Bevölkerungsproblem und wirtschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt
El-Shagi El-Shagi
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Zusammenfassung
Vor allem in Ländern der Dritten Welt ist eine seit Jahrzehnten anhaltende massive Bevölkerungsexpansion festzustellen — eine Entwicklung, die in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß aufgrund importierter medizinischer Fortschritte eine zügige Reduzierung der Sterberate erzielt werden konnte, während bei der Geburtenrate erst nach einer langen Verzögerung ein nennenswerter Rückgang einsetzte. Die Ursachen der noch immer hohen Geburtenraten in Ländern der Dritten Welt sind vielfältig. Dazu gehören die herrschenden Normen und hohen Präferenzen für Kinder, die — u. a. aufgrund geringer Ansprüche, staatlicher Konsumsubventionen und Kindererwerbstätigkeit — reduzierten Kosten des Großziehens von Kindern sowie andere Phänomene der Unterentwicklung wie die Angewiesenheit auf Kinder zur Alterssicherung infolge fehlender bzw. unzureichender sozialer Sicherungssysteme. Eine zentrale Bedeutung scheint dabei auch die Armut bzw. das niedrige Einkommen breiterer Bevölkerungsschichten zu haben, die in einem engen Zusammenhang zu den verschiedenen Faktoren steht, welche die Geburtenneigung positiv beeinflussen. Die Vorstellung, daß das rapide Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung etwa durch eine Zunahme der Nachfrage, Verbesserung der Nutzung der Größenvorteile oder die Induzierung technischer Fortschritte fördert, kann für die Mehrzahl der Entwicklungsländer kaum überzeugen. In diesen Ländern dürften die negativen Entwicklungswirkungen der Bevölkerungsexpansion wie die Beeinträchtigung der Investitionsaktivitäten in ihrer Bedeutung überwiegen. Dementsprechend empfiehlt sich hier eine Politik, die auf Drosselung des Bevölkerungswachstums abzielt. Dabei macht die gegenseitige Beeinflussung von Bevölkerungswachstum und Unterentwicklung im Sinne einer zirkulären Verursachung es erforderlich, daß eine Politik der Eindämmung des Bevölkerungswachstums in eine umfassende Entwicklungspolitik integriert werden muß.
Noch gegen Mitte des 18. Jahrhunderts haben weniger als dreiviertel Milliarden Menschen auf der Erde gelebt. 1950 waren es bereits rund 2, 5 Milliarden. Mitte der achtziger Jahre erreichte die Weltbevölkerung fast fünf Milliarden; und selbst nach optimistischen Prognosen der Vereinten Nationen wird für Ende des 20. Jahrhunderts eine Zunahme dieser Zahl auf über 6, 1 Milliarden erwartet.
Für dieses rapide Wachstum der Weltbevölkerung (insbesondere in den letzten Jahrzehnten) sind in erster Linie die Entwicklungsländer verantwortlich. Denn während die jährliche Bevölkerungswachstumsrate in den Industriestaaten von knapp 1, 3 Prozent zu Beginn der fünfziger Jahren auf 0, 6 Prozent Mitte der achtziger Jahre zurückgegangen ist, zeigen die betreffenden Zahlen für die Entwicklungsländer für beide Perioden eine in etwa gleich hohe Rate von rund zwei Prozent, wobei sogar in der ersten Hälfte der siebziger Jahre eine Steigerung auf 2, 5 Prozent erreicht wurde. Von der gegenwärtigen Zunahme der Weltbevölkerung von rund 80 Millionen Menschen jährlich entfallen etwa 70 Millionen auf die Entwicklungsländer. Dementsprechend ist der Anteil der Entwicklungsländer an der Weltbevölkerung von rund 70 Prozent im Jahre 1950 auf etwa 76 Prozent 1980 gestiegen urd wird im Jahr 2000 voraussichtlich 80 Prozent betragen.
L Ursachen des rapiden Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt
Abbildung 7
Abbildungen 1 a— 1 d: Die Regressionsbeziehungen zwischen Geburtenrate auf der einen Seite und Säuglings-bzw. Kindersterblichkeit auf der anderen, für die Perioden 1965— 1980 und 1980— 1985. Abbildung la: Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit, 1965— 1980 (87 Entwicklungsländer) 1) Säuglingssterblichkeit pro 1000
Abbildungen 1 a— 1 d: Die Regressionsbeziehungen zwischen Geburtenrate auf der einen Seite und Säuglings-bzw. Kindersterblichkeit auf der anderen, für die Perioden 1965— 1980 und 1980— 1985. Abbildung la: Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit, 1965— 1980 (87 Entwicklungsländer) 1) Säuglingssterblichkeit pro 1000
Das rapide Bevölkerungswachstum in Ländern der Dritten Welt ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß in diesen Ländern, insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts, eine beachtliche Reduzierung der Sterberaten infolge (importierter) medizinischer und hygienischer Fortschritte, aber kaum eine entsprechende Schrumpfung der Geburtenraten — in Analogie zu der Entwicklung in den Industriestaaten — erfolgt ist. So ist die Sterberate im Durchschnitt der Entwicklungsländer von Werten knapp unter vier Prozent gegen Mitte des Jahrhunderts auf 1, 6 Prozent im Jahre 1965 gesunken, um 1985 etwa ein Prozent zu erreichen. Demgegenüber blieb die Geburtenrate bis 1965 mit einer Höhe von 4, 2 Prozent in etwa auf dem gleichen Niveau wie 1950 oder selbst zu Beginn des Jahrhunderts. Eine Wende setzte erst Mitte der sechziger Jahre ein. Bis 1985 sank die Geburtenrate auf rund drei Prozent; gegenüber 1, 3 Prozent in den westlichen Industriestaaten. D. h., daß diese Länder im Sinne der Theorie des demographischen Übergangs (theory of demographic transition) sich bestenfalls erst in der Mitte ihrer demographischen Transformation befinden Das Bevölkerungsproblem die-ser Länder liegt also in solchen Faktoren begründet, die die Aufrechterhaltung hoher Geburtenraten begünstigen bzw.der Reduzierung dieser Raten entgegenwirken.
Abbildung 11
Abbildungen 2 a— 2 b: Die Regressionsbeziehungen zwischen Geburtenrate und Bruttosozialprodukt pro Kopf, für die Perioden 1965— 1980 und 1980— 1985. Abbildung 2 a: Geburtenrate und BSP pro Kopf, 1965— 1980 (80 Entwicklungsländer) 1) BSP/Kopf in US-Dollar
Abbildungen 2 a— 2 b: Die Regressionsbeziehungen zwischen Geburtenrate und Bruttosozialprodukt pro Kopf, für die Perioden 1965— 1980 und 1980— 1985. Abbildung 2 a: Geburtenrate und BSP pro Kopf, 1965— 1980 (80 Entwicklungsländer) 1) BSP/Kopf in US-Dollar
Die Geburtenrate ist eine Funktion vielfältigerFaktoren, vor allem der Netto-Kosten der Kinder, der herrschenden Normen und Präferenzen, der erwarteten Überlebenschancen von Kindern und nicht zuletzt des verfügbaren bzw. erwarteten Einkommens. Eine Betrachtung dieser Einflußvariablen in bezug auf die Entwicklungsländer zeigt, daß sie weitgehend und vor allem in ihrer Wechselwirkung auf eine Zunahme der Geburtenrate hinwirken.
Abbildung 12
Abbüdung 2b: Geburtenrate und BSP pro Kopf, 1980-1985 (79 Entwicklungsländer) 1) BSP/Kopf in US-Dollar ZDagZeichen + besagt, daß die betreffenden Koordinatenwerte für zwei Länder zutreffen, und das Zeichen x heißt, daß die enenden Werte für drei Länder und mehr gelten.
Abbüdung 2b: Geburtenrate und BSP pro Kopf, 1980-1985 (79 Entwicklungsländer) 1) BSP/Kopf in US-Dollar ZDagZeichen + besagt, daß die betreffenden Koordinatenwerte für zwei Länder zutreffen, und das Zeichen x heißt, daß die enenden Werte für drei Länder und mehr gelten.
Die Kosten der Kinder umfassen alle Aufwendungen für das Großziehen von Kindern zuzüglich der Opportunitätskosten für Mütter, die sich durch Verzicht auf Erwerbstätigkeit ergeben, damit sie sich um die Kinder kümmern können. Werden davon die eventuellen Beiträge der Kinder zum Familieneinkommen (z. B. durch Kinderarbeit) sowie der Wert der erwarteten Unterstützung durch die Kinder in der Zukunft abgezogen, ergeben sich die Netto-Kosten. Je niedriger diese Kosten sind, um so größer dürfte in der Regel die Neigung sein, Kinder zu bekommen. Und verschiedene Faktoren wirken auf eine Herabsetzung der betreffenden Kosten in den Entwicklungsländern hin. Dazu gehören u. a -die in vielen Entwicklungsländern weitverbreitete Erwerbstätigkeit von Kindern, die wesentliche Beiträge zum Familieneinkommen durch die Kinder schon in frühem Alter ermöglicht, -die hohe Bewertung der Unterstützung durch die Kinder im Alter, da diese aufgrund der Armut großer Bevölkerungsteile und der Tatsache, daß eine annehmbare Sozialversicherung in diesen Ländern kaum gewährleistet ist, oft die einzige Absiche-rungsmöglichkeit im Alter darstellt, -die oft niedrigen Ansprüche in bezug auf Konsum und Ausbildung der Kinder, was eine Reduzierung der materiellen Belastung beim Großziehen von Kindern darstellt, sowie -die häufig in diesen Ländern betriebene Politik der Subventionierung von Massenkonsumgütern und der kostenlosen Ausbildungsangebote, die ebenso auf eine Reduzierung der mit dem Großziehen von Kindern verbundenen Kosten (für die betroffenen Familien) hinwirkt.
Auch die herrschenden Normen und die mit ihnen zusammenhängenden meist hohen Präferenzen für Kinder begünstigen die hohen Geburtenraten in Entwicklungsländern. Z. B. begünstigt schon das niedrige Heiratsalter für Frauen in breiten Schichten vieler Entwicklungsländer die Fruchtbarkeit, indem dadurch die potentielle Fruchtbarkeitsperiode, d. h. die Zeit, in der eine Frau Kinder bekommen kann, verlängert wird. Das niedrige Heiratsalter bei Frauen ist in vielen Ländern u. a. eine Folge der herrschenden strengen Sitten. Um die „Gefahr“ zu reduzieren, daß erwachsene Mädchen Beziehungen zu Männern eingehen, die den gültigen Ehrenkodex verletzen und das Ansehen der Familien herabsetzen, sind die Eltern in diesen Ländern meistens bestrebt, ihre Töchter so früh wie möglich zu verheiraten. Wiederum wirken die strengen Sitten auf eine Reduzierung der Lebensqualität der Junggesellen bzw.der Opportunitätskosten des Junggesellenlebens hin, was auch junge Männer veranlaßt, früh zu heiraten. Und nicht nur die frühe Heirat forciert die Geburtenrate, sondern auch die häufige Betrachtung des Kinderreichtums als Ausdruck von Männlichkeit. Ferner wird vielfach aufgrund des Nebeneinanders unterschiedlicher Religionen bzw. ethnischer Gruppen, der Kin-
derreichtum als eine soziale Verpflichtung gegenüber der eigenen Gruppe angesehen, die darauf abzielt, das relative Gewicht der Gruppe in der jeweiligen Gesellschaft zu stärken. Bei Moslems wird Kinderreichtum im Koran ausdrücklich als ein Segen Gottes hervorgehoben; und nicht nur sie sehen es so. Da wiederum Jungen oft wesentlich stärker präferiert werden als Mädchen, zeugen die einzelnen Familien oft mehr Kinder als sie eigentlich wünschen. Denn Ehepaare, die zuerst Mädchen bekommen, sind oft nur deshalb bestrebt, weitere Kinder zu bekommen, um die gewünschte Zahl von Jungen zu haben.
Die noch immer relativ hohe Säuglings-bzw. Kindersterblichkeit in vielen Entwicklungsländern wirkt ebenso auf eine Zunahme der Geburtenrate hin. Denn je höher die betreffenden Sterblichkeitsraten sind, um so mehr neigen Eltern dazu, mehr Kinder zu zeugen als sie eigentlich wünschen, um die Sicherheit zu erhöhen, die gewünschte Zahl überlebender Kinder zu haben. So zeigt die Korrelation der Geburtenrate mit der Säuglingssterblichkeitsrate (Alter unter einem Jahr) und mit der Kindersterblichkeitsrate (Alter ein bis vier Jahre) für die in den Weltentwicklungsberichten der Weltbank erfaßten Entwicklungsländer folgende Ergebnisse: — Für die Periode 1965— 1980 waren Daten für 87 bzw. 86 Länder verfügbar. Ausgehend von den Durchschnittsraten der Periode wurden zwischen der Geburtenrate und den genannten Variablen Korrelationskoeffizienten von 0, 745 bzw. 0, 679 errechnet — signifikant bei a= 0, 001. — Für die Periode 1980— 1985 sind für 90 Länder die Säuglingssterblichkeitsrate und für 84 Länder die Kindersterblichkeitsrate angegeben. Es wurden Korrelationswerte von 0, 805 bzw. 0, 734 errechnet, die ebenso bei a = 0, 001 signifikant sind.
Auch der Verlauf der Regressionsgeraden, wie ihn die Abbildungen la—Id zeigen, spiegelt den ausgeprägten Zusammenhang zwischen Geburtenrate und der Säuglings-bzw. Kindersterblichkeitsrate wider.
Die Höhe des verfügbaren bzw. erwarteten Einkommens dürfte eine positive Wirkung auf die Geburtenrate haben. Berücksichtigt man allerdings die Zusammenhänge zwischen der Einkommenshöhe und anderen Faktoren, die die Geburtenrate beeinflussen, liegt die Plausibilität einer negativen statistischen Beziehung zwischen Einkommenshöhe und Geburtenrate in Entwicklungsländern auf der Hand. So verhalten sich die höheren Einkom-mensgruppen in diesen Ländern in der Regel weniger traditional und weisen deshalb meistens ein höheres Heiratsalter für Frauen auf. Die höhere Bildung und eher fortschrittliche Ausrichtung der Frauen in diesen Gruppen begünstigen darüber hinaus die Akzeptanz vpn Geburtenkontrollmaßnahmen. Ebenso wirkt die meistens niedrige Kindersterblichkeit durch Verbesserung der Ernährungsund Hygieneverhältnisse bei Einkommenszunahme der Bestrebung, mehr Kinder zu bekommen, entgegen. Ferner sind die Kosten des Großziehens von Kindern in den höheren Einkommensgruppen im allgemeinen höher als in den niedrigeren Gruppen. Dies ist u. a. eine Funktion des höheren Konsum-niveaus der betreffenden Familien. Mit zunehmendem Einkommen steigen in der Regel auch die Ansprüche in bezug auf die Ausbildung der Kinder und damit die Ausbildungskosten. Abgesehen von der sich dadurch ergebenden Verlagerung von , Quantität* zu . Qualität* in bezug auf den gewünschten Nachwuchs, verstärkt die Zunahme der Ansprüche die Tendenz zur Steigerung des Heiratsalters sowohl bei Frauen als auch bei Männern, da durch diese Anspruchszunahme die erwarteten Belastungen bei Haushaltsgründungen steigen. Hinzu kommt, daß in den höheren Einkommensgruppen (besonders im mittleren Bereich) die Frauen oft erwerbstätig sind bzw. eine Erwerbstätigkeit anstreben. Dadurch steigen die Opportunitätskosten für Mütter, wenn sie sich für die Kindererziehung freihalten. Soweit Frauen in den unteren Einkommensgruppen eine Erwerbstätigkeit ausüben, wie es oft in der Landwirtschaft der Fall ist, erfolgt, wenn sie Kinder haben, in der Regel kaum eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung, da in diesen Gruppen eine relative Vernachlässigung der Kinder meistens eher in Kauf genommen wird. Eine Reduzierung der mit dem Großziehen von Kindern verbundenen Belastung in den unteren Einkommensgruppen ergibt sich auch dadurch, daß in diesen Gruppen Kinder-arbeit eher vorkommt als in den höheren Einkornmensgruppen. Zu beachten ist darüber hinaus, daß Familien mit niedrigerem Einkommen im allgemeinen eher auf die Unterstützung durch Kinder im Alter angewiesen sein dürften und diese Familien deshalb den Nutzen durch Kinder höher bzw. die Netto-Kosten der Kinder niedriger einschätzen. Zur Überprüfung der statistischen Zusammenhänge zwischen Geburtenrater und Einkommen wurden ausgehend von den Daten über Geburten-raten und Bruttosozialprodukt (BSP) pro Kopf für 80. bzw. 79 Entwicklungsländer die Korrelationskoeffizienten und Regressionsgeraden für die Perioden 1965 — 1980 und 1980— 1985 ermittelt. Vier weitere Länder, für die Daten verfügbar waren, sind nicht einbezogen worden, da sie sowohl in bezug auf die Geburtenrate, als auch auf das Bruttosozialprodukt pro Kopf extreme Werte aufgewiesen haben Der errechnete Korrelationskoeffizient zeigt für die Periode 1965— 1980 einen Wert von — 0, 7225 und für die Periode 1980— 1985 einen von — 0, 6889 (beide Werte signifikant bei a = 0, 001). Und wie die Abbildung 2 a und 2b widerspiegeln, zeigen auch die abgeleiteten Regressionsgeraden eine sichtbare negative Beziehung zwischen den zwei betrachteten Variablen.
II. Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung
Abbildung 8
Abbildung 1b: Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit, 1980— 1985 (90 Entwicklungsländer) 1) Säuglingssterblichkeit pro 1000 ’) Das Zeichen + besagt, daß die betreffenden Koordinatenwerte für zwei Länder zutreffen, und das Zeichen x heißt, daß die betreffenden Werte für drei Länder und mehr gelten.
Abbildung 1b: Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit, 1980— 1985 (90 Entwicklungsländer) 1) Säuglingssterblichkeit pro 1000 ’) Das Zeichen + besagt, daß die betreffenden Koordinatenwerte für zwei Länder zutreffen, und das Zeichen x heißt, daß die betreffenden Werte für drei Länder und mehr gelten.
Manche Autoren sehen in dem Bevölkerungswachstum in Ländern der Dritten Welt kein schwerwiegendes Hemmnis für die sozio-ökonomische Entwicklung oder betrachten es sogar als vorteilhaft So wird z. B. angeführt, daß in manchen Teilen Afrikas in früheren Zeiten eine größere Bevölkerung gelebt habe als heute, daß die Unterbevölkerung in ländlichen Regionen in verschiedenen afrikanischen und auch lateinamerikanischen Ländern eine Ursache der unbefriedigenden Entwicklung der Agrarproduktion bzw. Nutzung des Produktionspotentials der Landwirtschaft in den betreffenden Ländern darstelle und daß das Bevölkerungswachstum die Allokationseffizienz positiv beeinflusse und das wirtschaftliche Wachstum fördere, indem es auf eine bessere Nutzung der Größenvorteile, eine Zunahme der Gesamtnachfrage und nicht zuletzt eine Verbilligung des Arbeitskräfteangebots hinwirke.
Vielfach wird auch allgemein von einer positiven Wirkung des Bevölkerungswachstums auf die wirtschaftliche Entwicklung ausgegangen und diese mit einer Forcierung der Industrialisierung und des technischen Fortschritts durch den Bevölkerungsdruck begründet. So sieht Kuznets die industrielle Entwicklung in den heutigen Industriestaaten nicht zuletzt als Folge des Bevölkerungswachstums und der gestiegenen Bevölkerungsdichte. In diesem Zusammenhang führt er die Verbesserung der Arbeitsteilung und die Ermöglichung einer besseren infrastruktureilen Ausstattung an ebenso die positiven Urbanisierungswirkungen infolge der Bevölkerungszunahme wie vor allem die Intensivierung des Handels und der Kommunikation und damit auch des technischen Fortschritts. Verschiedene andere Autoren stellen insbesondere auf das Argument der positiveren Wirkungen des Bevölkerungswachstums auf den technischen Fortschritt ab. Dazu gehören u. a. Thirlwall Si-mon Steinmann und nicht zuletzt Boserup Diese bezieht sich in erster Linie auf die Landwirtschaft und versucht, in einer wirtschaftshistorischen Analyse aufzuzeigen, daß agrarische Fortschritte im wesentlichen durch Bevölkerungswachstum induziert worden sind. Die anderen genannten Autoren betrachten demgegenüber die positiven Wirkungen des Bevölkerungsdrucks auf Induzierung und Ausbreitung von technischen Fortschritten allgemein
Zur Widerlegung der These, daß das Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung bzw.den Lebensstandard negativ beeinflußt, zeigt Kuznets daß bei einem Vergleich der Entwicklung in zehn Industriestaaten für Zeitperioden, die bis 100 Jahre reichen, sich ein negativer Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Wachstum des Sozialprodukts nicht bestätigen läßt -weder hinsichtlich des Sozialprodukts insgesamt noch hinsichtlich der Pro-Kopf-Werte. So ergeben die betreffenden Zahlen, daß zwar ein Land wie Schweden eine niedrige Bevölkerungswachstums rate bei einem relativ beachtlichen wirtschaftlichen Wachstum aufweist, daß jedoch die drei Ländermit den höchsten durchschnittlichen Wachstumsraten des Sozialprodukts, nämlich die Vereinigten Staaten, Kanada und Japan, weit überdurchschnittliche Bevölkerungswachstumsraten aufweisen. Und zur Untermauerung des eher positiven Zusammenhangs zwischen Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung weist Steinmann darauf hin, daß die Entwicklungsländer in der Zeit von 1960 bis 1980 eine Steigerung des realen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf um 90 Prozent realisieren konnten, trotz einer Zunahme ihrer Bevölkerung um 56 Prozent.
Betrachtet man die genannten Argumente und Belege näher, ist festzustellen, daß sie eine Bagatell-sierung des Problems rapiden Bevölkerungswachstums in Entwicklungsländern keineswegs rechtfertigen, geschweige denn die Begründung der Vorteil-haftigkeit eines solchen Bevölkerungswachstums. Hierzu ist folgendes zu vermerken:
Daß in irgendwelchen Teilen von Entwicklungsländern früher mehr Menschen gelebt haben als heute, erlaubt selbst für diese Länder nicht die Schlußfolgerung, daß dort in bezug auf die heute gegebene sonstige Faktorausstattung und die bestehenden produktionstechnischen Möglichkeiten eine Unter-bevölkerung bzw. eine zu geringe Bevölkerungsgröße oder -dichte herrscht. Denn abgesehen davon, daß zuverlässige Informationen über den Lebensstandard der Bevölkerung in den früheren Vergleichszeiten nicht verfügbar und die Ansprüche in bezug auf die Lebensqualität ohnehin gestiegen sind, ist zu beachten, daß schon die erfolgte enorme produktionstechnische Entwicklung und die damit verbundene Zunahme des Rationalisierungspotentials zu einer wesentlichen Verschiebung der als „optimal“ bzw. angemessen betrachteten Bevölkerungsgröße geführt haben und damit zu einer anderen Beurteilung des Bevölkerungsproblems in den betreffenden Ländern heute zwingen — besonders in Anbetracht des gegenwärtig rapiden Bevölkerungswachstums. Ferner ist zu beachten, daß Fälle, in denen die Zahl der Bevölkerung heute tatsächlich kleiner sein könnte als in früheren Zeiten, sicherlich in den Ausnahmebereich gehören; denn es wird allgemein kaum bezweifelt, daß die Zahl der heutigen Bevölkerung in der Dritten Welt insge-samt wesentlich über das Fünffache der Weltbevölkerung gegen Mitte des 18. Jahrhunderts hinausgeht.
Die Zurückführung der unbefriedigenden Entwicklung der Agrarproduktion und der unzulänglichen Nutzung des Produktionspotentials in der Landwirtschaft auf die geringe Bevölkerungsdichte in manchen afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern basiert vor allem auf der Vorstellung, daß dort die Agrarproduktion durch vermehrten Arbeitseinsatz gesteigert werden kann. Und dies ist in der Tat in verschiedenen Fällen nicht auszuschließen. Das Problem liegt jedoch dann, daß hier die Produktivität der zusätzlich einsetzbaren Arbeits-Kräfte in der Regel sehr niedrig ist bzw. kaum eine mherung des Existenzminimums für mehr Bevöl-
rung in den betreffenden Regionen gewährleistet. Wiederum dürfte die Zahl der Agrarbevölke-ung in kaum einem Entwicklungsland einer Steigesng der Agrarproduktion — auf der Basis einer Tigerung der Kapitalintensität und der Anwen-Mng moderner Produktionstechniken in einemäße, das nicht nur eine wesentliche Zunahme des inkommens in der Landwirtschaft, sondern auch eitle Steigerung des agrarischen Überschusses ermöglicht — im Wege stehen.
Die Vorstellung, daß eine zunehmende Bevölkerungsgröße das wirtschaftliche Wachstum durch verbesserte Nutzung der Größenvorteile fördert, hängt im wesentlichen davon ab, inwieweit die Bevölkerungszunahme mit einer Zunahme der Gesamtnachfrage verbunden ist. Ergibt das Bevölkerungswachstum tatsächlich eine Zunahme der Gesamtnachfrage, fördert es das wirtschaftliche Wachstum nicht nur durch eine bessere Nutzung der Größenvorteile, sondern eventuell auch durch positive Multiplikator-und Akzelerationswirkungen. Eine positive Wirkung des Bevölkerungswachstums auf die Gesamtnachfrage ist jedoch keineswegs zwingend, da eine Bevölkerungszunahme nicht zwangsläufig eine Zunahme des Volkseinkommens darstellt. Im Gegenteil, eine im Vergleich zur sonstigen Faktorausstattung starke Bevölkerungszunahme kann, wie später gezeigt wird, zumindest in mittel-bzw. langfristiger Sicht, eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wachstums und eine Schrumpfung der Gesamtnachfrage bewirken.
Das Argument, eine starke Bevölkerungsexpansion in Ländern der Dritten Welt führe über eine Verbilligung des Arbeitskräfteangebots zu positiven Wachstumswirkungen, geht von irrealen Voraussetzungen aus. Denn eine solche positive Wirkung impliziert Vollbeschäftigung oder eine primär durch überhöhte Lohnforderungen bedingte Arbeitslosigkeit. Beides trifft für Entwicklungsländer in der Regel nicht zu. Die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern ist meistens überwiegend strukturell in dem Sinne bedingt, daß die Komplementärfaktoren, die für einen effektiven Einsatz des Faktors Arbeit benötigt werden, nämlich Boden und Kapital, nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind, um Vollbeschäftigung zu gewährleisten. Daß in diesen Ländern durch den Staat oft überhöhte Mindestlöhne festgesetzt werden, wirkt auf eine Zunahme der Arbeitslosigkeit hin. Eine Zunahme des Arbeitskräfteangebots infolge von Bevölkerungswachstum kann unter solchen Bedingungen vielleicht die Politikträger dazu bewegen, ihre Lohnpolitik zu überdenken, um eine zusätzliche Verschlechterung der Arbeitsmarktlage zu verhindern. Soweit die Löhne sich aber marktmäßig bilden, dürfte die durch Bevölkerungswachstum bewirkte Zunahme des Arbeitskräfteangebots eher eine Zu-, nähme der gegebenen strukturellen Arbeitslosigkeit als eine Zunahme der Beschäftigung durch eine Lohnreduzierung ergeben, und zwar nicht zuletzt, weil bei dem Vorhandensein überschüssiger Arbeitskräfte die Löhne ohnehin in der Nähe des Existenzminimums liegen dürften. Daß Bevölkerungswachstum positive Wirkungen auf Arbeitsteilung und infrastrukturelle Ausstattung haben kann und auch positive Urbanisierungswirkungen zu ergeben vermag, ist nicht von der Hand zu weisen. Die zunehmende Zahl der Wirtschaftsteilnehmerdurch Zunahme der Bevölkerung kann neue Möglichkeiten der Arbeitsteilung eröffnen. Und die Zunahme der Bevölkerungsgröße bzw. -dichte reduziert die Pro-Kopf-Belastung beim Ausbau der Infrastruktur. Die positiven Urbanisierungswirkungen infolge des Bevölkerungswachstums resultieren aus den positiven Agglomerationswirkungen, zu denen die von Kuznets angeführten Urbanisierungsvorteile gehören. Sie können aber auch wesentlich darüber hinausgehen. So gehören z. B. ferner in diesen Rahmen Faktoren wie das bessere Angebot an Arbeitskräften, die Nähe der Absatzmärkte und Zulieferbetriebe in den Ballungszentren, welche auf eine Steigerung der Rentabilität von Investitionen und damit auf Erhöhung der Investitionsneigung hinwirken.
Aus den genannten positiven Wirkungen die Schlußfolgerung zu ziehen, daß das Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung grundsätzlich positiv beeinflußt, wäre verfehlt. So hängt z. B. die Intensität und Vorteilhaftigkeit der Arbeitsteilung nicht nur von der Zahl der Wirtschaftsteilnehmer ab, sondern auch von verschiedenen anderen Faktoren wie der Einkommenshöhe und den (bei der gegebenen Faktorausstattung, Qualifikation und technischen Entwicklung) sich bietenden Differenzierungsmöglichkeiten der Arbeitsteilung. Beeinträchtigt eine zu starke Bevölkerungsexpansion (wie noch erläutert wird) die Einkommensentwicklung und möglicherweise auch die Ausbildungsanstrengungen und technische Entwicklung, so können sich durchaus negative Wirkungen auf die Arbeitsteilung und Produktivität ergeben. Ebenso hängt die Möglichkeit der Verbesserung der infrastruktureilen Ausstattung nicht nur von der Pro-Kopf-Belastung der Bevölkerung, sondern auch von der Fähigkeit der Betroffenen ab, diese Belastung zu tragen. Konkret heißt dies, daß auch hier eine negative Einkommenswirkung des Bevölkerungswachstums den Ausbau der Infrastruktur beeinträchtigen kann. Und in bezug auf die Agglomerationswirkungen ist zu beachten, daß bei zunehmender Ballung sich auch Agglomerationsnachteile ergeben, die ab einer bestimmten Ballungskonzentration die positiven Agglomerationswirkungen übersteigen dürften.
Es ist zwar denkbar, daß der Bevölkerungsdruck positive Wirkungen auf die technologische Entwicklung einer Volkswirtschaft ausüben kann, ob durch die verstärkte Anwendung bekannter Technologien oder durch die Induzierung der Entwicklung neuer problemadäquater Technologien. Daraus jedoch zu folgern, daß deshalb das Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung fördert, wäre unzulässig. Dies gilt nicht nur, weil die positiven Wirkungen auf die technologische Entwicklung in ihrer Bedeutung durch andere negative Entwicklungswirkungen des Bevölkerungswachstums kompensiert bzw. überkompensiert werden können, sondern auch, weil das Bevölkerungswachstum die technologische Entwicklung selbst ebenso negativ beeinflussen kann. Dies ist z. B.der Fall, wenn infolge negativer Einkommens-wirkungen die Aufwendungen für Forschung, Beratung und Informationsbeschaffung bzw. -ausbreitung reduziert werden oder durch negative Investitionswirkungen der Anreiz zur Entwicklung von Neuerungen reduziert wird.
In jedem Fall ist vor einer Überschätzung der Bedeutung der mobilisierenden Wirkung von Druck und Sachzwängen zu warnen. Denn wenn die durch Druck und Sachzwänge induzierten Anstrengungen im allgemeinen dafür ausreichen sollten, die entstandenen Probleme zu überwinden oder gar durch dynamisierende Wirkungen eine Überführung in bessere Positionen zu ermöglichen, wäre die Unter-entwicklung in der Dritten Welt kaum noch erklärbar. So stellt sich die Frage, welche Sachzwänge können mehr Druck ausüben als Hunger und Elend, wie wir sie in weiten Teilen der Dritten Welt antreffen?
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die erwähnten statistischen Zahlen in bezug auf Bevölkerungswachstum und Sozialproduktentwicklung die These positiver Entwicklungswirkungen des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt ebensowenig untermauern können wie die Hinweise auf die technische Entwicklung in der Landwirtschaft der Industriestaaten im Zuge des Bevölkerungswachstunis. So ist festzustellen, daß diese historische Betrachtung der Industriestaaten kaum auf die Entwicklungsländer heute übertragbar ist. Denn der Bevölkerungsdruck war in den Industriestaaten in den betreffenden entscheidenden Entwicklungsphasen mit Abstand nicht so groß wie in den meisten Entwicklungsländern heute. Deshalb verwundert es auch nicht, daß gerade Länder wie Kanada und die Vereinigten Staaten, die über enorme Ressourcen verfügen, deren Mobilisierung der Einsatz des Faktors Arbeit bedarf, die höchsten Wachstumsergebnisse bei beachtlicher Bevölkerungszunahme aufweisen konnten.
Der Hinweis darauf, daß in Entwicklungsländernin der Periode 1960 bis 1980 das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stärker gestiegen ist als die Bevölkerung vermag keine positiven Entwicklungswirkungen des Bevölkerungswachstums zu belegen. Dies gilt nicht nur, weil hier von allen anderen positiven Einflußfaktoren auf das wirtschaftliche Wachstum abstrahiert wird und damit die Frage offenbleibt, ob das Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts bei geringerem Bevölkerungswachstum nicht wesentlich günstiger wäre. Ausschlaggebend ist noch, daß die betreffenden aggregierten Zahlen den ausgeprägten Unterschieden zwischen den Ergebnissen der unterschiedlichen Entwicklungslän-der nicht Rechnung tragen. Das heißt, es bleibt unklar, inwieweit Länder, die eine im Vergleich hohe Bevölkerungswachstumsrate haben, den angegebenen Durchschnittswert über Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf verbessert oder verschlechtert haben. Das rapide Bevölkerungswachstum in Ländern der Dritten Welt dürfte in fast allen diesen Ländern mehr oder weniger ausgeprägt negative Wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung haben
Die hohen Bevölkerungswachstumsraten bewirken einen Zwang zur Ausdehnung des Konsums. In Anbetracht der Tatsache, daß in diesen Ländern die Arbeitslosigkeit im wesentlichen struktureller Art ist und daß die oft festzustellende mangelnde Auslastung von Produktionskapazitäten in der Regel weniger auf Nachfragedefizite als auf andere Faktoren wie etwa Zulieferungsengpässe oder mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen ist, ergibt die betreffende Steigerung der Konsumnachfrage jedoch kaum die erhoffte Steigerung des Sozialprodukts und damit der Gesamtnachfrage im Sinne des Multiplikatorprinzips. Die durch Bevölkerungswachstum sich ergebende Konsumausdehnung dürfte unter solchen Bedingungen eher zu einer Beeinträchtigung der Sparquote bzw.der gesamtwirtschaftlichen Investition und damit der Ausdehnung der Produktionsgrundlage führen. Dies beeinträchtigt wiederum das Wachstum des Sozialprodukts und damit die Möglichkeit der Expansion der Gesamtnachfrage. Also selbst, wenn die durch Bevölkerungswachstum bewirkte Konsumexpansion am Anfang aufgrund realer positiver Multiplikatorwirkungen (die in Entwicklungsländern ohnehin bescheidene Ausprägung haben dürf-ten) positive Einkommenseffekte ergeben sollte, dürften diese Effekte bei fortschreitender Bevölke-
rungsexpansion zunehmend an Bedeutung verlieren und im Endeffekt die Beeinträchtigung von ozialproduktwachstum und Einkommensexpansion infolge der negativen Investitionswirkungen überwiegen.
Die negativen Wirkungen auf die Spar-und Investitionsquote wie auch auf die Produktionsleistung werden dadurch verstärkt, daß das rapide Bevölkerungswachstum auf eine Zunahme der Gesamtlast bzw. Abhängigkeitsquote (Relation zwischen abhängigen Personen und Erwerbstätigen) hinwirkt. Dabei ist zu beachten, daß die Schmälerung des Pro-Kopf-Einkommens die Fähigkeit der Familien, in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren, beschränkt. Und soweit Eltern und Gesellschaft die entsprechenden Belastungen auf sich nehmen, ist die Effizienz der betreffenden Bemühungen schon durch die unzulänglichen Beschäftigungschancen in Frage gestellt. Zur Beeinträchtigung der Effizienz von Aufwendungen für das Großziehen von Kindern trägt auch die in den unteren Entwicklungsstufen noch relativ hohe Kindersterblichkeit bei
Eine Belastung der Investitionsaktivitäten kann sich auch in anderer Weise ergeben: Bei dem Vorhandensein überschüssiger Arbeitskräfte in Entwicklungsländern wirkt die rapide Bevölkerungsexpansion auf eine Zunahme der Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung hin Und eine solche Entwicklung dürfte wiederum auf eine Beeinträchtigung der politischen Stabilität und dadurch der Investitionsneigung hinwirken. Hinzu kommt, daß das rapide Bevölkerungswachstum nicht nur die Investitionsaktivitäten beeinträchtigen kann, sondern auch in verschiedenen Fällen auf einen Abbau der verfügbaren Produktionspotentiale hinwirkt, indem z. B. die starke Bevölkerungsexpansion zur extremen Ausdehnung der Wohnsiedlungen zu Lasten der knapp verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche führt, wie etwa in Ägypten zu beobachten ist, oder, wie in manchen schwarzafrikanischen Ländern feststellbar ist, sich eine Beeinträchtigung der Bodenqualität durch Raubbau bzw. eine Förderung der Verwüstung durch zu starke Abholzung ergibt.
Ferner ist daran zu erinnern, daß die Zusammenballungen von Menschen infolge einer starken Bevölkerungsexpansion, wie bereits angedeutet und wie es sich auch in Ländern wie Ägypten, Indien und Mexiko zeigt, zu einem Übergewicht der Agglomerationsnachteile in den Ballungszentren führen können. Diese äußern sich u. a. in einer Überlastung der Infrastruktur, die nicht nur direkt die Lebensqualität der Bevölkerung beeinträchtigt, sondern auch die Rentabilität von Investitionen schmälert und dadurch die Investitionsaktivitäten hemmt. Außerdem können sich die Agglomerationsnachteile in einer starken Belastung der Umwelt widerspiegeln, die, soweit eine internalisierungsorientierte Politik verfolgt wird, die privatwirtschaftlichen Produktionskosten erhöht und von daher Wachstum und Beschäftigung negativ beeinflussen kann. In jedem Fall stellt sie aber eine Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Wohlfahrt dar. Und zu diesen Nachteilen kommen u. a. noch Verslumung, die Zunahme von Kriminalität und Alkoholismus hinzu.
Die Untersuchung des statistischen Zusammenhangs zwischen den durchschnittlichen Bevölkerungswachstumsraten und dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, ausgehend von den Entwicklungsländerdaten der Weltbankberichte (Weltentwicklungsberichte) für die Zeit von 1965 bis 1985, ergab keine eindeutigen, geschweige signifikanten Ergebnisse Es wäre trotzdem verfehlt, dies als eine grundlegende Widerlegung der skizzierten negativen Wirkungen des Bevölkerungswachstums auf wirtschaftliche Entwicklung anzusehen. Denn sowohl das Bevölkerungswachstum als auch die wirtschaftliche Entwicklung hängen von vielfältigen anderen Faktoren ab. Verschiedene dieser Faktoren können die negativen Entwicklungswirkungen des Bevölkerungswachstums kompensiert bzw. verdeckt haben. So ist u. a. auf folgendes hinzuweisen:
— Verschiedene Länder haben in Zeiten günstigerer Wirtschaftswachstumsbedingungen aus politischen oder ökonomischen Gründen das Bevölkerungswachstum bewußt gefördert, und zwar nicht nur durch entsprechende Familienpolitik, sondern auch durch Förderung der Einwanderung. Dies gilt z. B. für Israel wie auch für manche arabische Ölländer, die vor allem von den massiven Erdölpreissteigerungen in den siebziger Jahren stark profitiert haben. — Manche andere Länder, die wiederum aufgrund anderer Faktoren wie überkommener sozialer Normen weiterhin hohe Geburtenraten aufgewiesen haben, konnten durch zeitweise günstige externe Bedingungen auch überdurchschnittliche Wachstumsraten des Sozialprodukts erzielen. Dies gilt z. B. für einige bevölkerungsreiche erdölexportierende Länder wie Nigeria in den siebziger Jahren. — Zu beachten ist ferner, daß die sechziger und siebziger Jahre eine Zeit der intensiven Entwicklungsanstrengungen in vielen Entwicklungsländem darstellen. In einigen dieser Länder erfolgte eine beachtliche Zunahme der Investitionen, teils auf der Basis einer zunehmenden Auslandsverschuldung und sonstiger externer Finanzierungsbeiträge (wie Entwicklungsbeihilfe und ausländische Direktinvestitionen); teils durch Zwangssparen, einschließlich der Versuche einer Entwicklungsfinanzierung auch im Wege der Geldschöpfung (inflatorische Investitionsfinanzierung); teils aber auch durch Förderung der privaten Initiativen und Verbesserung der Rahmenbedingungen für freiwilliges Sparen und private Investitionsaktivitäten. Neben der Zunahme der Investitionen konnten auch man-ehe dieser Länder, vor allem solche, die auf Förderung der privaten Initiativen und Verbesserung der Rahmenbedingungen gesetzt haben, eine Verbesserung der Allokationseffizienz bzw. Produktivitätssteigerung erzielen. Da dabei die Wachstumserfolge der einzelnen Länder, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen entwicklungspolitischen Orientierung, sowohl bezüglich der Höhe als auch der Dauer recht unterschiedlich waren und auch in den Ländern mit den besseren Ergebnissen die Zeil dafür oft zu kurz war, um eine grundlegende Veränderung des generativen Verhaltens zu erwarten, dürfte sich dadurch eine weitere Lockerung des statistischen Zusammenhangs zwischen Bevölkerung-und Sozialproduktwachstum ergeben haben. — Auch die extreme Ungleichheit der Einkommensverteilung in einer Reihe von Ländern dürfte dazu beigetragen haben, daß der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und wirtschaftlichem Wachstum verdeckt wurde. Es ist festzustellen, daß verschiedene Länder, die in den sechziger und siebziger Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts und gleichzeitig auch hohe Bevölkerungswachstumsraten aufgewiesen haben wie Brasilien, Mexiko, Panama, die Elfenbeinküste und Kenia, ebenso eine überdurchschnittliche Konzentration der Einkommens-verteilung zeigten. In solchen Ländern könnte die breite Masse der armen Bevölkerung stärker für dt Bevölkerungszunahme gesorgt haben, während die einkommensstarken Gruppen den größeren Beitrag der für den Wachstumsprozeß erforderlichen Kapitalbildung leisteten.
Hinzu kommt, daß der Zusammenhang zwischen Bevölkerungs-und Wirtschaftswachstum nicht zu-B letztvon den Bedingungen des Bevölkerungswachstums abhängt — so vor allem von Sterberate und Altersstruktur. Eine relativ niedrige Bevölkerungswachstumsrate, die sich durch eine hohe Sterberate ergibt und mit einer hohen Abhängigkeitsquote verbunden ist, dürfte das wirtschaftliche Wachstum eher beeinträchtigen als eine gleichhohe Bevölkerungswachstumsrate, die mehr aus einer niedrigeren Geburtenrate resultiert und bei der der relative Anteil abhängiger Personen kleiner ist Das heißt, daß auch die Unterschiede in der Alters-struktur der Bevölkerung und in dem Zustande-kommen derjeweiligen Bevölkerungszuwachsraten die Möglichkeit einer eindeutigen statistischen Beziehung zwischen Bevölkerungs-und Wirtschaftswachstum beschränken.
Schließlich sei darauf hingewiesen, daß eine Korrelation des Bruttoinlandsproduktwachstums mit der Veränderung der Geburtenrate (gemessen als prozentuelle Verringerung bzw. Steigerung dieser Rate) anders als bei der Korrelation mit dem Bevölkerungswachstum zumindest für die Periode 19651980 zu einem relativ klaren Ergebnis geführt hat. Es wurde ausgehend von den Daten für 96 Länder, für die Informationen verfügbar waren, ein Korrelationskoeffizient von — 0, 4, signifikant bei a = 0, 001, ermittelt. Für die Periode von 1980 bis 1985 erreichte die betreffende Korrelation wiederum nur eine Höhe von -0, 116 (nicht signifikant). Die für diese Periode ermittelte niedrige Konelation dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß gerade die relativ entwickelten Schwellenländer, die in den Jahren 1965 bis-1980 die besten Bruttoinlandsproduktwachstumsergebnisse aufweisen konnten, in der ersten Hälfte der achtziger Jahre schmerzliche Wachstumseinbrüche erleiden mußten — was besonders für die lateinamerikanischen Länder unter ihnen zutrifft.
Das negative Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten zwischen Bruttoinlandsproduktwachstum und Veränderung der Geburtenrate spricht für einen positiven Zusammenhang zwischen Sozialproduktwachstum und Schrumpfung der Geburtenrate. Die ausgeprägte Beziehung des Bruttoinlandsproduktwachstums zur Veränderung der Geburtenrate im Vergleich zum Bevölkerungswachstum mag dadurch zu erklären sein, daß die Schrumpfung der Geburtenrate eine dynamische Entwicklung der jeweiligen Volkswirtschaft bzw. eine entwicklungskonforme Veränderung der Verhaltensweisen eher widerspiegelt, als es eine im Vergleich niedrigere Bevölkerungswachstumsrate zu tun vermag.
III. Fazit
Abbildung 9
Abbildung 1c: Geburtenrate und Kindersterblichkeit, 1965— 1980 (86 Entwicklungsländer) 1) Kindersterblichkeit pro 1000
Abbildung 1c: Geburtenrate und Kindersterblichkeit, 1965— 1980 (86 Entwicklungsländer) 1) Kindersterblichkeit pro 1000
Vor allem in Ländern der Dritten Welt ist eine seit Jahrzehnten anhaltende massive Bevölkerungsexpansion festzustellen — eine Entwicklung, die in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß nicht zuletzt aufgrund importierter medizinischer Fortschritte eine zügige Reduzierung der Sterberate erzielt werden konnte, während bei der Geburtenrate erst nach einer langen Verzögerung ein nennenswerter Rückgang einsetzte. Dabei ist selbst, wenn voneinerFortsetzung dieser Rückgangstendenz der Geburtenrate ausgegangen wird, noch für die nächsten Jahrzehnte ein weiteres ausgeprägtes Wachstum der Bevölkerung der Dritten Welt zu erwarten. Allein bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird mit einer Zunahme um über eine Milliarde gerechnet.
nd auch bei einer signifikanten Veränderung des generativen Verhaltens wird ein starkes Bevölke-nugstachstum in der Dritten Welt bis weit in das nächste Jahrhundert hinein nicht zu vermeiden sein. Dies liegt an der Altersstruktur der Bevölkeung in den betreffenden Ländern, die durch ausge-prägt niedrige Altersgruppen charakterisiert ist Bei einer solchen Altersstruktur wird ein Rückgang der (durchschnittlichen) Kinderzahl pro Familie zumindest teilweise durch Zunahme der Zahl der Eheschließungen kompensiert
Die Vorstellung, daß das rapide Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung, etwa durch eine Zunahme der Nachfrage, Verbesserung der Nutzung der Größenvorteile oder die Induzierung technischer Fortschritte, fördert, kann für die Mehrzahl der Entwicklungsländer kaum überzeugen. In diesen Ländern dürften die negativen Entwicklungswirkungen der Bevölkerungsexpansion, wie die Beeinträchtigung der Investitionsaktivitäten, in ihrer Bedeutung überwiegen. Dementsprechend empfiehlt sich hier eine Politik, die auf Drosselung des Bevölkerungswachstums abzielt. Die gegenseitige Beeinflussung von Bevölkerungswachstum und Unterentwicklung im Sinne einerzirkulären Verursachung macht es erforderlich, daß eine Politik der Eindämmung des Bevölkerungswachstums in eine umfassende Entwicklungspolitik integriert werden muß. So müssen z. B. Maßnahmen der Familienplanung mit Maßnahmen der Beschäftigungs-bzw. Wachstumsförderung und damit der Einkommenssteigerung Hand in Hand gehen. Eine erfolgversprechende Politik der Eindämmung des Bevölkerungswachstums muß aber direkt an den Ursachen ansetzen. In diesen Rahmen gehören z. B. die Aufklärungsarbeit, um gewünschte Verhaltensänderungen herbeizuführen; der schrittweise Aufbau einesSystems dersozialen Sicherung, welche das Angewiesensein in der Alterssicherung auf. die eigenen Kinder reduziert; wie auch solche Maßnahmen, die einer Reduzierung der Kostendes Großziehens von Kindern entgegenwirken. Dam gehört die Anhebung des Mindestalters für Er. werbstätigkeit bzw. die strenge Kontrolle des Verbots von Kinderarbeit; die strenge Einhaltung der Schulpflicht; die Förderung der Berufsausbildung und der Beschäftigung von Frauen (im Sinne einer Steigerung der Opportunitätskosten für Hausfrauenarbeit); und eventuell auch die Reduzierung staatlicher Transferleistungen bei zunehmender Kinderzahl.
El-Shagi El-Shagi, Dr. sc. agr., geb. 1941; 1960 bis 1964 Studium der Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim; 1978 Habilitation in Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum; seit 1981 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier. Veröffentlichungen u. a.: Strategie der wirtschaftlichen Integration, Berlin 1980; (zus. mit M. Raschen) Arbeitskräfteabwanderung aus Entwicklungsländern in die arabischen Ölländer, München -Köln -London 1984; Dritte Welt: EG-Entwicklungskooperation, in: Die Europäische Gemeinschaft in der Weltwirtschaft, Bd. 11, Baden-Baden 1987; zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und Periodika.
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