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Das Europäische Währungssystem Funktionsweise — Erfahrungen — Perspektiven | APuZ 20-21/1989 | bpb.de

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APuZ 20-21/1989 Artikel 1 Das Europäische Währungssystem Funktionsweise — Erfahrungen — Perspektiven Der Beitrag der Währungspolitik zum Binnenmarkt Zur Rolle der Notenbanken in Europa Die Bundesrepublik Deutschland als internationale „Konjunkturlokomotive“? Ansätze zur Neuordnung des internationalen W ährungssystems

Das Europäische Währungssystem Funktionsweise — Erfahrungen — Perspektiven

Helmut Steinel

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Zusammenfassung

Mit dem „Delors-Bericht" vom 12. April 1989 hat die währungspolitische Diskussion in Europa neue Aktualität erhalten. Kernelement jeder währungspolitischen Zusammenarbeit ist das Europäische Währungssystem (EWS), das im Jahre 1979 in Kraft gesetzt wurde. Das EWS hat weitaus besser funktioniert, als gegen Ende der siebziger und noch weit in die achtziger Jahre hinein angenommen wurde. Die Wechsel-kursschwankungen der EWS-Währungen waren geringer als die anderer Währungen. Besonders positiv zu bewerten ist, daß sich die Inflationsraten nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im gesamten EWS-Raum drastisch verringert haben. Diese Stabilitätserfolge sind weitgehend auf die starke Rolle der DM und der Bundesbank zurückzuführen. Die DM nimmt im EWS-System die „Ankerfunktion“ wahr, die im Weltwährungssystem von Bretton-Woods der Dollar innehatte. An der damit verbundenen „Asymmetrie“ entzündete sich in letzter Zeit zunehmende Kritik, insbesondere auf französischer Seite. Vor diesem Hintergrund und in der Perspektive auf die Vollendung des europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 haben die Staats-und Regierungschefs beim Europäischei; Rat Ende Juni 1988 den Delors-Ausschuß beauftragt, „konkrete Etappen zur Ve wirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion zu prüfen und vorzuschlagen“. Der „Delors-Bericht“ beschreibt Inhalte und institutionelle Konsequenzen einer vollendeten Wirtschafts-und Währungsunion, die in drei — zeitlich jedoch nicht bestimmten — Phasen erreicht werden soll. Am Ende des Prozesses stünde eine unwiderrufliche Fixierung der Wechselkurse. schließlich eine einheitliche Europa-Währung. Ein Europäisches Zentralbanksystem, primär auf Preisstabilität verpflichtet, nach dem Modell der Bundesbank föderativ strukturiert und vor allem mit Unabhängigkeit gegenüber nationalen und europäischen politischen Instanzen ausgestattet, würde dann über eine gemeinsame europäische Geld-und Währungspolitik entscheiden.

I. Einleitung

Wechselkursschwankungen im Zeitraum 1974-1988. Quelle: EG-Kommission

Die währungspolitische Diskussion in Europa hat mit der Vorlage des „Delors-Berichts" über eine „Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft“ vom 12. April 1989 neue Aktualität erhalten Der sogenannte „Delors-Ausschuß“, bestehend aus den Zentralbankpräsidenten der Mitgliedstaaten sowie vier weiteren Mitgliedern und präsidiert von EG-Kommissionspräsident Delors, wurde vom Europäischen Rat Ende Juni 1988 in Hannover mit der Aufgabe eingesetzt, „konkrete Etappen zur Verwirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion zu prüfen und vorzuschlagen“. Der „Delors-Bericht" soll im Mittelpunkt der Beratungen des Europäischen Rates Ende Juni in Madrid stehen. Anlaß für die Einsetzung des Ausschusses waren intensive Diskussionen Ende 1987/Anfang 1988 über die Funktionsweise und die Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems, insbesondere in der Perspektive der Vollendung des europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992.

Das Europäische Währungssystem (EWS) wurde durch ein Abkommen der Zentralbanken der EG-Mitgliedstaaten vom 13. März 1979 in Kraft gesetzt. Der politische Beschluß über die Errichtung des EWS erfolgte durch die Staats-und Regierungschefs beim Europäischen Rat am 5. Dezember 1978 in Brüssel. Die Schaffung des EWS gilt zu Recht als das Werk des französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing und des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die unter weitgehender Abschirmung der jeweiligen nationalen Administrationen und Hinzu-ziehung nur weniger Berater die Vorarbeiten zum Teil persönlich betrieben Als der eigentliche, geistige Vater des EWS muß jedoch der damalige Präsident der EG-Kommission, Roy Jenkins, gelten, der sozusagen als Privatmann und ohne die politische Rückendeckung seiner Kommissionskollegen in einer „Jean Monnet lecture“ am 27. Oktober 1978 am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz einen vielbeachteten Vorstoß zur Erreichung einer qualitativ neuen Form der währungspolitischen Zusammenarbeit in Europa unternahm. Jenkins war übrigens einer der wenigen, die die Schaffung des EWS in erster Linie damit begründeten, daß es nicht nur keine Gefahr für die Preisstabilität, sondern im Gegenteil ein nützliches, unverzichtbares Mittel gegen die damals hohen Inflationsraten darstellen würde.

Währungspolitische Zusammenarbeit, auch in der Form eines Wechselkursverbundes, war indessen in der Europäischen Gemeinschaft nichts grundlegend Neues. Schon seit April 1972 bestand ein Europäischer Wechselkursverbund (die sogenannte „Währungs-Schlange“), indem durch eine entsprechende Interventionspolitik der Notenbanken die Schwankungsbreiten der europäischen Währungen auf ± 2, 25 Prozent begrenzt wurden. Obwohl Italien und Großbritannien schon bald danach und Frankreich 1976 endgültig aus dem Wechselkurs-verbund ausschieden — die Nicht-EG-Länder Norwegen und Schweden gehörten ihm von 1973 bis 1977 an, Österreich war durch eine autonome Interventionspolitik de facto-Mitglied —, war damit Europa schon in den siebziger Jahren eine Zone relativer Währungsstabilität, mit der Folge, daß rund 45 Prozent des deutschen Außenhandels auf der Basis von zumindest kurzfristig stabilen Wechselkursen abgewickelt werden konnte.

Der Europäische Wechselkursverbund zwischen 1972 und 1978 war das einzige konkrete Element der ehrgeizigen Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten seit Anfang der siebziger Jahre zur Schaffung einer Wirtschafts-und Währungsunion. Auf der Grundlage des „Werner-Berichts“ beschloß der EG-Ministerrat im März 1971 einen umfassenden Stufenplan, nach dem in möglichst parallelem Vorgehen im wirtschafts-und währungspolitischen Bereich im Zeitraum von zehn Jahren der Gemeinsame Markt zu einer Wirtschafts-und Währungsunion weiterentwickelt werden sollte. Diese Bestrebungen werden jetzt in einem ziemlich veränderten wirtschafts-, währungs-und integrationspolitischen Umfeld und auf der Basis des „Delors-Berichts" eine neue Dimension erhalten. Die Ursachen für das Scheitern der Bemühungen um eine Wirtschafts-und Währungsunion in den siebziger Jahren lagen nicht nur in externen Widrigkeiten, wie Energiepreisexplosion und nachfolgender Krise der Weltwirtschaft, sondern auch in unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen, vor allem aber in konzeptionellen Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten, in erster Linie zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Auf diesem Hintergrund mußte es dann im Jahre 1978 eher Überraschung auslösen, daß die Initiative zu einer Vertiefung der währungspolitischen Zusammenarbeit in Europa ausgerechnet von Frankreich und der Bundesrepublik ausgehen sollte.

II. Funktionsweise

Nach dem Willen der Staats-und Regierungschefs hatte das EWS zum Ziel, „ein höheres Maß an Währungsstabilität in der Gemeinschaft herbeizuführen“. Es wurde gleichzeitig „als grundlegendes Element einer umfassenderen Strategie“ angesehen, die auf „ein nachhaltiges Wachstum in Stabilität, eine schrittweise Rückkehr zu Vollbeschäftigung, die Angleichung des Lebensstandards und die Verringerung der regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft abzielt“. „Zentraler Punkt“ des EWS sollte die Europäische Währungseinheit (ECU) sein Definiert und beschlossen wurde zunächst nur eine Anlaufphase, die nach längstens zwei Jahren in ein endgültiges System überführt werden sollte. Die Anlaufphase wurde mehrere Male verlängert, der Eintritt in die Endphase bisher nicht beschlossen, wasjedoch der Funktionsfähigkeit und der Weiterentwicklung des EWS keinen Abbruch tat. Der zum zentralen Punkt erhobene ECU hat gleichfalls nicht die für das Funktionieren des Systems wichtige Bedeutung erlangt; dasselbe gilt für den sogenannten „Divergenz-Indikator“, der als eine Art von Frühwarnsystem die Währungsbehörden zu rechtzeitigem Handeln — entweder zu Interventionen, zu wirtschaftspolitischen Anpassungsmaßnahmen oder zu Leitkursänderungen — veranlassen sollte. Wesentlicher Bestandteil des Systems ist der Wechselkursmechanismus, an dem gegenwärtig alle EG-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Großbritannien, Griechenland, Spanien und Portugal teilnehmen.

Die zunächst in ECU definierten Leitkurse jeder Teilnehmerwährung stellen ein bilaterales „Paritätengitter“ dar, in dem für jede Währung zu jeder anderen ein bilateraler Leitkurs besteht. Um diese bilateralen Leitkurse sind maximale Schwankungsbreiten von ± 2, 25 Prozent gelegt, welche die betroffenen Zentralbanken durch An-oder Verkäufe am Devisenmarkt aufrechterhalten müssen. Bis zum Übereinkommen von Basel/Nyborg vom September 1987 wurde obligatorisch nur an den Band-enden interveniert; seitdem ist jedoch auch die so-genannte intramarginale Intervention möglich, mittels derer drohenden Währungsungleichgewichten früher und damit erfolgreicher entgegengewirkt werden kann

Die Verpflichtung der Notenbanken, die geltenden Leitkurse durch entsprechende Interventionen an den Devisenmärkten zu verteidigen, ist den dafür notfalls erforderlichen Beträgen nach unbegrenzt. Falls eine Notenbank über die dazu notwendigen Devisenreserven nicht verfügt, kann sie zunächst die „sehr kurzfristige Finanzierungs“ -Fazilität in Anspruch nehmen, die volumenmäßig unbegrenzt auf zunächst 3% Monate und anschließend im Volumen begrenzt automatisch um drei Monate verlängert werden kann. Der Ausgleich der Interventionssalden und die Abwicklung der „sehr kurzfristigen Finanzierung“ erfolgt über den „Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit“ (EFWZ), für den als Agent die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel tätig ist. Abwicklungs-Währung ist hierbei der ECU. Jede Notenbank verfügt beim EFWZ über ECU-Guthaben, die durch Hinterlegung eines Teils ihrer Gold-und Devisenreserven entstanden sind. Wie schon angedeutet, ist diese „offizielle Funktion“ des ECU im Rahmen des Zahlungsverkehrs zwischen den Notenbanken innerhalb des EWS bisher nicht sehr weit entwickelt worden. Immerhin haben sich die BIZ und auch die Schweizerische Nationalbank um den Status des „other holder“ bemüht und ihn auch erhalten.

Anders verhält es sich mit dem privaten ECU, der — der Definition und damit auch dem Wert nach identisch mit dem offiziellen ECU — sich mittlerweile als internationale Transaktionswährung und vor allem als Emissions-und Anlagewährung an den internationalen Kapitalmärkten fest etabliert hat. Er nimmt in der Rangliste der internationalen Emissionswährungen mit einem Marktanteil von sechs Prozent die fünfte Stelle ein.

Ein ECU ist als Summe fester, nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Mitgliedstaaten gewichteter Anteile der Gemeinschaftswährungen definiert. Durch die täglichen Veränderungen der Wechselkurse der Teilnehmerwährungen verändert sich auch täglich der Wert des ECU. Er betrug am 2. Januar 1989 DM 2, 08181. Veränderungen in der Zusammensetzung des ECU ergeben sich bei der Änderung der Leitkurse im Rahmen des Wechselkurs-systems, aber auch aus Anlaß des Beitritts neuer Teilnehmerländer. Wegen der fortgesetzten Stärke der DM hat sich ihr Anteil von 0, 828 DM im Jahre 1979 auf heute 0, 719 DM verringert; im selben Zeitraum hat sich der Wert des ECU, ausgedrückt in DM, von 2, 51 DM auf 2, 07 DM verringert.

Neben der Möglichkeit der „sehr kurzfristigen Finanzierung“ im Rahmen des EWS-Wechselkursmechanismus existiert ein „kurzfristiger Währungsbeistand“, den die Zentralbanken aller EG-MitgliedStaaten im Falle vorübergehender Zahlungsbilanz-schwierigkeiten, und zwar ohne wirtschaftspolitische Auflagen zu übernehmen, in Anspruch nehmen können. Dabei gilt für jede Zentralbank eine maximale Schuldnerquote und — in doppelter Höhe — eine maximale Gläubigerquote. In Sonderfällen kommen sogenannte Rallongen zur Anwendung. Nach diesem System könnte beispielsweise die Deutsche Bundesbank für höchstens sechs Monate einen Kredit in Höhe von 6, 1 Mrd. ECU erhalten und müßte ihrerseits Kredit in Höhe von 12, 2 Mrd. ECU bereitstellen. Für den Fall fundamentaler Zahlungsbilanzprobleme steht schließlich das System des „mittelfristigen finanziellen Beistands“ zur Verfügung, aus dem die Bundesbank im Bedarfsfälle Kredite in Höhe von rund acht Mrd. ECU erhalten und selbst zur Bereitstellung von rund drei Mrd. ECU verpflichtet wäre. Insgesamt stehen zur Absicherung des EWS-Wechselkurssystems rund 30 Mrd. ECU zur Verfügung.

Eine der mit dem EWS gemachten positiven Erfahrungen war, daß die vorhandenen Kreditfazilitäten verhältnismäßig selten in Anspruch genommen wurden. Insofern haben sich die Teilnehmer an die Spielregeln und damit die wirtschaftliche Logik des Systems gehalten, daß nämlich manifeste Währungsungleichgewichte entweder durch wirtschaftspolitische Maßnahmen oder notfalls durch Leitkursänderungen, in der Regel jedoch nicht durch längerfristige Kreditgewährung von währungsstarken an währungsschwache Länder behoben werden sollten. Seit Bestehen des EWS mußten die Leitkurse elfmal geändert werden. Allerdings waren die Änderungen in der Anfangszeit sehr viel häufiger als in der letzten Zeit. Das letzte „realignment" der EWS-Leitkurse fand am 12. Januar 1987 statt, was als Zeichen im Zeitverlauf gewachsener Stabilität gewertet werden muß. Ganz offensichtlich haben die Devisenmärkte immer mehr „Respekt“ gegenüber den im EWS festgesetzten Leitkursen bekommen. Das kann einerseits als Ausdruck einer gewachsenen Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung und andererseits eines ständig verbesserten Funktionierens des Wechselkurssystems gewertet werden.

Von großer Bedeutung ist, und das stellt eine grundlegende Änderung gegenüber der „Währungsschlange“ der siebziger Jahre dar, daß die Neufestsetzung der Leitkurse „im gegenseitigen Einvernehmen nach einem gemeinsamen Verfahren“ vorgenommen werden. Allerdings kamen die realignments in der Anfangszeit eher unilateralen Entscheiden des hauptsächlich betroffenen Landes gleich, und auch später noch erwies sich eine Leitkursänderung als recht schwieriger Entscheidungsprozeß, bei dem nicht nur wirtschaftliche Fakten, sondern auch politisch-psychologische Momente eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Das „management“ des EWS und vor allem der Leitkursänderungen hat sich aber zunehmend versachlicht und damit verbessert. Eventuelle Leitkursänderungen werden vom EG-Währungsausschuß, in dem hohe Beamte der Finanzministerien und der Zentralbanken vertreten sind, vorbereitet und von den Finanzministern einstimmig beschlossen. Das Erfordernis des kollektiven Entscheidungsverfahrens verhindert beispielsweise einen durch einseitiges Vorgehen ausgelösten Abwertungswettlauf. Mit der Verhinderung wirtschaftlich gesehen ungerechtfertigter Abwertungen, die Störungen des Handels und ein Anheizen der Inflation zur Folge haben würden, ist ein wichtiges Ziel des EWS erreicht worden.

III. Ergebnisse und Erfahrungen

Es ist nur natürlich, daß an die Errichtung des EWS eine ganze Reihe und zum Teil auch recht unterschiedlicher Erwartungen geknüpft wurden. Da „Währungsstabilität“, und das heißt Wechselkurs-stabilität, für Frankreich traditionell einen hohen Wert in sich darstellte, kann man mit guten Gründen annehmen, daß für dieses Land und andere Länder mit eher zur Schwäche neigenden Währungen das Ziel der Stabilisierung der Wechselkurse und dazu notfalls erforderliche finanzielle Solidarität eine wichtige Motivation bedeutet. Auf Seiten des damaligen deutschen Bundeskanzlers Schmidt dürften insbesondere während der Carter-Administration Besorgnisse über eine wenig kalkulierbare amerikanische Wirtschafts-und Währungspolitik eine wesentliche Rolle bei Überlegungen gespielt haben, mit dem EWS ein europäisches Gegengewicht zum Dollar zu schaffen und damit mehr Berechenbarkeit und Stabilität in die europäischen Währungs-und Finanzbeziehungen zu bringen.

Allgemein gesehen sollte das EWS der Erreichung folgender Ziele dienen: Es sollte zu einem höheren Maß an Wechselkursstabilität führen; gleichzeitig sollte mehr „innere Stabilität“, und das heißt: mehr Preisstabilität, erreicht oder zumindest zusätzliche Inflation vermieden werden. Es ist heute weitgehend unbestritten, daß das EWS das Ziel einer möglichst hohen Wechselkursstabilität erreicht hat. Wie aus der Übersicht hervorgeht, waren die Wechselkursschwankungen der EWS-Währungen in den zurückliegenden zehn Jahren signifikant geringer als die der Nicht-EWS-Währungen; im Vierjahres-Zeitraum von 1974— 1978 schwankten die Wechselkurse der EWS-Währungen mehr als nach der Errichtung des EWS.

Die Tabelle zeigt ferner, daß die Stabilität der Wechselkurse im Laufe der Zeit stetig zugenommen hat, was, wie schon ausgeführt, nicht nur auf die gestiegene Konvergenz der Wirtschaftspolitik zwischen den Teilnehmerländern und deren wirtschaftlicher Entwicklung, sondern auch auf das im Laufe der Zeit gewachsene Vertrauen der Devisenmärkte in die Stabilität und Funktionsfähigkeit des EWS zurückzuführen ist. Aus diesen Ergebnissen kann man auf einen spezifischen Vorteil fester, aber anpaßbarer Wechselkurse schließen. Dadurch, daß die Wechselkursvariabilität im „anpaßbaren Fixkurssystem“ geringer als beim reinen „floating" ist, wird das Inflationspotential verringert, da durch Abwertungen tendenziell mehr inflationäre Impulse geschaffen als durch kompensierende Aufwertungen resorbiert werden.

Nun ist Stabilität der nominalen Wechselkurse kein absolutes Ziel. Nach präziserem ökonomischem Kriterium ist es das Ziel des EWS — wie auch anderer Wechselkursstabilisierungssysteme —, die Schwankungen der nominalen, d. h.der sich auf den Devisenmärkten ergebenden Wechselkurse auf das Ausmaß zu beschränken, daß sie die Unterschiede in der Preis-und Kostenentwicklung der Teilnehmerländer ausgleichen. Eine unterbliebene Abwertung in einem Land mit höheren Preissteigerungsraten würde dessen Wettbewerbsfähigkeit ebenso beeinträchtigen wie eine unterbliebene Aufwertung eines Landes mit geringeren Preissteigerungsraten zu inflationären Impulsen führen wurde. Nach den vorliegenden Untersuchungen konnten im EWS derartige „misalignments" weitgehend vermieden werden Das heißt nichts anderes, als daß das EWS als „anpaßbares Festkurssystem“ die Nachteile eines Systems frei schwankender Wechselkurse in Gestalt von über die unterschiedliche Kosten-und Preisentwicklung hinausgehenden Schwankungen ebenso verhindern konnte wie die Nachteile eines absoluten Fixkurssystems, das die Unterschiede in der Preis-und Kostenentwicklung nicht berücksichtigt mit der Folge inflationärer oder deflationärer Tendenzen. Die stark enttäuschten Erwartungen über das System des „floating" war in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verantwortlich für die Suche nach mehr, aber nicht nach absoluter Stabilität der Wechselkurse.

Noch erfreulicher als die erreichte Stabilisierung der Wechselkurse war die in den vergangenen Jahren gemachte Erfahrung, daß sich die Inflationsraten nicht nur nicht erhöht, sondern drastisch verringert haben. Zwischen 1980 und 1988 ist die durchschnittliche, gewogene Preissteigerungsrate in den dem EWS angehörenden Ländern von zwölf Prozent auf knapp drei Prozent zurückgegangen. Besonders positiv zu bewerten ist, daß im selben Zeitraum die höchste Preissteigerungsrate in einem Land — nämlich in Italien — von rund 20 Prozent auf rund fünf Prozent gefallen ist. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß auch in anderen, dem EWS nicht angehörenden Ländern die Inflationsraten zum Teil stark zurückgegangen sind. Daraus ergibt sich, daß die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung in den achtziger Jahren nicht ausschließlich dem EWS zugeschrieben werden können Die beiden anderen hierfür verantwortlichen Gründe waren der Rückgang der Ölpreise — seit 1985 auch als Folge des Dollarverfalls — sowie die allgemeine, weltweite Rückkehr zu einer betonten Anti-Inflationspolitik. Als besonders wichtig verdient festgehalten zu werden, daß die gerade in der Bundesrepublik befürchteten inflationären Gefahren des EWS nicht eingetreten sind. Auch wer nicht anerkennt, daß sich die Inflationsraten in der Bundesrepublik und in den Nachbarländern — insbesondere in Frankreich und Italien — wegen des EWS erheblich verringert haben, kann nicht bestreiten, daß sich diese sehr positive Entwicklung trotz des EWS ergeben hat.

Auch bei anderen makroökonomischen Indikatoren wurden positive Ergebnisse erzielt. Das Wachstum der Geldmenge hat sich in den EWS-Ländern seit Ende der siebziger Jahre zum Teil drastisch verringert. Ferner sind die Zinssätze in den einzelnen Ländern nicht nur allgemein zurückgegangen, sondern haben sich auch einander angenähert Die Schwankungen in den Zinssätzen haben in einzelnen Ländern eher zugenommen, was darauf zurückzuführen ist, daß währungsschwache Länder häufiger zu Zinserhöhungen greifen mußten, um den Wechselkurs ihrer Währung innerhalb der festgelegten Bandbreiten halten zu können. Eher geringe Erfolge waren im Bemühen um größere Konvergenz im Bereich der Haushaltspolitik und vor allem beim Abbau von immer noch sehr hohen Defiziten insbesondere in Italien, Irland und Belgien zu verzeichnen. Allerdings hat die Haushalts-politik keine direkten Auswirkungen auf die Wechselkurse so daß Störungen für das Funktionieren des EWS aufgrund der zum Teil recht prekären Budgetsituation einzelner Länder unterblieben sind. Auch die Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den EWS-Ländern waren und sind zum Teil beträchtlich. Stärker als von den Haushaltsungleichgewichten können von allzu ausgeprägten Defizit-bzw. Überschußpositionen der Leistungsund Zahlungsbilanz Gefahren für die Stabilität des EWS ausgehen.

Wie s'nd diese für alle Seiten überraschenden Erfolge, insbesondere auf dem Gebiet der Preisstabilität, zu erklären? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Absicht und die Bereitschaft der am EWS beteiligten Regierungen und Notenbanken zu einer stabilitätsbetonten Wirtschafts-und vor allem Geldpolitik zu Beginn und auch noch einige Jahre nach Errichtung des EWS systematisch unterschätzt worden ist. Dazu haben wahrscheinlich die negativen Erfahrungen mit der expansiven, nachfragebetonten Wirtschaftspolitik der siebziger Jahre und ihre inflationären Folgen erheblich beigetragen. Mit der Einsicht, daß mehr Inflation kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit darstellt, sind zumindest die mentalen Voraussetzungen für eine primär am Stabilitätsziel ausgerichtete Wirtschaftspolitik gestiegen. Hinzu kamen die ernüchternden Erfahrungen mit den floatenden Wechselkursen, die entgegen den Erwartungen kaum mehr Autonomie für ausgeprägte Stabilitäts-, oder aber auch forcierte Vollbeschäftigungspolitik brachten. Die Erfahrung des Teufelskreises zwischen Inflation — Abwertung — Inflation ließ bei den Schwachwährungsländern das Interesse an einer Stabilisierung der Wechselkurse wachsen.

Die gesteigerte Bereitschaft zu einer an der Preisstabilität orientierten Wirtschaftspolitik fand nun — und das ist das zweite Erklärungselement für die Stabilitätserfolge des EWS — eine wertvolle und weitgehend willkommene Stütze in den disziplinierenden Zwängen, die das EWS mit seinen fixierten Wechselkursen ausübte. Einer expansiven Vollbeschäftigungspolitik etwa waren sehr enge Grenzen gesteckt — dies um so mehr, als die im Rahmen des EWS bestehenden Kreditfazilitäten weder nach Umfang noch nach Fristigkeit eine solche Politik zumindest über längere Zeiträume hätten finanzieren können. Schließlich erwies sich die Bereitschaft der Schwachwährungsländer, sich durch fortgesetzte Abwertungen ihrer Währungen Spielraum für eine expansive Wirtschaftspolitik zu verschaffen, geringer als angenommen. Nachteilige wirtschaftliche Folgen und unerwünschte psychologische Faktoren wirkten hier zusammen. In wachsendem Maße haben die Träger der nationalen Wirtschaftspolitik die vom EWS ausgehenden Stabilisierungszwänge als Argument gegenüber ihrer Bevölkerung und den sozialen Gruppen benutzt. So hat sich der französische Finanzminister im Jahre 1983 vehement für ein Verbleiben im EWS eingesetzt, um zu Hause eine entschlossene Stabilitätspolitik durchsetzen zu können. Diese Zusammenhänge sind ein Beweis gegen das gelegentlich vorgebrachte Argument, daß auch ohne EWS die erreichten Fortschritte bei der Stabilität eingetreten wären, weil allgemein die Bereitschaft zur Stabilitätspolitik vorhanden bzw. gewachsen war. Dieses Argument übersieht, daß die Zwänge des Wechselkurssystems notwendigerweise zu einem höheren Grad an Konsultation, Koordination und Zusammenarbeit, und zwar eher auf indirekte Weise, zwischen den Trägem der Wirtschaftspolitik führten.

Der dritte und wichtigste Grund für die stabilitätspolitischen Erfolge des EWS lag darin, daß die deutsche Geldpolitik und damit die Bundesbank den Stabilitätsstandard im EWS gesetzt hat. Aufgrund der starken deutschen Leistungsbilanzposition und damit der Stärke der DM auf den Finanzmärkten ist die deutsche Geldpolitik zum Schrittmacher für die Geldpolitik im gesamten EWS-Raum geworden. Nach den Worten von Bundesbankpräsident Pöhl hat „die DM eine ähnliche Funktion im EWS gewonnen, wie sie der Dollar im Bretton-Woods-System hatte. Sie ist der Anker des Systems, und sie setzt den Stabilitätsstandard für die restlichen Mitglieder des Wechselkursverbundes.“ Auch dieser Zusammenhang wurde bei Gründung des EWS und noch lange Zeit danach nicht oder kaum gesehen, eigenartigerweise auch nicht von der Bundesbank selbst Diese Konstel-lation, daß die Bundesbank die Geldpolitik im EWS dominiert, von anderen „Asymmetrie“ bezeichnet, ist nun aber mittlerweile zum Problem geworden.

Exkurs: Die Bundesrepublik Deutschland und das EWS In der Bundesrepublik herrschte gegenüber der Errichtung des EWS von Anfang an eine äußerste Skepsis. Sie bestand nicht nur bei der Bundesbank und der Bundesregierung; besonders ausgeprägt war sie — und ist sie heute zum Teil noch — bei deutschen Wirtschaftswissenschaftlern und vor allem in den Medien Die Befürchtung ging dahin, daß das System grundsätzlich fester Wechselkurse unweigerlich zu Inflationsimport in die Bundesrepublik führen müsse. Die großzügige Bereitstellung von Kreditfazilitäten sei geradezu eine Einladung zum „Griff nach dem Rheingold“ — wie eine verbreitete vulgärökonomische Formulierung lautete —, was andere Länder zur Finanzierung ihrer inflationsträchtigen Expansionspolitik verleiten würde. Die Bundesbank verliere die Kontrolle über die Geldschöpfung mit der Folge höherer Inflationsraten auch in der Bundesrepublik. Das EWS wurde weitgehend nur als „Inflationsmaschine“ perzipiert Eine weitere Befürchtung ging dahin, daß es weitere Beschränkungen im internationalen Geld-und Kapitalverkehr geben würde, da man sich stabilitätsgerechtes Verhalten der anderen kaum vorstellen konnte.

Diese Befürchtungen haben sich als weitgehend unbegründet erwiesen. Auch die Inflationsrate in der Bundesrepublik ist von durchschnittlich rund fünf Prozent zwischen 1974— 1981 auf knapp ein Prozent im Zeitraum 1984— 1988 gefallen, wenn auch der Rückgang in anderen Ländern noch deutlicher ausgefallen ist. Es bestehen auch kaum Anhaltspunkte dafür, daß die Bundesbank in ihrer stabilitätsbetonten Geldpolitik durch Geldzuflüsse aus dem EWS strukturell beeinträchtigt und so andernfalls ein noch stärkerer Rückgang der deutschen Inflationsrate möglich gewesen wäre. Im gesamten Zeitraum zwischen 1978— 1988 ist es zu liquiditätswirksamen Geldzuflüssen aus Interventionen im EWS-Rahmen in Höhe von rund 16Mrd. DM gekommen, der weitaus größte Anteil davon in Höhe von rund13 Mrd. DM in der Anfangszeit bis 1981 Drastische und vor allem permanente Einschränkungen des freien Kapitalverkehrs fanden ebenfalls nicht statt, wenn auch in den ersten Jahren des EWS einige Mitgliedstaaten zu temporären Maßnahmen gegriffen haben. Daß das gute Funktionieren des EWS auf diesem Gebiet sogar weitere Fortschritte erlaubt hat, zeigt die Tatsache, daß die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs zum 1. Juli 1990 — für Irland, Griechenland, Spanien und Portugal gelten längere Übergangsfristen — mittlerweile beschlossen werden konnte.

Hintergrund der weitverbreiteten deutschen Skepsis gegenüber dem EWS-Wechselkurssystem war die sogenannte ökonomistische Denkschule, die auf einer bestimmten Sicht des Wechselkurses in Theorie und Politik beruhte. Den Ökonomisten zufolge könne eine Währungsunion nur als Folge von oder höchstens parallel mit einer Wirtschaftsunion entstehen. Feste Wechselkurse, die das Wesen einer Währungsunion ausmachen, entstünden nur als Resultat einer konvergenten Wirtschaftsentwicklung, diese wiederum als Folge einer möglichst intensiven Koordinierung bzw. Harmonisierung der Wirtschaftspolitik. Dagegen sah die monetaristische Schule — nicht zu verwechseln mit dem Konzept einer stetigen Geldmengenausweitung — in einer möglichst weitgehenden Fixierung des Wechselkurses ein wichtiges Instrument, um zu einer konvergenteren Wirtschaftspolitik und damit Wirtschaftsentwicklung zu kommen. Die „Monetaristen“ sehen den Wechselkurs als zentralen wirtschaftspolitischen Parameter, wie etwa auch Zins, Geldmenge, Staatsausgaben, usw.; für die „Ökonomisten“ stellt der Wechselkurs eher einen „Schleier“, einen Indikator ökonomischer Prozesse dar, nicht jedoch selbst einen wirtschaftspolitischen Parameter. Die Währungsunion kann nach dem Credo der Ökonomisten nur „Krönung“ wirtschaftlicher Prozesse sein; nach Ansicht der Monetaristen ist währungspolitische Zusammenarbeit „Motor“ bzw. Instrument für die Erreichung der Wirtschaftsunion.

Man kommt heute nicht umhin festzustellen, daß diese mit großer Leidenschaftlichkeit und (deutscher) Gründlichkeit geführte Debatte von den geschichtlichen Erfahrungen zugunsten der Monetaristen entschieden wurde. Die bisherige Geschichte des EWS hat gezeigt, daß Mechanismen währungspolitischer Zusammenarbeit beträchtliche Zwänge* zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik und Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung auszuüben vermögen. Sie stellen vor allem ein wirksames Instrument dar, nicht — wie befürchtet — Inflation in die Bundesrepublik zu importieren, sondern im Gegenteil deutsche Stabilitätspolitik zu exportieren, deutlicher gesagt: den Partnerländern aufzuzwingen. Selbstverständlich war dies nicht nur Folge des wechselkurspolitischen Systems. Notwendig für den Stabilitätserfolg war auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, die Stabilitätspolitik, die aus der Bundesrepublik importiert wurde, zu akzeptieren und anzuwenden.

Kaum beachtet wurde ferner, daß sich die ökonomistische Koordinations-Strategie in Wirklichkeit geäußert haben würde in einem möglichst dichten Netz von Projektionen, Plänen und Konferenzbeschlüssen, und so im Grunde eine interventionistische, eine ad hoc-Strategie darstellt. Dagegen läßt sich das monetaristische Vorgehen eher als Ordnungspolitik begreifen, das durch den fixierten Wechselkurs den Rahmen für die Wirtschaftspolitik und die wirtschaftlichen Prozesse setzt. Auf diesem Hintergrund erschien es auch wenig begründet, dem ökonomistischen Vorgehen, dessen Präferenz der flexible Wechselkurs gilt, das Gütezeichen „marktwirtschaftlich“ zu reservieren und die Fix-kurs-Strategie des EWS als „dirigistisch“ zu bezeichnen.

Schließlich muß aufeine weitere Ziel-Mittel-Inkongruenz der deutschen Währungspolitik hingewiesen werden. Zentraler Bestandteil der deutschen Position war die starke Betonung des institutionellen Moments. Währungspolitische Zusammenarbeit sei eigentlich nur statthaft — so lautete die gängige, regierungsamtliche und in unzähligen Stellungnahmen und Kommentaren variierte These —, nach oder höchstens parallel mit der Schaffung von wirtschaftspolitischen Institutionen, und zwar eines europäischen wirtschaftspolitischen Entscheidungszentrums und vor allem einer europäischen Zentralbank. Die Erfahrung hat nun aber gezeigt, daß die funktional-kooperative Strategie des EWS dem deutschen Stabilitätsziel mehr gedient hat als es die institutionelle Lösung einer forcierten Errichtung von europäischen wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremien hätte leisten können. Im letzteren Falle hätte sich die „Anker-Funktion“ der Bundesbank mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so stark herausbilden können — mit vermutlich negativen Konsequenzen für die Geldwertstabilität, da die Betonung des Stabilitätsziels bei anderen Teilnehmerländern am Anfang noch nicht so ausgeprägt wie heute war.

IV. Probleme und Perspektiven

Wenn man die Geschichte des EWS betrachtet, mag man geneigt sein, sie für eine empirische Bestätigung jener Theorie des Sozialphilosophen Friedrich von Hayek zu halten, nach der sich soziale und wirtschaftliche Phänomene als „spontane Ordnungen“ bilden, die in der Realisierung häufig völlig andere Ergebnisse zeitigen als ihre Initianten beabsichtigt hatten. In der Tat hat das EWS für nahezu alle Beteiligten das Gegenteil dessen gebracht, was sie erwartet hatten. Daß und inwieweit die deutschen Befürchtungen weitgehend unbegründet waren, wurde im vorausgehenden Kapitel dargelegt. Da die deutsche Seite positive Überraschungen erlebt hat, ist nun auch verständlich und plausibel, daß sie den erreichten Status quo aufrechterhalten sehen möchte. Anders ist die französische Sicht. Wie schon kurz angedeutet, hat sich Frankreich vom EWS in erster Linie währungspolitische Solidarität erhofft, um für die interne und externe Wirtschaftspolitik mehr Autonomie zu erhalten. Auch hier ist das Resultat diametral zu den Erwartungen: Zwar hat das EWS auch als Schutzschild für den Franc gegenüber Attacken aus dem Dollarraum solidarische Funktionen erfüllt, doch hat sich die französische Wirtschaftspolitik ihrer Autonomie inrhohem Maße begeben, indem sie sich den Disziplinierungszwängen des EWS unterworfen hat.

Obwohl Frankreich — wie auch andere Länder, deren Währungen früher zur Schwäche neigten — sich diesem Koordinierungs-und Disziplinierungssystem bewußt und in voller Absicht unterworfen hat, so hat dieser Anpassungszwang, in erster Linie an die restriktive Geldpolitik der Bundesbank, Probleme verursacht, die nicht nur im Psychologischen, sondern auch im Wirtschaftlichen und Sozialen liegen. Unter dem Begriff „Asymmetrie“ artikulieren sich schon längere Zeit — in den letzten beiden Jahren verstärkt — Bedenken und Kritik dagegen, daß die Geldpolitik und damit die Wirtschaftsentwicklung im EWS-Raum von der Bundesbank, oder genauer gesagt: von den währungsstarken, primär auf Geldwertstabilität ausgerichteten Ländern bestimmt wird Von Bedeutung ist dabei nicht so sehr, daß im Wechselkursmechanismus insofei eine Asymmetrie besteht, als im Interventionsfa zwar auch die währungsstarke Zentralbank zu: Handeln verpflichtet ist, die währungsschwac Zentralbank aber die dabei gegebenenfalls benöti ten Kredite über kurz oder lang wieder zurückzal len muß. Wichtig ist, daß letztere gezwungen is eine restriktive, stabilitätsorientierte Geldpolitik 2 betreiben, um den Interventionsfall oder eine Al Wertung zu vermeiden.

Die spezifische, materielle Kritik an der gegebene Struktur und Funktionsweise des EWS geht dahil daß es wegen der Dominanz der restriktiven Bui desbank-Politik zu deflatorischen Entwicklungen i Europa gekommen, also weniger reales Wir Schaftswachstum und weniger Beschäftigung e: reicht worden sei als zu erreichen gewesen wäre. I der Tat war das reale Wachstum in den achtzige Jahren im EWS-Raum mit rund zwei Prozent ni etw halb so hoch wie beispielsweise in den Vere nigten Staaten und in Japan, obwohl natürlich ei solcher Vergleich irreführend ist. Ob das EW Wachstums-und beschäftigungshemmende Wirkur gen hatte oder nicht, läßt sich nicht nachweisen. Ft die Jahre bis etwa 1983 spricht einiges dafür, da di Bundesbank damals eine scharfe Anti-Inflationspc litik betrieb. Für die letzten Jahre jedoc erscheir die Deflationsthese kaum plausibel. Als Hinwe: dafür kann gelten, daß ab 1986 die von der Bunde: bank aufgestellten Geldmengenziel zum Teil ei heblich überschritten worden sind.

Das latente Unbehagen auf französischer Seite fan dann auch Ende 1987 seinen Niederschlag in Ge stalt von mehreren Veröffentlichungen des damal gen Finanzministers Balladur, was schließlich in ei nem Memorandum mündete, in dem die beschrie bene Asymmetrie bedauert, eine engere Koordina tion der Geldpolitik gefordert und zur intensive Prüfung aller Fragen aufgerufen wurde, die ein Europäische Zentralbank stellen würde. Diesen französischen Vorstoß wurde in Bonn und Frank fur mit Zurückhaltung und Unsicherheit begegnet bis sich Bundesaußenminister Genscher genötig sah, Ende Februar 1988 ebenfalls ein Memorandun über die Fortentwicklung der europäischen Wäh rungspolitik vorzulegen, das den französischen For derungen gegenüber relativ offen war. Nun wa auch ein Stellungsbezug des zuständigen Bundesfi nanzministers nicht mehr zu vermeiden, der in sei nem Mitte März 1988 erschienenen Memorandun im wesentlichen für den Status quo plädierte, vo unbedachten Schritten warnte und im übrigen di Schaffung eine Währungsunion unter den Vorb halt der Schaffung von europäischen Entscheidungsgremien für die Wirtschafts-und vor allem die Geldpolitik stellte. Diese Währungsdiplomatie durch Memoranden wurde eingefangen durch den Beschluß des Europäischen Rates der Staats-und Regierungschefs von Hannover Ende Juni 1988 zur Einsetzung des „Delors-Ausschusses".

Einen zusätzlichen Anstoß bekam die Debatte über die Weiterentwicklung und Stärkung des EWS durch die im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes 1992 angestrebte — und tatsächlich im Juni 1988 beschlossene — vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Nicht wenige Experten befürchten, daß eine unbegrenzte Mobilität von Geld und Kapital die Verteidigung der fixierten Wechselkurse zumindest sehr erschweren würde -Andere bezweifeln diese Unausweichlichkeit einer höheren Verwundbarkeit des EWS durch eine hohe Kapitalmobilität. Sie weisen beispielsweise darauf hin, daß bei hoher oder gar totaler Kapitalmobilität verhältnismäßig geringe Zins-anpassungen notwendig seien, um die Kapital-ströme in die gewünschte Richtung zu lenken Welcher der beiden Thesen man immer zuneigen mag, feststehen dürfte, daß bei einem schrankenlosen, homogenen Geld-und Kapitalraum der Bedarf nach enger Abstimmung und Koordination vor allem der Geldpolitik in entscheidenem Maße steigt.

Schließlich wurde die Diskussion über die europäische Währungspolitik durch die allgemeine Aufbruchstimmung im Hinblick auf die geplante Vollendung des Binnenmarktes mit der Herstellung der Freizügigkeit für Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital bis Ende 1992 angefacht. Bliebe nicht der Binnenmarkt Fragment, könnte er überhaupt funktionieren, wenn er sich nicht einer europäischen Währung als einheitlichem Rechnungsund Zahlungsmittel bedienen könnte? Diese Frage wurde und wird sehr engagiert diskutiert — eine Diskussion, in der beispielsweise der frühere Bundeskanzler Schmidt die dezidierte Meinung vertreten hat, daß der Binnenmarkt ohne eine gemeinsame Währung ein Torso bleiben müsse, ja sogar eine potentielle Gefahr darstelle. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß eine einheitliche europäische Währung zusätzliche Erleichterungen sowohl für die Unternehmen wie für die Verbraucher bringen würde und deshalb zu begrüßen wäre. Auf der anderen Seite macht der Binnenmarkt auch ohne gemeinsame Währung Sinn, wie er ja auch dann große Vorteile bringen würde, selbst wenn Ende 1992 nicht alle im Programm vorgesehenen Entscheidungen getroffen sein sollten.

Das Ziel einer einheitlichen europäischen Währung kann grundsätzlich auf folgenden drei Wegen erreicht werden: erstens durch die Einführung einer Parallelwährung, für die meist der ECU ins Auge gefaßt wird; zweitens der administrativ-institutionelle Weg, auf dem zu einem bestimmten Datum eine Europäische Zentralbank eine einzige europäische Währung emittieren würde; drittens der funktional-pragmatische Weg der weiteren Verringerung der Wechselkursschwankungen durch eine Weiterentwicklung und Stärkung des Europäischen Währungssystems.

Der Schaffung einer Parallelwährung liegt die Vorstellung zugrunde, neben die bestehenden nationalen Währungen eine zusätzliche, stabilere Währung zu setzen, die aufgrund ihrer größeren Stabilität und damit Attraktivität im marktwirtschaftlichen Ausleseprozeß die nationalen Währungen allmählich verdrängen würde. Diese Konzeption wurde besonders stark im wissenschaftlichen Lager vertreten und bedeutet letztlich eine Mißtrauenserklärung gegenüber der Politik, der man nicht zutraut, durch bewußte Entscheidungen die für eine einheitliche Währung notwendige gemeinsame Wirtschafts-und Währungspolitik zu realisieren. Ein zentraler Einwand gegen das Parallelwährungskonzept ist, daß sich mit einer zusätzlichen Währung die Zahl der Wechselkurse und damit die Transaktionskosten noch erhöhen würden. Ferner stellt sich die Frage, durch welche Institution oder welche geldpolitischen Maßnahmen die Steuerung der Parallelwährungsmenge vorgenommen werden soll. Die Parallelwährungslösung dürfte sich als bei weitem nicht so neutral-unpolitisch erweisen, wie ihre Promotoren sich das vorgestellt haben, ganz abgesehen davon, daß die nationalen politischen Instanzen eine allmähliche Verdrängung ihrer Währung kaum hinnehmen würden Durch eine Verwendung des ECU als Parallelwährung entstünden zusätzliche Komplikationen dadurch, daß der ECU definitionsgemäß die Summe nationaler Währungen darstellt und er damit die Elemente ersetzen müßte, aus denen er zusammengesetzt ist. Theoretisch denkbar wäre die Definition eines neuen, von dem bestehenden „Korb-ECU“ verschiedenen, autonomen ECU, wodurch dann allerdings der Nachteil zweier unterschiedlicher ECU-Definitionen gegeben wäre.

Nach dem zweiten, administrativ-institutionellen Weg würde eine einheitliche europäische Währung durch einen politischen Beschluß entstehen. Wie beispielsweise im Jahre 1948 die Einführung der DM beschlossen wurde, könnte eine europäische Währung durch politischen Beschluß festgelegt und ab einem bestimmten Datum zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt werden; die bisherigen nationalen Währungen würden außer Kraft gesetzt werden. Zur Steuerung dieser einheitlichen Währung bedürfte es notwendigerweise einer gemeinsamen, europäischen Zentralbank. Eine solche Lösung scheint dem „Franz-Bericht“ des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Europäischen Parlaments vorzuschweben: „Die Europäische Währungsunion wird zum 1. 1. 1995 geschaffen. Dies erfordert die Schaffung einer Europäischen Zentralbank . . . Der ECU wird so zum gesetzlichen Zahlungsmittel der Europäischen Währungsunion . . . Banknoten werden von der Europäischen Zentralbank emittiert, auf ECU lautende Münzen von den Regierungen der Mitgliedstaaten . . .“ Obgleich theoretisch denkbar, begegnet eine solche Lösung weitverbreiteten Bedenken, und zwar vor allem deshalb, weil sie endgültige, unverrückbare Fakten schaffen würde und damit natürlich mit wirtschaftspolitischen Risiken verbunden wäre. Trotz oder gerade durch die Existenz einer europäischen Zentralbank und damit einer einheitlichen europäischen Geldpolitik sind wirtschaftliche Ungleichgewichte auf nationaler und vor allem regionaler Ebene nicht auszuschließen, zu deren Neutralisierung das Instrument der Wechselkurskorrektur dann nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Abgesehen von wirtschaftlichen Gründen bestünden gegenüber der Schaffung einer Einheitswährung mit der gleichzeitigen Abschaffung nationaler Währungen zu einem bestimmten Datum vermutlich auch starke psychologisch-emotionale Vorbehalte in weiten Kreisen der europäischen Bevölkerung.

Der mit den geringsten Risiken verbundene Weg zu einer gemeinsamen Währung für Europa ist zweifellos der funktional-pragmatische Weg einer zunehmenden Verringerung der Wechselkursschwankungen auf der Grundlage des Europäischen Währungssystems sowie verstärkter Konvergenz im wirtschaftspolitischen Bereich, d. h. in der allgemeinen Wirtschafts-, Finanz-, Struktur-und Einkommenspolitik. Wachsende Konvergenz in der Wirtschaftspolitik und -entwicklung würde dazu führen, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an kein Bedarf mehr für eine Änderung der Wechselkurse besteht. Damit würde, wirtschaftlich gesehen, der Zustand einer europäischen Währung erreicht sein Dann wäre nur noch die — wirtschaftlich nebensächliche — Entscheidung über den Namen der europäischen Währungseinheit zu treffen. Dabei wäre es sinnvoll, die neue Währungseinheit als identisch mit dem bestehenden „KorbECU“ zu definieren. Spätestens mit der Einführung einer einheitlichen Währung müßte eine Europäische Zentralbank als Trägerin einer gemeinsamen europäischen Geld-und Währungspolitik geschaffen werden. Wirtschaftlich gesehen wäre eine gemeinsame Geld-und Währungspolitik auch ohne einheitliche Währung möglich und auch wünschenswert, da dies dem Ziel einer möglichst hohen Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung und damit stabilen Wechselkursen dienlich wäre.

Den Vorschlägen des „Delors-Berichts" zur Schaffung einer Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft liegt weitgehend das Leitbild des soeben skizzierten funktional-pragmatischen Weges zugrunde. Er definiert den Endzustand mit seinen sowohl funktionalen als auch institutioneilen Erfordernissen und schlägt drei Phasen zur Erreichung dieses Endzustandes vor, läßt jedoch das Datum offen, zu dem der erwünschte Endzustand erreicht sein soll. Der Bericht stellt einen engen sachlichen Zusammenhang zur Verwirklichung des Programms für den einheitlichen Binnenmarkt und insbesondere mit der bereits beschlossenen Liberalisierung des Kapitalverkehrs her. Nicht nur wegen des ihm erteilten umfassenden Mandats, sondern auch aufgrund sachlicher Begründung betont der Bericht stark die notwendige Parallelität zwischen Wirtschafts-und Währungsunion, obwohl an der Schrittmacherrolle des monetären Bereichs festgehalten wird

Im Endzustand bedeutet eine Wirtschafts-und Währungsunion die umfassende Freizügigkeit für Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital sowie unwiderruflich fixierte Wechselkurse bzw. eine einheitliche Währung. Dies erfordert ein „Europäi-sches Zentralbanksystem“ zur Führung einer gemeinsamen Geld-und Währungspolitik, während für den wirtschaftspolitischen Bereich keine neue Institution notwendig wäre; die Aufgaben in der Konjunktur-, der Binnenmarkt-und Wettbewerbs-, der Regional-und Struktur-sowie vor allem in der Haushalts-und Steuerpolitik könnten die bestehenden Institutionen — Parlament, Ministerrat, Kommission, Währungsausschuß und Gerichtshof, mit zusätzlichen oder veränderten Zuständigkeiten versehen — übernehmen. Das vorgeschlagene Europäische Zentralbanksystem ist dem Modell der Deutschen Bundesbank nachgebildet. Es soll in erster Linie dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet werden, wenn auch mit der Maßgabe, die allgemeine Wirtschaftspolitik zu unterstützen. Der europäische Zentralbankrat, der über die europäische Geld-und Währungspolitik entscheiden und aus den Präsidenten der nationalen Zentralbanken sowie den Mitgliedern des vom Europäischen Rat zu ernennenden Direktoriums bestehen würde — auch hierin eine direkte Parallele zur Bundesbank —, soll unabhängig von Weisungen der nationalen Regierungen wie von Gemeinschaftsinstitutionen sein. Die Ausführung der geldpolitischen Maßnahmen obläge, gemäß den deutlich betonten Prinzipien von Föderalismus und Subsidiarität, den nationalen Zentralbanken.

In der ersten Phase, die der Ausschuß am 1. Juli 1990 beginnen lassen möchte, soll die Verwirklichung des Binnenmarktes, insbesondere die Schaffung eines homogenen Finanzraums ohne jedes Hindernis für Geld und Kapital im Mittelpunkt stehen. Daneben sollte der Schwerpunkt auf die Verstärkung der wirtschafts-und währungspolitischen Koordinierung durch einen Ausbau der Zuständigkeiten des Ausschusses der Notenbankgouvemeure gelegt werden. In dieser Phase sollten auch alle Gemeinschafswährungen dem EWS-Wechslkursmechanismus zu gleichen Bedingungen beigetreten sein. Die zweite Phase ist als Übergangsphase, in der die für die Endphase erforderlichen institutioneilen Veränderungen vorbereitet werden, sowie als „Lernphase“ für den späteren, gemeinsamen Entscheidungsprozeß konzipiert. Das in dieser Phase einzurichtende Europäische Zentralbanksystem sollte den Übergang von der Koordinierung der bisher unabhängigen nationalen Geldpolitiken durch den Gouverneursausschuß zur Formulierung und Umsetzung einer gemeinsamen Geldpolitik beginnen. Ins Auge gefaßt werden sollte ferner die Poolung eines Teils der Währungsreserven, die zu gemeinsamen Interventionen auf den Devisenmärkten verwendet werden könnten. Die abschließende, dritte Phase würde mit der unwiderruflichen Festlegung der Wechselkurse beginnen und neben der Festlegung einer gemeinsamen Konjunktur-und Strukturpolitik vor allem bindende Verpflichtungen für Höhe und Finanzierung der jährlichen Definzite der nationalen Haushalte bringen. Im monetären Bereich sollte gleichzeitig mit der unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse die endgültige Verantwortung für die Geld-und Währungspolitik auf das Europäische Zentralbanksystem übergehen. Im weiteren Verlauf dieser Phase würde sich dann der Übergang zu einer einheitlichen Währung und die Abschaffung der nationalen Währungen vollziehen: Europa wäre ein einheitliches Währungsgebiet.

Der „Delors-Bericht" enthält ehrgeizige, aber pragmatische und realisierbare Vorschläge für die Schaffung einer Wirtschafts-und Währungsunion in Europa. Es ist bemerkenswert, daß der Bericht einstimmig verabschiedet wurde, was offenbar nur deshalb möglich war, weil in der Gemeinschaft ein hohes Maß an Übereinstimmung über eine stabilitätsbetonte Wirtschafts-und Währungspolitik besteht. Ob es zu der vom Bericht für erforderlich gehaltenen „eindeutigen politischen Verpflichtung auf die Endphase“ und ob und gegebenenfalls wann es zur Ingangsetzung des Stufenplans kommen wird, werden die Beratungen des Europäischen Rates Ende Juni in Madrid und vermutlich auch im Dezember dieses Jahres in Paris zeigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ausschuß zur Prüfung der Wirtschafts-und Währungsunion, Bericht zur Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft („Delors-Bericht“).

  2. Sehr anschaulich geschildert ist die Entstehungsgeschichte in: Rainer Hellmann, Das Europäische Währungssystem, Baden-Baden 1979; vom Standpunkt des damals argwöhnischen Bundesbankpräsidenten: Otmar Emminger, D-Mark, Dollar, Währungskrisen, Stuttgart 1986, S. 356 ff.

  3. Vgl. Roy Jenkins, Europas Herausforderung und Chance, in: R. Hellmann, ebd., S. 113 ff.

  4. Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates, Brüssel. 5. Dezember 1978, in: R. Hellmann (Anm. 2), S. 135 ff.

  5. Zur Technik des Wechselkursmechanismus vgl. Internationale Organisationen und Abkommen im Bereich von Währung und Wirtschaft, Sonderdrucke der Deutschen Bundesbank.

  6. Vgl. Manfred Wegner, The European Monetary System: Regional Bretton Woods or an Institutional Innovation?, in: H. -J. Vosgerau (ed.), New Institutional Arrangements for the World Economy, Berlin-Heidelberg 1989, S. 89ff.

  7. Zu den Schwierigkeiten der Identifizierung und der Zurechnung der Stabilitätserfolge des EWS vgl. Wolfgang Harbrecht/Jürgen Schmid, Die monetären Konvergenzwirkungen des EWS. in: H. -E. Scharrer/W. Wessels (Hrsg.), Stabiität durch das EWS?, Bonn 1987, S. 213 ff.

  8. Vgl. M. Wegner (Anm. 6), S. 108.

  9. Zu den eher losen Zusammenhängen zwischen Haushalts-politik und Währungspolitik vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft. Europäische Währungsordnung, Bonn 1989.'

  10. Karl Otto Pöhl, Aktuelle Fragen der Währungspolitik. Vortrag vor dem Überseeclub Hamburg, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 27. Januar 1989.

  11. Die Skepsis der Bundesbank gibt freimütig das Direktoriumsmitglied für internationale Währungspolitik Leonhard Gieske zu, in: Zehn Jahre EWS — eine Bilanz, Wirtschaftsdienst des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hamburg 1989, in: Deutsche Bundesbank. Auszüge aus Presseartikeln vom 22. Februar 1989; ebenso der frühere Bundesbankpräsident O. Emminger (Anm. 2), S. 366 ff.

  12. Eine „kondensierte“ Fassung der deutschen Bedenken gegen das EWS im Jahresgutachten 1978/79 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen En ’ Wicklung. Aus dem akademischen Lager kamen geradezu apokalyptische Töne, so z. B.: Hans Willgerodt, Ein neuer Anlauf für Europa — Schein und Wirklichkeit des geplanten Währungssystems, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. August 1978.

  13. Vgl. „Vorspann“ zu: H. Willgerodt. ebd.

  14. Vgl. Geschäftsberichte der Deutschen Bundesbank für 1986 und 1987.

  15. Vgl. Robert Granet, Zehn Jahre EWS — eine Bilanz: Eine Bewertung aus französischer Sicht, Wirtschaftsdienst des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hamburg 1989, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikel vom 27. Februar 1989. Ein Hinweis, daß dabei auch psychologische Momente eine Rolle spielen, sei die Tatsache, daß ein hoher französischer Beamter zum Mittel eines anonymen Artikels greifen mußte, um sein Mißfallen zu äußern: Le piege de l’union monetaire, in: Le Monde vom 14. Dezember 1988, wobei das Resümee lautet: „Avec une Sorte d’allgresse la France se place sous la döpendance de la Bundesbank.“

  16. Dies ist ein zentrales Argument des sogenannten „PadoaSchioppa-Berichts", Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit. Eine Entwicklungsstrategie für das Wirtschafts-Sysem der Europäischen Gemeinschaft, Wiesbaden 1988. T Padoa-Schioppa, stellvertretender Generaldirektor der ßanca d’Italia, war einer der beiden Berichterstatter des Delors-Ausschusses.

  17. Vgl. Daniel Gros/Nicls Thygesen, The EMS — Achieve-ments. Current Issues and Directions for the Future, Brüssel 1988. N. Thygesen war Mitglied des Delors-Ausschusses.

  18. Der Feststellung von D. Gros/N. Thygesen: „The full logical implications of this approach were never drawn at the official level", ebd., S. 57, ist zuzustimmen. Bezeichnend ist, daß sich mittlerweile auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft in seiner Mehrheit skeptisch gegenüber dem Parallelwährungskonzept äußert. (Anm. 9). S. 15ff.

  19. Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente: A 2-14/89 vom 22. März 1989.

  20. Wenn man in diesem Zusammenhang von „Krönungstheorie“ spricht, sollte man sich darüber im klaren sein, daß der Begriff „Krönungstheorie“ ursprünglich nach dem ök nomistischen Ansatz die Überzeugung zum Ausdruck brachte, daß eine Stabilisierung der Wechselkurse nur Resultat, nicht jedoch auch Instrument für wirtschaftliche Konvergenz sein könne.

  21. Vgl. „Delors-Bericht", Ziffer 21.

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