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Die Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre. Themen und Strategien | APuZ 26/1989 | bpb.de

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APuZ 26/1989 Artikel 1 Institutionelle Innovationen und neue soziale Bewegungen Die Anhänger der neuen sozialen Bewegungen im Parteiensystem der Bundesrepublik Die Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre. Themen und Strategien Alternative Ökonomie. Geschichte, Struktur, Probleme

Die Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre. Themen und Strategien

Thomas Leif

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht — ausgehend von Defiziten in der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung — wie die Entscheidungsstrukturen in der westdeutschen Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre entwickelt wurden. Am Beispiel des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung wird die frühe Zementierung der zentralen Gremien nachgezeichnet, eine Typologie ihrer Zusammensetzung vorgestellt und die formale Legitimationsfunktion der assoziierten bundesweiten Aktionskonferenzen untersucht. Die Charakterisierung der Basisinitiativen als Gegenpol belegt die Repräsentationsdefizite der zentralen Koordination. Die Praxis der „professionellen Bewegung“ wird mit dem basisdemokratischen Anspruch der Friedensbewegung in Beziehung gesetzt und zusammenhängend analysiert. Die Prozeß-Skizze der Thematisierung von Forderungen in der Friedensbewegung unterstreicht, daß mit der Programmklammer der „Nachrüstung“ von 1981 bis 1983 eine bemerkenswerte inhaltliche Konstanz erzeugt wurde, die sich auch in der Dominanz der in dieser Zeit stattfindenden Großdemonstrationen manifestierte. Den folgenden variationsreichen Themenwandel ab 1984 begleitete eine zunehmende Aufsplitterung der Aktionen, die den handelnden Spektren die Möglichkeit zur Profilentfaltung gab. Die durch die Heterogenität der beteiligten Organisationen geprägte strategische (Ohn) -Macht der Friedensbewegung zeigt, daß langfristige Programme von den permanenten Aktionsschüben besonders in den Hochphasen der Mobilisierung abgedrängt wurden. Abschließend werden die partizipatorischen Leistungen und Öffentlichkeitserfolge der größten Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik kritisch bilanziert und in Verbindung mit möglichen Perspektiven gebracht.

I. Der Mythos der Basisdemokratie

Mobilisierungszahlen. Quelle: Th, Leif.

Kein Zweifel: Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik, die Anfang der achtziger Jahre um ihren Kristallisationskern — die „Verhinderung neuer Mittelstreckenraketen“ — sehr unterschiedliche Protestmotive bündelte und enorme Mobilisierungserfolge erzielte, wuchs im Szenario der neuen sozialen Bewegungen zur größten Protestbewegung in der Geschichte der Republik. Die Erfolge und die Sonderstellung der Friedensbewegung sind eng verknüpft mit der Herausbildung eines Organisationszentrums auf nationaler Ebene: dem Koordinationsausschuß (KA) der Friedensbewegung. Dieser konkurrenzlos wirkende, abgeschottete und effektive Arbeits-und Kommunikationszusammenhang — getragen von 30 sehr heterogenen Organisationen mit fein austarierter Bündnis-zuordnung und -politik — prägte die Entwicklung, die Themenakzentuierung und die Strategiebildung der Friedensbewegung besonders in ihren Hoch-phasen entscheidend

Die Friedensbewegung konzentrierte ihre Proteste und Forderungen entsprechend ihrem Themenfeld, der Sicherheitspolitik, auf die hier relevante nationale Politikebene und schuf sich demzufolge zentrale Strukturen. Außerdem öffnete sie sich schon zu Beginn der achtziger Jahre für bürgerliche Kreise und akzeptierte Parteivertreter jeder Couleur in ihren Reihen.

Die Anti-AKW-Bewegung präsentierte sich sowohl mit ihren klaren Ausstiegsforderungen und ihrer stärker ausgeprägten Konfliktbereitschaft als auch mit ihren radikalen Aktionen als Kontrastbewegung. Ihr Protestimpuls liegt in der Region, am Standort der Atomkraftwerke, der Wiederaufbereitungsanlagen und Endlager. Sie kämpfte schon in den siebziger Jahren gegen alle im Bundestag vertretenen Parteien und immunisierte sich weitgehend gegenüber bürgerlichen Gruppen und gemäßigten Positionen. Folglich dominierten radikale Leitfiguren, die von harten Auseinandersetzungen mit der Polizei an den Bauzäunen gezeichnet waren; dezentrale Organisationsformen und regionale Widerstandsaktionen bestimmten die Protestkultur der Anti-AKW-Bewegung In der Ökologiebewegung die vorrangig auf individuelle Bewußtseins-und Verhaltensänderung setzt, entwickelte sich diese Tendenz noch eindeutiger.

Die Frauenbewegung und die Dritte-Welt-Bewegung bildeten frühzeitig markante Strömungen mit einem ausgeprägten Eigenleben heraus und verwurzelten sich mit ihren ebenfalls eher auf Über-zeugung und Bewußtseinsänderung konzentrierten Politik vorrangig an der Basis in den Städten. Nicht nur die Regierung, sondern die einzelnen Frauen und Männer sind ihre Adressaten. Gegen bundesweite Koordinationsgremien bestanden folglich auch hier erhebliche Vorbehalte und Vereinnahmungsängste. Wichtige Repräsentanten der Bewegungswissenschaft betonen den „ausgeprägt , basisdemokratisch’-emanzipativen Charakter“ der neuen sozialen Bewegungen oder behaupten gar: „Die Organisation der sozialen Bewegungen ist heute nicht mehr zentral, sondern dezentral: auf der Graswurzelebene.“ Selbst anerkannte Forscher transportieren in Standardwerken auch für die Friedensbewegung ähnliche Fehleinschätzungen: „Dem pluralistischen Charakter der neuen Friedensbewegung entspricht auch ihre lockere Organisationsstruktur, die sich aus der Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppierungen entwickelt hat. Für die Koordination bundesweiter Aktionen haben sich fallweise informelle Gesprächs-und Arbeitsgruppen mit Vertretern aus den verschiedenen Strömungen gebildet, wobei Basisorientierung und Organisationsrivalitäten eine Formalisierung bislang verhindert haben.“

Die Palette solch institutionalisierter Mythen und idealtypischer Stilisierungen ließe sich noch um etliche Beispiele ergänzen. Die generelle Kritik untermauert hingegen das Urteil von Michael Thomas Greven, der als das Dilemma der Bewegungswissenschaft den „eklatanten Mangel an empirisch fundiertem Wissen“ in diesem Forschungsfeld analysiert hat

Da andere Neue Soziale Bewegungen keine ähnlich einflußreiche Bewegungsorganisation herausgebildet haben wie die Friedensbewegung, zudem auf diesem Feld erhebliche Forschungslücken bestehen und nach wie vor manche Bewegungsforscher den Mythos der Basisdemokratie konsequent publizistisch pflegen, soll im folgenden eine nüchterne Analyse die vorherrschenden, meist verklärenden Beschreibungen ablösen.

Die Qualitätsmerkmale der Basisdemokratie, die der Friedensbewegung quasi von ihrer Natur her zugeschrieben werden, wie der freie, gleichberechtigte Zugang und die Beteiligung aller am Bewegungsziel Interessierten, die Transparenz aller Entscheidungen, die Kontrolle der mit begrenztem Mandat ausgestatteten Führungsgremien etc., sollen am Beispiel der Praxis in der Friedensbewegung hinterfragt und anhand einer Analyse der relevanten Gremien überprüft werden

II. Die frühe Zementierung der zentralen Entscheidungsstrukturen

Am Ende des 19. Evangelischen Kirchentages in Hamburg trafen sich am 19. Juni 1981 22 Vertreter verschiedener Organisationen, um den Ablauf einer großen Kundgebung am 10. Oktober 1981 zu besprechen. Damit war der Grundstein für das erste und stabilste Koordinationsgremium der Friedensbewegung gelegt.

An der Entstehungsgeschichte der daraus gewachsenen „Frühstücksrunde“, der Vorläuferin des Koordinationsausschusses, läßt sich deutlich erkennen, wie über informelle Kontakte und Begegungen führender Persönlichkeiten der Friedensbewegung behutsam ein zentrales Entscheidungszentrum geformt wurde.

Durch die langfristig angelegte Planung konnte die Idee des KA — unbelastet von Streitigkeiten in der Öffentlichkeit und radikalen Forderungen einzelner — langsam reifen, so daß die Aktionskonferenz im April 1983 diesem Gremium nur noch per Akklamation zustimmen mußte. Der Koordinations ausschuß zur Vorbereitung der Demonstration am 10. Juni 1982, für die Herbstaktionen 1983 und die Zeit danach blieb in seiner Gründerstruktur weitgehend identisch und existiert in dieser Urform — mit geringen Veränderungen — noch heute.

Dieses stabile Gremium bereitete u. a. alle Aktionskonferenzen vor und erhielt von diesem offenen Treffen der Friedensinitiativen einige Male ein Mandat zur Vorbereitung von Groß-aktionen.

III. Aktionskonferenzen: Die regulierte Legitimationsquelle

Die im KA entworfene Politik war ohne das korrespondierende Element der Aktionskonferenzen nicht denkbar. Diese Parallelstruktur bildete für den KA das Bezugssystem zur Basis der Friedensinitiativen. Er nutzte folglich die formale Legitimationsfunktion der Aktionskonferenzen für seine Arbeit und steuerte die Versammlungen der Friedensinitiativen durch eindeutige Vorgaben. Die in der Regel halbjährlichen Treffen auf Bundesebene, an denen zwischen 300 und 1 200 Personen an Wochenenden — zumeist in Köln — teilnahmen, waren immer von dem friedenspolitischen Zeitgeist geprägt und eng mit der Entwicklung und dem Diskussionsstand im KA gekoppelt. Die Debatten und der Themenstreit während der Aktionskonferenzen können folglich als Kompaß für die jeweils aktuelle Ortsbestimmung der Friedensbewegung gewertet werden.

Auf den in den Umgangs-und Abstimmungsverfahren ritualisierten Aktionskonferenzen führte durchgehend der KA Regie, der die Friedensinitiativen

IV. Die professionelle Bewegung: zentralisierte Entscheidungsfindung in der Friedensbewegung

Nach gründlichen Absprachen mit einflußreichen, gremienerfahrenen Kernorganisationen schnürten die Gründerfunktionäre ein sorgsam durchdachtes Kompromiß-Paket: Zunächst 26, später 30 Mitgliedsorganisationen wurden in den KA aufgenommen. Die Motive für diese Lösung lagen in dem Wunsch, erstens nach außen eine möglichst breit akzeptierte Vertretung der Friedensbewegung zusammenzubringen und zweitens nach innen keine relevante Strömung der Friedensbewegung bewußt auszugrenzen, um so gleichzeitig repräsentativ und integrativ zu wirken.

Das Ergebnis dieses Balanceakts führte zum KA als Bewegungsorganisation. Seine Mitgliederstruktur sollte für die politische Legitimation des Gremiums stehen und Angriffe wegen möglicher Repräsentationsdefizite ausschließen.

Schon in der Gründungsphase des KA kristallisierten sich fünf Spektren heraus, die auch für die wich-einlud,eine genaue Tagesordnung vorschlug und mit Hilfe eines von führenden Repräsentanten des KA gestellten Tagungspräsidiums den Konferenz-verlauf stark beeinflußte. So wurden beispielsweise Abstimmungen je nach Bedarf herbeigeführt bzw. blockiert und im KA bereits abgeklärte Texte (Aufrufe, Resolutionen etc.) lediglich zur „Bestätigung“ eingebracht. Relevante Gegensätze zwischen den wichtigsten Strömungen wurden meist im Vorfeld integriert oder ausgeklammert.

Durch eine spezifische Bewegungsdiplomatie wurden mit den Aktionskonferenzen lange Zeit alle wichtigen Funktionen gesichert. Sie dienten als Ort der Legitimation, als Diskussionsforum, Stimmungsbarometer der Bewegung, als interne Mobilisierungsquelle und als Podium für die Darstellung nach außen. Für die Zukunft müßte das Scharnier zur Basis der Friedensinitiativen jedoch erneuert werden, wenn eine tragfähige Legitimationsbasis der programmatischen Entscheidungen und Aktionsfestlegungen angestrebt werden soll. tigsten Strömungen in der Friedensbewegung stehen: die Christen, die Unabhängigen sowie die parteinahen Sozialdemokraten, das KOFAZ (Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit) und die GRÜNEN.

Mit dem Spektrenbegriff werden informelle, politisch oder weltanschaulich motivierte Zusammenschlüsse bezeichnet, die auf der Grundlage gemeinsamer Fundamente, Organisationseinbettungen und spezifischer Praxisfelder mit verwandten Grundorientierungen und Forderungen zu gemeinsamen Entscheidungen und Beschlüssen kommen. Die Spektren im KA spiegeln in etwa die politische Landschaft der „Linken“ und anderer sozialer Bewegungen. Sie werden meist von einer führenden Organisation als Sprecher und Verhandlungsführer repräsentiert. Sie organisieren Absprachen, integrieren unterschiedliche Positionen in „ihrem“ Lager, entwickeln Kompromißpapiere und legen den Gremien abstimmungsreife Vorlagen vor.Der Koordinationsausschuß der Friedensbewegung (ab 1983)

— Typologie der Struktur und Zusammensetzung — 1. Parteien 1. 1. Parteien (und Arbeitsgemeinschaften)

— Die Grünen — Liberale Demokraten (LD)

— Demokratische Sozialisten (DS)')

— Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (AsF) 2)

1. 2. Politische Jugendorganisationen — Jungsozialisten (Jusos)

— Jungdemokraten (Judos)

— SJD — Die Falken — Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)

1. 3. Parteinahe Organisationen — Initiative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit (IFIAS)

— Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ)

2. Jugendverbände (für Auszubildende, Schüler, Studenten und Jugendliche)

— DGB-Jugend 3)

— Bundesschülervertretung (BSV) 4)

— Vereinigte Deutsche Studentenschaft (VDS)

3. Koordinationsgruppen und Zusammenschlüsse — Koordinationsstelle Ziviler Ungehorsam (KOZU) 5)

— Bundeskonferenz unabhängiger Friedensgruppen (BUF) 6)

— Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen (FOGA)

4. Frauen — Anstiftung der Frauen für den Frieden (FfdF)

— Frauen in die Bundeswehr — Wir sagen nein! (FBN)

5. Kriegsdienstgegner — Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK)

6. Antifaschisten — Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (WN/BdA) 7)

7. Dritte-Welt-Gruppen — Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) 8) — bzw. Koordinationskreis 3.

Welt (KK 3W)

8. Ökologie-Gruppen — Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)

9. Christliche Gruppen — Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF)

— Aktion Dienst für den Frieden (AGDF) 9)

— Evangelische Studentengemeinden (ESG)

— Initiative Kirche von Unten (IKVU)

— Ohne Rüstung Leben (ORL) 10)

— Pax Christi (PC) 11)

10. Personenbündnisse/V ereinigungen — Gustav-Heinemann-Initiative (GHI)

— Komitee für Grundrechte und Demokratie (KGD)

= 30 Mitgliedsorganisationen *) Die DS betrachteten sich seit 1985 nicht mehr als ordentliches Mitglied des KA (vgl. Brief vom 14. 1. 1988).

2) Neuaufnahme auf der Aktionskonferenz vom 11. /12. 2. 1984.

3) Die DGB-Jugend hatte formal von Anfang an den Status eines Beobachters.

4) Bis zur Gründung der Bundesschülervertretung am 24. /25. 3. 1984 hieß die Vorgänger-Organisation Konferenz der Landesschülervertretungen (KdLSV).

$) Neuaufnahme auf der Aktionskonferenz am 11. /12. 2. 1984. Zum Jahreswechsel 1987/88 trat die KOZU ebenfalls in einen Beobachterstatus (vgl. Brief vom 13. 12. 1987).

6) Bis zur organischen Übernahme des Namens Bundeskonferenz Unabhängiger Friedensgruppen (BUF) hieß diese Gruppe Bundeskongreß autonomer Friedensinitiativen (BAF).

7) Neuaufnahme auf der Aktionskonferenz am 11. 712. 2. 1984.

8) Austritt im Laufe des Jahres 1986 (ohne genauen Termin).

’) Beobachterstatus seit August 1984.

10) Austritt im Juni 1986; seit Januar 1988 wieder Beobachterstatus im KA.

n) Neuaufnahme auf der Aktionskonferenz am 11. 712. 2. 1984. Alle im KA vertretenen Spektren verklammerten anfangs die Kernforderung der „Verhinderung der NATO-Nachrüstung“ sowie den Wunsch, eine breite Massenbewegung zu organisieren. Dabei verfolgten die Mitgliedsorganisationen eine im Grunde einfache, jedoch sehr erfolgreiche Konzeption: Sie verknüpften die Lernerfahrungen früherer sozialer Bewegungen und der Bürgerinitiativen, die das Rückgrat der Friedensbewegung bildeten und in sie ein neues Politik-und Aktionsverständnis einbrachten, mit der Professionalität der mitwirkenden traditionellen politischen Organisationen. Diese komplexe Verbindung vereinte Ideenreichtum, Kreativität und Mobilisierungsfähigkeit der Bewegungen mit den professionellen Arbeitsstrukturen der traditionellen Gruppierungen, die langjährige Erfahrung bei der Organisation von Massenveranstaltungen, eine auf Effizienz ausgerichtete Medienarbeit und die Hilfe beim Aufbau eines funktionierenden Apparates beisteuerten. Zudem waren die Aktionen der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre in eine mobilisierungsfördemde Zeitleiste mit offenen Entscheidungsverläufen (u. a. Genfer Verhandlungen, Parteitagsbeschlüsse, Bundestagsdebatte zur „Nachrüstung“ etc.) und in ein günstiges, Streit förderndes gesellschaftliches Klima (Krise der Abrüstungspolitik, Bedrohungsrhetorik Reagans) eingebettet. Eine Eigendynamik bei der Aktionsmobilisierung, gefördert durch die Bündelung vielfältiger Protestmotivationen , kam als katalysierendes Element hinzu und sorgte gemeinsam mit der beschriebenen Kooperation für die (Mobilisierungs-) Erfolge des KA der Friedensbewegung.

Die Entwicklung des KA von seiner Konstitution, über den Aufstieg zum zentralen Organisations-Gremium für bundesweite Aktionen bis zu seinem Bedeutungsverlust und seiner schleichenden Auszehrung ist eine wechselvolle, konfliktreiche Geschichte. Gleichwohl ist es dem KA in der Regel gelungen — lautlos und kaum kritisiert — Einfluß auf die Friedensbewegung zu nehmen. Politische Attacken von außen konnten abgewehrt werden; interne Diskussionen drangen kaum an die Öffentlichkeit, und auch ernsthafte Alternativvorschläge zum KA hatten keine Chance.

Der KA ist mit seinen assoziierten Gremien folglich ein einmaliges Experiment in der Bewegungsgeschichte der Bundesrepublik. Als Kommunikations-und Entscheidungsforum entwickelte sich der KA mit seiner Zusammensetzung, Stabilität und Effizienz im Laufe der Jahre zu einem Modell, dessen Maßstäbe, Mängel und Erfahrungswerte auch von anderen Bewegungen bei der Bildung von Koordinationsgremien künftig berücksichtigt werden. Allerdings sind die Kommunikations-und Entscheidungsstrukturen im KA — im Hinblick auf andere heterogen strukturierte neue soziale Bewegungen nicht verallgemeinbar, da sich für den KA anfangs die Bedingungen geringer Komplexität des Ziels (Verhinderung der Stationierung einer Waffengattung) und die zeitlich durch äußere Vorgaben klar eingegrenzte Protestsituation stabilisierend auswirkten.

Aus den markanten Defiziten des KA hinsichtlich der Repräsentanz von Basisinitiativen, von berufsbezogenen und bürgerlichen Gruppen sowie von Frauengruppen ergaben sich selbstverständlich zahlreiche Konflikte und Reibungsflächen, da relevante Positionen ausgeblendet wurden. Die teilweise indirekt gesicherte Repräsentation dieser Teile der Friedensbewegung durch die KA-Organisationen wie auch die Gewährung eines Gaststatus von nicht beteiligten Organisationen im KA konnten diese Defizite insgesamt nicht ausgleichen. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß die Mehrheit im KA kein vitales Interesse an konkreten Veränderungen und Reformen dieses Gremiums hatte und deshalb Aufnahmeanträge anderer Gruppen verschleppte und Reformimpulse ignorierte. Nur einmal wurde der KA dabei um vier Organisationen erweitert. Diese Erweiterung gelang jedoch nur, weil dabei jeweils vier Spektren berücksichtigt wurden und so die fein überlegte Arithmetik des Gremiums nicht tangiert wurde. Die Aufrechterhaltung und Stabilisierung dieser mit Repräsentationsdefiziten behafteten KA-Strukturen war über Jahre möglich, da allein mit den Aktionskonferenzen keine wirksamen Korrektiv-Instanzen einwirken konnten. Der KA selbst hatte kein Interesse an einer Neu-Strukturierung und ließ ab 1987 nicht einmal sein Mandat nach der vereinbarten Zeit von der Konferenz der Friedensinitiativen verlängern.

Die tragenden Spektren im KA hatten sich offensichtlich darauf geeinigt, ihre Monopolstellung durch Neuaufnahmen nicht zur Disposition zu stellen. Zudem wäre mit dem Thema „Neustrukturierung des KA“ Sinn, Zweck und Legitimationsausstattung dieses Gremiums grundsätzlich und öffentlich diskutiert worden; damit wären massive Konflikte bis hin zur Aufsplitterung der KA vorprogrammiert gewesen.Die Entfaltung des Koordinationsausschusses auf nationaler Ebene war nur möglich, weil sich in der gesamten Republik ein dichtes Netz von sehr unterschiedlichen Friedensgruppen ausbreitete, die die Ideen und Vorschläge des KA in ihre Arbeit aufnahmen. Denn die Grundorientierungen der vorgestellten Spektren wurden auch vor Ort vertreten, so daß die Basis die zentralen „Bonner Themen“ diskutierte und meist auch für die anstehenden Demonstrationen mobilisierte. Eigenständige Aktionen erweiterten diesen Diskussions-und Handlungsrahmen noch.

Ein wesentliches Kennzeichen und Lebenselement der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre ist das starke Fundament regionaler, örtlicher und stadtteilbezogener Friedensinitiativen, die im Jahr 1983 nach den vorliegenden Schätzungen ein Potential von rund 4 000 bis 6 000 Initiativen ausmachten. Heute muß von der Hälfte der Initiativen und damit von einem wesentlich geringeren Aktionspotential ausgegangen werden. Die Initiativen verteilen sich flächendeckend auf die Bundesrepublik. Trotz der Heterogenität dieser Gruppen, die vielschichtige Wechselbeziehungen zu anderen sozialen Bewegungen haben, in den lokalen politischen Milieus eingebettet sind und oftmals aus bereits vorhandenen Arbeitszusammenhängen und Bürgerinitiativen herauswuchsen, läßt sich ein Katalog von Strukturelementen festhalten

Viele Initiativen, deren Potential sich aus Sympathisanten, „Bewegten“ und Aktivisten zusammensetzt, haben entweder einen direkten Bezug zu kirchlichen, beruflichen gewerkschaftlichen* das Zusammenwachsen in den Gruppen.

Basisinitiativen knüpfen meist am Alltags-und Lebenszusammenhang und die daher rührende Betroffenheit an. Die kommunale Verortung ihrer Aktivitäten bedeutet einerseits eine Herausforderung wegen der hier teilweise intensiv ausgeprägten Mechanismen sozialer Kontrolle und erzeugt andererseits ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit des Engagements im Umfeld von Nachbarn und Bekannten. Die Entscheidung vor Ort, politisch tätig zu werden, korrespondiert mit dem Wunsch nach überschaubaren, gleichberechtigten, basisdemokratischen Arbeitsstrukturen, die auch soziale Bedürfnisse nach Solidarität, Gemeinschaft und wechselseitigem Kenneniemen erfüllen sollen. Dem lokkeren Arbeitszusammenhang entspricht die geringe Ausdifferenzierung von Aufgaben und Funktionen in den Gruppen. Die egalitäre Binnenstruktur mit dem Wunsch der Mitglieder nach gruppenbezogener Autonomie lebt zudem von dem Ziel direkter politischer Kontakte untereinander. So lassen sich Prinzipien der Basisdemokratie leichter realisieren als in zentralen Gremien mit ausgeprägten Interessenlagen. -Mit der Entscheidung, das persönliche Engagement vor Ort zu konzentrieren, ist gleichzeitig eine gewisse naturwüchsige Distanz gegenüber überregionalen Strukturen und Konferenzen verbunden. Der Skepsis gegenüber unüberschaubaren Politik-formen schließt sich eine Abneigung gegenüber Prominenten, Experten und Sprechern an. Folglich sind mit dem Schritt hin zu Vernetzungen auf verschiedenen Ebenen — bis hin zum KA auf nationaler Ebene — immer Abgrenzungen in bezug auf die verschiedenen Arbeitsebenen verbunden.

Trotzdem existieren in der gesamten Bundesrepublik vielfältige Vernetzungen zwischen den Friedensinitiativen, die sich regional oder auf Stadt-ebene ausbilden und sich über regelmäßige Treffen und Konferenzen sowie Friedensläden oder Friedensbüros organisieren und austauschen. Auf Kreis-, Großstadt-und Bundeslandebene bildeten sich zudem weitere Strukturen, die länderspezifisch ihre eigene Ausprägung haben.

Mit diesen Strukturen ist der Bedarf der Basisinitiativen an nützlicher Koordination und wechselseitigem Austausch weitgehend gedeckt, so daß die Strukturen auf nationaler Ebene (Aktionskonferenzen und Koordinationsausschuß) meist als zu abgehoben empfunden werden und lediglich das Interesse weniger Aktiver finden, die die damit verbundenen organisationskulturellen Verformungen und Mechanismen kennen und sich darauf einstellen können.

Diese überregionalen Strukturen waren für die meisten Basisinitiativen jedoch kein Thema. Nur im Einzelfall machte sich die weit verbreitete, aber selten veröffentlichte Kritik Luft: „Auch für die zukünftige Struktur der Friedensbewegung ist es nach diesem Verständnis unumgänglich, von der zentralistischen Organisationsform mit Koordinationsausschuß in Bonn (!) samt selbsternannten Sprechern und Funktionären wegzukommen. Ziel muß es sein, die vielen — vor allem regionalen — Friedensgruppen überhaupt erst (bzw. in viel stärkerem Maße) am Entscheidungsprozeß zu beteiligen. Hier kommen Regionaltreffen und regionalen Aktionsbündnissen sowie dem Aufbau dezentraler, basis-naher Einrichtungen wie Friedensbüros, -läden etc. eine große Bedeutung zu.“ Diese Aussage unterstreicht. daß es zwischen der Basisebene und der nationalen Ebene der Friedensbewegung Repräsentationslücken gab. Der hier angelegte Unmut und Konfliktstoff führte trotzdem nicht zu konkreten Initiativen und Reformkonzepten

VI. Die Themen der Friedensbewegung: zwischen Konstanz und Wandel

Der wichtigste Anstoß der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre — die Nachrüstung neuer Mittelstreckenraketen — bildete bis Ende 1983 und mit ihren Nachwirkungen auch noch 1984 den zentralen Kristallisationspunkt in der Friedensbewegung Er entfaltete in der Hochphase der Mobilisierung eine enorme Integrationswirkung für die unterschiedlichen Spektren in der Friedensbewegung. Der „Minimalkonsens“ wurde zwar immer von anderen. grundlegenderen Forderungen einzelner Organisationen und Spektren begleitet. Mehrheitsfähig waren die weitreichenderen Programme beispielsweise für die Überwindung der Abschrekkungspolitik oder einen durchgreifenden Antimilitarismus jedoch nicht. Mit der Bündelung der vielfältigen Anliegen auf eine verständliche und klar umrissene Forderung gelang es zudem lange Zeit, konzeptionelle Gegensätze der beteiligten Gruppen zu überdecken. Unter dem Dach der einfachen Forderungen gegen Pershing II und Cruise Missiles versammelten sich alle, die eine Kurskorrektur in der Sicherheitspolitik herbeiführen wollten oder ein Abrüstungssignal erwarteten.

Die Konzentration aller Energien auf bestimmte Waffensysteme erwies sich jedoch spätestens ab November 1983 als strukturelles Problem, da trotz jahrelanger Proteste der Bundestag den Nachrüstungsbeschluß mehrheitlich bestätigte. Auf diese kollektive Erfahrung der Niederlage und das Gefühl vieler Aktiver, sich vergeblich für Abrüstung eingesetzt zu haben, war die Friedensbewegung nicht vorbereitet. Nach diesem Einschnitt und dem Verlust einer allgemeinen Programmklammer begann der Prozeß der inhaltlichen Ausdifferenzie-rung der einzelnen Spektren, die jetzt versuchten, ihr über Jahre vernachlässigtes spezifisches Profil herauszustellen.

Nach den Mobilisierungshöhepunkten 1983 wirkte die Nachrüstungsdiskussion auch 1984 nach. Mit zentralen Großaktionen sollte der Vollzug des Nachrüstungsbeschlusses rückgängig gemacht werden. Die Perspektivlosigkeit dieser Aktivitäten und die schon weitverbreiteten Ohnmachtsgefühle verhinderten jedoch neue inhaltliche Impulse. Nachdem diese „Nachrüstungs-Proteste“ erneut keine Erfolge zeigten, setzten sich einige Spektren mit der Position durch, daß jetzt eindeutigere Proteste nötig seien, um den Aufrüstungstrend zu stoppen

Radikale Verweigerungsaktionen aller Militärdienste und die Idee von Manöverbehinderungen im „Fulda Gap“ im Herbst 1984 sollten die Antwort auf neue „Kriegsführungskonzepte“ der NATO sein. Die Verbreiterung des Themenspektrums mit einer Demonstration gegen die „mögliche Intervention der USA in Nicaragua“ bildete zusätzlich einen auffälligen Kontrast zu bisher gewohnten Themen-schwerpunkten. Diese Aktionen waren jedoch kein Produkt gemeinsamer Absprachen aller Spektren, sondern eher eine Replik der radikalen Kräfte innerhalb der Friedensbewegung auf früher angemahnte, jedoch versäumte oder abgeschmetterte Interventionschancen. Nach der „Niederlage in der Hauptforderung“ Ende 1983 markierte das Jahr 1984 eine weitere Bruchstelle in der Entwicklung der Friedensbewegung. Das Repertoire gemeinsamer Forderungen und Programme war ausgeschöpft; die teilweise hilflosen Antworten der einzelnen Spektren auf die politische Lage konnten nicht mehr auf einen Nenner gebracht werden, zumal die radikaleren Aktionen Ende 1984 von einem weiteren Mobilisierungsschwund begleitet wurden. Statt den Hunderttausenden auf der Straße kamen nur noch einige Tausende. Dieser Trend zur Partikularisierung des Protestes und zur Abkehr von gemeinsam getragenen Aktionen war selbstverständlich mit massivem Streit der Spektren untereinander verbunden und führte schließlich zu einer Beratungsphase 1985. In der selbst auferlegten aktionsfreien Phase konnte das Fundament gemeinsamer Forderungen jedoch nicht ausgebaut werden. Vielmehr führten die erzwungenen Strategiediskussionen zu der Gewißheit, daß die unterschiedlichen Strömungen in der Friedensbewegung sich mit gegensätzlichen — teilweise miteinander unvereinbaren — Konzepten gegenüberstanden. So wollten die orthodoxen Kräfte an frühere Erfolgsrezepte anknüpfen und 1985/86 die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) bzw. europäische Varianten (EVI) mit Großdemonstrationen bekämpfen. Diese Konzentration auf ein Waffensystem konnte sich als neuer Minimalkonsens trotz der Vehemenz der Forderungen jedoch nicht durchsetzen

Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich in der Frage des Zivilen Ungehorsams ab. Obwohl einige Organisationen Blockaden und Aktionen Zivilen Ungehorsams — die früher nur von kleinen Gruppen getragen wurden — nun massenhaft propagierten, war dieser Kurs nicht mehrheitsfähig.

Die anfangs ablehnende Haltung kann jedoch einen grundsätzlichen Wandel in der Frage des Zivilen Ungehorsams nicht überdecken. Während noch 1983 die Verfechter des Zivilen Ungehorsams in der Minderheit waren und sich ständigen Attacken auch innerhalb der Friedensbewegung ausgesetzt sahen, wuchs die Zahl der Mitmacher bei entsprechenden Aktionen ab 1984 deutlich. Ab 1985 wichen selbst die toleranten Kritiker in der Friedensbewegung von ihrer reservierten Haltung ab und akzeptierten diese Protestform ebenfalls. Heute gehören Aktionen des Zivilen Ungehorsams zum selbstverständlichen Bestandteil der Protestkataloge nicht nur der Friedensbewegung.

Der Meinungsstreit über eine geeignete Handlungsstrategie blieb 1985 trotz der Beratungen ergebnislos. Deshalb einigte man sich auf eine bundesweite Informationswoche, die den einzelnen Gruppen Freiraum in ihrer Aktionsgestaltung ließ. Da diese beliebige Planung offensichtlich weder den nötigen Anklang bei den Aktiven noch in der Bevölkerung fand, verständigte man sich in den folgenden Jahren jeweils wieder aufeine Großdemonstration im Jahr, die jedoch — nicht allein aufeine präzise Forderung gestützt wurde. Vielmehr versuchte man hier das globale Thema Abrüstung erneut mehrheitsfähig zu machen bzw. die 1986 und 1987 laufenden Abrüstungsverhandlungen zu fördern und weitergehende Verhandlungsziele anzumahnen.

Nach 1984 konnte sich demnach kein Themen-schwerpunkt und kein breit akzeptierter Forderungskatalog durchsetzen. Parallel zu der abnehmenden Mobilisierung verlor die Friedensbewegung auch die Fähigkeit, mit einem von allen Strömungen getragenen Programmprofil in die Öffentlichkeit zu treten.

Aus dieser Skizze des prozeßhaften Wandels von Themen und Aktionen in der Friedensbewegung ergibt sich, daß die Zuspitzung auf die Frage der Nachrüstung in den Jahren nach 1984 von keiner vergleichbaren Nachfolge-Forderung abgelöst wurde. Vielmehr beschleunigte sich der Prozeß der Ausdifferenzierung von Themen und damit auch von Aktionen. Das heißt: es gab eine auffallende Kongruenz von Strategiefestlegung und Aktionsumsetzung. Das Ausbleiben der gewohnten Mobilisierungserfolge begünstigte den beschriebenen Prozeß der Aufsplitterung von Themen und Aktionen noch.

VII. Die strategische (Ohn) -Macht der Friedensbewegung

Der Wandel von Themen und Aktionen — die für die Friedensbewegung eine hervorgehobene Rolle spielten — war nach 1983 in permanent laufende Strategiediskussionen eingebettet, mit denen die Grundlagen des politischen Handelns festgelegt werden sollten.

Alle Strategievorschläge der unterschiedlichen Spektren verfolgten im Kem jeweils kontinuierlich gleiche, stabile Leitmotive. Dies führte zu dem Dilemma, daß sich ein Konsens nur auf sehr allgemeinen Forderungen gründen konnte. Absicht aller Bemühungen, Strategien festzulegen, war es, politische Kernaussagen zu prägen, inhaltliche Pflöcke einzurammen, die dann von der Bewegung publiziert und in die unterschiedlichsten Bereiche der Öffentlichkeit transportiert wurden. (Vgl.den millionenfachen Nachdruck der Aufrufe). So ließen sich bestimmte Themen entsprechend ihrer Rangfolge verbreiten, Diskussionen beeinflussen und die Medien in ihrer Themenwahl anregen.

Aktionsplanungen zum jeweils nächsten Termin oder Ereignis galten fast durchgehend als Synonym für Strategiediskussionen. Diese hatten folglich einen ereignisbezogenen Charakter. Der Diskussionsprozeß bewegte sich im festgefügten Rahmen der Planungen und war somit eindeutig begrenzt. Die Friedensbewegung war folglich mit dem Anforderungsprofil einer umfassenden, langfristig angelegten Strategie überfordert, da immer nur zeitlich begrenzte Strategien entworfen werden konnten.

Die Planungen knüpften meist eng an aktuelle Anlässe an, richteten sich nach dem Rhythmus von Aktion zu Aktion, unterlagen Themenkonjunkturen sowie Zeiterscheinungen und konnten dem Druck der Aktualitäts-Schübe kaum weichen. Der Zwang, aktuell auf politische Ereignisse zu reagieren, das politische Klima und die politischen Rahmenbedingungen vieler Entscheidungen entzogen sich der Regulierung; sie markieren die Grenzen der Strategiediskussion. Von 1981 bis 1983 wurde die langfristig angelegte Strategiediskussion eindeutig von der permanent aufeinander folgenden Aktions-Mobilisierung abgedrängt. In dieser vom Minimalkonsens „Verhinderung der Nachrüstung“ geprägten Phase war der inhaltliche Richtungsstreit der beteiligten Organisationen noch schwach ausgeprägt. Erst mit dem Vollzug der Stationierung (ab Ende 1983) trat zunehmend Ratlosigkeit („Wie es weitergehen könnte?“), ein strategisches Vakuum auf — gekennzeichnet durch fehlende Konzepte für die Zukunft

Neben der Dominanz von auf Ereignisse bezogenen Aktionsstrategien im KA war auffallend, daß nur zwei große Strategie-Entwürfe — der Minimal-konsens’ (1981— 1983) und die . Kölner Fünf Punkte'(1985) — von diesem Gremium erarbeitet und von den Aktionskonferenzen formal bestätigt wurden. Dieser sparsame Umgang mit Strategie-Entwürfen illustriert, daß die Strategiediskussion im KA an den begrenzten Möglichkeiten dieses heterogenen Zweckbündnisses gemessen werden muß und hier nicht die Maßstäbe von homogenen Gruppen angelegt werden können. Damit ist auch ein Erklärungsansatz für die geringe Reflexionsbereitschaft im KA gegeben.

Eine produktive Reflexion schien im aktionsorientierten KA folglich nur verspätet, vom Aktionsdruck entlastet, im nachhinein möglich zu sein. Denn die aktionistische Grundtendenz der im KA vertretenen Organisationen ließ kaum Zeit zur kritischen Prüfung der jüngsten Protestaktionen und zum Überdenken der eingeschlagenen Strategie.

Die Aktionsdynamik überstieg die Reflexionsbereitschaft des KA der Friedensbewegung. Dem von einigen Organisationen immer wieder betonten Anspruch auf die für Bewegungen notwendige Reflexionsfähigkeit und Programmentwicklung stand mit gleicher Selbstverständlichkeit eine aktionistische Position anderer Organisationen gegenüber, die durch intellektuelle Anspruchslosigkeit gekennzeichnet war, Massenmobilisierung zum Wert an sich erklärte und andere Prioritätensetzungen und unkonventionelle Ideen abdrängte. Die verbündeten Organisationen maßen Strategiediskussionen folglich einen unterschiedlichen Stellenwert bei.

Auch die Friedensbewegung in ihrer Breite definierte ihre Identität vorwiegend über Aktionen und nicht über ausgereifte Programme. Hier stellt sich die Frage, ob neue soziale Bewegungen vorrangig in der Lage sind, Aktionsstrategien zu verfolgen?

VIII. Bilanz und Perspektiven

Auch wenn der Koordinationsausschuß der Friedensbewegung der breiteste und am längsten wirkende Bündniszusammenhang in der Geschichte der Bundesrepublik ist, dem es gelang, Kreativität und Mobilisierungsfähigkeit mit der professionellen Arbeitsweise traditioneller Organisationen zu verbinden, wirft die außergewöhnliche Stabilität des KA als Sondertyp einer Bewegungsorganisation zahlreiche Fragen auf.

Der KA und seine Vorläufer unterlagen in ihrer fast zehnjährigen Geschichte einer weiter fortschreitenden Institutionalisierung die durch die Ritualisierung von Arbeitsformen, die hermetische Abwehr neuer Mitgliedsorganisationen und eine strategische Unbeweglichkeit gekennzeichnet werden kann. Mit diesem Instrumentarium wuchs eine zentrale Bewegungsorganisation neuen Typs, die das konstituierende, identitäts-und sinnstiftende Bewegungsmotiv der Basisdemokratie in Frage stellte.

Denn zu den Formprinzipien der Basisdemokratie gehört neben dem Element der Dezentralisierung, das die weitgehende Autonomie und den Einfluß der untersten Einheiten sichern soll, die Absicht, gewählten Vorständen befristet pure Koordinationsaufgaben zu übertragen. Offenheit für alle Interessenten und das Verbot von Ämterhäufung sowie eine begrenzte Wiederwählbarkeit soll den gewünschten permanenten Wechsel in Funktionen begünstigen.

Das Leitmotiv der Transparenz aller Entscheidungen und des ungehemmten Zugangs der Öffentlichkeit rundet das anspruchsvolle Handlungsset der Basisdemokratie ab. Da der KA in diesen substantiellen Fragen oft das Gegenmodell von Basisdemokratie praktizierte, bleibt offen, wieso die zentrale Bewegungsorganisation — trotz gelegentlicher Kritik, eher zaghaftem Protest und einigen internen Krisen — den beschriebenen rigiden Politikstil über Jahre hinweg durchsetzen konnte?

Gleichzeitig steht aber außer Frage, daß die untypischen Entscheidungsstrukturen der Friedensbewegungsgremien einen enormen Mobilisierungsund Politisierungsschub förderten, der sich durch seine nachweisbaren Erfolge von dezentraler Organisation mit den zuweilen uneffektiven Standards eindeutig abhob.

Gerade mit Hilfe der auf den Bonner Politikprozeß zugeschnittenen Organisationsformen und Interventionskapazitäten des KA konnte sich die Friedensbewegung als Initiator und Impulsgeber für einen neuen Trend in der sicherheitspolitischen Diskussion entfalten und die Debatten nachdrücklichund wirksam popularisieren. Die Sensibilisierung der Bevölkerung für Fragen der Friedenssicherung gehört zu den großen Erfolgen der Friedensbewegung. Mit der Vielfalt und der massenhaften Beteiligung an den Aktionen der Friedensbewegung sowie der zunehmenden Akzeptanz des Zivilen Ungehorsams wurden das Feld demokratischer Partizipationsformen entscheidend erweitert, die Protestkultur in der Bundesrepublik nachhaltig belebt und — bezogen auf diese Erfolge — Signale für künftige Bewegungen gesetzt. Da sehr viele Organisationen und Initiativen erstmals trotz aller Widrigkeiten und Gegensätze zusammenarbeiteten und mit ihren Aktivitäten ein bürgerliches Protestpotential integrierten, wurde zudem das Erfahrungsfeld für eine neue, langfristig wirkende Bündniskultur erweitert. Zudem verschoben sich durch die außergewöhnlich starke Beteiligung von Parteivertretern in der Friedensbewegung die konfliktträchtigen Interaktionsmuster zwischen Parteien und neuen sozialen Bewegungen Statt sturer Verfeindung entwickelte sich eine vorsichtige Verzahnung und begrenzte Kooperation.

Von diesen Entwicklungen, die zusammen eine Öffnung der sicherheitspolitischen Dialoge sowie den Bruch des früher parteiübergreifenden sicherheitspolitischen Konsenses förderten und das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik beeinflußten, profitierte in erster Linie die Sozialdemokratie. die im Windschatten der Friedensbewegung ihr sicherheitspolitisches Profil als Oppositionspartei ändern konnte. Dies führt dazu, daß auch in diesem Politikfeld die SPD in Konkurrenz zu den GRÜNEN Anliegen der Friedensbewegung frühzeitig in den parlamentarisch-politischen Prozeß einspeist und damit Motive der Friedensbewegung in den Handlungsradius der Parteien einbringt.

Diese Veränderung der öffentlichen Diskurse zur Sicherheitspolitik hatten die Konsequenz, daß die Friedensbewegung ihr Protestmonopol eingebüßt und durch die weitreichenden AbrüstungsVorschläge Gorbatschows sogar die Meinungsführerschaft auf diesem Feld verloren hat und folglich auf dem hektischen publizistischen Markt mit dem Nachrichtenwert des Kreml-Chefs nicht konkurrieren kann.

Diese Entwicklung bedeutet in der Gesamtsicht jedoch nicht, daß die Friedensbewegung mit ihrem aufklärungs-, ideenstiftenden und mobilisierungsfähigen Potential zum bloßen geschichtlichen Faktor abgesunken ist. Da noch keine überzeugende alternative und bedrohungsarme Gesamtkonzeption zur herrschenden Sicherheitspolitik entwickelt wurde (und mehrheitsfähig ist), scheint es realistischer zu sein, daß die Friedensbewegung ihren Protest vorerst auf niedrigem Mobilisierungsniveau verstetigen und sich als Dauerfaktor des sicherheitspolitischen Protests etablieren wird. Erneute Mobilisierungsschübe aus den zwar geschrumpften, jedoch noch intakten Zusammenhängen und Netzwerken der Friedensbewegung können sich an neuen Themen und Bedrohungen entzünden und — getragen von einer entsprechenden Stimmung in der Bevölkerung — zuspitzen. Denn die Fragen, Forderungen und Vorschläge der Friedensbewegung sind weitgehend unbeantwortet, ungelöst und unbewältigt. Die Sozialwissenschaften und die sogenannten Bewegungsforscher werden sich mit dem stabilen Phänomen der Friedensbewegung und dem Vergleich zu anderen neuen sozialen Bewegungen sicherlich noch auseinandersetzen und Abschied von ihren Mythen nehmen müssen. Denn in den komplexen Risikogesellschaften wächst den neuen sozialen Bewegungen im Zuge der abnehmenden Bindekraft und dem zunehmenden Glaubwürdigkeitsverlust der hierarchisch strukturierten Parteien und gesellschaftlichen Großorganisationen aufgrund ihres bewegungsspezifischen, offenen Politikstils und den breit gefächerten Partizipationsangeboten eine zentrale Position als stabiles Gegengewicht im politischen Prozeß zu.

Um die indirekten Wirkungszusammenhänge und die Kontinuität von Protesthandeln im 40. Jahr des Grundgesetzes analytisch angemessen zu beurteilen, sind für die Zukunft detaillierte Einzelstudien statt generalisierender Aussagen zum Thema Bewegungen gefragt, um Mythen abzulösen kontroverse produktive Debatten anzustoßen und

Fussnoten

Fußnoten

  1. Teile dieses Aufsatzes beziehen sich auf meine Dissertation. die 1989 unter dem Titel „Die strategische (Ohn) -Macht der Friedensbewegung“ erscheint. Siehe auch Thomas Leif, Die professionelle Bewegung. Friedensbewegung von Innen, Bonn 1985.

  2. Vgl. Wolfgang Ehmke (Hrsg.), Zwischenschritte. Die Anti-Atomkraft-Bewegung zwischen Gorleben und Wakkersdorf, Köln 1987.

  3. Vgl. Petra K. Kelly/Jo Leinen (Hrsg.), Prinzip Leben — Ökopax — Die neue Kraft, Berlin 1982.

  4. Vgl. Herrad Schenk, Frauen kommen ohne Waffen, Köln 1983’.

  5. Vgl. Werner Balsen/Karl Rössel, Hoch die internationale Solidarität. Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, Köln 1986.

  6. Karl-Werner Brand, Kontinuität und Diskontinuität in den neuen sozialen Bewegungen, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1987, S. 44.

  7. So Ulrike C. Wasmuht vor dem Krefelder Kreis am 11. Februar 1989, in: Krefelder Initiative (Hrsg.), Zur Information, (1989) 1, S. 10.

  8. Roland Roth, Neue soziale Bewegungen in der politischen Kultur der Bundesrepublik — eine vorläufige Skizze, in: Karl-Werner Brand (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt/New York 1985, S. 70.

  9. Michael Th. Greven, Zur Kritik der Bewegungswissenschaft, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen. (1988) 4, S. 51-60. „Der Gegenstand der Bewegungswissenschaft erscheint mir theoretisch (noch?) höchst problematisch konstituiert zu sein; ob er neu ist, oder was gegebenenfalls an ihm neu ist, und ob die beobachtbaren Phänomene Teil eines Ganzen, oder aber selbständige Beispiele eines Typus, oder aber, ob schließlich die unter dem Begriff üblicherweise zusammengefaßten empirischen Phänomene ganz verschiedene Dinge sind, und die behauptete Einheit, wie sie in Begriffen etwa einer „Gegengesellschaft“ (W. Holstein), „Alternativbewegung“ (P. Glotz) oder der (!) NSB zum Ausdruck kommt, nur ein Mythos — ich weiß es nach Lektüre vieler bewegungswissenschaftlicher Schriften immer noch nicht.“ Die bahnbrechenden Anmerkungen von Greven haben heftige Reaktionen von Bewegungswissenschaftlern ausgelöst: Roland Roth/Dieter Rucht. Reaktionen aus dem „Ghetto“. Anmerkungen zu Michael Th. Grevens „Kritik der Bewegungswissenschaft“ sowie Karl-Werner Brand, „Bewegungswissenschaft“ oder Bewegungsforschung? Einige „ganz unironische“ Anmerkungen zu Michael Th. Grevens Beitrag, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, (1989) 1, S. 44— 53. Diese längst überfällige Debatte hat noch weitere produktive Beiträge angestoßen, die langfristig sicher zu höheren Standards in der Bewegungsforschung beitragen werden.

  10. Zu verwandten Themen liegen u. a. folgende Studien vor: Michael Schenk, Kommunikationsstrukturen in Bürgerinitiativen, Tübingen 1982; Wolfgang Stemstein, Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse in der Ökologiebewegung, Hannover 1981; Ralf Heidger, DIE GRÜNEN: Basis-demokratie und Parteiorganisation. Eine empirische Untersuchung des Landesverbandes der GRÜNEN in Rheinland-Pfalz, Berlin 1987. (Zu ähnlichen Ergebnissen über interne Prozesse bei den GRÜNEN kam eine interne, nicht-veröffentlichte Studie des ibek-Instituts, Karlsruhe.) Zur Analyse der neuen Friedensbewegung liegen ca. 40 universitäre Abschlußarbeiten vor, die jedoch ausnahmslos die internen Kommunikations-und Entscheidungsstrukturen der Friedensbewegung ausblenden.

  11. Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf einen Untersuchungszeitraum von neun Jahren und stützt sich im wesentlichen auf 24 halb-standardisierte Intensiv-Interviews (ca. 90 Minuten) mit führenden Vertretern aller Spektren der Friedensbewegung, auf eine umfassende Dokumentenanalyse interner Vorgänge (Protokolle, Briefwechsel, Arbeitspapiere etc.) sowie die Beobachtung aller Aktionskonferenzen und der wichtigsten Koordinationsausschußsitzungen.

  12. Vgl. Klaus Horn/Volker Rittberger (Hrsg.), Mit Kriegs-gefahren leben. Bedroht sein. Bedrohungsgefühle und frie-denspolitisches Engagement, Opladen 1987.

  13. Zur spezifischen Ausprägung der Basis-Friedensinitiativen vgl. Günther Gugel/Uli Jäger (Hrsg.), Handbuch Kommunale Friedensarbeit, Tübingen 1988, sowie Brigitte Rükker/Fritz Vilmar, Kommunale Basisarbeit: Lebensbedingungen der Friedensbewegung. Die Friedensinitiative Nagold als exemplarisches Beispiel, Starnberg 1987. Professor Klaus Eichner analysierte die Basisarbeit von 50 Friedensinitiativen in einem Forschungsprojekt, das unter dem Titel „Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland“ im Dezember 1984 abgeschlossen wurde. Die Ergebnisse zu den Fragen Organisation, politische Orientierung, Handlungsperspektiven und Erfolgsaussichten sind jedoch nur als „Vorabinformation“ (zwei Seiten) zugänglich. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) beauftragte das Münchner Sinus Institut mit einer Studie „Sicherheitspolitik, Bündnispolitik, Friedensbewegung — Eine Untersuchung zur aktuellen politischen Stimmungslage im Spätherbst 1983“, Bonn 1983. Hier wird die Motivationslage an der Basis treffend analysiert.

  14. Vgl. Reiner Braun u. a. (Hrsg.), Berufsbezogene Friedensinitiativen, Köln 1982 2. Intern kam die Krefelder Initiative, die einen Großteil dieser in beruflichen Feldern verankerten Friedensinitiativen organisatorisch anleitet, im Februar 1989 zu einer eher skeptischen Bilanz, da auch dieser Strang der Friedensbewegung zunehmenden Auszehrungen begegnen muß.

  15. Nur ein wirksamer basisnaher friedenspolitischer Zusammenschluß — die Friedenskooperative — arbeitete in der Zeit von Herbst 1984 bis Mitte 1986 unter maßgeblicher Initiative des Komitees für Grundrechte und Demokratie als organisatorisches „Gegenmodell“ zum KA. Ein Teil der KA-Mitgliederorganisationen traf sich hier regelmäßig, um u. a. von außen auf den KA Einfluß zu nehmen und gemeinsame Anliegen effektiver vorzubereiten. Die Friedenskooperative scheiterte jedoch und konnte sich nicht als KA-Alternative etablieren.

  16. Diese Problematik behandelt ausführlich Günther Schmid, Sicherheitspolitik und Friedensbewegung. Der Konflikt um die „Nachrüstung“, München 1982.

  17. Erst ab Mai 1984 drückten sich die virulenten Perspektivdiskussionen konkret aus. Der KA veröffentlichte erstmals einen Reader zur Strategiediskussion, der zahlreiche Vorschläge und Analysen der einzelnen Spektren enthielt. Vor den Strategie-bzw. Aktionskonferenzen im Juni 1985 und Februar 1986 erschienen noch einmal umfangreiche Reader.

  18. Ich gehe von folgender Definition des Strategie-Begriffs aus: Strategie-Findung und Festlegung beziehungsweise die Entwicklung zweckorientierter, umfassender theoretischer Konzepte im Hinblick auf Aktionen sei verstanden als planvolles. kontrolliertes Handeln und Nicht-Handeln auf der Grundlage der gesetzten Ziele und unter Einbeziehung der allgemeinen Strukturbedingungen, der unterschiedlichen Interessenlage der im Bündnis beteiligten Spektren, ihren Erfahrungswerten und einer gemeinsam erarbeiteten Standortbestimmung. Die angestrebten Ziele. Veränderungen und Perspektiven werden in einem Strategiebildungsprozeß erarbeitet. Die Schritte des Handelns werden absichtsvoll reflektiert und nach kontroverser Diskussion der verschiedenen Spektren zu kurz-, mittel-und langfristigen Überlegungen und daraus folgenden Aktionskonzepten gebündelt. Mögliche Reaktionen der Gegner (Parteien, Regierung etc.) und Befürworter (Aktive, mobilisierungsfähige Sympathisanten etc.) dieser Ziele werden ebenso in die Planungen und den Prozeß der Entscheidungsfindung einbezogen, wie mögliche Folgen des Handelns. (Kriminalisierung, soziale Kontrolle u. a. durch die Polizei, strafrechtliche Verfolgung etc.). Die Realisierbarkeit der Pläne auf der Grundlage der vorhandenen Ressourcen prägt diesen Prozeß zusätzlich.

  19. Vgl. Krefelder Initiative (Hrsg.), Die Militarisierung des Weltraums kann verhindert werden. Zu den Erfolgsaussichten der Friedensbewegung. Köln 1986.

  20. Vgl. Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt 1983; Thomas Laker. Zivilen Ungehorsam. Geschichte — Begriff — Rechtfertigung. Baden-Baden 1986.

  21. Wichtige Schlüsseltexte zur Strategie der Friedensbewegung wurden in vom KA der Friedensbewegung (Bonn) herausgegebenen Readern 1984. 1985, 1986 abgedruckt. Einen guten Überblick gibt auch das Lesebuch des Arbeitskreises für Friedenspolitik und Friedenspädagogik (Hrsg.), Friedensbewegung am Scheideweg? Beiträge zu einer Politik der Friedensbewegung, Freiburg 1984.

  22. Eine fundierte Problemskizze zu diesem Themenfeld präsentierte Roland Roth in seinem Referat auf einem DVPW-Kongreß unter dem Titel „Entgrenzung von Politik?“ Zur Bilanzierung der institutioneilen Effekte neuer sozialer Bewegungen, als gleichnamige Publikation erschienen, Darmstadt-Berlin 1988. Vgl. auch den Beitrag von Frank Null-meyer in dieser Beilage.

  23. Vgl. grundlegend zur Praxis der Basisdemokratie: Bodo Zeuner, Parlamentarisierung der GRÜNEN, in: Prokla, (1985) 4.

  24. Vgl. Dieter Rucht, Zum Verhältnis von sozialen Bewegungen und politischen Parteien, in: Journal für Sozialforschung (1987), 3-4.

  25. An der andauernden Debatte über die Modernisierung der Kurzstreckenraketen sind alle Parteien beteiligt. Die SPD hat der Bundesregierung in dieser Situation anfangs sogar Unterstützung für ihre Linie zugesagt. Die IG Metall-Jugend unterstützte einen Aufruf der DFG-VK zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung und bewirkte so eine lebhafte Diskussion zu diesem früher nicht einmal im KA mehrheitsfähigen Vorschlag und beschleunigte Klärungsprozesse innerhalb der Gewerkschaften. Vgl. Dokumentation der DFG-VK, Bonn, März 1989.

  26. Vgl. Alf Mintzel, Großparteien im Parteienstaat der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/89.

  27. Vgl. Amo Truger, Entwicklung und Wirkung der Friedensbewegungen, in: Dialog, Beiträge zur Friedensforschung. (1988) 1— 2.

  28. Diesen Kontinuitätszusammenhang entfaltet Lothar Rolke. Protestbewegung in der Bundesrepublik. Eine analytische Sozialgeschichte des politischen Widerspruchs, Opladen 1987, auf der Grundlage einer breit angelegten Material-aufarbeitung.

  29. Positive Beispiele, die die Forschung voranbringen, sind das Projekt unter der Leitung von Professor Michael Vester (Universität Hannover). Der Wandel der Sozialstruktur und die Entstehung neuer gesellschaftlich-politischer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland, das ab 1988 von der Stiftung Volkswagenwerk gefördert wird. Interessante Befunde werden auch von dem von Roland Roth geleiteten Forschungsprojekt „Struktur und Entwicklungsdynamik sozialer Bewegungsnetzwerke in der Bundesrepublik. Eine empirische Untersuchung an drei Orten“, FU Berlin, erwartet. Aufschlußreich wären auch Untersuchungen der Kommunikations-und Entscheidungsstrukturen in anderen Bewegungen.

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