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Der Computer im Amt | APuZ 19/1989 | bpb.de

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APuZ 19/1989 Artikel 1 Wozu brauchen Staat und Öffentlichkeit Daten? Der Einsatz von Computern in der Demokratie Informationsprobleme von Parlament und Regierung Der Computer im Amt Technischer Wandel und Arbeitnehmerbeteiligung in Europa

Der Computer im Amt

Bernd H. Liedtke

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Gegen den Einsatz von Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung wurde und wird auch das Argument vorgebracht, dies würde den Bürger im Umgang mit der Verwaltung abschrecken. Träfe dies zu, dann stünde das im Widerspruch zur Vorstellung, Qualitätsverbesserungen von Verwaltungsleistungen durch Technikeinsatz erreichen zu können. Es wird an einem Beispiel gezeigt, daß dies keineswegs so sein muß. Dazu werden die Ausgangslage, die Hoffnungen und die Befürchtungen zu Beginn der achtziger Jahre nachgezeichnet, die an ein Forschungs-und Entwicklungsvorhaben geknüpft waren, dessen ausdrückliches Ziel es war, durch den Einsatz von mehr und besserer Informationstechnik zu mehr Bürgernähe einer Kommunalverwaltung zu gelangen. Es wird berichtet, was aus der Sicht des Bürgers aus den ursprünglichen Zielvorstellungen geworden ist. Kurzgefaßtes Fazit: So wie sich die Stadtverwaltung heute präsentiert, ist der Einsatz von Informationstechnik durchaus gelungen.

„Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind in ihrem Gebiet die alleinigen Träger der öffentlichen Verwaltung, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben.“ (Art. 78 Abs. 2 Verf NW)

„Die Gemeinden sind die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaues.“ (§ Verf NW)

„Die Gemeinden sind die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaues.“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GO NW)

In einer Feldstudie wurde untersucht, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen der Einsatz von Informations-und Kommunikationstechniken in der öffentlichen Verwaltung über Kosteneinsparungen hinaus, die fraglich sind , auch dem Bürger Vorteile verspricht. Zunächst wird ein Forschungsund Entwicklungsvorhaben vorgestellt, das in seiner Art bisher kaum Nachahmer gefunden hat. Es war ausdrückliches Ziel des Vorhabens, durch den Einsatz von mehr und besserer Informationstechnik

I. Das Bürgeramt

Tabelle 1: Das Image der öffentlichen Verwaltung wird durch das Image des Computers in Ämtern und Behörden geprägt — und umgekehrt.

Frage: Der verstärkte Einsatz von moderner Informationstechnik und Computern in Ämtern und Behörden könnte unterschiedliche Auswirkungen haben. Bitte kreuzen Sie in der folgenden Liste an, welche der genannten Auswirkungen der Computer-Einsatz in Ämtern und Behörden Ihrer Meinung nach haben wird*).

Ämter und Behörden werden bzw. GMD-Survey 3ürgerumfrage die Arbei挐ٖ

Zwischen 1980 und 1987 wurde von der Stadt Unna in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH (GMD) das Vorhaben „Bürgeramt“ durchgeführt, das in seinen ersten Phasen auch eine großzügige finanzielle Förderung vom Bundesminister für Forschung und Technologie erfuhr.

Die Stadt Unna hatte sich mit dem Vorhaben das Ziel gesteckt, überkommene Formen arbeitsteiliger Aufgabenwahmehmung in der Kommunalverwaltung zugunsten einer Bündelung publikumsintensi-* zu mehr Bürgemähe einer Stadtverwaltung bei gleichzeitiger Wahrung der berechtigten Interessen der Beschäftigten in dieser Verwaltung beizutragen. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, inwieweit der Einsatz von Informationstechnik aus der Sicht des Bürgers als gelungen eingeschätzt werden kann. Dazu wird zunächst die Ausgangslage anfangs der achtziger Jahre nachgezeichnet und dann berichtet, was aus den damals formulierten Zielvorstellungen geworden ist 2). ver Aufgaben an einer Stelle zu überwinden. Es galt die Parole „nicht die Bürger, sondern die Daten sollen laufen“. Gleichzeitig sollten das Informationsangebot, die Auskunftsfähigkeit und die Beratungsleistungen wie ganz allgemein der Bürgerservice (z. B. publikumsfreundliche Öffnungszeiten, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen und bei der Vereinbarung von Terminen) verbessert werden. Mit diesem Vorhaben sollten — nicht nur in Unna beklagte — Leistungsdefizite an der Naht-stelle zwischen Bürger und Verwaltung wenn schon nicht gänzlich behoben, so doch sicht-und spürbar abgebaut werden. Die kundenorientierten organisatorischen Änderungen bei Banken und Sparkassen wurden von Unnas Stadtdirektor immer wieder als Vorbild genannt. Er argumentierte, die Kommunalverwaltung müsse sich als Dienstleistungsbetrieb verstehen, und befürchtete, ein weiteres Auseinanderklaffen der Qualität öffentlicher und privater Dienstleistungen könne zu einem Legitimationsverlust aller Organe der kommunalen Selbstverwaltung führen

Die GMD als die öffentliche Großforschungseinrichtung auf dem Gebiet der Informations-und Kommunikationstechnik in der Bundesrepublik wollte mit ihrem Engagement in diesem Forschungs-und Entwicklungsvorhaben unter anderem exemplarisch zeigen, daß der Einsatz moderner Informationstechniken zu Lösungen führen kann, die sowohl bürger-als auch mitarbeitergerecht sind. Heute würde man solche Lösungen als sozialverträglich bezeichnen

Ein filigranes Netz von Mitwirkungsmöglichkeiten institutionalisierter bzw.organisierter und ad hoc formierter Interessenvertretungen wurde geschaffen, um die durchaus anspruchsvollen Zielvorstellungen des Vorhabens inhaltlich zu füllen und über dessen gesamte Laufzeit im Alltagsgeschäft einer Systementwicklung nicht verkümmern zu lassen. Tatsächlich wurde keine einzige Entscheidung gegen den protokollierten Widerspruch irgendeiner der beteiligten Gruppen durchgesetzt Umfangreiche Dokumentationen über das Vorhaben in seiner Vielschichtigkeit und mit seinen Ergebnissen sind allgemein zugänglich

Das Bürgeramt Unna wurde 1984 in einer ersten Ausbaustufe eröffnet. Waren es damals im wesentlichen die Aufgaben der Melde-und Paßämter, die im Bürgeramt mit dem Bürgertelefon („Kummerstrippe“) zusammengefaßt wurden, so ist das heutige Aufgabenspektrum des Bürgeramts um zahlreiche weitere Aufgaben aus allen Teilen der Stadtverwaltung erweitert und um ein breit gefächertes Angebot an Informationsmaterial ergänzt.

Neben der funktionalen Aufgabenkonzentration und der Aufwertung von Auskunft und Beratung zu einer eigenständigen Verwaltungsaufgabe sind zwei weitere Organisationsprinzipien für das Bürgeramt kennzeichnend. Im Bürgeramt gibt es keine an einzelne Mitarbeiter gebundenen Zuständigkeiten: Jeder Mitarbeiter ist für alles zuständig und alle Mitarbeiter können jede Aufgabe gleich qualifiziert wahrnehmen. Im Projekt sprach man von der Über-windung spezialisierter Aufgabenwahrnehmung zugunsten einer „Einheitssachbearbeitung“ durch Allround-Sachbearbeiter. Der Bürger kommt ins Amt und wendet sich an den nächsten freien Mitarbeiter. Das Bürgeramt wurde in der Form einer Zentrale (im Eingangsbereich des Rathauses) und mehreren über das Stadtgebiet verteilten Außenstellen realisiert. Außenstellen und Zentrale unterscheiden sich nur in der Zahl der Arbeitsplätze, nicht im Aufgabenspektrum. Auf örtliche Zuständigkeiten wurde verzichtet. Damit verkürzen sich nicht nur die Wege zum Amt insbesondere für die Vorortbewohner. Das Prinzip der räumlichen Dezentralisation erlaubt darüber hinaus jedem Bürger, sich mit seinen Angelegenheiten an jede der Außenstellen oder an die Zentrale zu wenden unabhängig davon, wo er wohnt, einkauft oder arbeitet: überall werden alle Aufgaben des Bürgeramts gleich qualifiziert wahrgenommen.

Die vier Konstruktionsprinzipien des Bürgeramts sind nicht unabhängig voneinander, sie bedingen sich gegenseitig. Unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten beispielsweise ist die räumliche Dezentralisation von Verwaltungsleistungen nicht denkbar ohne eine gleichzeitige funktionale Aufgabenkonzentration und eine Aufhebung spezialisierter Arbeitsteilung. Wie anders können sich Mitarbeiter in kleinen Verwaltungsstellen gegenseitig vertreten? Wie anders als mit deren Auslastung lassen sich Verwaltungsaußenstellen gegenüber dem Bürger als Steuerzahler rechtfertigen Die Umsetzung der Konstruktionsprinzipien bedingte erhebliche Eingriffe in die gewachsene Organisation (die gewollt waren — siehe oben) und erhebliche Anstrengungen, um das Personal dem Anspruch des Vorhabens entsprechend fort-und weiterzubilden Die Realisierung des Bürgeramts war aber auch nur vorstellbar unter extensiver Nutzung der Möglichkeiten, die die Informationstechnik heute bietet. Dazu ist insbesondere der gleichzeitige Zugriff auf einen konsistenten und aktuellen Datenbestand von mehreren Arbeitsplätzen aus als Vorstufe einer zukünftigen aktenarmen Sachbearbeitung zu zählen.

Das Bürgeramt hat von Anfang an öffentliches Interesse über die Stadtgrenze von Unna hinaus gefunden. Die Wissenschaft hat das Vorhaben skeptisch bis kritisch begleitet Über das Vorhaben wurde aber nicht nur in der Fachöffentlichkeit diskutiert Im Gegensatz zur nahezu einhellig positiven und manchmal enthusiastischen Reaktion in Unna selbst war und ist die Resonanz außerhalb der Stadt merkwürdig zwiespältig.

II. Ein Blick zurück

Schaubild 1: Der Computer zählt nicht zu den Auffälligkeiten, an die man sich erinnert Frage: Falls Sie das Bürgeramt bereits kennen, haben Sie bei Ihrem Besuch irgendwelche auffälligen Veränderungen gegenüber frühe-(der Zeit vor 1984) festgestellt? Die Bürgeramtszentrale wurde in umgebauten und neu möblerten Räumlchkeiten eröffnet Diese Bürgeramtsaußenstelle wurde erst einige Monate vor der Bürgerumfrage " 86 umgebaut und neu möbliert Diese Bürgeramtsaußenstelle war zum Zeitpunkt der Umfrage weder n挐ٖ?

Am Anfang des Vorhabens Bürgeramt war es durchaus strittig, ob die Vorstellung vom bürgergerechten Einsatz von Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung nicht in sich selbst widersprüchlich wäre.

In den siebziger Jahren erfuhr das Thema „Computer und Staat“ bzw. „Computer in der Verwaltung“ jenseits der juristisch und politikwissenschaftlich geführten Datenschutz-Diskussion zunehmendes Interesse in Akademia Was dort noch vermutungshalber diskutiert wurde, sickerte als Erwartung. wenn nicht Gewißheit ins öffentliche Bewußtsein

Meinungsumfragen belegten, daß seit der Mitte der siebziger Jahre die öffentliche Diskussion um das Für und Wider der Entwicklung und des Einsatzes von Informatiqnstechnik der Tendenz nach skeptischer und kritischer geworden war Für den Trend der allgemeinen Meinungsverschlechterung maßgeblich waren die damaligen Diskussionen um insbesondere drei Themen

— der Computer als großer Bruder, — die Seelenlosigkeit des Computers, — der Computer als Job-Killer.

Unter dem Schlagwort vom Computer als großem Bruder und dessen Pendant, dem gläsernen Bürger, wurden Probleme des Datenschutzes und des Umgangs mit personenbezogenen Daten in allen ihren Ausprägungen diskutiert. Die Diskussionen gipfelten im Zusammentreffen mit dem Zeithorizont von Orwells „ 1984“ und dem Urteil des Bundesver-fassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Volkszählung Wie die Ergebnisse des GMD-Surveys zeigten, hatte zumindest damals die Bevölkerung erhebliche Zweifel am bürgerorientierten Umgang mit Informationen durch die öffentliche Verwaltung und ein ausgeprägtes Mißtrauen gegenüber der Geheimniskrämerei öffentlicher Stellen — und zwar unabhängig davon, ob dort Computer eingesetzt waren oder nicht Welche Veränderungen erwartete — und erwartet — der Bürger unter diesen Umständen vom verstärkten Einsatz von Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung, in welche Richtung hin würde sich die öffentliche Verwaltung seiner Ansicht nach bewegen? In Tabelle 1 werden die Ergebnisse des GMD-Surveys und der Bürgerumfrage 1986 in Unna auf eine entsprechende Frage miteinander verglichen

Bemerkenswert ist die nahezu perfekte Überein-stimmung der beiden Rangfolgen trotz unterschiedlicher Gesamtheiten, unterschiedlicher Befragungsumstände und trotz der mehr als drei Jahre, die zwischen beiden Befragungen liegen. Es ergab sich ein Bündel von Eigenschaften der öffentlichen Verwaltung, von denen mindestens die Hälfte der Befragten meint, sie würden durch den Einsatz von Informationstechnik verstärkt. Im Verbund mit den übrigen Merkmalen verlieren dann selbst solche Eigenschaften wie Schnelligkeit, Genauigkeit, ja sogar Einfachheit ihre Unschuld, die, jede für sich genommen, auch aus Bürgersicht durchaus positiv bewertet werden können und so bewertet werden

Demgegenüber finden sich am anderen Ende der Rangfolge die Eigenschaften, die den Menschen, bzw. das Lebende allgemein in seiner Unvollkommenheit auszeichnen. Hobbes’ Bild vom Staat als Leviathan (immerhin noch ein — wenngleich ungeheuerliches — Lebewesen scheint ersetzt durch jenes der Staatsmaschine, aus deren räderwerkgleicher Logik, die Ausnahmen nicht kennt, es kein Entrinnen gibt. Mangelnde Anteilnahme und Leidenschaftslosigkeit aber sind Eigenschaften, die Bürokratien nicht erst heute zugeschrieben werden Offensichtlich handelt es sich hier um tief-sitzende Vorbehalte sowohl gegenüber der Bürokratie wie gegenüber dem Computer, die sich im Fall des Einsatzes von Computern in der öffentlichen Verwaltung gegenseitig verstärken.

Damit sind wir beim zweiten Thema, das die Seelen-

und Gefühllosigkeit des Computers und die Befürchtung hervorhebt, der verbreitete Einsatz von Informationstechnik könnte nicht nur die Zahl und Intensität persönlicher Kontakte mindern, sondern zwischenmenschliche Kommunikation schlechthin verkümmern lassen. In beiden Bürger-umfragen in Unna wurde in Anmerkungen zu den einschlägigen Fragen eine durch den Computer bewirkte zunehmende Entfremdung zwischen den Menschen diagnostiziert:

„Die Fahrkartenautomaten bei der Bahn sind ein Greuel. Der Verkauf am Schalter dauert länger, seitdem der große Apparat dort steht, aber wenigstens ist dort noch ein Mensch, den man ansprechen kann. Sollte bei den städtischen Ämtern diese un-menschliche Entwicklung auch Platz greifen, dann kann ich nur sagen, Erbarmung! Ob es innerbetrieblich ein Vorteil ist. kann ich nicht wissen.“

Dieses Zitat und die darin geäußerte Befürchtung scheinen im Widerspruch zu der Beobachtung zu stehen, daß sich Menschenschlangen vor den Geldautomaten der Banken auch während der allgemeinen Geschäftszeiten bilden. In dem Zitat verbirgt sich aber noch eine weitere Befürchtung neben jener des Verlustes zwischenmenschlicher Kommunikation. Die zweite Befürchtung richtet sich auf das sehr viel hautnahere Problem, die Technik könne in einem entscheidenden Augenblick versagen oder man könnte mit ihr nicht zurechtkommen. Schon das Personal am Fahrkartenschalter, das — so geht die Überlegung manches Kunden — im Umgang mit der Technik geschult worden ist. hat allem Anschein nach Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Technik. Wie anders sollte man sich sonst als Außenstehender die Tatsache erklären, daß der Erwerb einer Fahrkarte heute trotz Einsatz einer Technik, deren herausragendes Merkmal die Schnelligkeit ist, länger dauert als früher? Wehe, wenn man nun selbst im Kampf mit dieser Technik allein gelassen wird, niemand in der Nähe ist, der einem hilft. Das steht beim Geldautomaten nicht zu befürchten, es sei denn, man hat die Geheimzahl vergessen — doch da kann einem nicht einmal der persönliche Kundenberater helfen.

Das dritte Thema, das damals und heute viele Diskussionen um den sozialverträglichen Einsatz von Informationstechnik bestimmt, sind die Befürchtungen, daß es so etwas wie ein ökonomisches Gesetz „mehr Computer = mehr Arbeitslose“ gebe Vorbehalte gegenüber einem vermutet übermäßigen Einsatz von Informationstechnik zum Zweck rein personalkostenreduzierender Rationalisierung sind überall dort stark ausgeprägt, wo wegen der regionalen oder sektoralen wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitsmarkt stark belastet ist. Für nur wenige bundesdeutsche Wirtschaftsregionen galt das in ähnlicher Weise wie für das krisen-geschüttelte Ruhrgebiet. Im öffentlichen Bewußtsein bestand dort die Wirtschaftsentwicklung aus einer Folge von Zechenstillegungen, Massenentlassungen in der Stahlindustrie und Diskussionen um Werksschließungen auch in Branchen, die einmal als zukunftssicher galten.

Unna hat eine eigene Vergangenheit als Zechen-stadt. Unna ist keine Zechenstadt mehr; die Stadt zeigt sich vielfältig und sicherlich auch erfolgreich bemüht, neue Handels-und Produktionsbetriebe anzusiedeln. Dennoch pendeln weiterhin täglich viele ihrer Einwohner zur Arbeit nach Dortmund. Auch gibt es ausgeprägte verwandtschaftliche und freundschaftliche Kontakte zu den Nachbargemeinden. Trotz seiner Randlage ist Unna vom Geschehen im Revier nicht abgenabelt. Deswegen kann es nicht überraschen, daß in Unna zu Beginn des Vorhabens Bürgeramt wie an dessen Ende am häufigsten mit dem Arbeitsplatzargument eher pessimistische Einschätzungen der Computer-Zukunft begründet und eher optimistische Einschätzungen dieser Zukunft relativiert worden sind

III. Drei Forderungen

Schaubild 2: Andere Dinge im Bürgeramt sind auffälliger als der Computer Ja, ich habe gegenüber früher auffällige Veränderungen festgestellt, und zwar —

Wie begründet oder unbegründet die verschiedenen Befürchtungen der Bevölkerung auch (gewesen) sein mögen, sie sind Realität in dem Sinn, daß sie das Denken desjenigen prägen, der solche Befürchtungen hat, und seine Entscheidungen und sein Handeln mitbestimmen. Das gilt auch für seine Erwartungen und vielleicht auch seine Vorbehalte, mit denen er in ein Amt oder eine Behörde kommt, um dort etwas geregelt zu bekommen. Die Umfrageergebnisse am Anfang des Vorhabens schlossen die Wirksamkeit solcher Befürchtungen auch innerhalb der Bürgerschaft und damit des Verwaltungspublikums in Unna nicht aus Vorbehalte und Befürchtungen waren aber nicht so ausgeprägt, daß man damit die politische Forderung hätte begründen können, im geplanten Bürgeramt auf den sichtbaren Einsatz von Informationstechnik von vornherein zu verzichten.

Die Stadt Unna wollte mit dem Bürgeramt Zugangsbarrieren zur Verwaltung abbauen. Es galt demnach, durch den Technikeinsatz im Bürgeramt keine neuen und keine neuartigen Barrieren entstehen zu lassen. Darum wurde die Diskussion in die Bürgerschaft von Unna getragen. Schließlich wurden drei Forderungen „aus Bürgersicht“ als Maßstab für den Erfolg des Technikeinsatzes im Bürger-amt aufgestellt — „Reparatur“ bisher stark mängelbehafteter EDV-Verfahren;

— sichtbar „dienender“ nicht „steuernder“ Einsatz von Informationstechnik im Bürgeramt;

— Transparenz im Umgang mit personenbezogenen Daten.

IV. Reparatur mängelbehafteter Datenverarbeitungsverfahren

Tabelle 2: Der Computer wird nicht als störend empfunden Frage: Wenn Sie in ein Amt gehen und dort werden Datensichtgeräte benutzt -fühlen Sie sich dann in Ihrem Gespräch mit dem Sachbearbeiter oder mit der Sachbearbeiterin irgendwie gestört? Befragte, die ... ... das Bürgeramt kannten und die ... noch nicht ... nur geringe Verwal-tungserfahrungen hatten ... größere Verwaltungs-erfahrungen hatten ... bereits persönlich im BA geivesen waren und die ... .. nur geringe Verwal-tungse挐ٖ?

Die Forderung, zunächst fehlerbehaftete Datenverarbeitungsverfahren zu verbessern, ehe weitere Verwaltungsaufgaben automatisiert würden, richtete sich in Unna auf das dort eingesetzte Verfahren zur Veranlagung von Grundstückseigentümern zu den Grundbesitzabgaben (darunter besonders zu den Müllabfuhrgebühren). Die Fehlerhaftigkeit dieser Bescheide war notorisch und wurde aus der Bürgerschaft heraus deutlich und heftig kritisiert. Einige Ursachen für die Fehleranfälligkeit entfielen später mit der Implementierung eines neuen Datenverarbeitungsverfahrens auf der stadteigenen EDV-Anlage. Aber auch heute noch ist die Wahrscheinlichkeit für einen fehlerhaften Bescheid hoch und die Berichtigung eines solchen Bescheids für den Bürger aufwendig. Diese Fehler liegen nun nicht mehr an Eigenheiten des Datenverarbeitungsverfahrens und können somit nicht mit EDV-Mitteln behoben werden. Sie haben ihre Ursachen im Veranlagungsverfahren selbst. Nur durch einen entsprechenden politischen Veränderungswillen könnte ein weniger fehleranfälliges Verfahren eingeführt werden Hier zeigte sich eine Grenze der kommunalpolitischen Ausstrahlung des Vorhabens Bürgeramt. Was die zweite Forderung betrifft, war das Vorhaben erfolgreicher.

V. Der sichtbare Einsatz von Informationstechnik

Bis zur Eröffnung des Bürgeramtes hatte es der Bürger in Unna bei der Regelung seiner Angelegenheiten mit der Stadtverwaltung allenfalls mit mehr oder minder lesbaren und verständlichen Computerausdrucken zu tun. wie den bereits erwähnten Grundbesitzabgaben-und Müllgebührenbescheiden oder Wohngeldbescheiden oder Bescheiden über die Gewährung von Sozialleistungen. Diese Bescheide wurden — namens der Stadt — von der Gemeinsamen Kommunalen Datenverarbeitungszentrale (des Kreises Unna) oder vom Regionalen Landesrechenzentrum in Oberhausen erstellt. Die technische Ausstattung, mit deren Hilfe die Bescheide berechnet und gedruckt wurden, war dem Bürger entrückt, für ihn unsichtbar. Diese Situation hat sich mit der Eröffnung des Bürgeramtes radikal geändert. Datensichtgeräte stehen auf allen Arbeitsplätzen und einige recht klobig wirkende Arbeitsplatzdrucker sind nicht zu übersehen. Wie beeindruckt zeigt sich davon der Bürger

Wie es der Zufall wollte, stellte der Implementationsprozeß in Unna gerade bezüglich dieser Fragestellung ein Experiment dar. Das Bürgeramt wurde mit der Zentrale und den beiden ehemaligen Verwaltungsnebenstellen als Bürgeramtsaußenstellen eröffnet. Von da ab wurden die meisten Aufgaben des ehemaligen Einwohnermeldeamtes mit Online-Dialogverfahren unterstützt: Im Beisein des Besuchers wurden Meldeangelegenheiten am Bildschirm bearbeitet und Anträge auf einen Paß oder einen Personalausweis nicht mehr vom Antragsteller ausgefüllt, sondern am Arbeitsplatz unterschriftsfertig ausgedruckt.

Anläßlich der Eröffnung wurden die Räumlichkeiten des ehemaligen Einwohnermeldeamtes als Bürgeramtszentrale aufwendig umgestaltet und ausgestattet. In den Bürgeramtsaußenstellen wurde vorerst nichts verändert. Die größere der beiden Außenstellen wurde einige Monate vor der Bürgerumfrage 1986 umgestaltet. Die kleinere Außenstelle wurde erst nach Abschluß der Erhebungen renoviert und neu ausgestattet. Datensichtgeräte und Drucker (und Mitarbeiter, die daran hantierten) gab es in der Zentrale und in den Außenstellen seit Beginn des Experimentes.

In der Bürgerumfrage wurden diejenigen, die bereits persönlich im Bürgeramt gewesen waren und die die ehemaligen Räumlichkeiten kannten, gefragt, ob sie gegenüber früher auffällige Veränderungen festgestellt hätten. Dem Schaubild 1 zufolge haben deutlich mehr Besucher der Bürgeramtszentrale (A) als Besucher der einen Bürgeramtsaußen-B stelle (B), und dort wiederum deutlich mehr Besucher als Besucher der anderen Bürgeramtsaußenstelle (C) gegenüber früher solche Auffälligkeiten festgestellt.

Schaubild 1 scheint die unterschiedlichen Zeitpunkte widerzuspiegeln, zu denen die Räumlichkeiten der Zentrale und der Außenstellen umgestaltet worden sind. Diese Abbildung kann nur so verstanden werden, daß es nicht (allein) und nicht vorrangig die Datensichtgeräte und der Umgang mit diesen durch die Mitarbeiter sind, was die Besucher als Veränderung beeindruckt hat. Diese Einschätzung verstärkt sich noch, wenn man die Antworten genauer betrachtet.

Fast alle Befragten, denen gegenüber früher Veränderungen aufgefallen waren, haben auch in Stichworten notiert, was sie besonders beeindruckt hat. Hier einige Beispiele für die Art der Antworten

-Räumlichkeiten: Anordnung der Schalter — moderner Umbau — alles ist freundlicher gestaltet und übersichtlicher — die Bittsteller dürfen sich setzen -neue Einrichtung;

-Atmosphäre: persönlicher, freundlicher — es ist persönlicher geworden — freundliche Atmosphäre; -Informationstechnik: Einsatz von Computern — der Bildschirm — technische Ausstattung — die Bearbeitung wird hier mit Computer und Sichtgeräten durchgeführt; — Personal: gute Sachkenntnis des Personals — die äußerst nette Beratung — vielleicht ist man höflicher — daß die Damen bei Auskünften unterschiedlicher Ansicht sind;

— Sachbearbeitung: es geht schneller — Rückfragen werden direkt und schneller erledigt — schnelle Bedienung;

— Übriges: man braucht nicht so viel zu suchen — ein Sachbearbeiter für verschiedene Vorgänge.

Schaubild 2 zeigt die Auswertung über alle Befragte. Die Prozentanteile addieren sich zu mehr als 100 Prozent, weil die Antworten einer ganzen Reihe von Befragten mehr als einer Kategorie zugeordnet wurden (z. B. „freundliche Leute und neue Möbel“). Glaubt man den Zahlen, dann fühlen sich die Besucher des Bürgeramts vor allem anderen durch die renovierten und umgestalteten Räumlichkeiten beeindruckt

Die überwiegende Mehrheit der Befragten der Bürgerumfrage und der Publikumsbefragung war auch nicht irritiert und verunsichert, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in ihrer Gegenwart das Datensichtgerät bediente. In Tabelle 2 sind die Antworten auf eine entsprechende Frage der Bürgerumfrage 1986 nach dem Umfang an Verwaltungserfahrung der Befragten und danach aufgeschlüsselt. ob das Bürgeramt zum Zeitpunkt der Befragung bereits persönlich bekannt war. Natür-lieh gab es stark unterschiedliche Ausprägungen des Anteils der „weiß nicht“ -Antworten in den einzelnen Befragtengruppen Wenn man davon absieht. dann zeigen sich erstaunlich konstante Proportionen über alle Befragtengruppen. Wollte man die kaum sichtbaren Unterschiede interpretieren, dann ist es nicht der sichtbare Einsatz von Informationstechnik an sich, der stört. Der Einsatz von Informationstechnik kann und wird nur denjenigen irritieren, der aufgrund seiner Erfahrungen mit Ämtern und Behörden bereits in irgendeiner Form kritisch sensibilisiert worden ist.

Auch bei dieser Frage haben die meisten derjenigen, die sich durch Datensichtgeräte gestört fühlten, ihre Antwort erläutert. Wie wegen der Frage-formulierung nicht anders zu erwarten war, bezog sich die Mehrzahl dieser Erläuterungen auf die verschiedensten Facetten der Rolle der Informationstechnik im Gespräch von Mensch zu Mensch. Es ergab sich jedoch ein auffälliger Unterschied im Gehalt dieser Erläuterungen von Befragten, die das Bürgeramt bereits persönlich kannten, und Befragten, die noch nicht im Bürgeramt gewesen waren. Während letztere die Gesprächssituation ganz allgemein als unpersönlich charakterisierten, bemerkten Besucher des Bürgeramts dagegen sehr konkret (dem Sinn nach):

„Der Mitarbeiter schenkt dem Gerät mehr Aufmerksamkeit als meinem Anliegen.“

Nahezu die Hälfte aller Erläuterungen von Befragten, die das Bürgeramt bereits kannten (. . . und vom Technikeinsatz irritiert waren), hatten diese Qualität.

Sollte auch nur ein Körnchen Wahrheit in den Kommentaren der Befragten stecken (und wer sollte daran zweifeln), dann bieten sich verschiedene Erklärungen an:

Die Mitarbeiter benutzen das Sichtgerät, um sich — bildlich gesprochen — vor dem Kunden zu verstecken, so wie sie sich früher hinter Aktenstößen versteckt haben mögen.

Die Mitarbeiter beherrschen nicht die Kunst der Gesprächsführung, so daß ihre Besucher die Benutzung des Sichtgeräts nicht als förderlich für die rasche und kompetente Erledigung ihrer Anliegen empfinden können.

Die Mitarbeiter kommen nur schlecht mit der Technik und den Programmen zurecht und können sich deshalb nicht dem Besucher oder der Besucherin voll zuwenden.

Allen diesen Fällen kann mit Maßnahmen abgeholfen werden, die die Qualifikation des Personals erhöhen.sei es fachlich, in der Gesprächsführung, im Umgang mit den Arbeitsmitteln oder in der Bewältigung von Streßsituationen — wo auch immer die Probleme liegen sollten. Vielleicht muß das Personal auch durch entsprechende Anreize zusätzlich motiviert werden. Diese Maßnahmen sind natürlich dann vergebens, wenn die Programme so untauglich oder die Maschinen so anfällig oder überlastet sein sollten, daß sich die Mitarbeiter der Technik nicht bedienen können, sondern gegen sie ankämpfen müssen. Aber diese Situation gab es nach Auskunft der Sachbearbeiter und der Amtsleitung des Bürgeramtes in Unna nicht.

Einen zweiten Schwerpunkt der Erläuterungen zur Frage nach möglichen Irritationen durch Datensichtgeräte bildete die Tatsache, daß die Besucher des Bürgeramts nicht auf den Bildschirm sehen konnten, wenn und während die Sachbearbeiter das Datensichtgerät bedienten. Im Verlauf des Projekts war irgendwann einmal die Möglichkeit diskutiert und dann als wenig praktikabel verworfen worden, mittels eines „Doppelbildschirms“ den Besucher oder die Besucherin an der Tätigkeit der Sachbearbeiterin teilhaben zu lassen. Es gibt Beispiele in der Praxis, wo durch den Standort des Bildschirms relativ zum Standort bzw. Sitzplatz des Besuchers dessen Neugier befriedigt wird Auch hier ist es nicht die Informationstechnik an sich, die den Besucher irritiert, sondern eine konkrete technisch-organisatorische Lösung.

VI. Transparenz im Umgang mit personenbezogenen Daten

Hier gerät nun die Forderung nach Transparenz im Umgang mit personenbezogenen Daten ins Blickfeld. die ursprünglich ebenfalls „aus Bürgersicht“ an das Vorhaben Bürgeramt gerichtet worden war. Abgeleitet aus der übergeordneten Zielvorstellung erhöhter Bürgernähe der Kommunalverwaltung, sollte mit dieser Forderung der Gedanke einer aktiven im Gegensatz zu einer bloß reaktiven Datenschutzpolitik im Vorhaben Bürgeramt verankert werden. Damit war gemeint, die (informations) technischen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, um dem Wunsch des Bürgers auf einfache und bequeme Weise entsprechen zu können, zu erfahren, wo in der Kommunalverwaltung was mit den Angaben zu seiner Person gemacht wird. Wären diese Voraussetzungen einmal geschaffen — so die Überlegung — sollte der Gedanke. sich als Bürger über seine Daten informieren zu lassen, in die Bürgerschaft hineingetragen werden. Das verstärkte Wissen um Kontrollmöglichkeiten könnte das Vertrauen des Bürgers in den person-und sachgerechten Umgang mit seinen Daten durch die Stadtverwaltung fördern und so letztlich die Kommune in ihrer Funktion als Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus stärken.

Rückblickend ist festzustellen, daß die Forderung einer aktiven Datenschutzpolitik nicht eingelöst worden ist. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste Grund ist in der Tatsache zu sehen, daß die wahre Bedeutung dieser Forderung im Verlauf des Vorhabens nicht erkannt worden ist. Sie war im -wohlverstandenen — Bürgerinteresse, jedoch nicht vom Bürger selbst erhoben worden: Obwohl ausgeprägte Bedenken in der Bürgerschaft bestanden (und wohl auch heute noch bestehen), weil in der Stadtverwaltung Unna viele persönliche Daten gespeichert sind, wußte doch die überwiegende Mehrheit der Befragten nicht, daß die Stadt jedem Bürger Auskunft über die bei ihr gespeicherten Daten geben muß Die Möglichkeiten einer extensiven Auslegung und Ausschöpfung der Datenschutzgesetze im Interesse des Bürgers hatten in den Diskussionen der Projektgruppen nachgeordneten Rang. Die Forderung war in der Konkurrenz um die Zuteilung von Zeit. Geld und Personal zu ihrer Verwirklichung gegenüber anderen Zielvorstellungen, die aus der Sicht der Systementwickler ähnlich berechtigt erschienen, tendenziell unterlegen. Tatsächlich hatte diese Vorstellung nie den Rang eines ausdrücklichen Projektziels und wurde in den projektleitenden Gremien nie als solches diskutiert

Mehr noch, da der Landesdatenschutzbeauftragte das Konzept und die Realisierung des Bürgeramts kritisch beobachtete und prüfte, konnte mit dem Verweis auf dessen Einverständnis gesagt werden, allen Datenschutzbelangen sei hinreichend Rechnung getragen worden

Wenn die Bedeutung (auch über Unna hinaus) der Forderung richtig gesehen worden wäre, wäre sicherlich noch keine perfekte Lösung in dem Sinne gefunden worden, daß in der täglichen Auseinandersetzung mit ihr nicht der Wunsch nach Verbesserungen entstanden wäre. Aber es hätte — zunächst unter Umständen beschränkt auf die Verfahren, die im Bürgeramt technikunterstützt wahrgenommen werden — gezeigt werden können, wo die Schwierigkeiten und die Lösungsmöglichkeiten einer aktiven Datenschutzpolitik tatsächlich liegen und wie man sich beispielsweise einen persönlichen Datenkontenauszug vorzustellen hätte

VII. Zusammenfassung: Haupt-und Nebenkriegsschauplätze

Die Untersuchungen in Unna haben gezeigt, daß der Einsatz von Informationstechnik im Bürgeramt unter dem Gesichtspunkt der Mitarbeiter-Publikumsbeziehungen — entgegen den ursprünglichen Erwartungen — absolut unproblematisch ist. Die Ergebnisse passen auch ins Bild der allgemeinen Entwicklung: Es läßt sich nicht leugnen, daß manche Bescheide (z. B. die der Finanzverwaltung) in den letzten Jahren leserlicher geworden sind und daß beispielsweise die An-und Ummeldung von Kraftfahrzeugen vielerorts in einer angenehmeren Atmosphäre bei deutlich kürzeren Wartezeiten als früher vonstatten gehen.

Man kann noch weitergehen und behaupten, daß derjenige, der das Argument. Informationstechnik entmenschliche die Beziehungen zwischen Personal und Publikum, gegen den Einsatz von Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung ins Feld führt, bewußt oder unbewußt ein Scheingefecht führt und damit von der eigentlichen Problematik des Technikeinsatzes in der öffentlichen Verwaltung ablenkt Die zentrale Problematik liegt weiterhin in der Frage, welche Aufgaben und Tätigkeiten mit welchem Ziel durch den Einsatz von Informationstechnik unterstützt werden (sollen) und ob und wie der Aufgabenvollzug auch vom Bürger nachvollzogen und kontrolliert werden kann Diese Frage transzendiert den bloßen Technikeinsatz bei weitem. Bedingt durch die Entwicklungsdynamik von Technik und Gesellschaft ist sie stets aufs neue zu stellen und zu beantworten. Sie rührt an die Fundamente der staatlichen Verfaßtheit.

Mit dem Vorhaben Bürgeramt ist der Nachweis geführt worden, daß der Bürger den Einsatz von Informationstechnik sehr wohl als einen Weg zur Leistungssteigerung der öffentlichen Verwaltung akzeptiert. Allerdings, so scheint es, ist die Akzeptanz des Bürgers von einer Reihe von Voraussetzungen und Nebenbedingungen abhängig, die in Unna vorlagen, die aber nicht zwangsläufig anderenorts in gleicher Weise gegeben sein, sondern vielleicht erst hergestellt werden müssen: Die Verwaltung muß zur Erneuerung im Bürgerinteresse bereit sein, sie muß dem Bürger diese Bereitschaft glaubwürdig vermitteln können, und der Bürger muß der Verwaltung grundsätzlich vertrauen, kurz, das Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung muß alles in allem ungestört sein. Diese Voraussetzungen sind auf der kommunalen Ebene eher gegeben (aber keineswegs selbstverständlich) und leichter herzustellen als auf der überörtlichen Ebene.

Die Erfahrungen haben gezeigt, daß der Technik-einsatz das Verhältnis zwischen Bürger und Staat/Verwaltung überall dort beeinträchtigen kann, wo staatliche Institutionen zentralistisch organisiert sind (z. B. die Finanzverwaltung) oder die Kommunen Bundes-und Landesrecht im Auftrag ausüben und ihnen die Freiheit zur Verfahrensgestaltung genommen ist (heute z. B. im Paß-und Ausweiswesen). Dort ist es den dem Bürger nächsten Verwaltungsstellen nicht oder erst nach geraumer Zeit möglich. Form und Inhalt der Aufgabenerfüllung an den tatsächlichen (und von jedem noch so schlecht ausgebildeten Behördenbediensteten wahrzunehmenden) Bürgerbedürfnissen auszurichten.

Besonders stark wird das Verhältnis zwischen Bürger und Staat durch den Einsatz von Informationstechnik dort beeinträchtigt, wo die staatlichen Institutionen von jeher bürgerfremd, weil dem Bürger fremd, ihm entrückt sind: Geheimdienste, Verfassungsschutzorgane, Bundeskriminalamt usw. Je verdeckter eine staatliche Institution operiert, desto undurchschaubarer und befremdlicher wird der Technikeinsatz, desto mißtrauischer wird der Bürger gegenüber der die Technik einsetzenden Institution. Das sind die Felder, die aufmerksam beobachtet werden müssen, um Fehlentwicklungen im Ansatz zu erkennen und auf ihre Korrektur zu drängen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag stützt sich auf die Ergebnisse von vier empirischen Erhebungen, die im Verlauf des Forschungsund Entwicklungsvorhabens durchgeführt worden sind: Am Anfang des Vorhabens wurde eine interviewergestützte Befragung von Besuchern städtischer Ämter (Publikumsbefragung 1981) und eine schriftliche Umfrage unter der Bürgerschaft (Bürgerumfrage 1982) durchgeführt. Beide Befragungen wurden gegen Ende des Vorhabens unter Wahrung des methodischen Ansatzes mit aktualisierten Befragungsinhalten wiederholt (Bürgerumfrage 1986 und Publikumsbefragung 1987); vgl. Bernd H. Liedtke, Einrichtung eines Bürgeramts aus Bürgersicht. Ergebnisse der Publikumsbefragung 1981 und der Bürgerumfrage 1982 in Unna. Sankt Augustin 1984 (GMD-Studie Nr. 92); ders., Bürgeramt, Computer und alles andere. Bürgermeinungen zur Arbeit von Rat und Verwaltung in Unna. Sankt Augustin 1988 (GMD-Arbeitspapiere Nr. 300). Ergänzt wird das Material durch Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativerhebung (GMDSurvey 1983). die 1983 von Infratest Sozialforschung. München im Auftrag der GMD durchgeführt worden ist; vgl. Klaus Lange. Das Image des Computers in der Bevölkerung, Sankt Augustin 1984 (GMD-Studie Nr. 80); eine leicht zugängliche Kurzfassung der Ergebnisse findet sich in ders.. Zwischen Hoffen und Bangen, in: Bild der Wissenschaft, 21 (1984) 1, S. 61 ff.

  2. Und sei es nur deswegen, weil angestrebte Kostenreduzierungen (insbesondere im Personalbereich) durch gestiegene Fallzahlen wettgemacht werden. Vgl. Klaus Lenk. Verwaltungspolitische Perspektiven der Informationstechnik, in: IBM Nachrichten, 38 (1988), Special „Öffentliche Dienste“, S. 8. Es ist überhaupt fraglich, ob der oft zitierte Rationalisierungsdruck in der öffentlichen Verwaltung die Hauptursache für deren Technisierung ist. Wie anders könnte man sich erklären, daß nach einer fünfzehnjährigen Geschichte der Automatisierung der Kraftfahrzeugzulassungsstellen erst ca. 20% automatisiert waren, zu diesem Zeitpunkt weitere 33 % an eine Automatisierung überhaupt nicht dachten und von diesen viele Be-und Auslastungskennziffern aufwiesen, die schon bei geringerer Ausprägung anderen Zulassungsstellen als Argument für eine Automatisierung dienten? Vgl. Klaus Lange/Frank Sippel, Verwaltungsautomation und Bürgerservice, Opladen 1986, S. 149 ff. und Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt), Kraftfahrzeug-Zulassungswesen – Bestandsanalyse, Köln 1977 (KGSt-Bericht 4/1977).

  3. Zur verwaltungspolitischen Begründung des Vorhabens vgl. beispielsweise Klaus Dunker. Kommunale Bürgerämter und Informationstechnik, in: Heinrich Reinemann u. a. (Hrsg.), Neue Informationstechniken — Neue Verwaltungsstrukturen?, Heidelberg 1988, S. 259— 278, hier insbesondere S. 261.

  4. Das Engagement der GMD beruhte auf Problemeinschätzungen, die in ihrem Auftrag gefertigt worden waren; vgl. unter anderem Jürgen Reese u. a., Gefahren der informationstechnologischen Entwicklung, Frankfurt-New York 1979.

  5. Auf der örtlichen Ebene waren der Personalrat, die Gewerkschaft.der Stadtrat. eine Mitarbeiterarbeitsgruppe, ein Bürgerarbeitskreis und eine „Bürgeranwältin“ beteiligt, auf überörtlicher Ebene der Regierungspräsident, einer der kommunalen Spitzenverbändc des Landes Nordrhein-Westfalen, die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) sowie der Hauptvorstand der Gewerkschaft.

  6. Vgl. Peter Mambrey/Reinhard Oppemann/August Tepper. Computer und Partizipation, Opladen 1986, S. 105 ff.

  7. Die folgenden Titel zeigen die Reichweite von Ansatz, Vorgehen und Ergebnissen des Vorhabens: Klaus Dunker/Albert Noltemeier (Hrsg.), Organisationsmodelle für ein Bürgeramt und deren Realisierung in der Stadt Unna. Schlußbericht. Sankt Augustin 1985 (GMD-Studie Nr. 95); Bernd H. Liedtke/August Tepper, Sozialverträglicher Technikeinsatz in der Kommunalverwaltung, München-Wien 1989. Eine knappe, technisch-organisatorisch orientierte Darstellung des Vorhabens findet sich zusammen mit einer Würdigung durch die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) in: Klaus Dunker. Forschungsprojekt „Einsatz der Informationstechnik in einem kommunalen Bürgeramt“, in: Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (Hrsg.), Das Bürgeramt Unna, KGSt-Mitgliederbericht Nr. 16/1986. Alle Titel enthalten Hinweise auf weiteres Schrifttum zum Vorhaben.

  8. Das Vorhaben Bürgeramt zeigt, daß räumliche Zentralisation von Verwaltungsaufgaben, deren funktionale Zersplitterung und arbeitsteilige Erfüllung (also der organisationspolitische Kem der Funktionalreform in den sechziger Jahren) zum Zweck der Effizienzsteigerung heute nicht mehr als Allheilmittel von Funktions-und Leistungsschwächen der öffentlichen Verwaltung gelten können.

  9. Diese Anstrengungen waren in ihrer Bedeutung für das Gelingen des Vorhabens anfangs vielleicht etwas unterschätzt worden.

  10. Als Beispiel einer eher skeptischen Haltung kann die „ 37. Speyerer These“ dienen: „Ein Bürgeramt als zentraler Ort der Bearbeitung . vor die Klammer gezogener'Besucher-anliegen ist kein Allheilmittel“ (Heinrich Reinermann, Verwaltungsinnovation und Innovationsmanagement. 92 Speyerer Thesen zur Bewältigung der informationstechnischen Herausforderung. Heidelberg 1986. S. 28). Als Beispiel einer kritisch-ablehnenden Auseinandersetzung steht Lothar Beyer, Wandel der Strategien und Kontinuität der Folgeprobleme. Automation im Einwohnerwesen, in: Klaus Grimmer (Hrsg.). Informationstechnik in öffentlichen Verwaltungen. Basel 1986, S. 183 ff.

  11. Besonders eindrucksvoll waren die Berichte in der Süddeutschen Zeitung vom 19. April 1985 („Computer erledigt den Parteienverkehr. Modell eines . Bürgeramtes'der Stadt Unna auf der Hannover Messe zu sehen“ — das Bürgeramt war es wert, gleich nach dem größten Kran der Welt erwähnt zu werden) und in den VDI-Nachrichten vom 18. 10. 1985 („Die Stadt Unna probt die Bürgemähe. Die Verwaltung wird menschlicher durch EDV-Einsatz").

  12. Die Fragestellungen des ersten Forschungsvorhabens zum Thema „Computer und Verwaltung“ wurden 1974 veröffentlicht; vgl. Hans Brinckmann u. a., Verwaltungsautotnation. Thesen über Auswirkungen automatisierter Datenverarbeitung auf Binnenstruktur und Außenbeziehungen der öffentlichen Verwaltung, Darmstadt 1974. Ein zusammenfassender Ergebnisbericht erschien 1982: Hans Brinckmann u. a„ Automatisierte Verwaltung. Eine empirische Untersuchung über die Rationalisierung der Steuerverwaltung, Frankfurt-New York 1981. Den Brückenschlag zur interessierten Öffentlichkeit hat — neben Reese u. a. (Anm. 4) — Klaus Lenk mit seinen Beiträgen „Implikationen der Verwaltungsautomation für das Verhältnis von Verwaltung und Bürger“ (in: Wolfgang Hoffmann-Riem [Hrsg. ]. Bürgemähe Verwaltung?, Neuwied 1979, S. 140ff.) und „Informationstechnik und Gesellschaft“ (in: Günter Friedrichs/Adam Schaff [Hrsg. ], Auf Gedeih und Verderb. Mikroelektronik und Gesellschaft. Bericht an den Club of Rome, Wien 1982, S. 289 ff.) geschlagen.

  13. Während die Politiker in aller Regel bei der Bewertung des Technikeinsatzes die bekannte Sowohl-als-auch-Haltung einnahmen (vgl. für andere: Rupert Scholz. Technisierung der Verwaltung — Steuerungs-und Kontrollproblem für den demokratischen Rechtsstaat, in Gerhart Rudolf Baum u. a.. Technisierte Verwaltung. Entlastung oder Entfremdung des Menschen? Bad Godesberg 1981, S. 55 ff.) waren andere in ihrer Einschätzung eindeutiger (vgl. wiederum für andere: Gerd E. Hoffmann. Computer. Macht und Menschenwürde, aktualisierte Ausgabe. Frankfurt 1979).

  14. Seit 1983 soll sich der Trend gewendet haben; vgl. o. V.. Keine Angst vor Computern. Die Einstellung der deutschen Bevölkerung zum Computer wird immer positiver, in: IBM Nachrichten. 37 (1987) 288. S. 72f. Vgl. neuerdings Hans Mathias Kcpplinger. Künstliche Horizonte. Die Darstellung von Technik in der Presse und ihr Einfluß auf die Ansichten der Bevölkerung 1965— 1986, Unveröffentl. Projektbericht im Auftrag des BMFT. o. O. o. J. (Mainz 1988). Demnach wäre das GMD-Survey (Anm. 2) zum Zeitpunkt des öffentlichen Meinungstiefs durchgeführt worden.

  15. Der Computer als Kriegsherr wurde erst später ein Thema.

  16. Erinnert sei an die SPIEGEL-Titel: Die neue Welt von 1984 (3. 1. 1983), Volkszählung. „Laßt 1 000 Fragebogen glühen“ (28. 3. 1983) und Der neue Personalausweis. „Eintrittskarte für den Überwachungsstaat“ (8. 8. 1983).

  17. Vom 15. Dezember 1983, in dem die Karlsruher Verfassungsrichter die Grundzüge des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“ entwickelt haben.

  18. Vgl. Anm. 2.

  19. Immerhin stimmten 81% der Befragten der Aussage „Ämter und Behörden lassen den Bürger im Unklaren, welche Daten über ihn gespeichert sind“ voll oder teilweise zu; vgl. K. Lange/F. Sippel (Anm. 1). S. 185.

  20. Vgl. ebd., S. 29f.; K. Lange. Das Image (Anm. 2), S. 35 f. Die tabellarischen Leerstellen erklären sich aus dem Umstand, daß für die Zwecke der Bürgerumfrage 1986 zwei Gegensatzpaare gegen ein anderes ausgetauscht worden sind.

  21. Klaus Lenk z. B. spricht in anderem Zusammenhang von größerer Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit als Qualitätsverbesserung mancher Verwaltungsleistung; vgl.ders.. Implikationen (Anm. 12). S. 144.

  22. Dieses Bild ist schon am Anfang aller Debatten über Computer und Staat verwendet worden; vgl. Malte v. Berg u. a.. Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan?. in: Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung, 2 (1972), S. 3 ff.

  23. Vgl. Victor A. Thompson, Without Sympathy or Enthusiasm. The Problem of Administrative Compassion. Univer sity (Alabama) 1975.

  24. So der Kommentar einer Befragten in der Bürgerumfrage 1982.

  25. Für eine differenziertere Betrachtung der Problematik siehe z. B. Karl Steinbuch. Technisierung der Verwaltung - Wirklichkeit und Möglichkeiten, in: G. R. Baum u. a. (Anm. 13), S. 45 f.

  26. Vgl. B. H. Liedtke. Einrichtung eines Bürgeramts aus Bürgersicht (Anm. 2). S. 58 f.; ders.. Einrichtung eines Bürgeramts aus Bürgersicht. Materialien. Band 2. Sankt Augustin 1984 (GMD-Arbeitspapiere Nr. 88). S. 137ff.

  27. Unsere Untersuchungen konnten jedoch gewisse schwarzfärberische Behauptungen über das Erscheinungsbild der Computerisierung der öffentlichen Verwaltung weder auf der faktischen Ebene (der damalige Zustand der Stadtverwaltung) noch auf der Vorstellungsebene (das Bild des Bürgers von der Stadtverwaltung) bestätigen; vgl. K. Lenk. Implikationen (Anm. 12). S. 143: „Der Kunde der wohlfahrtstaatlichen Massenverwaltung ist zunehmend irritiert. Er versteht seine Wasserrechnung nicht mehr. Einen für seinen Fall zuständigen Sachbearbeiter sucht er oft vergebens. Hat er ihn gefunden, so gibt dieser der EDV die Schuld für Fehler und Unregelmäßigkeiten. Die Kontrolle an den Grenzen wird dichter; ihre Wirkungsweise bleibt dem Bürger verborgen. Er fühlt sich von Maschinen verwaltet.“

  28. Vgl. B. H. Liedtke. Einrichtung eines Bürgeramts aus Bürgersicht (Anm. 2). S. 40 f.

  29. Es geht hier um die Frage, ob die Haushaltsgröße oder ob die Abfallmenge das Hauptveranlagungsmerkmal sein soll. Dies ist vielerorts politisch strittig.

  30. Klaus Grimmer. Die Automation und das Verhältnis der Verwaltung zum Bürger, in: Die Öffentliche Verwaltung, 35 (1982). S. 257: „Blieben bislang die Modemisierungsanstrengungen der Verwaltung dem Bürger weitgehend verborgen, werden für ihn nun auch die maschinellen Bestandteile der Computersysteme sichtbar.“ Dadurch, so wurde argumentiert. würden sich die Vorbehalte des Bürgers gegenüber dem „Computer im Amt“ noch verstärken.

  31. Vgl. B. M. Liedtke. Bürgeramt. Computer (Anm. 2), S. 51 ff.

  32. Die Fragen in der Bürgerumfrage waren insofern wertneutral. als sie offen ließen, ob den Befragten ein Sachverhalt angenehm oder unangenehm aufgefallen war. Die Durchsicht der Antworten ließ vermuten, daß diese in aller Regel durchaus anerkennend gemeint waren. Allerdings gab es auch einige prägnante kritische Äußerungen, wie z. B. „etwas persönlichere Raumaufteilung, keine Zunahme an Freundlichkeit beim Personal“. Um nun keinem Trugschluß aufzusitzen, wurden in der Publikumsbefragung 1987 die Besucher des Bürgeramts beim Verlassen des Amtsgebäudes gefragt, was ihnen bei diesem Amtsbesuch angenehm und was ihnen unangenehm aufgefallen war. Die Auswertungen bestätigten die hier referierten Ergebnisse: Die Datensichtgeräte und Arbeitsplatzdrucker wurden von keinem einzigen Besucher kritisch oder anerkennend erwähnt.

  33. Wobei man die Rangfolge der Ausprägungen sehr wohl hätte voraussagen können: Je mehr Erfahrungen mit Ämter und Behörden im allgemeinen oder über das Bürgeramt im besonderen jemand zu haben meint, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er mit „weiß nicht“ antwortet.

  34. Letztlich gaben in Unna bei der Abwägung des persönlichen Interesses des Besuchers, andere Besucher nicht in seine Unterlagen sehen zu lassen, und seinem Interesse zu sehen, was da auf dem Bildschirm geschieht, die räumlichen Gegebenheiten im Amt den Ausschlag. Heute wird immer dann, wenn es der Besucherandrang zuläßt, der Bildschirm dem Besucher zugedreht, der sein Interesse an der Bildschirmarbeit zu erkennen gibt. Aber mancher Besucher möchte wohl gern und traut sich dann doch nicht zu fragen.

  35. 59 % der Befragten der Bürgerumfrage 1986 (31 % der Befragten der Publikumsbefragung 1987) nannten „große“ oder „gewisse“ Bedenken. 66% der Befragten der Publikumsbefragung kannten die Auskunftspflicht der Stadt nicht.

  36. Der Verfasser hatte den Eindruck, daß zumindest seitens der Systementwickler wenig Neigung bestand, die Forderung nach einer aktiven Datenschutzpolitik zu einem Sachproblem werden zu lassen. Eine Konkretisierung der Forderung im Sinne von Gestaltungsvorschlägen wurde von ihnen nie. verlangt. Die Systementwickler, also die Personen, die dafür Sorge zu tragen hatten, daß Maschinen und Programme termingerecht einsatzfähig waren, waren verständlicherweise wenig geneigt, durch eine - aus ihrer Sicht nachträgliche - Ausweitung der Zielfunktion in unbestimmte Richtung das Risiko eines Scheiterns des Vorhabens unkalkulierbar zu erhöhen.

  37. Nach Meinung des Verfassers ein Beispiel für die verbreitete Verhaltenstendenz in der öffentlichen Verwaltung, ein Nichttätigwerden mit dem Hinweis zu rechtfertigen, es würde streng nach Recht und Gesetz verfahren.

  38. Versiegelt wie ein Gehaltsauszug und - genau wie dieser - mal mehr und mal weniger verständlich.

  39. Das Scheingefecht um die behauptete mangelnde Technikakzeptanz durch den Klienten wird heute vor allem in den örtlichen Sozialverwaltungen geführt. Dabei entsteht manchmal der Eindruck, von Verwaltungsmitarbeitern würde die Existenz von Klientcnängstcn behauptet, um von eigenen (Rationalisierungs) -Ängsten abzulenken.

  40. Das öffentliche Interesse sollte sich mehr auf den Verwendungszweck von Informationstechnik als auf die Art „erlaubter“ Technik in Ämtern und Behörden richten. Ein generelles Verbot der Verwendung (privater) Personal-Computer in der öffentlichen Verwaltung, wie vom saarländischen Datenschutzbeauftragten Gerhard Schneider gefordert (vgl. Handelsblatt vom 20. 2. 1989), ist allemal nur eine Verlegen-heitsreaktion. So lassen sich die Probleme nicht auf Dauer lösen.

Weitere Inhalte

Bernd H. Liedtke, Dr. phil., geb. 1941; seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH in Sankt Augustin. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit A. Tepper) Sozialverträglicher Technikeinsatz in der Kommunalverwaltung. Erfahrungen mit einem kommunalen Bürgeramt, München-Wien 1989; Citizen Impact of a Municipal Information System: Some Empirical Evidence, in: Peter Kovacs/Elek Straub (Hrsg.), Governmental and Municipal Information Systems, Amsterdam 1988.