Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Als Recht zu Unrecht wurde. Zur Entwicklung der Strafjustiz im Nationalsozialismus | APuZ 13-14/1989 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 13-14/1989 Als Recht zu Unrecht wurde. Zur Entwicklung der Strafjustiz im Nationalsozialismus Die Justiz in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik Recht und Politik. Zur Theorie eines Spannungsverhältnisses im demokratischen Staat Artikel 1

Als Recht zu Unrecht wurde. Zur Entwicklung der Strafjustiz im Nationalsozialismus

Klaus Bästlein

/ 45 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl nationalkonservativen Justizjuristen (Richter, Staatsanwälte und Juristen in der Justizverwaltung) gingen 1933 eine Zusammenarbeit mit der nationalsozialistischen Staatsführung ein. Innerhalb des Machtgefüges des NS-Staates spielte die Justiz bis zum Tode des Ministers Gürtner (Januar 1941) eine eher passive Rolle: Das Herausbrechen immer Weiterer Teilbereiche staatlichen Handelns aus der Rechtsordnung wurde hingenommen. Erst der geschäftsführende Minister Schlegelberger (1941/42) und der fanatische Nationalsozialist und letzte Justizminister Thierack (ab August 1942) verwandelten die Justiz schließlich in ein aggressives Instrument nationalsozialistischer Menschen-Vernichtung. Die Institutionalisierung der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes, einige Zuständigkeitsverordnungen und das hastig zusammengeschusterte „Kriegsstrafrecht“ reichten für die Auflösung des hergebrachten Normen-Systems aus. Hinzu traten die Konsequenzen aus der Lehre vom Tätertyp im Strafrecht, nach der nicht die konkrete Handlung, sondern die Gesinnung von Gesetzesbrechern pönalisiert werden sollte. Das „Kriegsstrafrecht“ wurde so immer stärker von Willkür und Zufall geprägt. Ab 1939 war in der strafrechtlichen Praxis die Tendenz zum „Abgleiten in die Todesstrafe“ unübersehbar, die sich insbesondere nach der Niederlage von Stalingrad 1942/43 noch einmal erheblich zuspitzte. Der allergrößte Teil der insgesamt mindestens 16 000 Todesurteile der . ordentlichen'Strafjustiz wurde von Sondergerichten und dem Volks-gerichtshof verhängt. Die Verantwortung der Richter und Staatsanwälte für den Justizterror entzieht sich monokausalen Erklärungen. Zwar wurde im Rahmen der „Lenkung“ der Rechtsprechung teilweise erheblicher Druck ausgeübt; aber abweichende Urteile konnten — wenn man dies gewollt hätte — doch stets unter Hinweis auf neue Erkenntnisse während der Hauptverhandlung gerechtfertigt werden. Die Karriere-Hoffnungen jüngerer Richter und Staatsanwälte, die mißverstandene „Pflichterfüllung“ vieler älterer Justizjuristen sowie regionale Besonderheiten sind bei der Analyse der NS-Justiz stärker als bisher zu berücksichtigen.

Am Ende der nationalsozialistischen Herrschaft stand auch eine erschütternde Justiz-Bilanz: Allein von der . ordentlichen* Strafjustiz waren zwischen 1933 und 1945 mehr als 16 000 Todesurteile verhängt worden. Nicht geringer dürfte die Zahl der von den Kriegsgerichten und anderen besonderen Gerichtsbarkeiten ausgesprochenen Todesstrafen sein. Über 15 000 Justiz-Gefangene waren ab 1942 „zur Vernichtung durch Arbeit“ in die Konzentrationslager überstellt worden. Minister und Staatssekretäre hatten Untersuchungshäftlinge sowie verurteilte Straftäter zur Liquidation an SS und Polizei ausgeliefert. Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte waren zu Gehilfen der Mord-aktionen an Behinderten und Kranken geworden Die deutsche Justiz hatte sich binnen weniger Jahre zu einem Instrument nationalsozialistischer Menschenvernichtung entwickelt.

Vor dem Hintergrund dieser Bilanz stellt sich die Frage nach den Ursachen für die Entwicklung der Justiz zwischen 1933 und 1945 mit besonderer Schärfe. Abschließende Antworten auf diese Frage können hier allerdings schon auf Grund des desolaten Forschungsstandes zur eigentlichen Justiztätigkeit im Nationalsozialismus nicht gegeben werden. Zwar lagen jene Analysen deutscher Emigranten zum nationalsozialistischen Rechtssystem, die bis heute als grundlegend zu ^zeichnen sind, zum Teil schon 1945 vor und in den letzten zwanzig Jahren entstanden auch in der Bundesrepublik eine Reihe weiterführender theoretischer Untersuchungen zur Rechtsfindung im Nationalsozialismus Hinzu traten in jüngster Zeit zudem einige Streitschriften zur nationalsozialistischen Justiz, deren Erkenntnisgewinn freilich eher als gering bezeichnet werden muß Aber: Es fehlt immer noch an fundierten institutions-und organisationsgeschichtlichen Studien Insbesondere Analysen zur Rechtsprechungspraxis und Soziologie der Justiz im Nationalsozialismus sind nach wie vor seltene Ausnahmeerscheinungen Der Mangel an quellenorientierten, empirisch angelegten und differenzierten Untersuchungen zur eigentlichen Justiztätigkeit im Nationalsozialismus ist unübersehbar.

Angesichts dieses Forschungsstandes kann im Rahmen des vorliegenden Beitrages lediglich versucht werden, für den Bereich der ordentlichen Strafjustiz einige jener Tendenzen anzudeuten, die Recht zu Unrecht werden ließen. Dabei wird im Abschnitt II zunächst kursorisch auf das Verhältnis von Recht und Politik im Nationalsozialismus eingegangen. Der Abschnitt III ist dann einer knappen Darstellung der normativen und institutioneilen Veränderungen nach 1933 vorbehalten. Den Schwerpunkt der Darstellung bildet im Abschnitt IV die Schilderung von sieben Einzelfällen aus der strafrechtlichen Praxis während des Krieges. Vor diesem Hintergrund soll im Abschnitt V das Verhalten der Richter und Staatsanwälte im Nationalsozialismus kurz thematisiert werden.

II. Recht und Politik im Führerstaat

Im folgenden Abschnitt soll zunächst versucht werden, einige Grundlinien des Verhältnisses von Recht und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus nachzuzeichnen. Dabei können allerdings viele Einzelfragen und Besonderheiten keine Berücksichtigung finden. Auf die in den Anmerkungen genannte weiterführende Literatur sei daher besonders hingewiesen 1. Kontinuität und Wandel 1933/34 Die Bildung des „Kabinetts der nationalen Erhebung“, der Koalition aus NSDAP und Deutsch Nationaler Volkspartei, wurde von der weit überwiegenden Mehrzahl der deutschen Justizjuristen (Richter, Staatsanwälte und Juristen in der Justizverwaltung) offenbar mit Erleichterung aufgenommen. Denn die in der Endphase der Weimarer Republik vieldiskutierte „Vertrauenskrise der Justiz“, die als „ätzend“ empfundene Kritik des Republikanischen Richterbundes an der politisch einseitigen Rechtsprechung (äußerste Schärfe gegen links, wohlwollende Milde gegen rechts) sowie das angebliche „Hineinregieren“ sozialdemokratischer und liberaler Minister in die Justiz sollten nun ein Ende haben. Zwar hielt die große Mehrzahl der Justizjuristen weiterhin Distanz zu den nationalsozialistischen „Proleten“, aber viele karrierebewußte Richter. Staatsanwälte und Ministerialbeamte erklärten noch im März 1933 ihren Beitritt zur NSDAP Dabei prägten Kontinuität und Wandel die Situation der Justiz in den Jahren 1933/34 in besonderer Weise. Sichtbarster Ausdruck der Kontinuität war die Besetzung des Reichsjustizministeriums, an dessen Spitze weiterhin der aus der bayerischen Justiz hervorgegangene, nationalkonservative Justizbeamte Franz Gürtner und der ehrgeizige, aus Königsberg stammende Staatssekretär Franz Schlegelberger standen. Zu Zentren der Veränderung wurden dagegen die Landesjustizministerien, wo 1933/34 überzeugte Nationalsozialisten wie Hanns Kerri und Roland Freisler in Preußen, Georg Thierack in Sachsen und Hans Frank in Bayern die Führungspositionen innehatten, politische „Säuberungen“ durchführten und personelle Umbesetzungen vornahmen Binnen weniger Monate erfolgte die Entlassung der wenigen sozialdemokratischen und liberalen Richter und Staatsanwälte, und bis 1936 mußten auch die Juristen jüdischer Herkunft ausscheiden.

Mit Fritz Fischer könnten die Geschehnisse des Jahres 1933 also als ein „Bündnis der Eliten“ bezeichnet werden Die in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl nationalkonservativen Justizjuristen gingen auf eine Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern ein. Aber es handelte sich um eine lediglich einseitige Bindung der Justiz an die nationalsozialistische Führung: Die neuen Machthaber waren zwar durchaus an der juristischen Legitimation ihrer Herrschaft interessiert, aber Recht und Gesetz waren ihnen ebenso verhaßt wie der Beruf des Juristen. An die Stelle der zerstörten Weimarer Verfassungsordnung durfte keine neue Verfassung treten. Jede Normierung hätte den Willen des „Führers“ begrenzen können. Und gerade der bloße „Führerwille“ sollte fortan frei und ungebunden über Recht und Gesetz stehen. Das bekamen schon bald die Spitzen der deutschen Justiz und im weiteren Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft auch die Richter und Staatsanwälte bitter zu spüren. Ihre Ergebenheit wurde den deutschen Justizjuristen also nicht gedankt. Durch den „Großdeutschen Reichstag“ ließ Hitler am 26. April 1942 sogar die richterliche Unabhängigkeit endgültig beseitigen 2. Die Ära Gürtner 1935— 1941 Organisatorisch hatten sich schon durch die bis Anfang 1935 abgeschlossene „Verreichlichung" der Justizwichtige Veränderungen ergeben. Die Landes-justizministerien waren aufgelöst und ihre Befugnisse auf das Reichsjustizministerium übertragen worden, an dessen Spitze weiterhin Minister Gürtner und Staatssekretär Schlegelberger standen, zu denen sich allerdings nun als zweiter und für die Strafjustiz zuständiger Staatssekretär Roland Freisler gesellte. Das Reichsjustizministerium nahm innerhalb des Machtgefüges des NS-Staates auch während der folgenden Jahre nicht die Rolle einer treibenden Kraft ein. Es wurde vielmehr versucht, den Wünschen Hitlers und seines näheren Umfeldes zu entsprechen. Dennoch waren Konflikte mit den Paladinen des „Führers“ und vor allem den Organen von SS und Polizei unvermeidlich und an der Tagesordnung. Die Auseinandersetzungen verliefen dabei stets nach einem gleichartigen Muster: Das Reichsjustizministerium versuchte zunächst, bestimmte rechtliche Positionen durchzusetzen, trat aber dann regelmäßig den Rückzug an, wenn Hitlers Zustimmung zu ungesetzlichen Maßnahmen erkennbar wurde So trug schon das „Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr“ vom 3. Juli 1934, mit dem die Morde im Zuge der „RöhmAktion“ legalisiert wurden, auch die Unterschrift Minister Gürtners. Im Zuge der besonders langanhaltenden Auseinandersetzungen um die Strafverfolgung von in den Konzentrationslagern verübten Gewaltverbrechen kapitulierte die Justiz stets aufs neue vor der SS. Das System der Konzentrationslager galt schließlich de facto als „exterritorial“. Eine Strafverfolgung der bei den Judenpogromen am 9. /10. November 1938 verübten Verbrechen unterblieb ebenfalls. Und als Hitler ab September 1939 die Herausgabe von Untersuchungs-Häftlingen und rechtskräftig Verurteilten zur Liquidation verlangte, kamen Justizminister Gürtner und Staatssekretär Schlegelberger auch dieser Forderung nach So wurden immer weitere Teilbereiche staatlichen Handelns aus der Rechtsordnung her-ausgebrochen. 3. Das Interregnum Schlegelbergers 1941/42 Bis Januar 1941 hatte das Reichsjustizministerium in diesem Prozeß eine eher zurückhaltende Rolle gespielt und in der Regel nur auf die Zumutungen der nationalsozialistischen Machthaber reagiert. Das sollte sich jedoch nach dem Tode Gürtners rasch ändern, denn der ehrgeizige Staatssekretär Schlegelberger, der nun als geschäftsführender Justizminister amtierte, wurde auch von sich aus aktiv und wollte Handlungsspielräume für die Justiz zurückgewinnen. Zunächst machte er die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte am 23724. April 1941 bei einer Konferenz in Berlin mit den Mordaktionen an Behinderten und Kranken vertraut und sorgte dafür, daß die Justiz fortan Beihilfe bei der Durchführung des Mordprogramms leistete Sodann widmete sich Schlegelberger gemeinsam mit Roland Freisler der Strafverfolgung von Polen, in die von den Organen der SS und Polizei immer häufiger durch Exekutionen eingegriffen wurde. Am 4. Dezember 1941 erging schließlich die berüchtigte „Polenstrafrechtsverordnung“, die Polen und Juden unter Sonderrecht stellte und den Höhepunkt rassistischer Diskriminierung auf strafrechtlichem Gebiet markierte Darüber hinaus befaßte sich Schlegelberger 1942 mit besonderem Nachdruck mit Fragen der Justizlenkung, um die von Hitler verlangte schärfere Bestrafung krimineller Täter durchzusetzen. 4. Unter der Ägide Thierack 1942— 1945 Schlegelberger wurde sein Einsatz allerdings nicht gedankt. An seiner Stelle ernannte Hitler am 20. August 1942 den ehemaligen sächsischen Justizminister und Präsidenten des Volksgerichtshofes, Georg Thierack, zum Reichsjustizminister. Gleichzeitig rückte der Hamburger Oberlandesgerichtspräsident Rothenberger zum neuen Staatssekretär auf, während Roland Freisler als Präsident an den Volksgerichtshof wechselte. Mit Georg Thierack stand erstmals ein fanatischer Nationalsozialist an der Spitze der deutschen Justiz. Sein justizpolitisches Programm sah vor allem eine rigorose Steuerung der Rechtsprechung, eine enge Zusammenarbeit mit den Organen von SS und Polizei, die Schaffung eines homogenen nationalsozialistischen „Richterkorps“ und die Übernahme „rasse-und sozialhygienischer“ Aufgaben durch die Justiz vor Mit großer Rücksichtslosigkeit setzte Thierack insbesondere seine personalpolitischen Vorstellungen durch. Noch im Herbst 1942 mußten zahlreiche führende Mitarbeiter des Reichsjustizministeriums ihre Posten räumen und unter einem Vorwand wurde im Januar 1944 auch Staatssekretär Rothenberger entlassen, an dessen Stelle Herbert Klemm trat, den Thierack schon 1933/34 in Sachsen zu seinem persönlichen Referenten gemacht hatte.

Wie Georg Thierack sein justizpolitisches Programm umsetzte, zeigte bereits sein erstes Gespräch mit Heinrich Himmler am 18. September 1942, bei dem vereinbart wurde, daß „Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von den ordentlichen Gerichten . . . abgeurteilt werden sollen, sondern durch den Reichsführer-SS erledigt werden“. Darüber hinaus kam man überein, daß mehr als 15 000 Justiz-Gef September 1942, bei dem vereinbart wurde, daß „Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von den ordentlichen Gerichten . . . abgeurteilt werden sollen, sondern durch den Reichsführer-SS erledigt werden“. Darüber hinaus kam man überein, daß mehr als 15 000 Justiz-Gefangene „zur Vernichtung durch Arbeit“ in die Konzentrationslager überstellt werden sollten 17). Intern richtete Thierack seine Aufmerksamkeit vor allem auf immer massivere Maßnahmen zur Justizlenkung. Daneben widmete er sich der Bekämpfung des in der zweiten Kriegs-hälfte wieder anwachsenden politischen Widerstands und der zunehmenden regimekritischen Äußerungen. Einer weiteren Umsetzung des justizpolitischen Programms — vor allem auf personalpolitischem Gebiet — stand allerdings der Kriegsverlauf mit seinen verstärkten Einberufungen entgegen: Ab Mitte 1944 ging es praktisch nur noch darum, wenigstens den Geschäftsbetrieb der Strafjustiz notdürftig aufrecht zu erhalten.

III. Normative und institutioneile Veränderungen

Die 1933 einsetzenden normativen und institutionellen Veränderungen auf strafrechtlichem Gebiet hatten sich bereits während der Weimarer Republik mit dem „Kampf gegen das liberale Strafrecht“ angekündigt. Nicht mehr das positiv normierte Recht, sondern der Irrationalismus „völkischen Rechtsdenkens“ sollte für die nach 1933 bald „unbegrenzte Auslegung“ der gesetzlichen Vorschriften maßgeblich sein. Angestrebt wurde die Durchsetzung des nationalsozialistischen „Führerprinzips“ und des Grundsatzes „völkischer Ungleichheit“. Vor allem die „Juristische Stoßtruppfakultät“ an der Universität Kiel propagierte ein täterorientiertes Willens-strafrecht, das nicht länger auf konkrete Handlungen des Gesetzesbrechers, sondern auf seine Gesinnung abstellte. Am Ende dieser Entwicklung stand die Lehre vom „Tätertyp im Strafrecht“, als deren Motto der Satz galt: „Mörder wird man nicht — Mörder ist man.“ 18) Tatsächlich vollzogen sich Veränderungen wohl nirgendwo so rasch und tiefgreifend wie im Bereich der Strafjustiz. Denn auch der nationalsozialistische Gesetzgeber entfaltete hier bei Änderung von Zuständigkeiten und der Schaffung neuer Spezialnormen bald eine rege Tätigkeit. 1. Die Sondergerichte Zunächst wurden schon durch eine Verordnung vom 21. März 1933 Sondergerichte reinstitutionalisiert, die bereits 1932 — in der Zeit der autoritären Präsidial-Kabinette — für einige Oberlandesgerichtsbezirke bestanden hatten Das Charakteristikum der 1933 in allen Oberlandesgerichtsbezirken eingerichteten Sondergerichte, die mit der Besetzung von drei Berufsrichtern entschieden, lag im „kurzen Prozeß“. So galt für die Sondergerichte ein besonderes Verfahrensrecht, das die Verteidigungsrechte stark einschränkte. Die Tätigkeit der Sondergerichte erstreckte sich bis 1938/39 vor allem auf die Verfolgung „heimtückischer Angriffe auf Staat und Partei“, wobei es in der Hauptsache um regimekritische Äußerungen ging, sowie auf Verfahren wegen der Fortführung verbotener Organisationen. Die Tätigkeit der Sondergerichte stützte sich in dieser Zeit auf eine Reihe neuer strafrechtlicher Spezialnormen, zu denen insbesondere das „Heimtücke-Gesetz“ vom Dezember 1934 zählte 20).

Eine entscheidende Veränderung bedeutete dann die Ausdehnung der Zuständigkeiten der Sonder-gerichte auf nahezu sämtliche strafbaren Handlungen durch zwei Verordnungen vom 20. November 1938 und 1. September 1939 Die Staatsanwaltschaften konnten nun nach freiem Ermessen Anklage vor den Sondergerichten oder bei der ordentlichen Justiz erheben. Sie wurden von der Justizverwaltung allerdings bald angewiesen, nach Möglichkeit alle „beweisklaren“ Sachen vor die Sondergerichte zu bringen. Dies führte ab 1940 dazu, daß weite Bereiche der schweren und mittleren Kriminalität bei den Sondergerichten zur Aburteilung kamen. Hier fanden nun in der Regel Vorschriften des „Kriegsstrafrechts“ Anwendung, zu denen vor allem die Kriegswirtschaftverordnung vom 4. September 1939, die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939, die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939 und das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941 zählten Allen diesen Vorschriften war gemeinsam, daß sie kaum festumrissene Tatbestände enthielten, sondern meist strafschärfend neben die Grunddelikte wie Diebstahl, Betrug oder Raub traten. Aus Einbrechern wurden so in der strafrechtlichen Praxis „Volksschädlinge“, aus Wiederholungstätern „Gewohnheitsverbrecher“ und aus Räubern „Gewaltverbrecher“. Dabei ermöglichte das „Kriegsstrafrecht“ in nahezu allen diesen Fällen auch die Verhängung der Todesstrafe

Darüber hinaus umfaßte das „Kriegsstrafrecht“ eine Vielzahl neuer Vorschriften, durch die politisch motivierte Handlungen pönalisiert werden konnten und für die ebenfalls die Sondergerichte zuständig waren. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die am 26. August 1939 verkündete Kriegssonderstrafrechts-Verordnung mit dem weit ausufernden Tatbestand der „Wehrkraftzersetzung“, die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 und die Wehrschutzverordnung vom 25. November 1939 zu ne August 1939 verkündete Kriegssonderstrafrechts-Verordnung mit dem weit ausufernden Tatbestand der „Wehrkraftzersetzung“, die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 und die Wehrschutzverordnung vom 25. November 1939 zu nennen 24). Auch diese Vorschriften ließen nahezu regelmäßig die Verhängung der Todesstrafe zu. Daneben wurde die Strafverfolgung nach dem „Heimtücke-Gesetz“ fortgesetzt. Hinzu trat schließlich noch die bereits erwähnte „Polenstrafrechtsverordnung“ vom 4. Dezember 1941, die gar keine festumrissenen Tatbestände mehr enthielt 25). 2. Der Volksgerichtshof Neben den Sondergerichten war durch Gesetz vom 24. April 1934 der Volksgerichtshof mit Sitz in Berlin gebildet worden 26). Er verdankte seine Institutionalisierung dem Umstand, daß das Leipziger Reichsgericht im Zuge des „Reichstagsbrandprozesses“ nach Auffassung der nationalsozialistischen Machthaber versagt hatte. Die Kompetenzen des Reichsgerichts im Bereich der Hoch-und Landesverratsdelikte wurden daher 1934 kurzerhand an den Volksgerichtshof übertragen. Die Besonderheit des Volksgerichtshofs lag zunächst vor allem in der Besetzung seiner Senate mit nur zwei Berufs-richtern und drei ehrenamtlichen Beisitzern, die aus dem Kreis zuverlässiger Nationalsozialisten rekrutiert wurden. Wie die Sondergerichte urteilte auch der Volksgerichtshof in erster und letzter Instanz. Schon das Gründungsgesetz enthielt die Vorschrift, daß die Wahl eines Verteidigers der Genehmigung des Gerichts bedurfte. In der Praxis kam es dann bald zu einer weitgehenden Gängelung der Verteidigung und ab 1942 auch zu vielen Verstößen gegen das Prozeßrecht.

Schon 1933 waren zahlreiche Veränderungen bei den Vorschriften über Hoch-und Landesverrat vorgenommen worden, die auf eine Ausweitung der Tatbestände abzielten, strafschärfend wirkten und mit einem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 neu gefaßt wurden Eine abschließende Aufzählung der übrigen Kompetenzen des Volksgerichtshofes enthielt die „Zuständigkeitsverordnung“ vom 21. Februar 1940 In den Folgejahren war vor allem noch die Verordnung vom 29. Januar 1943 von größerer Bedeutung, durch die dem Volksgerichtshof die Zuständigkeit bei der Strafverfolgung von „wehrkraftzersetzenden“ Äußerungen sowie von Fällen der „Wehrdienstentziehung“ nach der Kriegssonderstrafrechts-Verordnung übertragen wurde Der Volksgerichtshof übernahm damit wichtige Kompetenzen aus dem Bereich der Sondergerichte, und insbesondere die Strafpraxis wegen „Wehrkraftzersetzung“ spitzte sich erheblich zu. 3. Die Oberlandesgerichte Bereits in der Weimarer Republik hatte die Möglichkeit bestanden, Verfahren wegen Hoch-oder Landesverrats an die Strafsenate bestimmter Oberlandesgerichte abzugeben, wenn sie „von geringerer Bedeutung“ waren. Auch nach der Errichtung des Volksgerichtshofes wurde an dieser Praxis festgehalten. Über die Abgabe entschied der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof, der die weitere Strafverfolgung dann den Generalstaatsanwaltschaften bei bestimmten Oberlandesgerichten übertrug. Strafsenate für Hoch-und Landesverratssachen, die jeweils für mehrere Oberlandesgerichtsbezirke zuständig waren, bestanden beim Berliner Kammergericht sowie bei den Oberlandesgerichten in Breslau, Dresden, Hamburg, Hamm, Jena, Kassel, Königsberg, München und Stuttgart. Ab 1938 kamen weitere Strafsenate in Österreich und in den „eingegliederten Ostgebieten“ hinzu. Die Strafsenate bei den Oberlandesgerichten entschieden in der üblichen Besetzung mit fünf Berufsrichtern. Nachdem der Volksgerichtshof Anfang 1943 einen Teil der Strafkompetenzen der Sondergerichte übernommen hatte, wurden ebenfalls Verfahren wegen „Wehrkraftzersetzung“ an die Strafsenate bei den Oberlandesgerichten abgegeben 4. Das Reichsgericht Wie bereits dargestellt, hatte das Reichsgericht seine Zuständigkeit in Hoch-und Landesverratssachen 1934 an den Volksgerichtshof verloren. Und da Urteile der Sondergerichte nicht angefochten werden konnten, besaß das Reichsgericht auf dem Gebiet des politischen Strafrechts praktisch keine Entscheidungskompetenzen mehr. Das änderte sich mit der bereits erwähnten „Zuständigkeitsverordnung“ vom 21. Februar 1940, die das Institut der Nichtigkeitsbeschwerde einführte. Danach konnten Strafurteile insbesondere der Sondergerichte binnen eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft vom Oberreichsanwalt beim Reichsgericht durch Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden. Die jeweils regional zuständigen Senate des Reichsgerichts entschieden dann, ob der Nichtigkeitsbeschwerde stattgegeben werden sollte. War dies der Fall, so konnte das Reichsgericht die Sache entweder selbst entscheiden oder sie zurückverweisen. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle wurde die Nichtigkeitsbeschwerde zuungunsten der Verurteilten erhoben. Gerade in Verfahren auf Grund des „Kriegsstrafrechts“ verhängten die Senate des Reichsgericht immer wieder selbst die Todesstrafe

IV. Aus der strafrechtlichen Praxis während des Krieges

Im folgenden soll an Hand von sieben Einzelfällen aufdie Konsequenzen der im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen normativen und institutioneilen Veränderungen in der strafrechtlichen Praxis eingegangen werden. Dabei muß hinsichtlich der nachstehend wiedergegebenen Einzelfälle zunächst darauf hingewiesen werden, daß es sich keineswegs um eine repräsentative Auswahl handelt. Das gilt schon deshalb, weil nur Verfahren aus den letzten Kriegsjahren dargestellt werden, in denen sich die Strafpraxis noch einmal zuspitzte. Zudem konnten lediglich Vorgänge aus dem nord-und mitteldeutschen Raum Berücksichtigung finden, die sich natürlich nicht ohne weiteres auf Geschehnisse in den anderen Regionen des ehemaligen Deutschen Reiches übertragen lassen. Es wäre daher auch verfehlt, die im folgenden geschilderten Fälle kurzerhand als „exemplarisch“ oder „paradigmatisch“ zu betrachten. 1. Taschendiebstahl als „gefährliches Gewohnheitsverbrechen“

Im Gedränge des Kaufhauses Karstadt am Berliner Hermannplatz wurde am 27. Mai 1943 einer Rentnerin ein Portemonnaie mit 16. 50 Reichsmark aus der Handtasche gestohlen Als Täterin konnte kurz darauf die 43jährige Maschinenarbeiterin Nelly Gethe aus Berlin-Kreuzberg festgenommen werden. Es stellte sich heraus, daß sie noch verschiedene Lebensmittelkarten und Ausweise mit sich führte, die als gestohlen oder vermißt gemeldet waren, und bei den weiteren Ermittlungen erwies sich bald, daß sie bereits mehrfach einschlägig vor-bestraft war. So hatte das Amtsgericht Berlin-Mitte Nelly Gethe zwischen 1924 und 1926 viermal wegen Taschendiebstahls zu Strafen zwischen drei und elf Monaten Gefängnis verurteilt. Auch in den Jahren 1929-1932 beging Nelly Gethe mehrfach Taschen-diebstähle, wurde jedoch auf Grund ihrer kleptomanischen Veranlagung regelmäßig freigesprochen. Erst als sie erneut einen Taschendiebstahl verübte, wurde sie wieder verurteilt. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ lautete die Strafe nun auf 20 Monate Zuchthaus und fünfJahre Ehrverlust. Am 16. Februar 1938 stand Nelly Gethe dann vor dem Landgericht Berlin, das sie zu neun Monaten Gefängnis verurteilte und ihre Unterbringung in einer Anstalt anordnete, aus der sie schließlich am 14. Dezember 1940 entlassen wurde. Dieses in der Anklageschrift gegen Nelly Gethe vom 4. August 1943 detailliert wiedergegebene Vorstrafenregister ist von besonderem Interesse, weil es verdeutlicht, wie massiv sich die Strafpraxis auch im Bereich der Kleinkriminalität nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ verschärfte.

Die Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin, Anklagebehörde beim dortigen Sondergericht, war offenbar von vornherein entschlossen, im Fall Nelly Gethe ein Exempel zu statuieren, und forderte schon in der Anklageschrift „ihre Ausmerzung aus der Gemeinschaft“, „in der sie auf Lebenszeit ein schädliches Mitglied bleiben würde“. Am 6. September 1943 fand vor dem Berliner Sonder-gericht I die Hauptverhandlung gegen Nelly Gethe statt. Der Angeklagten wurden zunächst der Taschendiebstahl im Kaufhaus Karstadt am 27. Mai 1943 sowie fünf vorausgegangene Taschendiebstähle von Lebensmittelkarten und Ausweispapieren nachgewiesen. Anschließend hörte das Gericht einen psychiatrischen Gutachter, der die Angeklagte als „schwere Psychopathin“ bezeichnete, -die... bei sich bietender Gelegenheit alles stiehlt, was sie nur irgendwie gebrauchen kann“. Während der Offizialverteidiger nichts für seine Mandantin unternahm und im Schlußplädoyer sogar die Entscheidung über das Strafmaß „dem Ermessen des Gerichts“ überließ, beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Todesstrafe.

Das Sondergericht entsprach diesem Antrag. In der achtseitigen schriftlichen Urteilsbegründung wurde nur mit zehn Zeilen auf den Lebensweg der Angeklagten eingegangen, das Vorstrafenregister aber über volle drei Seiten ausführlich wiedergegeben. Im entscheidenden Absatz des Urteils hieß es dann:

Da die im vierten Kriegsjahr begangenen Straftaten von großer Verworfenheit und Gemeinheit der Angeklagten zeugen, die nicht davor zurückschreckt, Volksgenossinnen in hinterhältiger Weise Lebensmittelkarten, Bezugsausweise und Geld aus offenen Einkaufstaschen zu stehlen, um sich so völlig ungerechtfertigte Vorteile vor der Allgemeinheit zu verschaffen, verlangt der Schutz der Volks-gemeinschaft und das Bedürfnis nach gerechter Sühne, daß die Angeklagte aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen wird. Die Angeklagte war daher gemäß § 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4. September 1941 zum Tode zu verurteilen. Von der Möglichkeit, die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gern. § 51, Abs. 2 RStGB zu mildem, hat das Gericht bei dieser haltlosen, für die Gemeinschaft gefährlichen und nicht mehr besserungsfähigen Verbrecherin keinen Gebrauch gemacht.“

Mit keinem Wort ging das Sondergericht auf die Strafmilderungsgründe ein, die zugunsten der Angeklagten sprachen. Insbesondere blieb der ausgesprochen schwierige Lebensweg Nelly Gethes unberücksichtigt, die als uneheliches Kind geboren wurde, sich schon früh als Fabrikarbeiterin, Verkäuferin und Bardame durchschlagen mußte und 1937 vom plötzlichen Tod ihres Ehemanns hart getroffen wurde. Nicht einmal das vom Gericht selbst angeforderte psychiatrische Gutachten fand Berücksichtigung, obwohl die Angeklagte, als sie die Taschendiebstähle beging, ja nur bedingt oder gar nicht zurechnungsfähig war. Allerdings deuten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die Passivität des Offizialverteidigers und das Verhalten des Sonder-gerichts darauf hin, daß der Hauptverhandlung entsprechende Weisungen und Absprachen vorausgegangen waren, zumal das Reichsjustizministerium gerade in Berlin immer wieder auf Verfahren vor dem Sondergericht Einfluß nahm Und so hatte auch ein Gnadengesuch der Verurteilten keine Chance. Am 24. September 1943 wurde sie im Hinrichtungsschuppen der Strafanstalt Plötzensee mit dem Fallbeil getötet. 2. „Das Gerechtigkeitsgefühl“ gebietet gegen „Postmarder“ die Todesstrafe Seit Oktober 1941 war der 61jährige Albin Berlin beim Hamburger Postamt 7 im Paketdienst beschäftigt, wo er Sendungen zu sortieren und umzuschlagen hatte Dabei kam es auf Grund der kriegsbedingten schlechten Verpackung immer wieder vor, daß Sachen aus den Päckchen heraus-fielen. Seit etwa Juni/Juli 1942 konnte Albin Berlin der Versuchung nicht widerstehen, lose daliegende Lebensmittel und Rauchwaren einzustecken. Seine Ehefrau war schwer an Krebs erkrankt und siechte in der gemeinsamen Wohnung dahin. Albin Berlin versuchte, ihr auch durch die Zuwendung von Le-bensmitteln aus seinen eigenen Rationen zu helfen. Einen gewissen Ausgleich konnte er sich durch die Diebstähle am Arbeitsplatz verschaffen. Am 17. November 1943 erfolgte seine Festnahme. Am 6. Juni 1944 fand vor dem Hanseatischen Sondergericht die Hauptverhandlung gegen Albin Berlin statt. Er räumte seine Taten reuemütig ein, und das Sondergericht kam zu der Feststellung, daß er sich durch seine Handlungsweise in zwei Fällen (Juni/Juli 1942 bis Februar 1943 und September bis November 1943) des Diebstahls (§ 242 RStGB) schuldig gemacht habe. In der Urteilsbegründung hieß es dann weiter: „Der Angeklagte wird durch seine Tat auch als typischer Volksschädling gekennzeichnet und verdient eine schwere Strafe. Seine Handlungsweise ist geeignet, das allgemeine unentbehrliche Vertrauen zur Zuverlässigkeit der Deutschen Reichspost... zu untergraben und damit die Festigkeit der inneren Front zu erschüttern. . . . Gerade in Anbetracht des Umfanges und der Dauer seiner Verfehlungen hat das Gericht sehr ernsthaft die Frage geprüft, ob die Tat dieses Angeklagten nur noch mit der Todesstrafe ausreichend gesühnt werden kann.“ Doch letztlich hielt die ansonsten als besonders „scharf“ bekannte Kammer 1 des Hanseatischen Sondergerichts Albin Berlin die Hilfe für die schwerkranke Ehefrau, seine schwierige Lebenssituation und die insgesamt eher geringen Mengen gestohlener Lebens-und Genußmittel zugute. Das Urteil lautete daher „nur“ auf fünf Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust. Damit war der Oberreichsanwalt beim Reichsgericht jedoch nicht einverstanden und legte Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ein. Am 7. November 1944 trat daraufhin der 4. Strafsenat des Reichsgerichts zusammen, um erneut gegen Albin zu verhandeln. An den Feststellungen des Hanseatischen Sondergerichts wurde keine Kritik geübt. Gleichwohl erfolgte eine Aufhebung des Urteils, und das Reichsgericht setzte auch gleich selbst ein neues Strafmaß fest. Dabei gab sich der 4. Strafsenat mit einer zweiseitigen Begründung keine besondere Mühe. Es hieß dort im wesentlichen nur:

„Volksschädlingen von der Art des Angeklagten muß schärfstens entgegengetreten werden. Das Gerechtigkeitsgefühl des Volkes und die Rücksicht auf seine Wohlfahrt gebieten in diesem Fall die Todesstrafe.“ Albin Berlin wurde kurz darauf hingerichtet. 3. Polenstrafrecht: „Die Ehre des deutschen Volkes frech verhöhnt..

Der Schneider Bronislaw Duda aus der Umgebung Krakaus war im September 1939 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten Von der Wehrmacht wurde er kurzerhand zum „Zivilarbeiter" erklärt und nach Dithmarschen, an die Westküste Schleswig-Holsteins, in Marsch gesetzt. Dort mußte Bronislaw Duda gemeinsam mit einem weiteren Polen auf einem Bauernhof arbeiten. Spannungen zwischen dem zum Betriebsführer aufgestiegenen Landarbeiter W. und seinen beiden polnischen Untergebenen, die er meist als „Schweine“ oder „Lumpen“ titulierte, waren an der Tagesordnung. Im Oktober 1942 eskalierten die Streitereien: Nach einem erregten Wortwechsel und gegenseitigem Geschubse gingen W. und Duda mit Forken aufeinander los. Der Deutsche lag kurz darauf mit einer Kopfverletzung blutend am Boden. Er wurde von den beiden Polen sofort zur Hofstelle gebracht und dort von einem Arzt versorgt. Schon bald war die Kopfverletzung wieder verheilt.

Bronislaw Duda wurde kurz darauf verhaftet und vor dem Sondergericht Kiel angeklagt. Am 15. Januar 1943 fand in Neumünster die Hauptverhandlung gegen ihn statt. Dabei stand nun Aussage gegen Aussage: Der Dithmarscher Landarbeiter nämlich behauptete, daß Duda auf freiem Feld die Arbeit verweigert habe und, zur Rede gestellt, handgreiflich geworden sei. Duda dagegen erklärte, daß er von dem Deutschen beschimpft und mit der Forke geschlagen worden sei, worauf er sich lediglich verteidigt habe. Ohne den einzigen unbeteiligten Zeugen, nämlich den zweiten polnischen „Zivilarbeiter“, gehört zu haben, kam das Sondergericht bei der Bewertung der widersprüchlichen Aussagen kurzerhand zu folgendem Schluß: Die „Einlassung des Angeklagten ist innerlich von vornherein unglaubwürdig und wird durch die glaubhafte, eidliche Aussage des Zeugen W. widerlegt“. Also wurde festgestellt, daß der Pole eine gefährliche Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 223a RStGB begangen habe.

In der schriftlichen Urteilsbegründung führte das Sondergericht weiter aus: „Der Angeklagte ist Angehöriger eines Volkstums, das . . . insbesondere bei der Verfolgung der Volksdeutschen eine erhebliche Gehässigkeit gegen das Deutschtum und eine maßlose Grausamkeit gezeigt und dem deutschen Volk schweres Leid zugefügt hat. . . Der Angeklagte hätte demnach allen Anlaß gehabt, sich anständig und gesetzmäßig zu verhalten und fleißig zu arbeiten. Stattdessen hat er durch seine Straftat die Großmütigkeit des deutschen Volkes aufs schwerste mißachtet und den Frieden des bäuerlichen Betriebes aufs schwerste gestört. Darüber hinaus hat er durch seine Tat die Ruhe und Sicherheit der vom Kriege betroffenen deutschen Volksgemeinschaft stark gefährdet, die Ehre des deutschen Volkes frech verhöhnt und dadurch die gerechte Empörung und Verbitterung der volksbewußten Volksgemeinschaft herbeigeführt . . . Nach alledem erfordern das Verlangen nach gerechter Sühne sowie das Schutzbedürfnis des deutschen Volkes die Todes-B strafe. Auf diese war gemäß III Abs. 2 der Polenstrafrechtsverordnung zu erkennen.“

Duda wurde anschließend in das Hamburger Untersuchungsgefängnis überführt, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Hier verfaßte er am 12. Februar 1943 eine „Berufungs-Appellation“, in der er erneut seine Unschuld beteuerte und darum bat. doch den Polen, mit dem er gemeinsam gearbeitet hatte, zu vernehmen. Erst jetzt sah sich die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel veranlaßt, den einzigen unbeteiligten Zeugen jenes Vorfalls zu hören, derzur Verhängung des Todesurteils geführt hatte. Dessen Aussage stimmte weitgehend mit den Angaben Dudas überein. Den Staatsanwälten kamen nun wegen der bevorstehenden Hinrichtung offenbar doch Bedenken, jedenfalls ließen sie Duda nahelegen, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen.

Das weitere Schicksal Dudas konnte bislang nicht geklärt werden. Die Befreiung dürfte er allerdings kaum mehr erlebt haben. Denn selbst wer als Pole 1943 der justizförmigen Ermordung entging, wurde in der Regel an die Gestapo überstellt. Und das bedeutete den langsamen, qualvollen Tod im Konzentrationslager. 4. „Heimtücke“: Der „Führer“ als „Teppichbeißer“

Auf Grund einer Denunziation kam die Staatspolizeileitstelle Potsdam im August 1942 einer Bibliotheksinspektorin der Berliner Reichstagsverwaltung auf die Spur, die geäußert haben sollte, „daß der Führer sehr aufgeregt sei und sich schon vor Erregung auf den Teppich geworfen . . . habe“ Die Bibliotheksinspektorin sagte aus, daß ihr der in der Reichstagsbibliothek beschäftigte Regierungssekretär Max Backhaus von den „Erregungszuständen“ des „Führers“ berichtet habe. Der 56jährige Backhaus wurde daraufhin am 23. September von Beamten der Staatspolizeileitstelle Berlin vernommen. Er gab die inkriminierte Äußerung ebenfalls zu und wurde nach seiner Vernehmung wegen der zu erwartenden „hohen Strafe“ in Untersuchungshaft genommen, während die Bibliothekarin der Reichstagsbibliothek, deren Vater als Senatspräsident beim Kammergericht fungierte, auf freiem Fuß bleiben konnte.

Allerdings ließ die Anklageerhebung auf sich warten. Nachdem sich die Kriminalpolizei und der Amtsvorsteher am Wohnort von Backhaus positiv über ihn geäußert hatten, wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen. Erst am 9. April 1943 er-38 hob die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin nach § 1 des „Heimtücke“ -Gesetzes Anklage, und am 5. Mai fand die Hauptverhandlung vor der Kammer III des Sondergerichts Berlin statt. Seitens der Reichstagsverwaltung waren ein Ministerialdirigent, ein Oberregierungsrat, ein Bibliotheksdirektor und ein Bibliotheksrat erschienen, um für die Angeklagten auszusagen. Darüber hinaus stand der bereits erwähnte Senatspräsident als Zeuge für seine Tochter zur Verfügung. Der Staatsanwalt beantragte, Backhaus mit acht Monaten und die Bibliotheksinspektorin mit sechs Monaten Gefängnis zu bestrafen. Die Verteidigung plädierte auf eine mit der Untersuchungshaft als verbüßt anzusehende Gefängnisstrafe für Backhaus und auf eine Geldstrafe für die Bibliotheksinspektorin.

Das Urteil entsprach dem Strafantrag des Staatsanwalts. Hinsichtlich der „heimtückischen“ Äußerungen führte das Sondergericht aus: „Daß die Erzählung von angeblichen Erregungszuständen des Führers . . .frei erfunden ist, bedarf keiner Ausführung. Sie dient offensichtlich nur dazu, den Führer als einen kranken und unbeherrschten Menschen hinzustellen, der den Anforderungen, die die Führung des von ihm geschaffenen Großdeutschen Reichs an ihn stellt, nicht gewachsen ist, und damit das Vertrauen in die Richtigkeit seiner Maßnahmen zu erschüttern. Daß solche Gerüchte dazu angetan sind, das Wohl des Reiches und das Ansehen der Reichsregierung sowie der NSDAP schwer zu schädigen. versteht sich von selbst.“ „Zum Zwecke einer angemessenen Sühne“ und „im Interesse der Abschreckung“ seien die verhängten Gefängnisstrafen erforderlich.

Allerdings ging die Strafvollstreckung für die beiden Verurteilten glimpflich ab. Zunächst war das Gericht nämlich schon einen Tag nach der Hauptverhandlung gebeten worden, „im Interesse des Ansehens der Reichstagsverwaltung . . . von einer Bekanntmachung der . . . erkannten Strafen in der Presse absehen zu wollen“. In den folgenden Wochen setzten sich zudem verschiedene Instanzen der Reichstagsverwaltung weiterhin mit Eingaben und positiven Beurteilungen für eine Begnadigung der beiden Verurteilten ein. Tatsächlich machte der Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin daraufhin von der Möglichkeit Gebrauch, die verhängten Gefängnisstrafen auf drei Jahre zur Bewährung auszusetzen. 5. Berichte über den Judenmord als „Wehrkraftzersetzung“

Ein Büroangestellter der Gemeindeverwaltung Hamburg war 1943 nach Weißrußland in das „Reichskommissariat Ostland“ abgeordnet worden, um dort bei der Aushebung von Arbeitskräften für die deutsche Kriegswirtschaft zu hel11 fen Als er sechs Monate später nach Hamburg zurückkehrte, hatte er sich in seinem Verhalten völlig verändert. Im Freundes-und Verwandten-kreis berichtete er immer wieder „von Partisanen-kämpfen, von seinem Revolver, von der Umzingelung eines Dorfes durch die SS“, beteuerte allerdings, selbst „nie Kämpfe mitgemacht oder jemand erschossen“ zu haben. Ende Februar 1944 wurde er vom Dienststellenleiter gefragt, wie er über die Kriegslage denke. Nun brach es aus ihm heraus: „Der Krieg sei für uns verloren. Es würde sich noch rächen, daß deutsche Verbände in Litauen etwa 26 000 Juden erschossen hätten.“ Sämtliche Partei-genossen würden nach der Niederlage für die in Rußland verübten Verbrechen erschossen. „Das sei noch gar nichts, im Verhältnis zu dem, was von uns in Rußland erschossen worden sei. Dort seien mehrere Massengräber von je mehreren tausend Juden, die von der SS umgelegt worden wären. Kattyn sei gar nichts dagegen.“

Der Büroangestellte wurde kurz darauf in Untersuchungshaft genommen und vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht wegen „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt. Die Hauptverhandlung fand am 10. November 1944 statt. Der Angeklagte erklärte, daß er durch die Überanstrengung beim „Osteinsatz“ nervenschwach geworden sei und sein Gedächtnis versage. Er könne sich daher nicht erinnern, vom Judenmord berichtet zu haben. Anschließend führte der Bruder seiner Ehefrau aus, daß der Angeklagte sich seit dem „Osteinsatz“ in seinem Wesen stark verändert habe; er habe allerdings schon früher „leicht geweint“ und sei „sehr weich gewesen“. Daraufwurde ein psychiatrischer Gutachter gehört. Der bestätigte, daß der Angeklagte möglicherweise an einer Depression gelitten habe und noch darunter leide, bezeichnete ihn aber doch als strafrechtlich voll verantwortlich. Damit wurde die Beweisaufnahme geschlossen.

In der Urteilsbegründung bewertete der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts das Ergebnis der Beweisaufnahme folgendermaßen: „In den nachgewiesenen Äußerungen liegt der Versuch, die Partei-und Volksgenossen in dem Glauben an den guten Sinn, die Gerechtigkeit und den Erfolg des deutschen Kampfes zu erschüttern und sie zu kleinmütig berechnender Treulosigkeit gegenüber der Reichsführung und charakterloser Anpassung an eine vermeintlich sich ankündigende Veränderung der Verhältnisse und Rache der Juden zu verleiten. In einem derartigen Verhalten liegt ein hinterhältiger Angriff auf den völkischen Willen zu wehrhafter Selbstbehauptung ... Der Angeklagte ist hiernach schuldig, öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen versuchtzu haben.“ Allerdings nahm das Oberlandesgericht einen minder schweren Fall von „Wehrkraftzersetzung“ an, da „der Angeklagte . . . doch zweifellos in seinem Denken und Fühlen als abartig auffällt und infolge der Maßlosigkeit seiner Bemerkungen von seinen Hörem alsbald richtig eingeschätzt worden ist“. Das Strafmaß gegen den Büroangestellten lautete auf drei Jahre Zuchthaus. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß er die NS-Herrschaft überlebte. 6. „Ein ausgesprochener Staatsfeind“ vor dem Volksgerichtshof Am 12. August 1944 machte der 48jährige Kammermusiker Ernst Fink seiner Verärgerung überdie Schließung der Schauspielhäuser und Theater im Zuge des „totalen Kriegseinsatzes“ Luft Er schnitt im Stadttheater Erfurt, wo er beschäftigt war. aus zwei Führerbildern die Köpfe heraus. Zwar ersetzte Fink die Führerbilder nach einigen Tagen heimlich durch neue, aber seine Tat war nicht unbemerkt geblieben. Die Ermittlungen der Geheimen Staatspolizei führten bald auf die Spur des Kammermusikers. Bei einer Hausdurchsuchung wurde belastendes Material sichergestellt.

Am 14. Dezember 1944 stand Fink als Angeklagter vor dem 3. Senat des Volksgerichtshofes. In der gerade eineinhalbseitigen Urteilsbegründung führte das Gericht, nachdem es den Lebensweg des Angeklagten mit fünf Zeilen abgehandelt hatte, im Zusammenhang mit den bei der Haussuchung beschlagnahmten Unterlagen aus: „Fink ist ein ausgesprochener Staatsfeind. Seine Gesinnung ergibt sich eindeutig aus einem bei ihm vorgefundenen Zeitungsbericht über die Verhandlung gegen die Verräter vom 20. Juli 1944, den er mit handschriftlichen Bemerkungen versehen hat. Er bezeichnet darin die Verräter als .deutsche Patrioten 1, als , wahrheits-und vaterlandsliebend', als, Helden und mutige Männer'und ihr gemeinsames Verbrechen als . Heldentat', . kühne Tat'und als . kühnste Tat der deutschen Geschichte'. Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof nennt er ein . unwürdiges Kasperletheater', die Richter und den Oberreichsanwalt . Hakenkreuzverbrecher'bzw. . Kriegsverbrecher'und das Urteil einen . brutalen Mord'.“ Damit war im Grunde bereits das Urteil über Fink gesprochen, denn Kritik an der eigenen Verhandlungsführung und Rechtsprechung war für Mitglieder des Volksgerichtshofes unerträglich. Allerdings handelte es sich bei den Aufzeichnungen Finks ja um Unterlagen, die er nicht öffentlich gemacht hatte und die daher im Rahmen einer Verurteilung wegen „Wehrkraftzersetzung“ nicht herangezogen werden konnten. So mußte zusätzlich noch der am Wohnort des Angeklagten aktive Blockleiter gehört werden, der aussagte. Fink habe ihm erklärt, „erst müsse Hitler weg und wir müßten eine andere Regierung haben, und dann müßten wir kapitulieren“. Zwar bestritt Fink diese Äußerung, aber der Volksgerichtshof hielt ihn dennoch für überführt. Die Zerstörung der Führerbilder konnte Fink ohnehin nicht leugnen. Und so kam der Volksgerichtshof zu folgendem Urteil: „Auf Wehrkraftzersetzung steht die Todesstrafe. Ein minder schwerer Fall, der eine mildere Strafe rechtfertigen würde, liegt bei dem Angeklagten nicht vor. Die Schwere der Tat und die staatsfeindliche Gesinnung des Täters machen die Todesstrafe um der Sicherheit des Reiches willen erforderlich. Der Senat hat den Angeklagten daher zum Tode verurteilt . . .“ Dasweitere Schicksal Emst Finks ist unbekannt. Es ist aber wahrscheinlich, daß das Todesurteil bis Kriegsende noch vollstreckt wurde. 7. Der Widerstand: „Unverbesserlich und unbelehrbar“

Am 5. September 1944 standen der 40jährige Kraftfahrer Anton Saefkow, der 37jährige Schlosser Franz Jacob und der 49jährige Feinmechaniker Bernhard Bästlein vor dem Volksgerichtshof in Berlin Ihnen wurde vorgeworfen, als kommunistische „Spitzenfunktionäre“ Vorbereitung zu Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung betrieben zu haben. Die drei Angeklagten standen tatsächlich seit 1933 unbeirrt im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und waren auch einschlägig vorbestraft. Nachdem sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat etliche Jahre im Zuchthaus und im KZ hatten verbringen müssen, bauten Bästlein und Jacob ab 1941 in ihrer Heimatstadt Hamburg eine neue Widerstandsorganisation auf, die sich vor allem auf Kleingruppen in den Betrieben stützte. Neben einer intensiven Mund-propaganda und der Verbreitung eines Flugblatts lassen sich vereinzelte Sabotageakte in Rüstungsbetrieben nachweisen. Darüber hinaus wurde Verbindung mit Gruppen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aufgenommen und humanitäre Hilfe für sie organisiert. Mit Wilhelm Guddorf in Berlin, der auch innerhalb der Uhrig-und Schulze-Boysen-/Harnack-Organisation mitarbeitete, fanden regelmäßige Treffen statt. Zudem wurden Kontakte nach Rostock, Bremen, Lübeck, Kiel und Flensburg geknüpft. Die Gestapo kam der nord-westdeutschen Widerstandsorganisation erst im Sommer 1942 auf die Spur. Während Bästlein am 17. Oktober 1942 verhaftet wurde, konnte Jacob nach Berlin entkommen.

Dort baute er gemeinsam mit Saefkow in den folgenden Jahren die wohl größte deutsche Widerstandsorganisation während des Krieges auf. Auch in Berlin wurden vor allem Kleingruppen in den Betrieben gebildet. Zu den Widerstandsgruppen um Dr. Theodor Neubauer und Georg Schumann in Sachsen und Thüringen konnten feste Verbindungen geknüpft werden. Zahlreiche Flugblätter und Druckschriften fanden Verbreitung. Die Berliner Organisation, zu der im Frühjahr 1944 im übrigen auch Bästlein stieß, nachdem er bei einem Luft-angriff aus dem Gefängnis Plötzensee entkommen war, löste sich dabei — auch unter dem Einfluß des in Moskau agierenden „Nationalkommittee Freies Deutschland“ — immer mehr von dogmatischen kommunistischen Positionen. Es gelang ihr, viele Sozialdemokraten sowie Ärzte. Künstler und Angestellte für die Mitarbeit zu gewinnen. Im Vorfeld des 20. Juli 1944 trafen sich Saefkow und Jacob mit den Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein, um über eine von beiden Seiten angestrebte Zusammenarbeit nach dem Staatsstreich gegen Hitler zu beraten. An diesem Gespräch nahm jedoch auch ein Gestapo-Spitzel teil. Seine Angaben führten kurz darauf nicht nur zur Verhaftung der Gesprächsteilnehmer, sondern auch zur Aufrollung nahezu der gesamten Berliner Widerstandsorganisation.

Diese Vorgänge bildeten den Hintergrund für die am 5. September 1944 stattfindende Hauptverhandlung vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofes. Obwohl die Angeklagten ihre Taten nicht leugneten. verlief der Termin doch nicht ganz reibungslos. Denn die alten KPD-Funktionäre waren noch aus der Zeit vor 1933, als sie häufiger wegen politischer Delikte vor Gericht gestanden hatten, mit dem Strafprozeßrecht vertraut. So verlangten Saefkow und Bästlein die Aussetzung der Verhandlung, weil sie sich wegen Nichteinhaltung der Ladungsfristen nur unzureichend auf ihre Verteidigung vorbereiten konnten. Der 2. Senat des Volksgerichtshofes lehnte diesen Antrag jedoch kurzerhand ab. Zuvor hatten sich auch die Offizialverteidiger gegen den Antrag ihrer „Mandanten“ ausgesprochen.

So konnte der Volksgerichtshof das Verfahren, über dessen Ausgang von vornherein kein Zweifel möglich war, noch am 5. September 1944 abschließen. Im letzten Absatz der Urteilsbegründung hieß es: „Saefkow, Jacob und Bästlein sind alte kommunistische Funktionäre, die von einem abgründigen Haß gegen unseren Führer und unseren Staat erfüllt sind und daraus selbst in der Hauptverhandlung kein Hehl gemacht haben. Sie sind unbelehrbar und unverbesserlich. Die wegen Vorbereitung zum Hochverrat von ihnen verbüßten Strafen haben ebensowenig Eindruck bei ihnen hinterlassen wie ihr nachfolgendes Verweilen im Konzentrationslager. Sie haben vornehmlich im 5. Kriegsjahr die KPD in einem derartigen Umfang wieder aufgezogen und die Wehrmacht zu zersetzen versucht, daß hier für das Reich die allerschwersten Gefahren heraufbeschworen wurden . . . Das Volksgericht hat somit Saefkow, Jacob und Bästlein zum Tode verurteilt. Sie haben sich durch ihre Verratstat für immer ehrlos gemacht.“ Am 18. September 1944 wurden Anton Saefkow, Franz Jacob und Bernhard Bästlein im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil hingerichtet. 8. Zur Einordnung der dargestellten Einzelfalle Auch wenn es sich bei den vorstehend geschilderten Einzelfällen keineswegs um eine repräsentative Auswahl handelt, können sie gleichwohl einige Tendenzen der strafrechtlichen Praxis während des Krieges verdeutlichen. Dies zeigt auch eine detaillierte Übersicht über die im Jahr 1943 verhängten Todesurteile Danach war allein im „Altreich“ und dem „Protektorat“ (ohne „eingegliederte Ost-gebiete“ und „Generalgouvernement“) gegen insgesamt 4 442 Personen von deutschen Gerichten auf die Todesstrafe erkannt worden. Die Zahlen der auf Grund „krimineller“ (45, 6%) und „politischer“ (54, 4%) Delikte verhängten Todesurteile hielten sich dabei in etwa die Waage. Von den insgesamt 2 028 Todesurteilen wegen „krimineller“ Delikte ergingen allein 938 gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“, die als „Diebe, Betrüger, usw.“ definiert wurden. Zu ihnen gehörte auch die Taschendiebin Nelly Gethe aus Berlin-Kreuzberg (Fall 1). 258 weitere Todesurteile wurden gegen „Postmarder“ bei Reichsbahn und Reichspost verhängt (vgl. Fall 2). 250 Todesurteile ergingen gegen „Gewaltverbrecher“, 236 auf Grund der Kriegswirtschaftsverordnung gegen „Schieber“, 182 gegen „Plünderer“ nach § 1 der Volksschädlingsverordnung und 114 wegen Sittlichkeitsverbre-chen Von den insgesamt 2 414 Todesurteilen auf Grund „politischer“ Delikte wurden 1 745 gegen angebliche „Hoch-oder Landesverräter“ (vgl. Fall 7) verhängt. 138 Todesurteile ergingen wegen „Sabotage und Aufsässigkeit ausländischer Arbeiter“ (vgl. Fall 3) und 108 wegen „Wehrkraftzersetzung“ (vgl. Fall 6) Diese Zahlenangaben verdeutlichen die Streuung der am schwersten bestraften Delikte während des Krieges. Dabei ist die Tendenz zum „Abgleiten in die Todesstrafe“ nicht nur in politischen Verfahren, sondern auch bei Prozessen auf Grund krimineller Handlungen unübersehbar.

Wie schon dargestellt, war der Ermessensraum der Staatsanwaltschaften und Gerichte nach dem „Kriegsstrafrecht“ praktisch unbegrenzt. Einfache Diebstähle im Sinne des § 242 RStGB konnten mit einigen Wochen Gefängnis oder — unter Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge -mit der Todesstrafe geahndet werden (Fall 2). Bei regimekritischen Äußerungen war es möglich, daß das erste Verfahren mit einer Bewährungsstrafe aus dem „Heimtücke" -Gesetz abgeschlossen wurde (Fall 4), das zweite zu einer Zuchthausstrafe wegen „Wehrkraftzersetzung“ führte (Fall 5) und das dritte mit der Verhängung der Todesstrafe endete (Fall 6). Die Auflösung eines an objektiven Kriterien orientierten Handlungsstrafrechts brachte das faktische Ende der Rechtssicherheit mit sich. Die Lehre vom Tätertyp im Strafrecht, die auf subjektive Momente und die Gesinnung der Delinquenten abstellte, verstärkte diese Entwicklung noch zusätzlich.

Auch auf prozessualem Gebiet wurde die strafrechtliche Praxis von Elementen des Zufalls und der Willkür geprägt. Denn es konnte von buchstäblich existenzieller Bedeutung sein, ob eine kriminelle Handlung vor dem Einzelrichter, der Strafkammer oder dem Sondergericht angeklagt wurde. Die Staatsanwaltschaft entschied darüber nach freiem Ermessen. Und von nicht geringerer Bedeutung war es bei regimekritischen Äußerungen auch, ob das Reichsjustizministerium die Strafverfolgung aus dem „Heimtücke“ -Gesetz anordnete oder das Verfahren an den Oberreichsanwalt abgegeben wurde. Im ersten Fall konnte der Beschuldigte mit einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe davonkommen. Im zweiten Fall drohten bei Abgabe der Sache an ein Oberlandesgericht mehrere Jahre Zuchthaus, oder es mußte vor dem Volksgerichtshof mit der Verhängung der Todesstrafe gerechnet werden. Die „Abgrenzung von Zersetzungs-und Heimtükkesachen“ bereitete dabei erhebliche Probleme, was 1943 zur Bildung eines eigenen „Zersetzungssonderreferats“ im Reichsjustizministerium führte. Zudem wurde bei einer Tagung der Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte am 374. Februar 1944 versucht, an Hand einer Fall-sammlung Klarheit über die Anwendung der vollkommen offenen und miteinander konkurrierenden Tatbestände der §§ 1 und 2 „Heimtücke" -Gesetz und § 5 Kriegssonderstrafrechts-Verordnung zu schaffen Doch der Versuch scheiterte recht kläglich — und es blieb bei willkürlichen Beurteilungen der jeweiligen Einzelfälle.

In den Prozessen selbst waren Verfahrensverstöße und eine rigorose Gängelung der Verteidigung an der Tagesordnung. Über die Nichteinhaltung von Ladungsfristen etwa setzte sich der Volksgerichtshof kurzerhand „contra legem“ hinweg, wobei die vom Gericht ausgewählten Offizialverteidiger dem auch noch offen zustimmten (Fall 7). In den Verfahren vor den Sondergerichten nahmen Strafverteidiger oft nur noch reine Statistenrollen ein (Fall 1). Zu besonders eklatanten Rechtsbrüchen kam es in Prozessen nach der Polenstrafrechtsverordnung (Fall 3). Hier zeigten die einseitigen Ermittlungspraktiken der Staatsanwaltschaften und das Vorgehen der Sondergerichte zudem, wie weit sich der Grundsatz „völkischer Ungleichheit“ in der Justizpraxis tatsächlich durchgesetzt hatte.

Schließlich ist nicht zu übersehen, daß es sich bei vielen Prozessen nur noch um reine Schein-verfahren handelte. In Hamburg beispielsweise hielt der Oberlandesgerichtspräsident ab Mai 1942 „Vor-und Nachschauen“ zur Urteilsfindung bei den Sondergerichten ab, bei denen die zur Verhandlung anstehenden Fälle einschließlich des zu verhängenden Strafmaßes mit Richtern und Staatsanwälten besprochen wurden Zwar sind gerade hinsichtlich dieser „Lenkung“ große regionale Unterschiede zu beachten, aber Absprachen zwischen Richtern und Staatsanwälten waren bald allgemein an der Tagesordnung. In Berlin hieß es zum Beispiel häufig, daß „höheren Orts“ die Verhängung eines Todesurteils erwartet werde (vgl. Fall 1). Und tatsächlich griff das Reichsjustizministerium ab 1942 laufend mit Einzelfallweisungen in schwebende Verfahren ein. Zum Alltag der Sondergerichte zählten allerdings auch Verfahren, die selbst in den letzten Kriegsjahren vollkommen undramatisch verliefen und mit vergleichsweise milden Strafen endeten. Die Tochter eines Senatspräsidenten beim Kammergericht etwa wurde wegen regimekritischer Äußerungen nicht einmal in Untersuchungshaft genommen, und auch ansonsten kamen sie und ein gut beleumundeter Kollege glimpflich davon (Fall 4). Dieselbe Sondergerichtskammer, die „Volksschädlinge“ oder „Gewohnheitsverbrecher“ zum Tode verurteilt hatte, konnte gegen Regime-gegner aus einem anderen sozialen Umfeld auf Geldbußen oder geringe Gefängnisstrafen erkennen. Gerade solche Phänomene bedürfen — wie die Urteilspraxis der Sondergerichte insgesamt — noch weiterführender Untersuchungen.

V. Das Verhalten der Richter und Staatsanwälte

Vor dem Hintergrund der Praxis deutscher Strafgerichte während des Krieges stellt sich die Frage nach dem Verhalten der Richter und Staatsanwälte mit besonderem Nachdruck. Allerdings kann auch diese Frage hier nicht umfassend beantwortet werden, sondern es ist wiederum nur möglich, einige Tendenzen der Entwicklung anzudeuten. Dabei muß erneut nach den einzelnen Instanzen und regional differenziert werden. 1. Das Reichsgericht Das Leipziger Reichsgericht, bei dem schon lange vor 1933 antirepublikanische und autoritäre Dispositionen deutlich hervorgetreten waren, versuchte nach 1933, den Erwartungen der neuen Machthaber zu entsprechen So unterblieben auch in der Zeit 45 der nationalsozialistischen Herrschaft massive Eingriffe in die Personalstruktur des höchsten deutschen Gerichts. Von den 110 Richtern und Staats-anwälten, die dort zwischen 1933 und 1945 tätig waren, stammten 54, 5 Prozent aus Akademikerfamilien und 40, 5 Prozent aus Familien mit anderem bürgerlichen Hintergrund (Beamte, Kaufleute, etc.); 4, 5 Prozent waren Söhne von Landwirten und 0, 5 Prozent Söhne von Handwerkern. Kinder von Arbeitern und kleinen Angestellten waren am Reichsgericht nicht vertreten. Obwohl weniger als die Hälfte der Richter und Staatsanwälte am Reichsgericht der NSDAP angehörte, judizierten sie bis 1945 ohne erkennbaren Druck von außen im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber. In den „Richterbriefen“ des letzten Reichsjustizministers Thierack wurden Entscheidungen des Reichs-gerichts sogar immer wieder besonders lobend hervorgehoben So scheint es tatsächlich dem „Gerechtigkeitsgefühl“ der Richter des 4. Strafsenats entsprochen zu haben, die fünfjährige Zuchthausstrafe gegen den „Postmarder“ Albin Berlin, der unter anderem für seine krebskranke Frau gestohlen hatte, in die Todesstrafe umzuwandeln (Fall 2). 2. Der Volksgerichtshof Beim 1934 neuerrichteten Volksgerichtshof lagen natürlich andere Voraussetzung vor als beim Reichsgericht Hier bestand die Möglichkeit, ein im Wortsinne „nationalsozialistisches“ Tribunal zu institutionalisieren. Doch die Ausstattung des neuen Gerichts zog sich zunächst bis 1936 hin, und 1939 waren gerade 16 Berufsrichter am Volksgerichtshof beschäftigt. Soweit Personalunterlagen der dort tätigen Justizjuristen überliefert sind, spielten bis in die Kriegszeit hinein neben Parteimitgliedschaft und „politischer Zuverlässigkeit“ auch fachliche Kriterien für ihre Auswahl noch eine entscheidende Rolle. Bei den ehrenamtlichen Beisitzern dominierten Offiziere der Wehrmacht, Repräsentanten von SS und Polizei sowie Vertreter von Parteiformationen. Entgegen manchen anderslautenden Darstellungen stand auch die Rechtsprechung des Volksgerichtshofes bis 1942 noch deutlich in der Tradition hergebrachter politischer Strafjustiz. Das schloß allerdings auch in dieser Zeit offene Rechtsbrüche nicht aus.

Erst unter Roland Freisler wurde der Volksgerichtshof tatsächlich zu einem „nationalsozialistisehen Revolutionstribunal“. Der Geschäftsanfall hatte zu dieser Zeit so stark zugenommen, daß 1943 insgesamt 47 Berufsrichter sowie 61 Staatsanwälte beim Volksgerichtshof und seiner Oberreichsanwaltschaft beschäftigt waren. Die ab Herbst 1942 einsetzende Prozeßführung und Urteilspraxis hatte mit justizförmigen Verfahren nur noch wenig gemein. In vielen Verhandlungen, deren Ergebnis -wie bei den Prozessen gegen die Verschwörer des 20. Juli 1944 — von vornherein feststand, ging es offenbar nur noch um die Herabsetzung und Demütigung der Angeklagten durch Freisler. Sein Stil wurde dabei rasch auch von anderen Senaten des Gerichts kopiert, wie das Urteil gegen den „ausgesprochenen Staatsfeind“ Ernst Fink zeigt (Fall 6). 3. Die Oberlandesgerichte Wie erwähnt, ist die Forschungslage zu den politischen Strafsenaten bei den Oberlandesgerichten besonders schlecht Daß in diesem Zusammenhang regionale Differenzierungen unerläßlich sind, macht allerdings bereits ein Blick auf die Organisationsgeschichte des Hanseatischen Oberlandesgerichts und des Berliner Kammergerichts deutlich. Die Strafsenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts wurden ab 1933 in die Personalpolitik und die Justizlenkungs-Maßnahmen des Hamburger Oberlandesgerichtspräsidenten Rothenberger einbezogen. Die Situation am Kammergericht war dagegen nach 1933 davon geprägt, daß eine Reihe abgelöster Oberlandesgerichts-und Senatspräsidenten nach Berlin versetzt wurde.

In den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft kam den Strafsenaten bei den Oberlandesgerichten bei Massenprozessen gegen Widerstandskämpfer aus der Arbeiterbewegung besondere Bedeutung zu. Ihre Urteilspraxis blieb dabei zwar am hergebrachten politischen Strafrecht orientiert, erweckt auf Grund der ausgedehnten Tatbestände und verschärften Strafen aber gleichwohl den Eindruck einer regelrechten „Kampfrechtsprechung“ gegen Kommunisten und Sozialdemokraten. Nachdem die Geschäftstätigkeit ab 1936/1937 stark rückläufig war und zur vorübergehenden Auflösung einer Reihe von Strafsenaten führte, stieg die Zahl der Verfahren in der zweiten Kriegshälfte wieder rapide an. Und obwohl gerade bei den Oberlandesgerichten stets altgediente und eher nationalkonservative Richter und Staatsanwälte dominierten, urteilten auch sie in aller Regel so, wie es die Oberreichsanwaltschaft beim Volks-gerichtshof in den abgegebenen Verfahren erwartete. Sogar die Verbreitung von Berichten über den Judenmord wurde 1944 vom Hanseatischen Oberlandesgericht als „Wehrkraftzersetzung“ mit einer dreijährigen Zuchthausstrafe belegt (Fall 5). 4. Die Sondergerichte Hinsichtlich der Sondergerichte gilt das Gebot regionaler Differenzierung noch stärker als bei den Oberlandesgerichten. Während 1933 ursprünglich in jedem der 25 Oberlandesgerichtsbezirke jeweils ein Sondergericht errichtet worden war, wuchs ihre Gesamtzahl bis 1942 auf über 70 an In einigen Oberlandesgerichtsbezirken bestanden schließlich sogar drei oder vier Sondergerichte. Da sie jeweils am Sitz eines Landgerichts errichtet und überwiegend mit dort beschäftigten Richtern besetzt wurden, waren auch die regionalen Besonderheiten auffallend groß. Allein die organisatorischen Strukturen der Sondergerichte in Hamburg, Berlin und Kiel wiesen erhebliche Unterschiede auf.

Auf die in Hamburg besonders ausgeprägte Justiz-lenkung mit den wöchentlichen Sondergerichtsbesprechungen ist bereits hingewiesen worden. Daneben trat in der Hansestadt eine gezielte Personalpolitik des Oberlandesgerichtspräsidenten Rothenberger, die auf die Schaffung eines im Nationalsozialismus verwurzelten Richterkorps für das Sondergericht abzielte. Der steigende Geschäftsanfall und die zahlreichen Einberufungen machten die Realisierung dieses Zieles im weiteren Kriegsverlauf zwar praktisch unmöglich, aber die Parteimitgliedschaft blieb in der Hansestadt stets Voraussetzung für die Tätigkeit am Sondergericht Ganz anders lagen die Verhältnisse dagegen bei dem etwa dreimal so großen und wesentlich unübersichtlicheren Berliner Sonder-gericht, das zeitweilig bis zu neun Kammern zählte. Zwar gab es auch hier Ansätze zur Justizlenkung und Versuche einer personalpolitischen Ausrichtung, aber die Wirkung scheint eher gering geblieben zu sein. So waren viele Berliner Sonderrichter nicht einmal Parteimitglieder. Das Reichsjustizministerium klagte wiederholt über eine „zu milde“ Urteilspraxis des Berliner Sondergerichts in „Heimtücke“ -Verfahren. Tatsächlich lag das durchschnittliche Strafmaß in diesen Verfahren dort nur halb so hoch wie bei den Sondergerichten in Hamburg und Kiel. Andererseits bewirkte die Nähe zum Reichsjustizministerium, daß es in Berlin besonders häufig zu gezielten Eingriffen in Einzelverfahren kam. Dies wirkte sich vor allem auf die Strafpraxis in Verfahren auf Grund krimineller Delikte aus. Die Zahl der Todesurteile lag beim Sondergericht Berlin besonders hoch

Wiederum anders war das Sondergericht Kiel strukturiert. Direkte Maßnahmen zur Justizlenkung blieben hier die Ausnahme, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß Richter und Staatsanwälte in dem relativ kleinen Bezirk ohnehin miteinander vertraut waren. Das Sondergericht tagte in der Regel unter dem Vorsitz eines älteren und „politisch zuverlässigen“ Landgerichtsdirektors sowie mit zwei jüngeren Beisitzern, die regelmäßig nach einiger Zeit ausgewechselt wurden. Für die jüngeren Beisitzer war die Tätigkeit am Sondergericht offenbar eine Bewährungsstation. Tatsächlich konnte das „dritte juristische Staatsexamen“, das justizintem zum Aufstieg in Beförderungsstellen berechtigte und traditionell den Oberlandesgerichten Vorbehalten war, während des Krieges auch an den Sondergerichten abgelegt werden

Schon dieser kurze Überblick zeigt, wie unterschiedlich sich die Situation der Richter und Staatsanwälte an den Sondergerichten gestalten konnte. Die Karriere-Hoffnungen junger Assessoren, Staatsanwälte und Richter standen neben dem Sendungsbewußtsein einiger überzeugter Nationalsozialisten und der „Pflichterfüllung“ vieler älterer, im Grunde nationalkonservativer Juristen. Allen gemeinsam war, daß sie in der täglichen Praxis den an sie gestellten Anforderungen nachzukommen versuchten. Wurde von vorgesetzter Stelle also signalisiert, daß wieder einmal ein Todesurteil verhängt werden sollte, so kamen die Richter und Staatsanwälte dieser Erwartung nach. Ihr Gehorsam eilte sogar oft voraus. Dabei darf ebenfalls das Maß politisch-ideologischer Übereinstimmung vieler eher konservativer Juristen mit dem Nationalsozialismus nicht übersehen werden. Denn der deutsche Konservativismus wies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ja eine weitgehend offene Flanke zu antidemokratischen, völkisch-nationalistischen und rassistischen Positionen auf. Das Verfahren gegen den Polen Bronislaw Duda zeigt, wie weit sich das Prinzip „völkischer Ungleichheit“ selbst in der entlegenen Provinz Schleswig-Holstein durchgesetzt hatte (Fall 3).

Daneben wirkten in der sondergerichtlichen Praxis natürlich auch aus der Rechtssoziologie bekannte Phänomene fort. Der unehelich geborenen, einfachen Maschinenarbeiterin Nelly Gethe, die auch noch vorübergehend als Bardame gearbeitet hatte und einschlägig vorbestraft war, mochten Berliner Sonderrichter keine mildernden Umstände zubilligen (Fall 1). Die Persönlichkeit der Angeklagten stieß offenbar auf tradierte Vorurteile. Selbst stark verminderte oder gänzlich auszuschließende Zurechnungsfähigkeit der kleptomanischen Taschen-diebin fand keine Berücksichtigung. Wenn in der Urteilsbegründung schließlich von einer „haltlosen, für die Gemeinschaft gefährlichen und nicht mehr besserungsfähigen Verbrecherin“ die Rede war, so wird auch die ideologische Nähe zum überzeugten Nationalsozialisten Thierack deutlich, der hinsichtlich der Justiz von der „volkshygienischen Aufgabe einer fortgesetzten Reinigung des Volkskörpers“ sprach

Ganz anders verhielt sich das Sondergericht Berlin dagegen in einem Verfahren wegen regimekritischer Äußerungen gegenüber der Tochter eines Senatspräsidenten beim Kammergericht, wobei auch der Auftritt einer Reihe führender Mitarbeiter der Reichstagsverwaltung in dem Prozeß seine Wirkung nicht verfehlt haben dürfte. Und schließlich zeigt das Verfahren gegen den „Postmarder“ Albin Berlin, daß das besonders stark nationalsozialistisch ausgerichtete Hanseatische Sondergericht offenbar eher geneigt war, mildernde Umstände zu berücksichtigen, als das von Maßnahmen zur Justiz-lenkung unberührte Leipziger Reichsgericht (Fall 2).

Sicherlich wurde im Rahmen der Justizlenkung ein erheblicher Druck auf die Richter und Staatsanwälte ausgeübt. Sie konnten sich aber bei abweichenden Entscheidungen immer noch damit rechtfertigen, daß die Hauptverhandlung ein ganz neues Bild von Tat und Täter ergeben habe. Jedenfalls läßt sich die Urteilspraxis während des Krieges nicht allein mit dem Hinweis auf die Justizlenkung erklären, sondern gerade das Verhalten der Richter und Staatsanwälte bedarf noch weiterführender, differenzierter Untersuchungen. Dabei wird das hier angesprochene Motivbündel zu berücksichtigen sein: der Druck vorgesetzter Stellen einerseits und die politisch-ideologischen Übereinstimmungen mit dem Nationalsozialismus andererseits, die Karriere-Hoffnungen der jungen Juristen und die mißverstandene „Pflichterfüllung“ vieler älterer Richter und Staatsanwälte, die regional abweichenden Organisationsstrukturen der Justiz und die tradierten Wertvorstellungen der dort tätigen Juristen.

Auch weit über 40 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft steht die Forschung zur Justiztätigkeit zwischen 1933 und 1945 immer noch am Anfang. Quellenorientierte und empirisch angelegte Studien stoßen bei der Forschungsförderung und in manchen Archiven sogar auf zunehmende Schwierigkeiten Dabei sind die in der öffentlichen Diskussion vorherrschenden Vor-und Werturteile zur NS-Justiz wenig hilfreich — und nur das genaue Hinsehen nützt. Zwar wiederholt sich die Geschichte bekanntlich nicht. Aber gerade die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit kann Sensibilität für gegenwärtige und künftige Fehlentwicklungen der Rechtspolitik und Justiz-praxis schärfen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bei den Zahlen der verhängtenTodesurteile und der in die Konzentrationslager überstellten Justiz-Gefangenen handelt es sich um nachweisbare und daher minimale Angaben. Vgl. Bundesarchiv (BA), Bestand R 22, Akten 5019. fol. 67, und 262, fol. 15. Hinsichtlich der Auslieferung von Justiz-Gefan-genenzur Liquidation siehe: BA. R 22/5019. Zur Beteiligung der Justiz an den Mordaktionen gegen Behinderte und Kranke vgl. BA R 22/4209 und R 22/5021.

  2. Siehe Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, Frankfurt/M. B 4 (amerikanische Erstausgabe 1941); Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1932., 1944, Frankfurt/M. 1977 (amerikanische Erstausgabe **); Otto Kirchheimer, Politische Justiz. Verwendung juri-Escher Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken.

  3. Siehe vor allem Bernd Rüthers. Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung unter dem Nationalsozialismus. Tübingen 1968; Klaus Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht. Eine Studie zum Antiliberalismus in der Strafrechtswissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre, Berlin 1973; Michael Stolleis. Gemeinwohl-formeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974. Einen knappen Überblick für den Bereich der Strafrechtsgeschichte bietet Hinrich Rüping. Grundriß der Strafrechtsgeschichte, München 1981, S. 94-108.

  4. Udo Reifner (Hrsg.), Das Recht des Unrechtsstaates. Arbeitsrecht und Staatsrechtswissenschaft im Faschismus. Frankfurt/M. 1982; Jörg Friedrich, Freispruch für die Nazi-Justiz. Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948. Reinbek 1983. Udo Reifner/Bernd-Rüdiger Sonnen (Hrsg.). Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich. Frankfurt/M. -New York 1984; Ingo Müller, Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München 1987.

  5. Als positive Ausnahmen sind hervorzuheben: Lothar Gruchmann. Justiz im Dritten Reich 1933— 1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 1988; Werner Johe. Die gleichgeschaltete Justiz. Organisation des Rechtsweges und Politisierung der Rechtsprechung, dargestellt am Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg, Frankfurt/M. 1967.

  6. Friedrich Karl Kaul. Geschichte des Reichsgerichts. Bd. 4: 1933— 1945, Glashütten/Taunus 1971; Hans Robinson. Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in „Rassenschandefällen“ beim Landgericht Hamburg 19361943, Stuttgart 1977; Diemut Majer, „Fremdvölkische“ im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ost-gebiete und des Generalgouvernements. Boppard/Rhein 1981; Ralph Angermund. Die geprellten „Richterkönige“. Zum Niedergang der Justiz im NS-Staat, in: Hans Mommsen/Susanne Willems (Hrsg.). Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Studien und Texte, Düsseldorf 1988, S. 304— 342.

  7. Einen guten Einstieg in die Thematik ermöglichen: Die-mut Majer. Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems — Führerprinzip. Sonderrecht, Einheitspartei, Stuttgart-Berlin—Köln-Mainz 1987; Hinrich Rüping, Strafjustiz im Führerstaat, in: Gotthard Jasper/Diemut Majer/Klaus Oldenhage/Hinrich Rüping/Wolfgang Sellert, Justiz und Nationalsozialismus. hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Hannover 1985, S. 97— 118.

  8. Zur Justiz in der Weimarer Republik siehe — auch mit weiteren Nachweisen — vor allem Gotthard Jasper, Justiz und Politik in der Weimarer Republik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 30 (1982), S. 167— 205.

  9. Zur Person Gürtners siehe Ekkehard Reitter. Franz Gürtner. Politische Biographie eines deutschen Juristen 188 -1941, Berlin 1976; L. Gruchmann (Anm. 5), S. 9-83.

  10. Fritz Fischer, Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität e Machtstrukturen in Deutschland 1871 — 1945, Düsseldot 1979.

  11. Zur unbegrenzten Führergewalt, die über Recht, Gesetz und Verfassung stehen sollte, siehe vor allem Emst Rudolf ™ber. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches. Hambürg 1939. Zur Reichstagssitzung vom 26. April 1942 vgl. die amtliche Publikation in: Deutscher Reichsanzeiger und Preu-Bischer Staatsanzeiger, Nr. 97/1942.

  12. Zur „Verreichlichung“ der Justiz und dem Verhalten des Reichsjustizministeriums in Konfliktsituationen vgl. die Darstellung bei L. Gruchmann (Anm. 5), insb. S. 84— 123 und S. 433-745.

  13. Zu den Kompetenzkonflikten zwischen der Justiz und en Organen von SS und Polizei vgl. auch Johannes Tuchei/meinold Schattenfroh. Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-

  14. Siche hierzu vor allem Helmut Kramer. Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte als Gehilfen der NS-„Euthanasie“. Selbstentlastung der Justiz für die Teilnahme am Anstaltsmord, in: Kritische Justiz, 17 (1984), S. 25— 43. Der abschließenden Beurteilung der Berliner Konferenz vom 23. 724. April 1941 durch L. Gruchmann (Anm. 5), daß „die Justiz wenigstens dazu beigetragen (hatte), daß die Euthanasie eingedämmt wurde“ (S. 533), kann nicht beigepflichtet werden. Im Gegenteil leistete die Justiz nach der Konferenz und bis zum Ende der NS-Herrschaft weiter in massiver Form Beihilfe zu den Mordaktionen.denen insgesamt weit über 100 000 Behinderte und Kranke zum Opfer fielen. Vgl. hierzu entsprechende Vorgänge aus den Jahren 1943/44 in den Archiven der Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten in Berlin und Hamburg.

  15. Die „Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Juden und Polen“ vom 4. Dezember 1941 ist wiedergegeben im Reichsgesetzblatt. Teil I (im folgenden: RGBl. I), S. 759 ff. Zur Entstehung der Verordnung siche die entsprechenden Sammelakten des Reichsjustizministeriums in: BÄ, R 22/849 und R 22/850.

  16. Zum justizpolitischen Programm Thieracks siehe sein Schreiben an den Gauleiter Eggeling in Halle vom 31. Oktober 1942, in: Berlin Document Center (BDC), Personalakte Georg Thierack.

  17. Zu den Tendenzen in der deutschen Rechtswissenschaft nach 1933 siehe vor allem die in Anm. 3 genannten Arbeiten von Bernd Rüthers. Klaus Marxen und Michael Stolleis. Zur Lehre vom „Tätertyp im Strafrecht“ vgl. Georg Dahm. Der Tätertyp im Strafrecht. Leipzig 1940.

  18. RGBl. I. S. 136 ff. Zur Entwicklung der nationalsozialistischen Sondergerichte im allgemeinen und der Rechtsprechung des Kieler Sondergerichts im besonderen siehe Klaus Bästlein. Die Akten des ehemaligen Sondergerichts Kielcis zeitgeschichtliche Quelle, in: Zeitschrift der Gesellschaft tur Schleswig-Holsteinische Geschichte, (1988) 113, S. 157-211.

  19. RGBl. I, S. 1269. Zur Urteilspraxis in diesem Zusam-menhang vgl. Peter Hüttenberger. Heimtückefälle vor dem rondergericht München 1933 — 1939. in: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hrsg.). Bayern in der NS-Zeit, Bd. IV: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. München 1981, S. 435-526.

  20. RGBl. I. 1938. S. 1362. und 1939. S. 1658 ff.

  21. RGBl. I, 1939, s. 1609 ff., S. 1679, S. 2378, und 1941, $. 549f.

  22. Zur Urteilspraxis auf Grund des „Kriegsstrafrechts“ vgl.de 940 und 1942 in der Zeitschrift „Deutsches Recht“ von ^Vorsitzenden verschiedener Sondergerichte publizierten ut>ersichtsdarstellungen. Siehe auch die Edition von 20 Berpner Sondergerichtsurteilen aus der Kriegszeit in: Bernd Rchimmler, Recht ohne Gerechtigkeit. Zur Tätigkeit der serliner Sondergerichte im Nationalsozialismus, Berlin

  23. RGBl. I, S. 341. Zur Institutionsgeschichte des Volksgerichtshofes siehe: Walter Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, Stuttgart 1974; Bernhard Jahntz/Volker Kähne, Der Volksgerichtshof. Darstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof, Berlin 1986; Zur Rechtsprechung siehe: Hinrich Rüping, „Streng, aber gerecht. Schutz der Staatssicherheit durch den Volksgerichtshof“, in: Juristenzeitung, (1984). S. 815-821.

  24. RGBl. I, S. 341 ff.

  25. RGBl. I, S. 405 ff.

  26. RGBl. I. S. 76.

  27. Zur Urteilspraxis der Strafsenate in Hoch-und Landesverratssachen liegen bislang keine Untersuchungen vor.

  28. Zum Reichsgericht im allgemeinen und dem Institut der Nichtigkeitsbeschwerde im besonderen vgl. die Ausführungen bei F. K. Kaul (Anm. 6). insb. S. 218— 239.

  29. Der Darstellung des Verfahrens liegt die Akte 5 P KLs 495/43 des Sondergerichts Berlin im Archiv der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin zugrunde, ausderaue die nachstehenden Zitate entnommen wurden.

  30. Zu entsprechenden Vorgängen beim Sondergericht Berlin vgl. die Hinweise bei B. Schimmler (Anm. 23), S. 16— 23, sowie die nachfolgenden Ausführungen im Abschnitt IV, 3.

  31. Nach Akte (38 a) Sond. Ger. 10/44 des Hanseatischen Sondergerichts im Archiv der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg (Rep. -Nr. 499/45).

  32. Nach Akte 12 Son KLs 235/42 des Sondergerichts Kiel im Landesarchiv Schleswig-Holstein.

  33. Nach Akte 3 Sond KMs 36/43 des Sondergerichts Berlin im Archiv der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin.- Die Behauptung, daß Hitler zu unkontrollierten Wutanfällen neige und sich als "Teppichbeißer" betätige, war 1942 durchaus weitverbreitet, vgl. Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 1980, S. 165.

  34. Nach Urteil O. Js. 76/1944 des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Archiv der Generalstaatsanwaltschaft bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht. — Zu den Geschehnissen im „Reichskommissariat Ostland“ und den darüber in Deutschland verbreiteten Berichten vgl. auch Klaus Bästlein. Das „Reichskommissariat Ostland" unterschleswig-holsteinischer Verwaltung und die Vernichtung der europäischen Juden, in: Kurt Hamer (Hrsg.). 50 Jahre nach den Judenpogromen. Reden zum 9. /10. November 1988 in Schleswig-Holstein, Kiel 1989.

  35. Nach Urteil des Volksgerichtshofes mit dem Aktenzeichen 3 L 522/44//4 J 2052/44 im Zentralen Parteiarchiv der SED beim Institut für Marxismus-Leninismus in Berln (Akte NJ 4392). Zu einem ähnlichen Fall siehe Friedrch Lambart (Hrsg.), Tod eines Pianisten. Karlrobert Kreiten und der Fall Höfer, Berlin 1988.

  36. Der Darstellung des Verfahrens liegt das Urteil H 208/44//8 j 157/44 des Volksgerichtshofs im Privatbesitz es Verfassers zu Grunde, aus dem die nachfolgenden Zitate entnommen wurden.

  37. Die Übersicht wurde 1944 im Reichsjustizministerium erstellt und im als „geheim“ gekennzeichneten „Informationsdienst des Reichsministers der Justiz“, Beitrag 46. wiedergegeben. Es handelt sich um die letzte autorisierte Über-sicht zu den im Krieg verhängten Todesurteilen. Insgesamt weist die Statistik unter der Überschrift „Die Zahl der Todesurteile seit Kriegsbeginn“ für 1939 (1. September-31. Dezember) 99. für 1940 926. für 1941 1 292. für 1942 3 660 und für 1943 5 336 Todesurteile deutscher Gerichte aus. Siehe BA, R 22/4003, fol. 74.

  38. 50 weitere Todesurteile ergingen auf Grund anderer Delikte wie Brandstiftung etc. Die Abgrenzung der auf Grund einzelner Straftaten verhängten Todesurteile erfolgte nicht immer zuverlässig, da eine Reihe von Einzeldelikten unter täterorientierten Sammelbegriffen wie „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ zusammengefaßt wurden.

  39. 423 weitere Todesurteile wurden auf Grund anderer „politischer“ Delikte verhängt; davon allein 282 wegen „Verbrechen gegen die Besatzungsmacht“.

  40. Eine 16seitige, „vertrauliche“ Aufzeichnung über die Tagung am 3. und 4. Februar 1944, die unter dem Datum vom 19. Februar 1944 vom Reichsjustizministerium an Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte versandt wurde, enthält die angesprochene Fallsammlung zur „Abgrenzung von Zersetzungs-und Heimtückesachen“. Sie war nach dem Anschreiben des Ministeriums „gleichfalls auf den Vorgesehenen Besprechungen mit den Richtern und Staats-anwälten“ der einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke „zu er-Wem“. Siehe: BA, R 22/110.

  41. Die Protokolle der Hamburger Sondergerichtsbespre-Ehungen sind vollständig überliefert im Staatsarchiv Ham-burg, Abteilung 213-1 (Oberlandesgericht-Verwaltung), Ablieferung 8, Akten 3131 E -1 a bis 1 n.

  42. Zur Situation am Reichsgericht siehe — auch hinsichtlich der nachfolgenden Zahlenangaben — F. K. Kaul. (Anm. 6), insb. S. 51— 62 und 240— 259; G. Jasper (Anm. 8).

  43. Vgl. Heinz Boberach (Hrsg.), Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschen Rechtsprechung 19421944, Boppard/Rhein 1975.

  44. Zur Situation am Volksgerichtshof siehe — auch hinsichtlich der nachfolgenden Zahlenangaben — die in Anm. 26 genannte Literatur. Personalunterlagen von Mitarbeitern des Volksgerichtshofes sind unter anderem im Bundesarchiv, Bestand R 22 — Personalakten, und im Berlin Document Center überliefert.

  45. Vgl. Anm. 30. Die nachfolgenden Angaben stützen sich auf die Generalakten des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Staatsarchiv Hamburg, Abt. 213-1, sowie freundliche Hinweise von Heino Lüth (Berlin), der an einer Dissertation über das Kammergericht zwischen 1933 und 1945 arbeitet.

  46. Eine Übersicht über die insgesamt 55 Sondergerichte, die am 15. März 1940 bestanden, in: Deutsche Justiz, (1940), S. 323f.

  47. Vgl. hierzu die nahezu vollständig überlieferten General-alten des Hanseatischen Oberlandesgerichts und des Land-genichts Hamburgs aus der Zeit von 1933 bis 1945 im Staats-archiv Hamburg, Abt. 213-1 (Oberlandesgericht-Verwal-tung) und Abt. 213-3 (Landgericht-Verwaltung).

  48. Zur Entwicklung beim Sondergericht Berlin siehe die im Archiv der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin überlieferten Generalakten, bei denen es sich allerdings nur um Splitterbestände handelt.

  49. Zum Sondergericht Kiel siehe Anm. 19.

  50. Zitiert nach dem Bericht Thieracks über „Die Strafrechtspflege im fünften Kriegsjahr“, in: BA, R 22/5016.

  51. Die Behinderungen durch Archivbehörden, die sich mit vorgeschobenen „Datenschutz“ -Argumentationcn als Zensoren der wissenschaftlichen Forschung gerieren, haben ein erhebliches Ausmaß angenommen. So verweigert die Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz dem jüdischen Historiker Raymond Wolff, der an der Edition der letzten Briefe seiner 1942 nach Polen deportierten und dort ermordeten Großeltern arbeitet, die Auswertung von für sein Editionsvorhaben einschlägigen Akten aus der NS-Zeit. In dieser Sache ist jetzt eine Klage gegen das Land Rheinland-Pfalz vordem Verwaltungsgericht Koblenz anhängig. Vgl : Datenschutz und Forschungsfreiheit. Die Archivgesetzgebung des Bundes auf dem Prüfstand, bearbeitet und eingeleitet von Jürgen Weber, München 1986.

Weitere Inhalte

Klaus Bästlein, geb. 1956; Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Skandinavistik; 1984 erste juristische Staatsprüfung; seither Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Das KZ Husum-Schwesing. Außenkommando des Konzentrationslagers Neuengamme. Materialien zu einem dunklen Kapitel nordfriesischer Geschichte, Bräist/Bredstedt 1983; Die Akten des ehemaligen Sondergerichts Kiel als zeitgeschichtliche Quelle, in: Zeitschrift der Gesellschaftfür Schleswig-Holsteinische Geschichte, (1988) 113; „Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg“. Die Bästlein-Organisation. Zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Hamburg und Nordwestdeutschland während des Krieges, in: Beate Meyer/Joachim Szodrynski (Hrsg.), Vom Zweifeln und Weitermachen. Fragmente der Hamburger KPD-Geschichte, Hamburg 1988; Die Judenpogrome am 9. /10. November 1938 in Schleswig-Holstein. Eine organisationsgeschichtliche Skizze, in: Jüdisches Leben und die Novemberpogrome in Schleswig-Holstein. Aufsätze, hrsg. vom Grenzfriedensbund, Flensburg 1988.