I. Der Wahlabend in ARD und ZDF
Sobald an einem beliebigen Wahlabend die Wahllokale schließen, spielt sich in schöner Regelmäßigkeit das gleiche Fernsehspektakel ab: Eine Minute nach Schließung der Wahllokale treten in ARD und ZDF die Meinungsforschungsinstitute mit einer Wahlprognose vor die Fernsehöffentlichkeit, in der häufig recht genau das Wahlergebnis vorausgesagt wird. Eine Viertelstunde danach wird es ernst: Erste Trendmeldungen laufen über die Kanäle, ohne Gewähr, aber doch schon dem Wahlergebnis häufig ziemlich nahe kommend. Weitere zehn Minuten später die ersten „echten“ Hochrechnungen, zunächst noch auf statistisch recht dünner und darum ziemlich unsicherer, bald aber schon immer breiterer Basis. Nur in Ausnahmefällen, bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den großen Parteien oder wenn eine der kleineren Parteien die Fünf-Prozent-Marke streift, bleibt der Abend auch über die Sieben-Uhr-Nachrichten hinaus noch spannend. Wo dies nicht der Fall ist, erfährt man weniger als eine Stunde nach der Wahl schon sehr genau die endgültige Kräfteverteilung zwischen den Parteien, weiß man, ob es die FDP noch einmal geschafft hat, ob die Union die stärkste Partei geblieben ist, ob die GRÜNEN zusammen mit der SPD eine Koalition bilden könnten und wie die Parteien des rechten und Unken Rands abgeschnitten haben. Erste Wahlkommentare werden gesprochen, IN-FAS legt seine Wählerstromanalyse (in der ARD) vor, das Wahlergebnis wird auf seine sozial-strukturellen Merkmale hin analysiert, das Abschneiden der Parteien in Zusammenhang mit der Beliebtheit ihrer Spitzenkandidaten und den ihnen zugeschriebenen Fähigkeiten gebracht; schließlich kann, gerade zwei Stunden nach der Wahl, während die Auszählung der Stimmen noch in vollem Gange ist, die „Elefantenrunde“ aus den Vorsitzenden der Bundestagsparteien mit der politischen Kommentierung des Wahlergebnisses beginnen. Kurz danach werden die ersten Wahlkreisresultate ausgestrahlt. Wenn dann, meist so gegen 23 Uhr, vom Bundeswahlleiter das vorläufige amtliche Endergebnis verkündet wird, interessiert das im allgemeinen kaum noch jemanden, da sich seit den ersten stabilisierten Hochrechnungen allenfalls noch die Stellen hinter dem Komma der Wahlergebnisse verändert haben. Am Montag und Dienstag nach der Wahl schieben dann INFAS und die Forschungsgruppe Wahlen. Mannheim, ihre zusammenfassenden Analysen für die Presse nach; ein gutes Vierteljahr später publizieren Mitarbeiter beider Institute und einige besonders flinke akademische Wahlforscher schließlich die ersten wissenschaftlichen Wahlanalysen; und nochmals drei Jahre später wird eine detaillierte Analyse der Bundestagswahl in Buchform veröffentlicht. Das aber interessiert dann meist nur noch die Wahl-und Parteienforscher selbst und schon längst nicht mehr die außerwissenschaftliche Öffentlichkeit.
Nur den wenigsten Fernsehzuschauern dürfte klar sein, was sich aus der Sicht der Wahlforschung am Wahlabend genau abspielt, wie die Aussagekraft der einzelnen Verfahren zu bewerten ist, worauf die Wahlvoraussagen direkt nach Schließung der Wahllokale basieren, und worauf die Hochrechnungen, Wählerstrom-und Sozialstrukturanalysen oder die namentlich von Politikern, aber auch vielen Journalisten geäußerten Vermutungen über Wählerwille und -motivation. Den meisten dürfte unbekannt sein, daß sich hinter dem Medienspektakel und der Show der Moderatoren und Politprofis ein sorgsam ausgetüfteltes wissenschaftliches Instrumentarium verbirgt, das so oder doch in ganz ähnlicher Form in den meisten westlichen (Fernseh-) Demokratien an Wahlabenden zum Einsatz kommt. Der Artikel wird sich im folgenden, an die Abfolge eines Fernsehwahlabends angelehnt, mit einzelnen methodischen Aspekten von Wahlforschung und Wahlprognose beschäftigen, um damit einen Blick hinter die Kulissen der Wahlberichterstattung und Wahlkommentierung zu werfen.
II. Wahlprognosen und Hochrechnungen
Unproblematisch sind die Ergebnisse der Wahlforschung keineswegs. In ganz besonderem Maße gilt dies für die Voraussage von Wahlresultaten aufgrund von Umfragen, wie die nachstehenden, dem SPIEGEL entnommenen Zitate illustrieren. So hieß es im Zusammenhang mit der Berliner Abgeordnetenhauswahl vom Januar 1989, die bekanntlich der SPD und der Alternativen Liste eine Mehrheit der Mandate (wenn auch nicht der abgegebenen Stimmen, wie manchmal zu lesen steht) einbrachte: „Einen Regierungswechsel . . . brauchen Christ-und Freidemokraten nach Meinung der Demoskopen nicht zu befurchten .. . Eine Infas-Umfrage verheißt der Koalitionsregierung aus CDU und FDP zusammen 52 Prozent der Stimmen.“ Tatsächlich wurden es dann nur knapp 42 Prozent. Mit einem Einzug der Republikaner ins Abgeordnetenhaus hatte kaum jemand ernsthaft gerechnet, ebensowenig damit, daß die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde.
Daß es sich dabei um keinen einmaligen Ausreißer handelt, beweisen ähnliche Fehlprognosen aus anderen Zeitabschnitten und Ländern. So waren sich 1948 — in der Frühphase der Umfrageforschung — praktisch sämtliche amerikanischen Umfrageinstitute darüber einig, daß nicht der Kandidat der Demokratischen Partei und spätere tatsächliche Wahl-sieger, Harry Truman, sondern sein republikanischer Herausforderer Dewey die amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen würde. 1970 lagen die meisten englischen Meinungsforscher mit ihrer Prognose, der amtierende Labour-Premierminister, Harold Wilson, würde die Unterhauswahl mit klarem Vorsprung gewinnen, meilenweit vom tatsächlichen Wahlergebnis entfernt — Labour verlor die Wahl überraschend deutlich und der Konservative Edward Heath wurde an Stelle von Wilson britischer Premier. Die damalige Fehlprognose wurde weltweit als Fiasko der Meinungsforschung interpretiert. Bei anderen Wahlen dagegen kamen die Demoskopen mit ihren Voraussagen so nahe an das endgültige Wahlergebnis heran, daß sie trotz aller immer wieder einmal auftretenden Fehlprognosen ihren Ruf im Laufe der Jahre zu konsolidieren vermochten. Ähnlich wie die gegen krasse Vorhersagefehler ebenfalls nicht gefeiten Metereologen gelten die Meinungsforschungsinstitute bei Politikern, Parteien, Massenmedien und der Werbewirtschaft längst als ebenso unverzichtbare Dienstleistungsunternehmen wie etwa der Deutsche Wetterdienst in Offenbach. 1. Wie kommen Wahlprognosen zustande?
Umso wichtiger ist es danach zu fragen, wie sicher Wahlprognosen denn überhaupt sein können. Kann die Meinungsforschung tatsächlich das leisten, was ihre Auftraggeber (unter anderem) von ihr erwarten, nämlich Wahlergebnisse möglichst bis auf die Stelle hinter dem Komma genau vorauszusagen? Oder werden nicht viel eher Stimmungen gemessen, die dann häufig fälschlich als Verhaltensabsichten interpretiert werden? Um diese Fragen beantworten zu können ist es zuerst notwendig zu klären, wie überhaupt Wahlprognosen zustande kommen.
Aufgabe von Wahlprognosen ist es, möglichst genau vorauszusagen, mit welchem Wahlergebnis zu rechnen ist. Dies erreicht man gewöhnlich, indem man die Wähler danach fragt, für welche Partei sie sich entscheiden würden, falls demnächst Bundestags-, Landtags-oder Europawahlen wären. Diese Frage wird entweder in Form der „Sonntagsfrage“ („Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“) oder einer Wahlsimulation, bei der die Befragten ähnlich wie im Wahllokal selbst einen Stimmzettel mit Erst-und Zweitstimme ausfüllen, gestellt. Da eine Voll-erhebung (die Befragung aller Wähler) viel zu teuer und umständlich wäre, begnügt man sich damit, einer Stichprobe (also einer relativ kleinen Zahl von Wählern) diese Frage (zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Fragen über ihre Einstellungen, politischen Vorlieben und Abneigungen und ihre persönlichen Daten) vorzulegen.
Im allgemeinen werden bei politischen Meinungsumfragen zwischen 1 000 und 2 000 Personen befragt. Aus den Antworten der Stichprobe schließt man auf das Verhalten der Grundgesamtheit aller Wähler. Vielen ist nicht klar, wie man aus den Antworten von nur 1 000 Befragten (manchmal sind es sogar noch weniger) einigermaßen stichhaltige Informationen über das Verhalten von über 45 Millionen Wahlberechtigten gewinnen kann. Man benötigt für bundesweite Wahlen nicht viel mehr Befragte als beispielsweise für Landtags-oder gar Kommunalwahlen: „Die Genauigkeit von Stichprobenerhebungen hängt . . . nicht von dem Prozentsatz der Grundgesamtheit ab, der befragt wurde, sondern von der absoluten Zahl der Befragten.“ Da die notwendige Stichprobengröße mit der Größe der Grundgesamtheit nur sehr wenig zu tun hat, benötigt man für eine Umfrage in der Schweiz beispielsweise kaum weniger Befragte als für die bevölkerungsmäßig rund fünfunddreißig mal größere USA.
Folgendermaßen wird dabei vorgegangen:
1. Die in eine Stichprobe hineinkommenden Personen werden in der Bundesrepublik wie in allen Flächenstaaten mit Hilfe eines mehrstufigen Auswahlverfahrens ermittelt. Zunächst werden, zumeist in einem zweistufigen Auswahlprozeß, die Befragungsgemeinden oder -punkte bestimmt. Innerhalb der Befragungsgemeinden werden dann — anhand recht unterschiedlicher Techniken — die Befragten selbst ermittelt. Das sozusagen klassische, heute aber wegen administrativer Probleme (Datenschutz, Ungenauigkeit der Einwohnermeldekartei) nur noch selten eingesetzte Verfahren ist die Adressenstichprobe, wonach in den Erhebungsgemeinden aus der lokalen Einwohnermeldekartei anhand von Zufallszahlen oder eines systematischen Schlüssels die Namen und Adressen der Befragten gezogen werden, mit denen dann die Interviewer Kontakt aufzunehmen versuchen. Sehr viel häufiger angewandt werden heute zwei andere Auswahlverfahren: Zum einen ist das der sogenannte Random Walk (also Zufallsweg), bei dem anhand genauer formaler Wegstreckenvorgaben („gehe vom Ausgangspunkt in die zweite Straße links, dort auf die gegenüberliegende Straßenseite, betrete das dritte Haus von der Ecke, gehe in den obersten Stock, nimm dort die linke Wohnung und frage nach dem Haushaltsvorstand . . .“) zunächst in einer Gemeinde die Haushalte, innerhalb derer befragt werden soll, und danach die zu befragenden Personen ermittelt werden. Zum anderen handelt es sich um das sogenannte Quotenverfahren, bei dem der Interviewer keine Adressen in die Hand bekommt, sondern Angaben über bestimmte Merkmale der von ihm zu befragenden Personen (drei Frauen, vier Männer; vier Personen über 35 Jahre, davon zwei weiblich; drei Personen unter 35 Jahre etc.); anhand dieser Angaben sucht sich dann der Interviewer beim Quotenverfahren innerhalb der ihm zugewiesenen Befragungsgemeinde seine Interviewpartner selbst aus. In jüngster Zeit allerdings stützen immer mehr Umfrageinstitute ihre Wahl-prognosen auf Telefoninterviews, was durchaus sinnvoll ist, nachdem in der Bundesrepublik mittlerweile fast jeder Haushalt einen Telefonanschluß hat und durch entsprechende Wählprogramme eine zufallsgesteuerte Auswahl der Befragten ermöglicht wird.
Ziel all dieser Verfahren ist es, eine repräsentative Stichprobe von Wahlberechtigten zu erhalten, die in ihrer Zusammensetzung möglichst genau der an-gezieltenGrundgesamtheit aller Wahlberechtigten entspricht 4). Dabei gelten folgende Regeln: Von der statistischen Theorie her stellt die klassische Adressenstichprobe, gefolgt vom Random Walk und anderen zufallsgesteuerten Ersatzverfahren wie der Telefonstichprobe, die beste Alternative dar. Diese Verfahren setzen im Gegensatz zum Quotenverfahren keine Kenntnisse des Forschers über Merkmalsverteilungen in der Bevölkerung voraus; bei beiden hat jeder Wahlberechtigte die gleiche (oder zumindest eine berechenbare)
Chance, in die Stichprobenauswahl zu gelangen, so daß aus den Merkmalsverteilungen der Stichprobe (z. B. Prozentsatz der Personen mit CDU-oder SPD-Wahlabsicht) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit innerhalb bestimmter Fehlermargen die Werte der Grundgesamtheit, also etwa der tatsächliche Prozentsatz der CDU-oder SPD-Wähler, geschätzt werden können. So würde eine in der Stichprobe gemessene Wahlabsicht von 43 Prozent zugunsten der CDU/CSU bei einer Stichprobengröße von 1 000 Befragten bedeuten, daß der wahre Wert innerhalb der Grundgesamtheit mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 68 Prozent zwischen 41, 4 und 44, 6 Prozent, mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 96 Prozent zwischen 40 und 46 Prozent und einer Wahrscheinlichkeit von über 99 Prozent zwischen 38, 3 und 47, 7 Prozent läge.
Für Wahlprognosen sind solche Intervalle eigentlich zu groß. Politiker und Öffentlichkeit wollen verständlicherweise möglichst genaue Aussagen über das zu erwartende Wahlergebnis, d. h.den „wahren Wert“ mit einer möglichst geringen Irrtumswahrscheinlichkeit innerhalb eines möglichst kleinen Fehlerbereichs erfahren. Das aber ist nur durch die Erhöhung der Befragtenzahl möglich, wobei diese Möglichkeit jedoch einem deutlich abnehmenden Grenznutzen unterliegt, da die Genauigkeit einer Umfrage bei gegebener Irrtums-wahrscheinlichkeit nicht proportional zur Befragtenzahl, sondern nur stark unterproportional (im Verhältnis zu deren Quadratwurzel) zunimmt. Um die Genauigkeit der Schätzresultate zu verdoppeln, müßte also die Stichprobengröße vervierfacht werden;
um statt mit 68prozentiger mit knapp 96prozentiger Wahrscheinlichkeit bestimmen zu können, daß die Unions-Wahlabsicht aller deutschen Wähler zu einem gegebenen Zeitpunkt zwischen 41, 4 und 44, 6 Prozent liegt, müßte beispielsweise der Stichprobenumfang nicht von 1000 auf 2000, sondern auf 4000 Personen erhöht werden. Wenn dies immer noch zu ungenau ist und bei gleicher Irrtumswahrscheinlichkeit von rund vier Prozent nur ein Vertrauensbereich von +/— 1 Prozent akzeptiert wird, müßte man die Stichprobengröße sogar auf 10 000 Befragte erweitern. Dadurch entstünden unverhältnismäßig hohe Kosten und enorme Probleme der Erhebung. Denn eine Wahl-umfrage soll innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden, damit nicht während der Befragungsphase auftretende politische Ereignisse und Stimmungsentwicklungen das Ergebnis beeinflussen. Je mehr Befragte jedoch interviewt werden müssen, desto länger zieht sich der Zeitraum der Umfrage hin, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß für die Antworten der zuerst befragten Personen andere Einflüsse ausschlaggebend waren als für die Antworten der zuletzt befragten. Außerdem gestaltet sich die Interviewer-und Fehlerkontrolle sehr viel schwieriger als im Falle kleinerer Stichprobengrößen. Die üblichen Meinungsumfragen sind daher schon aus rein stichprobentheoretischen Gründen für Wahlprognosen nur bedingt geeignet 2. Obwohl die Quotenstichprobe von der Stichprobentheorie her gesehen streng genommen nur ein Ersatz-oder Annäherungsverfahren für echte Zufallsauswahlen darstellt, ist sie im Hinblick auf ihre prognostische Genauigkeit den zufallsgesteuerten Auswahlverfahren nicht notwendigerweise unterlegen, wie die Praxis belegt. Dies liegt an einer Reihe von Fehlerquellen, denen alle Umfragen, auch die Zufallsstichproben, ausgesetzt sind. Zu nennen ist hier neben den oben erwähnten zufälligen Stichprobenfehlern zum einen die für alle Wahlumfragen auftretende Problematik, daß sich die Stichprobe notwendigerweise immer auf die Wahlberechtigten, nicht aber auf die tatsächlichen Wähler bezieht. Es werden also auch potentielle Nichtwähler und hinsichtlich ihrer Parteipräferenz noch nicht Entschiedene erfaßt, was zu ersten Verzerrungen führen kann. Denn wer sich am Wahltag wirklich an der Wahl beteiligt und wie die Unentschiedenen letztendlich abstimmen werden, ist nicht durch die jeweilige Umfrage, sondern bestenfalls anhand bestimmter Erfahrungswerte (und damit eben nicht völlig exakt) zu bestimmen. Zum zweiten haben alle Stichproben immer nur eine begrenzte Ausschöpfungsquote: Bestimmte Personen verweigern das Interview, andere brechen es ab, dritte sind auch nach wiederholten Kontaktversuchen nicht zu erreichen, weil sie nur selten zu Hause anzutreffen sind (dies gilt besonders für Jungwähler, aber auch einige Berufsgruppen wie etwa Vertreter, Montagearbeiter, Piloten und Stewardessen etc.). Interviewverweigerungen werden am häufigsten von älteren, alleinstehenden Personen ausgesprochen. Selbst in den günstigen Fällen beträgt die Ausschöpfungsquote nur etwa zwei Drittel der ursprünglich angezielten Stichprobe; daraus können bei nicht-neutralen Ausfällen systematische Verzerrungen resultieren, die sich unter bestimmten Umständen auf das Umfrageergebnis auswirken, selbst wenn man einen Teil der daraus resultierenden Verzerrungen nachträglich wieder bereinigt (z. B. durch Umgewichtung, d. h. Über-oder Unterbewertung von Meinungen oder sozialen Personenmerkmalen). Drittens schließlich tritt bei allen Umfragen zumindest als prinzipielle Möglichkeit das Phänomen des „last minute swing“ auf. also der Meinungsänderung zumindest eines Teils der Wähler in der Zeit zwischen der Durchführung der Umfrage und der Wahl, da zwischen beiden Ereignissen notwendigerweise immer ein gewisser zeitlicher Abstand besteht. Je weiter entfernt vom tatsächlichen Wahlgang die Umfrage plaziert ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit derartiger Meinungsänderungen. Zwar kann man versuchen, mit seiner Erhebung möglichst nahe an den Wahltag heranzurücken (was im Zeitalter der Telefoninterviews natürlich leichter fällt als in früheren Jahren), doch läßt sich das Problem dadurch in seiner Bedeutung bestenfalls vermindern, nicht jedoch gänzlich beseitigen. 3. Von erheblich größerem Gewicht für die Qualität einer Wahlprognose scheinen „Falschauskünfte“ aufgrund noch nicht endgültig festliegender Wahl-absichten, einer vom Befragten unterstellten sozialen Erwünschtheit oder Unerwünschtheit der Antworten oder aufgrund eines bestimmten dominierenden Meinungsklimas zu sein. Hieraus können gravierende Resultatsverzerrungen entstehen, wie die Erfahrungen vor allem der siebziger Jahre gezeigt haben, als die SPD in den Umfragen regelmäßig weit besser abschnitt als am Wahltag, während das CDU-Potential durch die Meinungsforschung stellenweise stark unterschätzt wurde. Da hiervon regelmäßig alle Umfragen und nicht nur die Erhebungen einzelner Institute betroffen waren, kann es sich nicht um einzelne, zufallsbedingte Ausreißer gehandelt haben (mit denen selbstverständlich immer zu rechnen ist), sondern um einen systemati-sehen Effekt, der aufgrund des damals herrschenden, die Sozialdemokraten begünstigenden Meinungsklimas zustande kam. So gaben bei einer Befragung vor der Bundestagswahl 1980 außerhalb Bayerns ganze 34 Prozent an, für die Union stimmen zu wollen, während gleichzeitig knapp 54 Prozent eine Wahlabsicht zugunsten der SPD zu erkennen gaben. Tatsächlich aber erzielte die CDU bei dieser Wahl 41, 7 Prozent der gültigen Stimmen, während die SPD zwar (außerhalb Bayerns) auf 45, 1 Prozent kam, damit aber etwa ebenso weit hinter dem prognostizierten Ergebnis zurückblieb wie die CDU ihres übertraf. Noch in den Befragungen nach der Wahl gaben sich sehr viel mehr Befragte als SPD-Wähler zu erkennen als tatsächlich für diese Partei gestimmt hatten, während sehr viel weniger zugaben, für die CDU votiert zu haben als dies der Fall gewesen war. Diese auch bei der Rückerinnerung wenige Tage nach der Wahl auftretende Verzerrung zuungunsten der Union und die Tatsache, daß innerhalb Bayerns derartige Effekte nur in abgeschwächter Form auftraten, legen den Schluß nahe, daß es sich um klimatisch bedingte Erscheinungen handelte. Meinungsänderungen direkt vor der Wahl und Verzerrungen aufgrund nicht-neutraler Interviewsausfälle können deshalb als Ursache ausgeschlossen werden. In den achtziger Jahren, als sich das Meinungsklima zugunsten der Union zu wandeln begann, verschwanden denn auch tendenziell diese Verzerrungseffekte.
Vor allem für die kommerzielle Meinungsforschung bedeuteten diese prognostischen Ungenauigkeiten eine erhebliche Herausforderung, stellen doch in den Augen der Öffentlichkeit erfolgreiche Vorhersagen des Wahlausgangs so etwas wie ein Gütesiegel ihrer Arbeit dar. Praktisch alle großen, im politischen Meinungsforschungsgeschäft tätigen demoskopischen Institute versuchten daher, durch nachträgliche Korrekturverfahren diese Verzerrungen in den Griff zu bekommen. Sie stützten sich dabei auf den Umstand, daß — wie gezeigt — sowohl die Antworten auf die Wahlabsichts-als auch auf die Rückerinnerungsfrage Verzerrungen aufwiesen, die sozusagen im gleichen Takt miteinander schwankten. Das Ausmaß dieser Verzerrung läßt sich aber zumindest im Falle der Rückerinnerungsfrage durch die Feststellung der Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wahlergebnis der vorangegangenen Bundestags-oder Landtagswahl und dem erinnerten Wahlergebnis in der jeweiligen Umfrage recht genau bestimmen. Dieser Unterschied wird dann dazu benutzt, die durch die gleiche Umfrage gemessenen Wahlabsichten zu korrigieren. In der Praxis hat sich diese Umgewichtung relativ gut bewährt, obwohl es sich um eher operative Verfahren ohne ausformulierte theoretische Begründung handelt — also um Verfahren, bei denen nicht geklärt ist, was denn konkret korrigiert wird: die Verzerrung der Wahlabsicht durch Falschangaben, die unterschiedliche Wahlbeteiligung von Teilgruppen von Wahlberechtigten oder die systematische Verzerrung der Umfrage durch nicht-neutrale Stichprobenausfälle.
Will man aus den Ausführungen zur Problematik von Wahlprognosen ein Resümee ziehen, so läßt sich festhalten, daß die üblichen Meinungsumfragen für die Voraussage von Wahlergebnissen streng genommen ein ziemlich ungeeignetes Instrument darstellen. Zum einen erlauben sie aus prinzipiellen Gründen nur Aussagen darüber, innerhalb welcher Fehlerbereiche die Stimmanteile der Parteien mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegen werden. Bei den üblichen, finanziell und vom Forschungsaufwand her vertretbaren Stichprobengrößen sind diese Intervalle so groß, daß Aussagen darüber, wer die Wahl gewinnen wird, welche Parteien die Fünf-Prozent-Hürde nehmen und welche darunter bleiben werden, sich häufig genug nicht mit hinreichender Sicherheit treffen lassen. Darüber hinaus sind der anhand von Umfragen erforschbare Personenkreis, d. h. die Gesamtheit aller Wahlberechtigten, und der sich an der Wahl beteiligende Personenkreis nicht identisch. Auch sind selbst bei relativ dicht vor dem Wahltag liegenden Umfrageterminen Meinungsumschwünge nie ganz auszuschließen; und schließlich mißt man mit Meinungsumfragen eben nicht Wahlverhalten, sondern Wahlabsichten, wobei man immer wieder auf fehlerhafte Angaben der Befragten über diese Wahlabsichten stößt. Im Lichte dieser Einschränkungen sollten die meisten Meinungsumfragen eher als Stimmungsbilder denn als echte Wahlprognosen interpretiert werden. Dies gilt auch für die Wahlabendprognosen nach Schließung der Wahllokale. Daran können selbst kosmetische Operationen wie die nachträgliche Gewichtung der Wahlabsichten im Prinzip wenig ändern. 2. Was sind Hochrechnungen?
Im Gegensatz zu den Wahlprognosen beruhen die am Wahlabend durchgeführten Hochrechnungen nicht auf Verhaltensabsichten, sondern auf bereits erfolgten Wahlhandlungen. Sie unterliegen daher den meisten der genannten Einschränkungen von Wahlprognosen nicht. Sie stellen vielmehr den statistischen Schluß von den Resultaten einer Stichprobe von Wahlbezirken auf das Gesamtergebnis dar. Hierzu werden telefonisch (per Telefax) von Mitarbeitern der mit den Hochrechnungen beauftragten Institute die Ergebnisse der Stimmenaus-Zählungen aus den einzelnen Wahllokalen sofort an eine zentrale Sammelstelle durchgegeben; dort werden sie in einen Computer eingespeist und — nachdem eine ausreichende numerische Grundlage für den Schluß von der Teilstichprobe der bereits erfaßten Wahllokale auf die Gesamtheit aller Wahllokale gegeben ist — auf das wahrscheinliche Gesamtergebnis hochgerechnet. Um Trendmeldungen handelt es sich, wenn die Zahl der bereits ausgezählten Stimmbezirke noch zu gering oder zu wenig repräsentativ ist, um einen statistisch vertretbaren Schluß auf das Gesamtergebnis zu erlauben. Da die meisten Ungenauigkeitsfaktoren von Wahl-prognosen wegfallen, also „die Datenqualität der Teilmenge, aufgrund deren auf die Grundgesamtheit geschlossen wird, genauso gut ist wie die Datenqualität der Grundgesamtheit selbst“ sind die Hochrechnungen im allgemeinen sehr viel genauer, als es die Wahlprognosen sein können. Für beide Verfahren gelten aber im Prinzip die gleichen stichprobentheoretischen Regeln. Aus diesem Grunde können wie schon bei den Wahlvoraussagen im engeren Sinne auch die Resultate von Hochrechnungen nur innerhalb bestimmter Fehlertoleranzen mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit Gültigkeit beanspruchen. Je breiter die statistische Basis wird, d. h. je mehr die zunächst noch unvollständige Teilstichprobe der endgültigen Stichprobe entspricht. um so genauer werden die Schätzungen. In der Sprache der Moderatoren am Wahlabend: Die Ergebnisse der Hochrechnungen stabilisieren sich zunehmend. Die Geschwindigkeit, mit der die ersten Hochrechnungen durchgeführt werden, ist beeindruckend. So lag die Forschungsgruppe Wahlen bei der letzten Europawahl bereits mit ihrer ersten Hochrechnung, die nur 24 Minuten nach Schließung der Wahllokale vom ZDF ausgestrahlt wurde, recht nahe am endgültigen Wahlergebnis. Bei der Bundestagswahl 1987 flimmerte die erste, sehr genaue, nur um Prozentbruchteile vom Endergebnis entfernte Hochrechnung der Forschungsgruppe Wahlen um 18. 25 über die Bildschirme. Dies ist das Ergebnis einer sorgfältigen, bis ins letzte Detail ausgetüftelten Organisation der Datenübermittlung von den Wahllokalen zur Zentrale, der unverzüglichen Dateneingabe und der Verrechnung der Ergebnisse mit Hilfe von speziellen Programmen, die sowohl die Repräsentativität der Wahlbezirksstichprobe überprüfen und durch bestimmte Gewichtungsprozeduren verbessern als auch den eigentlichen Schluß auf das zu erwartende Wahlergebnis durchführen. Dieser Schluß erfolgt bei noch unvollständiger Teilstichprobe nicht nur aufgrund des innerhalb dieser Teilstichprobe ermittelten Wahlergebnisses, sondern unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses der einzelnen Stimmbezirke bei der letzten gleichartigen Wahl, das wie bei der weiter oben erwähnten Nachbesserung von Wahlprognosen in Form von Differenzenbildung (bei den großen Parteien) oder Quotientenbildung (bei den kleineren Parteien) als Gewichtungsfaktor in die Hochrechnung mit eingeht
III. Die Schätzung von Wählerwanderungen
Besonders eindrucksvoll erscheint am Wahlabend die — ausschließlich vom Godesberger Institut für angewandte Sozialwissenschaft (INFAS) im Auftrag der ARD durchgeführte — Wählerstromanalyse. die in grafischer und numerischer Form scheinbar höchst exakt die Wählerwanderungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern zu rekonstruieren versucht. Eine solche Rekonstruktion wirft mehr Schwierigkeiten auf. als es zunächst erscheinen mag. Denn bei der Analyse von Wähler-wanderungen ist es ja nicht mit dem Vergleich der Ergebnisse zweier aufeinanderfolgender Wahlen getan. Vielmehr müssen die Veränderungen des Wahlkörpers durch Erstwähler. Verstorbene und Weggezogene, die von Wahl zu Wahl im Falle nor7 maler, vierjähriger Legislaturperioden rund zehn bis 15 Prozent betragen, ebenso berücksichtigt werden wie die unterschiedliche Wahlbeteiligung dieser Gruppen. In der INFAS-Wanderungsbilanz werden die Ergebnisse der beiden Vergleichswahlen in einem ersten Schritt auf diese geographisch und biologisch bedingten Veränderungen des Wahlkörpers hin bereinigt Erst dann kann man daran gehen, die Wählerwanderungen zwischen den einzelnen Parteien, zwischen den bisherigen Nichtwählern und bestimmten Parteien sowie das Wahlverhalten der Erstwähler und das bisherige Wahlverhalten der Nichtwähler im einzelnen zu untersuchen.
Dies ist aufgrund der Wahlergebnisse allein nicht möglich, auch wenn immer noch Wahlkommentare veröffentlicht werden, die so tun, als seien die Veränderungen zwischen den Parteien auf Bundesebene ein gültiger Indikator für die zu einem wesentlichen Teil „unterirdisch“ verlaufenden, d. h. nicht direkt im Wahlresultat sichtbaren Wähler-wanderungen. Um die tatsächlichen Wählerwanderungen zu untersuchen, muß man sich entweder auf Umfragedaten oder auf „die statistische Analyse regional differenzierter Wahlergebnisse“ stützen. Informationen über Wählerwanderungen aus Umfragedaten werden für die Zwecke der Wählerwanderungsanalyse im allgemeinen aus dem Vergleich zwischen erinnertem Wahlverhalten und aktueller Wahlabsicht gewonnen, wie dies auch in der INFAS-Wählerstromanalyse geschieht. Solchermaßen ermittelte Wechselraten jedoch sind potentiell unzuverlässige Indikatoren der tatsächlichen Wählerwanderungen: Wahlabsichten sind nicht immer identisch mit dem späteren tatsächlichen Wahlverhalten; sie können sich zwischen dem Erhebungsund dem Wahlzeitpunkt ändern oder von Anfang an auf wie auch immer motivierten falschen Angaben beruhen. Aber auch Erinnerungen an vergangenes Wahlverhalten können in erheblichem Maße verzerrt sein — sei es. daß der gleiche „Lügenfaktor“, der für die gegenwärtige Falschangabe der Wahlabsicht verantwortlich ist, zu fehlerhaften Erinnerungen führt, sei es, daß sich die Erinnerung an früheres politisches Verhalten ganz unbewußt an die gegenwärtigen Präferenzen anpaßt, oder sei es, daß ein Befragter seine Angaben über seine frühere Stimmabgabe frei erfindet, weil er vor dem Interviewer nicht eingestehen will, daß er sich nicht mehr so genau an die Vorwahl erinnern kann oder sogar gar nicht zur Wahl gegangen ist. Erfolgversprechender wäre es, die Wählerströme anhand der Wechselraten bei sogenannten Wiederholungs-oder Panelbefragungen zu schätzen, d. h. Umfragen, bei denen in bestimmten zeitlichen Abständen die gleiche Stichprobe von Wählern mehrfach über ihre Wahlabsicht bzw. über ihr Wahlverhalten befragt wird. Allerdings erstrecken sich derartige Wiederholungsbefragungen — vor allem aus zeitlichen und finanziellen Gründen — nur sehr selten über eine ganze Wahlperiode (also normalerweise vier Jahre), so daß es sich hier eher um eine theoretisch wünschbare als um eine praktische Möglichkeit handelt.
Im Extremfall kann es folglich dazu kommen, daß in den Wählerstromanalysen verzerrte aktuelle Wahlabsichten mit verzerrten Angaben über vergangenes Wahlverhalten verglichen werden, was zu erheblichen Fehleinschätzungen der tatsächlichen Wählerwanderungen führen dürfte. Hiervon sind vor allem die kleineren Parteien betroffen. Daran scheint auch die von INFAS zusätzlich eingesetzte Anpassungsprozedur wenig ändern zu können, mit dem die durch Umfragen geschätzten Wechselraten — die aus den geschilderten Gründen von den bekannten, im Wahlergebnis aufscheinenden Saldo-Veränderungen zwischen den Parteien abweichen können — in einem komplizierten mathematischen Prozeß an letztere schrittweise angeglichen werden. Dennoch sind solche Wählerstromanalysen nicht nutzlos, wenn man sich ihrer Beschränkungen bewußt bleibt: Sie stellen trotz aller Fehlermöglichkeiten derzeit zwar nicht den einzig sinnvollen, wohl aber mangels Wiederholungsbefragungen den häufig genug einzig gangbaren, wenn auch sicher noch weiter verbesserungswürdigen Weg der Analyse von Wechselwahlverhalten mit Hilfe von Umfrage-daten dar.
So ist heute als gesicherte Erkenntnis der Wahlforschung anzusehen, daß die Wählerwanderungen immer nach allen Seiten hin verlaufen, auch wenn das Geben und Nehmen der einzelnen Parteien höchst asymmetrischer Natur sein kann. Im Wahlergebnis selbst, das nur die Nettoveränderungen zwischen den Parteien abbildet, also einen Saldo aus den Gewinnen und Verlusten jeder politischen Gruppierung darstellt, erscheinen solche unterirdisch verlaufenden Bruttoveränderungen nicht. Doch sogar bei sogenannten Erdrutschwahlen verliert der Sieger regelmäßig zumindest einige Wähler an seine politischen Konkurrenten, verzeichnen auch die Verlierer zumindest einige Zuwanderer, selbst wenn sie im Saldo sehr viel mehr Wähler an den Wahlsieger abgeben müssen. Man kann durchaus mit den Ergebnissen solcher Wanderungsanalysen arbeiten, wenn man sie mit der entsprechenden Vorsicht interpretiert — also sich stets vor Augen hält, daß mit ihrer Hilfe normalerweise nur Informationen über die Größenordnung der stattgefundenen Austauschbeziehungen zwischen den Parteien untereinander, zwischen den Parteien und dem Nichtwählerlager etc. gewonnen werden können. Zum numerischen Nennwert sollten ihre Ergebnisse möglichst nicht genommen werden, da die durch sie produzierten Ungenauigkeiten zumindest potentiell zu groß sind. Daß dies vor allem für die Anhängerschaft der kleineren Parteien und die Nichtwähler gilt, liegt primär an einer weiteren Eigenheit von Umfragedaten: In beiden Fällen handelt es sich um Personengruppen, die sich durch Umfragen sehr viel schwerer erfassen lassen als die Wähler der großen Parteien. Zum einen ist das auf eine generell größere Scheu der Anhänger kleinerer Parteien zurückzuführen, sich zu diesen zu bekennen. In erster Linie gilt dies für die Wähler radikaler, sozial weniger akzeptierter Parteien wie etwa der DKP, der NPD oder der Deutschen Volksunion (DVU); deshalb war es vor der Berliner Wahl (29. Januar 1989) so schwer, die Wahlerfolge der Republikaner vorauszusagen. Aber selbst die Anhänger der FDP neigten früher in einigen Gebieten wie etwa dem Saarland oder Bayern dazu, in Umfragen ihre Wahlabsicht zu verschleiern. Zum anderen wird es allgemein als ausgesprochen erwünscht angesehen, sich an politischen Wahlen zu beteiligen, weshalb immer nur ein Bruchteil der tatsächlichen Nichtwähler durch Umfragen zu ermitteln sind. Entsprechend schwer ist ihre Schätzung in Wählerwanderungsanalysen Eine weitere prinzipielle Möglichkeit, aber wohl keine wirkliche Alternative zur Ermittlung von Wählerwanderungen mit Hilfe von Umfragedaten stellt die vor allem in der österreichischen Wahlberichterstattung geübte Praxis dar, den Parteiwechsel anhand von sogenannten Aggregatdaten, d. h. anhand der Analyse von Wahlkreis-oder Stimmbezirksergebnissen zu rekonstruieren. Denn dieses in der historischen Wahlforschung (mangels zeitgenössischer Meinungsbefragungen) häufig eingesetzte Verfahren ist aufgrund der allen Aggregatdatenanalysen notwendigerweise anhaftenden Fehlschlußproblematik im allgemeinen nicht in der Lage, wirklich zuverlässigere Informationen über das Wechselwahlverhalten zu liefern als die oben geschilderten Wählerstromanalysen auf Umfrage-basis. Eher dürfte nach den bisherigen Erfahrungen das Gegenteil der Fall sein, auch wenn in einzelnen Fällen die Ergebnisse von Aggregat-und Umfrage-analysen durchaus konvergieren können. Bei der Wählerstromanalyse auf Aggregatdatenbasis werden mit Hilfe eines komplexen statistischen Verfahrens — der sogenannten ökologischen Regressionsanalyse — die Gewinne und Verluste der einzelnen politischen Gruppierungen (einschließlich der Nichtwähler) in den Gebietseinheiten, über die Wahlergebnisse vorliegen, so miteinander verrechnet. daß Angaben über den Austausch von Wählern zwischen den verschiedenen Parteien möglich werden Doch hängt die Exaktheit dieser Angaben sehr stark von der Erfüllung bestimmter statistischer Modellannahmen ab, die im einzelnen nicht alle vom Forscher überprüft werden können, so daß sich unbemerkt gravierende Fehlschlüsse einschleichen können. Aus diesem Grunde handelt es sich bei der Wählerwanderungsanalyse anhand ökologischer Regressionsrechnungen eher um eine Art Ersatzverfahren, das bei der Erforschung historischen Wahlverhaltens mangels alternativer Erkenntnis-möglichkeiten durchaus seine Berechtigung hat, aber noch mehr das Ziel einer möglichst unverzerrten Rekonstruktion der Wählerströme verfehlen kann, als dies bei den Wechselwähleranalysen anhand von Umfragedaten der Fall ist.
IV. Die Untersuchung der sozialen Zusammensetzung der Wählerschaft einzelner Parteien
1. Untersuchungen auf Kreis-oder Gemeinde-ebene Schon relativ früh, lange bevor der Bundeswahlleiter das vorläufige Endergebnis verkündet, wird von ARD und ZDF mit Hilfe vielfarbiger Grafiken dar-gestellt, wie die Parteien in Gebieten unterschiedlicher Sozial-und Konfessionsstruktur abgeschnitten haben So ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF. daß bei der Europa-wahl die Republikaner in Kreisen mit einem hohen Arbeiteranteil mit 8. 4 Prozent etwas besser abschnitten als in Kreisen mit einem niedrigen Arbeiteranteil, wo sie nur 6, 9 Prozent der gültigen Stim-men erhielten. In Gebieten mit einem hohen Beamtenanteil dagegen erzielten sie mit 5, 8 Prozent einen deutlich niedrigeren Stimmenanteil als in Regionen mit einem geringen Beamtenanteil (acht Prozent). Noch eindeutiger und aus der Sicht der Wahlforschung verblüffender erscheint zunächst der Zusammenhang zwischen Katholikenanteil und Republikanererfolgen: Wo besonders viele Katholiken wohnen, schnitten die Republikaner bei der Europawahl 1989 bundesweit mit 8, 5 Prozent der gültigen Stimmen überdurchschnittlich gut ab, wo der Katholikenanteil niedrig ist, wurden sie dagegen im Schnitt aller Stadt-und Landkreise nur von 6, 1 Prozent gewählt. Dies scheint den Schluß nahezulegen, daß ein hoher Katholikenanteil die Wahlerfolge der Republikaner begünstigt hat. Tatsächlich aber handelt es sich um einen reinen Regional-und nicht um einen Konfessionseffekt, wie die Forschungsgruppe Wahlen in ihrem Bericht über die Europawahl 1989 nachweisen konnte. Denn in den — insgesamt bekanntlich weniger Katholiken aufweisenden — Gebieten außerhalb Bayerns wurden die Republikaner lediglich von 5, 5 Prozent gewählt, im überwiegend katholischen Bayern dagegen von 6 Prozent. Spaltet man die Auszählung der Stadt-und Landkreise nach dem Katholiken-anteil in Kreise innerhalb und außerhalb Bayerns auf, so zeigt sich, daß weder innerhalb noch außerhalb Bayerns der Katholikenanteil für das Abschneiden der Republikaner einen Unterschied macht 14).
Was läßt sich aus solchen Analysen auf Kreis-oder Gemeindeebene ablesen? Und welche Aussagen sind streng genommen nicht erlaubt? Ablesen läßt sich aus Untersuchungen über das Abschneiden der einzelnen Parteien in Gebieten unterschiedlicher Berufs-oder Konfessionstruktur zunächst einmal, in welchen soziokulturellen Kontexten sie Über-oder unterdurchschnittliche Wahlerfolge erzielten und wie sie sich in einem für sie traditionell günstigen oder ungünstigen Umfeld im Vergleich zur Vorwahl entwickelt haben. Am klarsten läßt sich das am Beispiel der Hochburgen und Diasporagebiete von CDU/CSU und SPD zeigen. „So sind die Hochburgen der Union stark ländlich geprägt. Sie weisen eine extrem niedrige Bevölkerungsdichte, einen besonders bei der CSU weit überdurchschnittlichen Anteil (ländlicher) Selbständiger, einen durchschnittlichen Anteil an Beamten und. besonders stark bei der CSU, einen deutlich unter-durchschnittlichen Anteil an Angestellten auf. Die Hochburgen der Union sind auch gleichzeitig die Hochburgen des Katholizismus . . . Die Hochburgen der SPD hingegen sind überwiegend städtisch geprägt. Sie verfügen über einen leicht überdurchschnittlichen Arbeiteranteil, einen durchschnittlichen Anteil an Angestellten und Beamten und einen unterdurchschnittlichen Katholikenanteil.“ Bei der Europawahl 1989 verloren sowohl die CDU als auch die CSU in ihren Hochburgen überdurchschnittlich stark, gleichzeitig konnte die SPD in den CDU-Hochburgen weitaus stärker als im Bundes-durchschnitt Stimmengewinne verbuchen, während die Republikaner vor allem in den CSU-Hochburgen erfolgreich waren.
Läßt sich aus diesen Informationen schließen, daß die Union vor allem eine Partei des ländlich-katholischen Deutschland ist und von evangelischen Stadtbewohnern kaum gewählt wird? Oder daß die Republikaner innerhalb Bayerns überwiegend von CSU-Abwanderern profitieren konnten? Die erste der beiden Aussagen ist eindeutig falsch, da die meisten Wähler der Unionsparteien natürlich ebenso aus überwiegend städtischen, katholisch oder gemischt-konfessionell strukturierten Gebieten kommen wie die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung. Daß die ländlich-katholischen Hochburgen der Union die Wählerschaft der Partei prägen könnten, scheitert einfach an der Größenordnung: In solchen Kreisen leben im Vergleich zu anderen Gebieten nur relativ wenige Wähler, so daß selbst bei einer weitgehenden Ausschöpfung dieser Gebiete durch die Unionsparteien die dort lebenden Wähler innerhalb der CDU. ja selbst der CSU zwangsläufig zu einer Minderheit werden. Zumindest die CDU, tendenziell aber auch immer stärker die CSU, ist heute von der Zusammensetzung ihrer Anhängerschaft her gesehen in fast dem gleichen Maße eine Partei der städtischen Dienstleistungszentren und Industriegebiete wie die SPD. Auch wenn sie von evangelischen Stadtbewohnern in der Tat in deutlich geringerem Maße gewählt wird als von der katholischen Landbevölkerung, stellen evangelische Stadtbewohner innerhalb der Unionswählerschaft keineswegs eine vernachlässigbare Größe dar.
Weiter kann man aus der Analyse der Hochburgen oder des Zusammenhangs zwischen CSU-Verlusten und Republikaner-Gewinnen auf Kreisebene nicht mit völliger Sicherheit ablesen, daß es wirklich CSU-Abwanderer waren, von denen die Republikaner in Bayern in erster Linie profitieren konnten. Mathematisch wäre es genauso gut möglich, daß die meisten CSU-Abwanderer ins Nichtwählerlager (oder zu einer anderen Partei) übergewechselt und die Republikaner vor allem von ehemaligen Nicht-wählern (oder Abwanderern anderer Parteien) gewählt worden sind Um diese Möglichkeit auszuschließen, benötigt man zusätzliche Informationen, die sich streng genommen nicht aus der Analyse von Kreis-oder Gemeindeergebnissen, sondern nur durch Meinungsumfragen gewinnen lassen. Denn Zusammenhänge territorialer Natur lassen sich nun einmal nicht ohne weiteres mit den zwar faktisch dahinter stehenden, aber keineswegs damit identischen Beziehungen auf der Ebene der einzelnen Wähler gleichsetzen. Wer dies dennoch tut. läuft Gefahr, das Opfer solcher „ökologischen Fehlschlüsse“ zu werden, die beispielsweise in der historischen Wahlforschung sehr zahlreich sind. Aus diesem Grunde sollte man die Resultate von Wahluntersuchungen auf der territorialen Ebene stets nur als das interpretieren, was sie sind: als Erkenntnisse über das Abschneiden der Parteien in den verschiedenen soziopolitischen Milieus, als Aussagen über die Entwicklung in ihren Traditions-und Diasporagebieten und ihre Erfolge in einzelnen, geographisch definierten Regionen. Das tun die Forschungsinstitute und Fernsehmoderatoren im allgemeinen auch, dennoch ist nicht auszuschließen, daß viele Fernsehzuschauer gewissermaßen mechanisch solche für die Kreis-oder Gemeindeebene geltenden Zusammenhänge auf die individuelle Verhaltensebene übertragen. Dies ist in Ausnahmefällen zwar möglich, oft jedoch resultieren daraus Fehlschlüsse der genannten Art, so daß vor der automatischen Gleichsetzung von Aggregat-und Individualbeziehungen nur gewarnt werden kann. 2. Untersuchungen anhand von sogenannten Individualdaten Was man benötigt, um Aussagen über Wählerwanderungen, das Wahlverhalten von Katholiken, Arbeitern oder Jungwählern zu erhalten, sind soge-nannte Individualdaten. Hierunter versteht man Informationen. die sich miteinander auf der Ebene des einzelnen Wählers verknüpfen lassen, also beispielsweise Konfession und CDU-Wahl. Alter und Stimmabgabe für die GRÜNEN etc. Wir können anhand von Individualdaten (im Gegensatz zu den* oben erwähnten Aggregatdaten) folglich Aussagen darüber machen, wie katholische oder evangelische Wähler, Frauen und Männer etc. abgestimmt haben
Solche Individualdaten stehen der Wahlforschung in zweierlei Form zur Verfügung: in Form von Daten der amtlichen Repräsentativstatistik und als Umfragedaten. Am Wahlabend liegen die Informationen der amtlichen Repräsentativstatistik normalerweise noch nicht vor. Deshalb beruhen die dort gemachten Äußerungen über das Wahlverhalten und die Wahlbeteiligung von Männern und Frauen oder der verschiedenen Altersgruppen in der Regel auf Umfragematerial, das vor der Wahl erhoben wurde. Die Daten der amtlichen Repräsentativstatistik dagegen basieren auf Sonderauszählungen innerhalb einer repräsentativen, flächendeckenden Stichprobe von Wahlbezirken. Bei der Bundestagswahl 1983 umfaßte diese Stichprobe beispielsweise 1 800 Wahlbezirke mit rund 1, 5 Millionen Wahlberechtigten. In diesen Wahlbezirken erhalten die Wähler nach ihrem Geschlecht und ihrer Altersgruppe unterschiedlich gekennzeichnete Stimmzettel oder sie deponieren ihre Stimmzettel in unterschiedlichen Wahlurnen, die dann getrennt ausgezählt werden. Durch die extrem große Stichprobe erhalten diese amtlichen Sonderauszählungen eine sehr hohe statistische Zuverlässigkeit, die aufgrund der großen Zahl der Fälle natürlich weit über der normaler Stichproben mit nur 1 000 bis 2 000 Befragten liegt. Ein zusätzlicher Vorteil dieser amtlichen Sonderauszählungen gegenüber den Meinungsbefragungen liegt darin, daß es sich um tatsächliches Verhalten und nicht nur um beabsichtigtes oder erinnertes Wahlverhalten handelt. Auch läßt sich nur so das Stimmensplitting, d. h. die unterschiedliche Vergabe von Erst-und Zweitstimmen, adäquat darstellen. Allerdings werden Brief-wähler (deren Zahl ständig zunimmt) zur Wahrung des Wahlgeheimnisses generell nicht in diese Sonderauszählungen mit einbezogen, woraus eine gewisse Verzerrung der Ergebnisse resultieren kann, da sich die Neigung zur Briefwahl nicht gleichmäßig über alle sozialen Schichten und politischen Richtungen verteilt. Ferner ist die Aussagekraft der amtlichen Repräsentativstatistik dadurch empfindlich begrenzt, daß in der Regel nur zwei Merkmale, nämlich Alter und Geschlecht (getrennt und in Kombination) erfaßt werden hierbei handelt es sich im Vergleich zur Konfession und zur Berufs-oder Schichtzugehörigkeit eher um Merkmale geringerer Erklärungskraft, hinter denen sich in der Regel unterschiedliche soziale Lagen und Erfahrungen und nicht (wie man meinen könnte) besondere biosoziale Verursachungsfaktoren verbergen. Ferner werden durch diese Sonderauszählungen nicht die Motive der Wähler, für eine bestimmte Partei zu stimmen oder sich der Stimme zu enthalten, erfaßt, so daß dem Vorteil der hohen statistischen Genauigkeit der amtlichen Repräsentativstatistik der Nachteil einer eher geringen theoretischen Fruchtbarkeit der erfaßten Merkmale gegenübersteht. Dennoch lassen sich mit Hilfe ihrer Daten wichtige Erkenntnisse über die geschlechts-und altersmäßige Zusammensetzung der Parteien gewinnen So war die CDU/CSU bis ins Jahr 1969 bei Frauen generell deutlich erfolgreicher als bei Männern. 1972 änderte sich das — mit einem mal waren die beiden großen Parteien bei Männern und Frauen gleichermaßen erfolgreich; dieses neue Gleichgewicht hat sich praktisch unverändert bis heute erhalten. Dafür büßten die Unionsparteien bei jüngeren Wählern viel an Sympathie ein; bis heute zeichnen sich CDU und CSU — im Gegensatz etwa zu den GRÜNEN — durch ein Übergewicht älterer Wähler aus
Die moderne Wahlforschung stützt sich in ihren Analysen hauptsächlich auf Umfragedaten, da hier nicht nur sehr viele interessierende Sozialmerkmale der einzelnen Wähler (beispielsweise ihre Berufs-und Konfessionszugehörigkeit oder ihre Gewerkschafts-und Kirchenbindung) erhoben werden können. sondern auch Informationen über die Stärke und Richtung ihrer Parteibindungen, ihre Einschätzungen der einzelnen Parteien und Politiker, ihre generelle Stellung zum politischen System der Bundesrepublik und vieles anderes mehr. Seit 1953 wurde jede Bundestagswahl anhand vom Umfrage-material ausgewertet. Da alle neueren Erklärungsmodelle von Wahlverhalten Informationen auf der Individualebene der einzelnen Wähler voraussetzen, die nur mit Hilfe von Meinungsbefragungen gewonnen werden können, gehören die Ergebnisse der Umfrageforschung seit über drei Jahrzehnten zu den unverzichtbaren Voraussetzungen der modernen Wahlanalyse. Hier, und nicht in der Wahl-prognose, liegt die eigentliche Bedeutung der Meinungsforschung für Politik und Wissenschaft. So weiß die Wissenschaft — dank eines sich immer mehr verfeinernden Umfrage-und Analyseinstrumentariums — sehr genau über die Struktur der Wählerschaft der einzelnen Parteien Bescheid; sie vermag Wählertypologien zu konstruieren, die den (in den letzten zwei Jahrzehnten stark geschrumpften) harten Kern der einzelnen Parteianhängerschaften ebenso beschreiben wie die — prozentual immer umfangreicher werdenden — weniger stark gebundenen Zwischenbereiche, in denen die Disposition zum Wechsel stärker ausgeprägt ist. Damit kann nicht nur der Ausgang einer Wahl nachträglich mit Hilfe vorhandener Parteibindungen sowie aktueller politischer Orientierungen und Kandidatenimages erklärt, sondern auch, einigermaßen „normale“ Umstände vorausgesetzt, vorausgesagt werden. Derartige Prognosen unterscheiden sich durch ihre theoretische Begründung grundlegend von den üblichen Wahlprognosen aufgrund der Wahlsonntagsfrage
Zugleich sind Wahlanalysen von den geschilderten Datenproblemen der Meinungsforschung weniger betroffen, als dies zunächst scheinen mag. Um festzustellen. in welchen sozialen Bereichen die Stammwählerschaften der einzelnen Parteien beheimatet sind, welche sozialen Gruppen stärker zur Fluktuation zwischen den Parteien neigen und welche Motive für die Wahl einer Partei oder eines Kandidaten ausschlaggebend waren, kommt es nicht auf einzelne Prozentpunkte oder gar Zehntel-prozente wie bei den Wahlprognosen an. Korrelative Beziehungen (d. h., statistische Zusammenhänge zwischen einzelnen Merkmalen) reagieren auf kleinere Datenfehler sehr viel weniger als Voraussagen über den vermutlichen Wahlausgang. Selbst anhand verzerrter Angaben ist es deshalb beispielsweise möglich, herauszuarbeiten, welche Kompetenzen den einzelnen Parteien oder Kandidaten zugeschrieben wurden, welche politischen Probleme von den Wählern als wichtig angesehen wurden, und wie die Parteien von den unterschiedlichen Problemlösungszuschreibungen profitieren konnten. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, daß die erwähnten Umfrageverzerrungen sich im allgemeinen in Grenzen halten, d. h. nur wenige Prozentpunkte betragen, und überdies durch nachträgliche Umgewichtungen minimiert werden können. Aus diesem Grunde weisen die meisten nachträglichen, der Erklärung eines Wahlergebnisses gewidmeten Wahlanalysen auch eine sehr viel höhere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit aufals dies aufgrund unserer Anmerkungen zur Qualität von Wahlprognosen zunächst erscheinen mochte.