Wenn in der Bundesrepublik derzeit von Handelspolitik die Rede ist, dann vor allem von der EG-internen Handelspolitik und, im Zusammenhang damit, dem bis 1992 zu schaffenden Binnenmarkt. Regierung, Parteien, Verbände, das Handwerk, die Banken, die Gewerkschaften — alle beschäftigen sich mit diesem Vorhaben, den Herausforderungen und Chancen, die damit verbunden sind, aber auch möglichen Gefahren und Risiken.
Die Gründe für dieses große Interesse liegen auf der Hand: Gut die Hälfte des deutschen Außenhandels entfällt auf die Gemeinschaft. Über den rein quantitativen Aspekt hinaus gilt es zu bedenken, daß es sich dabei — was wichtige Rahmenbedingungen angeht — um einen vergleichsweise kalkulierbaren Markt handelt. Die Wechselkursbewegungen sind durch das Europäische Währungssystem (EWS) in bestimmten Grenzen gehalten; die Gefahr von Beschränkungen durch Schutzmaßnahmen der anderen EG-Mitglieder kaum gegeben Außerdem stellt sich der geplante Abbau der noch bestehenden Handelshemmnisse gerade für die wettbewerbsfähige deutsche Industrie als große Chance dar.
Über diese Entwicklung darf aber nicht vergessen werden, daß für die Bundesrepublik auch der Handel mit Ländern außerhalb der Gemeinschaft außerordentlich wichtig ist; ein Tatbestand, der sich besonders im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten erschließt. So hatte die Bundesrepublik beispielsweise im Jahre 1986 einen Anteil von ca. 40 Prozent am gesamten Exportvolumen der Gemeinschaft mit den übrigen westlichen Industriestaaten 2)! Das findet seinen Niederschlag auch in Stellungnahmen wichtiger bundesdeutscher Akteure in Administration, Parteien und Verbänden, in denen immer wieder betont wird, daß die Bundesrepublik ein vitales Interesse am Handel mit Drittländern und — im Zusammenhang damit — möglichst liberalen, von Hindernissen freien, internationalen Handelsbeziehungen besitze.
Nun ist die Bundesrepublik in der Gestaltung ihrer Handelspolitik gegenüber Drittländern bekanntlich nicht mehr frei, sondern als EG-Mitglied in die Außenhandelspolitik der Gemeinschaft eingebunden. Von daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich dieses besondere bundesdeutsche Interesse dort auch ausreichend vertreten und zur Geltung bringen läßt. Zu ihrer Beantwortung ist es notwendig. sich die wesentlichen Elemente der Außenhandelspolitik der EG anzusehen, die als solche dann auch als Determinanten für die Möglichkeiten und Grenzen der Vertretung bundesdeutscher Interessen wirken. Dazu gehören zum ersten die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, zum zweiten die handelspolitischen Entscheidungsstrukturen und -verfahren der EG und schließlich die handelspolitischen Positionen der Mitgliedstaaten, die in diesem Rahmen aufeinander treffen und zu einem Ausgleich gebracht werden müssen.
I. Kompetenzverteilung in der Außenhandelspolitik der EG
Nach Artikel 3 b des EWG-Vertrags umfaßt die Tätigkeit der Gemeinschaft „die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittländern“. Das heißt, die Handelspolitik ist — neben der Agrarpolitik und Verkehrspolitik — als gemeinsame Politik ausgebildet, in der die EG seit dem Ablauf der Übergangszeit zum 1. Januar 1970 eine ausschließliche Kompetenz besitzt. Die Mitgliedstaaten sind demnach von handelspolitischer Rechtsetzung ausgeschlossen, solange sie die EG nicht dazu ermächtigt 3).
Der gemeinsamen Handelspolitik ist im EWG-Vertrag ein besonderes Kapitel gewidmet, in dessen Zentrum der Artikel 113 steht, der Gegenstandsbereich und Verfahren beschreibt. Danach umfaßt die gemeinsame Handelspolitik insbesondere „die Änderung von Zollsätzen, den Abschluß von Zoll-und Handelsabkommen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen. die Ausfuhrpolitik und die handelspolitischen Schutzmaßnahmen, z. B. im Falle von Dumping und Subventionen“. Die EG ist also sowohl zu autonomer Rechtsetzung als auch zum Abschluß völkerrechtlicherVerträge mit Drittstaaten oder auch internationalen Organisationen befugt Autonome Maßnahmen werden dabei vom Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit beschlossen Bei Handelsabkommen legt die Kommission dem Rat Empfehlungen vor; dieser ermächtigt sie dann zur Einleitung der Verhandlungen und erteilt Richtlinien für die Verhandlungsführung. Während der Verhandlungen stimmt sich die Kommission mit einem aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden besonderen Ausschuß ab. Den Abschluß des ausgehandelten Abkommens nimmt der Rat durch einen Mehrheitsbeschluß vor
Auf der Basis dieser grundsätzlichen Kompetenzverteilung hat sich ein außerordentlich umfangreiches sekundäres Außenhandelsrecht entwickelt. Es umfaßt unter anderem das gemeinschaftliche Zoll-recht, den Bereich der mengenmäßigen Beschränkungen, handelspolitische Schutzmaßnahmen, eine Vielzahl von Handelsabkommen mit Drittstaaten sowie Vereinbarungen im Rahmen des GATT — besteht also sowohl aus autonomen Rechtsakten als auch aus völkerrechtlichen Abkommen. Erstere ergehen zum überwiegenden Teil in Form von Verordnungen, sind also nicht nur in den Mitgliedstaaten unmittelbar wirksam, sondern gehen auch nationalem Recht vor, und auch letztere sind integrierende Bestandteile des Gemeinschaftsrechts.
Das bisher Gesagte könnte den Eindruck erwekken, als sei die Gemeinschaft in der Tat für sämtliche Teilbereiche der AußenhandeEpolitik zuständig und als einziger Akteur an die Stelle der Mitgliedstaaten getreten. Dieses Bild jedoch bedarf wesentlicher Korrekturen. Das hängt einmal damit zusammen, daß einzelne Vertragsbestimmungen zur Handelspolitik unterschiedlich interpretiert werden. Gerade der sehr wichtige Artikel 113 — um nur ein Beispiel zu nennen — grenzt ja den Begriff „gemeinsame Handelspolitik“ nicht präzise ab, sondern beschränkt sich auf eine nicht vollständige Auflistung von einigen, wenn auch wichtigen Teilbereichen. Rat und Kommission vertreten des-wegen unterschiedliche Auffassungen zur Frage, welchen Regelungsinhalt Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik haben können. Der Rat, in dem die Vertreter der Mitgliedstaaten zusammenkommen, die naturgemäß möglichst viel Einfluß auf die Ausgestaltung der Handelspolitik ausüben wollen, favorisiert dabei eine eher restriktive, die Kommission, ebenfalls auf ihren Einfluß bedacht, eine eher weitere Auslegung
Außerdem sind mit dem Übergang der Zuständigkeiten für die Handelspolitik auf die Gemeinschaft die Mitgliedstaaten nicht plötzlich völlig von der Bildfläche verschwunden. Sie üben beispielsweise nach wie vor ihre Mitgliedschaftsrechte in internationalen Organisationen mit handelspolitischen Zielen aus, wobei sie allerdings gehalten sind, dort gemeinsam vorzugehen. Vorher abgeschlossene bieder multilaterale handelspolitische Verträge der Mitgliedstaaten bzw. Abkommen mit handelspolitischen Inhalten bestehen — mit Genehmigung der EG — weiter Schließlich können die Mitgliedstaaten Kooperationsabkommen abschließen, die keinem Genehmigungs-, sondern nur einem Konsultationsverfahren unterliegen, das die Autonomie der Mitgliedstaaten letztlich unberührt läßt und die einen nicht ungern gesehenen Ersatz für den seit 1974 nicht mehr möglichen Abschluß von Handelsabkommen mit Staatshandelsländern darstellen
Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die Vergemeinschaftung der Handelspolitik in vielen Bereichen (wie etwa den Liberalisierungsmaßnahmen, der gemeinsamen Ausfuhrpolitik oder bei Schutzmaßnahmen) noch nicht vollendet ist und nationale und gemeinschaftliche Maßnahmen parallel laufen So weist etwa Platzer in seiner Fallskizze zur Handelspolitik der Gemeinschaft angesichts der japanischen Herausforderung darauf hin, daß ein geschlossenes, einheitliches Auftreten der EG gegenüber Japan durch alte bilaterale Vereinbarungen und andere Restriktionen, z. B. allein 51 Zollpositionsbeschränkungen einzelner Mitgliedstaaten und verschiedene bilaterale Selbstbeschränkungsabkommen (beispielsweise für Automobile in Großbritannien, Frankreich und Italien), behindert werde Was ergibt sich nun aus dieser notwendigerweise sehr komprimierten Bestandsaufnahme für die Frage nach den Handlungsspielräumen für den einzelnen Mitgliedstaat? Diese Frage läßt sich nur abstrakt, das heißt losgelöst von den spezifischen Interessen eines Landes, erörtern. Wem es etwa darum geht, Schutzmaßnahmen für einzelne Industriezweige einzuführen, der würde wohl zunächst gezielt nach rechtlichen Möglichkeiten oder Lücken für entsprechende nationale Maßnahmen suchen, die ja durchaus bestehen. Ganz anders dagegen stellt sich die Situation für ein Land dar, dem es, wie der Bundesrepublik, um möglichst ungehinderten internationalen Handel geht. Es kann zwar, was durchaus auch geschieht, darauf verzichten, vorhandene Möglichkeiten für protektionistische Maßnahmen zu nutzen. Ein Indiz dafür ist beispielsweise die in der Bundesrepublik im Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten sehr geringe Inanspruchnahme von Artikel 115 EWG-Vertrag, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, bestimmte, im innergemeinschaftlichen Freihandel befindliche Waren aus Drittländern von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen, wenn durch den Import wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen Doch kann damit selbstverständlich kein wirksamer Einfluß in Richtung einer liberalen Welthandelsordnung ausgeübt werden; ganz abgesehen davon, daß sich auf diese Weise eine möglicherweise problematische Konzentration von Importen in die EG auf einzelne Mitgliedstaaten ergeben kann. Wer einen substantiellen Beitrag für einen ungehinderten Welthandel leisten will, muß vielmehr dafür sorgen, daß die EG insgesamt — ein gewichtiger und außerordentlich einflußreicher Akteur in der internationalen Handelspolitik — eine entsprechende Politik verfolgt. Damit rücken die Entscheidungsstrukturen und -verfahren der gemeinsamen Handelspolitik in den Vordergrund des Interesses.
II. Entscheidungsstrukturen und -verfahren der gemeinsamen Handelspolitik
Schon die Erörterung der Kompetenzverteilung hat gezeigt, daß es kein einheitliches Entscheidungsverfahren gibt, sondern zumindest zwei Fallgruppen unterschieden werden müssen, und zwar autonome Maßnahmen und der Abschluß von Handelsabkommen. Außerordentliche Bedeutung besitzt darüber hinaus ein dritter Bereich, der wiederum spezifische Spielregeln aufweist, nämlich die Anwendung des sekundären Außenhandelsrechts. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Eine Einigung in Fragen der Handelspolitik zwischen zwölf — darauf wird weiter unten noch einzugehen sein — in vieler Hinsicht sehr unterschiedlichen Mitgliedstaaten, ist oft nur auf kleinstem gemeinsamen Nenner möglich. Dies aber eröffnet zum Teil beträchtliche Spielräume für die konkrete Durchführung, und daß es der Bundesrepublik etwa im Bereich der handelspolitischen Schutzmaßnahmen nicht gleichgültig sein kann, wie diese genutzt werden, dürfte einleuchten
Was die autonomen Maßnahmen angeht, so sieht die konkrete Praxis deutlich komplexer aus, als es die Vertragsbestimmung — der Rat entscheidet auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit — vermuten läßt. So ist es beispielsweise häufig so, daß Anstöße für Initiativen der Kommission von Seiten einzelner Mitgliedstaaten kommen, wobei es durchaus auch vorkommt, daß andere Länder intervenieren und sich gegen ein entsprechendes Tätigwerden der Kommission wenden bzw. andere Maßnahmen vorschlagen. Darüber hinaus können aber auch Einflüsse von außen (etwa ein insgesamt sehr angespanntes handelspolitisches Klima oder protektionistische Maßnahmen von Drittländern) und ihre — möglicherweise unterschiedliche — Einschätzung in den Mitgliedstaaten eine wesentliche Rolle spielen. All dies wird natürlich von der Kommission registriert und findet, zumindest teilweise, seinen Niederschlag in ihrem offiziellen Vorschlag, der dann die Grundlage für das Tätigwerden des Rats bildet. Damit sind häufig zumindest grundsätzliche Vorentscheidungen, auch hinsichtlich des Interessenausgleichs zwischen den Mitgliedstaaten, gefallen.
Das heißt nicht, daß es nach Vorliegen des Vorschlags keine Auseinandersetzungen mehr darüber im Rat und seinen Ausschüssen gäbe. Vielmehr finden in vielen Fällen nochmals intensive und oft langwierige Diskussionen statt. Das hängt einmal damit zusammen, daß man sich — trotz der formalen Möglichkeit, mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen — sehr um einen allgemeinen Konsens bemüht. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, daß schwammige oder unpräzise Formulierungen — häufig eine Voraussetzung für eine Zustimmung aller Länder — Spielräume für die Kommission in der Anwendung der entsprechenden Maßnahme er-Böffnen könnten, die einzelne Mitgliedstaaten auf Grund ihrer Interessenlage nicht wünschen und sich daher bemühen, möglichst präzise Festlegungen und Regelungen durchzusetzen.
Für den Bereich der autonomen Maßnahmen ist vor diesem Hintergrund eine ganz eindeutige Dominanz der Mitgliedstaaten, die zumindest teilweise das klassische Recht der Kommission auf Initiative usurpiert haben, festzustellen, die selbstverständlich auch mit entsprechenden Einflußmöglichkeiten — im Rahmen des Kräfteparallelogramms der unterschiedlichen einzelstaatlichen Interessen — verbunden ist.
Die wesentlichen Etappen beim Abschluß von bioder multilateralen Handelsabkommen der Gemeinschaft stellen sich folgendermaßen dar
Zunächst nimmt die Kommission informelle Kontakte zu dem Drittland bzw.den Drittländern auf, mit denen eine Vereinbarung geschlossen werden soll, und berichtet dann üblicherweise dem soge-nannten 113er-Ausschuß in einem ausführlichen Papier über die Ergebnisse der Gespräche. Ursprünglich konzipiert als beratender Ausschuß, der die Kommission bei der Verhandlungsführung unterstützen sollte (und das heißt nicht zuletzt auch, darüber zu wachen, daß sie das Verhandlungsmandat des Rats nicht überschreitet), hat er sich nach der Einschätzung von Insidern zu einem der wichtigsten Gesprächspartner der Kommission auch in anderen handelspolitischen Fragen entwikkelt. Der 113er-Ausschuß dient dabei der Kommission als eine Art Filter; wenn ihre Empfehlungen dort auf Zustimmung stoßen, ist auch mit einer positiven Aufnahme im Rat zu rechnen.
Der Bericht der Kommission wird dann im Rat diskutiert, wobei es durchaus vorkommen kann, daß die Mitgliedstaaten substantielle Änderungswünsche anmelden. In einzelnen Fällen, wie z. B. beim Kommissionsvorschlag für die Gemeinschaftsposition zur Eröffnung der Tokio-Runde, kann es auch erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten geben, die in intensiven Diskussionen. zum Teil erst nach Marathonsitzungen, einem Ausgleich zugeführt werden müssen Auf dieser Grundlage erhält die Kommission ein Verhandlungsmandat, das üblicherweise im 113er-Ausschuß ausformuliert und dann vom Rat gebilligt wird.
Die offiziellen Verhandlungen werden durch die Kommission auf der Grundlage des Mandats und in enger Abstimmung mit dem 113er-Ausschuß durchgeführt, der sich zum Beispiel dazu äußern kann, wie für die Kommission die Vorgaben des Rats zu interpretieren sind, sie allerdings nicht selbständig abändem kann. Dies bleibt einem anderen, aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Gremium, dem sogenannten Ausschuß der Ständigen Vertreter, vorbehalten.
In diesem, dem Rat unterstehenden Ausschuß treffen die Botschafter der Mitgliedstaaten in Brüssel, die sogenannten Ständigen Vertreter (COREPER II) bzw.deren Stellvertreter (COREPER I) zusammen. Seine Aufgabe ist es, den Rat z. B. durch Vorbereitung und wenn möglich Vorklärung von Problemen zu unterstützen und zu entlasten. COREPER deckt dabei, im Gegensatz zum 113erAusschuß, der ausschließlich für außenhandelspolitische Fragen zuständig ist, die gesamte Bandbreite der Gemeinschaftspolitiken von den Außenbeziehungen über die Agrarpolitik bis hin etwa zur Forschungs-und Technologiepolitik ab.
Von zentraler Bedeutung für die Frage nach Mit-wirkungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten ist, daß diese über den 113er-Ausschuß (dessen Mitglieder an den Verhandlungen teilnehmen, wenn sie auch nicht das Wort ergreifen können) eine permanente Kontrolle über den Gang der Verhandlungen besitzen. Außerdem, das zeigen z. B. die Erfahrungen in der Tokio-Runde, befaßt sich der Rat selbst an den entscheidenden Punkten der Gespräche (vor allem zu Beginn und gegen Ende, wenn sich die ersten Ergebnisse abzeichnen) intensiv damit
Schließlich paraphiert die Kommission die Vereinbarung(en). Eine formelle Autorisierung dazu durch den Rat ist zwar nicht notwendig; bevor die Verhandlungen offiziell beendet werden, legt die Kommission jedoch üblicherweise dem Rat einen Bericht vor, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich ein Bild von den Ergebnissen zu verschaffen, wobei die (Vor-) Prüfung durch den 113er-Ausschuß miteinbezogen wird. In diesem Stadium kann es durchaus vorkommen, daß einzelne Mitgliedstaaten Änderungswünsche und ergänzende Gespräche mit den Verhandlungspartnern fordern.
Dann bestätigt der Rat das Verhandlungsergebnis, wobei die entsprechenden Beschlüsse seit Ende der Übergangszeit normalerweise in der Form von Verordnungen ergehen, die gleichzeitig Ausführungsbestimmungen enthalten können und denen als Anhang das entsprechende Abkommen beigefügt wird. Schließlich erfolgt der formelle, offizielle Ab-Schluß des Abkommens durch den Rat im Namen der Gemeinschaft; um Rechtsunklarheiten zu vermeiden üblicherweise erst, nachdem die notwendigen internen Verfahren in den Mitgliedstaaten abgeschlossen sind -Die so abgeschlossenen Abkommen sind integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung und für die Organe der EG und die Mitgliedstaaten verbindlich.
Diese kurze Übersicht über das Entscheidungsverfahren beim Abschluß von Handelsabkommen bestätigt den bereits bei der Erörterung der autonomen Maßnahmen gewonnenen Eindruck, daß trotz ausschließlicher Gemeinschaftskompetenz die Mitgliedstaaten über den Rat und seine Ausschüsse, wie COREPER und 113er-Ausschuß, das entscheidende Sagen haben.
Wie sieht es nun diesbezüglich bei der Anwendung des sekundären Außenhandelsrechts aus? Hier auch nur den Versuch eines Überblicks zu machen, wäre angesichts der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der bestehenden Regelungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Frage soll deswegen beispielhaft anhand eines Bereichs erörtert werden, der — wie oben bereits kurz angedeutet — gerade für ein auf möglichst von Hindernissen freie internationale Handelsbeziehungen angewiesenes Land wie die Bundesrepublik von besonderer Bedeutung ist: die handelspolitischen Schutzmaßnahmen. Das Instrumentarium der Gemeinschaft umfaßt hier drei Bereiche — das Antidumping-und Antisubventionsrecht, — Schutzmaßnahmen nach den Einfuhr-und Ausfuhrregelungen, — das sogenannte neue handelspolitische Instrument. Die bisher am weitaus häufigsten genutzten Antidumpingmaßnahmen sowie die auf der gleichen Rechtsgrundlage beruhenden und daher vom Verfahren her ähnlichen — allerdings nur selten genutzten — Antisubventionsmaßnahmen erlauben es der Gemeinschaft im Hinblick auf die Preise, zu denen Drittlandgüter importiert werden, tätig zu werden. Schutzmaßnahmen nach den Ein-und Ausfuhrregelungen ermöglichen eine Beschränkung der Quantität der Importe, das neue handelspolitische Instrument schließlich soll u. a. europäische Handelsinteressen auf Drittmärkten schützen helfen.
Die Kommission spielt bei der Anwendung dieser verschiedenen Instrumente, eine sehr wichtige Rolle. Ihre Beamten führen — zum Teil in Zusammenarbeit mit der Administration in den Mitgliedstaaten — die notwendigen Erhebungen und Untersuchungen durch; sie kann Verfahren beenden, vorläufige und zeitlich begrenzte Antidumpingoder Ausgleichszölle festsetzen; sie ist, unter bestimmten Bedingungen, berechtigt, bestimmte (Selbst-) Verpflichtungen von Drittstaaten-Exporteuren bzw. -Regierungen anzunehmen. Außerdem hat sie in allen anderen Fällen dem Rat Vorschläge für die Einleitung von Maßnahmen zu unterbreiten. Der Rat ist im Antidumping-und Antisubventionsbereich für die Verabschiedung endgültiger Maßnahmen zuständig; Schutzmaßnahmen nach den Ein-und Ausfuhrregelungen, die durch die Kommission ergriffen wurden, können ihm vorgelegt und durch ihn modifiziert oder aufgehoben werden, und die Entscheidung über Maßnahmen im Rahmen des handelspolitischen Instruments fällt ebenfalls in seine Befugnis.
Ein gemeinsames Merkmal aller oben erwähnten Verordnungen im Bereich der Schutzmaßnahmen ist, daß, bevor die Kommission bestimmte Maßnahmen ergreift, eine Konsultation mit den MitgliedStaaten erfolgen muß. Dies geschieht im Rahmen von durch die einzelnen Verordnungen eingerichteten beratenden Ausschüssen, zusammengesetzt aus Vertretern der Mitgliedstaaten, die unter dem Vorsitz eines Beamten der Kommission tagen.
Versucht man ein kurzes Fazit zur Rollenverteilung von Kommission und den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten bei der Anwendung sekundären Außenhandelsrechts im Bereich der Schutzmaßnahmen, so ist unverkennbar, daß erstere hier eine weitaus gewichtigere Rolle spielt als bei der Entscheidung über autonome Maßnahmen oder den Abschluß von Handelsabkommen. Daran ändert auch die Existenz der eben erwähnten beratenden Ausschüsse grundsätzlich nichts. Allerdings haben auch die auf ihren Einfluß bedachten Mitgliedstaaten dies erkannt, und zumindest einige bemühen sich von daher zum Teil sehr intensiv und gezielt, durch eine entsprechende inhaltliche Ausgestaltung der Verordnungen die Befugnisse der Kommission bei deren Implementation soweit wie möglich zu beschränken. Ein Aspekt, der zum Beispiel bei der weiter unten erörterten Entscheidung über das neue handelspolitische Instrument von besonderer Bedeutung war.
Zusammenfassend kann man sagen, daß die kurze Übersicht über die Entscheidungsverfahren der Gemeinschaft im Bereich der Handelspolitik den sichschon bei der Erörterung der Kompetenzverteilung abzeichnenden Eindruck noch bestärkt hat: Die Handelspolitik der EG wird in der Praxis entscheidend durch die Mitgliedstaaten geprägt. Das heißt auch, daß die konkrete Politik der Gemeinschaft in diesem Bereich, auf die es aus der Sicht der Bundesrepublik ankommt, vor allem durch die Interessenlagen der einzelnen Länder und die daraus erwachsenden Kräftekonstellationen bestimmt wird.
III. Handelspolitische Interessen und Positionen der EG-Mitgliedstaaten
Auf unterschiedliche ökonomische Voraussetzungen in den Mitgliedstaaten, die auch die Interessen und Positionen in der Außenhandelspolitik entscheidend prägen, wird in der Literatur immer wieder hingewiesen. Koopmann etwa stellt dabei vor allem auf drei Bereiche ab, bei denen sich im Vergleich der zwölf Gemeinschaftsländer ein zum Teil außerordentlich heterogenes Bild ergibt: Das Ausmaß der außenwirtschaftlichen Verflechtung mit Drittländern; das sektorale Spezialisierungsprofil sowie die regionale Handelsstruktur und schließlich die Flexibilität der strukturellen Anpassung an veränderte Angebots-und Nachfragebedingungen auf den Weltmärkten Andere Autoren betonen ergänzend die voneinander abweichenden ordnungs-politischen Vorstellungen und handelspolitischen Philosophien die sich nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch bei gesellschaftlichen Akteuren, wie etwa den Verbänden, ausmachen lassen, und kommen schließlich auf dieser Grundlage zu einer Unterscheidung bestimmter Gruppen von Ländern in der Gemeinschaft, die ähnliche Interessen und Positionen aufweisen Besonders aufschlußreich ist diesbezüglich die Analyse, die Deubner im Zusammenhang mit Mitterrand Reformpolitik in West-Europa vornimmt sie soll deswegen im folgenden kurz referiert werden.
Wesentliche Kriterien für seine Typologie der EG-Mitgliedstaaten sind für den Autor das Bruttosozialprodukt je Einwohner, der Anteil konkurrenz-schwacher bzw. retardierender Sektoren im Vergleich zu den expandierenden sowie der Landwirtschaft — in Sonderheit ihrer auf Mittelmeerprodukte spezialisierten Bereiche — an der wirtschaftlichen Aktivität, vor allem am Außenhandel. Mit diesem Raster als Ausgangspunkt kommt er zu einer Einteilung in drei Gruppen.
Die erste besteht aus der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark und den Benelux-Ländern und zeichnet sich durch ein vergleichsweise hohes Maß an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und von daher zumindest ähnlichen außenwirtschaftlichen Interessen aus. Die Unternehmen in dieser Gruppe sind — so die Einschätzung von Deubner — erkennbar marktorientiert und stark an internationalem Handel interessiert.
In der zweiten Gruppe dagegen — bestehend aus Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien — weisen die Unternehmen eine stärkere Binnenmarktorientierung auf. Ihre Fähigkeit zur Wert-schöpfung und zum autonomen Handeln ist deutlich geringer; deswegen akzeptieren, ja verlangen sie staatliche Eingriffe zur Verminderung des Konkurrenzdrucks gerade im Außenhandel.
Die dritte, zwischen den ersten beiden einzuordnende Gruppe schließlich bilden Frankreich und Großbritannien. In Frankreich bestehen wettbewerbsstarke neben wettbewerbsschwachen Bereichen; die inländische Produktionstiefe ist zum Teil beschränkt, der Produktionsprozeß insgesamt stärker von ausländischen Zulieferungen abhängig. Von daher sind Wettbewerbsnachteile im Vergleich zur ersten Gruppe vorhanden. Staatliche Eingriffe werden — aus Tradition und/oder wirtschaftlichen Bedürfnissen heraus — als absolut legitim angesehen bzw. sogar gefordert. In Großbritannien stellt sich die Lage nach Auffassung von Deubner sogar graduell schlechter dar. Ein wesentlicher Unterschied zu Frankreich besteht allerdings darin, daß der angestrebte Gleichstand mit der ersten Gruppe auch aus Sicht der Unternehmen ohne weitgehende industriepolitische und protektionistische staatliche Eingriffe erreicht werden soll.
Was das politische Gewicht und damit die Durchsetzungsmöglichkeiten für die eigenen Vorstellungen anbelangt, so ist unverkennbar, daß die Süderweiterung der EG um Griechenland, Portugal und Spanien eine völlig neue Situation, vor allem bei den Mehrheitsverhältnissen im Ministerrat, geschaffen hat. Die zweite Gruppe verfügt nun über 28 Stimmen und liegt damit deutlich über der Sperrminorität von 23! Sie besitzt damit die Möglichkeit, Vorhaben einer Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten zu blockieren und auf diese Weise — im Rahmen sogenannter Package-Deals — deren Zustimmung für die spezifischen eigenen Interessen zu erreichen. Frankreich, so das Urteil von Deubner, verbindet mit dieser Konstellation die Hoffnung, in Zukunft seine merkantilistischen Vorstellungen in der Außenhandelspolitik zusammen mit der gestärkten zweiten Gruppe in der EG besser durchsetzen zu können.
Was die Kräftekonstellationen in der Gemeinschaft anbelangt, so haben sich also die Möglichkeiten für die Bundesrepublik, ihre liberalen Vorstellungen durchzusetzen, in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Außerdem gilt es zu bedenken, daß sich auch die internationalen Rahmenbedingungen ganz entscheidend verändert haben, und zwar in eine Richtung — neuer Protektionismus und zunehmende Erosion des GATT mögen hier als Stichworte genügen —, die die Attraktivität des von der Bundesrepublik favorisierten Modells einer liberalen Welthandelsordnung beeinträchtigt hat. Konnte früher (das heißt bis etwa Anfang der siebziger Jahre) auf die breite Anwendung dieses Modells im internationalen Rahmen — sichergestellt nicht zuletzt durch die dominierende Position der USA — ebenso verwiesen werden wie auf seine praktischen Erfolge im Sinne einer Wohlstandssteigerung für alle, so ist dies heute, in einem stark protektionistischen Umfeld, nicht mehr in dem Umfang möglich. Vielmehr kann ein Land wie Frankreich nun das protektionistische Verhalten von Drittstaaten zum Anlaß nehmen, um mit einer gewissen Logik auch entsprechende Gegenmaßnahmen der EG zu fordern.
Vor dem Hintergrund dieser internationalen Situation und den oben geschilderten neuen Mehrheitsverhältnissen im Rat stellen nun einige Mitgliedstaaten ganz bewußt einen Zusammenhang zwischen der Liberalisierung des Handels EG-intern, also dem Projekt des Binnenmarktes, und einem verstärkten Außenschutz — gleichsam als notwendige Parallelmaßnahme — her. Das heißt, sie machen ihre Zustimmung zu Fortschritten bei der Verwirklichung des Binnenmarktes davon abhängig, daß sich die Gemeinschaft im Handel mit Drittländern mehr als bisher abschottet und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen ergreift. Das bringt die Bundesrepublik, die aus den eingangs erwähnten Gründen ein vitales Interesse sowohl am Binnenmarkt als auch an einer liberalen Handelspolitik der Gemeinschaft nach außen besitzt, in ein handelspolitisches Dilemma.
Wie kann die Bundesrepublik mit diesem Dilemma umgehen und vor dem Hintergrund der oben geschilderten Rahmenbedingungen ihr doppeltes Interesse wirkungsvoll vertreten? Wie soll die gerade von bundesdeutschen Politikern immer wieder bekräftigte Zusicherung, der Binnenmarkt werde nicht zur „Festung Europa“ führen, eingehalten werden können? Zur Beantwortung dieser Fragen soll zunächst eine bereits abgeschlossene Entscheidung, bei der dieser Zusammenhang von Fortschritten beim Binnenmarkt und verstärktem Außen-schutz eine wesentliche Rolle gespielt hat, etwas ausführlicher analysiert werden.
IV. Das „neue Instrument der Handelspolitik“
Schon Ende der siebziger Jahre gab es Stimmen, die die bestehenden Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft angesichts der bereits angedeuteten Veränderungen der internationalen Rahmenbedingungen in der Handelspolitik für unzureichend hielten Die Forderung nach einem neuen handelspolitischen Schutzinstrument der EG, das — zumindest in den Augen einiger Mitgliedstaaten — bestehende Defizite beheben sollte, wurde aber erst 1982 politisch virulent. Daß es dazu kam, ist auf das Zusammenwirken sehr unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen.
Ein wichtiger Anstoß entstand zunächst aus der prekären außenwirtschaftlichen Situation Frankreichs zu Beginn der achtziger Jahre. Die Strategie der neuen sozialistischen Regierung unter Präsident Mitterrand, Wachstum und Beschäftigung durch eine Politik der Steigerung der Massenkaufkraft zu erreichen, kollidierte mit der angebotsorientierten Politik der anderen westlichen Industrienationen. Insbesondere der wichtigste Handelspartner Frankreichs, die Bundesrepublik, verschärfte unter der neuen christlich-liberalen Koalition den bereits unter Schmidt eingeschlagenen restriktiven wirtschaftspolitischen Kurs. Als Folge dieser gegenläufigen wirtschaftspolitischen Strategien ergaben sich eine enorme Ausweitung deutscher und anderer Gemeinschaftsexporte nach Frankreich und Rekorddefizite in der französischen Handelsbilanz Die französische Regierung, die durch diese Entwicklung ihre Reformpolitik ernsthaft gefährdet sah, reagierte mit zunehmenden Restriktionen und einer Politik der Nadelstiche gegenüber Einfuhren aus anderen EG-Ländem hinzu traten Forderungen nach verstärktem Außenhandelsschutz und einer kohärenteren Außenhandelspolitik der Gemeinschaft.
Die Versuche, den freien Warenverkehr in der EG einzuschränken, trafen auf entschiedenen und letztlich auch erfolgreichen Widerstand der anderen Mitgliedstaaten (unter deutscher Führung) und der EG-Kommission. Größere Resonanz fand hingegen die französische Forderung nach einer aktiveren und kohärenteren Außenhandelspolitik der Gemeinschaft Insbesondere das französische Argument, die EG solle mit den gleichen handelspolitischen Möglichkeiten ausgestattet werden wie ihre Hauptkonkurrenten, gewann durch die 1982 in bis dahin unbekannter Schärfe ausgebrochenen Handelskonflikte zwischen der EG und den USA erheblich an Überzeugungskraft und an politischer Virulenz. Die von den USA quasi erzwungene Selbstbeschränkung der europäischen Stahlexporte und die problematische exterritoriale Anwendung US-amerikanischen Rechts gegenüber Unternehmen in Europa im Erdgasröhren-Konflikt waren hier ausschlaggebend. Die Einsicht der EG-Mitgliedstaaten in die Notwendigkeit gemeinsamen außenwirtschaftlichen Handelns angesichts einer vermachteten internationalen Handelsordnung äußerte sich in der Bereitschaft, das Instrumentarium der gemeinsamen Handelspolitik auszuweiten und eine schnellere und effizientere Anwendung sicherzustellen.
Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen der EG und den USA verabschiedete der Europäische Rat im Juni 1982 in Brüssel ein Kommunique das von den Befürwortern später als Grundsatzentscheidung für ein neues, zusätzliches Schutzinstrument der gemeinsamen Handelspolitik angesehen wurde. Dieses Kommunique war der auslösende Faktor für ein Tätigwerden der Kommission.
Auch bei diesem konkreten Fall ging die Initiative also nicht von dem dafür eigentlich zuständigen Organ, der Kommission, aus, sondern von den Mit-33) gliedstaaten. Wesentliche Auslöser dafür waren akute, mit der besonderen ökonomischen Struktur und dem wirtschaftspolitischen Kurs der neuen Regierung zusammenhängende wirtschaftliche Probleme in Frankreich sowie die veränderten internationalen Rahmenbedingungen — Faktoren, die in Kapitel III bereits angesprochen worden waren.
Die Kommission äußerte sich im August 1982, in einer ersten Mitteilung an den Rat, sehr zurückhaltend zu der französischen Initiative für ein neues, zusätzliches Schutzinstrument Sie hatte vorher das US-amerikanische Schutzinstrument nach Sektion 301 TAA (Trade Agreement Act — Maßnahmen gegen den Protektionismus ausländischer Handelspartner), dessen analoge Einführung Frankreich für die EG-Handelspolitik gefordert hatte, stets scharf kritisiert, legte aber dann doch im März 1983 ihren „Vorschlag für die Verordnung (EWG) des Rates zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken“ vor
Bei diesem Sinneswandel hat ganz offensichtlich die Überlegung eine Rolle gespielt, daß die Schaffung eines zusätzlichen Schutzinstrumentes der Kommission die Chance bieten könnte, ihre Stellung im handelspolitischen Machtgefüge der Gemeinschaft gegenüber dem Rat aufzuwerten.
Der Kommissionsvorschlag trug den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten insofern Rechnung, als er deutlich hinter der US-amerikanischen Regelung nach Sektion 301 des Trade-Agreement-Act von 1974 zurückblieb, an dem die ursprünglichen französischen Forderungen orientiert waren Dennoch lehnte die Bundesregierung im Einklang mit den deutschen Spitzenverbänden der Industrie und des Handels, BDI und DIHT, den Kommissionsvorschlag rundweg ab. Den Hintergrund dafür bildeten Befürchtungen, die schwammig formulierte Definition unlauterer Handels-praktiken könnte im Verbund mit einem Antrags-recht von Privatunternehmen eine Flut von Untersuchungsverfahren nach sich ziehen, die an sich schon geeignet sein könnten, Druck auf mißliebige Konkurrenten auszuüben. Zudem sei durch das vorgesehene Entscheidungsverfahren mit der Einführung des aus dem Agrarbereich bekannten „Guillotineverfahrens“ den Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen, eine bremsende und kon-
trollierende Funktion gegenüber der Kommission auszuüben.
Eine erste Stellungnahme der Mitgliedstaaten im Rat zum Kommissionsvorschlag ergab jedoch, daß die Bundesrepublik gegenüber den Befürwortern dieses neuen Instruments eindeutig eine Minderheitenposition einnahm. Neben ihr sprachen sich nur Dänemark und die Niederlande grundsätzlich gegen ein solches zusätzliches Instrument aus, während die anderen Mitgliedstaaten unter Führung Frankreichs dafür waren. Noch deutlicher zeigte sich die deutsche Isolation innerhalb von UNICE, dem Zusammenschluß der industriellen Spitzenverbände Europas. Hier stand der BDI mit seiner ablehnenden Haltung allein. Auch die Stellungnahme des Europäischen Parlaments und des Wirtschaftsund Sozialausschusses waren bei aller Kritik an einzelnen Punkten, insbesondere in bezug auf die Stärkung der Rolle der Kommission im Entscheidungsverfahren. positiv. Die oben angesprochenen veränderten Kräftekonstellationen zuungunsten der Bundesrepublik machten sich also stark bemerkbar.
Besonders unter Druck gesetzt sah sich die Bundesregierung durch das von Frankreich im Rat aufgestellte Junktim, das Fortschritte im Binnenmarkt-bereich von der Verabschiedung des neuen Instruments abhängig machte. Dieses Junktim war deshalb besonders wirkungsvoll, weil sich die damalige deutsche Präsidentschaft im Ministerrat gerade Fortschritte bei der Vollendung des Binnenmarktes zur Hauptaufgabe gemacht hatte. Das von Frankreich geschnürte Paket zielte neben den bundesdeutschen geschickt auch auf die niederländischen Interessen ab, da die Niederlande rund 70 Prozent ihrer Exporte im gemeinsamen Markt abwickeln.
In dieser Verhandlungssituation trat die oben geschilderte Problematik deutscher Interessenvertretung in der Außenhandelspolitik der EG besonders deutlich zutage. Einmal mußte die deutsche Delegation befürchten, die Verabschiedung und Anwendung eines zusätzlichen Schutzinstruments der EG — das völkerrechtlich nicht durch eine GATT-Vereinbarung abgedeckt war und Entscheidungsverfahren vorsah, die eine Blockade durch einzelne Mitgliedstaaten nicht mehr zugelassen hätte — würde die Erosion des GATT fördern und damit indirekt die deutschen Handelsinteressen außerhalb der EG gefährden. Andererseits bestand die Sorge, die französische Regierung werde nicht nur Fortschritte auf dem Weg zu dem für die Bundesrepublik zunehmend wichtiger werdenden Binnenmarkt blockieren, sondern eventuell auch durch weitere unilaterale Maßnahmen den schon erreichten Liberalisierungsstand in Frage stellen.
Als Folge dieser Rahmenbedingungen kam eine Totalblockierung des neuen Instruments durch die Bundesregierung nicht in Frage. Sie hätte sich damit die Möglichkeit verbaut, inhaltlich auf den Verordnungsvorschlag der Kommission Einfluß nehmen zu können, und auch gegen ihre vitalen Interessen an einer Weiterentwicklung des Binnenmarktes gehandelt. Die Strategie der deutschen Verhandlungsdelegation zielte deswegen darauf ab. auf eine Präzisierung unklarer Formulierungen zu drängen sowie eine Zurücknahme oder Abschwächung der aus deutscher Sicht besonders kritischen Punkte zu erreichen. Solange diese Ziele nicht erreicht waren, sollten die Verhandlungen in Gang gehalten und eine Abstimmung im Rat verhindert werden.
Erleichtert wurde die deutsche Verhandlungsführung dadurch, daß die Befürworter des neuen Instruments bei einer eventuellen Abstimmung im Rat nicht sicher sein konnten, eine qualifizierte Mehrheit zu erreichen. Großbritannien war zwar inhaltlich dafür, wandte sich aber auf Grund seiner prinzipiellen integrationspolitischen Einstellung gegen die vorgesehene erhebliche Ausweitung der handelspolitischen Befugnisse der Kommission. Auf diese Weise kam eine bemerkenswerte Koalition zwischen Mitgliedstaaten wie der Bundesrepublik und den Niederlanden einerseits, die eine Vertiefung der europäischen Integration bejahen, und Mitgliedstaaten wie Dänemark und dem Vereinigten Königreich andererseits, die weitergehenden Integrationsbemühungen gegenüber sehr skeptisch eingestellt sind, zustande.
Als vorteilhaft für die deutsche Strategie erwies sich darüber hinaus die oben erwähnte Tatsache, daß sich die Mitgliedstaaten im Rat in aller Regel, und insbesondere bei schwierigen politischen Fragen, um allgemeinen Konsens bemühen, faktisch also Einstimmigkeit praktiziert wird. So zog sich die Debatte über den Kommissionsvorschlag vom Februar 1983 bis April 1984 über eine Vielzahl von Sitzungen des Ministerrats und der ihm zugeordneten Gremien hin, wobei durch das französische Junktim gleichzeitig noch 15 Richtlinien aus dem Binnenmarktbereich blockiert waren Nach langem Tauziehen im Rat gelang es schließlich im April 1984, einen Kompromiß zu erzielen. Zwar konnten nicht alle Vorbehalte der Gegner des neuen Instruments ausgeräumt, eine eventuelle Blockade der Beschlußfassung durch ein Veto konnte aber verhindert werden. Die Bundesrepublik stimmte im Rat zwar dagegen, verzichtete aber darauf, „vitale Interessen“ geltend zu machen.
Ein Vergleich zwischen dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag und der letztlich verabschiedetenVerordnung ergibt, daß die flexible, auf wenige wichtige Punkte konzentrierte Strategie der Bundesrepublik Erfolg hatte. So stellt etwa die Einfügung von Artikel 10 (2) in die Verordnung ihre GATT-konforme Anwendung weitgehend sicher. Mit dieser Bestimmung wird die Gemeinschaft ausdrücklich zur Inanspruchnahme von internationalen Streitbeilegungsverfahren verpflichtet. Das heißt, die Anwendung von handelspolitischen Maßnahmen ist erst nach Abschluß der internationalen Verfahren und unter Berücksichtigung ihrer Ergebnisse zulässig. Da solche Verfahren erfahrungsgemäß recht lange dauern und nur selten Handlungsermächtigungen durch die Vertragsparteien des GATT zum Ergebnis haben und die EG außerdem bisher große Zurückhaltung in der Anspruchnahme derartiger Verfahren zeigte, scheint der Schluß zulässig, daß die Aufnahme dieser Bestimmung die Durchschlagskraft des neuen Instruments gemessen an den ursprünglichen Intentionen Frankreichs erheblich schwächte.
Beim vorgesehenen Entscheidungsverfahren gelang es der Bundesrepublik, erhebliche Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag durchzusetzen. Die zentralen Befugnisse blieben beim Ministerrat. Allerdings scheiterte die deutsche Delegation mit ihrer Forderung, auch die Annahme von Verpflichtungen noch vor dem Abschluß des Untersuchungsverfahrens von der Zustimmung des Ministerrats abhängig zu machen und nicht der Kommission zu überlassen Mit der Streichung von Artikel 12 des Verordnungsvorschlages jedoch, der die Kommission ermächtigt hätte, vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, wurde der Kommission ein gewichtiges Mittel genommen, mit dessen Hilfe sie vor dem Abschluß eines Untersuchungsverfahrens Druck auf betroffene Parteien zur Annahme von Verpflichtungen hätte ausüben können.
Der Vergleich zwischen dem Kommissionsvorschlag und der letztlich verabschiedeten Verordnung bestätigt die Aussage eines hohen Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums, der urteilte, es sei gelungen, dem neuen Instrument die „protektionistischen Giftzähne“ zu ziehen erste Erfahrungen mit der Anwendung des neuen Instruments weisen in die gleiche Richtung Offenbar wird in den betroffenen Kreisen der Industrie eine Klage mit Hilfe des Antidumping-Instruments als vielversprechender eingeschätzt.
Diese aus deutscher Sicht relativ erfolgreiche Interessenvertretung kann nur bedingt verallgemeinert werden. Es scheint, als ob Positionen der liberalen Minderheit in der EG bei Beratungen über eine neue Verordnung — also der Entscheidung über autonome Maßnahmen — erfolgreicher durchzusetzen sind als bei der Durchführung bestehender Schutzinstrumente. Zwar wirken auch hier die Mitgliedstaaten über beratende Ausschüsse mit. Die Analyse von Einzelfällen, in denen das Antidumping-Instrument angewendet wurde, läßt jedoch — wie weiter oben bereits vermutet — den Schluß zu, daß von einzelnen Mitgliedstaaten hier viel weniger Einfluß auf den Gang des Verfahrens ausgeübt werden kann. Das gleiche scheint bei der Novellierung bestehender Schutzinstrumente, etwa der Einführung der „Local Content“ -Regelung beim Antidumping-Instrument der Fall zu sein.
V. Ausblick
Die Mitgliedstaaten und ihre Interessenlagen sowie die daraus resultierenden Kräftekonstellationen bestimmen in entscheidendem Maße die gemeinsame Außenhandelspolitik der EG. Aufgrund von diesbezüglichen Veränderungen in der Gemeinschaft, vor allem durch die Süderweiterungen, aber auch als Folge von Entwicklungen in den internationalen Handelsbeziehungen hat es die Bundesrepublik schon heute außerordentlich schwer, ihr Interesse am EG-intemen und weltweiten Freihandel zum Tragen zu bringen — insbesondere dann, wenn ein Junktim zwischen Fortschritt beim Binnenmarkt und einer begleitenden Verstärkung des Außen-schutzes hergestellt wird.
Diese Schwierigkeiten, das läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, werden mit fortschreitender Realisierung des Binnenmarkts noch zunehmen, denn dann wird u. a. eine Harmonisierung der Einfuhrregeln und eine Ausdehnung gemeinschaftlicher Vorschriften auf Sektoren, in denen bisher EG-intern kein einheitlicher Markt bestanden hatte, notwendig werden. Der damit verbundene Wegfall nationaler Schutzmöglichkeiten dürfte für die betroffenen Mitgliedstaaten nur bei entsprechender Anhebung des Außenschutzes der Gemeinschaft akzeptabel sein. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß die internationalen Handelsbeziehungenzunehmend durch die großen Blöcke USA, EG und Japan bestimmt werden und Interessen am Handel mit Drittländern deswegen auch über Regelungen und Vereinbarungen zwischen diesen zentralen Akteuren — eben nicht mehr ausschließlich im Rahmen des GATT — verfolgt werden müssen. Das aber macht die Bundesrepublik noch mehr vom EG-Kontext abhängig!
Die wiederholte Versicherung bundesdeutscher Politiker, es werde im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt keine „Festung Europa“ — verstanden als verstärkte Abschottung der Gemeinschaft nach außen — geben, entbehrt von daher jeglicher Grundlage; die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Was also tun? Wichtige Hinweise gibt hier das Fallbeispiel des „neuen Instruments der Handelspolitik“, das zwar nicht vom Ergebnis, wohl aber was die Strategie der Bundesrepublik anbelangt, übertragbar sein dürfte. Das heißt, die Bundesrepublik kann und darf sich nicht auf eine totale Blockade entsprechender Wünsche und Forderungen der anderen Mitgliedstaaten einlassen, sondern muß sich aktiv an den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligen. Sie sollte sich dabei auf die aus ihrer Sicht wesentlichen Punkte konzentrieren, um auf diese Weise vielleicht keine vollständige Zurücknahme protektionistischer Elemente, aber doch deren Abschwächung zu erreichen. So könnte — nicht zuletzt aufgrund des erheblichen ökonomischen und politischen Gewichts, das die Bundesrepublik in der EG zweifellos besitzt — zwar nicht die „Festung Europa“ verhindert, aber doch dafür gesorgt werden, daß deren Mauern nicht zu hoch werden und genügend Tore vorhanden sind. Dies wäre eine realistische und durchaus mit den deutschen Interessen vereinbare Zielsetzung; nicht zuletzt auch deswegen, weil durch die EG-weite Konkurrenz im Rahmen des Binnenmarkts, verstärkt noch durch die Ansiedelung von Unternehmen aus Dritt-ländern, die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft gestärkt und von daher mittelfristig auch bei den anderen Mitgliedstaaten eine größere Bereitschaft entstehen könnte, sich wieder mehr nach außen zu öffnen.