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Informatorische Bildung oder Allgemeinbildung? Über den Bildungswert des Computers | APuZ 27/1989 | bpb.de

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APuZ 27/1989 Artikel 1 Entwicklung und Perspektiven der Schulverfassung in der Bundesrepublik Deutschland Schule und gesellschaftlicher Wandel Anforderungen an die Schule in den neunziger Jahren Zur kulturverändernden Kraft der Computertechnologie Informatorische Bildung oder Allgemeinbildung? Über den Bildungswert des Computers

Informatorische Bildung oder Allgemeinbildung? Über den Bildungswert des Computers

Hans-Dieter Kübler

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der ersten Hälfte der achtziger Jahre löste der Computer heftige bildungspolitische und pädagogische Diskussionen aus: Eine „neue Bildungskrise“ wurde beschworen. Rezepte und Konzepte für die möglichst rasche Qualifizierung der Computerhandhabung wurden propagiert, Lehrpläne wurden umgeschrieben — aber auch gründliche Überlegungen darüber angestellt, was Kinder und Jugendliche für die und in der heraufziehenden „Informationsgesellschaft" lernen müssen. Diese Überlegungen mündeten in die „informationstechnische Bildung“ ein, die in den Bundesländern unterschiedliche Ausprägungen erfährt. Zwar wird sie in den Schulen inzwischen mit mehr oder weniger großem Erfolg praktiziert, doch bald wurde sie aus dem pädagogischen Diskurs von Debatten und Ansprüchen über eine neu zu bestimmende Allgemeinbildung verdrängt, ohne daß bis heute hinreichend geklärt wäre, wie sich die beiden in Reichweite und Substanz zueinander verhalten. Dafür sind nicht nur die Konjunkturen der pädagogischen Öffentlichkeit verantwortlich, sondern auch die noch ungenügende Bestimmung und Abklärung dessen, was die informationstechnische Bildung als Ziel-horizonte und Objektbezüge sich vornehmen soll. Die Einschätzungen darüber, was „neue Technologien“ sind, was sie in der Gesellschaft und für das Individuum bewirken und was davon pädagogisch bearbeitet werden müßte, divergieren erheblich — vermutlich notwendigerweise, wenn man die verbreiteten Unsicherheiten darüber, was der anhaltende gesellschaftliche Wandel bedeutet, berücksichtigt und nicht normierend überdeckt. Am Ende dürfte daher nur ein Konzept von Allgemeinbildung einigermaßen Bestand haben, das einerseits seine grundlegenden Prämissen und Intentionen offenbart, ständig zur Diskussion stellt und damit sie selbst als Lernprozeß begreift und das andererseits sich immer wieder von neuem um die vorfindliche (künftig gewiß noch zunehmende) Komplexität der Lernsituationen im Konkreten, also um die Wechselwirkungen von sozial-kognitiven Gegebenheiten und inhaltlich-stofflichen wie methodischen Möglichkeiten, bemüht. Einer Verkürzung auf vermeintlich instrumenteile und technische Obliegenheiten darf die Pädagogik nicht nachgeben, will sie sich nicht selbst diskreditieren und überflüssig machen.

I. Vom „Computerführerschein“ zur Allgemeinbildung — Ein Abriß bildungspolitischer Konjunkturen

Gerade oder schon sieben Jahre ist es her, als in sicherlich kalkulierter, aber unerklärter Nachfolge der von G. Picht 1964 ausgerufenen „Bildungskatastrophe“ eine „neue Bildungskrise“ beschworen wurde, in ihrem Gewicht und in ihren Ausmaßen nicht minder beunruhigend als jene. Gemeint ist das Plädoyer des Bremer Informatikers K. Haefner .der zunächst einen „Computerführerschein“ für alle forderte. Letztlich favorisierte er eine strikt zweckrationale Bildungsplanung, die nahtlos auf die Erfordernisse des künftigen Arbeitsmarktes und die Grade der Betroffenheit durch die technologischen Innovationen ausgerichtet werden müsse. In drei Leistungs-und Verwendungskategorien wollte er die nachwachsenden Generationen und ihre Bildungsoptionen einteilen: — in die überlegenen „Unberechenbaren“, die sich beinahe schrankenlos dem weiteren wissenschaftlich-technischen Fortschritt widmen dürfen; — in die disponiblen „Substituierbaren“, die die technischen Innovationen und Errungenschaften operativ zu bewältigen und zu bearbeiten haben, freilich stets unter der Drohung, durch Maschinen ersetzt zu werden, — und schließlich in die tendenziell ausgrenzbaren „Autonomen“, die sich Beschäftigungen und Lebenswege außerhalb des sich ständig weiter automatisierenden Produktionskreislaufes gewählt haben oder suchen müssen

Nur mit einer solchen rigorosen Planung, argumentierte Haefner, sei der Sprung in die von ihm als alternativlos erachtete „Homuter-Gesellschaft“ ohne systembedrohende Opposition oder Resignation der Mehrheit zu schaffen.

Die Bildungskrise blieb aus — oder schwelt immer noch, je nach Sichtweise; die von Haefner als zwingend dargestellten grundlegenden Innovationen, vor allem die immensen Investitionen lassen ebenso auf sich warten. Immerhin: Sein Vorschlag eines dreigeteilten Bildungsreglements fand Eingang in ein offizielles Dokument, in den Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Neue Informations-und Kommunikationstechniken“ des 9. Deutschen Bundestages vom März 1983. Darin werden lapidar 15 Prozent „funktionelle Analphabeten“ prognostiziert, die angesichts des technologischen Wandels weder jetzt noch später in die Bildungs-und Kulturwelt der Gesellschaft integriert werden könnten

Natürlich riefen solche Vorstellungen, erst recht die angestrebte oder bereits erfolgte Ausstattung der Schulen mit Computern und die Etablierung des Faches Informatik sogleich die Skeptiker auf den Plan: H. v. Hentig C. Eurich Hamburgs Schulsenator J. Grolle und etliche andere warnten — unterschiedlich vehement — vor einer überstürzten Anpassung an vermeintliche technologische Notwendigkeiten, verlangten nach pädagogischen Strategien zur Bewahrung und Stärkung der allenthalben bedrohten unmittelbaren Erfahrung, des menschlichen Kontaktes, der ungesteuerten Wahrnehmung und der ganzheitlichen Sinnlichkeit. Digitalisiertes Erleben und binäres Denken dürften nicht als dominierende Lernmaximen obsiegen. So gegensätzlich diese beiden hier zugespitzten Positionen auf den ersten Blick sind, eine grundlegende Prämisse verbindet sie: Es ist ein weitgehend deterministisches Bildungsverständnis, das seine Voraussetzungen und Ziele nicht aus einem wie immer begründeten Menschenbild oder einer pädagogisch geschöpften Leitidee gewinnt, sondern aus einer Deduktion gesellschaftlicher, in diesem Fall vornehmlich technologischer Konditionen — wobei dann deren Triftigkeit und Prognostizierbarkeit bald nicht mehr unter Beweispflicht stehen und dadurch unbemerkt sanktioniert werden Meist werden nur noch die Wirkungen und die Herausforderungen von Technik diskutiert und daraus ohne Rücksicht auf die von Individuum zu Individuum divergierenden Aneignungs-und Verarbeitungsweisen Bildungsmaßnahmen gefolgert — entweder im strikten Nachvollzug dessen, was als gesellschaftliche Tendenz erkannt wurde, oder eben in Opposition dazu. Die Wirklichkeitsfolie (oder das, was man dafür hält) ist dabei aus der Konstruktion und der Definition von Bildungszielen verschwunden; gemeinhin wird sie nur noch als allseits bekanntes, stereotypisiertes Kürzel apostrophiert, so daß sie den nun begonnenen bildungstheoretischen Diskurs kaum mehr stört.

Dementgegen wird sich die Pädagogik fragen müssen, ob sie ihre Vorstellungen und Ziele nicht autonomer schöpfen und begründen muß — zumal in einer Welt, die infolge ihrer wachsenden Komplexität immer unübersichtlicher, differenzierter und zukunftsungewisser wird und der die Individuen zumindest in den Industrienationen mit fortschreitender Pluralisierung und Individualisierung ihrer Lebensentwürfe begegnen. Gefragt sind also — wieder einmal, kann man skeptisch einwenden — Legitimation und Finalität pädagogischen Handelns — gerade und folgerichtig angesichts des Gerätes, das wie kein anderes zur Umwälzung aller Lebensbezüge ansetzt.

Im Dezember 1984 verabschiedete die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) ihr „Rahmenkonzept für die informationstechnische Bildung in Schule und Ausbildung“, das Ende 1987 zu einem mit weiteren Aspekten für die Hochschule und Weiterbildung angereicherten „Gesamtkonzept für die informationstechnische Bildung“ gefügt wurde. Ober-stes Ziel dieses Gesamtkonzepts ist es, „allen Jugendlichen die Chancen der neuen Techniken zu eröffnen und sie zugleich vor den Risiken zu bewahren, die durch unangemessenen Gebrauch entstehen können“

In dieser Allgemeinheit — allein die Formulierung verrät einen recht einseitigen Technikbegriff, der die Verantwortlichkeit ausschließlich dem privaten Nutzer aufbürdet — haben sich inzwischen nahezu alle Bundesländer zu diesem Bestreben verpflichtet, entsprechende didaktisch-methodische Konzepte entwickelt, in Lehrpläne gegossen oder in Modellversuchen zur Erprobung gegeben. Allerdings sind Abweichungen, wenn nicht Dissonanzen nicht zu übersehen, etwa zwischen Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz einerseits und Nordrhein-Westfalen andererseits.

Am baden-württembergischen Lehrplan fällt beispielsweise die einseitige Systemorientierung und die Konzentration auf Programmkonstruktionen auf, die zudem kardinale „Lebensbedürfnisse von Hauptschülern“ und vor allem von Mädchen vernachlässigt. Demgegenüber faßt das nordrhein-westfälische Konzept, das noch in der Erprobung ist, seinen Bildungsauftrag weiter und ist daher auch als informations-und kommunikationstechnologische Bildung gekennzeichnet worden Damit soll drohenden instrumentalistischen Verkürzungen und ausschließlich technikinduzierten Verengungen vorgebeugt werden. Von kompetenten Erziehungswissenschaftlem ist es daher als „das differenzierteste und sorgfältigste Papier“ gelobt worden, „das zu diesem Problem bisher von einem bundesdeutschen Kultusministerium erstellt wurde“. Sein generelles Ziel ist es, wie es H. -G. Rolff einer seiner maßgeblichen Verfasser, gemeinhin formuliert, die „Vorbereitung auf das Leben mit den neuen Technologien“ bzw. „die Vorbereitung auf die Beherrschung und die Gestaltung der neuen Technologien“ und des von ihnen verursachten gesellschaftlichen Wandels.

Mögen diese Intentionen manchem auch zu emphatisch. vielleicht sogar unrealistisch anmuten, offensichtlich ist mit ihnen die Schwelle zu jenen Zieldimensionen beschritten, die gemeinhin der Bildung als ganze und nicht mehr einer Spezialbildung aufgetragen sind. Und in der Tat: Eine solche informations- und kommunikationstechnologische Bildung mündet für H. -G. Rolff in ein von Grund auf zu erneuerndes Verständnis von allgemeiner Bildung ein oder ist womöglich weitgehend identisch mit ihm. Computer und neue Medien, so muß man fragen, mithin als Impuls und Maßstab für eine neuerliche Bildungsreform oder auch für die Fortsetzung der alten, aber unvollendet gebliebenen Reform der sechziger Jahre?

Allerdings: In welchem Verhältnis die informationstechnische Bildung zu dem weiterreichenden und grundlegenderen Auftrag der Schule steht, nämlich „den Erwerb von Allgemeinbildung zu ermöglichen und zu unterstützen“, ist bis heute ungeklärt, geschweige denn systematisch begründet. Darauf hoben auch die Referenten der Heidelberger Tagung „Allgemeinbildung“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft im März 1986 ab Erst auf einer solchen systematischen Basis ließe sich erkennen und rechtfertigen, weshalb das Orientierungs-und Reflexionswissen über die neuen Technologien nicht in die bestehenden und möglicherweise zu modifizierenden Fachcurricula integriert werden und inwiefern es andere Bildungsinhalte bis zu einem gewissen Grad verdrängen oder gar ersetzen könne

Auch in amtlichen Kreisen scheint man inzwischen mit der Konzentration auf den Computer nicht mehr ganz glücklich zu sein. Hatte die vormalige Bundesbildungsministerin D. Wilms bei der Einsetzung der Fördergemeinschaft „Computer + Bildung“ noch 1984 angekündigt.der Computer werde nicht nur „neue Lebenschancen“, sondern auch „für den Unterricht neue pädagogische Chancen“ * vermitteln wurde er von ihr zwei Jahre später bereits in das überkommene Bildungskonzept integriert.

Die neuerliche Diskussion um Allgemeinbildung, so die Ministerin, habe ihren Ausgangspunkt vor allem in Zweifeln und Fragen, „ob die gegenwärtigen Bildungsinhalte den Anforderungen in Beruf und gesellschaftlichem Leben entsprechen“. Daher müsse Allgemeinbildung heute nebst vielem anderen zu einem „nüchtern-sachbezogenen und verantwortungsvollen Umgang“ „mit den Möglichkeiten der neuen Technologien“ befähigen. Denn der Gefahr, daß dem „einzelnen bestenfalls mittelbar Antworten, Tätigwerden, Verantwortlichsein abgefordert“

würden, also dem Risiko instrumenteller Abhängigkeit, müsse pädagogisch wirksam begegnet werden. Dazu seien das Verständnis der neuen Technologien und ihre grundlegende Beherrschung unerläßlich. Von der „informationstechnischen Bildung“, wie von der BLK initiiert, war explizit nicht mehr die Rede.

1987, auf der „didacta“ in Hannover, bekannte sich die Ministerin noch deutlicher zur übergeordneten Idee der Allgemeinbildung: Nun wollte sie dem Computer bzw.seiner Handhabung nicht mehr die automatische Bereitstellung von Kenntnissen und Lebenschancen bescheinigen, vielmehr verlangte sie eine grundlegende Allgemeinbildung, um das „Spezialwissen“ „verstehen, einordnen und für sich bewerten zu können“

Von den konstruktiven und eigenständigen Potentialen der informationstechnischen Bildung ist mithin immer weniger die Rede. Doch die grundlegenden Dilemmata lassen sich nicht durch Abstraktheiten übergehen, wie sie offenbar von beiden Seiten — den Befürwortern der Computerbildung ebenso wie von den Skeptikern — bereitwillig bemüht werden:

Technik zu beherrschen und mit Vernunft zu kontrollieren, gelingt in einer komplexer und komplizierter werdenden Welt immer weniger, und dies nicht nur deshalb, weil Bildungspolitik und Pädagogik kaum mehr imstande sind, die Spezifität und das Potential technischer Innovationen mit ihren Kategorien zu beschreiben und zu vermitteln.

Unter didaktischen und unterrichtsorganisatorischen Gesichtspunkten wird man ferner zu bedenken haben, daß eine informationstechnische Bildung mit so weitreichenden, vor allem auch erzie-herischen Aufgaben kaum nur als zusätzliches Fach dem bestehenden Schulpensum hinzugefügt werden kann. Denn alle Fächer sind in ihrer stofflichen Substanz von den technischen Dimensionen der informationstechnischen Bildung betroffen. Dadurch erweist sich ja gerade deren Universalität. Die bloße verbale Einvernahme in die Allgemeinbildung vermag mithin die prinzipiellen Probleme nicht zu lösen.

Auf besagter „Allgemeinbildungs“ -Tagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft behauptete sich daher hartnäckig die Frage, — ob und wie die technologischen Entwicklungen und/oder der damit einhergehende gesellschaftliche Wandel ein umfassendes, schlüssiges und solides Konzept von Bildung zu stiften oder gar zu begründen vermag oder — ob nicht vielmehr, gerade in Anbetracht der fortschreitenden Technisierung und der dadurch voraussichtlich unaufhaltsamen Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche, Bildungsziele und -inhalte nicht selbstbewußter oder auch kontrastiver formuliert werden müßten: entweder als utopischer Vorgriff auf eine humanere Gesellschaft oder als ein mutiger Entwurf eines bestimmten Menschenbildes.

In seinem vielbeachteten Vorschlag, das Konzept einer zeitgemäßen Allgemeinbildung aus den jeweiligen „Schlüsselproblemen“ der „gesellschaftlichen und individuellen Existenz“ zu erschließen, suchte beispielsweise W. Klafki die Autonomie, vielleicht auch den Primat genuin pädagogischer Argumentation für bildungspolitische Zielsetzungen wiederzugewinnen. Denn diese „Schlüsselprobleme“ sind, pädagogisch betrachtet und definiert, Konstrukte einer bestimmten Bildungstheorie -Erinnert wurde in Heidelberg auch daran, daß der heute wiederentdeckte und zeitgemäßer gefaßte Begriff der humanistischen Bildung bereits als ideeller Reflex den heraufziehenden Industrialismus und die dadurch bewirkte Arbeitsteilung kommentiert, vielleicht auch konterkariert habe

Zumindest in den populären pädagogischen Zeitschriften scheint mittlerweile die pädagogische Autonomie zur Konzipierung von „Bildung“ wiedergewonnen zu sein. Jedenfalls wird die Renaissance des Bildungsbegriffs breit befürwortet und auf diverse Referenzen gestützt: auf theoretische, empirische, historische, normative oder einfach pragmatische. Der Ideologieverdacht, unter den der Bildungsbegriff in den reformerischen sechziger Jahren geraten und deshalb vom unbelasteteren Qualifikationsbegriffzeitweise verdrängt worden war, ist offensichtlich verflogen (allerdings nicht systematisch ausgeräumt) und zunehmend werden auch die emanzipatorischen Implikationen des Bildungsbegriffs, etwa sein kämpferischer Impetus gegen spätfeudale Willkür, wiederentdeckt.

Klafkis Konzeption trägt also Früchte. Dennoch ist umstritten — und dürfte es auch weiterhin bleiben —, ob Bildung jemals wieder material und inhaltsbezogen definiert werden kann oder ob sich offene Gesellschaften nicht mit strukturellen und prozessualen Umschreibungen von Bildungszielen bzw. von Qualifikationen begnügen müssen. Allein schon die übergreifende Metapher „Allgemeinbildung“ umfaßt in analytisch-kategorialer Hinsicht mindestens drei Zielkomplexe, die in sich wiederum der Differenzierung und zeitbedingten Konkretisierung bedürfen; und letztlich wird man ihre gesellschaftliche Substanz nie aus dem Geflecht daran beteiligter sozialer Interessen lösen können:

— Allgemeinbildung meint primär Bildung der Allgemeinheit, mithin unter demokratischen Vorzeichen Bildung für alle, ohne Ansehen der Herkunft und der sozialen Bedingungen, wofür das reformerische Postulat der Chancengleichheit die praktische Strategie verkörpert(e);

— Allgemeinbildung bedeutet aber auch die sachliche Beziehung zum Allgemeinen, Exemplarischen und/oder Elementaren der Lebens-und Vorstellungswelt, der Real-und Symbolwelt, wofür die jeweils maßgeblichen Prämissen und Deutungsmuster der Wissensschöpfung und Traditionsbildung, der kulturellen Objektivation, verantwortlich zeichnen;

— schließlich intendiert Allgemeinbildung einen Kodex von Wertmaßstäben und Handlungsnormen entsprechend viel-oder gar allseitiger Bildung, gegründet auf einem bestimmten Menschenbild oder anders geschöpften Idealen von Kultur-und Individualentwicklung.

Formuliert man diese Gehalte konkreter, geraten sie gemeinhin in einseitiges Licht, wofür die vorherigen Ausführungen, zumal die über die informationstechnische Bildung, als nachprüfbares Beispiel fungieren können. Gleichwohl ist der neuerdings wieder artikulierte Wunsch nach Perspektiven und normativen Fundamenten für pädagogisches Handeln verständlich. Aber ob er mittels der bislang beschworenen Normversicherungen und Konsensbeschwörungen eingelöst werden kann, ist fraglich. Kritiker verdächtigen die gegenwärtige Renaissance von Allgemeinbildungskonzepten daher als „sozialpädagogische Trostpackung für diejenigen, die von der Arbeitsgesellschaft in . kulturelle Wärmestuben* abgeschoben Werden“

Man kann also resümieren: Im Umbruch befindet sich die pädagogische Diskussion, das Ringen um ein zeitgemäßes Bildungskonzept allemal und in einem schnellebigen, unvermittelten, vom einen zum anderen Sujet vagabundierenden Umbruch obendrein. Im Umbruch — diese heute so häufig bemühte Verlegenheitsvokabel signalisiert außerdem Richtungs-und Zielungewißheit, zumal ganz unterschiedliche Positionen und widerstreitende Interessen sich an der Diskussion beteiligen, ihren Einfluß geltend machen und dabei gemeinhin mit vordergründig identischen Begriffen hantieren. Jedenfalls: In den nun wieder pädagogischen, vielleicht auch ein wenig idealistischen Denkungsarten behaupten sich die neuen Technologien und der von ihnen induzierte Wandel nicht mehr als Impuls und Zentrum des Begründungs-und Finalitätszusammenhangs, wie dies noch eingangs der achtziger Jahre postuliert wurde. Immer seltener spricht man diesen Technologien noch gleichsam selbstläuferische, evidente Bildungswerte zu oder klassifiziert sie als exklusive, alles dominierende bildungspolitische Herausforderungen, denen man mit neuen, ambitionierten Konzeptionen begegnen müsse.

Woher rührt dieser rasche Gesinnungswandel? Ist er nur ein begrifflicher oder auch ein substantieller? Sind die pädagogischen Implikationen der technologischen Innovationen wie schon so oft als gravierender erachtet worden, als sie sich im Laufe der Zeit herausstellen, oder haben sich die prognostizierten gesellschaftlichen Umwälzungen verzögert oder verändert? Zeichnen sich mittlerweile Relativierungen und für das Lernen produktive Verbindungen ab, die die anfängliche Konzentration auf die informationstechnische Bildung bereits wieder zurückdrängen, wenn nicht aufheben? Dies alles sind Fragen, die bald wohl präziser zu sehen und dann wissenschaftlich zu beantworten sind.

Die Antworten auf diese Fragen werden in der Bildungstheorie anders ausfallen als in der schulischen Praxis, wo offenbar schlichte Faszination der Technik wie vehemente Gegnerschaft gegen sie ungebrochen und unvermittelt nebeneinander existieren. Daß Lösung und Entscheidung dieser Fragen nicht nur den politischen Konjunkturen und den pädagogischen Launen geschuldet ist, vielmehr ihre sachliche Substanz in den noch nicht hinlänglich erschlossenen und auch erschließbaren Objektbezügen haben, soll nun erörtert werden.

II. Objektbezüge und Zielhorizonte informationstechnischer Bildung

Wie vage und oftmals willkürlich die zu betrachtenden Gegenstandsfelder beschrieben werden, bleibt schon dem flüchtigen Blick nicht verborgen. Nochmals sei dafür deren objektive Komplexität, Veränderlichkeit und Unabgrenzbarkeit verantwortlich gemacht, aber man kommt auch nicht umhin zu konstatieren, daß die jeweilige Position und Profession der Betrachter Definition und Wertung der Sachgebiete prägen. Doch wenn es schon an der empirischen Validität bzw.der sachlichen Überein-stimmung hapert, wie können und sollen dann die für diese Sachgebiete abgeleiteten bzw. die dafür eingeforderten Qualifikationen präzis, konsistent und vor allem methodisch umsetzbar bestimmt werden?

Allein der vielbemühte Begriff „neue Technologien“ erweist sich noch immer als entweder eindrucksheischende Metapher oder als Verlegenheitsvokabel, mit der sich vieles assoziieren läßt, sowohl uneingeschränkt Positives als auch kraß Negatives. Für die einen, vornehmlich für die mit ingenieurwissenschaftlichem und technischem Hintergrund, verkörpern die Informationstechniken lediglich enorm expandierende und ergiebige Anwendungsfelder von Mikroelektronik und Prozeßtechnik, mithin logische Weiterentwicklungen zweckrationaler Datenverarbeitung und System-steuerung Für die anderen, mit gesellschaftsund technikkritischer Sichtweise zumeist, stellen die Informationstechniken unvergleichbare Schlüssel-und Querschnittstechnologien dar, also letztlich universelle und sich miteinander vernetzende Tech-nologien, die sowohl materielle als auch mentale Transformationen unabsehbaren Ausmaßes zeitigen werden Folglich werden sie — etwa von J. Weizenbaum — als konsequente, wenn auch bedenkliche Kulmination des allmählich omnipotenten zweckrationalen Denkens, als technisch erwirkte Materialisierung unbedingter Naturbeherrschung betrachtet.

Immerhin: In der 1984 verabschiedeten „Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informationsund Kommunikationstechniken“ sind fünf in sich vielschichtige Komplexe aufgeführt, die sicherlich eigene Spezifika der „neuen Technologien“ konstituieren, aber sich auch vielfach wechselseitig bedingen und deshalb nicht scharf voneinander zu trennen sind. Es sind dies — elektronische Bauelemente und mikroelektronische Systeme.

— technische Kommunikation, — Unterhaltungselektronik, — Datenverarbeitung und Bürotechnik, — industrielle Automation

Nicht eigens ausgewiesen in dieser Konzeption sind die Erweiterungen und Veränderungen auf dem Feld der gesellschaftlichen Kommunikation, früher als Massenkommunikation bezeichnet, also die „neuen Medien“. Sie beunruhigen die pädagogische Öffentlichkeit immer noch ungleich stärker als die gesamte Mikroelektronik, vielleicht weil sie schon unmittelbar zu erfahren und auch einfacher zu beurteilen sind Das technisch Neue an ihnen steckt allenfalls in den Endgeräten und in der Erschließung neuer Übertragungskapazitäten; das eigentlich Beunruhigende rührt indes von den ökonomischen Bedingungen her, also von der gesellschaftlichen Organisation der Produktion und Verteilung nun auch symbolisch-kommunikativer Waren und von den daraus erwachsenden Konsequenzen für deren programmliche Gestaltung. Dafür sind allerdings politische, nicht technische Vorgaben verantwortlich. Schon diese knappe Auflistung belegt, welch verschiedene Dimensionen jeweils unter den Begriff „neue Technologien“ subsumiert werden können.

Diese voneinander abweichenden bzw. gegenläufigen Sichtweisen einschließlich ihrer ungezählten Spielarten dazwischen kann die Pädagogik nicht unberücksichtigt lassen. Mindestens in doppelter Weise prägen sie ihr Denken und Handeln: auf dem gesamten Gebiet der Zielformulierung wie auf dem der gegenständlichen Stoffvermittlung. Daher sollen nun die in der Diskussion am häufigsten traktierten objektspezifischen Paradigmen knapp umrissen werden, ohne Anspruch auf gänzliche Vollständigkeit und auch nicht mit der Absicht, zwischen ihnen zweifelsfreie Prioritäten festlegen und begründen zu können. 1. Der Computer als Werkzeug Technischem und ingenieurwissenschaftlichem Verständnis entspringt die Definition des Computers als Werkzeug, mit dem die intelligente Menschheit nunmehr ihre symbolische Welt bearbeiten kann. Aus dieser Definition resultierte zunächst das pädagogische Bestreben, dieses Werkzeug kennen-und benutzen zu lernen. „Maschinen-oder System-orientierung“ nennt man diesen Ansatz mittlerweile in der didaktischen Diskussion. Doch unklar und umstritten blieb dabei, was denn nun an dem Werkzeug Computer Wissens-und Beherrschenswertes sei. Während man anfangs den Maschinen-begriff ganz wörtlich nahm und anfing, in didaktischen Unternehmungen binäre Schaltungen nach-zubauen, stürzten sich fortgeschrittene Konzepte alsbald auf die kognitiven Dimensionen, auf Strukturen, Logiken und Prozesse der Problemaufbereitung und -abarbeitung. Es war die Zeit, in der diverse Computersprachen gelernt werden sollten, und diese Zeit dauert, wie sich in der Schule, vor allem aber in den außerschulischen Computercamps beobachten läßt, bis heute noch an.

Inzwischen präsentieren sich die Micro-Computer bereits auf höherem „sprachlichem Niveau“: Anwendungsprogramme, Tools, Menüs wetteifern um die Gunst des immer verwöhnteren (Techniker könnten auch sagen: des immer dümmer gehaltenen) Benutzers. Doch auch die neuesten Produkte sind — entgegen manchen Versprechen der Werbung — längst noch nicht so vereinfacht und perfekt, daß man sie voraussetzungslos wie andere elektrische Geräte nutzen könnte. Fast für jede Aufgabe findet sich mittlerweile ein Programmtyp. in mehreren Versionen versteht sich, eine angeblich simpler als die andere.

Dem instrumenteilen Charakter kommt der häusliche Micro-Computer — wenn man so will — immer näher, nur erkennen, was an ihm das Werkzeug-hafte ist, gelingt immer weniger. Insofern sinkt natürlich sein allgemeiner Bildungswert, also das, was an ihm prinzipiell zu lernen ist. zumal die Lemherausforderungen außerdem ständig wechseln, sich negieren oder sich eben neu konturieren. Daher wirken aus technischer Sicht viele bildungspolitische Emphasen schon jetzt reichlich überzogen und sachfremd: An den Spekulationen, ob und inwieweit die Computer eine neue, qualitativ unterscheidbare und höhere Stufe der Zivilisation einleiten, beteiligten sich Techniker ohnehin höchst ungern. wie sie auch leider, an den mannigfachen, aus ihrer Sicht meist menetekelnden Diskussionen über die sozialen Folgen technologischer Innovationen kaum Anteil nehmen.

Auch hinsichtlich des pädagogischen Handelns plädieren Techniker meist für schlichte, naheliegende Optionen: Die effiziente Handhabung dieser oder jener . mikroelektronischen Werkzeuge sollte man lernen in den Handlungs-und Produktionskontexten, in denen diese in der Regel ungleich komplizierteren und stärker funktionenbezogenen Apparate gebraucht werden. Die allgemeinbildende Schule mit ihren Micro-Computern kann dafür allenfalls kognitive Dispositionen vorbereiten. Salopp formuliert: Schaden kann eine informationstechnische Bildung nicht, aber nutzen für die Qualifikation künftiger Arbeitnehmer wird sie auch nicht viel. Die unmittelbare Ausbeute solcher Positionen für eine allgemeinbildende Theorie des Computers ist daher spärlich — wiewohl, das sei nochmals betont, viele bildungspolitische Ansprüche und Maximen just auf sie rekurrieren.2. Der Computer als (berufsvorbereitendes)

Qualifikationsinstrument Bildungstheoretisch begründet und mit arbeits-und berufssoziologischen Befunden verbunden sind die Postulate, die die informationstechnische Bildung als unentbehrliche Voraussetzung für die künftige Berufs-und Lebenswelt der nachwachsenden Generationen fordern. Die einen — wie etwa die Bundesregierung in besagter Konzeption — werten informationstechnische Qualifizierungen als wichtige „zukunftssichernde Investitionen“ in das „Humankapital“ Kosten-Nutzen-Kalkulationen, wie die Investitionen am ertragreichsten einzusetzen sind, drängen sich unter solchen Prämissen unausweichlich auf.

Die anderen wollen die informationstechnische Bildung als gleichsam anthropologische Grundausstattung aller — eben im Sinne allgemeiner Bildung — verstanden wissen, um für das Leben in der „Informationsgesellschaft“ zu rüsten. Forschere Vorstöße in anderen Ländern wie etwa Großbritannien, Frankreich, USA und Japan bestärken sie in diesen Bestrebungen. Als „Vierte Kulturtechnik“ firmieren inzwischen die dabei zu erwerbenden Fähigkeiten und Fertigkeiten. Doch auch von dieser vorgeblich so elementaren Zugangsweise darf man sich nicht nur blenden lassen. Denn prüft man, was sich hinter dieser „Vierten Kulturtechnik“ Besonderes und/oder Grundsätzliches verbirgt, stößt man bislang auf kaum mehr als die üblichen Vorschläge zum Training von Bedingungsfertigkeiten für diese oder jene Geräte bzw. Programme 3

In der Öffentlichkeit überzeugen natürlich die Thesen und Prognosen über die qualifizierenden, berufsvorbereitenden Potentiale der informationstechnischen Bildung am direktesten und nachhaltigsten — kein Wunder bei den anhaltenden, wenn auch sich differenzierenden Restriktionen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes 32). Gewiß: Manche generelle Fähigkeit wie logisches Denken, räumliches Sehen, abstrahierende Beweisführung etc. kann man am Computer leichter, anschaulicher, abwechslungsreicher und flexibler üben als auf herkömmliche Weise. Auch die Einübung mancher Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Genauigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Stringenz läßt sich als technische Notwendigkeit verbrämen, der Computer kann dabei als unbestechlicher Maßstab fungieren.

Untersucht man jedoch die Perspektiven und Bedingungen der gesellschaftlichen Arbeit in Zukunft eingehender, erkennt man durchaus zwiespältige, wenn nicht widersprüchliche Grundtendenzen in Empirie und Prognose. Verwiesen sei nur auf die These, daß die gewerbliche, speziell qualifizierte Arbeit im Leben der Menschen einen immer geringeren realen wie bewußtseinsmäßigen Stellenwert einnehmen wird und daß zugleich freizeitliche Betätigungen, aber auch „informelle Arbeiten“ für nicht mehr gewerblich erbringbare handwerkliche, soziale und kulturelle Dienstleistungen an Bedeutung gewinnen. Das „Ende der Arbeitsgesellschaft" mag zwar für viele, zumal für jene, die derzeit keinen Arbeitsplatz haben, ein leichtfertiges Schlagwort sein, aber ganz ohne reale Indikatoren ist es nicht

Erwähnt seien auch die ungezählten Prognosen darüber, wie viele abhängig Beschäftigte künftig welche Computerkenntnisse brauchen werden. Die Zahlen minimieren sich von Jahr zu Jahr, je bedienungsfreundlicher und anwendungsspezieller die Benutzeroberflächen, je mehr Anwendungsfelder mit passender Software erschlossen und bedient werden Schon warnen Experten vor einem Überschuß an Informatikern und Computerspezialisten bzw. vor Disproportionen auf einzelnen qualifikatorischen Feldern. Das ganz überwiegende Gros der von Computerarbeit Betroffenen sind jedenfalls die nur anzulemenden Benutzer, und sie werden künftig immer mehr werden.

Am unsichersten ist die Qualität künftiger Arbeitsorganisation, also der Grad der Arbeitsteilung und die daraus resultierende Beschaffenheit von Qualifikationsprofilen. Von Kern und Schumann für die Kernsektoren der produzierenden Industrie, von Baethge und Oberbeck für Verwaltung und Büro und von Sorge u. a. für die internationale Verteilung wird der Stopp, wenn nicht die Umkehr fortschreitender Partikularisierung der Arbeitsprozesse avisiert: Umfassendere, vielseitigere, komplizierte und flexiblere Tätigkeitsfelder schälen sich sukzessive in Produktion, Verwaltung und Dienstleistung heraus, ein „Ende der Arbeitsteilung“ zeichne sich auf mittlere Sicht ab.

Inzwischen scheint der Verblüffungseffekt dieser These schon ein wenig verbraucht; skeptischere Experten, die die wachsende Zahl unterqualifizierter und tariflich minderwertiger Arbeitsplätze nicht zuletzt in den USA beunruhigt, befürchten neue Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt. Diese Arbeitsplätze werden ihnen zufolge immer wieder, wenn auch nur auf Zeit und in wechselnder Form, gleichsam am Boden der technologischen Umwälzung als Folge rasant steigender Produktivität entstehen.

Und da von ihr ganze Berufssparten wiederholt tangiert werden, sind die davon Betroffenen auch immer wieder gezwungen, solche Tätigkeiten unter Wert und Tarif anzunehmen.

Für das pädagogische Handeln ist aus dem industriesoziologischen Disput primär das Postulat der Gestaltbarkeit menschlicher Arbeit und der weitestgehenden Teilhabe aller daran Beteiligter zu folgern: Arbeitsteilung, so K. Klemm sei nicht technisch determiniert, sondern konkret von „Folge(n) komplizierter Entscheidungsprozesse“ bewirkt, die nicht zuletzt davon beeinflußt werden, „was Menschen gelernt haben“. Offensichtlich ergeben sich „Gestaltungsspielräume in der Arbeitsorganisation“ stets von neuem, und die könnten oder müßten so genutzt werden, daß sich Arbeitsteilungen zurückdrängen ließen.

Unter solchen Vorzeichen stellen sich die Aufgaben der informationstechnischen Bildung ungleich umfassender, gründlicher und auch schwieriger. Im Grunde münden sie in ein durchgängiges Unterrichtsprinzip polytechnischer Art in all jenen Fächern (und welche wären dies nicht?) ein, die von den technologischen Umwälzungen betroffen und/oder dazu aufgerufen sind, deren Voraussetzungen und Folgen lernend zu bedenken.3. Der Computer als telematisches System Aus gesellschafts-und kommunikationstheoretischer Sicht ist die Mikroelektronik Nukleus und Movens einer „neuen Infrastruktur gesellschaftlicher Produktion und Entwicklung“, Fokus „telematischer“ Systeme und Vernetzungen. Der häusliche und schulische Micro-Computer fungiert hier als Miniaturmodell, dessen Beschränkungen und Isolierungen gedanklich übersprungen und mit der anhaltenden technischen Entwicklung bald auch transzendiert werden können. An der analytischen Erkundung und Durchdringung dieser Systeme, möglichst auch an ihrer sozialen Beherrschung und Gestaltung sollen alle — getreu demokratischer Spielregeln — beteiligt werden; solches systemische Wissen jenseits von speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten ist demnach für alle unentbehrlich und gehört zum allgemeinbildenden Auftrag der Schule. Diese Konzeption macht sich also die Klassifikation der Informationstechnologien als universelle Schlüssel-und Querschnittstechnologien zu eigen. und nur von diesen übergeordneten Lernzielen aus rechtfertigt sich der unmittelbare Umgang mit dem Computer, wobei Grade. Anwendungsgebiete und Programminhalte unterschiedlich bewertet werden Entsprechende curriculare, vor allem aufeinander aufbauende Konzeptionen liegen jedoch allenfalls in Ansätzen vor; meist beschränken sie sich auf abgrenzbare, vergleichbar einfache Segmente informationstechnischer Anwendung (z. B. Bildschirmtext, Herstellung einer Zeitung bzw.deren Layout, Mailbox, Robotertechnik) So nachhaltig die Zieldefinition beeindruckt, so lange die didaktisch-methodische Umsetzung sich als derart fragmentarisch und/oder phänotypisch erweist, wie dies die verfügbaren Unterrichtseinheiten noch sind, ist der unterrichtliche Ertrag dieser systemischen informationstechnischen Bildung noch nicht hinreichend. Freilich: Da sie letztlich auf eine Neudefinition und -bewertung der schulischen Lernstoffe insgesamt — eben unter der Maßgabe des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der technologischen Innovationen — sowie auf Entwicklungen und Modifikationen des gesamten schulischen Lernens sinnen, wird man ihnen mehr Zeit einräumen müssen, als sie sie bislang zur Verfügung hatten. 4. Der Computer als Bedrohung des Humanums Vornehmlich von anthropologischer Warte aus argumentieren diejenigen, die infolge der fortschreitenden Informatisierung die schleichende Metamorphose menschlicher Eigenschaften, der Kognition und der mentalen Strukturen befürchten: eben in Richtung auf eine nur noch eindeutige, schematische oder algorithmierbare Wahmehmungs-und Denkkapazität. „Wir werden nicht sprechen, wir werden denken wie die Computer — und darum auch in vieler Hinsicht , sein‘ wie sie“, prophezeite H. v. Hentig auf einer Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Auch wenn man sich von der gravitätischen, natürlich unbewiesenen Allgemeinheit dieser Sentenz nicht ganz überzeugen lassen will — das Spektrum derjenigen, die diese Sorge teilen, ist breit und vielschichtig; es reicht mittlerweile bis in die Kreise der Informatiker hinein. „Ganzheitlich-emotionaler Erlebnis-reichtum“, soziale Beziehungen und vor allem die gelernte Chance, zwischen allen den Menschen verfügbaren Wahmehmungs-, Denk-und Handlungsweisen situationsangemessen zu wechseln und sie beliebig zu kombinieren, also nicht irgendwelchen technisch oktroyierten Eindimensionalitäten zu unterliegen: dies werde für die menschliche Existenz, so der Berliner Psychologe W. Volpert immer essentieller.

Folgt die informationstechnische Bildung solchen Warnungen und Perspektiven, kann sie sich eigentlich nur auf den schmalen und wenig aussichtsreichen Weg des Gegensteuerns, der Relativierung und Kompensation der drohenden Verkümmerung menschlicher Fähigkeiten begeben. Soziale, kulturelle und kognitive Alternativen sind aus dieser Sicht vorrangiger und dringlicher als Qualifizierungen. Informationstechnische Bildung muß also zumindest theoretisch ihre gänzliche Negation mitbedenken, zumal sich bekanntlich eine elementarisierende, weltdistanzierte, musische Pädagogik — etwa die von Waldorf — wachsenden Zuspruchs und Respekts erfreut. 5. Der Computer als Teil eines neuen Mediensystems Kulturtheoretischer Art sind jene Befunde, die die Veränderungen des gesamten kulturellen Gefüges durch die fortschreitende Technisierung und Mediatisierung im Blick haben. Und da diese nicht ohne entsprechende Investitionen und Konsumleistungen voranzutreiben sind, ist die zunehmende Kommerzialisierung der Kultur untrennbar damit verbunden. Hinsichtlich der Beurteilung dieser Positionen lassen sich zwei Positionen unterscheiden.

Die Vertreter einer kulturkritischen Position trauern noch immer um die freilich längst schon ruinierte Aura der Kunst und fürchten die unaufhaltsame Nivellierung und Verramschung der Kultur-produktion hin auf das bloß Seichte, Sentimentale und Sensationelle. Hinzu kommt, daß die expandierende Zweckrationalisierung sämtlicher Bereiche der Lebenswelt zunehmend stärkere, sprich: aufreizende wie narkotisierende Dosen für die affektiven, sinnlichen oder auch triebgeleiteten Bedürfnisse verlangt. Das technische Manipulationspotential eskaliert und perfektioniert sich im Computer.

Nach allen vorliegenden Erhebungen wird der Micro-Computer in der Tat zumindest im häuslichen Bereich deutlich häufiger und intensiver, zumal von Kindern und Jugendlichen, als Spielgerät genutzt, weniger als Arbeits-und Lerninstrument. Der spielerische Umgang mit dem Computer wird indes von der Pädagogik mehrheitlich ignoriert und fast ausschließlich der außerschulischen Jugendar-beit anvertraut, während in der Schule allein der instrumentelle Gebrauch im Vordergrund steht. Abermals klammert damit die Schule ein wichtiges Erfahrungsfeld der Jugendlichen aus. Offenbar ist auch der Computer bereits dem heimlichen Lehrplan der Schule einverleibt worden; die obligatorische Hochschätzung für ihn und seine Leistungschancen dürften dadurch an Glanz und Reputation einbüßen oder schon eingebüßt haben.

Darauf verweist auch eine andere Position, die allerdings sich selten in theoretisch-systematischer Diktion äußert. In der kulturellen Praxis und Pädagogik, zumal außerhalb der Schule, dürfte sie jedoch in vielerlei Schattierungen ungleich präsenter und damit auch wirksamer vorhanden sein: Gemeint sind all diejenigen, die in und mit der anhaltenden Technisierung ein Stück voranschreitender Vergesellschaftung von Kommunikation und Kultur erkennen und verwirklichen wollen. Die neuen Informations-und Kommunikationstechniken machen nämlich, so die mehr oder weniger realistischen Erwartungen, Kommunikation und Kultur nicht nur tendenziell unbegrenzt verfügbar, sie öffnen also nicht nur überkommene Engpässe in Produktion und Verteilung und rauben damit der Kunst ihren nicht zuletzt sozial gestützten elitären Anspruch; vielmehr unterminieren sie auch ihre konkrete Materialität und Gattungsspezifik, unterwerfen sie also permanenten Prozessen von Adaption, Transformation und Expression.

In pädagogischer Hinsicht wird man daraus folgern müssen, daß sich Lernen für die Mehrheit zunehmend informeller, beiläufiger, aber auch diffuser und unsystematischer vollziehen wird. Jedenfalls ist es nicht mehr auf Elternhaus und Schule beschränkt, ja letztere kann nicht einmal mehr uneingeschränkt die formelle Priorität beanspruchen. So unspektakulär, gleichsam auf den säkularen Trend hin ausgerichtet, wird man Postmans dramatische und monokausal verkürzte These von der Erosion traditioneller Kindheitsvorstellungen gelten lassen können. Manche allzu peniblen Bemühungen auf dem Feld formeller Unterrichtung, nicht zuletzt auch auf dem der informationstechnischen Bildung, verurteilt daher diese Entwicklung als redundant, wenn nicht als überholt. Über informelle Instanzen wie z. B. Computerclubs werden Wissen, Tips und Fertigkeiten so praxisnah und vor allem völlig sanktionsfrei vermittelt, daß kaum eine formelle Unterrichtung damit direkt konkurrieren kann. Vielmehr wird sich die Pädagogik um eine sinnvolle und ansprechende Arbeitsteilung bemühen müssen. 6. Der Computer als erkenntnistheoretisches Vehikel Aus wissenshistorischer und erkenntnislogischer Sicht stammt schließlich der Vorschlag, die Modelle, Logiken und Rechnerwelten, die in den Programmen, Sprachen und Prozeßlösungen der Computer ihre formalen Strukturen gefunden haben und zu Befehlshierarchien operationalisiert worden sind, zu rekonstruieren, aus ihrem zeitgenössischen Kontext und in ihren disziplinären Konditionen zu erarbeiten und so ihre Prämissen, Prioritäten, aber auch Verzerrungen, ihre partikularen Repräsentanzen und kontingenten Dimensionen kennenzulernen. Die Vertreter des Bielefelder Instituts für Mathematikdidaktik haben sich bislang für dieses Konzept verwendet es scheint derzeit das anspruchsvollste, aber auch schwierigste für die informationstechnische Bildung in den allgemeinbildenden Fächern zu sein. Soweit ersichtlich entbehrt es noch weitgehend seiner didaktischen Umsetzung in den Unterricht.

Computerprogramme repräsentieren und verwalten — so die Begründung — „Als-ob-Wirklichkeiten“, also Modelle für die Lösung bestimmter Aufgaben, für die Abbildung und Strukturierung bestimmter Teilwelten, die sich Menschen nach Anschauung und gedanklicher Durchdringung von Realität erarbeiten. Als Ideen, als Denkkonstrukte, als „virtuelle Maschinen“ sind sie dem einzelnen oder auch dem allgemeinen zivilisatorischen Bewußtsein schon länger geläufig. Meist verhindert es der Entwicklungsstand der Produktionstechnik, sie nach ihrer gedanklichen Konstruktion sofort in materiale Apparate umzusetzen, wiewohl die Fristen dafür — auch dies ein Zeichen unserer Zeit — immer kürzer werden.

Leibniz’ binäres Zahlensystem, aber auch seine Konzeption einer allgemeinen Begriffsschrift, sein „Alphabet der menschlichen Gedanken“ werden heute als solche virtuellen Maschinen anerkannt. Charles Babbages „analytische Maschine“, schon deutlich dem Nützlichkeitsdenken des 19. Jahrhunderts verpflichtet, ließ sich bereits mechanisieren.

In unser herkömmliches, gleichwohl meist wenig konturiertes Verständnis von Allgemeinbildung fügen sich solche Ideen umstandslos ein. Für den Didaktiker stellt sich allerdings noch die theoretische wie methodische Frage, welchen Erkenntnis-und Lemgewinn Kinder und Jugendliche verschiedenen Alters aus ihnen ziehen können. Jedenfalls: Mit der Schulung an bestimmten Geräten, aber auch mit dem Training spezieller Programme kommt man wiederum den damit aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen nicht näher. Wenn sich diese Welt womöglich unaufhaltsam auf der immer breiteren und schnelleren Bahn der Zweckrationalität, Digitalisierung und Informatisierung bewegt, dann wird man sich um die ideelle Ausstattung der Individuen dafür (womöglich auch dagegen) gründlicher und umfassender kümmern müssen, und zwar unter den sich fortwährend verändernden Bedingungen ständig von neuem. Die Pädagogik, so sie Bestand haben und Konstruktives beitragen will, wird diese Aufgabe nicht nur deduktionistisch erledigen können, sie kann nämlich ihre eigene Verantwortung an niemand und nichts abtreten. Vielmehr muß sie gerade auf neuen, gesellschaftlich so relevanten und mächtigen Felder wie der technologischen Innovation ihre Autonomie, ihren Eigensinn und ihre Authentizität wiedergewinnen und offensiv behaupten. Die Anpassung an irgendwelche technische Obliegenheiten ist jedenfalls die schlechteste aller Optionen und macht Pädagogik letztlich selbst obsolet.

III. Fazit: Welchen Bildungswert hat der Computer?

Die analytische Tour durch die einschlägige pädagogische Diskussion stieß regelmäßig auf Provisorisches, aber auch auf Widersprüchliches oder nur Opportunistisches. Allesamt sind diese Haltungen gewiß Ausdruck wie Folge von Ungewißheiten und Unwägbarkeiten über die Rasanz, Richtung und Intensität des gesellschaftlichen Wandels und darüber, was davon auf welche Weise pädagogisch berücksichtigt und umgesetzt werden muß. Insofern scheint Habermas’ „neue Unübersichtlichkeit“ die Pädagogik — und just auch die, die sich mit technologischen Innovationen befaßt oder auch nur ziert — besonders und fundamental zu kennzeichnen.

Doch für pädagogisches Handeln braucht dies nicht nur ein Manko zu sein, es könnte auch zur Chance gereichen — und zwar dann, wenn Zieloffenheit wie Stoffvagheit selbst als diskursives Moment des Lernens thematisiert werden. Demnach braucht die informationstechnische Bildung nichts weniger als sanktionierte Normierung und apodiktische, meist im voraus bescheinigte Evaluation. Relativer Stellenwert im und Wechselbeziehung mit dem überkommenen Schulpensum können sich auf rationale und nachvollziehbare Weise so nicht ergeben. Vielmehr werden sie sich ständig in pädagogischer Auseinandersetzung mit den realen gesellschaftlichen Entwicklungen wie in Verantwortung vor den eigenen ethischen und normativen Grundlagen definieren und bewähren müssen, und es ist abzusehen, daß die beschriebene Qualität des Wandels ihnen immer kürzere Bestandszeiten aufzwingt. Insofern bleibt die weitreichende, vielleicht noch verfrühte Idee, daß mit den neuen Technologien und Innovationen — wie immer auch begriffen — die Bildungsreform wiederbelebt wird, auf der Tagesordnung.

Allerdings, entgegen landläufigen euphorischen wie allzu pessimistischen Prophezeiungen läßt sich derzeit resümieren: Neue, gar eigenständige Bildungsziele setzt der Computer nicht, die intentionalen Vorgaben wie die stofflich-inhaltlichen Gegebenheiten bleiben in den allgemeinbildenden Fächern an diese gebunden. Ob der Computer dabei als Lernhilfe, Motivations-und Anschauungsinstrument, als Simulations-und „Experten" -System unterstützend einbezogen werden kann, ist von dieser grundsätzlichen Warte aus eher nachrangig, eben eine mediendidaktische Frage wie bei den anderen Medien auch.

In jedem Fach muß daher speziell geprüft und entschieden werden, ob die dafür erforderlichen organisatorischen, intellektuell-didaktischen und zeitlichen Aufwendungen, die vorfindlichen Gerätschaften und geeigneten Programme tatsächlich imstande sind, Ziele, Inhalte und Erfahrungsdimensionen zu unterstützen, zu bereichern, zu ergänzen. Technische Faszination, die sich oftmals durchsetzende Eigengesetzlichkeit des technischen Arrangements und nicht zuletzt die Komplikationen der Handhabung lenken nicht selten von inhaltlichen Zielen ab und gewinnen unter der Hand unangemessenes Eigengewicht, wie man oft genug beim Unterricht mit Medien, mit dem Computer insbesondere, beobachten kann.

Doch daraus erwächst kein neues Bildungsziel, denn zunächst handelt es sich ja nur um technische Widrigkeiten, um noch aufzuholende Rückstände in der immer rasanter werdenden technischen Perfektionierung von Geräten und Programmen, wie alle Computerfachleute unermüdlich versichern. Bildungs-und Lernziele resultieren mithin nur aus der jeweils stofflich-inhaltlichen und sozial-kognitiven Komplexität des Unterrichtsgeschehens, sofern man eben'nicht den Computer ungerechtfertigter-weise zum hypostasierten Gegenstand oder gar zum Mythos erhebt. Aber es ist keine Frage, daß sein Einsatz diese Komplexität noch erhöht, weshalb die Entwicklung, vor allem die Durchführung dafür geeigneter Unterrichtseinheiten so ungeheuer schwerfällt. Erst auf der Grundlage dieser Komplexität läßt sich ermessen, ob und inwieweit der Computer modifizierte oder zusätzliche Lemziele bzw. -aniässe eingeschränkter Art stiftet. In der Regel wird es weniger häufig sein, als gemeinhin postuliert. Doch auch die mediendidaktischen Dimensionen bleiben bekanntlich nicht ohne Folgen für die anderen, besonders für die sozialen und kommunikativen Aspekte des Unterrichts.

Ergeben sich wirklich stofflich-inhaltliche Modifikationen. wird man ihre Bedeutung und ihre Varianz sehr genau prüfen müssen. Um zwei Extrem-beispiele zu nennen: Gedichteschreiben mit dem Computer, für manche immer noch eine hybride Vorstellung, mag gelegentlich reizvoll und stimulierend sein, aber über Struktur, Gehalt und Bedeutung von Lyrik lernt man dabei sicherlich nichts — oder: so wenig bzw. so viel wie im herkömmlichen Unterricht. Die Anwendung von Programmen für kaufmännisches Rechnen hingegen modifizieren oder erweitern sogar Verfahren wie Kapazitäten von Buchhaltung, Bilanzierung etc. Man sieht daran: Prioritäten können nur innerhalb und aufgrund jener Komplexität eruiert und festgelegt werden, für die allgemeinbildenden Fächer bleibt die Vermutung in der Regel auf Seiten der Stoffe und Inhalte. Dementsprechend sind qualifikatorische Ziele auch nur im Wechselspiel zwischen Inhalten, Methoden und technischen Prozeduren zu formulieren. Es wird ferner noch zu entdecken und fruchtbar zu machen sein, daß es individuell unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Computer gibt und immer geben wird. Die Menschen verlieren ebensowenig wie sonst angesichts des elektronischen Bildschirms ihre Identität und Persönlichkeit, ihre Besonderheiten, Neigungen und Launen. Auch wenn die standardisierenden, wenn nicht schematisierenden Potentiale der mikroelektronischen, algorithmischen Modellwelten ausnehmend mächtig sind, wird es gerade Aufgabe der auf sie bezogenen Pädagogik sein, die Individuen in ihren Eigenarten und Selbständigkeiten im Umgang mit ihnen zu stärken. Erst wenn diese hochgerühmten Technologien solche Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, womöglich „sensitive Kapazitäten“ umstandslos unter Beweis stellen, haben sie die ungezählten vorauseilenden Prädikate verdient.

Nachdem die amerikanische Soziologin S. Turkle über acht Jahre lang rund 400 Computernutzer, von mit elektronischem Spielzeug virtuos umgehenden Kleinkindern bis hin zu Forschem über die Artificial Intelligence, eingehend beobachtet und interviewt hatte, stellte sie nicht nur individuell verschiedene Zugangs-und Gebrauchsweisen, namentlich eine typisierbare männliche und eine weibliche, fest. Sie stieß vielmehr auch immer wieder auf eine bestimmte Sequenz von Erfahrungen und Beurteilungen, die Individuen im Laufe ihrer computerbezogenen Biographie durchlaufen: In einem ersten Stadium interessiert alle, recht positivistisch, was die Maschine bzw. die ihr implantierten Programme zu leisten vermögen. In einem zweiten wird das Ego stärker einbezogen, konzentriert man sich auf interaktive Zusammenhänge unter der generellen Frage: Was kann ich mit der Maschine bzw.den Programmen erreichen, wo sind meine Erwartungen, Möglichkeiten, aber auch meine Grenzen in bezug auf die Maschine. Im dritten Stadium fragen sich viele Computerbegeisterte nach der Besonderheit und Unverwechselbarkeit der menschlichen Identität, also: Wo unterscheide ich mich von der Maschine? Was kann ich, was die Maschine nicht kann? Was bin ich (bzw. was ist die Menschheit insgesamt), und was kann ich bewerkstelligen, das mir unnachahmliche Eigenart und Identität verleiht?

Es reizt nicht nur, sondern verspricht auch pädagogisch konstruktiv zu werden, von solchen Befunden und Interpretationen die noch ausstehenden curricularen Konzeptionen der informationstechnischen Bildung oder eben der so beschaffenen Allgemeinbildung ihren gedanklichen Ausgang nehmen zu lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. K. Haefner. Die neue Bildungskrise. Basel 1982.

  2. Vgl. auch H. -D. Kübler. „Neue Medien in den Schulen? Probleme und Risiken der Medienpädagogik an der Schwelle zum „Informationszeitälter“, in: ders. (Hrsg.). Jenseits von ORWELL. Analysen zur Instrumentierung der Kultur. Frankfurt 1984. S. 213-257.

  3. K. Haefner. Mensch und Computer im Jahre 2000. Basel 1984.

  4. Deutscher Bundestag. 9. Wahlperiode (Hrsg.), Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Neue Informationsund Kommunikationstechniken“. Drucksache 9/2442. Bonn 1983.

  5. H. v. Hentig. Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit. München 19873.

  6. C. Eurich. Computerkinder. Wie die Computerwelt das Kindsein zerstört. Reinbek bei Hamburg 1985.

  7. J. Grolle. Schöne neue Welt. Führt die Inflation der Medien in eine neue Bildungskrise?, in: Die Zeit vom 7. Oktober 1984. S. 37.

  8. Vgl. die Beiträge in: „Bildschirm. Faszination oder Information“. Friedrich Jahresheft III. Velber 1985. sowie in: H. -G. Rolff/P. Zimmermann (Hrsg.), Neue Medien und Lernen. Herausforderungen. Chancen und Gefahren, Wein-heim-Basel 1985.

  9. Siehe dazu auch: D. Baacke. Der Computer als Partner der Selbst-und Weltdeutung, in: B. Armbruster/H. -D. Kübler (Hrsg.). Computer und Lernen, Opladen 1988, S. 14- 30.

  10. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hrsg.). Gesamtkonzept für die informationstechnische Bildung. BLK-Materialien zur Bildungsplanung. H. 16. Bonn 1987.

  11. Ebd., S. 8.

  12. Vgl. dazu H. -D. Kübler, Im Banne des Terminals. Bildungspolitik zwischen technologischer Obsession und konservativer Ideologie, in: medien+erziehung, 29 (1985) 2, S. 131-144.

  13. Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Neue Informations-und Kommunikationstechniken in der Schule. Rahmenkonzept. (Strukturförderung im Bildungswesen des Landes Nordrhein-Westfalen. Eine Schriftenreihe des Kultusministers, Bd. 43), Düsseldorf 1985, sowie Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.), Neue Informations-und Kommunikationstechnologien 1: Grundbildung im’ Pflichtbereich der Sekundarstufe I. Modellversuch, Soest 1986.

  14. K. J. Tillmann, Neue Technologien, Allgemeinbildung und Unterricht in der Sekundarstufe I, in: H. Heid/H. -G. Herrlitz (Hrsg.), Allgemeinbildung. Beiträge zum 10. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Weinheim-Basel 1987, S. 97— 104; R. Oberliesen, Informations-und kommunikationstechnologische Grundbildung für alle, in: R. Oberliesen/A. Stiebeling (Hrsg.), Neue Medien, neue Technologien. Bildung und Erziehung in der Krise?, Hamburg 1988. S. 231— 252; H. -D. Kübler. Computer in der Schule. Pädagogische und didaktische Orientierungsdilemmata, dargestellt am Beispiel des nordrhein-westfälischen Modellversuchs, in: G. E. Ortner (Hrsg.), Alte und neue Medien für Bildung und Beruf, Alsbach/Bergstraße 1989 (i. Dr.).

  15. H. -G. Rolff. Bildung im Zeitalter neuer Technologien. Essen 1988. S. 56.

  16. K. J. Tillmann (Anm. 16). sowie K. Klemm. Technologischer Wandel in der Arbeitswelt — Konsequenzen für das allgemeinbildende Schulsystem, in: H. Heid/H. G. Herrlitz (Anm. 16). S. 97-104.

  17. K. J. Tillmann (Anm. 16). S. 103.

  18. Der Bundesminister für Forschung und Technologie und Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Computer+Bildung. Eine Gemeinschaftsinitiative von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, Bonn 1984. S. 14.

  19. D. Wilms. Ansprache anläßlich der Eröffnung der „didacta * 87“, Hannover, 16. Februar 1987 (Presseveröffentlichung).

  20. Vgl. H. Heid u. H. G. Herrlitz (Anm. 16) sowie Zeitschrift für Pädagogik. 32 (1986) 4.

  21. W. Klafki. Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim und Basel 1985; ders.. Die Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung, in: Zeitschrift für Pädagogik. 32 (1986) 4, S. 455-476.

  22. Siehe Anm. 21.

  23. J. Kade. Bildung oder Qualifikation. Zur Gesellschaftlichkeit beruflichen Lernens, in: Zeitschrift für Pädagogik. 29 (1983) 6. S. 859-867.

  24. B. Dewe u. a.. Renaissance der Allgemeinbildung?, in: neue praxis, 16 (1986) 5, S. 451— 455.

  25. R. Oberliesen, Information, Daten und Signale. Geschichte technischer Informationsverarbeitung. Reinbek bei Hamburg 1982; R. Lindner u. a., Planen. Entscheiden, Herrschen. Vom Rechner zur elektronischen Datenverarbeitung, Reinbek bei Hamburg 1984.

  26. H. Kubicek/A. Rolf. Mikropolis. Mit Computernetzen in die „Informationsgesellschaft", Hamburg 1985; B. Mettler-Meibom. Breitbandtechnologie. Über die Chancen sozialer Vernunft in technologiepolitischen Entscheidungsprozessen. Opladen 1986; H. Kubicek/B. Mettler-Meibom. Alternative Entwicklungspfade. Zu den technischen und ordnungspolitischen Plänen der Deutschen Bundespost, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 46— 47/88. S. 30— 47.

  27. J. Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt 1978; ders., Kurs auf den Eisberg oder nur das Wunder wird uns retten, sagte der Computerexperte. Zürich 1984.

  28. Der Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.). Informationstechnik. Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der Mikroelektronik, der Informationsund Kommunikationstechniken. Bonn 1984.

  29. Siehe jüngste Prcsseveröffentlichungen beispielsweise in: Spiegel vom 8. Mai 1989. und Stern vom 11. Mai 1989.

  30. Der Bundesminister (Anm. 28), S. 51.

  31. Vgl. dazu: H. Bussmann. Computer contra Eigensinn. Was Kinder dem Computer voraus haben. Frankfurt 1988.

  32. Siehe dazu O. Negt, Lebendige Arbeit, enteignete Zeit. Politische und kulturelle Dimensionen des Kampfes um die Arbeitszeit. Frankfurt 1984; C. Offe. „Arbeitsgesellschaft“. Strukturproblcme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt-New York 1984.

  33. Vgl. Ch. von Rothkirch/I. Weidig. Die Zukunft der Arbeitslandschaft (Beiträge zur Arbeitsmarkt-und Berufsforschung 94), 2 Bde, Nürnberg 1985.

  34. H. Kern/M. Schumann. Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion. München 1984.

  35. M. Baethge/H. Oberbeck. Die Zukunft der Angestellten. Neue Technologien und berufliche Perspektiven in Büro und Verwaltung, Frankfurt 1986.

  36. A. Sorge u. a., Mikroelektronik und Arbeit in der Industrie. München 1982.

  37. K. Klemm (Anm. 19). S. 108f.

  38. H. -G. Rolff (Anm. 17).

  39. Vgl. etw. R. Peschke u. a. (Hrsg.), Anforderungen an neue Lerninhalte. Ergebnisse der Fachtagung Mikroelektronik und Schule, Wiesbaden 1984, sowie Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.), Unterrichtsmaterialien zur Informations-und Kommunikationstechnologischen Grundbildung. Soest 1987 ff.

  40. H. von Hentig. Das Ende des Gesprächs?, in: H. -M. Gauger/H. Heckmann (Hrsg.), Wir sprechen anders. Warum Computer nicht sprechen können. Frankfurt 1988, S. 81-101.,

  41. W. Volpert. Zauberlehrlinge. Die gefährliche Liebe zum Computer, Weinheim—Basel 1985.

  42. N. Postman. Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt 1983.

  43. H. Bussmann (Anm. 48). sowie H. Bussmann/H. W. Heymann. Computer und Allgemeinbildung, in: Neue Sammlung. 27 (1987) 1. S. 2— 39.

  44. J. Habermas. Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt 1985.

  45. S. Turkle. Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur. Reinbek bei Hamburg 1984.

Weitere Inhalte

Hans-Dieter Kübler, Dr. rer. soc., geb. 1947; Professor für Publikations-und Medienwissenschaft am Fachbereich Bibliothekswesen der Fachhochschule Hamburg; Privatdozent für deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit B. Armbruster u. a.) Neue Medien und Jugendhilfe, Neuwied 1984; (Mithrsg.) Computer und Lernen, Opladen 1988; (Mithrsg.) Qualitative Medienforschung, Tübingen 1989; zahlreiche Beiträge zu medienwissenschaftlichen und -pädagogischen Themen.