Wir leben in einer gespaltenen Zeit. Einerseits wird die Kritik an der westlichen Fortschrittsideologie immer lauter, andererseits schreitet der Siegeszug von rationaler Forschung und technischer Entwicklung unaufhaltsam und — man muß sagen (und befürchten) — mit Beschleunigung fort; die Kritik berührt dies nur am Rande. Der Mammut-Kongreß „Geist und Materie“ — 1988 in Hannover — wollte eine Gegenbewegung markieren, eine „Wende“ auch im Gefolge der „Politik der Wende“. Er stand, wie die Presse zu Recht zeigte, im Zeichen von New Age. Dokumentiert aber hat er das Gegenteil einer „Wende“, nämlich wie hohl und dialogfeindlich dasjenige tönt, was unter dem Banner einer kritischen Neubesinnung der Welt-Kultur versammelt war. Daß ein so humaner Philosoph wie Sir Arthur Popper ausgebuht wurde, spricht gegen die Seriosität des Kongresses.
Christof Schorsch zeigt zwar wie schwierig, aber auch wie notwendig es ist, sich mit diesem Phänomen zu befassen. Er selbst stand den Bemühungen von „New Age“ mit Sympathie gegenüber, wie seine früheren Arbeiten bezeugen, fand aber, wie er schreibt, zu einer „kritischen Neubewertung“
Unterschiedliche Prognosen hängen von dem Verständnis des mit New Age Benannten ab. Der Name mag vergehen. Doch das dahinterstehende Phänomen bleibt und wird aller Voraussicht nach die moderne Gesellschaft künftig begleiten: Menschen suchen eine bessere Welt über die Wissenschafts- und Fortschrittsideologie hinaus. Damit aber suchen sie von selbst schon nach Religiosität, nach Verankerung in etwas Größerem, im Absoluten, finden dies aber aus vielen Gründen nicht mehr in den klassischen Religionen des Abendlandes. Und so sucht man eine Religiosität, die nicht vorbelastet, weniger verbindlich (durch einen sprechenden, befehlenden Gott) ist als die des christlichen Gottes, eine Religiosität, die dem subjektiven Bedürfnis Genüge tut, ohne von den objektiven Bürden belastet zu sein, die mit einem transzendenten Gott verbunden zu sein scheinen. Wir bleiben beim Namen „New Age“, meinen aber diese Suche nach „Verankerung im Absoluten“ in unserer Zeit.
I. Eine neue Religiosität?
Schon im Aquarius-Song des Hippie-Musicals „Hair" von 1967 hat sich die religiöse Sehnsucht angekündigt: „Harmonie und Recht und Klarheit! /Sympathie und Licht und Wahrheit! /Niemand wird die Freiheit knebeln. /niemand mehr den Geist umnebeln. /Mystik wird uns Einsicht schenken, /und der Mensch lernt wieder denken /dank dem Wassermann, dem Wassermann.“ Alle prominenten New Age-Autoren (oder „transpersonalen Psychologen“ oder unter welchem Namen sie auch firmieren) sprechen von Mystik; gemeint ist damit die Erfahrung dieses Absoluten. So bemerkt z. B. Fritjof Capra: „Wie die Mystiker hatten es die Physiker jetzt mit einer nicht an die Sinneswahrnehmungen gebundenen Erfahrung der Wirklichkeit zu tun, und wie die Mystiker waren sie jetzt mit dem paradoxen Aspekten dieser Erfahrung konfrontiert.“ Er schildert sein Erlebnis von 1969, daß ihm auch erfahrungsmäßig zeigte, wie sehr Mystik und atom-physikalisches Weltbild konvergieren: „Ich . sah’ förmlich, wie aus dem Weltenraum Energie in Kaskaden herabkam und ihre Teilchen rhythmisch erzeugt und zerstört wurden. Ich *. sah die Atome der Elemente und die meines Körpers als Teil dieses kosmischen Energie-Tanzes; ich fühlte seinen Rhythmus und *. hörte seinen Klang, und in diesem Augenblick wußte ich, daß dies der. Tanz Shivas war, des Gottes der Tänzer, den die Hindus verehren.“
Das vergangene cartesianische Denken, das analysierend die Wirklichkeit in Einzelteile zerlegte, diese in immer differenzierterem Spezialistentum untersuchte und daraus die Synthese zu schaffen versuchte, habe abgewirtschaftet; jetzt sei ein neuer, organischer, ganzheitlicher Zugang zur Wirklichkeit gefordert, der mich und die Realität vereint — so, wie es die Mystiker intuitiv immer schon realisierten (Capra meint die hinduistische Vedanta-Mystik). Seine Kollegen mit kaum einer Ausnahme haben allerdings nichts für diese Spekulationen übrig. Hans-Peter Dürr meint: Die Naturwissenschaft begreife immer häufiger einen stets geringeren Ausschnitt der Wirklichkeit und beschreibe ihn überdies aus einer anthropologischen Projektion heraus.
CaprasFreund, der Psychiater Stanislav Grof, sucht den Zugang zu dieser „mystischen“ Einheit über das eigene Bewußtsein; er möchte zeigen, daß sich die archetypische Welt Carl Gustav Jungs in der Meditation zur „transpersonalen Psychologie“ erweitere, also zu einer Erfahrung, in der alle Menschen, alle Träume, alle Religionen, alle Mythologien, Sagen und Märchen eins sind; eine Erfahrung, die sich beim Geburtsvorgang (perinatal) im Menschen festige. So kann er in „Das Abenteuer der Selbstentdeckung“ schreiben: „Die etablierten Religionen vertreten in der Regel eine Vorstellung von Gott, wonach das Göttliche eine Kraft ist, die sich außerhalb des Menschen befindet und zu der man nur durch die Vermittlung der Kirche und der Priesterschaft Zugang gewinnen kann. Ein bevorzugter Ort für einen solchen Vorgang ist das Gotteshaus. Im Gegensatz dazu erkennt die Spiritualität, die sich im Prozeß einer tiefgehenden Selbsterforschung offenbart, Gott als das Göttliche im Menschen. Mit Hilfe verschiedener Techniken, die den unmittelbaren erlebnishaften Zugang zu transpersonalen Wirklichkeiten vermitteln, entdeckt man seine eigene Göttlichkeit. Bei spirituellen Übungen solcher Art sind es der Körper und die Natur, die die Funktion des Gotteshauses übernehmen.“
Aldous Huxley, einer der Väter von New Age und weitaus profunder als der Chor der heutigen New Age-Anhänger, hat in seiner Anthologie dieser allen Religionen zugrundeliegenden „Religiosität“ das Wort gegeben: „Der göttliche Grund von allem Existierenden ist ein spirituelles Absolutes, das mit Begriffen und diskursivem Denken nicht zu fassen ist, aber unter gewissen Umständen von einem menschlichen Wesen direkt erfahren und realisiert werden kann, dieses Absolute ist der Gott jenseits-aller-Form-und-Gestalt, , God-without-form‘, nach hinduistischer und christlicher Sprechweise. Das letzte Ziel des Menschen und der tiefste Grund seiner Existenz ist die Erkenntnis der Einheit mit diesem göttlichen Grund, ein Erkennen, das nur denen gewährt wird, die bereit sind, . sich selbst zu s*terben und so — wie es billig ist — Gott Raum zu geben.“
Es ist ein religiöses Weltbild, in dessen göttlichem Tiefengrund die Einheit der Wirklichkeit lebe, die „geistige“ Innenseite einer einzigen Wirklichkeit, die wir meist nur in ihrer „materiellen“ Zerstreutheit zur Kenntnis nehmen. Auf dieser „mystischen“ Basis kann Hans Dieter Leuenberger Verständnis für die Praktiken der Esoterik entwickeln: „Alles, was im Universum ist, (ist) letztlich Energie . . . Nur — der Mensch kann mit reiner Energie nicht umgehen. Er muß diese Energie in Bilder fassen, erst dann kann er diese Energie verwenden . . . Die verschiedenen esoterischen Wissensgebiete . . . Astrologie, Tarot, Kabbala und viele andere. . . . lehren im Grunde dieses einzige und gleichzeitig einzigartige Weltgesetz, wenn auch mit verschiedenen Bildern .... daß es ein universales Gesetz gibt, das die Welt im Innersten zusammenhält . . . und daß. wer dieses Weltgesetz kennt. . . . imstande ist, sein Leben nach diesem übergeordneten Gesetz auszurichten und damit die kosmischen Kräfte in sein ganz persönliches Leben zu integrieren und so in Übereinstimmung mit dem Kosmos zu leben.“
Esoterik hat also in Bildern, Riten. Gegenständen die Weltformel im Griff — auch Albert Einstein fand mit E = mc 2 nur ein mathematisches „Bild“ für diese Energie — und weiß damit umzugehen. Und die Religionen bieten in ihrem Monotheismus, Pantheismus oder Schamanismus, in Sakrament und Ritus, in Institution und Gebet auch nur „Formeln“ an, um mit der Urenergie der Welt in rechter Weise umzugehen.
II. Eine neue Mystik?
Für die Kreise des New Age ist es selbstverständlich, daß alle Religionen in der „Mystik“ ihre Einheit finden. Man könne dies ja schon in einer Tiefenmeditation selbst erfahren: Dort verlören die konfessionellen und „religiösen“ Einschränkungen ihren Absolutheitscharakter, dort breche eine Tiefe auf, die nicht mehr in Worten, Dogmen oder Riten zu fassen ist. Hier liegt auch der Grund, warum man immer mehr den Namen „Spiritualität“ dem Wort „Religion“ vorzieht; denn mit „Religion“ verbinde sich Dogmatismus. Institution. Moralismus usw., während „Spiritualität“ die freie Luft des Jenseits gegenüber aller historischen Religion atme.
Viele meditative Ansätze haben eine innere Affinität zu dieser These einer „mystischen“ Überreligion. Einer der bekanntesten Zen-Lehrer nennt es „Größtökumene“: „Sprach ich früher von Mystik, so ordnete ich sie immer nach ihrem religiösen Herkunftsland. Das will ich nun sein lassen und bekenne mich bedingungslos zu einer interkonfessionellen Mystik, zu einer Mystik an sich!“
Es ist dies ein Traum vieler ernstzunehmender Sucher. Inayat Kahn (t 1927) gründete deshalb seine Sufi-Society; die Bahai-Bewegung von Mirza Ali Muhammed ist unter diesen Vorzeichen ins Leben gerufen worden; der Neo-Hinduismus von Ramakrishna bis Aurobindo hat diese Vision, die Radhakrishna, eine zeitlang Präsident des neuen Indiens, ausdrücklich als eine Einheitsreligion darstellte. Fritjof Schuon hat es in vielen Schriften propagiert. „Es verhält sich damit wie mit einem Prisma, in welches ein einziger weißer Lichtstrahl einfällt (das eine Göttliche der Mystik) und in den Facetten des Glases mannigfach gebrochen wird (die vielen Religionen).“
Diese Sicht einer Einheits-Religiosität oder -Mystik jenseits aller historischen Religion hat eine lange Tradition. Im deutschen Sprachraum ist hier vor allem die Drei-Ringe-Parabel aus Nathan der Weise zu nennen: Alle Ringe (Religionen) sind sich gleich! Wer sich allerdings in die Augenblicksliteratur vertieft, muß erschrecken über die eindimensionale Naivität, mit der auf dem breiten Feld der esoterischen Literatur und auch in den New Age-Büchern eine Einheits-Mystik verkündet wird Doch auch in vielen christlich-katholischen Meditations-Kreisen wird dieses Thema einer „EinheitsMystik“ mit so wenig Seriosität angegangen, daß man versteht, wie kurz der Weg von dort zu New Age ist.
Der Benediktiner David Steindl-Rast schlägt auch bewußt eine Brücke dorthin: „Unsere mystische Erfahrung ist der Punkt, an dem wir alle eins sind. Und gleichzeitig der Maßstab dafür, was wirklich ist.“ Eugene O’Neill schildert sie folgendermaßen: „Ich war (während einer Bootsfahrt) wie trunken von all der Schönheit und dem singenden Rhythmus des Ganzen. Für einen kurzen Augenblick verlor ich mich selbst — wirklich, ich verlor mein Leben. Ich war befreit, war frei! Ich löste mich auf in Meer, wurde weißes Segel und fliegende Gischt, wurde Schönheit und Rhythmus, Mondlicht und das Schiff und der hohe mit Sternen übersäte, verschwimmende Himmel. Ich gehörte, ohne Gegenwart und ohne Zukunft, mit hinein in den Frieden und die Einheit und in eine wilde Freude, in etwas, das größer war als mein Leben selbst! Zu Gott, wenn du willst . . . Und dann noch ein paar-mal sonst in meinem Leben, wenn ich weit ins Meer hinaus geschwommen war oder allein an einem Strand lag, habe ich dasselbe Erlebnis gehabt. Ich wurde die Sonne, wurde der heiße Sand, der grüne Seetang am Fels verankert, auf-und abschwingend mit Ebbe und Flut. Wie die Vision eines Heiligen vom Glück kam es über mich. Wie wenn eine unsichtbare Hand den Schleier weggezogen hätte von den Dingen. Für eine Sekunde sieht man -und wenn man das Geheimnis erkennt, ist man selbst das Geheimnis. Für einen Moment ist Sinn!“
Religionen, so führte er aus. sind nur Auto-Straßen, die zur Mystik hinführen, die vermitteln sollen: „Wie gelangen wir . . . von der einen großen Religion zu den vielen Religionen? . . . Als erstes stürzt sich Ihr Intellekt auf Ihre Erfahrung und beginnt zu interpretieren . . . Wir entfernen uns immer mehr von der ursprünglichen Erfahrung ... So wie Ihr Intellekt wirkt auch Ihr Wille irgendwie aufjede Erfahrung ein . . . Der Bereich, in dem die Furchtsamkeit gegen die Hingabe an das grenzenlose Verbundenheitsgefühl ankämpft, ist die Arena der Moral ... So wie der Intellekt die Erfahrung interpretiert und der Wille die Hingabe an sie zuläßt. so zelebrieren Ihre Emotionen, Ihre Gefühle diese Erfahrung, und an diesem Punkt entsteht das Ritual . . . Verschiedene Zeitpunkte und verschiedene Orte (haben) unterschiedliche Bedingungen für das Interpretieren. Anwenden und Zelebrieren der mystischen Erfahrung geschaffen . . . Dies führt zur Vielfalt der Religionen auf dieser Welt. Alle aber entspringen der einen Saat, und alle reifen demselben Ziel entgegen.“
Östliche Religionen wie Hinduismus und Buddhismus sind die großen Paradigmata, in denen man vor New Age schon New Age-Gedanken gedacht haben soll, und stehen deshalb hoch im Kurs. Sie gelten als Erfahrungs-, als mystische Religionen, die aus dem „Inneren“ (eso-terisch = innen) des Menschen aufsteigen, während in den westlichen „Abraham" -Religionen (Judentum, Islam. Christentum) ein Offenbarungsträger die Wahrheit von außen (exo-terisch) an den Menschen heranträgt. Aus christlichem Raum werden auch Mystiker wie Meister Eckhart, Jakob Böhme und besonders ein Mann unseres Jahrhunderts, Teilhard de Chardin, als Vorläufer dieser esoterischen Religiosität gepriesen. Sie sollen — wie die östlichen Religionen — schon vor New Age von einer organischen Einheit des Alls geträumt und sie auch mystisch erlebt haben. Inden letzten Jahren wurde auch der Sufismus, die arabisch-persische Mystik der Muslims, hinzugerechnet; und in ständig wachsender Begeisterung will man in der ur-indianischen Kultur diese Einheit von Mensch und Natur finden, diese Einheit von Erleben und Leben, diesen Frieden mit sich selbst, mit der menschlichen und vormenschlichen Umgebung und mit dem Göttlichen, wonach sich heute so viele Menschen sehnen.
Zur Sache allerdings ist zu sagen, daß dasjenige, was in den meisten Angeboten von indischer Über-lieferung, sufitischer Mystik oder indianischer Kultur angeboten wird, nur Verkürzung und Zerrbild derwirklichen Religiosität dieser fremden Kulturen ist. (Auf anderer Ebene gilt dies auch für die östlichen Religionen.) Man kann es schon daran erkennen, daß die Standardwerke (z. B. Annemarie Schimmel über sufitische Mystik. Mircea Eliade über Schamanismus. Gershom Scholem über kabbalistische Mystik) in diesen Populär-Veröffentlichungen und -Vorstellungen verschwiegen werden.
Deutlicher werden die Fehldeutungen dort, wo man sich auf die Mystiker der eigenen abendländischen Geschichte beruft. Was als Meister Eckhart in den esoterischen Kreisen zitiert wird, hat mit der großen Gestalt des Mittelalters, so wie er der heutigen Forschung sich darbietet, kaum noch etwas zu tun, eher mit der faschistischen Eckhart-Deutung Alfred Rosenbergs. Bei Teilhard de Chardin, der in New Age-Kreisen geradezu der Standard-Autor ist, verschweigt man genau die beiden Säulen, die seiner Vision Kraft und Bestand geben: Die personale und absolute Wirklichkeit Jesu Christi, in der als „Punkt Omega“ die geschaffene Wirklichkeit gipfele, und das Gesetz der „Liebe“ (nicht Bewußtseinserweiterung oder ähnlich), das Einheit konstituiert und zugleich die Individualität der Einzelnen bewahrt. Teilhard beschreibt diese Einheit der Liebe als „Zentration durch Exzentration": „Einheit personalisiert“. Er hat sich — was in New Age-und Meditations-Kreisen nicht beachtet wird — ausdrücklich und mit guter Kenntnis für die personale abendländische Mystik in Absetzung von der östlichen Verschmelzungsmystik bekannt.
III. Gültige Anliegen
Viele berechtigte Anliegen bringt die Neue Religiosität vor, aber öft durchmischt mit phantastischen oder gar gefährlichen Ansätzen: 1. Organisches Denken Ein eher methodisches Anliegen wird mit dem Modewort der „Vernetzung“ benannt. In New Age-Kreisen meint man damit einen kulturell-wissenschaftlichen Denk-Umschwung, der mit dem wissenschaftstheoretischen Paradigmenwechsel Thomas Kuhns oder mit dem esoterischen Aufbruch vom Fisch-zum Wassermann-Zeitalter belegt wird. Der Biologe Robert Sheldrake gibt mit seiner Hypothese der „morphogenetischen Felder“ ein plastisches und diskutierfähiges Beispiel für dieses „Denken“. Mit George Trevelyan oder gar Jim E. Lovelock wird es aufgebläht zum Mythos der Weltseele: Als seien die Erde oder der ganze Kosmos ein lebendiges Wesen, dessen Außenseite wir normalerweise im quantifizierten und kausalen Nebeneinander erkennen, dessen innere Seele, die „Gaia“, eine lebendige Einheit, eben das göttliche sei. Mit Capras „Wendezeit“ zum Wassermannzeitalter wechsele das alte Paradigma zum neuen.
Doch sicherlich gibt dieses organische oder „vernetzte“ Weltbild einen Anstoß zur Selbstbesinnung. Ähnlich wie man auch in der Medizin immer mehr entdeckt, daß man den Menschen in seiner organischen Einheit sehen und behandeln muß, erkennt man auch, daß in der Natur die Phänomene Zusammenhängen, daß man durch einen winzigen Eingriff ein ganzes „Biotop“ zerstören kann, daß das vieldiskutierte Ozonloch aus einer riesigen Summe winziger Ursächlichkeiten entstanden ist und mit dem Größerwerden klimatisch umstürzende Folgen haben wird.
Es ist wichtig, dieses organische Denken einer in sich vernetzten Wirklichkeit ernst zu nehmen: Die Wissenschaft ist aber schon längst auf den Spuren eines solchen organischen Denkens. Bei genauerem Hinsehen wird man sogar bei den von New Age gebrandmarkten Vertretern des alten, quantifizierenden und kausalen Paradigmas viel von diesem neuen „Net-work“ -Denken finden können. Was Schorsch als „gefährlich“ analysiert, ist die eigentliche Anfrage: In New Age wird nämlich ein Mythos zur Wissenschaft erhoben, die Nüchternheit des „klassischen Wissenschaftsideals“ wird verachtet und munter drauflos fabuliert und spekuliert. Damit fällt man nach Schorsch in überwundene Denkformen zurück: „der dezidierte Anti-Positivismus (des organischen New Age-Denkens) schlägt dergestalt um zur positivistischen Legitimation des Faktischen und zur neuparadigmatischen Imagepflege.“ Damit aber werden die letzten Dinge schlimmer als die ersten. Schorsch beendet sein Buch mit der Diagnose „Verrat": „In einer unheilen Gesellschaft und Welt (ist) die behauptete Erfüllung (das New Age) Surrogat der wirklichen Erfüllung und damit Verrat an der Verwirklichung des Menschenmöglichen.“ 2. ökologisches Bewußtsein Von zwei Seiten her ist die Menschheit bedroht: vom plötzlichen Tod durch die Atomkatastrophe und vom langsamen Tod der sterbenden Natur. In der Sorge um die Zukunft müssen alle mit New Age einig sein. Die Frage ist das „Wie“ des Vorgehens. Wie die Zukunft meistem? Ob man das mit einer pauschalen Desavouierung der heutigen Naturwissenschaft, des „cartesianischen Denkens“ kann?
Oder muß nicht — an einem Beispiel aus dem Umkreis von New Age erläutert — jede alternative Medizin, jede Homöopathie, Akupunktur usw., sich messen an der klassischen Medizin, an der Allopathie? Welchen Segen hat die klassische Medizin doch den Menschen gebracht! Daß wir heute ihre Lücken klarer sehen als je zuvor, darf doch nicht daran hindern, sie als einen Segen der Menschheit zu bejahen. Die sogenannte „alternative Medizin“ (Reflexzonenmassage aus China, Heilkräuter nach Hildegard von Bingen, Atem-Therapien in Verbindung mit Yoga usw.) kundschaftet neue Gebiete aus, desavouiert aber, wo sie ernsthaft bleibt, nicht die alten; im Gegenteil: Ihre Neuansätze sind an dem bewährten Alten zu messen.
Wo man letztere oder das „cartesianische Denken“ oder die quantitativen Methoden der Wissenschaft einfach über Bord wirft, um dem Neuen, dem holistischen Denken und der organologischen Wissenschaft, der Homöopathie und den alternativen HeilMethoden der Urreligionen Platz zu machen, werden, wie gesagt, die letzten Dinge ärger sein als die ersten. Eine Hildegard von Bingen, deren Name eine Anzahl von Werken über alternative Medizin schmückt, war im Wissenschaftsdenken ihrer Zeit zuhause und paßt nicht auf das Banner des Umsturzes. 3. Feminismus Der Feminismus greift zweifelsohne eines der großen Anliegen unserer Zeit auf. Capra betont zu Recht, daß der so notwendige „sanfte“ Umgang mit der Wirklichkeit mit der Neuentdeckung und Höherbewertung des Fraulichen zusammenhängt. Beide Zugänge zu feministischen Fragestellungen haben in New Age ihre Berechtigung: der politisehe, d. h. Gleichberechtigung nicht nur legalistisch, sondern auch gesellschaftlich und wirtschaftlich; aber besonders der mythische mit Stichworten wie Matriarchat, Göttinnenkult und Naturverehrung. Der ökologische Ansatz wird in dieser mythischen Sicht vielfach zur Religion: Wie das Kind in den Mutterschoß, so soll sich der Mensch in die Ganzheit des Lebensstromes einfügen und sich von Mutter Natur gebären lassen. J. E. Lovelocks Gaia-Theorie (Erdmutter-Erdseele) gehört in diesen Argumentationszusammenhang. Hier beginnt auch die kritische Nachfrage. Was zum ökologischen Ansatz gesagt wurde, muß nochmals wiederholt werden: Die ganzheitlichen, organologischen Hypothesen müssen sich messen an nüchterner und quantitativer Forschung (das „Weibliche“ muß mit dem „Männlichen“ zusammengehen). Susanne Heine hat auf die „geistlose“ Methodik und mythische Blindheit vieler Feministinnen hingewiesen dabei aber selbst eine durchaus feministische Grund-these verteidigt. 4. Friede Der Friede als Anliegen, in dem sich das „sanfte“ Wassermannzeitalter mit der Sehnsucht aller Menschen trifft, muß nicht eigens herausgestellt werden. Doch auch hier ist zuerst zu erinnern, daß „Friede“ einen mühsamen Weg bedeutet. Theodor W. Adornos Wort von den schlimmsten Dingen, die gerade mit gutem Gewissen getan werden, soll zwar nicht entmutigen, muß aber zur Wachsamkeit mahnen: Wie leicht ist es, über Frieden zu räsonieren und zu debattieren; wie schwer aber kann der Schritt zum konkreten Realismus des Friedens werden.
Christlich muß hinzugefügt werden, daß der ganze Friede immer ein Geschenk sein wird. Es ist eine religiöse Wahrheit, die anthropologisch zu verifizieren ist: Das heißt, nur freiwillige Liebe ist wirklich Liebe; erzwungene ist Vergewaltigung und erkaufte Prostitution. Vielleicht wollen wir heute allzu geschäftlerisch „Frieden“ machen, statt uns auch für das Geschenk des Friedens zu öffnen, und so treffen wir nichts als Abwehrmaßnahmen gegen den Un-frieden. Doch dies ist schon sehr viel.
Und hier steht wiederum das nüchterne Hinterfragen der euphorischen Friedenssehnsucht bei New Age. Wenn der mühsame Weg der Friedenssuche von Verträgen, von Abrüstungsgesprächen, von kulturellem und wirtschaftlichem Austausch, von abtastender Begegnung zu schnell übersprungen wird, werden die letzten Dinge schlimmer als die ersten. Das Ziel des „positiven“ Friedens, des Abbaus aller Schranken und Hindernisse kann nur Schritt für Schritt erreicht werden oder bleibt sogar stets anspornende „Utopie“ (Emst Bloch), aber gerade deshalb den Menschen als ein ständiger Anspruch und Auftrag aufgegeben. 5. Spiritualität Spiritualität ist das Anliegen, das diese Überlegungen am meisten angeht und weiter unten noch ausdrücklich gemacht werden muß. Hier wird der Dialog des Christentums mit New Age interessant. Die Frage lautet: Was verlangt die heutige Zeit primär von der christlichen Verkündigung? Stellungnahme zum Atheismus und Marxismus? Warnung vor dem Bösen und Ermahnung zum Guten? Oder nicht vielleicht doch ein zeitnahes Bemühen um „Spiritualität“, also um die Wirklichkeit Gottes und der Menschen, die erst hinter den kruden Fakten der Wissenschaft, hinter dem kausal-logischen Begreifen und technischen Beherrschen zu Hause ist?
Die Geschichte der christlichen Spiritualität beweist auf jeden Fall, daß die Hinwendung zur Mystik. zur Spiritualität keine Flucht vor den Anliegen dieser Welt, sondern ein noch engagierteres Aufgreifen ihrer Nöte bedeutete. Was ein Benedikt oder ein Franziskus der Menschheit — kulturell und auch leiblich — brachten, läßt sich kaum ermessen. Sie aber wandten sich engagiert dem „Spirituellen“ zu, schienen zwar in einem ersten Ansatz die Anliegen der Zeit zu fliehen, wurden aber deshalb wirksam für die Menschen. Ob uns nicht Jesu Satz vom „Reich Gottes“, das wir zuerst suchen sollen und „alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (Bergpredigt), auf die zentrale Rolle des Spirituellen hinweisen will, die von New Age so stark (und so einseitig) betont wird?
IV. New Age heute
Wird New Age sterben oder wird der Name vergehen, aber die Sache und das Anliegen bleiben weiter wirksam? Capra hat recht deutlich eine Epoche nach New Age und über New Age hinaus angekündigt. Beobachter der Szene wie die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen stellen fest, daß New Age als ein „grandioses“ System der Weltdeutung seine Publizität der letzten Jahre zwar verloren hat, daß aber gleiche oder ähnliche Mentalitäten zurückkommen oder gar im Wachsen begriffen sind. 1. Im Windschatten des nicht aufhörenden Psychobooms Autoren wie Ken Wilber, der einstmals als Systematiker des New Age gepriesen wurde, bekennen sich tatsächlich immer weniger zu „New Age“, sondern nennen sich „transpersonale Psychologen“. Damit aber weist die Entwicklung noch deutlicher in eine Richtung, die dem mystischen Anliegen entspricht: „Cognitio emperimentalis de Deo“, wie es schon von Thomas von Aquin gelehrt wurde; „Erfahrungswissen von Gott, vom Absoluten, vom Sinn des Lebens, vom Ganzen, usw.“, wie man es heute formulieren könnte.
Immer sind „Selbstwerden" und „Erfahrung“ verknüpft. Wie nahe dies dem Religiös-Mystischen kommt (und für eine große Anzahl der Therapie-Süchtigen diesem gleich ist), kann der Begriff «Transformation“ zeigen. „Dieser Bewußtseinswandel, den ich propagiere, ist keine Revolution, sondern eine innere Transformation, die sich in jedem Menschen wie auch im Rahmen der Gesamt-gesellschaftvollzieht,“ schrieb Capra. Marilyn Ferguson hat eine dementsprechende Stufenleiter in ein neues spirituelles Zeitalter hinein aufgebaut: „Die Erfahrung beim Einstieg deutet eine lichtere, reichere und sinnvollere Dimension des Lebens an . . . Nachdem der einzelne spürt, daß es etwas Wertvolleres zu finden gilt, beginnt er mit Vorsicht oder Enthusiasmus danach zu suchen . . . Auf der Stufe der Erforschung sah der einzelne, daß Methoden zur Herbeiführung dieses anderen Wissens vorhanden sind.“ Und dann folgt die Stufe der Einübung und des Erfahrens, eine Stufe, die wiederum zum Höheren weist: „Wenn das individuelle Bewußtsein heilen und transformieren kann, warum sollte es dann nicht möglich sein, daß sich das Bewußtsein vieler Menschen verbindet, um die Gesellschaft zu heilen und zu transformieren.“ Und so wächst eine neue Menschheit aus der Bewußtseinsschule der einzelnen heraus. „In einer Wendezeit, wie wir sie erleben, bildet die Erkenntnis, daß evolutionäre Wandlungen solcher Größenordnung durch kurzfristige politische Aktivität nicht verhindert werden können, unsere stärkste Hoffnung für die Zukunft.“
Diese Botschaft also lautet: So wie du durch Bewußtseinswandel auch deine menschliche Ganzheit verwandelst, wird auch die Menschheit sich zum Besseren wandeln, sobald nur eine genügende Anzahl aus ihr (Maharishi Mahesh Yogi sprach von einem Prozent) sich wandelt, das meint ein „Tiefenbewußtsein", also den Kontakt mit dem transpersonalen „Selbst“ gewinnt. Shri Aurobindo. Jean Gebser oder P. Enomyia-Lassalle haben Ähnliches verkündet: Nicht der politische Einsatz oder die karitativ-soziale Tätigkeit, sondern der Bewußtseinswandel im einzelnen Menschen wird die bessere Zukunft herbeiführen. Und dazu wollen die oben erwähnten Selbstfindungstherapien anleiten. Psychologische Gesundung, religiöse Vertiefung und futurologische oder gar eschatologische Heilserwartung sind eng verbunden.
Zweierlei ist dabei festzuhalten: In manchen Therapiezehtren lebt tatsächlich etwas von diesem weiten Atem eines persönlichen Bewußtseinswandels als Mosaik-Stein, als Nerv für den Bewußtseinswandel der Menschheit und des Kosmos zur heilen Welt. Doch das meiste bleibt in der Selbstfindung und in der persönlichen Bewußtseinserweiterung stecken, also in dem Psychoboom, der schon seit Jahrzehnten ein Indikator für das Hilfloswerden der klassischen Religionen ist.
Das doppelte Anliegen, das diesen Psychoboom oder dessen Ausweiten zu einer weltweiten „Transformation“ bestimmt, gehört in den Bereich der klassischen christlichen Mystik: „Heil-GesundWerden“ und „Erfahren“. Und hier läßt sich wohl auch ein Unterschied zwischen dem Vor-und dem Nach-New Age-Psychoboom feststellen: Der religiöse.der ganzheitliche Aspekt der psychologischen „Heilung“ ist stärker geworden; anders ausgedrückt: die Grenzen zwischen Psychologie und Religion, zwischen Selbst-Erfahrung und Gotteserfahrung scheinen sich immer mehr zu verwischen. Diese Entwicklung ist wohl wichtiger als die andere, daß nämlich die Methoden vielfältiger und ganzheitlicher geworden sind. 2. Gruppenbildung um Meditationszentren, Workshops, Orte, Methoden, Lehrer, Meister So etwa kann man die andere Entwicklung für New Age nach New Age umschreiben. Auch hierzu sind die Belege leicht zu erbringen. Man muß nuf das Angebot von Therapie-Kursen u. ä. in den „Esotera“, der Monatszeitschrift des führenden esoterischen „Bauer“ -Verlags, durchblättern. Buntgemischt ist dabei Fernöstliches, Therapeutisches. Ganzheitliches. Christliches, Esoterisches, Absurdes und Wertvolles.
Es hilft nichts, dagegen nun den moralisch-christlichen Zeigefinger zu erheben. Es ist wichtiger, dazu erst einmal das Bedürfnis des Menschen — eines jeden, auch des Christen — nach Erfahrungs-Gruppen festzustellen, unddann das ehrliche Bekenntnis abzulegen, daß hier das eigentlich christliche Angebot ins Hintertreffen geraten, in die „Zweitliga“ abgestiegen ist, wie neulich ein engagierter und fußballbegeisterter katholischer Pfarrer erklärte.
Allzu leicht bleibt der kritisch-unterscheidende Blick an dem hängen, was man früher einmal Jugend-Sekten“ genannt hat, also aggressive, autoritäre und bis zum Kriminellen hin manipulierende Gruppen mit meist fernöstlichem Flair. Doch selbst die Shri-Rainesh-Bhagwan-Gruppierung hat sich längst gewandelt. Erika Lorenz hat gezeigt, wie fruchtbar (und voll-christlich!) der Weg über die transzendentale Meditation und die Freundschaft mit Maharishi-Mahesh-Yogi sein kann
Der Blick in die Zeitschrift „Esotera“ möge die heutige Situation veranschaulichen: Ein Musiker, Mathias Grassow, macht den Anfang mit dem Angebot, über die „vielen kleinen Leidenschaften“ den eigenen „Weg zur Kreativität“ zu finden. Unter den „Tatsachen, die das Weltbild wandeln“, finden sich Notizen über Gruppenbildung zu „alternativen Heilweisen und Bewußtseinserweiterung“ in Jugoslawien, Sowjetunion (Ayur-Veda), Ghana; über Indianer-Spiritualität oder Kunst und Musik; über den „sanften Tourismus“, Sommercamps, eine „transpersonale Gebirgstour“; über „magische und heilige Stätten im Elsaß“; Friedenstänze; über ein Zentrum von Sri Chinmoy usw. Hauptaufsätze berichten über „Bewußt das Leben spielen“, „körperbewußtes Meditieren“, schamanistische Gruppen in Deutschland um „Großvater Feuer“, einen deutschen „Zen-Meister“ („Zazen“ als „der Archetyp der totalen Einheit des Menschen mit dem Kosmos, der Urgrund aller Religion“), „Tuschspuren der Seele“, Kräutersammler aus Nordafrika, „Aromatherapie“, das Mitschwingen des Menschen im „harmonikalen Verhältnis im Kosmos“, Schüler-Workshops („Jedes Kind sein eigener Lehrer“). Die Buch-und Musik-Besprechungen greifen das auf, und der Veranstaltungskalender zeigt die Fülle der entsprechenden Angebote; z. B. eine aus Dänemark: „Massage und Meditation am Meer, Vertiefe Dich in Deiner Freude. Lust und Liebe zum Leben durch Arbeit an Körper und Geist.“ Berichte aus dem Gebiet einer eng-umschriebenen Esoterik wie „Feuerkugeln . . . aus dem Nichts“ fallen dagegen kaum ins Gewicht, und das mit Jugendsekten“ Angezielte fehlt völlig
Aber all das durchzieht ein „religiöser“ Ton: „Das Wichtigste aller Ziele ist die Konfrontation mit dem göttlichen Selbst . . . Durch die Gnade des höheren Selbst kann Kindern beigebracht werden, . Wissen'aus dem höheren Selbst zu gewinnen und dieses Wissen vom eigenen Standort der Freude und Erleuchtung aus anzuwenden ... Es ist ganz, ganz wichtig zu verstehen, daß das einzige, was zählt, die Qualität des eigenen Lebens ist.“
New Age ist eine Weltanschauung. Deshalb muß die Auseinandersetzung mit dieser Mentalität auch im weltanschaulichen Bereich geführt werden. Man kann es noch deutlicher aussprechen: New Age bringt eine Seite des Weltanschaulich-Religiösen zum Bewußtsein, die lange vergessen war, und zwar die „mystische“ Seite. Hierauf einzugehen ist zur Urteilsbildung unerläßlich.
V. Christliche Vision
Das Christentum steht auf zwei Säulen: Auf der Botschaft Jesu — und der Mentalität der Zeit, in der diese gehört werden soll. Das mit New Age Umschriebene macht einen Zug unserer heutigen und — davon bin ich überzeugt — der zukünftigen Zeit sichtbar.
Eine Zeitlang hat das Christentum in der modernen Wissenschaft seinen Gesprächspartner gesehen. Heute ist deutlich, daß Glaube und Wissenschaft zwar Berührungsstellen haben, aber zuerst einmal -wie die Elite der Naturwissenschaft es vertritt — auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Die Stimmen zu den politisch-sozialen Anliegen der Zeit bleiben wichtige Gesprächspartner, wie auch das Gebot der Nächstenliebe im Zentrum des Christentums steht. Aber wo der Blick allein hier hängen bleibt, endet das Gespräch in einer Sackgasse. Bei Jesus wurzelt die Sorge um den Mitmenschen in seiner Liebe zum Vater aller Menschen: „Suchet zuerst sein Reich; alles andere wird euch hinzugegeben werden.“ Wo diese Liebe zu Gott fehlt, verfällt der Mensch — so zeigt es die Geschichte — allzu schnell dem Titanismus, dem Gotteswahn, des Alles-Selbst-Könnens und -Müssens Gerade Christof Schorsch, als einer, der dem New Age-Denken ehemals sehr nahe stand, hat die Gefahr dieses Titanismus aufgezeigt. 1. Mystik als Einheitserfahrung: Kosmos oder Person? Unbewußt — zum Teil wohl auch bewußt — verlebendigen die Vertreter von New Age eine urchristliche Vision, einen Traum allen religiösen Suchens: Einheit. Biblisch grundgelegt in den spät-paulinisehen Schriften, im Johannes-Evangelium und aus dieser Sicht her in der Predigt Jesu, war und ist Einheit das Thema und die Erfahrung der Mystik. Doch zwei theoretische Konzeptionen von Einheit stehen sich gegenüber: Die eine läßt das Individu-elle. Persönliche eintauchen in das größere, unpersönliche Fließen eines Bewußtseins-oder Energie-Stroms. Die andere setzt auf die Erfahrung gegenseitiger personaler Liebe und weiß: Eine größere. 12 ontologisch grundlegendere Einheit kann es nicht geben als die der Hingabe zwischen Ich-und-Du; eine Einheit, die das Individuelle-Persönliche nicht auflöst, sondern letztlich erst konstituiert. Teilhard de Chardin nennt es (nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der unpersönlichen Einheitserfahrung): „Zentration durch Exzentration" Einheitserfahrung und Einswerden durch die Hingabe der Liebe.
Wie bereits angedeutet wurde, wurzelt die Sehnsucht nach der Einheit durch Liebeshingabe tief in allem religiösen Bemühen. So steigt auch aus der eher pantheistischen Grundstimmung des schönsten religiösen Gedichts, aus der Bhagavadgita des Hinduismus, an den Gipfel-Stellen immer wieder die personale Hinwendung zum göttlichen Sinn des Seins als einem „Du“ herauf. Und was bedeutet es für das Verständnis des Buddhismus, wenn man erfährt, daß in Japan, der Heimat des Zen-Buddhismus, der überwiegende Teil der Buddhisten dem Amida-Buddhismus anhängt, einer durch und durch dialogischen Haltung zum Göttlichen.
Doch rational und bekenntnishaft hört der Dialog hier auf. Als Grundlage muß die Erfahrung befragt werden: Worauf baust du dein Verhältnis zum Sein und dein Suchen nach Sinn auf? Auf einer Einheitssehnsucht, in der du versinken kannst wie im Mutterschoß, wie im weiten Meer, auf einer Harmonie mit dem Ganzen, wie man sie in einem ruhigen Alpensee schwimmend oder auf der Bergesspitze umherschauend erfahren durfte? Oder ist der Grund deines Zugangs zur Wirklichkeit, zur Existenz und zum Sein nicht doch das Vertrauen, das dir ein „Du“, ein „Jemand“ schenkt? Oft bleibt es eine Frage der Sehnsucht und des Suchens und nicht eine des Findens und der Gewißheit. Aber die Sehnsucht nach dieser Einheit des Vertrauens liegt in jedem Menschen; und ein jeder baut von ihr aus sein Verhältnis zur Welt und zu den Mitmenschen auf.
Martin Buber hat darüber reflektiert: „Aber die Mystik? Sie berichtet, wie Einheit ohne Zweiheit erlebt wird? ... Ich weiß nicht von einem allein, sondern von zweierlei Geschehnis, darin man keiner Zweiheit mehr gewahr wird. Die Mystik vermengt sie zuweilen in ihrer Rede . . . Das eine ist das Einswerden der Seele. Das ist nicht etwas, was sich zwischen dem Menschen und Gott, sondern etwas, was sich im Menschen ereignet . . . Das andre Geschehnis ist jene unausforschliche Art des Beziehungsakts selbst, darin man Zwei zu Eins werden wähnt.. . . Ich und Du versinken, die Menschheit, die eben noch der Gottheit gegenüberstand, geht in ihr auf. Verherrlichung, Vergottung, Alleinheit ist erschienen . . . Ich nehme die Menschen zum Gleichnis, die in der Leidenschaft des erfüllenden Eros so vom Wunder der Umschlingung verzückt werden, daß ihnen das Wissen um Ich und Du im Gefühl einer Einheit untergeht, die nicht besteht und nicht bestehen kann.
Was der Ekstatiker Einung nennt, das ist die verzückende Dynamik der Beziehung . . .. die sich vor deren einander unverrückbar gegenüberstehende Träger stellen und sie dem Gefühl des Verzückten verdecken kann . . . Dem jedoch will sich der Anspruch der anderen Versenkungslehre widersetzen, daß das Allwesen und das Selbstwesen dasselbe seien und also kein Dusagen eine letzte Wirklichkeit zu gewähren vermag . . .
Alle Versenkungslehre gründet in dem gigantischen Wahn des in sich zurückgebognen menschlichen Geistes: er geschehe im Menschen. In Wahrheit geschieht er vom Menschen aus — zwischen dem Menschen und dem. was er nicht ist.“ 2. Christliche Antwort auf New Age Ein radikaler Monotheismus — Gott, jenseits seiner Schöpfung als Jemand in absoluter Seins-und Macht-Vollkommenheit — läuft Gefahr, jede Art von Innerweltlichkeit Gottes in seiner Schöpfung zu verurteilen. Gottes absolute Jenseitigkeit wird nur voll verstanden, wenn zugleich auch seine Innerweltlichkeit in der Schöpfung und besonders im Herzen des Menschen sichtbar wird. Wie kann der Mensch diese Spannung erfahren? Der Jude Martin Buber spricht beim Nachsinnen über die Begegnung (sprich: Mystik) des Menschen mit Gott von Geist. Damit meint er die Begegnungs-und Beziehungs-Qualität. die überall dort in der Innerweltlichkeit aufbricht, wo Menschen mehr suchen, als im innerweltlichen Bereich abzugelten ist. Viele Namen, viele Theorien, viele Weltanschauungen gibt es für dieses „mehr“. Mit Martin Buber spricht das Christentum hier von dem jenseitigen Gott. Diese Beziehung ist für den Juden Buber wie für die christliche Erfahrung „Geist, d. h. ein Sich-Übersteigen auf Gott hin.
Wie selbstverständlich nimmt aber New Age die „mystische Erfahrung“ des Christentums (von Meister Eckhart bis Teilhard de Chardin) für sich in Anspruch und entspricht damit einem Suchen unserer Zeit. Dies sollte dem Christentum als Mahnung gelten, sich auf die eigene mystische Tradition neu zu besinnen. Dabei zeigt es sich, daß die Darstellung der christlichen Mystik im Rahmen des New Age-Denkens eine Verkürzung erfährt. Gerade der Bezug zum jenseitigen (transzendenten) personalen Gott, den New Age in seinen prominenten Vertretern negiert, verleiht der mystischen Erfahrung das Moment der „Verantwortung“. Die Konkretisierung der Mystik auf Christus hin gibt dieser Verantwortung ihre innerweltliche Konkretheit.
Die New Age-Protagonisten aber nehmen ihr Idealbild von Mystik aus der hinduistischen Tradition, besonders aus der weltverachtenden Vedanta, wie Capra und auch Ken Wilber zeigen. Doch der Neo-Hinduismus oder der Reform-Hinduismus mit den Führerpersönlichkeiten Vivekanandas oder auch Mahatma Gandhis gesteht, daß ihre „mystische“ Tradition die zu Welt-Verachtung und Jenseitigkeit führe, ergänzt und ausgeglichen werden müsse durch das „politische“ Element, das vom Christentum als Verantwortung und Nächstenliebe gelehrt werde. Der Blick in die Geschichte christlicher Mystik zeigt deutlich, daß in so gut wie allen großen Persönlichkeiten (Hildegard von Bingen, Franz von Assisi, Meister Eckhart, Teresa von Avila usw.) das „mystische“ Element der Hinwendung auf den jenseitigen Gott Hand in Hand ging mit verantwortlichem Engagement für die Anliegen dieser Welt. 3. Was bietet nun New Age?
Zwei Bereiche der „Erfahrung“ sind es. die New Age betont und die auf Defizite im Christentum aufmerksam machen: Identität und Geborgenheit. Identität meint das psychosomatische Bei-sich-selber-Sein, Sich-selber-Akzeptieren in seiner geistigen und leiblichen Realität und den Besitz dieser Akzeptanz als Erfahrungswert (und nicht nur als willentliche Bejahung). In der christlichen Mystik war die „Selbsterkenntnis“ und „Selbsterfahrung" stets ein Weg zur Beziehungserfahrung (was Martin Buber „Geist“ nennt) auf Gott hin. Geborgenheit meint das Zu-Hause-Sein in der konkreten Welt. Auch diese Erfahrung war für die christliche Mystik ein Weg zur Gotteserfahrung, wie z. B. Hildegard von Bingen in ihren Welt-Visionen zeigt, die sich auf Gott, als den Lenker der Welt und der Zeit hin öffnen, oder wie es Franz von Assisi in seiner Welt-freude lebte.
Aufgabe des Christentums im Gespräch mit *Ne Age wird es sein, die Erfahrungsdimension der Identität und des Geborgenseins stärker zu pflegen als bisher, wenn nicht sogar neu zu ergreifen, statt nur mit abstrakten Hinweisen auf den jenseitigen Gott und seine Erlösungsgnade zu bestehen.
Der Zukunftskonzeption von New Age wirft Christof Schorsch vor, daß sie ein unwirkliches Paradies projiziere. „Der Mythos von der Rückkehr zur paradiesischen Unschuld muß verkennen, daß das reale *. Paradies kein Zustand der Glorie . . . war, sondern der unbewußten und das Menschenmögliche verbergenden Einheit von Mensch und Natur.. . Das Ergebnis (einer Rückkehr in diesen Zustand) muß daher ein auf neue Weise *. halbierter Mensch sein, und nicht das ganzheitlich entfaltete Potential.“
Dieser naive Zukunftsoptimismus macht wiederum auf ein christliches Defizit aufmerksam: Der Mensch braucht Hoffnung, gerade auch in der modernen Industriegesellschaft. Und Hoffnung nicht nur auf ein fernes Jenseits, sondern auch für das diesseitige Leben und Tun. Doch ebensowenig, wie Mystik und Politik in der christlichen Konzeption widersprüchlich sind (oder doch sein dürften), widersprechen sich Hoffnung auf den jenseitigen Gott und engagierte Hoffnung für die Anliegen unserer Welt. Wie wirksam christliche Hoffnung im Konkreten für das Tun der Menschen werden kann, zeigen die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt.
Erst das Eingebettetsein unseres Bemühens in einen Zustand, den das Christentum mit Geheimnis Gottes umschreibt, befreit zum Handeln aus Hoffnung: Konkret heißt dies: Tue das Richtige und Wichtige, setze dich ein für das Bessere — aber das endgültige, totale Gelingen ist ein Geschenk Gottes. Totalitäre Lösungen sind somit dem Christen wesensfremd.
Das Christentum muß die Herausforderung, die in New Age sichtbar wird, annehmen. In der Geschichte der christlichen Mystik liegen Antworten auf die berechtigten Anliegen dieser Herausforderung bereit. In beiden christlichen Kirchen sind sie aber weithin in Vergessenheit geraten. Im Anliegen der christlichen Mystik liegen auch die Korrekturen bereit, die — nicht nur aus christlicher Sicht — an dem mit New Age Gemeinten anzubringen sind. Es wäre zu wünschen, daß mit diesem Fundus von Jahrtausenden die Auseinandersetzung mit New Age differenziert geführt würde, differenzierter auf jeden Fall, als es weithin in den Kirchen geschieht.