I. Problem-und Aufgabenstellung
Extremistische Phänomene stellen ein beliebtes Objekt der Medienberichterstattung dar. Der Reiz des Außergewöhnlichen, Exzentrischen, radikal Andersartigen, Gefährlichen sorgt dafür, daß der Bück vielfach auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinausschweift — etwa wenn über Wahlerfolge rechtsextremer Gruppierungen wie der Le Pen-Bewegung in Frankreich, über die Aufsplitterung kommunistischer Gruppierungen in Spanien oder terroristische Anschläge der IRA berichtet wird. Dabei bleibt der Blick jedoch zumeist auf Einzelphänomene fixiert. Das Fehlen einer vergleichenden Perspektive mag bei journalistischen Beiträgen verständlich sein; in der wissenschaftlichen Aufarbeitung stellt dies jedoch ein echtes Manko dar Vielfach werden die „Szenen“ verschiedener Länder und deren Gefahrenpotentiale schlicht einander gegenübergestellt. Auf diese Weise lassen sich weder Zusammenhänge zwischen den extremistischen Strömungen herausarbeiten noch Proportionen im Hinblick auf Kategorien wie „Macht“ und „Einfluß“ verdeutlichen.
Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die europäischen Demokratien, blendet also extremistische Gruppierungen in außereuropäischen Regimen ebenso aus wie das gesamte Feld der in mannigfache Formen verzweigten Diktaturen, die im Welt-maßstab nach wie vor überwiegen so sehr sich auch im letzten Jahrzehnt in manchen Staaten — insbesondere in Südamerika — wieder demokratische Entwicklungen abzeichnen Ein Vergleich extremistischer Phänomene in den demokratischen Verfassungsstaaten Europas erscheint aufgrund der historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten besonders naheliegend und erfolgversprechend. Zudem liegt einschlägiges Material vor (wenn auch nicht immer in bester Qualität).
Die Thematik bedarf allerdings einer weiteren Einengung und Präzisierung: Extremistische Parteien stehen im Zentrum der Betrachtung — die Vielfalt nicht parteilich organisierter und verfestigter Extremismen wird weitgehend ausgeblendet. Der folgende Beitrag will eine — auch historisch ausgreifende — Bestandsaufnahme über den politischen Extremismus in den europäischen Demokratien liefern. Es sollen Phänomene in Zusammenhang gebracht werden, die Vertreter bestimmter wissenschaftlicher Richtungen häufig separieren, weil sie bedeutende, keineswegs nur in der Negativfixierung auf den demokratischen Verfassungsstaat bestehende Gemeinsamkeiten von Rechts-und Links-extremismus aufgrund ihrer wissenschaftlichen oder politischen Präferenzen zu leugnen suchen.
Die Abhandlung begnügt sich nicht mit einer deskriptiven Bestandsaufnahme und dem Versuch einer systematischen Einordnung. Die Problemstellung ist vielmehr dreifacher Natur. Erstens soll es um eine Prüfung der Frage gehen, ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick aufdie Stärke und den Einfluß des Rechts-und Linksextremismus von anderen Demokratien hinlänglich unterscheidet. Zweitens bedarf die Frage einer Klärung, inwiefern der — wenn auch nur allmähliche — Annäherungsprozeß europäischer Demokratien zu einem „Zusammenrücken“ extremistischer Bewegungen geführt hat. Kooperieren sie ebenfalls in stärkerem Maße? Koordinieren sie ihre Strategien. Verhaltensweisen und Aktionen, oder laufen sie nebeneinander her? Anders gewendet: Gibt es e nen „Eurofaschismus“ und einen „Eurokommunismus“? Drittens soll das Problem der Gefahrenpotentiale näher erörtert werden. Sind die europäischen Staaten durch extremistische Bewegungen bedroht? Lassen sich für die einzelnen Länder verschiedene Gefährdungsgrade feststellen? Die Beantwortung dieser Fragen kann nur ansatzweise geschehen. da sie von vielen Variablen abhängt zumal parteilich verfestigte Organisationen im Vordergrund stehen. Jedenfalls ist es unzureichend, lediglich auf die Zahl der Mitglieder oder Wähler abzustellen. Die Antwort auf die Frage nach dem Gefährdungsgrad schließt im übrigen eine, wenn auch nur vorläufige, Antwort über die weitere Entwicklung ein.
Der Beitrag kann lediglich charakteristische Verlaufslinien nachzeichnen und muß viele Details aussparen. Marginale, vorübergehende sowie eher untypische Strömungen werden daher vernachlässigt. Hingegen finden auch bedeutende politische Strömungen Berücksichtigung, die nicht mehr, noch nicht oder nur zum Teil als extremistisch gelten können.
II. Rechtsextremismus
1. Bundesrepublik Deutschland Nach 1945 beobachtete das Ausland die politische Entwicklung im westlichen Deutschland vielfach argwöhnisch, befürchtete man doch, eine rechtsextreme Bewegung vom Schlage des Nationalsozialismus könnte erneut aufkommen. Diese Besorgnis erwies sich bald als überzogen. Rechtsextreme Gruppierungen hatten in der Nachkriegszeit deutsch schlechtere Startbedingungen als alle anderen politischen Kräfte — einschließlich der Kommunisten. Vor allem die Kriegsniederlage und das nach 1945 allgemein bekannt gewordene Ausmaß der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wirkten zutiefst diskreditierend. In den Jahren der Besatzung ergriffen die Alliierten nicht selten repressive Maßnahmen, um aufkeimende rechtsextreme Tendenzen zu ersticken. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde vom Instrumentarium der im Grundgesetz verankerten „streitbaren Demokratie“ ausgiebig Gebrauch gemacht. Die NS-Epoche diente den demokratischen Kräften überdies dazu, rechtsextreme Kräfte nachhaltig zu stigmatisieren und in das gesellschaftliche Abseits zu rücken
Dabei entwickelte sich der rechtsextreme Mikrokosmos nach 1945 weit vielfältiger und buntschek-kiger, als daß man ihn durch Formeln wie „Neonazismus“ oder „Neofaschismus“ auch nur einigermaßen sachgerecht hätte bezeichnen können. Gerade in den ersten Nachkriegsjahren trat eine Reihe Von Personen in Erscheinung, die gegen das natio-nalsozialistische System von „rechts“ opponiert hatten. Die deutsch-nationale und monarchistische Traditionslinie lebte ebenso wieder auf wie die konservativ-revolutionäre und die völkische. Mit zunehmendem Abstand zum Kriegsende gewannen überdies Versuche an Gewicht, rechtsextreme Ideen zu revitalisieren und den gewandelten Zeit-umständen anzupassen. Nichtsdestoweniger konnte die extreme Rechte das ihr von den demokratischen Mehrheitsströmungen zugewiesene Ghetto nicht verlassen, blieben wiederholte Anläufe, die subkulturelle Isolation aufzubrechen, weitgehend erfolglos.
Die Stigmatisierung rechtsextremer Lösungskonzepte verhinderte es, daß deren Verfechter das zweifellos vorhandene Potential antidemokratischer, autoritärer Einstellungen für sich auszuschöpfen vermochten. Dennoch blieben beachtliche Erfolge rechtsextremer Wahlorganisationen nicht aus. Im Jahre 1951 überschritt die Sozialistische Reichspartei (SRP), eine Formation mit neonazistischen Zügen, bei Landtagswahlen in Bremen (7, 7 Prozent) und Niedersachsen (11, 0 Prozent) deutlich die Fünfprozentmarke. Die Partei wurde 1952 durch das Bundesverfassungsgericht verboten.
Es folgten Jahre, in denen die Zersplitterung des „rechten Lagers“ eine dauerhafte politische Präsenz verhinderte — einschließlich der 1950 gegründeten Deutschen Reichspartei (DRP), deren Stimmenanteil bei den Bundestagswahlen von 1953 bis 1961 um die Einprozentmarke pendelte. Mitte der sechziger Jahre gelang es. verschiedene Strömungen in einer Wahlorganisation zu integrieren. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) betonte ihre demokratische Zuverlässigkeit und sorgte durch überraschend hohe Wahlergebnisse für Aufsehen in der Öffentlichkeit. Mit Ergebnissen zwischen 5. 8 (Schleswig-Holstein 1967) und 9. 8 (Baden-Württemberg 1968) Prozent zog sie in sieben Landtage ein. Eine Verbotsdiskussion endete ohne Ergebnis. Obwohl die NPD im Vergleich zur SRP weit stärker deutsch-nationale Züge aufwies, verfehlte eine mit Begriffen wie „Neofaschismus“ und „Neonazismus“ operierende Stigmatisierungskampagne ihre Wirkung nicht. Als die Partei bei der Bundestagswahl von 1969 knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte (4, 3 Prozent), setzte ein rapider Niedergang ein. Die Organisation konnte das „braune“ Negativimage nicht abschütteln, so daß die Überführung des Protestpotentials in die Stammwählerschaft mißlang.
Erst in jüngster Zeit hat die NPD wieder für Schlagzeilen gesorgt. Im Bündnis mit der 1987 gegründeten Wahlorganisation (Deutsche Volksunion-Liste D) des Verlegers der Deutschen National-Zeitung, Gerhard Frey, ist es ihr gelungen, die politisehe Talsohle zu verlassen Freilich sind die Erfolge bescheiden; nur im Bundesland Bremen zog ein DVU-Kandidat aufgrund einer Sonderregelung in das Parlament ein. In der aktuellen politischen „Großwetterlage“ (Integrationsdefizite der CDU/CSU-Regierungspartei am rechten Rand, Diskreditierung der Großparteien durch Skandale und Affären, Ausländerproblematik und Statusängste bestimmter sozialer Gruppen) wären die Ergebnisse wohl deutlich besser ausgefallen, hätten die beiden rechtsextremen Formationen nicht in Gestalt der Republikaner eine starke Konkurrenz bekommen. Die 1983 von CSU-Dissidenten gegründete nationalkonservative Partei hat durch einige spektakuläre Wahlergebnisse (Bayern 1986: 3. 0 Prozent; Berlin 1989: 7, 5 Prozent; Europawahl 1989: 7, 1 Prozent) in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt Sie verdankt diese Erfolge wesentlich dem Wirken des im Umgang mit den Medien äußerst gewandten ehemaligen Fernsehmoderators und Populisten Franz Schönhuber. Trotz unübersehbarer programmatischer Gemeinsamkeiten mit den beiden rechtsextremen Wahlorganisationen NPD und DVU (nationale Orientierung, starkes Herauskehren der Ausländerproblematik, Betonung von Sicherheit und Ordnung) distanzieren sich die Republikaner deutlich von rechtsextremen Kräften und unterstreichen ihre demokratische Zuverlässigkeit. Dies hält die im Bundestag vertretenen Parteien freilich nicht davon ab, die Republikaner mit dem Verdacht des Neonazismus zu konfrontieren und entsprechende Indizien (Umgang mit der NS-Vergangenheit, Mangel an innerparteilicher Demokratie, Überläufer aus rechtsextremen Organisationen) unnachsichtig in den Vordergrund zu rücken. Das politische Überleben der Republikaner wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die Partei den in den Nachkriegsjahrzehnten vielfach erprobten Stigmatisierungsmechanismus der Bundestagsparteien auszuhebeln versteht — was freilich die Ausschaltung rechtsextremer Tendenzen innerhalb der Partei voraussetzt.
Rechtsextreme Gruppierungen, die sich eng am historischen Vorbild des Nationalsozialismus orientier(t) en, sind seit dem Verbot der SRP ohne jede Einflußchance geblieben —• auch wenn in der Öffentlichkeit durch die großzügige Verwendung der „Neonazismus“ -Vokabel zum Teil ein anderer Eindruck entsteht. Trotz vielfältiger Bemühungen in der „Szene“ gelangten derartige Gruppierungen über ein sektenhaftes Dasein nicht hinaus, zumal mehrere Vereinigungen durch das Bundesinnenministerium verboten wurden — zuletzt (1989) die „Nationale Sammlung“ des Neo-Nationalsozialisten Michael Kühnen. Die von verschiedenen neonazistischen Gruppierungen unterwanderte Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) ist schon aufgrund mangelnder personeller und organisatorischer Voraussetzungen bei Wahlen gänzlich erfolglos geblieben. 2. Andere Demokratien in Europa Die „Epoche des Faschismus“ (Nolte) hatte prägenden Einfluß auf die rechtsextremen Strömungen nach 1945. Zum einen, weil die Faschismen der Zwischenkriegszeit vielfach eine politische Vorbildfunktion erfüll(t) en; zum anderen, weil die „Last der Vergangenheit“ die Entfaltungschancen entsprechender Gruppierungen stark einschränkte. Am drückendsten war die Erblast begreiflicherweise in Deutschland, wo die NS-Bewegung an die Macht gelangt und durch die Judenvernichtung wie die Entfesselung des Weltkrieges eine nationale Katastrophe eingeleitet worden war. Der gegenwärtige Aufschwung einer populistischen, national-konservativen Partei rechts von der CDU/CSU erklärt sich auch durch das Verblassen der NS-Vergangenheit und ihrer tabuisierenden Wirkung im Bewußtsein nicht zuletzt der jüngeren Generation und stellt insofern in gewisser Weise die Folge einer politisch-kulturellen „Normalisierung“ dar Dies wird besonders deutlich, blickt man auf das „Mutterland“ des Faschismus: Italien. Hier entstand bereits Ende 1946 in Gestalt des Movimento Sociale Italiano (MSI) eine politische Kraft, der ehemalige faschistische Funktionsträger in maßgeblichen Positionen angehörten und die kaum verhüllt an die Programmatik der 1943 von Mussolini in Norditalien errichteten Republik von Salö (Repub-blica Sociale Italiana [RSI]) anknüpfte Überdies konnte der MSI in den fünfziger Jahren die anfängliche politische Isolation partiell durchbrechen und auf lokaler wie nationaler Ebene mit demokratischen Parteien — keineswegs nur in der Rolle des Mehrheitsbeschaffers — kooperieren. Auf diese Weise entwickelten sich die Neofaschisten zu einem festen Bestandteil der politischen Landschaft Italiens, auch wenn sie infolge der Umorientierung der Democrazia Cristiana (DC) hin zu Mitte-Links-Koalitionen seit Anfang der sechziger Jahre mehr und mehr aus dem „arco costituzionale" ausgegrenzt wurden.
Seit 1948 ist der MSI ununterbrochen im Parlament vertreten. Bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer von 1953 bis 1987 erreichte die Partei zwischen 4. 5 (1968) und 8, 7 Prozent (1972) der Stimmen. Freilich ist beim Vergleich der Nachkriegsentwicklungen in Italien und der Bundesrepublik zu berücksichtigen, daß der Rassismus im italienischen Faschismus nicht die hervorstechende Rolle besaß wie im Nationalsozialismus, Juden zwar zeitweilig interniert, jedoch nicht der systematischen Vernichtung zugeführt wurden. Infolgedessen war das auf der Bewegung Mussolinis lastende moralische Schuldkonto ungleich geringer.
Dennoch stellt die italienische Kontinuität rechtsextremer parlamentarischer Interessenvertretung in den Nachkriegsdemokratien Europas ein Unihm dar. Ähnliche Entwicklungen fehlen in den jungen Demokratien des Mittelmeerraumes (Griechenland, Portugal, Spanien). Gruppierungen, die in ihrer politischen Konzeption direkt bei den vorausgegangenen Rechtsdiktaturen anknüpfen, spielen dort bislang lediglich eine marginale Rolle, sofern sie nicht überhaupt verboten sind
Im Vergleich zu den genannten Ländern verfügt Frankreich über die längsten und stärksten republikanischen Traditionen. Die extreme Rechte ent-Wickelte sich als Gegenbewegung zu diesen Strömungen, und sie durchlief einen Prozeß der Radikalisierung, nachdem sich die republikanischen Kräfte in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts durchzusetzen begannen. Das Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg ist daher als geistiger Inkubationsraum des Faschismus gedeutet worden Im Gegensatz zu Deutschland und Italien gelang es der „Konterrevolution“ (im Hinblick auf die „Ideen von 1789“) in der Zwischenkriegszeit jedoch nicht, die Verfechter der Republik zu überrunden. Die extreme Rechte kam erst unter dem von Deutschlands Gnaden errichteten Vichy-Regime (1940— 1944) zu einer Machtbeteiligung.
Nach der Befreiung („libration") und einer Welle politischer Säuberungen („puration") erwies sich die Gleichsetzung von „Vichy“ und „Kollaboration“ für die extreme Rechte als schwere Hypothek. Zwar entstand eine Reihe kleiner Gruppierungen und Zeitschriftenzirkel; diese gelangten jedoch über ein subkulturelles Dasein nicht hinaus Die Situation änderte sich im Laufe der fünfziger Jahre. Ein ungewöhnlich rascher wirtschaftlicher Strukturwandel des vielfach noch agrarisch geprägten Landes brachte eine von Bauern, kleinen Ladenbesitzem und Handwerkern geprägte populistische Protestbewegung hervor, die bei den Parlamentswahlen von 1956 auf Anhieb 13, 3 Prozent der Stimmen erreichte und 52 Abgeordnete stellte. Die mittelständische Bewegung um ihren Volkstribunen Pierre Poujade (Poujadismus) operierte zwar durchaus mit Appellen an das nationale Wir-Gefühl, war aber keineswegs neofaschistisch orientiert, wie es die Gegenpropaganda glauben machen wollte. Jedoch versuchten sich rechtsextreme Kräfte an einer Unterwanderung der Bewegung, um die eigene Isolation aufzubrechen. Dies gelang zeitweilig, zumal die politische Atmosphäre der Entkolonialisierung und des Algerienkrieges rechtsextremer Agitation ein günstiges Resonanz-feld bot. Freilich wurde der extremen Rechten — wie auch den Poujadisten — durch die Regierungsübernahme General de Gaulles (1958) bald der Wind aus den Segeln genommen.
Zu den Abgeordneten, die 1956 auf der Woge des Poujadismus in das Parlament eingezogen waren, hatte auch Jean-Marie Le Pen gehört, der Führer des heutigen Front National (FN). Im Gegensatz zum Poujadismus war die Gründung des FN (1972) Resultat einer der vielen und bis dato allesamt ge-scheiterten Sammlungsversuche innerhalb des in mannigfaltige Gruppen zersplitterten rechtsextremen „Lagers“ Der Erfolg stellte sich keineswegs über Nacht ein, sondern erst zu einem Zeitpunkt, als die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Linke (1981) und deren erste ungestüme Reformphase (zum Beispiel Verstaatlichungen von Banken und Unternehmen der Großindustrie) eine Reaktion herausforderten. Gewisse Erfolge deuteten sich bereits 1983 bei lokalen Wahlgängen an. Einen ersten Durchbruch erzielte die Partei bei der Europawahl von 1984 (10, 95 Prozent). Aufgrund der Einführung des Verhältniswahlrechts durch die sozialistische Regierung zog der FN 1986 in die Nationalversammlung ein (9, 65 Prozent), woraus er 1988 wegen der reetablierten Mehrheitswahl wieder verschwand. Die mangelnde parlamentarische Präsenz scheint die Partei jedoch nicht wesentlich geschwächt zu haben, übertraf ihr Ergebnis bei der Europawahl 1989 (11, 7 Prozent) doch noch das von 1984.
Das populistische Element verbindet den FN mit dem Poujadismus. Beide Bewegungen sammel(te) n sich um charismatische Führerpersönlichkeiten, beide appellier(t) en sie an nationalistische Instinkte, beide mobilisier(t) en den „Mann auf der Straße“ gegen „die da oben“. Allerdings weist die FN-Agitation weit deutlicher rechtsextreme Akzente auf: Im Vordergrund stehen Themen wie „Ausländer“, „Kriminalität“ und „Arbeitslosigkeit“. Gegen die „Überfremdung“ durch Einwanderer, ausländische Arbeiter und Asylanten betont der FN Interessen und Identität der französischen Nation. Dem unbefriedigten Sicherheitsbedürfnis vieler Bürger setzen Le Pen und seine Gefolgschaft Forderungen nach „hartem Durchgreifen“ und starker Staatsgewalt entgegen. Die Frage der Arbeitslosigkeit wird vor allem mit dem Hinweis auf die lästige Konkurrenz der „immigrs" beantwortet. Dabei meidet man bei aller Radikalität der Forderungen eindeutig rechtsextreme Ideologeme, befleißigt sich einer vergleichsweise „moderaten“ Diktion.
Das Aufkommen rechtsgerichteter populistischer Bewegungen ist keineswegs ein Spezifikum der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs. Ähnliche Phänomene lassen sich auch in anderen europäischen Demokratien beobachten. In Dänemark zog der Rechtsanwalt Mogens Glistrup zu Beginn der siebziger Jahre mit seiner Fortschritts-partei gegen hohe Steuern und Sozialabgaben zu Felde und gelangte 1973 mit 15, 9 Prozent der Stimmen auf Anhieb in das Parlament (Folketing) Nach Jahren politischer Erfolglosigkeit und der Verbüßung einer Haftstrafe ist dem Steuerrebellen inzwischen ein gewisses come back gelungen. Verstärkt hatte die Partei in den letzten Jahren gegen die „Überfremdung“ durch Ausländer und Asylanten (insbesondere mohammedanischen Glaubens) agitiert und sich in der Bevölkerung des kleinen Landes verbreitete Ängste und Vorurteile zunutze gemacht. Im Mai 1988 zogen 16 Abgeordnete der Fortschrittspartei wieder in das dänische Parlament ein, und bei der Europawahl vom Juni 1989 wurden immerhin fünf Prozent der Stimmen erreicht „Populismus“ lautet auch das Erfolgsrezept der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) um ihren jungen, charismatischen Vorsitzenden („Bundesparteiobmann“) Jörg Haider Bei den Nationalratswahlen vom November 1986 war es der Partei gelungen, ihren Stimmenanteil beinahe zu verdoppeln und das beste Ergebnis seit ihrer Gründung (1956) zu erzielen (9, 73 Prozent). In Landtagswahlen setzte sich die Erfolgsserie fort. Den spektakulärsten Wahlsieg erreichte die FPÖ im Bundesland Kärnten (März 1989), wo sie mit 29 Prozent zur zweitstärksten Partei (nach der Sozialistischen Partei Österreichs [SPÖ]) aufstieg und mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) eine Regierung bildete (Landeshauptmann: Jörg Haider). Die FPÖ hat eine verbreitete Unzufriedenheit mit den über lange Jahre hinweg tonangebenden Parteien ÖVP und SPÖ, deren Ansehen aufgrund zahlreicher Affären und Skandale in Mitleidenschaft gezogen worden ist, durch Appelle an den „kleinen Mann“ und die Entfesselung antietatistischer Emotionen kanalisiert. Zum Teil rabiate deutsch-nationale Töne, wie sie aus dem Lager der FPÖ zu vernehmen sind, gewinnen auch durch ihre Wendung gegen die das Leitbild der „österreichischen Nation“ betonenden sogenannten „Altparteien“ (ÖVP, SPÖ) an Resonanz in der Bevölkerung. Freilich wäre es überzogen, die FPÖ als „rechtsextrem“ einzustufen. Während die Ausländerproblematik in Österreich mangels Masse nicht im Vordergrund steht, ist sie in vielen anderen europäischen Staaten inzwischen auf der politischen Agenda weit nach vorne genickt. Der Zuzug von Asylanten, ausländischen Arbeitern und Immigranten erzeugt vor allem bei schlechtergestellten sozialen Gruppen vielfach Sta-tusängste und leitet Wasser auf die Mühlen rechtsextremer Gruppierungen. Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien war von dieser Entwicklung früher betroffen als andere europäische Staaten. In den siebziger Jahren verzeichnete die National Front, eine 1966 gegründete, mit deutlich rassistischen Tönen agierende rechtsextreme Organisation, bei einigen lokalen Wahlgängen unerwartet hohe Stimmengewinne Aufgrund des Mehrheitswahlrechts bestand allerdings zu keinem Zeitpunkt auch nur die leiseste Chance einer parlamentarischen Vertretung. Die temporären Erfolge fanden in den achtziger Jahren keine Fortsetzung. Die National Front durchlief — nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer „härteren“ Einwanderungspolitik der seit 1979 regierenden Konservativen Partei -einen von Spaltungen begleiteten Zerfallsprozeß
Selbst an alten, stabilen Demokratien wie der Schweiz ist die Ausländerproblematik nicht spurlos vorübergegangen. In den achtziger Jahren erzielten ausländerfeindliche Wahlorganisationen bei Kantonal-und Kommunalwahlen Erfolge Gleiches gilt für Belgien, wo die Ausländerproblematik durch den flämisch-wallonischen Konflikt noch verstärkt wird. Das im flämischen Bevölkerungsteil verbreitete Gefühl der Benachteiligung gegenüber den Wallonen läßt die Toleranzgrenze gegenüber der„Konkurrenz“ durch Ausländer und Asylanten sinken. Diese Situation wird von rechtsextremen Gruppierungen ausgenutzt und zusätzlich angeheizt. Insbesondere dem flämisch-nationalistischen Vlaams Blök ist in den letzten Jahren ein lokaler Durchbruch beschieden gewesen. So erreichte er bei der Europawahl im Juni 1989 in der Stadt Antwerpen 20 Prozent der Stimmen und im flämischen Teil Brüssels 13, 3 Prozent (Brüssel insgesamt: 4, 1 Prozent)
In allen europäischen Demokratien — auch in den bisher nicht genannten: Finnland, Irland, Island, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden — gibt es zumeist kleine Gruppierungen, die sich an Vorbildern der Zwischenkriegszeit orientieren, insbesondere am italienischen Faschismus und am deutschen Nationalsozialismus. Freilich befinden sich alle diese Organisationen in einem Zustand politischer Isolation — jenseits realistischer Einflußchancen. Das Ghetto politischer Wirkungslosigkeit läßt sich nur auf zwei Arten sprengen: Erstens durch den Einsatz systematischer Gewaltakte (Terrorismus), was Aufmerksamkeit erzwingt, den Staat möglicherweise destabilisiert und in gesellschaftlichen Klientelgruppen einen Mobilisationseffekt erzeugt. Zweitens durch eine gewisse politische „Mäßigung“ und Entradikalisierung, die die betreffende Organisation einem größeren Interessentenkreis öffnet und sie zur wählbaren Alternative werden läßt. Freilich sind beide Strategien auch mit Risiken verbunden: Terrorakte provozieren die Reaktion des Staates und könnten zur raschen Auflösung der Gruppen führen. Der „Elektoralismus“ löst möglicherweise (unter dem Einfluß neuer Mitglieder-und Wählergruppen) einen Prozeß der institutionellen Einbindung und Zähmung aus. Welche der Handlungsalternativen auch beschritten wird: Die europäischen Demokratien müssen sich ihnen in Zukunft gewachsen zeigen.
III. Linksextremismus
1. Bundesrepublik Deutschland Der aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten vorhandene moralische Vorsprung der 1945 gemeinsam mit der Union, der SPD und den Liberalen von den Alliierten zugelassenen „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) wurde bald verspielt. Sie geriet schnell in die Isolation (Bundestagswahl 1949: 5, 7 Prozent; Bundestagswahl 1953: 2, 2 Prozent), nachdem sie vor 1949 mehreren Landesregierungen angehört hatte Schon vor ihrem Verbot im Jahre 1956 war sie eine Quantit ngligeable geworden, nicht zuletzt wegen ihrer Linientreue gegenüber dem kommunistischen System im anderen Teil Deutschlands und in der Sowjetunion.
Die im Jahre 1960 ins Leben gerufene „Deutsche Friedensunion“ (DFU) ging maßgeblich auf eine Initiative der Kommunisten zurück, wenngleich sich in der betont vorsichtig operierenden DFU auch andere Kreise befanden (zum Beispiel aus dem neutralistischen Lager). Aber die DFU konnte politisch nicht reüssieren und blieb mit 1, 9 und 1, 3 Prozent bei den Bundestagswahlen von 1961 und 1965 weit unter der Fünfprozentmarke. Im Jahre 1984 gab sie ihren Parteistatus auf, nachdem sie zuvor wegen des Auftretens der DKP nur ganz sporadisch an Wahlen teilgenommen hatte.
Die im Jahre 1968 gegründete und strikt auf DDR-Kurs liegende „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) konnte niemals an die anfänglichen Erfolge der KPD anknüpfen, jedenfalls was das Abschneiden bei Wahlen angeht. Sie blieb, was zuvor die KPD war: eine von der SED-Führung gänzlich abhängige und damit zum Scheitern verurteilte Partei. Sie kam bei den Bundestagswahlen 1972 und 1976 nur auf 0, 3 Prozent, 1980 und 1983 gar nur auf 0, 2 Prozent. Bei der Bundestagswahl 1987 kandidierte sie in realistischer Einschätzung der Situation nicht einmal gesondert, sondern stellte lediglich Wahlkreiskandidaten in dem von ihr initiierten Wahlbündnis der „Friedensliste“ auf. Gegenwärtig befindet sich die DKP (Europawahl 1989: 57 648 Stimmen = 0, 2 Prozent) in der größten Krise ihrer Entwicklung, was die Parteiführung auf ihrem turbulent verlaufenen Parteitag im Januar 1989, wo es einige bemerkenswerte „Auflockerungstendenzen“ sowie unüblich viele Gegenstimmen und eine Reihe von Kampfabstimmungen gab, auch einräumen mußte Eine beträchtliche Minderheit von etwa einem Drittel fordert eine „Erneuerung“ im Sinne der Politik Gorbatschows, während die Parteiführung davon nichts wissen will. Infolge der schwierigen „Großwetterlage“ und des eigenen dogmatischen Verhaltens hat die DKP, obwohl sie aufgrund reichlicher materieller Unterstützung seitens der DDR nach wie vor finanz-und organisationsstark ist, einen beträchtlichen Mitgliederschwund zu verzeichnen. So sollen ihr heute weniger als 35 000 Personen angehören Allerdings gilt: „Der Traditionalismus vieler DKP-Mitglieder, ihre teilweise jahrzehntelange stalinistische und neostalinistische Schulung und nicht zuletzt die Gemeinsamkeit in der Ablehnung der westlichen Demokratie in der Bundesrepublik werden die DKP zwar nicht vor weiterem Niedergang, aber noch für lange Zeit vor dem Untergang bewahren.“
War die KPD Ende der vierziger und in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre gesellschaftlich völlig „ausgegrenzt“, obwohl sie immerhin einen gewissen, wenn auch schwindenden Teil der Wählerschaft hinter sich brachte, verhält es sich bei der DKP gerade umgekehrt: Sie ist zwar in der Wählerschaft gänzlich isoliert (bei der Bundestagswahl 1983 kamen — ein einmaliges Phänomen -auf zwei Mitglieder drei Wähler!), doch keineswegs in der Gesellschaft, wie etwa kommunistisches Engagement in Protestbewegungen zeigt, das man dort häufig mehr als toleriert. Dieses Paradoxon erklärt sich mit der Abschwächung des in den fünfziger Jahren grassierenden Antikommunismus. Heutzutage kooperiert jedenfalls der linke Flügel der Sozialdemokratie in bestimmten Fragen mit Kommunisten was vor vierzig Jahren, als der antitotalitäre Konsens noch weit stärker verankert war, nicht in Frage gekommen wäre. Auch in demokratischen Kreisen haben sich einseitig antifaschistische Denkmuster herausgebildet.
Andere linksextreme Parteien blieben noch erfolgloser. Zu Anfang der siebziger Jahren kam es zu Gründungen überwiegend maoistisch orientierter K-Gruppen, die der DKP Verrat an den revolutionären Prinzipien vorwarfen, sich selber aber aufgrund ihres Dogmatismus heftig befehdeten. Sie lösten sich später größtenteils auf oder vegetieren als Fossil dahin. Auch hier fällt ein Paradoxon auf. Ausgerechnet die so betont antiautoritäre Studentenbewegung ist die entscheidende Wurzel für die durchweg hierarchisch organisierten K-Gruppen gewesen. Aus dem Scheitern der antiautoritären Studentenbewegung zog man die Konsequenz, daß nur mittels einer klassenbewußten Partei die Arbeiterschaft gewonnen werden könne. Doch wirken in einer offenen Gesellschaft revolutionäre Rhetorik und ideologischer Fanatismus abstoßend. Das Ergebnis — zunächst Spaltung(en), dann Auflösung -ist meistens vorprogrammiert. 2. Andere Demokratien in Europa Als der italienische Publizist Frane Barbieri im Jahre 1975 den magischen Begriff des „Eurokommunismus" prägte ahnte wohl kaum jemand, daß diese Spielart des Kommunismus bald wieder einen Rückschlag erleiden würde, sei es dadurch, daß einige Parteien sich vom Eurokommunismus weg entwickelten (wie in Frankreich), sei es dadurch, daß eurokommunistische Parteien einen Prozeß der Auszehrung durchmachten (wie in Spanien). In diesen Ländern sind die Wahlerfolge sozialistischer Parteien auf Kosten des kommunistischen Stimmenanteils gegangen. Um den „Eurokommunismus“ ist es eher still geworden, nachdem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre — nicht zuletzt auch in der Literatur — viel Aufhebens von ihm gemacht worden war Jedenfalls kann man den Rückgang im Hinblick auf Wähler und Mitglieder in mehreren Ländern nicht übersehen Außerdem ist der Begriff „Eurokommunismus“ zu grobschlächtig, als daß er die sehr unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Staaten erfaßt.
Die Ergebnisse in den meisten europäischen Demokratien weisen im Vergleich zur Bundesrepublik ganz andere Dimensionen auf. In Italien hat die dortige (euro-) kommunistische Partei — der „Partito Comunista Italiano" (PCI) hatte sich 1921 von der Sozialistischen Partei abgespalten — bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer des öfteren um die 30 Prozent der Stimmen erhalten und nimmt ungefährdet hinter den Christdemokraten den zweiten Platz ein, rangiert also vor den Sozialisten, nachdem sie sogar bei der Wahl im Jahre 1976 mit 34, 4 0, 1 Prozentpunkte mehr als die Democrazia Cristiana erreicht hatte. Allerdings weist die Tendenz etwas nach unten (Wahlen zur Abgeordneten-kammer 1979: 30. 4 Prozent; 1983: 29, 8 Prozent; 1987: 26, 6 Prozent). Bislang ist es noch nicht zu dem vielbeschworenen „historischen Kompromiß“ gekommen, zu einer Koalition zwischen Kommunisten und Katholiken also. Der seit Juni 1988 amtierende Parteivorsitzende („Sekretär“) Achille Occhetto forciert den bereits von Togliatti vorsichtig eingeleiteten, von Berlinguer und dem eher farblos gebliebenen Natta fortgesetzten Kurs, wie sich auch auf dem 18. Parteitag im März 1989 gezeigt hat. Hier wurde in den Parteistatuten Abschied vom Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ genommen, allerdings „zur Genugtuung traditioneller Kommunisten“ am Parteinamen festgehalten Auch in außenpolitischen Fragen hat der PCI längst die hegemoniale Rolle der Sowjetunion abgeschüttelt so daß es von daher ebenfalls fragwürdig ist, ihre Position mit dem Pejorativum „extremistisch“ zu versehen. Allerdings ist der italienischen KP bisher die Nagelprobe der Regierungsbeteiligung er-spart geblieben, und gelegentlich tauchen immer wiedereinmal Formeln aus dem Propagandaarsenal der fünfziger Jahre auf wie ja auch noch die traditionalistische Strömung um Armando Cossuta in der Partei agiert, wenngleich in einer klaren Minderheitenposition. Die Ausnahmestellung des PCI zeigt sich darin, daß er mit über 1, 6 Millionen mehr als doppelt so viele Mitglieder hat wie alle übrigen kommunistischen Parteien in den europäischen Demokratien zusammengenommen. Der „Sonderweg“ der italienischen Kommunisten dürfte weniger eine Reaktion auf den Zerfall des monolithischen Weltkommunismus sein als ein Produkt der spezifischen Entwicklung Italiens
In Frankreich lag der „Parti Communiste Franais" (PCF) in den sechziger wie in den siebziger Jahren stets über zwanzig Prozent. Jedoch ist in den achtziger Jahren eine Halbierung des Wählerpotentials der weitgehend noch (oder wieder) stalinistischen Partei eingetreten (Wahlen zur Nationalversammlung 1978: 20, 6 Prozent; 1981: 16, 2 Prozent; 1986: 9. 8 Prozent; 1988: 11, 3 Prozent) — ein „electoral collapse" — „spectacular both in its scope and its rapidity“ Bei den Europawahlen erreichte der PCF nur noch 7, 7 Prozent — erheblich weniger als die Bewegung Le Pens. Die kommunistische Regierungsbeteiligung unter Georges Marchais Anfang der achtziger Jahre (1981 bis 1984) führte die Kommunisten noch weiter ins Abseits, was wiederum die Öffnung zu anderen Parteien nicht begünstigte. Das Konzept der französischen Kommunisten, „in dem sich auf einem prosowjetischen Hintergrund sozialrevolutionäre und nationalistische Elemente miteinander verbinden“ -läßt nichts mehr von den zeitweiligen Auflockerungstendenzen in den siebziger Jahren erkennen, wie man sich überhaupt fragen kann, ob der PCF jemals zu Recht das Verdikt „eurokommunistisch“ verdiente.
Die dritte Partei, die gemeinhin unter dem Oberbegriff des Eurokommunismus gefaßt wurde, ist die spanische — der „Partido Comunista de Espana“ (PCE). Auch hier sind die Wahlergebnisse für die Kommunisten, deren Arbeit von jahrzehntelanger Illegalität geprägt ist. stark rückläufig. Jedenfalls erfüllten sich die Blütenträume nach dem Tod General Francos nicht. Erreichte die Kommunistische Partei 1979 10, 8 Prozent der Stimmen, so kam sie 1982 nur noch auf 3, 9 und 1986 (unter ihrem damaligen Vorsitzenden Gerardo Iglesias) auch bloß auf 4, 6 Prozent, obwohl ein Wahlbündnis mit anderen linken Gruppierungen gebildet worden war. Bei der Europawahl im Juni 1989 konnte die „Vereinigte Linke“ ihr Ergebnis auf 6, 1 Prozent ausbauen. Nach dem Rücktritt Iglesias’ und der Übernahme des Parteivorsitzes durch den ehemaligen Bürgermeister von Cördoba, Julio Anguita (1988), hat die Partei wieder stärker den „Leninismus“ akzentuiert, was zu Parteiaustritten führte. Auf eine eher „härtere“ Linie deutet auch die Wiedervereinigung mit den Traditionalisten der „Kommunistischen Partei der Völker Spaniens“ hin, die sich im Januar 1989 vollzog Die Partei hat sich somit nur mehr der (kommunistischen) Konkurrenz Santiago Carrillos zu erwehren, der sich in den siebziger Jahren als engagierter Anhänger des Eurokommunismus profiliert und die spanischen Kommunisten auf diesen Weg gewiesen hatte. Gleichwohl muß man nach wie vor von einer Krise des spanischen Kommunismus sprechen
Interessante Entwicklungen zeigen sich auch in anderen Ländern. In allen skandinavischen Staaten gibt es zwei kommunistische Parteien, wobei die eurokommunistische Variante — sie war übrigens schon vorhanden, als man in Südeuropa noch nicht an einen Eurokommunismus dachte — stärker ist als die marxistisch-leninistische. Hingegen erzielt die moskautreue Kommunistische Partei Portugals („Partido Comunista do Portugal“) unter dem legendären Alvaro Cunhal noch immer eine beachtliche Stärke, wenn auch in einem Wahlbündnis (1985: 15, 4 Prozent; 1987: 12, 2 Prozent), wie-wohl gerade Cunhal die Strategie des „Elektoralis-mus“ verhöhnt In Großbritannien hingegen spielt die „Communist Party of Great Britain“ (CPGB) schon allein aufgrund des relativen Mehrheitswahlsystems nicht die geringste Rolle, gleichwohl sind unterschiedliche kommunistische Strö-mungen in der Labour Party (und bei den Gewerkschaften) nicht einflußlos. So verzeichnete die „ent-
istische"
Strategie des Trotzkismus gewisse Erfolge Hingegen fällt kommunistisches Gedankengut in mitteleuropäischen Ländern wie der Schweiz und Österreich — wenngleich es in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zeitweise anders aussah — sowie den Benelux-Ländern auf keinen fruchtbaren Boden. Der Stimmenanteil liegt, bisauf Luxemburg, in den achtziger Jahren meist bei rund einem Prozent, nachdem er früher zum Teilweit höher war. Bezeichnenderweise schneiden die kommunistischen Parteien dort gut ab, wo sie (wie in Frankreich und Italien) in der Widerstandsbewegung agierten und wo längere Zeit eine Rechtsdiktatur herrschte (Portugal und Spanien sowie mit Einschränkungen in Griechenland). Bei den südeuropäischen Ländern kommen die wirtschaftliche Rückständigkeit und eine verspätete Industrialisierung hinzu.
Klaus Kellmann gruppiert die kommunistischen Parteien Europas nach einem geographischen Schema. Die kommunistischen Parteien im Norden Europas handelt der Autor unter der Überschrift „zwischen Machtfaktor und Sekte“ ab; die in Westeuropa klassifiziert er als „Sekte“, die im romanischen und mediterranen Europa als „Machtfaktor“ In der Tat lassen sich auf diese Weise aufschlußreiche Parallelen herausarbeiten, so sehr man sich auch vor einer Verallgemeinerung hüten muß. Allerdings bedarf seine Auffassung der Modifizierung, daß die kommunistischen Parteien in europäischen Demokratien „überall dort stark, erfolgreich und geschichtsmächtig [waren und sind], w sie ohne Abweichungen und Brüche an einer programmatischen Linie festgehalten haben. Diese mageurokommunistisch wie in Italien, stalinistisch-orthodox wie in Portugal oder aber beides in einem wie in Zypern sein — die Verläßlichkeit und insofern die Berechenbarkeit garantiert die politische Potenz.“ Kritikwürdig ist die These insofern, als hier der Gesichtspunkt etwas zu kurz kommt, daß sichdie eurokommunistische Variante im Vergleich zur Moskauorientierung bei weitem als erfolgreicher erwiesen hat. Würde sie stimmen, dann müßte & DKP eine „geschichtsmächtige“ Kraft sein, da Se -
bisher jedenfalls — jegliche Schwankungen Wohlweislich vermieden hat. Als gänzlich aussichts-loserweist sich die Strategie jener Gruppierungen, hie sowohl die eurokommunistische als auch die sowjet-marxistische Variante verwerfen und einen betont revolutionären Kurs steuern, seien sie nun maoistisch ausgerichtet oder nicht. Es handelt sich in allen Fällen um Splitterparteien, soweit es sie überhaupt noch gibt.
Die jüngste Arbeit zu den kommunistischen Parteien in den europäischen Demokratien gelangt zu folgendem Resümee: „Von den hier beheimateten zwanzig KPen sind sieben (Portugal, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Türkei, Irland und Luxemburg) orthodox-moskauorientiert, acht (Finnland, Griechenland, Zypern, Spanien, Dänemark, Schweden, Norwegen und Großbritannien) in sich oder in Form von zwei Parteien eurokommunistisch-reformistisch und orthodoxmoskauorientiert gespalten, drei (Niederlande, Belgien und die Schweiz) suchen weiterhin mit unterschiedlicher Akzentsetzung ihren endgültigen ideologischen Haltepunkt, eine (die KP Islands) kann insgesamt als eurokommunistisch bezeichnet werden, und die Kommunistische Partei Italiens [. . . ] ist wie die dänische SF und die interne griechische KP dabei, das Stadium des Eurokommunismus in Richtung Linkssozialismus und Sozialdemokratie zu verlassen.“ Natürlich kann man ein Fragezeichen hinter diese Behauptung setzen, je nachdem, was man unter Eurokommunismus versteht. Ist die These nicht recht gewagt, es könnte zu einer „Wiedervereinigung zwischen sozialistischen und kommunistischen Parteien in Westeuropa“ kommen? In Italien jedenfalls deutet nichts darauf hin. Dafür sind die Parteien in den jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen zu sehr verwurzelt.
Was die Stärkeverhältnisse angeht, so hat sich in den achtzigerJahren — zum Leidwesen der Sowjetunion — ein zum Teil massiver Rückgang des kommunistischen Wählerpotentials vollzogen vor allem auch eine weitere Ausdifferenzierung und damit ein Schwinden transnationaler Politik wenngleich in den Staaten des Westens eine Reihe von Vorfeldorganisationen zugunsten sowjetischer Politik wirbt und wirkt Allerdings scheint in der Sowjetunion unter Gorbatschow die Pluralität der Wege zum Sozialismus anerkannt zu sein
Insgesamt nehmen sich heutzutage die Befürchtungen Dieter Oberndorfers vor über einem Jahrzehnt — bei einer Zusammenarbeit zwischen sozialistischen und kommunistischen Parteien wäre „die Erosion des westlichen Bündnisses in einen Zu-stand völliger Bedeutungslosigkeit“ die sichere Folge — arg pessimistisch aus. Ob die Politik Gorbatschows einen turning point einleiten und das Erscheinungsbild kommunistischer Parteien attraktiver zu gestalten vermag, ist nicht so sicher. Jedenfalls kann man die sowjetische Entwicklung so interpretieren, als vollziehe sich dort ein Offenbarungseid des Marxismus.
IV. Vergleichende Überlegungen
Offenkundig wird dem politischen Extremismus in der Bundesrepublik mehr Aufmerksamkeit geschenkt als anderswo, obwohl das Wählerpotential eher unterdurchschnittlich entwickelt ist. Dieses Paradoxon — gesteigerte Aufmerksamkeitsbereitschaft bei relativer Ohnmacht des politischen Extremismus — dürfte wesentlich historisch bedingt sein: Die Last der Vergangenheit sowie das Negativbeispiel des anderen deutschen Staates wirken nach — zum Teil in einer Weise, die positiv als Sensibilität für extremistische Phänomene zu deuten ist, zum Teil aber auch in einer Weise, die dem demokratischen Verfassungsstaat Hohn spricht und lediglich gewohnten Stereotypen Rechnung trägt, wenn man etwa in selbstzufriedener Weise über die geringe Stärke des extremistischen Milieus räsoniert oder — ganz im Gegenteil — hysterisch auf den Wahlerfolg einer tatsächlich bzw. vermeintlich extremistischen Partei reagiert, wobei sich ein großer Teil der Öffentlichkeit durch politische Einäugigkeit auszeichnet. Nicht nur die GRÜNEN zu Anfang und die Republikaner am Ende der achtziger Jahre wissen davon ein Lied zu singen.
Im übrigen — und dieser Sachverhalt hängt mit dem gesteigerten Aufmerksamkeitsgrad für extremistische Phänomene eng zusammen — sind in keiner anderen westlichen Demokratie die Schutzbestimmungen gegenüber dem politischen Extremismus so ausgeprägt wie in der Bundesrepublik. Diese versteht sich als eine wert-und wehrhafte Demokratie, die nicht erst bei einer Verletzung der Strafgesetze aktiv wird, sondern die Abwehr vor-verlagert hat. Allerdings sind die Unterschiede zu anderen europäischen Demokratien nicht prinzipieller Natur. Zum einen kommen durch die Ausrichtung am Opportunitätsprinzip die Schutzvorkehrungen nicht immer zum Tragen, zum anderen versuchen auch die übrigen europäischen Demokratien der Legalitätstaktik von Extremisten in vielfältiger Weise einen Riegel vorzuschieben. Selbst beim Komplex „Extremismus und öffentlicher Dienst“, der für viele — nicht zuletzt Ausländer -als „German problem“ firmiert, versucht man in unterschiedlicher, wenn auch geräuschloserer (und damit „eleganterer“?) Weise, Extremisten von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten. Freilich wird stärker auf die jeweiligen Verhaltensweisen abgestellt, keine Treuepflicht gefordert. Umgekehrt sind wiederum der Rechtsschutz und der Begründungszwang weit weniger ausgebaut als in der Bundesrepublik Deutschland
Im folgenden sollen die eingangs formulierten drei Kernfragen gesondert für Rechts-und Linksextremismus beantwortet werden. Differenzierung tut dabei not; allerdings lassen sich Generalisierungen nicht immer vermeiden.
Aufgrund der Vergangenheit wird der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland im In-und Ausland vielfach mit besonderem Argwohn betrachtet Dabei weisen verschiedene Indikatoren darauf hin, daß die hiesige rechtsextreme „Szene“ keineswegs zur europäischen „Spitzengruppe“ zählt. In einer Statistik des Europäischen Parlamentes über „Antisemitische Vorfälle in den Jahren 1981 — 1983“ steht die Bundesrepublik kei-Deswegs an erster Stelle Berücksichtigt man die unterschiedliche Bevölkerungszahl der verschiedenen Länder, so ergibt sich folgende Rangfolge: Großbritannien, Österreich, Belgien, Griechenland, Dänemark, Frankreich, Norwegen, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, Schweden, Italien, Finnland, Spanien. Dieser Befundwird durch vergleichende Untersuchungen zur politischen Kultur gestützt, die einen erheblichen Rückgang „autoritärer“, obrigkeitsstaatlicher, antidemokratischer Einstellungen im Verlaufe der letztenzwanzig Jahre konstatieren, so daß sich die Bundesrepublik heute in dieser Hinsicht durchaus mit alteingesessenen Demokratien messen kann
Auch wer auf Wahldaten abstellt, wird dem bundesdeutschen Rechtsextremismus im europäischen Maßstab keinen Spitzenrang zuweisen können. Seit dem Niedergang der NPD lagen die Ergebnisse rechtsextremer Parteien über lange Jahre hinweg imBereich von Zehntelprozenten. Erst in den letztenJahren ist ein Aufwind spürbar, der sowohl originären „Gewächsen“ des rechtsextremen „Lagers“ alsauch neuen national-populistischen Strömungen zu gewissen Erfolgen verhülfen hat. Freilich ist dabei auffallend, daß nationalistische Gruppierungen ihre Stimmengewinne nicht etwa der engen Anlehnung an das nationalsozialistische „Vorbild“, sondern gerade der Beschwörung eines „demokratisch geläuterten Patriotismus“ verdanken. Auch der Indikator „Wahlen“ weist der Bundesrepublik Deutschland und ihren rechtsextremen Organisationen einen Platz in der europäischen „Mitte“ zu, wobei Länder wie Frankreich und Italien am einen Ende der Skala, Staaten wie die Niederlande und Schweden eher am anderen Ende rangieren.
Erstrebt der Kommunismus als — jedenfalls der Idee nach — internationalistische Bewegung länderübergreifendes Zusammenwirken, so ist für nationalistische Organisationen eine internationale Kooperation alles andere als selbstverständlich. Rechtsextreme Organisationen bestimmten den Eigenwert „ihrer“ Nation in der Vergangenheit vielfach in (eher feindseliger) Abgrenzung gegenüber anderen Nationen — der traditionelle Antigerma-nismus bzw. Franzosenhaß von Teilen der alten französischen und deutschen Rechten ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Nach 1945 wandelte sich die Situation insofern, als sich die extreme Rechte in der größer werdenden Zahl der europäischen De-mokratien in die Isolation gedrängt sah. Die Idee, dem internationalistischen Kommunismus so etwas wie eine nationalistische Internationale entgegenzustellen, gewann zudem an Gewicht. Die Neigung zu europaweiter Zusammenarbeit wurde auch durch ehemalige Angehörige europäischer Waffen-SS-Einheiten gefördert Teile der extremen Rechten wandten sich vor diesem Hintergrund einem „Europäischen Nationalismus“ zu. So kam es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einigen Versuchen der Gründung „europanationalistischer“ Vereinigungen. Bekannt geworden ist vor allem der Kongreß von Malmö 1951, auf dem Delegierte aus sieben Ländern die „Europäische Soziale Bewegung“ ins Leben riefen
Freilich blieben die großartigen Resolutionen dieses Kongresses mehr oder weniger Theorie. Zwar hat die „faschistische Internationale“ seither die Phantasie vieler Autoren angeregt und Verschwörungstheorien reichlich Nahrung gegeben in der Realität kam das Projekt über in verschiedenen Ländern bestehende Klein-und Kleinstorganisationen nicht hinaus. Von „Eurofaschismus“ kann daher nicht nur wegen der Problematik des Faschismusbegriffs keine Rede sein. Allerdings haben diese Bestrebungen den Ideenaustausch zwischen verschiedenen europäischen Gruppierungen intensiviert, was besonders dem Wirken rechter Intellektuellenzirkel entgegenkommt Die Ausbreitung und Ausstrahlung der französischen Nouvelle Droite auf andere europäische Länder (Neue Rechte, Nuova Destra etc.) ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Erwähnenswert ist auch der fraktionelle Zusammenschluß rechtsextremer Organisationen im Europäischen Parlament, der in der Größenordnung freilich nicht an den der Kommunisten heranreicht.
Eine akute Gefährdung der europäischen Demokratien geht derzeit jedoch weder von internationalen noch von nationalen rechtsextremen Organisationen aus. Freilich wäre es leichtsinnig, den Rechtsextremismus als historisch überholt und ein für allemal abgetan anzusehen. Die heutige Situation könnte sich durchaus ändern, wenn bestimmte Faktoren weiter an Bedeutung gewinnen. An erster Stelle zu nennen ist die ökonomische Lage. Lang-anhaltende wirtschaftliche Krisen, verbunden mit Einkommenseinbußen breiter sozialer Schichten und Arbeitslosigkeit, könnten die Bereitschaft zur Wahl extremistischer Parteien erhöhen und rechtsextremen Kräften Auftrieb verschaffen. Zweitens sind bestimmte „issues“ geradezu prädestiniert, rechtsextremen Organisationen Stimmen zuzuführen: Dies gilt etwa für „AIDS“, besonders aber auch für die Ausländer-und Einwandererproblematik. Wie gezeigt worden ist, hat die letzte Frage maßgeblich zu den jüngsten Wahlerfolgen rechter und rechtsextremer Formationen in Belgien, der Bundesrepublik, Dänemark, Frankreich und der Schweiz beigetragen. Das krasse Wohlstandsgefälle zwischen den europäischen Industrienationen und den Ländern der Dritten Welt wird dafür sorgen, daß diese Thematik auch in Zukunft auf der Tagesordnung bleibt. Drittens könnten die Bemühungen von Theoriezirkeln wie der Nouvelle Droite um eine Revitalisierung antiegalitärer, rechtsextremer Ideen im Zusammenhang mit den bereits genannten Faktoren zu einer nachhaltigen Stärkung des Rechtsextremismus führen. Es liegt im elementaren Interesse der demokratischen Verfassungsstaaten Europas, diesen Gefahren mit der nötigen Besonnenheit, aber auch Entschiedenheit entgegenzuwirken.
Unterschiede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen europäischen Demokratien im Hinblick auf die Stärke des linksextremistischen Potentials sind nicht zu übersehen. Jedenfalls ist die DKP die „in allgemeinen Wahlen erfolgloseste KP Westeuropas“ Die Besonderheit der deutschen Situation dürfte sich prägend auswirken: Die DKP muß es sich gefallen lassen, mit dem SED-Regime im anderen Teil Deutschlands und damit auch mit Mauer, Stacheldraht und (abgemildertem) Schießbefehl in einem Atemzug genannt zu werden. Allerdings sagen die mageren Wahlergebnisse nicht alles aus. Erstens ist für die Beurteilung des Extremismus der Erfolg bei Wahlen nur ein Indikator neben anderen, wie etwa der teilweise beträchtliche Einfluß marxistisch-leninistischer Denkmuster in Teilen der westdeutschen Öffentlichkeit belegt; zweitens gibt es in den Ländern, in denen die Wahlerfolge von Kommunisten weit höher als in der Bundesrepublik liegen, eine Reihe von Mechanismen zur Eindämmung oder zur Neutralisierung kommunistischen Einflusses.
Was bedeutet heute noch das Wort vom „Eurokommunismus“? Der Begriff wird hier nicht in der üblichen Konnotation verstanden, sondern in dem Sinne der Homogenität und eines einheitlichen Vorgehens kommunistischer Parteien in europäischen Demokratien. Für Kellmann firmiert Italien wegen des beträchtlichen Einflusses der Kommunisten als „der große Sonderfall“; an einer anderen Stelle spricht er aufgrund der langjährigen Regierungsbeteiligung vom „finnischen und isländischen Sonderfall“ und natürlich gilt auch die Türkei als ein „Sonderfall“, wo die Kommunisten bekanntlich im Untergrund wirken müssen, sowie Griechenland, ist hier doch die moskauorientierte Variante stärker als die eurokommunistische. Und erst recht trifft der „Sonderfall" auf die DKP zu: Die nach dem Ersten Weltkrieg hinsichtlich der Wählerschaft größte KP ist heute eine der kleinsten. Die noch weiter fortzusetzenden Beispiele zeigen nachdrücklich die Prägung des kommunistischen Erscheinungsbildes durch nationale Spezifika. Insofern gibt es „den“ Kommunismus in europäischen Demokratien gar nicht Die Liberalität westlicher Demokratien hat im Zusammenhang mit anderen Faktoren zu einer „Nationalisierung“ kommunistischer Parteien geführt. Ein Zusammenschluß von Parteien des „westlichen“ Europas existiert nicht. Der Kommunismus stellt in den europäischen Demokratien allein aufgrund seiner Heterogenität kein Modell für einen vielbeschworenen „dritten Weg“ dar Ob diese „Pluralität der Entwicklungswege zum Sozialismus (. . .) von den sowjetischen Reformern heute als positive Erscheinung und als Chance zu gegenseitigem Lernen und wechselseitiger inhaltlicher Bereicherung eingeschätzt“ wird, mag dahinstehen. Vielleicht gilt die Vielfalt bloß als unvermeidliches Faktum, das man hinnehmen muß.
Bedrohen linksextreme Bewegungen die europäischen Demokratien? Der Stimmenanteil für kommunistische Parteien ist in den achtziger Jahren zurückgegangen. In keinem Land besteht augenblicklich die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme durch Wahlen. Wie stark Kommunisten in eine Koalitionsregierung eingebunden werden können, zeigte das französische Beispiel Anfang der achtziger Jahre. Was die weiteren Perspektiven angeht, so dürfte vieles von der Entwicklung in der Sowjetunion abhängen. Es heißt, der Kommunismus in den westlichen Demokratien Europas werde eine „unablässig fortschreitende Befreiung vom ideologischen Führungsanspruch der Sowjetunion nach sich ziehen. Nun behauptet derselbe Autor aber gleichzeitig, es spreche viel für die „Emsthaf-tigkeit der umfassenden Gorbatschowschen Sy-semrevision" Ist das richtig, so wäre eine Annäherung zwischen den eurokommunistischen Parteien und der Sowjetunion unvermeidlich In der Tat gilt: Die Glaubwürdigkeit eurokommunistischer Parteien zeigt sich in der Absage an den sowjetischen Weg zum Sozialismus, wie umgekehrt die Glaubwürdigkeit der sowjetischen „Systemrevision“ sich am Verhältnis zu den KPen des Westens erweist. Zukünftig müßte die KPdSU in den Ländern, in denen zwei kommunistische Parteien existieren, eigentlich diejenige favorisieren, die den „sowjetischen Weg“ (im alten Sinne) verwirft. Bislang besteht hier noch beträchtlicher Revisionsbedarf — wie nicht zuletzt das spanische Beispiel zeigt.
Die Entstehung und Ausbreitung extremistischer Phänomene darf in demokratischen Verfassungsstaaten nicht nur — ja, nicht einmal in erster Linie — eine Frage administrativen Vorgehens sein. Der politische Extremismus ist auch ein Barometer für die Problemlösungsfähigkeit des demokratischen Systems. Schließlich sind es zumeist offenkundige gesellschaftliche Defizite, die extremistischen Bewegungen Auftrieb verschaffen. Der politische Extremismus sollte daher auch ein Anlaß sein, Verstopfungen und Verkalkungen in den Kanälen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung energisch entgegenzuwirken. Und wer die eine Variante des politischen Extremismus gegen die andere auszuspielen sucht, darf sich nicht wundern, wenn dadurch der politische Extremismus in toto eine Aufwertung erfährt. Von den Erfolgen der Rechtsextremisten profitieren nicht zuletzt die Linksextremisten. Vice versa gilt das ebenso. Der — wie immer zu gewichtende — Nachahmungs-und Aufschaukelungscffekt ist ein vernachlässigtes Phänomen, das einer gesonderten Untersuchung bedarf.