulassen. Das nachlassende Wirtschaftswachstum nahm aber auch dem Defizit den Schrekken: Es wird seit Mitte des Jahres weniger problematisch beurteilt, weil man fürchtet, daß eine zu große Reduzierung eine Rezession provozieren könnte. Insgesamt halten die meisten Beobachter eine Rezession in der nächsten Zeit für unwahrscheinlich und rechnen mit einer „sanften Lan-düng“, die sich in der niedrigeren Wachstumsrate schon ankündigt
Andere Daten bestätigen das gemischte Bild: Vom Dollar, der 1988 vor allem wegen gestiegener Zinsen in den USA anzog, erwarteten viele Beobachter 1989 ein Nachgeben, doch der Dollar zeigte unerwartete Stärken, vor allem wegen der Annahme einer „sanften Landung“ der amerikanischen Volkswirtschaft, die das Vertrauen der Finanzmärkte stärkte, und politischer Instabilitäten in Asien. Der starke Dollar, der im August fast zwei DM erreichte, dürfte jedoch eine Erholung der amerikanischen Handels-und Zahlungsbilanzen erschweren Die Handelsbilanz zeigte gegensätzliche Bewegungen: Im Mai verschlechterte sich der. Fehlbetrag um 23, 6 Prozent (-10, 1 Mrd. US-Dollar), während die Steigerung im Juni und Juli wieder abnahm und auf den niedrigsten monatlichen Stand in viereinhalb Jahren fiel. Die Arbeitslosenquote ist trotz des Nachlassens der Konjunktur erfreulich und hat sich auf fünf Prozent (5, 2 Prozent im August) stabilisiert.
Das Haushaltsbüro des Kongresses rechnet in seiner Vorhersage vom August 1989 mit folgenden Entwicklungen: Die Wirtschaft wird 1990 in dem gleichen langsamen Tempo wachsen wie in der ersten Hälfte dieses Jahres. Die Wachstumsrate für 1989 wird mit 2, 4 Prozent, die für 1990 mit zwei Prozent angegeben. Die Arbeitslosenquote wird stabil bleiben, dürfte aber 1990 leicht auf 5, 5 Prozent steigen. Bei den kurzfristigen Zinssätzen wird ein weiteres Fallen vorausgesagt, während die langfristigen stabil bleiben dürften (vgl. Tabelle l)
Obwohl diese Zahlen keine Rezession ankündigen, geben die Autoren des Haushaltsbüros des Kongresses folgendes zu bedenken: Bei weitgehender Kapazitätsauslastung und ausbleibender Defizitreduzierung liegt die Aufgabe der Inflationskontrolle allein bei der Geldpolitik. Die restriktivere Geldpolitik führt aber nicht nur zu einer Kontrolle der Inflation, sondern auch zu vermindertem Wirtschaftswachstum und in der Folge dieser Entwick-lung sowie eines starken Dollars zu einem verlangsamten Wachstum der Investitionen und des Nettoexports. Da diese letzten beiden Faktoren besonders für ein langfristiges Steigen des Lebensstandards verantwortlich sind, sind die Autoren pessimistisch. Während sie nicht mit einer Rezession rechnen, so sprechen nach ihrer Ansicht viele Anzeichen für eine Periode verlangsamten Wachstums bei relativ hoher Inflationsrate (zwischen 4, 5 und fünf Prozent), eine milde Variante der Stagflation der siebziger Jahre. Bessere, langfristigere Wachstumschancen hätte die amerikanische Wirtschaft nur bei einem nachhaltigen Abbau des Haushalts-defizit, das hauptsächlich für negative Begleiterscheinungen wie eine niedrige Sparquote, ein hohes Handelsdefizit und wachsende Auslandsschulden verantwortlich ist 2. Das Dilemma des Haushaltsdefizits Das Haushaltsdefizit ist primär ein politisches Problem, das durch die Festlegung der Haltung der Hauptakteure im politischen System bestimmt wird. Für die republikanische Administration steht die Vermeidung einer Steuererhöhung und zu starker Kürzungen im Verteidigungsbereich im Vordergrund, für die Demokraten im Kongreß dagegen die Abwehr weiterer innenpolitischer Ausgaben-kürzungen. Gleichwohl haben beide Seiten zu erkennen gegeben, daß langfristig ein Abbau des Defizits geboten ist, obwohl das Defizit seit seinem Höchststand von mehr als fünf Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt (BSP) auf einen Anteil von 2, 5 Prozent gefallen ist. Das Haushaltsbüro des Kongresses rechnet damit, daß das Defizit für das Haushaltsjahr 1989 unter den in Tabelle 1 genannten Annahmen 161 Mrd. US-Dollar betragen wird (gegenüber 158 Mrd. US-Dollar 1988). Bei Fortschreibung der haushaltsrechtlichen Verpflichtungen wird das Defizit (sog. baseline budget) 1990 und die folgenden vier Jahre rund 140 Mrd. US-Dollar betragen — Beträge, die weit über den angepeilten Reduzierungszielen des Balanced Budget Act, dem sog. Gramm-Rudman-Hollings Gesetz, liegen (vgl. Tabelle 2)
Die sogenannten baseline-Voraussagen beziehen weitere Belastungen wie die Rettungsaktion für die Sparkassen und Dürrehilfe für die Farmer ein. Bei Fortsetzung der bisherigen Haushaltspolitik wird sich der Anteil des Defizits am Bruttosozialprodukt auf 2, 6 Prozent (1990) und später sogar auf unter zwei Prozent verringern. Folgte der Kongreß den zuerst in der Absprache zwischen Administration und Kongreß vereinbarten und dann in die Budget-resolution übernommenen Zielen, würde der Anteil noch geringer sein. Hier gibt es jedoch zwei Probleme: Erstens sind viele der ins Auge gefaßten Kürzungen kosmetischer Natur, d. h. sie bestehen aus buchhalterischen Manipulationen, Vermögensverkäufen und einmaligen Einsparungen. Zweitens ist gar nicht ausgemacht, daß die verschiedenen Kongreßausschüsse die Kürzungen zusammenbringen werden, die für die Erreichung der aggregierten Budgetziele erforderlich sind. Nur die Hälfte der 28 Mrd. US-Dollar, die der Kongreß einsparen müßte, unterliegt der Kürzung durch Anordnung der Haushaltsausschüsse (sog. reconciliation). Außerdem sind die ökonomischen Annahmen der Administration positiver als die des Haushaltsbüros des Kongresses. Schließlich mögen neue Ausgaben-belastungen (Krise der Sparkassen, Beseitigung der Altlasten bei Atomfabriken, sozialpolitische Initiativen) unabweisbar sein Die Administration und der Kongreß rechnen immer noch damit, das Haushaltsdefizit auf die Gramm-Rudman Marke von 100 Mrd. US-Dollar zu drücken. So geben die baseline-Schätzungen eine realistischere Orientierung ab.
Es hat den Anschein, daß sich die Pattsituation in der Budgetpolitik fortsetzt. Insofern haben wir hier auch ein Element der Normalität in der amerikanischen Politik der achtziger Jahre. Ein aktueller Grund ist sicherlich die Furcht vor einer Rezession, die das Defizit weniger als Gefahr erscheinen läßt, und die Tatsache, daß der Kongreß schon erhebliche Einsparungen in den letzten Jahren vollzogen hat. Ein tiefer liegender Grund für diese Situation ist der ideologische Dissens zwischen Konservativen und Liberalen über Methoden der Reduzierung, der sich auf die verschiedenen Ebenen der Regierung auswirkt. Der wichtigste Grund ist aber, daß es politisch — im Gegensatz zur Meinung der Wirtschaftsexperten, die Defizitreduzierung als im öffentlichen Interesse stehend definieren — keine wirkliche Mehrheit für einen Abbau des Defizits gibt, da den meisten Wählern der Nutzen des Defizitabbaus weniger klar ist als die Kosten, die mit den Zahlungen eines fairen Beitrags zu seinem Abbau verbunden sind. Dies gilt um so mehr, als alle Vorschläge zum Defizitabbau möglicherweise viel negativere Konsequenzen haben könnten, die von einer Rezession über die Schwächung der Verteidigungsbereitschaft bis zu schmerzlichen Einschnit-ten in das soziale Netz reichen können. Meinungsumfragen bestätigen diese Situation: Die meisten Amerikaner melden Unbehagen wegen der Existenz des Defizits an, sind aber nicht bereit, den drastischen Maßnahmen zuzustimmen, die für seine Beseitigung notwendig sind Insofern haben wir es mit dem Normalzustand eines politischen Systems zu tun, in dessen Entscheidungen Mehrheitsmeinungen reflektiert werden. Ist dieser Normalzustand jedoch trügerisch, d. h. verbergen sich dahinter große Gefahren für die amerikanische Politik und Wirtschaft? 3. Die langfristigen Risiken Eine Rezession würde die Vereinigten Staaten und die Weltwirtschaft schwer treffen. Sollte es zu einer Rezession kommen, stünden angesichts des noch hohen Haushaltsdefizits fiskalische Steuerungsinstrumente nur eingeschränkt zur Verfügung. Ein Risiko wäre zudem die hohe Verschuldung vieler privater Unternehmen, die in einer Rezession enorm gefährdet wären, und die Fragilität des Bankensektors Ein typisches Szenario für eine Rezession geht von einem „Dollar-Streik“ aus: Das Versäumnis, die notwendigen Ausgabenanpassungen in einer Zeit hoher Kapazitätsauslastung vorzunehmen, könnte ausländischen Investoren signalisieren, daß die Vereinigten Staaten die Fähigkeit verloren haben, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Die Notwendigkeit, die Zinsen bei unvermindertem inflationären Druck hoch zu halten, würde weiterhin den Dollar auf einem hohen Niveau halten und einen langfristigen Ausgleich der Handelsbilanz verhindern und schließlich Zweifel über den wahren Wert des Dollars nähren. Unter diesen Umständen wäre eine Flucht aus dem Dollar vorstellbar, auf den die Bundesbank mit einer restriktiven Geldpolitik antworten müßte, die die Inflationsge-fahr zwar bremsen, aber schließlich zur Rezession führen würde Die meisten Beobachter halten ein derartiges Szenario jedoch für unwahrschein-lieh Glaubwürdige Maßnahmen gegen das Defizit bei schrumpfender Handelsbilanz und einem nachlassenden Zufluß von ausländischem Kapital würde keine steigenden Zinssätze in der Zukunft signalisieren, selbst wenn der Dollar fallen sollte. Die Finanzmärkte würden in dieser Situation den Fall des Dollars eher als Zeichen der sinkenden amerikanischen Nachfrage nach ausländischem Kapital angesichts des sinkenden Handelsdefizits ansehen. Dieses Szenario wird durch die Ereignisse von 1986/87 bestätigt, als das strukturelle Haushaltsdefizit, der Dollar und die Zinssätze fielen Denkbar ist jedoch auch, daß eine Rezession durch einen äußeren Schock — wie eine Finanzkrise oder einen Ölpreisschock — ausgelöst werden könnte. Jeglicher Verzicht auf eine Bewältigung des Haushalts-defizits würde jedoch den Einsatz von Instrumenten — wie der Geldpolitik bei einer Flucht aus dem Dollar oder der Fiskalpolitik — erschweren
Ein weiteres Problem, das bei einem relativ hohen Haushaltsdefizit auftritt, ist, daß keine effektiven Optionen zur Behebung des Leistungsbilanzdefizits zur Verfügung stehen. Die Geldpolitik, auf die sich die Vereinigten Staaten zur makroökonomischen Steuerung in den letzten Jahren primär verlassen haben, könnte nur in Form einer radikalen Austeritätspolitik zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits beitragen. In diesem Falle würde sie auch eher die zinsabhängigen Investitionen als den Konsum treffen. Intervention auf den Devisenmärkten scheidet ebenfalls als wirksames Mittel aus. Dagegen wären fiskalpolitische Maßnahmen wirksamer, weil sie das Defizit sowohl durch Einkommensreduzierungen als auch durch eine Abwertung des Dollars beeinflussen. Geldpolitische Maßnahmen dagegen erzeugen gegensätzliche Bewegungen bei Einkommen und Devisenkursen. So geht das Haushalts-büro des Kongresses davon aus, daß eine Befolgung der Zielgrößen des Gramm-Rudman-Gesetzes bis 1994 eine Verringerung des Leistungsbilanzdefizits um 40 Mrd. US-Dollar mit sich bringen würde. Die fiskalische oder monetäre Ankurbelung der Wirtschaften der Partnerländer der USA könnte zwar die Verringerung noch verstärken, doch wäre dieser Effekt hauptsächlich auf höhere ausländische Preise zurückzuführen
Das langfristige Hauptproblem der amerikanischen Wirtschaft dürfte jedoch der Kollaps der nationalen Ersparnis sein. Die Vereinigten Staaten haben im Lauf der achtziger Jahre mehr ausgegeben als sie produziert haben. Seit 1981 haben die inländischen Ausgaben für den Verbrauch, Investitionen und den Staat das Bruttosozialprodukt überstiegen. An-geheizt durch ein strukturelles Haushaltsdefizit, wuchsen inländische Ausgaben stärker als die nationale Produktion und das Einkommen. Dies konnten sich die Vereinigten Staaten aufgrund eines Handelsdefizits leisten, das man durch Verschuldung im Ausland finanzierte. Eine Folge davon war ein Leistungsbilanzdefizit, das 1987 mit 161 Mrd. US-Dollar 3, 6 Prozent des Bruttosozialproduktes erreichte Die Vereinigten Staaten lebten über ihre Verhältnisse. Die nationale Verschuldung der USA verdreifachte sich und erreichte 1988 2, 8 Bill. US-Dollar. Die USA waren zum größten Schuldner geworden
Die Überkonsumtion fand jedoch auf dem Hintergrund einer stark abnehmenden nationalen Ersparnis statt. Beide Komponenten der nationalen Ersparnis, die private wie die staatliche, fielen seit den achtziger Jahren und lagen unter dem Durchschnitt der Periode von 1951 bis 1980. Die nationale Sparquote betrug 1987/88 nur noch 2, 6 Prozent, während sie in den drei Jahrzehnten nach 1950 durchschnittlich acht Prozent betragen hatte (vgl. Tabelle 3). Die Ersparnis sank aber besonders in den achtziger Jahren durch das Haushaltsdefizit, das eine Form der „Entsparung“ („dissaving“) darstellte. Dabei fielen allerdings die Investitionen nicht in dem gleichen Maße wie die Ersparnis, sondern sie sanken in den achtziger Jahren nur um 1, 5 Prozentpunkte im Vergleich zu der Periode von 1950 bis 1980. Die Aufrechterhaltung einer recht hohen Investitionsquote gelang nur, weil mehr als die Hälfte der amerikanischen Nettoinvestitionsquote direkt oder indirekt aus dem Ausland finanziert wurde (vgl. Tabelle 4). Diese Situation wird noch dadurch überschattet, daß der größte Teil der Auslandsverschuldung dazu diente, den inländischen privaten und staatlichen Verbrauch zu finanzieren. Die Verschuldung wäre nicht so ernst gewesen, wenn sie nur zur Schließung der Investitionslücke gedient hätte Nun besteht das Problem nicht so sehr darin, daß ausländische Investoren nicht mehr bereit wären, die Investitionslücke und die Differenz zwischen nationalem Verbrauch und Bruttosozialprodukt zu schließen, solange nur die Bundesbank bereit ist, mit hohen Zinsen jegliche inflationsanheizende Übemachfrage zu neutralisieren. Das langfristige Problem liegt darin, daß die Vereinigten Staaten beginnen müssen, aus ihrem zukünftigen Nationaleinkommen Schuldendienst zu leisten. Das bedeutet, daß sie einen Außenhandelsüberschuß erwirtschaften müssen, um die Zahlungen zu leisten. Dafür muß aber der inländische Verbrauch sinken und exportbezogene Produktion und Investition wachsen. Die Amerikaner werden deshalb eine Reduzierung ihres Lebensstandards hinnehmen müssen, die um so stärker sein wird, wenn die Verschuldung noch weiter steigt Sie wird um so spürbarer sein, weil seit Beginn der siebziger Jahre der Produktivitätszuwachs, von dem letztlich der Lebensstandard abhängt, nur noch gering ist.
Eine Erhöhung der nationalen Ersparnis und damit der produktivitätssteigernden Investitionen ist unumgänglich. Aus diesem Grunde muß nicht nur die private Ersparnis steigen, sondern vor allem die Beanspruchung der privaten Ersparnis durch den Staat, die „Entsparnis" muß neutralisiert werden. Ein Abbau des Haushaltsdefizits ist angesagt. Eine Steuererhöhung ist dafür unvermeidlich, da bei den anzunehmenden Wachstumsraten von zwei bis 2, 5 Prozent die Vereinigten Staaten unmöglich aus dem Defizit herauswachsen können Gerechtigkeitserwägungen würden gebieten, daß die Last der Reduzierung des privaten Verbrauchs vor allem die oberen Einkommensklassen zu tragen haben, denn sie sind es, die zu viel konsumieren, wie Nixons ehemaliger Wirtschaftsberater. Herbert Stein, hervorgehoben hat Einige Beobachter halten sogar einen Haushaltsüberschuß für angezeigt, da die Vereinigten Staaten vor dem Problem einer Rücklagenbildung für eine wachsende Altersbevölkerung stehen. Zwar hat der Sozialversicherungsfonds einen Überschuß von etwa 40 Mrd. US-Dollar, doch geht dieser Überschuß in die Haushaltsrechnung ein und vermindert das Defizit. Dieser Umstand verdeckt das wahre Ausmaß des gegenwärtigen Haushaltsdefizits. Um neutralisierend auf die nationale Ersparnis zu wirken, müßte der Überschuß in der Höhe des Überschusses im Sozialversicherungsfonds liegen
Das politische Problem liegt darin, daß sich die Senkung des Lebensstandards nicht als plötzliches Ereignis oder als Krise manifestiert, sondern als Prozeß langsamer Erosion. In diesem Prozeß wird jedoch eine der Grundlagen des gesellschaftlichen Konsenses in den Vereinigten Staaten in Frage gestellt, was langfristig politische Auswirkungen haben wird. Die Erfahrung ständig wachsenden Wohlstandes könnte nicht Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein. Dies würde um so gravierender sein, da heute nicht mehr die hohen Einkommenszuwächse der fünfziger und sechziger Jahre vorauszusetzen sind, die damals selbst weniger erfolgreichen Haushalten und Firmen Zuwächse in Einkommen und Lebensstandard sicherten. Heute ist mit absoluten Einbußen bei verschiedenen Segmenten der Gesellschaft zu rechnen Zwar dürften Schuldzuweisungen für diesen Prozeß nicht leicht sein, weil sich ein Absinken des Lebens-Standards über einen langen Zeitraum vollzieht und Kongreß und Präsident für ihn Verantwortung zu übernehmen haben. Doch eine politische Vertrauenskrise ist langfristig nicht ausgeschlossen, sobald die Folgen eines abnehmenden Lebensstandards spürbar werden. Insofern kann man behaupten, daß die heutige Situation Anzeichen trügerischer Normalität trägt.
Wird sich die Bush-Administration dieser Herausforderung stellen? Die Antwort auf diese Frage muß ein strukturelles Dilemma berücksichtigen: Die politische Überlebensfähigkeit der Bush-Administration, geschweige denn die der meisten Kongreßabgeordneten, hängt nicht von der Lösung dieser Frage ab. Die Bush-Administration ist also mit der klassischen Alternative einer anfänglich schmerzlosen Kurzfrist-und einer mit anfänglichen Kosten verbundenen Langfriststrategie konfrontiert — eine Situation, in der sich Politiker eher für die kurzfristige Lösung entscheiden. Zudem kann keiner garantieren, daß die nötigen Steuererhöhungen nicht die private Investitionsbereitschaft oder das Wirtschaftswachstum dämpfen. Es gibt Anzeichen dafür, daß sich die Bush-Administration des Ernstes der Situation bewußt ist, wie etwa der Budgetdirektor Richard Darman in einer Rede vor dem National Press Club im Juli klarmachte: „In unserer Politik — wie auch im gewissen Maße in unserem Privatverhalten — konsumieren wir so, als gebe es kein Morgen. Wir kümmern uns zu wenig um die
Probleme der Investitionen, die nötig sind, um eine bessere Zukunft zu schaffen.“
Wenn aber die oben gegebene Beschreibung der Bush-Administration als einer Problemlösungsadministration richtig ist, dann können wir erwarten, daß sie dieses Problem aufgreifen wird. Das gilt um so eher, je mehr es ihr gelingt, eine eigene politische Identität zu entwickeln und sich von den starren Festlegungen ihrer Vorgänger, mit denen sie den Wahlkampf bestritt, zu entfernen. Allerdings gilt wahrscheinlich auch hier, was wir von dem Prozeß der Themensetzung im amerikanischen Regierungssystem gesagt haben: Sinkender Lebensstandard muß erst zu einem partei-und gewalten-übergreifenden Makrothema werden, bevor es der Präsident aufgreifen und als solches bestätigen kann. Dies wurde aber bisher durch die Fixierung von Öffentlichkeit und Presse auf eine Rezession verhindert. Hoffen wir nur, daß die Administration sich des Themas annehmen kann, bevor eine akute Krise alle Energien bindet. Die wirtschaftspolitische Formel, die bei einer Weichenstellung zugunsten einer größeren nationalen Ersparnis eine Rezession vermeiden könnte, bestünde nach Meinung vieler Beobachter in einem den Verbrauch dämpfenden Abbau des Haushaltsdefizits, das der Bundesbank gleichzeitig erlauben würde, die Kreditzügel zu lockern.
Andreas Falke, Dr. disc. pol., geb. 1952; Studium der Sozialwissenschaften und Amerikanistik in Göttingen, Miami und St. Louis; 1980— 1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Göttingen; seit 1983 Referent für Innenpolitik und Gesellschaft beim United States Information Service an der amerikanischen Botschaft in Bonn; 1988/89 Kennedy-Memorial-Fellow an der Harvard University; Sommer 1989 Guest scholar, Brookings Institution. Veröffentlichungen u. a.: Großstadtpolitik und Stadtteilbewegung in den USA. Zur Wirksamkeit politischer Strategien gegen den Verfall, Basel-Stuttgart-Boston 1987; Regulation und Deregulation im Spannungsfeld des amerikanischen Regierungssystems, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (1989) 2; Der amerikanische Kongreß und die deutsch-amerikanischen Beziehungen, in: James A. Cooney u. a. (Hrsg.), Deutsch-Amerikanische Beziehungen, Jahrbuch 1, Frankfurt — New York 1989.
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